Kapitel 30

Es wurde schon hell, aber die Journalisten schossen noch immer Fotos und redeten mit den Mädchen. Sie hatten Wolldecken bekommen und Tee, den Kari in der Küche gekocht hatte. Drei Journalisten belagerten Simon in dem Versuch, ihm noch weitere Details zu entlocken.

»Nein, wir wissen nicht, ob es neben den Verhafteten noch weitere Hintermänner gibt«, wiederholte er. »Und, ja, es stimmt, dass wir hier aufgrund eines anonymen Hinweises zugeschlagen haben.«

»War es wirklich notwendig, ein unschuldiges Tier zu erschießen?«, fragte eine Journalistin und nickte in Richtung des Hundekadavers, über den Kari eine Decke aus dem Haus gebreitet hatte.

»Das Vieh hat uns angegriffen«, sagte Simon.

»Angegriffen?«, schnaubte sie. »Zwei Erwachsene gegen einen kleinen Hund, den hätten Sie doch wohl auf andere Weise abwehren können.«

»Der Verlust von Leben ist immer traurig«, sagte Simon und wusste bereits, dass er besser den Mund halten sollte, »aber bedenkt man, dass die Lebenserwartung eines Hundes etwa umgekehrt proportional zu seiner Körpergröße ist, erkennen Sie – wenn Sie einen Blick unter die Decke werfen –, dass dieser Hund es ohnehin nicht mehr lange gemacht hätte.«

Stalsberg, der ältere Kriminalreporter, den Simon als Ersten angerufen hatte, musste lächeln.

Ein Allradfahrzeug der Polizei kam die Straße hochgerollt und hielt hinter den Streifenwagen, auf denen zu Simons Ärger noch immer die Blaulichter blinkten.

»Aber statt mir Löcher in den Bauch zu fragen, schlage ich vor, dass Sie sich an meinen Chef wenden.«

Simon nickte in Richtung des neu angekommenen Fahrzeugs, und die Journalisten drehten sich um. Der Mann, der aus dem Auto stieg, war schmal und dünn, hatte nach hinten gekämmte Haare und eine rechteckige Brille ohne Rahmen. Er richtete sich auf und blickte überrascht zu den Journalisten, die auf ihn zurannten.

»Meine Gratulation zu den Festnahmen, Parr«, sagte Stalsberg. »Wollen Sie eine Erklärung dazu abgeben, dass Sie das Traffickingproblem nun endlich in Angriff zu nehmen scheinen? Können wir hier von einem Durchbruch sprechen?«

Simon hatte die Arme verschränkt und begegnete Parrs kaltem Blick. Der Polizeipräsident, der kaum merkbar nickte, sah den Fragenden an: »Auf jeden Fall ist der Polizei heute ein wichtiger Schritt im Kampf gegen den organisierten Menschenhandel gelungen. Wir haben uns für die laufende Periode vorgenommen, dieses Thema prioritär zu behandeln, und diese Priorisierung hat nun bereits – wie Sie sehen – Früchte getragen. Aber mein Glückwunsch geht an Hauptkommissar Kefas und seine Kollegen.«

Parr nahm Simon zur Seite, als er auf dem Weg zurück zum Auto war.

»Was zum Henker machst du hier eigentlich, Simon?«

Etwas, was Simon bei seinem alten Kameraden nie verstanden hatte, war, dass sich dessen Tonlage niemals änderte. Er konnte überglücklich sein oder vor Wut kochen, seine Stimme war immer exakt dieselbe.

»Meine Arbeit. Böse Buben fangen. Du weißt schon.« Simon blieb stehen, schob sich Snus unter die Oberlippe und reichte Parr die Dose, der aber nur die Augen verdrehte. Ein alter Witz, den Simon nie leid wurde. Parr hatte noch nie Snus genommen, geschweige denn eine Zigarette geraucht. In seinem ganzen Leben nicht.

»Ich meine diesen Zirkus hier«, sagte Parr. »Du widersetzt dich dem direkten Befehl, nicht ins Haus zu gehen, und lädst anschließend noch die gesammelte Presse ein? Warum?«

Simon zuckte mit den Schultern. »Ich dachte, wir könnten mal gute Presse gebrauchen. Außerdem ist das nicht die gesammelte Presse, nur die, die Nachtdienst hatten. Und wunderbar, dass wir uns nun einig sind, dass die Einschätzung des Beamten vor Ort entscheidend sein sollte. Wären wir da nicht reingegangen, hätten wir die Mädchen nicht gefunden, sie waren gerade dabei, sie abzutransportieren.«

»Ich frage mich, woher du diese Adresse hattest.«

»Eine SMS.«

»Von?«

»Anonym. Die Nummer ist nicht registriert.«

»Nimm Kontakt mit der Telefongesellschaft auf und spür ­dieses Handy auf. Du musst den Betreffenden so schnell wie möglich finden, damit wir auf ein Verhör aufbauen können. Ich würde mich schwer wundern, wenn wir aus den Verhafteten auch nur ein Wort rauskriegten.«

»Ach?«

»Das sind kleine Fische, Simon. Die wissen ganz genau, dass die Großen sie fressen, wenn sie den Mund nicht halten. Und wir wollen doch auch die Großen, nicht wahr?«

»Klar doch.«

»Gut, hör zu, Simon. Du kennst mich, und du weißt, dass ich manchmal ein bisschen zu selbstbewusst sein kann, und …«

»Und?«

Parr räusperte sich. Wippte auf den Füßen, als wollte er Anlauf nehmen: »Und deine Einschätzung der Situation war heute Abend besser als meine. Eindeutig. Das werde ich bei der nächsten Weichenstellung nicht vergessen.«

»Danke, Pontius, aber vor der nächsten Weichenstellung bin ich pensioniert.«

»Stimmt«, sagte Parr lächelnd. »Aber du bist ein guter Polizist, Simon, das bist du immer gewesen.«

»Stimmt auch«, sagte Simon.

»Wie geht es Else?«

»Gut, danke. Oder …«

»Ja?«

Simon holte tief Luft. »Geht so. Wir reden ein andermal dar­über. Schlafen?«

Parr nickte. »Schlafen.« Er klopfte Simon auf die Schulter, drehte sich um und ging zu seinem Wagen.

Simon sah ihm nach. Machte den Zeigefinger krumm und fischte sich den Snus aus dem Mund. Es schmeckte nicht, wie es sollte.


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