16

Alexandria sah sich in dem kleinen Zimmer um, das ihr angeboten worden war. Es machte nicht viel her, aber wenigstens war es sauber. Jetzt, da sie mit ihrem Schmuck selbst Geld verdiente, ging es einfach nicht mehr an, Tabbic in seinem kleinen Haus weiterhin Platz wegzunehmen. Sie wusste, dass sie der alte Handwerker auch weiter bei sich wohnen lassen und auch eine kleine Miete von ihr annehmen würde, wenn sie darauf bestand, doch in der kleinen Wohnung im ersten Stock war kaum Platz genug für seine eigene Familie.

Sie hatte ihnen nichts von ihrer Suche erzählt, denn sie wollte sie mit einer Einladung zum Essen überraschen, sobald sie etwas gefunden hatte. Inzwischen war schon fast ein Monat der Suche vergangen. Vielleicht empfanden sie es als merkwürdig, wenn eine Frau, die als Sklavin geboren worden war, überhaupt etwas ablehnte, aber die Zimmer, die man ihr für das Geld, das sie auszugeben bereit war, angeboten hatte, waren alle schmutzig, feucht oder mit allerlei hastig davonkrabbelnden Bewohnern bevölkert gewesen, die sie gar nicht genauer kennen lernen wollte.

Sie hätte sich mehr als nur ein Zimmer leisten können, sogar ein eigenes kleines Haus. Ihre Broschen verkauften sich schneller, als sie sie herstellen konnte, und obwohl sie für den größten Teil des Gewinns neue und edlere Metalle erwarb, blieb doch jeden Monat genug übrig, um etwas beiseite zu legen. Vielleicht hatte sie durch ihr Sklavendasein gelernt, den Wert des Geldes zu schätzen, denn sie trauerte jeder Bronzemünze nach, die sie für Essen oder ein Dach über dem Kopf ausgeben musste. Eine hohe Miete zu zahlen kam ihr wie eine Riesenidiotie vor, wenn einem letztendlich nichts davon gehören würde, nachdem man jahrelang sein hart verdientes Geld dafür hergegeben hatte. Es war besser, so wenig wie möglich auszugeben und sich eines Tages ein eigenes Haus zu kaufen, dessen Tür sie vor allem Ungemach der Welt verschließen konnte.

»Nimmst du das Zimmer?«, fragte die Besitzerin.

Alexandria zögerte. Sie war versucht, die Miete weiter herunterzuhandeln, aber die Frau sah erschöpft aus, nachdem sie den ganzen Tag über auf dem Markt gearbeitet hatte, und der Preis war durchaus angemessen. Es wäre nicht richtig gewesen, die offensichtliche Armut der Familie auszunutzen. Alexandria sah die Hände der Frau, die von der Farbe in den Färbebottichen fleckig und wund waren und einen blassblauen Schmierer über dem Auge zurückließen, als sie sich mit einer unbewussten Geste die Haare zurückstrich.

»Ich sehe mir morgen noch zwei andere an. Dann sage ich dir Bescheid«, erwiderte Alexandria. »Soll ich morgen Abend vorbeikommen?«

Die Frau schaute sie resigniert an und zuckte die Achseln. »Frag nach Atia. Ich bin bestimmt hier irgendwo. Aber für den Preis, den du zahlen willst, findest du nichts Besseres. Das ist hier ein sauberes Haus, und die Katze kümmert sich um die Mäuse, die womöglich von draußen reinkommen. Wie du willst.« Sie wandte sich ab und begann die abendlichen Arbeiten damit, dass sie die Lebensmittel zubereitete, die sie als Teil ihres Lohns vom Markt mitgebracht hatte. Das meiste davon war wohl schon fast verdorben, das wusste Alexandria, trotzdem schien Atia ungebrochen von der Mühsal ihres Lebens.

Es war seltsam, eine freie Frau am Rande der Armut zu sehen. Auf dem Gut, auf dem Alexandria gearbeitet hatte, waren sogar die Sklaven besser ernährt und gekleidet gewesen als die Familie dieser Frau. Aus dieser Warte hatte sie das Leben noch nie betrachtet, und es überkam sie ein seltsames Gefühl der Scham, als sie hier in ihren guten Kleidern stand, mit einer ihrer eigenen Silberbroschen als Schließe ihres Umhangs.

»Ich sehe mir die anderen an und komme dann wieder«, sagte Alexandria entschlossen.

Atia machte sich ohne weiteren Kommentar daran, das Gemüse klein zu schneiden und es in einen eisernen Tiegel zu werfen, der auf einem an die Wand gebauten Lehmofen stand. Selbst die Klinge des Messers, das sie benutzte, war abgenutzt und so schmal wie ein Finger, wurde aber in Ermangelung eines besseren immer noch verwendet.

Draußen auf der Straße wurde plötzlich schrilles Geschrei laut. Kurz darauf kam eine schmuddelige Gestalt durch die Tür gerannt und prallte mit Alexandria zusammen.

»Langsam, Bursche! Du hättest mich ja fast umgerannt!«, sagte Alexandria lächelnd.

Spöttisch sah er sie an. Sein Gesicht war so schmutzig wie der Rest, aber Alexandria konnte trotzdem sehen, dass seine Nase dunkel und geschwollen war. An der Nasenspitze klebte ein Rest Blut, das er sich über die Wange schmierte, als er sich schniefend die Nase abwischte.

Die Frau ließ das Messer fallen und schloss ihn in die Arme. »Was hast du denn jetzt schon wieder angestellt?«, fragte sie ihn und legte besorgt die Finger auf die blutige Nase.

Der Junge grinste und versuchte sich aus ihrer Umarmung zu befreien.

»Nur eine kleine Rauferei, Mama. Die Jungen, die beim Metzger arbeiten, haben mich bis nach Hause gejagt. Ich habe einem von ihnen ein Bein gestellt, als er auf mich losgehen wollte, da ist er auf meiner Nase gelandet.« Der Junge strahlte seine Mutter an, griff unter seine Tunika und zog zwei unverpackte, bluttriefende Koteletts hervor. Seine Mutter stöhnte und nahm sie ihm mit einer schnellen Handbewegung weg.

»Nein, Mama. Die gehören mir! Ich habe sie nicht gestohlen. Sie lagen einfach auf der Straße.«

Das Gesicht seiner Mutter wurde bleich vor Wut, trotzdem hielt er sie mit aller Kraft fest, als sie auf die Tür zuging, und sprang so hoch wie möglich, um ihr seine Beute wieder abzujagen.

»Ich habe dir gesagt, du sollst nicht stehlen und nicht lügen. Nimm deine Hände weg. Wir müssen das hier wieder dorthin zurückbringen, wohin es gehört.«

Alexandria stand zwischen Atia und der Tür, deshalb trat sie hinaus auf die Straße, um sie durchzulassen. Eine Gruppe recht bedrohlich aussehender Jungen lungerte vor der Tür herum. Sie lachten, als sie den kleinen Kerl um seine Mutter herumspringen sahen. Einer von ihnen streckte die Hand aus, und die Koteletts landeten ohne ein Wort klatschend in seiner Handfläche.

»Er ist schnell, Frau. Das muss ich ihm lassen. Der alte Tedus lässt dir ausrichten, dass er beim nächsten Mal die Wache holt, wenn dein Bengel noch einmal klaut.«

»Das ist nicht nötig«, fuhr Atia ihn wütend an und wischte sich das Blut mit einem Lappen von den Händen, den sie aus dem Ärmel zog. »Sag Tedus, er hat immer alles zurückgekriegt, was ihm entwendet wurde, und wenn er die Wache holt, sage ich allen, dass sie nicht mehr in seinem Laden einkaufen sollen. Meinen Sohn bestrafe ich schon selbst, vielen Dank.«

»Man sieht ja, wohin das führt«, sagte der ältere Junge hämisch grinsend.

Atia hob die Hand, und er wich unter schallendem Gelächter zurück. Mit dem Finger zeigte er auf die gedemütigte Gestalt, die immer noch an ihrem Rockzipfel hing.

»Wenn ich deinen kleinen Thurinus noch mal in der Nähe des Ladens entdecke, verpasse ich ihm selber eine Tracht Prügel. Das wirst du schon sehen.«

Atia schoss die Zornesröte ins Gesicht, und sie machte einen Schritt auf die Jungen zu, die das zum Vorwand nahmen, um auseinander zu stieben und davonzurennen, wobei sie sie lauthals beschimpften.

Alexandria stand neben dem Paar und fragte sich, ob sie einfach gehen sollte. Die Szene, die sie miterlebt hatte, ging sie nichts an, aber es interessierte sie doch, was jetzt, da seine Mutter mit ihm allein war, mit dem Lausbuben geschehen würde.

Der kleine Junge schniefte und rieb sich behutsam die Nase.

»Tut mir Leid, Mama. Ich dachte, du würdest dich freuen. Ich habe nicht gedacht, dass sie mich bis nach Hause verfolgen.«

»Du denkst nie. Wenn dein Vater noch lebte, würde er sich für dich schämen, Junge. Er würde dir sagen, dass wir niemals lügen und niemals stehlen. Dann würde er dir mit dem Riemen ordentlich den Hintern versohlen, und das sollte ich eigentlich auch tun.«

Der Junge versuchte ihr zu entkommen und trat nach ihr, doch sie hielt ihn am Arm fest.

»Er war ein Geldwechsler. Du hast gesagt, das sind alles Diebe, also muss er auch einer gewesen sein.«

»Untersteh dich, so etwas zu sagen!«, herrschte Atia ihn mit bleichen Lippen an. Ohne eine Antwort abzuwarten, legte sie den Jungen übers Knie und schlug sechsmal fest zu. Während der ersten drei Schläge wehrte er sich, den Rest ließ er still über sich ergehen. Als sie ihn losließ, sauste er um die beiden Frauen herum, schoss die Straße hinab und verschwand um die nächste Ecke.

Atia seufzte, als sie ihm nachblickte. Alexandria faltete nervös die Hände. Es war ihr peinlich, einen so vertraulichen Augenblick miterlebt zu haben. Plötzlich schien sich Atia an sie zu erinnern und errötete, als sie sie ansah.

»Es tut mir Leid. Es stiehlt andauernd. Allem Anschein nach gelingt es mir nicht, ihm beizubringen, dass man das nicht tut. Er wird immer dabei erwischt, aber eine Woche später versucht er es wieder.«

»Heißt er Thurinus?«, fragte Alexandria.

Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein. Die nennen ihn nur so, weil er mit seiner Familie aus Thurin hier in die Stadt gezogen ist. Sie wollen ihn damit ärgern, aber ihm scheint es zu gefallen. Sein richtiger Name ist Octavian, nach seinem Vater. Ein schrecklicher Junge. Erst neun Jahre alt, aber schon mehr auf den Straßen zu Hause als hier in der Wohnung. Ich mache mir große Sorgen um ihn.« Sie blickte Alexandria an, musterte ihre Kleidung und die Brosche.

»Ich sollte dich nicht mit unseren Problemen belästigen. Wir könnten die Miete für das Zimmer gut gebrauchen, das gebe ich gerne zu. Er würde dir nichts stehlen, und wenn er es täte, würde ich es dir sofort zurückgeben, bei meiner Familienehre. Man sieht es ihm nicht an, aber in seinen Adern fließt gutes Blut, das der Octavii und der Cäsar, wenn ihm das bloß mal klar werden würde.«

»Der Cäsar?«, fragte Alexandria barsch.

Die Frau nickte.

»Seine Großmutter war eine Cäsar, ehe sie in meine Familie einheiratete. Zweifelsohne würde sie weinen, wenn sie sehen könnte, wie er bei einem keine drei Straßen weit entfernten Metzger stiehlt. Ich meine, die kennen ihn dort doch! Die brechen ihm die Arme, wenn er es wieder tut, und was soll ich dann machen?« Die Tränen schossen ihr in die Augen, und ohne nachzudenken ging Alexandria zu ihr und legte den Arm um sie.

»Lass uns hineingehen. Ich glaube, ich nehme das Zimmer.«

Die Frau richtete sich auf und funkelte sie wütend an.

»Ich brauche keine Almosen. Wir kommen schon zurecht, und der Junge wird es früher oder später auch noch lernen.«

»Das ist kein Almosen. Dein Zimmer war das erste saubere Zimmer, das ich gesehen habe. Außerdem habe ich vor einigen Jahren einmal… für einen Cäsar gearbeitet. Es könnte dieselbe Familie sein. Wir sind also so gut wie verwandt.«

Die Frau zog erneut das Tuch aus dem Ärmel, wo es eine Beule gebildet hatte, und trocknete sich die Augen.

»Hast du Hunger?«, fragte sie und lächelte schon wieder.

Alexandria dachte an das kleine Häufchen Gemüse, das darauf wartete, geschnitten zu werden.

»Danke, aber ich habe schon gegessen. Ich gebe dir die Miete für den ersten Monat, dann gehe ich in meine Unterkunft zurück, um meine Sachen zu holen. Es ist nicht weit.«

Wenn sie sich beeilte und sich bei Tabbic nicht zu lange aufhielt, könnte sie vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück sein. Vielleicht hatten sie sich bis dahin schon etwas Fleisch von ihrem Geld gekauft.

Die Senatoren rutschten ungeduldig auf ihren Sitzen hin und her. Die Sitzung hatte sehr lange gedauert, und viele von ihnen waren so weit, dass sie den Einzelheiten der Diskussionen nicht mehr folgten und einfach nur noch so abstimmten, wie sie es vorher vereinbart hatten.

Als die Schatten des Abends länger wurden, entzündete man die Fackeln mit dünnen Wachskerzen an langen Stangen. Die polierten weißen Marmorwände warfen den Schein der kleinen Flammen zurück, und die Luft füllte sich mit dem sanften Geruch aromatisierten Öls. Viele der dreihundert Senatoren, die sich am Morgen hier versammelt hatten, waren schon gegangen und ließen die letzten Abstimmungen ohne sie stattfinden.

Crassus lächelte still vor sich hin; er hatte sichergestellt, dass seine eigenen Anhänger ausharrten, bis man die Fackeln löschte und der lange Tag mit einem Gebet um die Sicherheit der Stadt offiziell zu Ende ging. Aufmerksam hörte er sich die Liste der Ernennungen an und wartete auf die, die er und Pompeius hinzugefügt hatten, um sie zur Abstimmung zu bringen. Fast gegen seinen Willen wanderte sein Blick zu der Liste der Legionen, die in den weißen Marmor gemeißelt war. An der Stelle, an der die Primigenia gestanden hatte, klaffte eine leere Stelle. Es würde ihm ein besonderes Vergnügen sein, einen weiteren Teil von Sullas Erbe rückgängig zu machen, selbst wenn ihn seine alte Freundin nicht darum gebeten hätte.

Bei diesem Gedanken sah er hinüber zu Cinna, und ihre Blicke trafen sich. Cinna deutete mit dem Kopf auf das Verzeichnis der Legionen und lächelte. Crassus erwiderte das Lächeln und bemerkte, dass das Haar seines Freundes weißer geworden war. Servilia konnte ihm doch unmöglich einen solchen Graukopf vorziehen? Schon der Gedanke an diese Frau brachte sein Blut in Wallung und ließ ihn das Ende eines Vortrags verpassen. Er beobachtete, wie Cinna abstimmte, und hob seine Hand gemeinsam mit ihm.

Weitere Senatoren standen auf, verabschiedeten sich leise und machten sich auf den Weg zu ihren Häusern und Geliebten überall in der Stadt. Crassus sah zu, wie Cato sich mit seinem massigen Körper aus dem Sitz quälte. Er hatte Sulla sehr nahe gestanden, und die kommende Abstimmung zu verpassen würde ihn sehr schmerzen. Crassus versuchte sich die Freude darüber nicht anmerken zu lassen, als Cato, in ein Gespräch vertieft, nahe an ihm vorüberging. Alles würde wesentlich einfacher sein, nachdem Sullas Anhänger gegangen waren, doch auch wenn jeder Sullaner im Haus gewesen wäre, hätten Cinna, Pompeius und er ihr Vorhaben gegen ihren Widerstand durchsetzen können. Dass die Primigenia wieder ins Leben gerufen werden sollte, würde sie fuchsteufelswild machen. Wenn er Servilia das nächste Mal sah, musste er sich bei ihr für die Idee bedanken. Vielleicht war auch ein kleines Geschenk zum Zeichen seiner Dankbarkeit angebracht.

Pompeius erhob sich, um eine Frage zu beantworten, die den neuen Befehlshaber einer Legion in Griechenland betraf. Er sprach mit überzeugender Zuversicht von den neuen Namen und empfahl sie dem Senat. Crassus hatte von einem erneuten Aufstand gehört, und die Verluste bedeuteten Chancen für die Freunde und Verwandten der Männer im Senat. Traurig schüttelte er den Kopf, als er an den Tag dachte, an dem Marius zu einer Kampfabstimmung aufgerufen hatte, wegen der Sulla Rom hatte verlassen müssen, um Mithridates das erste Mal zu unterwerfen. Wenn Marius jetzt hier wäre, würde er sie dazu bringen, ihre Blicke zu heben und etwas dagegen zu unternehmen! Stattdessen stritten und diskutierten diese Narren tagelang, anstatt ein paar ihrer wertvollen Legionen als Verstärkung nach Griechenland zu entsenden.

Crassus lächelte bitter, als ihm klar wurde, dass er selbst zu den Narren gehörte, die er kritisierte. Der letzte Aufstand hatte zu einem Bürgerkrieg und einem Diktator geführt. Keiner der Generäle im Saal wagte vorzutreten, weil er befürchten musste, dass sich die anderen gegen ihn zusammenschlossen. Sie wollten keinen neuen Sulla, deshalb wurde nichts unternommen. Selbst Pompeius wartete ab, obwohl er fast so ungestüm war wie Marius. Es wäre glatter Selbstmord, sich freiwillig zu melden, so wie es Marius und Sulla getan hatten. Missgunst und Neid waren zu groß, um einem von ihnen den Sieg über Mithridates zu gönnen. Es war Sullas Schuld, weil er ihn beim ersten Mal hatte laufen lassen. Der Mann hatte aber auch nichts richtig machen können!

Pompeius setzte sich, und die Abstimmung nahm nicht viel Zeit in Anspruch. Nun blieb nur noch der letzte Punkt auf der Tagesordnung, den Crassus mit Unterstützung von Pompeius eingebracht hatte. Sie hatten Cinnas Namen zu diesem Zeitpunkt heraushalten wollen, weil es Gerüchte gab, dass er an dem Giftanschlag auf Sulla beteiligt gewesen sei. Sie waren natürlich unbegründet, aber niemand konnte die Gerüchtekrämer Roms davon abhalten, ihren Geschäften nachzugehen.

Einen Augenblick lang fragte sich Crassus, ob sie wirklich unbegründet waren, aber dann verwarf er den Gedanken. Er war ein praktisch veranlagter Mensch. Sulla und die Vergangenheit waren vorbei. Wenn Cinnas Tochter es hatte vermeiden können, Sullas Geliebte wider Willen zu werden, so wie er es flüstern gehört hatte, dann war das mit Sicherheit der Beweis dafür, dass es die Götter gut mit Cinnas Haus meinten – oder vielleicht auch mit dem Cäsars. Mit einem von beiden auf jeden Fall.

Bei der Suche nach dem Sklaven, der das Gift gebracht hatte, waren Fortschritte gemacht worden, hatte er gehört, wer jedoch den Mord befohlen hatte, wusste man immer noch nicht. Crassus sah sich im Saal um. Es hätte fast jeder von ihnen gewesen sein können. Sulla hatte sich ohne jede Vorsicht Feinde gemacht. Und Vorsicht, dachte Crassus, sollte in der Politik immer an erster Stelle stehen. Die zweitwichtigste Regel lautete, attraktiven Frauen, die Gefallen einfordern konnten, stets aus dem Wege zu gehen, aber für einen Mann gab es in seinem Leben nicht allzu viele Gelegenheiten zur Freude, und Servilia hatte ihm ein paar Erinnerungen geschenkt, die ihm sehr viel bedeuteten.

»Wiederaufnahme der Primigenia in die Annalen der Legion«, verkündete der Vorsitzende. Crassus setzte sich auf und konzentrierte sich.

»Die Erlaubnis, unter der Amtsgewalt des Senats Mannschaften auszuheben, auszubilden und zu vereidigen sowie Offiziere zu ernennen, soll Marcus Brutus aus Rom erteilt werden«, fuhr der Sprecher in eintönigem Tonfall fort, der nicht zu dem aufgeregten Gemurmel passte, das sich unter den etwa hundert auf ihren Sitzen verbliebenen Senatoren erhob. Einer der Sullaner sprang auf und eilte hinaus, zweifellos um seine Freunde zur Abstimmung wieder hereinzuholen. Pompeius’ Blick verfinsterte sich, als er sah, wie Calpurnius Bibulus und zwei andere aufstanden, um etwas zu der Angelegenheit zu sagen. Er war ein getreuer Anhänger Sullas gewesen, der geschworen hatte, die Mörder mit Stumpf und Stiel auszurotten, sobald sich ihm die Gelegenheit dazu böte.

Allem Anschein nach wollten sie es mit einem alten Trick versuchen. Einer nach dem anderen würden sie eine lange Ansprache vor dem Senat halten, bis die Sitzung beendet war oder sich genügend Anhänger gefunden hatte, um den Antrag abzulehnen. Falls er auf die nächste Sitzung verschoben wurde, würde er vielleicht doch nicht durchkommen.

Crassus sah bedauernd zu Cinna hinüber; ihre Blicke begegneten sich. Zu seiner Überraschung blinzelte der ältere Mann in seine Richtung. Crassus entspannte sich und lehnte sich zurück. Geld war ein mächtiger Hebel, das wusste er so gut wie jeder andere. Um die Abstimmung zu verzögern, mussten die Sullaner die Erlaubnis zu sprechen erhalten, doch der Vorsitzende, der die Debatte leitete, trug die Einzelheiten des Antrags vor, ohne auch nur ein einziges Mal zu den Bänken hinüberzublicken, von denen sie sich erhoben hatten und sich lautstark räusperten, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.

Nachdem sämtliche Details erläutert worden waren, rief der Vorsitzende sogleich zur Abstimmung auf. Einer der Sullaner fluchte lautstark und verließ den Saal, womit er gegen alle Anstandsregeln verstieß. Die Ernennung wurde ohne Probleme beschlossen und die Sitzung für beendet erklärt. Während des Abschlussgebets blickte Crassus verstohlen zu Pompeius und Cinna hinüber. Er würde sein Geschenk für Servilia mit Sorgfalt wählen müssen. Die beiden anderen spielten zweifellos mit ähnlichen Gedanken.

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