ZWEI MÄNNER MIT STROHHÜTEN

Nachdem Bond die Bar verlassen hatte, ging er zielstrebig den mit Bäumen gesäumten Boulevard entlang zu seinem nicht weit entfernten Hotel. Er war hungrig.

Der Tag war immer noch wunderschön, aber inzwischen brannte die Sonne sehr heiß, und nur die in Abständen von etwa sechs Metern auf dem Rasenstück zwischen Gehsteig und Straße gepflanzten Platanen spendeten kühlen Schatten.

Draußen waren nur wenige Leute unterwegs, und die beiden Männer, die auf der anderen Straßenseite unter einem Baum standen, wirkten seltsam deplatziert.

Bond bemerkte sie, als er noch etwa neunzig Meter entfernt war und die gleiche Distanz zwischen ihnen und dem kunstvoll verzierten Eingangstor des Splendide lag.

Sie hatten etwas äußerst Beunruhigendes an sich. Beide waren klein und trugen ähnliche dunkle, und wie Bond fand, viel zu warm aussehende Anzüge. Sie wirkten wie Darsteller in einer Varieténummer auf dem Weg ins Theater. Jeder der beiden trug einen Strohhut mit einem dicken schwarzen Band – vielleicht als Zugeständnis an die Urlaubsatmosphäre des Ortes. Und die Krempen sorgten in Kombination mit dem Schatten des Baumes, unter dem sie standen, dafür, dass ihre Gesichter nicht zu erkennen waren. Unpassenderweise wurden die beiden düsteren, gedrungenen Gestalten von einem Hauch greller Farbe begleitet. Jeder von ihnen hatte eine große Kameratasche über der Schulter hängen.

Eine davon war hellrot, die andere hellblau.

Bis Bond all diese Einzelheiten aufgenommen hatte, war er nur noch knapp fünfzig Meter von ihnen entfernt. Er dachte gerade über die Reichweiten verschiedener Waffen und die Möglichkeit, Deckung zu finden, nach, als sich vor ihm eine außergewöhnliche und schreckliche Szene abspielte.

Der Mann mit der roten Tasche schien dem mit der blauen zuzunicken. Mit einer schnellen Bewegung zog der Blaue seine Kameratasche von der Schulter. Was er dann tat, konnte Bond nicht genau erkennen, da ihm genau in diesem Augenblick ein Baum die Sicht versperrte. Aber der Mann schien sich vorzubeugen und die Tasche zu öffnen. Dann gab es plötzlich einen blendend weißen Lichtblitz und eine ohrenbetäubende Explosion. Trotz des Schutzes durch den Baumstamm wurde Bond von einer Druckwelle aus heißer Luft zu Boden geworfen, die sich anfühlte, als hätte man ihm ins Gesicht und in den Magen geschlagen. Wie betäubt lag er auf dem Bürgersteig und starrte in den Himmel, während die Explosion in seinen Ohren immer weiter nachhallte, als ob jemand das Bassregister eines Klaviers mit einem Vorschlaghammer bearbeiten würde.

Als er sich schließlich wieder auf ein Knie erhoben hatte, begann ein entsetzlicher Regen aus Fleischstücken und Fetzen blutgetränkter Kleidung vermischt mit Zweigen und Blättern auf ihn und seine Umgebung herabzufallen. Von allen Seiten ertönte das helle Klirren zerbrechenden Glases. Eine pilzförmige schwarze Rauchwolke stieg in den Himmel und fing an sich aufzulösen, während er benommen zu ihr hinaufstarrte. In der Luft lag ein ekelerregender Gestank von Sprengstoff, brennendem Holz und – ja, das war es – Hammelbraten. Etwa fünfzig Meter den Boulevard entlang waren die Bäume entblättert und verbrannt. Auf der anderen Seite waren zwei nahe der Wurzel abgeknickt und lagen wie betrunken auf der Straße. Zwischen ihnen befand sich ein immer noch rauchender Krater. Von den beiden Männern mit den Strohhüten blieb nichts weiter übrig als ein paar rote Spuren auf der Straße, auf dem Bürgersteig und an den Baumstämmen. Und hoch oben in den Ästen hingen glänzende Fetzen.

Bond spürte, wie sein Magen rebellierte, er musste sich übergeben.

Mathis erreichte ihn als Erster. Bond war mittlerweile aufgestanden und hatte seinen Arm um den Baum gelegt, der ihm das Leben gerettet hatte.

Benommen, aber unverletzt, gestattete er Mathis, ihn zum Splendide zu führen, aus dem erschrockene Gäste und Angestellte strömten. Während in der Ferne Krankenwagen und Feuerwehr zu hören waren, gelang es ihnen, sich durch die Menge, die Treppe hinauf und den Korridor entlang zu Bonds Zimmer zu drängen.

Mathis hielt nur kurz inne, um das Radio vor dem Kamin einzuschalten. Dann, während Bond seine blutbefleckte Kleidung auszog, löcherte Mathis ihn mit Fragen.

Als sie zur Beschreibung der beiden Männer kamen, riss Mathis den Hörer vom Telefon neben Bonds Bett.

»… und sagen Sie der Polizei«, beendete er das Gespräch, »dass der Engländer aus Jamaika, der die Explosion miterlebt hat, meine Sache ist. Er ist unverletzt, und sie sollen ihn nicht belästigen. Ich werde ihnen in einer halben Stunde Genaueres berichten. Sie sollen der Presse erzählen, dass es offenbar eine Fehde zwischen zwei bulgarischen Kommunisten war und dass der eine den anderen mit einer Bombe getötet hat. Sie sollen nichts von dem dritten Bulgaren sagen, der auch noch irgendwo gewesen sein muss, aber sie müssen ihn um jeden Preis erwischen. Er wird sicherlich auf dem Weg nach Paris sein. Sie sollen überall Straßensperren errichten. Verstanden? Alors, bonne chance

Mathis drehte sich wieder zu Bond um und hörte sich seinen Bericht zu Ende an.

»Merde, aber Sie hatten Glück«, sagte er zu Bond, nachdem dieser alles erzählt hatte. »Die Bombe war eindeutig für Sie bestimmt. Es muss Nachlässigkeit gewesen sein. Sie wollten sie werfen und sich dann hinter ihrem Baum verstecken. Aber dann hat es sie selbst erwischt. Was soll’s. Wir werden die genaueren Hintergründe schon noch erfahren.« Er zögerte. »Aber es ist tatsächlich eine reichlich seltsame Angelegenheit. Und diese Leute scheinen Sie für eine ernste Bedrohung zu halten.« Mathis wirkte verärgert. »Aber wie wollten diese sacré Bulgaren der Verhaftung entgehen? Und welche Bedeutung hatten die rote und die blaue Tasche? Wir müssen versuchen, Reste der roten zu finden.«

Mathis knabberte an seinen Fingernägeln. Er war aufgeregt, und seine Augen funkelten. Diese Geschichte entwickelte sich zu einer beeindruckenden und dramatischen Angelegenheit, in die er nun persönlich verwickelt war. Auf jeden Fall hatte er nun mehr zu tun, als lediglich Bonds Mantel zu halten, während dieser im Casino seinen privaten Kampf mit Le Chiffre austrug. Mathis sprang auf.

»Lassen Sie sich jetzt einen Drink und etwas zu essen bringen und ruhen Sie sich ein wenig aus«, wies er Bond an. »Ich werde so schnell wie möglich meine Nase in diese Sache stecken, bevor die Polizei mit ihren großen schwarzen Stiefeln alle Spuren zertrampelt.«

Mathis schaltete das Radio aus und winkte ihm zum Abschied zu. Die Tür fiel ins Schloss, und im Zimmer breitete sich Schweigen aus. Bond saß eine Weile am Fenster und genoss es, noch am Leben zu sein.

Später, als Bond seinen ersten Whisky on the rocks getrunken hatte und die pâté de foie gras und die kalte langouste betrachtete, die der Kellner gerade vor ihm ausgebreitet hatte, klingelte das Telefon.

»Hier ist Mademoiselle Lynd.«

Die Stimme klang leise und nervös.

»Sind Sie in Ordnung?«

»Einigermaßen.«

»Da bin ich froh. Bitte passen Sie auf sich auf.«

Sie legte auf.

Bond schüttelte sich, dann nahm er sein Messer in die Hand und wählte die dickste Scheibe Toast aus.

Plötzlich dachte er: Zwei von ihnen sind tot, und ich habe einen weiteren Verbündeten. Das ist ein guter Anfang.

Er tauchte das Messer in das Glas mit sehr heißem Wasser, das neben dem Topf aus Straßburger Porzellan stand, und nahm sich vor, dem Kellner für dieses besondere Mahl ein doppeltes Trinkgeld zu geben.

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