6

Casaverius warf einen Blick in den langen Küchenflur und erlaubte sich ein selbstzufriedenes Lächeln. Nachdem die letzten Bestellungen schon vor Stunden serviert worden waren, kam die hektische Betriebsamkeit des Abends allmählich zur Ruhe.

»Vollkommenheit liegt nun einmal im Detail«, murmelte er vor sich hin, so wie er es jeden Abend in den vergangenen zehn Jahren getan hatte, die er nun schon in den Diensten von Cornelius Sulla stand. Es waren gute Jahre gewesen, obwohl seine einstmals schlanke Gestalt seither bedenklich an Umfang zugenommen hatte. Casaverius lehnte sich gegen die glatt verputzte Wand und rieb weiter mit dem Stößel eine Senfsamenpaste, die Sulla so sehr liebte. Prüfend tauchte er einen Finger in die dunkle Masse und fügte dann ein wenig Öl und Essig aus den enghalsigen Töpfchen hinzu, die an der Wand aufgereiht hingen. Wie konnte ein guter Koch je seinen eigenen Gerichten widerstehen? Das Kosten gehörte nun mal zum Kochen. Sein Vater war noch sehr viel massiger gewesen als er, außerdem war Casaverius in gewisser Hinsicht stolz auf seine Körperfülle. Nur ein Dummkopf stellte einen dünnen Koch ein.

Die Luftzufuhr der gemauerten Öfen war schon vor geraumer Zeit gedrosselt worden, weshalb sie weit genug heruntergekühlt sein müssten. Casaverius gab den Sklaven das Zeichen, die Öfen auszufegen. Anschließend würden sie neue Kohle für den nächsten Morgen herbeischaffen. Es war noch immer recht heiß und schwül in der Küche, und so zog er ein Küchentuch vom Gürtel, um sich die Stirn abzuwischen. Insgeheim gestand er sich ein, dass seine Korpulenz ihn schneller zum Schwitzen brachte, und er drückte sich das ohnehin schon feuchte Tuch gegen das Gesicht.

Dann überlegte er, ob er die Paste nicht vielleicht in einem der kühleren Räume zu Ende rühren sollte, in denen die Eisspeisen zubereitet wurden, doch er ließ die Sklaven nicht gern unbeaufsichtigt. Er wusste, dass sie Essen für ihre Familien stahlen, was er ihnen – in Maßen natürlich – sogar nachsehen konnte. Aber wenn man sie allein ließ, wurden sie rasch unvorsichtig, und wer wusste schon, was dann alles verschwand? Er erinnerte sich daran, wie sich schon sein Vater abends stets darüber beklagt hatte, und schnell flüsterte er ein Gebet für den alten Mann, wo auch immer er jetzt sein mochte.

Ein herrlicher Friede lag auf dem Abend dieses Tages, der sehr gut verlaufen war. Sullas Haus war bekannt für seine vorzüglichen Speisen, und immer wenn etwas ganz Besonderes gefordert wurde, genoss Casaverius die Aufregung und die hektische Betriebsamkeit, die dann von seinem Küchenpersonal Besitz ergriff. Es begann immer mit dem erwartungsvollen Moment, wenn er die zusammengebundene Rezeptsammlung seines Vaters öffnete. Dann zog er vorsichtig die ledernen Bänder auf, mit denen die kostbaren Pergamente verschnürt waren, und ließ die Finger über die Buchstaben gleiten. Casaverius genoss es, dass nur er sie lesen konnte. Sein Vater hatte immer gesagt, jeder anständige Koch müsse auch ein gebildeter Mann sein, und Casaverius seufzte kurz auf, als er an seinen eigenen Sohn dachte. Der Junge verbrachte die Morgenstunden immer in der Küche, aber wenn das Wetter gut war, schien sein Lernwille verflogen. Der Knabe war eine einzige Enttäuschung, und Casaverius hatte sich bereits mit dem Gedanken abgefunden, dass sein Sohn niemals alleine eine große Küche leiten würde.

Andererseits hatte er selbst noch viele Jahre vor sich, bevor er seine Teller und Öfen ein letztes Mal zurückließ und sich in sein kleines Haus in einem hübschen Viertel Roms zurückzog. Vielleicht fand er dann endlich Zeit, die Gäste zu unterhalten, die sich seine Frau immer wünschte. Irgendwie hatte er es nie geschafft, seine Kunst auch in seinem eigenen Hause auszuüben. Dort gab er sich immer mit einfachen Mahlzeiten aus Fleisch und Gemüse zufrieden, und allein bei dem Gedanken daran knurrte ihm ein wenig der Magen. Er sah zu, wie die Sklaven ihre eigenen gerösteten Brote und verschnürten Fleischstücke aus der Herdasche nahmen, in die sie sie gegen Ende des Abends gelegt hatten. Für die Küche war es kein großer Verlust, wenn man sie wenigstens mit ein paar warmen Bissen in ihre Quartiere entließ. Außerdem war er überzeugt, dass diese Gefälligkeit der freundlichen Atmosphäre in seiner Küche nur zugute kam.

Dalcius, der neue Sklave, ging mit einem Metalltablett voller Gewürze, die in ihre Regale zurückgestellt werden sollten, an ihm vorüber. Als er begann, das Tablett abzuräumen, lächelte Casaverius ihm zu.

Er war ein guter Arbeiter. Der Sklavenhändler hatte beim Verkauf nicht gelogen, als er behauptete, dieser Sklave kenne sich in der Küche aus. Casaverius überlegte, ob er ihm erlauben sollte, unter seinen wachsamen Augen ein Gericht für das nächste Bankett zuzubereiten.

»Sieh zu, dass die Gewürze immer am richtigen Platz stehen, Dalcius«, sagte er.

Der große Mann nickte lächelnd. Offensichtlich war er kein Schwätzer, aber vielleicht sollte er wenigstens diesen Bart abnehmen, dachte Casaverius bei sich. Sein Vater hatte nie einen Bart in seiner Küche erlaubt, weil er der Ansicht war, man könne das als ein Zeichen von Unsauberkeit werten.

Er probierte noch einmal die Senfsamenpaste und schmatzte zufrieden, bemerkte dabei jedoch aus dem Augenwinkel, dass Dalcius seine Aufgabe schnell und ordentlich ausführte. Mit seinen Narben sah er eher wie ein alter Kämpfer aus, aber seine Gestalt wirkte keineswegs bullig. Wenn dem so gewesen wäre, hätte Casaverius ihn nicht in seiner Küche dulden können, denn die ständige Hektik dort führte manchmal auch zu Streitereien. Übellaunige Menschen überlebten in den unteren Regionen der Häuser der Reichen nicht sehr lange. Dalcius aber hatte sich als durchaus liebenswürdig, wenn auch als sehr schweigsam erwiesen.

»Morgen früh brauche ich jemanden, der mir bei den Pasteten hilft. Möchtest du das übernehmen?« Casaverius war sich gar nicht bewusst, dass er langsam und wie mit einem Kind redete, doch Dalcius schien das nichts auszumachen. Im Gegenteil, seine Schweigsamkeit forderte einen geradezu dazu heraus. Der dicke Koch hatte nichts Feindseliges an sich und freute sich aufrichtig, als Dalcius zustimmend nickte, bevor er wieder in die Vorratsräume ging. Ein Koch muss stets ein Auge für gute Arbeiter haben, hatte sein Vater immer gesagt. Darin lag der Unterschied zwischen endloser Plackerei und dem Erreichen absoluter Vollkommenheit.

»…und Vollkommenheit liegt nun einmal im Detail«, murmelte er wieder vor sich hin.

Am Ende der langen Küchenflucht öffnete sich eine Tür, die zum Wohnbereich führte, und ein vornehm gekleideter Sklave trat ein. Casaverius richtete sich auf und stellte Stößel und Mörser achtlos beiseite.

»Der Herr bittet dich, die Störung zu dieser späten Stunde zu entschuldigen. Er lässt fragen, ob du ihm noch etwas Kaltes zubereiten könntest, bevor er zu Bett geht. Eine Eisspeise«, sagte der junge Mann.

Casaverius dankte ihm und war wie immer erfreut über Sullas Höflichkeit.

»Für alle seine Gäste?«, fragte er und fing bereits an zu überlegen.

»Nein, seine Gäste sind bereits gegangen. Nur der Feldherr ist noch da.«

»Dann warte hier. Ich brauche nur ein paar Minuten.«

Kaum hatte Casaverius seine Befehle ausgegeben, schlug die Trägheit des ausklingenden Abends wieder in angespannte Aufmerksamkeit um. Zwei der Küchenboten wurden in die Eisräume tief unter der Küche geschickt. Casaverius ging unter einem niedrigen Bogen hindurch und dann einen kurzen Gang entlang in den Raum, in dem die Nachspeisen zubereitet wurden.

»Ich denke da an ein Zitroneneis«, murmelte er beim Gehen vor sich hin. »Schöne, bittere Zitronen aus dem Süden, gesüßt und gut gekühlt.«

Als er den Nachspeisenraum betrat, lag schon alles bereit. So wie in der Hauptküche hingen auch hier Dutzende von kleinen, mit Sirupen und Soßen gefüllten Amphoren an den Wänden. Diese Zutaten wurden zubereitet oder aufgefüllt, wenn in der Küche sonst nicht sehr viel zu tun war. Hier unten war nichts von der Hitze der Öfen zu spüren. Ein angenehmes Frösteln überlief Casaverius’ massigen Körper.

Die in grobes Tuch eingeschlagenen Eisblöcke wurden schnell nach oben gebracht und unter seiner Anweisung zerstampft, bis das Eis sich in einen feinen Brei verwandelt hatte. Dann fügte er die bittersüße Zitrone hinzu und rührte sie so unter, dass sie gerade genug Geschmack abgab, ohne vorzuschmecken. Sein Vater hatte immer gesagt, das Eis dürfe auf keinen Fall gelb werden. Angesichts der feinen Konsistenz und der zarten Färbung lächelte Casaverius zufrieden, nahm eine Schöpfkelle und gab die Mischung in die Glasschälchen, die auf einem Serviertablett bereitstanden.

Er arbeitete zügig, denn selbst in diesem kalten Raum begann das Eis langsam zu schmelzen, weshalb der Weg durch die Küche sehr schnell zurückgelegt werden musste. Er hoffte, Sulla würde eines Tages einen weiteren Durchgang unter seinem luxuriösen Haus genehmigen, durch den man die geeisten Nachspeisen direkt nach oben bringen konnte. Aber mit etwas Umsicht und Schnelligkeit würden sie seinen Tisch auch so beinahe vollkommen erreichen.

Nach wenigen Minuten waren die beiden Schälchen mit weißem Eis gefüllt, und Casaverius schleckte sich die Finger ab und ächzte übertrieben genüsslich. Wie gut schmeckte doch Eisgekühltes im Sommer! Er überlegte kurz, wie viel Silber die beiden Schälchen wohl wert waren, doch das war ohnehin eine kaum vorstellbare Summe. Die riesigen Eisblöcke wurden auf Karren von den Bergen heruntergebracht, wobei unterwegs die Hälfte verloren ging. Dann brachte man die Blöcke in die tropfende Dunkelheit der Kühlräume, wo sie ganz langsam schmolzen. Trotzdem blieb noch genug übrig, um den ganzen Sommer damit gekühlte Getränke und Nachspeisen zuzubereiten – was ihn daran erinnerte, alsbald zu überprüfen, ob noch ausreichende Vorräte vorhanden waren. Es dürfte schon fast wieder Zeit für eine neue Bestellung sein.

Hinter ihm kam Dalcius herein, immer noch mit dem Gewürztablett in der Hand.

»Darf ich zusehen, wie du das Eis zubereitest? Bei meinem letzten Herrn hat es so etwas nie gegeben.«

Fröhlich bedeutete ihm Casaverius, näher zu treten.

»Die Zubereitung ist schon erledigt. Aber jetzt müssen die Schälchen so schnell wie möglich durch die Küche getragen werden, bevor das Eis schmilzt.« Dalcius lehnte sich ungeschickt über den Tisch und stieß dabei mit dem Arm den Krug mit dem klebrig gelben Zitronensirup um, der sich über das Tablett ergoss. Mit einem Schlag war Casaverius’ gute Laune verflogen.

»Beeil dich, du Narr! Hol einen Lappen zum Aufwischen. Wir dürfen keine Zeit verlieren.«

Der große Sklave sah entsetzt drein und stammelte: »Ich… es tut mir sehr Leid. Aber ich habe hier noch ein Tablett, Herr.«

Er hielt sein Tablett vor sich und Casaverius hob schnell die Schälchen an und wischte sie eilig mit seinem schweißgetränkten Tuch sauber. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, um lange zu überlegen. Das Eis schmolz! Er stellte die Schälchen auf das Tablett und wischte sich gereizt die Finger ab.

»Steh nicht da wie angewurzelt! Lauf! Und wenn du über deine eigenen Füße stolperst, lasse ich dich auspeitschen.« Dalcius hastete aus dem Raum, und Casaverius fing an, den verschütteten Sirup aufzuwischen. Vielleicht war der Mann ja doch zu ungeschickt für schwierigere Aufgaben.

Draußen im Gang brauchte Tubruk nur den Bruchteil einer Sekunde, um den Inhalt des Giftröhrchens auf die beiden Schälchen zu verteilen und mit dem Finger unterzurühren. Dann rannte er durch die Küche und übergab das Tablett dem wartenden Sklaven.

Die bis dahin so nervösen Augen sahen dem bereits in der Tür zum Wohntrakt verschwindenden Sklaven jetzt ruhig nach. Nun galt es zu fliehen, zuvor gab es noch eine blutige Aufgabe zu erledigen. Er seufzte. Casaverius war kein schlechter Mensch, doch selbst wenn er sich den Bart abrasiert hatte und sein Haar wieder auf die normale Länge heruntergewachsen war, könnte er ihn wiedererkennen.

Er fühlte sich mit einem Male sehr müde, als er sich wieder zu den Kühlräumen umdrehte. Unterwegs legte er die Hand auf den beinernen Griff seines Dolches unter der Tunika. Er würde es nicht wie einen Selbstmord, sondern wie einen Mord aussehen lassen, das würde Casaverius’ Familie vielleicht wenigstens vor Racheakten schützen.

»Hast du das Tablett übergeben?«, fuhr Casaverius ihn an, als er den kühlen kleinen Raum wieder betrat.

»Ja, habe ich. Es tut mir Leid, Casaverius.«

Der Koch blickte auf, als Tubruk mit schnellen Schritten auf ihn zukam. Die Stimme des Mannes war plötzlich tiefer geworden und seine gewohnte Schüchternheit war verschwunden. Mit einer Mischung aus Angst und Verwirrung erblickte Casaverius die Klinge.

»Dalcius! Leg das weg!«, sagte er noch, doch da stieß Tubruk ihm bereits den Dolch in die massige Brust, direkt ins Herz, und danach stieß er noch zwei weitere Male zu, um ganz sicherzugehen.

Casaverius rang nach Luft, aber sie blieb ihm verwehrt. Sein Gesicht verfärbte sich violett, und seine Hände griffen ziellos um sich, fegten sämtliche Kellen und Krüge von den Tischen, bis er endlich zu Boden ging.

Tubruk war speiübel. In seiner gesamten Zeit als Gladiator und Legionär hatte er nie einen unschuldigen Menschen umgebracht. Jetzt fühlte er sich beschämt und schmutzig. Casaverius war ein liebenswürdiger Mann gewesen, und Tubruk wusste, dass die Götter immer Rache an denen nahmen, die den Guten Schaden zufügten. Er versuchte sich zusammenzureißen und seinen Blick endlich von der Stelle loszureißen, an der die Leiche des dicken Mannes am Boden lag. Leise ging er hinaus, doch in dem engen Gang, der zur Küche zurückführte, hallten seine Schritte laut wider. Jetzt musste er so schnell wie möglich entkommen und zu Fercus gelangen, bevor Alarm geschlagen wurde.

Sulla lag lang ausgestreckt auf einer Liege. Eigentlich unterhielt er sich mit Antonidus, dem Oberbefehlshaber seiner Truppen, doch seine Gedanken schweiften ab. Der Tag war lang gewesen, und es schien ganz so, als wolle der Senat seine Nominierung für neue Magistrate blockieren. Er war mit dem Auftrag, die Ordnung in der Republik wiederherzustellen, zum Diktator gemacht worden, und in den ersten Monaten waren die Senatsmitglieder seinen Wünschen mit großem Eifer nachgekommen. Aber seit kurzem debattierten sie in stundenlangen Reden über die Befugnisse und Begrenzungen seines Amtes, und seine Berater hatten ihm empfohlen, ihnen zumindest eine Weile seine Befehle nicht zu direkt aufzuzwingen. In seinen Augen waren das alles nur kleine Männer. Klein in Träumen und klein in Taten. Wäre Marius noch am Leben gewesen, er hätte diese Dummköpfe verachtet.

»…werden Einwände gegen die Liktoren erhoben, mein Freund«, sagte Antonidus gerade.

Sulla schnaubte verächtlich.

»Einwände hin oder her, ich werde weiterhin vierundzwanzig Liktoren bei mir haben. Ich habe viele Feinde, und ich will, dass sie sich meiner Macht bewusst sind, wenn sie mich auf meinem Weg zwischen dem Capitol und der Curia sehen.«

Antonidus zuckte die Achseln.

»Früher waren immer nur zwölf zulässig. Vielleicht ist es besser, dem Senat in diesem einen Punkt nachzugeben und sich auf wichtigere Verhandlungen zu konzentrieren.«

»Das ist doch nur eine Bande zahnloser alter Männer!«, knurrte Sulla beleidigt. »Ist im letzten Jahr nicht wieder Ruhe und Ordnung in Rom eingekehrt? Hätten sie das vielleicht alleine erreicht? Nein! Wo war denn der Senat, als ich um mein Leben kämpfte? Was für eine Hilfe waren sie mir da? Nein, ich bin ihr Herr, und man sollte ihnen diese einfache Tatsache ein für alle Mal klar machen. Ich bin es leid, ständig auf ihre Empfindsamkeiten Rücksicht zu nehmen und so zu tun, als sei die Republik noch immer jung und stark.«

Antonidus gab keine Antwort, denn jede Widerrede würde nur noch wildere Ankündigungen und Drohungen zur Folge haben. Zu Anfang hatte er sich geehrt gefühlt, dass man ihn zum militärischen Berater ernannte. Leider hatte sich sehr bald herausgestellt, dass dieser Posten nichts weiter als eine Fassade war. Sulla benutzte ihn lediglich als Strohmann für seine eigenen Befehle. Aber trotz allem konnte er Sullas Enttäuschung teilweise nachvollziehen. Der Senat mühte sich einerseits, seine Würde und althergebrachte Autorität aufrechtzuerhalten, andererseits gestand er die Notwendigkeit ein, einen Diktator einzusetzen, der den Frieden in Rom und seinen Provinzen bewahrte. Es war die reinste Farce, und Sulla wurde dieses Spielchens schnell müde.

Ein Sklave kam mit den Eisspeisen herein und stellte die Schälchen auf den niedrigen Tisch vor ihnen, ehe er sich unter tiefen Verbeugungen wieder entfernte. Sulla setzte sich auf. Seine Gereiztheit war mit einem Mal verflogen.

»Das hier musst du unbedingt probieren. Es gibt nichts Erfrischenderes gegen die Sommerhitze.« Er nahm einen silbernen Löffel, schaufelte sich das weiße Eis in den Mund und schloss genießerisch die Augen. Das Schälchen war bald leer, und er überlegte, ob er nach mehr verlangen sollte. Nach dem Eis schien sein ganzer Körper abgekühlt, und sein Geist hatte sich wieder beruhigt. Er sah, dass Antonidus noch nicht einmal probiert hatte, und drängte ihn dazu.

»Man muss es schnell essen, bevor es schmilzt. Aber selbst wenn es schon geschmolzen ist, ist es immer noch ein erfrischendes Getränk.« Er sah zu, wie der General einen Löffel voll probierte und lächelte ihm zu.

Antonidus hätte ihre Unterredung eigentlich gern zu Ende gebracht, um zu seiner Familie nach Hause zu gehen. Doch er wusste, dass er nicht aufstehen durfte, bevor Sulla müde war, und fragte sich, wann es endlich so weit sein würde.

»Deine neuen Magistrate werden morgen von der Curia bestätigt«, sagte er.

Sulla lehnte sich auf seiner Liege zurück, und seine Grimasse unterstrich seinen schmollenden Tonfall.

»Das sollten sie auch. Ich schulde jedem dieser Männer einen Gefallen. Wenn es noch mehr Verzögerungen gibt, wird der Senat es schon bald bereuen. Bei den Göttern, das schwöre ich! Sonst löse ich den Senat auf und lasse die Tore zunageln!«

Beim Sprechen zuckte er ein wenig zusammen und rieb sich mit einer Hand leicht über den Magen.

»Wenn du den Senat auflösen lässt, kommt es wieder zum Bürgerkrieg, und die Stadt würde wieder einmal in Flammen stehen«, sagte Antonidus. »Aber ich denke, am Ende würdest du auch daraus siegreich hervorgehen, denn du kannst dir der uneingeschränkten Unterstützung der Legionen sicher sein.«

»Das ist der Weg, den Könige beschreiten«, erwiderte Sulla. »Er zieht mich an und stößt mich zugleich ab. Früher war ich ein glühender Anhänger der Republik und wäre es immer noch, würde sie von solchen Männern geführt wie damals, als ich noch ein Knabe war. Aber die gibt es nicht mehr, und wenn heute Rom ruft, kommen die Kleingeister, die jetzt noch übrig sind, wehklagend zu mir gelaufen.« Er musste plötzlich kräftig aufstoßen und zuckte dabei zusammen. Auch Antonidus verspürte fast im gleichen Moment einen bohrenden Schmerz in seinem Innern. Ein schrecklicher Verdacht ließ ihn von der Liege aufspringen. Sein Blick fiel auf die beiden Schälchen. Eines war geleert, das andere fast unberührt.

»Was ist denn?«, fragte Sulla und richtete sich mühsam auf. Doch im selben Moment, in dem er die Frage stellte, zeigte sein vor Schrecken verzerrtes Gesicht, dass auch er begriffen hatte. Das Brennen in seinem Leib breitete sich aus, und er presste eine Hand auf die Magengegend, als könne er es so unterdrücken.

»Ich spüre es auch«, stieß Antonidus entsetzt hervor. »Das könnte Gift sein. Steck dir schnell den Finger in den Hals!«

Sulla wankte, fiel auf die Knie und schien im Begriff, ohnmächtig zu werden. Antonidus achtete nicht auf seine eigenen, immer stärkeren Schmerzen und eilte ihm zu Hilfe.

Er steckte dem Diktator einen Finger in den erschlafften Mund und verzog das Gesicht, als sich ein schleimiger Strahl Erbrochenes über seine Hand ergoss. Sulla stöhnte auf und verdrehte die Augen.

»Komm schon! Komm! Noch einmal!«, drängte Antonidus und schob ihm die Fingerspitzen erneut tief in den Rachen. Von Krämpfen geschüttelt brachte der Diktator Galle und Schleim hervor, bis er nur noch schwer und trocken würgte. Dann fiel sein zuckender Brustkorb in sich zusammen, und nach einem letzten keuchenden Atemzug versagte die Lunge. Antonidus schrie um Hilfe und entleerte sich nun selbst den Magen. Trotz der Panik hoffte er bei den Göttern, dass er keine tödliche Portion von dem Gift abbekommen hatte.

Die Wachen waren sofort zur Stelle, fanden Sulla aber nur noch bleich und reglos vor. Antonidus war nur noch halb bei Bewusstsein und über und über mit stinkendem Erbrochenem bedeckt. Er hatte kaum noch Kraft genug, um sich aufzurichten, doch ohne klare Befehle standen die Wachen wie angewurzelt da.

»Holt die Ärzte!«, krächzte Antonidus. Seine Kehle fühlte sich an wie rohes Fleisch. Sie war angeschwollen, aber die Magenschmerzen ließen schon wieder nach. Er nahm die Hand weg und versuchte seine Gedanken zu sammeln.

»Riegelt das Haus ab! Der Diktator ist vergiftet worden!«, rief er. »Schickt Männer in die Küche hinunter. Ich will wissen, wer dieses wässrige Zeug hier heraufgebracht hat, und ich will den Namen eines jeden wissen, der damit in Berührung gekommen ist. Beeilt euch!« Doch ausgerechnet jetzt verließen ihn seine Kräfte. Er ließ sich auf die Liege sinken, auf der er noch vor ein paar Minuten friedlich über den Senat diskutiert hatte. Ihm war klar, dass er jetzt schnell handeln musste, sonst versank Rom im Chaos, sobald die Nachricht auf die Straße drang. Wieder übergab er sich. Danach fühlte er sich zwar sehr schwach, aber sein Verstand wurde wieder klar.

Die herbeieilenden Ärzte ignorierten den Feldherrn und kümmerten sich zuerst um Sulla. Sie befühlten sein Handgelenk und seinen Hals und sahen sich entsetzt an.

»Er ist tot«, sagte einer der Ärzte mit bleichem Gesicht.

»Seine Mörder werden gefunden und gevierteilt werden. Das schwöre ich bei meinem Hause und bei meinen Göttern«, flüsterte Antonidus mit einer Stimme, die ebenso bitter war wie der Geschmack in seinem Mund.

Gerade als im Haupthaus der Stadtresidenz des Sulla die ersten Schreie laut wurden, erreichte Tubruk die kleine Tür, die hinaus auf die Straße führte. Dort stand zwar nur ein einziger Posten, doch der Mann war wachsam und trat ihm mit finsterer Miene entgegen.

»Geh zurück, wo du hingehörst, Sklave«, sagte er mit fester Stimme. Seine Hand lag bereits auf dem Griff seines Gladius. Tubruk knurrte, sprang auf ihn zu und fegte ihn mit einem Überraschungsschlag von den Füßen. Der Soldat fiel ungeschickt und blieb bewusstlos liegen. Tubruk hielt einen Moment inne und dachte nach. Er wusste, dass er jetzt einfach über den Soldaten hinwegtreten und durch den kleinen Lieferanteneingang entwischen konnte. Doch der Mann würde ihn wiedererkennen und eine Beschreibung von ihm abgeben, obwohl man ihn vielleicht auch exekutierte, weil er als Torwache versagt hatte. Die Verzweiflung, die Tubruk seit dem Mord an Casaverius erfüllte, stieg wieder in ihm hoch. Doch seine Verantwortung lag bei Cornelia und Julius – und bei dem Gedenken an Julius’ Vater, der ihm vertraut hatte.

Entschlossen zog er seinen Dolch und schnitt dem Soldaten die Kehle durch. Er trat einen Schritt zurück, um sich nicht mit Blut zu besudeln. Als er zustach, gab der Mann gurgelnde Laute von sich und öffnete noch einmal die Augen, bevor der Tod ihn mit sich riss. Tubruk ließ das Messer fallen, öffnete das Tor und trat hinaus in die Straßen der Stadt. Die wenigen Menschen, die dort friedlich ihrer Wege gingen, ahnten nichts von dem alten Wolf, der sich soeben unter sie gemischt hatte.

Um in Sicherheit zu sein, musste er es bis zu Fercus schaffen, doch das war ein Weg von mehr als einer Meile. Er kam zwar schnell voran, aber aus Angst, jemand könnte ihn gerade deshalb bemerken und verfolgen, konnte er nicht rennen. Hinter sich hörte er bereits das vertraute Geklapper von Legionärssandalen. Die Soldaten bezogen bereits Positionen und machten sich daran, Leute anzuhalten und nach Waffen und einem schuldbewussten Gesicht zu suchen.

Dann rannten noch mehr Legionäre an ihm vorbei und ließen ihre Blicke über die Menge schweifen, während sie sich einen Weg zu bahnen versuchten, um die Straße abzuriegeln. Tubruk wich in eine Seitenstraße aus, dann in noch eine. Er versuchte, Ruhe zu bewahren. Sie konnten noch gar nicht wissen, nach wem sie eigentlich suchten, doch sobald er in Sicherheit war, würde er sich den Bart abnehmen. Was auch immer geschah, er durfte ihnen auf keinen Fall lebend in die Hände fallen. Mit etwas Glück gelang es ihnen dann wenigstens nicht, eine Verbindung zwischen ihm, dem Gut und Julius’ Familie herzustellen.

Als die Soldaten die Straße abriegelten, warf plötzlich ein Mann seinen Gemüsekorb zur Seite und rannte los. Tubruk dankte den Göttern für das schlechte Gewissen des Fliehenden. Als die Legionäre ihn fassten, musste Tubruk an sich halten, um sich nicht umzudrehen. Doch die gellenden Schreie des Mannes gingen ihm durch Mark und Bein, als sie seinen Kopf auf die Pflastersteine der Straße schlugen. Tubruk lief mit eiligen Schritten um eine Ecke nach der anderen, bis das Kreischen endlich hinter ihm lag. Als er die dunkle Straße erreicht hatte, die ihm Fercus genannt hatte, verlangsamte er seine Schritte wieder. Zuerst glaubte er, sie sei verlassen, dann jedoch erblickte er seinen Freund, der auf einer unbeleuchteten Türschwelle stand und ihm ein Handzeichen gab. Eilig trat er ein. Seine Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. In dem kleinen, schmutzigen Raum war er endlich in Sicherheit, und er gestattete sich, wenigstens für einen kurzen Augenblick in sich zusammenzusacken.

»Hast du es geschafft?«, fragte Fercus, während Tubruk versuchte, seine Atmung und seinen Puls wieder unter Kontrolle zu bekommen.

»Ich denke schon. Morgen werden wir es wissen. Sie haben die Straßen abgeriegelt, aber ich bin ihnen entwischt. Bei den Göttern, das war knapp!«

Fercus gab ihm ein Rasiermesser und deutete auf eine Schüssel mit kaltem Wasser.

»Du musst erst noch aus der Stadt herauskommen, mein Freund. Das dürfte nicht so einfach sein, wenn Sulla tot ist. Falls er aber noch am Leben ist, wird es sogar so gut wie unmöglich sein.«

»Bist du bereit, zu tun, was zu tun ist?«, fragte ihn Tubruk leise und rieb sich Wasser in die buschigen Barthaare, die sein Gesicht verdeckten.

»Ja, das bin ich, obwohl es mir selbst wehtut.«

»Es wird dir nicht so wehtun wie mir. Mach schnell, sobald ich rasiert bin.«

Seine Hand, die die schmale Klinge führte, zitterte, und er fluchte leise, als er sich schnitt.

»Lass mich das machen«, sagte Fercus und nahm ihm die Klinge aus der Hand. Für eine Weile sagte keiner der beiden ein Wort, doch ihre Gedanken überschlugen sich.

»Bist du ungesehen hinausgekommen?«, fragte Fercus schließlich, während er weiter an Tubruks widerspenstigen Borsten schabte. Tubruk ließ sich mit seiner Antwort Zeit.

»Nein. Ich musste zwei unschuldige Männer töten.«

»Die Republik kann ein wenig Blut an den Händen schon verkraften, wenn durch Sullas Tod die Gleichheit in der Stadt wiederhergestellt wird. Mir tut es nicht Leid, was du hast tun müssen, Tubruk.«

Tubruk saß still und wortlos da, bis die Klinge die letzten Bartreste entfernt hatte. Dann trocknete er sich mit traurigen Augen das Gesicht ab.

»Tu’s jetzt, solange ich noch so benommen bin.«

Fercus holte tief Luft und trat um den Schemel herum vor Tubruk hin, um dem alten Gladiator in die Augen zu sehen. In dem ausdrucksvollen Gesicht war keine Spur von dem ungeschickten Dalcius mehr zu sehen.

»Vielleicht…«, setzte Fercus zögernd an.

»Das ist die einzige Möglichkeit, und wir haben lange genug darüber gesprochen. Mach schon!« Tubruk krallte sich an den Lehnen des Stuhles fest, während Fercus die Faust hob und begann, sein Gesicht in eine unkenntliche Masse zu verwandeln. Er spürte, wie sein Nasenbein an den alten Bruchstellen erneut abknickte, und spuckte auf den Boden. Fercus hielt schwer atmend inne, und Tubruk hustete zitternd.

»Hör… noch nicht auf«, flüsterte er durch die Schmerzen hindurch und wünschte sich, es wäre bald vorbei.

Wenn sie hier fertig waren, würde Fercus Tubruk mit in sein eigenes Haus nehmen, doch zuvor würden sie sorgfältig darauf achten, in dem gemieteten Raum keine einzige Spur zu hinterlassen. Dann würde Tubruk mit seinem geschwollenen Gesicht mit einer Gruppe Sklaven zusammengekettet werden, die morgen die Stadt verließ. Bevor er wieder auf den Sklavenmarkt gekommen war, hatte er als Letztes ein Kaufdokument mit seinem eigenen Namen unterschrieben. Fercus würde einen weiteren anonymen Sklaven für die zermürbende Feldarbeit auf dem Gut außerhalb der Stadt liefern.

Endlich hob Tubruk die Hand, und Fercus hörte auf. Er keuchte und war verwundert, wie anstrengend es doch war, jemanden zu verprügeln. Der Mann auf dem Stuhl vor ihm hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem, der vorhin von der Straße hereingekommen war. In dieser Hinsicht war Fercus mit seiner Arbeit zufrieden.

»Ich schlage meine Sklaven nie«, murmelte er dennoch betreten.

Tubruk hob langsam den Kopf.

»Das hast du auch jetzt nicht getan«, sagte er und schluckte Blut.

Brutus duckte sich keuchend hinter einen Felsen. Ihre Verfolger hatten Pfeil und Bogen dabei, und ein schneller Blick hatte ihm gezeigt, dass zwei Bogenschützen zurückgeblieben waren, während zwei andere vorsichtig näher an ihre Position herankletterten. Sobald Renius und er gezwungen wurden, aus der Deckung zu kommen, würden sie von Pfeilen durchbohrt werden und alles wäre vorbei.

Brutus drückte sich so dicht wie möglich an den dunklen Stein und überlegte fieberhaft. Er meinte, ganz sicher Livias Mann in einem der Bogenschützen erkannt zu haben. Also hatte sie ihren Mann wohl erfolgreich von ihrer Unschuld überzeugt, weil niemand mehr da war, der das Gegenteil behauptete. Wenn er Brutus’ Leiche hinter sich herschleifte, würde sie ihn gewiss zu Hause als großen Helden empfangen.

Der Gedanke an sie wärmte Brutus für einen Moment. Ihr stumpfsinniger Ehemann würde nie zu schätzen wissen, was er an ihr hatte.

Renius hatte dem jüngeren Mann seinen Dolch gegeben, weil er selbst das solide Gewicht des Gladius vorzog. Brutus dagegen hatte sein Schwert in die Scheide gesteckt und hielt in jeder Hand einen Dolch. Er konnte gut genug damit werfen, um zu töten. Doch wenn sie ihn einmal im Blickfeld hatten, würden die Bogenschützen ihm wohl kaum eine Chance lassen, richtig zu zielen. Eine ziemlich prekäre Situation.

Er hob den Kopf über den Felsrand und visierte die Position der Männer an, die auf sie zukletterten. Die Bogenschützen riefen ihren Begleitern noch eine Warnung zu, doch Brutus war schon wieder außer Sicht und suchte sich bereits eine andere Position. Dieses Mal kam er ganz aus der Deckung heraus und schleuderte blitzschnell eines der Messer, bevor er sich wieder zu Boden fallen ließ.

Ein Pfeil zischte über seinen Kopf hinweg und Brutus grinste, als er hörte, dass der Dolch sein Ziel nicht verfehlt hatte. Er kroch weiter den Felsrand entlang in Renius’ Richtung und hielt das zweite Messer wurfbereit.

»Ich glaube, du hast ihn nur gestreift«, murmelte Renius.

Brutus zog missmutig die Augenbrauen hoch, weil er in seiner Konzentration gestört worden war. Dann jedoch wurde er von einem Schwall wüster Schimpfworte abgelenkt, die über die Felskante zu ihnen heraufdrangen.

»Und du hast ihn verärgert«, fügte Renius grinsend hinzu.

Brutus machte sich bereit für den nächsten Versuch. Er hätte gerne auf einen der Bogenschützen gezielt, aber jeder der anderen konnte einen Schützen leicht ersetzen. Außerdem waren sie am weitesten vom Versteck der Römer entfernt.

Er sprang auf und stand einem der Verfolger beinahe Auge in Auge gegenüber. Der Mann schnappte überrascht nach Luft, und Brutus versenkte seine Klinge in seiner ungeschützten Kehle. Dann ließ er sich wieder platt auf den Boden fallen und kroch Staub aufwirbelnd davon.

Zwei weitere Gegner kamen mit gezogenen Klingen auf Brutus zu. Er stand auf und stellte sich ihnen. Während des Kampfes versuchte er, die Bogenschützen im Hintergrund im Auge zu behalten und ihnen mit schnellen Ausweichschritten nach links oder rechts das Zielen zu erschweren.

Als er den ersten Griechen auf seinem Schwert aufspießte, zerschnitt direkt neben seinem Bein ein Pfeil die Luft. Brutus benutzte den erschlaffenden Körper als Deckung. Und obwohl der Mann starb, hatte er noch genügend Kraft, Brutus, der mit ihm von einer Seite auf die andere tänzelte, anzuschreien und zu beschimpfen. Aus dem Nichts bohrte sich ein Pfeil in den Rücken des Verwundeten, und ein Blutschwall schoss aus seinem Mund direkt in Brutus’ Gesicht. Er fluchte und stieß die Leiche des Mannes gegen dessen Begleiter, dem er zugleich in einem klassischen Legionärsausfall das Schwert in den Unterleib bohrte. Lautlos stürzten die beiden den Hang hinunter in das Gestrüpp und die Blumen. Brutus sah Livias Ehemann just in dem Moment, als er den Pfeil abschoss.

Er wollte noch ausweichen, doch der sirrende Schaft erwischte ihn halb in der Drehung und riss ihn um. Die Rüstung rettete ihm das Leben, und während er auf dem Boden wegrollte, dankte Brutus den Göttern für sein Glück. Er kam rechtzeitig wieder hoch, um zu sehen, wie Renius Livias Ehemann mit einem Schwinger von den Beinen holte und sich dann dem Letzten zuwendete. Der stand vor Angst stocksteif, nur seine Arme zitterten unter der Kraft des gespannten Bogens.

»Ganz ruhig, mein Junge!«, rief ihm Renius zu. »Lauf lieber hinunter zu deinem Pferd und geh nach Hause. Wenn du diesen Pfeil hier abfeuerst, reiße ich dir die Kehle mit den Zähnen heraus.«

Brutus machte einen Schritt auf Renius zu, doch dieser gab ihm mit einem Zeichen zu verstehen, sich nicht von der Stelle zu rühren.

»Er weiß, was er zu tun hat, Brutus. Lass ihm nur noch ein wenig Zeit«, sagte Renius laut und deutlich. Blass vor Anspannung hielt der junge Mann den Bogen weiter gespannt und schüttelte dann den Kopf. Livias Mann kam wieder zu sich und wand sich, aber Renius hielt ihn mit dem Fuß auf der Kehle am Boden.

»Ihr habt euren Kampf gehabt, Jungs. Jetzt geht nach Hause und beeindruckt eure Frauen mit den Geschichten von euren Heldentaten«, fuhr Renius fort und verstärkte langsam aber sicher den Druck, so dass Livias Mann sich an seinen Fuß krallte und nach Luft japste.

Der Bogenschütze lockerte seinen Griff und trat zwei Schritte zurück

»Lass ihn gehen«, sagte er mit starkem Akzent.

Renius zuckte mit den Schultern. »Dann wirf du zuerst den Bogen weg.«

Der junge Mann zögerte so lange, bis Livias Mann blau anlief. Dann schleuderte er den Bogen hinter sich über den Felsen, wo er hörbar aufschlug. Renius nahm seinen Fuß weg und wartete, bis Livias Mann sich keuchend aufgerichtet hatte. Der alte Gladiator rührte sich nicht, während die beiden Griechen sich so schnell wie möglich davonmachten.

»Moment!«, schrie Brutus ihnen plötzlich nach, und sie blieben vor Schreck wie erstarrt stehen. »Ihr habt da unten drei Pferde, die ihr nicht mehr braucht. Ich will zwei davon.«

Cornelia saß kerzengerade da und starrte Antonidus, der auch Sullas Hund genannt wurde, mit weit aufgerissenen Augen an.

Dieser Mann war gnadenlos, das wusste sie. Während er sie einschüchternd und eindringlich befragte, beobachtete er sorgfältig jede Regung in ihrem Gesicht. Sie hatte noch nie etwas Gutes über Sullas Truppenführer gehört, und es war ihr nicht leicht gefallen, bei der Nachricht, die er ihr überbrachte, weder Angst noch Erleichterung zu zeigen. Ihre Tochter lag schlafend in ihren Armen. Sie hatte beschlossen, sie Julia zu nennen.

»Weiß dein Vater Cinna, dass du hier bist?«, fragte er mit bohrendem Blick und abgehackter Stimme.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht; Sulla hat mich vom Anwesen meines Mannes außerhalb der Stadt herholen lassen. Seit Tagen sitze ich jetzt schon mit meinem Kind hier in diesen Räumen. Außer den Sklaven habe ich niemanden zu Gesicht bekommen.«

Der General runzelte die Stirn, als klinge etwas in ihrer Erklärung nicht glaubwürdig, aber er hielt starr den Blick auf sie gerichtet.

»Warum hat dich Sulla herbefohlen?«

Sie schluckte nervös und wusste sofort, dass er das bemerkt hatte. Was sollte sie ihm sagen? Dass Sulla sie vergewaltigt hatte, während ihre weinende Tochter daneben lag? Vielleicht würde er sie auslachen, oder schlimmer noch, glauben, sie versuche das Ansehen des großen Mannes nach seinem Tod zu beschmutzen. Dann würde er sie wahrscheinlich auf der Stelle töten lassen.

Antonidus sah, dass sie sich vor Sorge und Angst wand, und hätte sie am liebsten geohrfeigt. Sie war schön, so dass es offensichtlich war, weshalb Sulla sie hatte rufen lassen. Dennoch fragte er sich, wie Sulla von einem durch eine Niederkunft immer noch schlaffen Körper hatte erregt werden können.

Er fragte sich, ob ihr Vater vielleicht hinter dem Mord steckte, und fluchte beinahe laut, als ihm klar wurde, dass er noch einen weiteren Namen auf die Liste der Feinde setzen musste. Seine Informanten hatten ihm zwar gesagt, Cinna sei geschäftlich im Norden Italiens unterwegs, aber auch von dort konnte man gedungene Mörder aussenden. Abrupt erhob er sich. Antonidus bildete sich etwas darauf ein, einen Lügner sofort zu erkennen. Aber diese Frau hier war entweder völlig geistlos, oder sie wusste wirklich nichts.

»Unternimm keine lange Reise. Wo finde ich dich, für den Fall, dass ich dich hierher zurückbringen muss?«

Cornelia überlegte einen Moment und versuchte, ihre Erleichterung zu unterdrücken. Er würde sie gehen lassen! Sollte sie ins Stadthaus gehen, oder zurück zu Julius’ Anwesen auf dem Lande?

Wahrscheinlich hielt sich Clodia immer noch dort auf, dachte sie.

»Ich wohne außerhalb der Stadt auf dem Gut, von wo ich hierher geholt worden bin.«

Antonidus nickte geistesabwesend. Seine Gedanken konzentrierten sich bereits auf die vor ihm liegenden Aufgaben.

»Ich bedauere diese Tragödie sehr«, zwang sie sich zu sagen.

»Wer auch immer dafür verantwortlich ist, er wird es teuer bezahlen«, sagte er mit gepresster Stimme. Wieder spürte sie sein Misstrauen. Es war, als strafe er mit seinen forschenden Blicken ihren eigenen Gesichtsausdruck Lügen.

Er blieb noch eine Weile vor ihr stehen, doch dann drehte er sich um und ging wortlos über den marmornen Boden davon. Das Baby wachte auf und fing sofort hungrig an zu quengeln. Allein und ohne eine Amme entblößte Cornelia ihre Brust, um ihre Tochter selbst zu stillen, und sie gab sich alle Mühe, dabei ihre Tränen zurückzuhalten.

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