Im Weißen unter der Zeile

Die Rot-Kreuz-Postkarte meiner Mutter kam im November ins Lager. Sie war sieben Monate unterwegs. Zu Hause abgeschickt wurde sie im April. Da war das angenähte Kind schon ein Dreivierteljahr auf der Welt.

Die Karte mit dem Ersatzbruder habe ich zu dem weißen Taschentuch ganz unten in den Koffer gelegt. Auf der Karte stand nur eine Zeile, und darin kam ich mit keinem Wort vor. Nicht einmal im Weißen unter der Zeile.

Im Russendorf hatte ich um Essen betteln gelernt. Bei der Mutter um Erwähnung betteln wollte ich nicht. In den zwei verbliebenen Jahren habe ich mich gezwungen, nicht auf die Karte zu antworten. Betteln gelernt hatte ich in den zwei vergangenen Jahren vom Hungerengel. In den zwei verbliebenen lernte ich vom Hungerengel den rauhen Stolz. Er war so roh wie das Standhaftbleiben vor dem Brot. Er plagte mich grausam. Jeden Tag zeigte der Hungerengel mir die Mutter, wie sie an meinem Leben vorbei ihr Ersatzkind füttert. Aufgeräumt und satt fuhr sie mit ihrem weißen Kinderwagen in meinem Kopf hin und her. Und ich schaute ihr von überall zu, wo ich nicht vorkam, nicht einmal im Weißen unter der Zeile.

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