18

Alexandria seufzte wütend, als sie sah, dass an den Sachen, die sie am Abend zuvor zusammengefaltet weggelegt hatte, ihre Spange fehlte. Wie ein kurzer Blick in die anderen Zimmer ergab, hatte Octavian das Haus schon früh verlassen. Mit energisch vorgerecktem Kinn schloss Alexandria die Haustür hinter sich und machte sich auf den Weg in Tabbics Werkstatt. Es ging ihr nicht nur um das wertvolle Silber oder die vielen Arbeitsstunden, die sie auf das Schmieden und Polieren der Spange verwendet hatte. Es war die einzige, die sie eigens für sich gemacht hatte, und viele Leute, die das Stück gesehen und sie darauf angesprochen hatten, waren später zu ihren Kunden geworden. Das Motiv war ein einfacher Adler, den sie kaum für ihre eigene Schulter ausgewählt hätte, wäre er nicht zum Symbol für alle Legionen geworden, womit er sich allgemeiner Beliebtheit erfreute. Es waren in erster Linie Offiziere, die sie anhielten und sich danach erkundigten, und bei dem Gedanken, dass sie von einem kleinen Gassenjungen gestohlen worden war, ballte sie beim Gehen die Fäuste, während ihr der Mantel ohne die Spange immer wieder von der Schulter rutschte und ständig wieder hochgezogen werden musste.

Er war nicht nur ein Dieb, sondern auch ein Dummkopf, dachte sie. Wie kam er nur auf den Gedanken, dass er nicht erwischt werden würde? Vielleicht – diese beunruhigende Möglichkeit bestand allerdings – war der Junge schon zu sehr an Bestrafungen gewöhnt und bereit, für die Brosche alles über sich ergehen zu lassen, wenn er sie nur behalten konnte. Wütend schüttelte Alexandria den Kopf und malte sich leise murmelnd aus, was sie tun würde, sobald sie ihn zu Gesicht bekam. Er schämte sich für nichts, nicht einmal vor seiner Mutter. Das hatte sie gesehen, als die Schlachterjungen wegen des Fleischs kamen, das er gestohlen hatte.

Vielleicht war es besser, die Angelegenheit Atia gegenüber nicht zu erwähnen. Der Gedanke daran, die Erniedrigung in ihrem Gesicht sehen zu müssen, war zu schmerzlich. Schon nach weniger als einer Woche in ihrer neuen Bleibe hatte Alexandria die Frau ins Herz geschlossen. Sie besaß Stolz und eine gewisse Würde. Leider schien der Sohn nichts davon abbekommen zu haben.

Tabbics Laden war gegen Ende der Aufstände vor zwei Jahren beschädigt worden. Alexandria hatte ihm beim Wiederaufbau geholfen und ein wenig Tischlern gelernt, als er eine neue Tür und neue Werkbänke gebaut hatte. Seine Lebensgrundlage hatte er gerettet, indem er die wertvollen Metalle rechtzeitig in seine eigene Wohnung über dem Laden gebracht und sich dort gegen die Banden von Raptores verbarrikadiert hatte, die plündernd umherzogen, während die Stadt im Chaos versank. Als sich Alexandria dem bescheidenen kleinen Haus näherte, beschloss sie, sich nichts von ihrer Verärgerung anmerken zu lassen. Sie schuldete ihm viel, und nicht nur, weil sie die schlimmste Zeit in der Geborgenheit seiner Familie hatte verbringen dürfen. Es bedurfte keiner Worte, aber sie stand in Tabbics Schuld, und sie hatte sich geschworen, diese Schuld zu begleichen.

Als sie die Eichentür öffnete, wurde sie von schrillem Geschrei empfangen. Befriedigung blitzte in ihren Augen auf, als sie Tabbic erblickte, der den wild um sich schlagenden Octavian mit einem muskulösen Arm in die Luft hielt. Der Kunstschmied sah bei dem Geräusch der sich öffnenden Tür auf und drehte den Jungen zu Alexandria hin.

»Du wirst es nicht glauben, was mir der Bengel hier gerade verkaufen wollte«, sagte er.

Octavian zappelte noch wilder, als er sah, wer gerade hereingekommen war. Er trat nach dem Arm, der ihn anscheinend ohne jede Mühe in die Luft hielt. Tabbic achtete nicht darauf.

Alexandria schoss quer durch die Werkstatt auf die beiden zu.

»Wo ist meine Spange, du kleiner Dieb?«, wollte sie wissen.

Tabbic öffnete die andere Hand. Darin lag der silberne Adler. Alexandria nahm die Spange und steckte sie sich wieder an.

»Der Bursche kam hier einfach rotzfrech hereinmarschiert und sagte, ich solle ihm ein Angebot machen!«, knurrte Tabbic wütend. Als ein Mensch, der selbst ehrlich lebte, verachtete er all jene, die glaubten, sich mit Stehlen ein leichtes Leben machen zu können. Noch einmal schüttelte er Octavian, der wimmerte und dann wieder um sich trat, während seine Augen nach einer Fluchtmöglichkeit suchten.

»Was sollen wir mit ihm machen?«, fragte Tabbic.

Alexandria dachte eine Weile nach. So verlockend es auch sein mochte, den Jungen die ganze Straße hinunterzuprügeln, würde er sich doch mit seinen kleinen Fingern jederzeit wieder an ihrem Eigentum vergreifen können, das war ihr klar. Sie brauchte eine dauerhaftere Lösung.

»Ich denke, ich könnte seine Mutter davon überzeugen, ihn für uns arbeiten zu lassen«, sagte sie nachdenklich.

Tabbic ließ Octavian so weit herunter, bis seine Füße den Boden berührten. Augenblicklich biss ihn der Junge in die Hand, und Tabbic hob ihn lässig wieder in die Luft, wo er in ohnmächtiger Wut an seiner Faust baumelte.

»Das ist doch wohl nicht dein Ernst? Der ist doch nichts weiter als ein Tier!«, sagte Tabbic und betrachtete die schmerzhaften weißen Zahnabdrücke auf seinen Fingerknöcheln.

»Du kannst ihm etwas beibringen, Tabbic. Er hat keinen Vater, der das tun könnte, und wenn er so weitermacht, dürfte er nicht mehr lange genug leben, um erwachsen zu werden. Du hast doch selbst gesagt, dass du jemanden brauchst, der den Blasebalg bedient, und hier gibt es immer etwas zu fegen und zu tragen.«

»Lasst mich los! Ich mache hier überhaupt nichts!«, schrie Octavian.

Tabbic sah ihn sich genauer an. »Der Junge ist so dünn wie eine Ratte. Keine Kraft in den Armen«, sagte er langsam.

»Er ist neun, Tabbic. Was erwartest du denn?«

»Ich würde sagen, der rennt weg, sobald die Tür aufgeht«, fuhr Tabbic fort.

»Wenn er das tut, bringe ich ihn wieder. Irgendwann muss er ja wieder nach Hause, und dort warte ich auf ihn, versohle ihm anständig das Hinterteil und bringe ihn wieder hierher. Solange er hier ist, gerät er nicht in Schwierigkeiten, und das ist für alle Beteiligten von Nutzen. Du wirst auch nicht jünger, und mir kann er an der Esse helfen.«

Tabbic stellte Octavian wieder auf den Boden. Diesmal biss der Junge nicht, sondern betrachtete argwöhnisch die beiden Erwachsenen, die sich über ihn unterhielten, als sei er gar nicht anwesend.

»Wie bezahlt ihr mir dafür?«, fragte er und wischte sich mit schmutzigen Fingern die Tränen der Wut aus den Augen, wodurch er den Schmutz in seinem Gesicht nur noch mehr verschmierte.

Tabbic lachte.

»Dir etwas zahlen!«, sagte er verächtlich. »Junge, du wirst ein Handwerk erlernen. Eigentlich müsstest du uns dafür bezahlen.«

Octavian stieß eine Reihe von Flüchen aus und versuchte erneut, Tabbic zu beißen. Dieses Mal versetzte ihm der Metallschmied ohne hinzusehen einen Schlag mit der flachen Hand.

»Was ist, wenn er die Ware stiehlt?«, wandte er ein.

Alexandria merkte, dass er sich mit der Idee anzufreunden begann. Das war natürlich das Problem. Wenn Octavian sich mit dem Silber, oder noch schlimmer, mit den kleinen Vorräten an Gold, die Tabbic unter Verschluss hielt, aus dem Staub machte, würde er damit ihnen allen schaden. Sie setzte ihre ernsteste Miene auf, packte Octavians Kinn und drehte seinen Kopf zu sich herum.

»Wenn er das tut«, sagte sie und fixierte den kleinen Jungen mit ihrem Blick, »ist es unser gutes Recht, ihn als Sklaven zu verkaufen, um mit dem Erlös seine Schulden zu begleichen. Und seine Mutter auch, falls es nötig sein sollte.«

»Das würdet ihr nicht tun!«, sagte Octavian, der vor Entsetzen über ihre Worte vergaß, sich zu wehren.

»Mein Geschäft ist kein Wohltätigkeitsunternehmen, mein Junge. Wir würden es sehr wohl tun«, erwiderte Tabbic streng. Über Octavians Kopf hinweg zwinkerte er Alexandria zu.

»In dieser Stadt werden Schulden bezahlt – so oder so«, stimmte sie zu.

Der Winter war schnell hereingebrochen. Tubruk und Brutus trugen warme Umhänge, während sie die alte Eiche zu Feuerholz zerkleinerten, das dann mit dem Karren in die Lagerräume des Guts gebracht werden konnte. Renius schien die Kälte nicht zu spüren und ließ seinen Stumpf, hier, wo ihn kein Fremder sehen konnte, nackt im Wind. Er hatte einen Sklavenjungen vom Gut mitgebracht, der ihm die Äste festhielt, während er die Axt schwang. Seit er im Schlepptau von Renius angekommen war, hatte der Junge kein Wort gesagt, doch er trat immer ein Stück beiseite, wenn Renius ausholte. Mit vom Wind gerötetem Gesicht kämpfte er gegen ein Grinsen an, wenn die Klinge abrutschte und Renius stolperte und leise vor sich hin fluchte. Brutus kannte den alten Gladiator gut genug, um im Stillen bei dem Gedanken an die Folgen zusammenzuzucken, falls Renius bemerkte, wie sich das Kind über ihn lustig machte. Die Arbeit brachte sie alle gehörig ins Schwitzen und ließ ihren Atem in der Winterluft in eisigen Wolken aufsteigen. Brutus sah kritisch zu, wie Renius zuschlug und zwei kleinere Holzstücke durch die Luft wirbelten. Er hob erneut seine eigene Axt und blickte zu Tubruk hinüber.

»Am meisten Sorgen bereiten mir die Schulden bei Crassus. Alleine die Kasernen kosten schon viertausend Aurei.«

Brutus schlug zu, während er sprach, und ächzte leise, als der Hieb das Holz sauber durchtrennte.

»Was erwartet er denn als Gegenleistung?«, fragte Tubruk.

Brutus zuckte die Achseln. »Er sagt, ich soll mir keine Sorgen machen. Genau das raubt mir den Schlaf, weil ich ständig daran denken muss. Der Waffenschmied, den er eingestellt hat, stellt mehr an Ausrüstung her, als ich Männer zur Verfügung habe, selbst wenn ich ganz Rom durchkämmen würde. Nur um die Schwerter zu bezahlen, müsste ich mit meinem Sold als Zenturio jahrelang arbeiten.«

»Summen dieser Größenordnung bedeuten Crassus nicht viel. Wenn man den Gerüchten Glauben schenken darf, könnte er den halben Senat kaufen, wenn er wollte«, meinte Tubruk und stützte sich auf seine Axt. Der Wind wirbelte die Blätter auf. Die Luft, die sie einatmeten, biss ihnen mit einer Kälte in die Kehlen, die schon fast wieder angenehm war.

»Ich weiß. Meine Mutter meint, ihm gehört schon jetzt mehr von Rom, als er brauchen kann. Alles, was er kauft, wirft Gewinn ab, und deshalb frage ich mich auch, wo für ihn der Profit beim Kauf der Primigenia liegt.«

Tubruk schüttelte den Kopf und hob wieder die Axt.

»Er hat sie nicht gekauft, und dich auch nicht. Sag so etwas nicht. Die Primigenia ist weder ein Haus noch eine Spange. Nur der Senat kann ihr Befehle erteilen. Falls er glaubt, eine Privatlegion aufstellen zu können, solltest du ihm sagen, dass er eine neue Standarte in die Rollen eintragen lassen soll.«

»Das hat er nicht gesagt. Er unterschreibt nur die Rechnungen, die ich ihm schicke. Meine Mutter glaubt, dass er sich mit dem Geld ihrer Wertschätzung versichern will. Ich würde ihn gerne danach fragen, aber was ist, wenn es stimmt? Ich will meine Mutter weder an diesen noch an irgendeinen anderen Mann verkaufen, aber ich muss die Primigenia haben.«

»Für Servilia wäre es nicht das erste Mal«, bemerkte Tubruk mit einem kleinen Lachen.

Brutus legte seine Axt langsam auf einem Holzklotz ab. Als der alte Gladiator seinen wütenden Gesichtsausdruck sah, hielt er inne.

»Einmal darfst du das sagen, Tubruk. Aber nicht noch einmal«, sagte Brutus. Seine Stimme war so kalt wie der Wind, der sie umspielte. Tubruk stützte sich wieder auf seine Axt und begegnete dem stechenden Blick.

»Du erwähnst sie im Augenblick ziemlich oft. Ich habe dir nicht beigebracht, irgendjemandem gegenüber so schnell deine Deckung aufzugeben. Und Renius auch nicht.«

Wie zur Antwort schnaubte Renius leise, während er ein Stück Ast unter seinen Füßen wegtrat. Sein Haufen gespaltener Holzscheite war kaum halb so groß wie die der anderen, obgleich es ihn mehr Mühe gekostet hatte.

Brutus schüttelte den Kopf. »Sie ist meine Mutter, Tubruk!«

Der ältere Mann zuckte die Achseln. »Du kennst sie nicht, Junge. Ich möchte nur, dass du vorsichtig bist.«

»Ich weiß genug«, sagte Brutus und nahm seine Axt wieder in die Hand.

Fast eine Stunde lang arbeiteten die drei Männer schweigend, hackten Holz und schichteten es auf den kleinen Handkarren, der in der Nähe stand. Als Tubruk schließlich einsah, dass Brutus nichts sagen würde, schluckte er seine Verärgerung hinunter.

»Kommst du mit den anderen auf das Legionenfeld?«, fragte er, ohne ihn anzusehen. Er kannte die Antwort, aber es war wenigstens ein unverfängliches Thema, um ihr Gespräch fortzusetzen. Jedes Jahr im Winter gingen alle Jungen, die sechzehn geworden waren, auf den Campus Martius, wo die neuen Legionen ihre Standarten aufstellten. Nur die Lahmen und Blinden wurden dort abgewiesen. Durch ihre erneute Aufnahme in die Senatsrollen hatte die Primigenia das Recht erworben, ihren Adler neben denen der anderen aufzupflanzen.

»Das muss ich wohl«, erwiderte Brutus, der sich die Worte gegen seinen Willen abrang. Seine Miene hellte sich auf, während er sprach. »Mit denen aus anderen Städten könnten dort bis zu dreitausend Rekruten zusammenkommen. Einige davon werden bei der Primigenia unterschreiben. Die Götter wissen, dass ich die Mannschaftsstärke erhöhen muss, und zwar schnell. Die Unterkünfte, die Crassus gekauft hat, stehen praktisch leer.«

»Wie viel Mann hast du denn schon?«, fragte Tubruk.

»Mit den sieben, die gestern gekommen sind, sind es fast neunzig. Du solltest sie sehen, Tubruk.« Der junge Mann blickte in die Ferne und sah ihre Gesichter wieder vor sich. »Ich glaube, jeder, der den Kampf gegen Sulla überlebt hat, hat sich wieder gemeldet. Ein paar von ihnen haben inzwischen in der Stadt in anderen Berufen gearbeitet, aber sie haben einfach ihre Werkzeuge hingeworfen und alles stehen und liegen lassen, als sie von der Neuaufstellung der Primigenia hörten. Andere haben wir als Wachen vor Häusern und Tempeln gefunden. Auch sie sind ohne Widerspruch mitgekommen. Alles nur der Erinnerung an Marius wegen.«

Er hielt einen Augenblick lang inne, ehe er in etwas schärferem Tonfall fortfuhr. »Meine Mutter hatte einen Wächter, der damals Optio in der Primigenia war. Er hat sie gefragt, ob er sich melden könnte, und sie hat ihn gehen lassen. Er wird Renius bei der Ausbildung der neuen Rekruten helfen… wenn wir welche bekommen.«

Tubruk drehte sich zu Renius um. »Willst du wirklich mit ihm gehen?«, fragte er.

Renius legte seine Axt nieder und hauchte sich in die Hand. »Als Holzfäller habe ich keine Zukunft, mein Freund. Ich werde meinen Teil beitragen.«

Tubruk nickte. »Versuch keinen von ihnen umzubringen. Es dürfte schwierig genug werden, überhaupt Soldaten zu bekommen. Es ist nicht mehr der Traum eines jeden, sich der Primigenia anzuschließen.«

»Wir können auf eine Geschichte zurückblicken«, erwiderte Brutus. »Die neuen Legionen, die sie ausheben, haben nichts Vergleichbares vorzuweisen.«

Tubruk blickte ihn scharf an. »Eine Geschichte der Schande, wie manche denken. Schau mich nicht so finster an, das sagen die Leute nun mal. Für sie ist das die Legion, die die Stadt verloren hat. Es wird nicht leicht für dich werden.« Er blickte sich um, betrachtete die Holzstapel und den vollen Karren und nickte vor sich hin.

»Das reicht für heute. Der Rest kann warten. Im Haus wartet ein Becher heißer Wein auf uns.«

»Nur noch einen Schlag«, sagte Renius und wandte sich dem Jungen an seiner Seite zu, ohne eine Antwort abzuwarten.

»Ich glaube, ich schlage inzwischen schon etwas sicherer zu als am Anfang, findest du nicht auch, Junge?«

Der Sklave wischte sich die Nase mit der Hand und hinterließ eine silbrige Spur quer über seine Wange. Er nickte und war plötzlich nervös.

Renius lächelte ihn an.

»Mit einem Arm kann man die Axt allerdings nicht so sicher führen wie mit zwei. Heb mal das Stück Holz dort auf und halt es fest, während ich es spalte.«

Der Junge schleppte ein Stück Eiche vor Renius’ Füße und wollte dann ein paar Schritte zurücktreten.

»Nein. Halt es fest. Mit einer Hand auf jeder Seite«, sagte Renius. Seine Stimme hatte einen deutlich härteren Ton angenommen.

Der Junge zögerte einen Augenblick und blickte zu den anderen beiden hinüber, die schweigend, aber interessiert zusahen. Von ihrer Seite war keine Hilfe zu erwarten. Widerstrebend legte er die Hände um das runde Holzscheit und lehnte sich so weit wie möglich zurück, das Gesicht verzerrt in Erwartung dessen, was nun kommen würde.

Renius ließ sich Zeit, bis er die richtige Haltung gefunden hatte. »Halt ihn jetzt gut fest«, sagte er warnend, während er ausholte. Die Klinge schoss herab und spaltete das Holz mit einem lauten Krachen. Der Junge riss die Hände zurück, steckte sie in die Achselhöhlen und biss vor Schmerz die Zähne zusammen.

Renius hockte sich neben den Knaben und legte die Axt auf den Boden. Dann zog er vorsichtig eine Hand des Jungen hervor und betrachtete sie. Dessen Wangen waren vor Erleichterung gerötet, und als Renius keine Wunden entdecken konnte, grinste er und zerzauste ihm gut gelaunt das Haar.

»Sie ist nicht abgerutscht«, sagte der Junge.

»Nicht als es darauf ankam«, pflichtete ihm Renius lachend bei. »Du hast wahren Mut bewiesen. Damit hast du dir einen Becher heißen Wein verdient, würde ich sagen.«

Der Junge strahlte und vergaß den Schmerz in seinen Händen.

Die drei Männer wechselten bei dem Stolz des Knaben Blicke voller Vergnügen und Erinnerungen. Dann packten sie die Griffe des Karrens und machten sich den Hügel hinunter auf den Heimweg zum Gut.

»Bis Julius zurückkehrt, soll die Primigenia stark sein«, sagte Brutus, als sie unten am Tor ankamen.

Julius und Gaditicus spähten durch die Büsche am Steilufer auf das weit entfernte, winzige Schiff, das unter ihnen in einer ruhigen Bucht der Insel festgemacht lag. Beide Männer hatten Hunger und fast unerträglichen Durst. Ihr Wasserschlauch war leer, doch sie hatten vereinbart, sich erst nach Einbruch der Dunkelheit auf den Rückweg zu machen.

Es hatte länger gedauert als erwartet, den sanfteren Hang bis zum Gipfel zu ersteigen, wo der Boden unerwartet steil abfiel. Jedes Mal, wenn die beiden geglaubt hatten, oben angelangt zu sein, hatten sie eine weitere Erhebung entdeckt. Schließlich hatten sie kurz nach Tagesanbruch Halt gemacht, als sie schon wieder absteigen wollten. Bis sie das Schiff endlich entdeckten, hatte sich Julius mehr als einmal gefragt, ob ihn sein Pirateninformant angelogen hatte, um nicht den Haien vorgeworfen zu werden. Auf der ganzen langen Fahrt zur Insel war der Mann an ein Ruder seines eigenen Schiffes gekettet gewesen, doch nun sah es so aus, als hätte er sich mit den Einzelheiten hinsichtlich Celsus’ Winterquartier sein Leben verdient.

Julius zeichnete das, was sie sehen konnten, mit Holzkohle auf ein Pergament, um den Zurückgebliebenen etwas zeigen zu können. Gaditicus beobachtete ihn schweigend und mit säuerlichem Gesicht.

»Es ist nicht zu schaffen, zumindest nicht ohne Risiko«, murmelte er, während er einen weiteren Blick durch das niedrige Blätterwerk riskierte. Julius hörte auf, aus der Erinnerung zu zeichnen, und kniete sich hin, um die Szene erneut zu betrachten. Die beiden Soldaten hatten keine Rüstung angelegt, um schneller voranzukommen und um zu verhindern, dass sie sich durch ein Glitzern verrieten. Julius ließ sich wieder zurücksinken, um seine Zeichnung fertig zu stellen. Er betrachtete sie kritisch.

»Vom Schiff aus nicht«, sagte er nach einer Weile, und die Enttäuschung malte sich auf seinem Gesicht. Während des Monats der schnellen Überfahrt hatten die Mannschaften Tag und Nacht geübt und waren für den Kampf gegen Celsus bereit. Julius hätte seine letzte Münze darauf verwettet, dass sie in der Lage waren, sein Schiff ohne große eigene Verluste zu entern und ihn gefangen zu nehmen. Jetzt, da er die kleine, zwischen drei Bergen eingebettete Bucht betrachtete, schienen alle ihre Pläne umsonst gewesen zu sein.

Die Insel hatte kein ebenes Land in der Mitte, sondern bestand lediglich aus drei erkalteten, uralten Vulkangipfeln, die rings um eine winzige Bucht aufragten. Von ihrem hoch gelegenen Aussichtspunkt aus konnten sie die tiefen Fahrrinnen sehen, die zwischen den Bergen verliefen. Ganz gleich, aus welcher Richtung Celsus angegriffen wurde, er konnte durch einen der beiden anderen Kanäle ohne große Eile und ungefährdet aufs offene Meer entkommen. Mit drei Schiffen hätten sie ihm den Weg versperren können, mit zweien jedoch war es ein reines Glücksspiel.

Tief unter sich sah Julius die dunklen Schatten von Delfinen, die um das Schiff in der Bucht herumschwammen. Es war ein wunderschöner Ort, und Julius dachte, dass er gerne einmal hierher zurückkehren würde, wenn sich ihm die Gelegenheit bot. Aus der Ferne wirkten die Berge feindselig und schroff, graugrün im Sonnenschein, aber von diesem luftigen Aussichtspunkt aus boten sie einen herrlichen Anblick. Die Luft war so klar, dass er jede Einzelheit auf den anderen beiden Gipfeln ausmachen konnte, weshalb er und Gaditicus sich auch nicht zu rühren wagten. Wenn sie die Bewegungen der Männer auf dem Deck von Celsus’ Schiff sehen konnten, konnte man auch sie hier oben entdecken, und ihre einzige Rachechance wäre dahin.

»Ich hätte eher damit gerechnet, dass er in einer der großen Städte fernab von Rom überwintert«, sagte Julius nachdenklich. Die Insel schien bis auf das ankernde Schiff unbewohnt zu sein, und es überraschte ihn, dass sich die harten Burschen der Piratenmannschaft nach den langen Monaten der Jagd auf Handelsschiffe hier nicht langweilten.

»Zweifellos stattet er dem Festland hin und wieder Besuche ab, aber wie du siehst, ist es hier am sichersten für ihn. Dieser See dort am Fuße des Berges besteht wahrscheinlich aus Süßwasser, und vermutlich gibt es hier genügend Vögel und Fische, um hin und wieder ein Festmahl zu veranstalten. Und wem wollte er während seiner Abwesenheit sein Schiff anvertrauen? Seine Männer bräuchten nur den Anker zu lichten, und schon hätte er alles verloren.«

Julius sah Gaditicus an und hob die Augenbrauen. »Der arme Mann«, meinte er und rollte seine Karte zusammen.

Gaditicus grinste und blinzelte in die Sonne. »Ihr Götter. Es wird noch Stunden dauern, bis wir über den Kamm zurückkönnen, und meine Kehle ist jetzt schon voller Staub.«

Julius streckte sich aus, die Arme hinter dem Kopf verschränkt.

»Mit Flößen könnten wir nah genug herankommen, und die Schiffe könnten folgen, um ihm den Fluchtweg abzuschneiden. In der nächsten mondlosen Nacht haben wir genügend Zeit, um ein paar zu bauen und zu planen. Aber jetzt werde ich erst mal ein bisschen schlafen, bis es dunkel genug für den Rückweg ist«, murmelte er und schloss die Augen. Nach wenigen Minuten schnarchte er leise vor sich hin, und Gaditicus betrachtete ihn amüsiert.

Der Ältere war zu angespannt, um schlafen zu können, deshalb beobachtete er weiter die Männer auf dem Schiff tief unter ihm in der Bucht. Er fragte sich, wie viele wohl sterben würden, wenn Celsus so schlau war, jede Nacht gute Wachposten aufzustellen, und er wünschte sich, er hätte das gleiche Vertrauen in die Zukunft wie der junge Mann.

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