DIE VORBEIRASENDE LIMOUSINE

Von diesem Tag an erholte sich Bond erstaunlich schnell.

Er saß aufrecht im Bett und schrieb seinen Bericht an M. Er verharmloste den Teil, den er immer noch als amateurhaftes Verhalten von Vespers Seite ansah, und ließ die Entführung skrupelloser klingen, als sie eigentlich gewesen war. Er lobte Vespers Gelassenheit und Haltung während des ganzen Vorfalls, ohne zu erwähnen, dass er einige ihrer Handlungen als unverantwortlich betrachtete.

Vesper kam ihn jeden Tag besuchen, und er fieberte diesen Besuchen voller Aufregung entgegen. Sie erzählte fröhlich von ihren Erlebnissen am Vortag, ihren Erkundungen entlang der Küste und den Restaurants, in denen sie gegessen hatte. Sie hatte sich mit dem Polizeichef sowie mit einem der Casinoleiter angefreundet, und sie führten sie abends aus und liehen ihr tagsüber gelegentlich einen Wagen. Sie behielt die Reparaturarbeiten am Bentley im Auge, der zu einem Karosseriebauunternehmen in Rouen gebracht worden war, und sie kümmerte sich sogar darum, dass Bond neue Kleidung aus seiner Wohnung in London zugeschickt wurde. Von seiner ursprünglichen Garderobe war nichts mehr übrig. Jedes Stück Stoff war auf der Suche nach den vierzig Millionen Franc in Streifen geschnitten worden.

Die Le-Chiffre-Affäre erwähnten beide nie wieder. Gelegentlich erzählte sie Bond amüsante Geschichten aus dem Büro des Leiters von S. Offenbar war sie vom WRNS – dem königlichen Marinedienst der Frauen – dorthin versetzt worden. Und er erzählte ihr im Gegenzug von einigen seiner Abenteuer beim Geheimdienst.

Er stellte fest, dass es ihm leichtfiel, mit ihr zu reden, und das überraschte ihn.

Im Umgang mit Frauen legte er meistens eine Mischung aus Schweigsamkeit und Leidenschaft an den Tag. Der langatmige Weg zur Verführung langweilte ihn fast so sehr wie die Ärgernisse der darauffolgenden Trennung. Die Unumgänglichkeit dieses Musters in jeder Affäre hatte für ihn etwas Grausiges. Der konventionelle Verlauf – die anfängliche Anziehung, die erste Berührung, der erste Kuss, der leidenschaftliche Kuss, das Gefühl der sich berührenden Körper, der Höhepunkt im Bett, dann mehr Zeit im Bett, dann weniger Zeit im Bett, dann die Langeweile, die Tränen und die letztendliche Bitterkeit – war für ihn beschämend und heuchlerisch. Sogar noch mehr verabscheute er die Mise en Scène jedes einzelnen Aktes in diesem Stück – das Treffen auf einer Party, das Restaurant, das Taxi, seine Wohnung, ihre Wohnung, dann das Wochenende am Meer, dann wieder die Wohnungen, die hinterhältigen Alibis und das endgültige Lebewohl auf einer Türschwelle im Regen.

Doch mit Vesper würde es so etwas nicht geben.

In dem tristen Zimmer und der Langeweile seiner Behandlung, war ihre tägliche Anwesenheit eine Oase der Freude, etwas, auf das er sich freuen konnte. In ihren Gesprächen spiegelte sich nur Kameradschaft mit einem fernen Unterton von Leidenschaft wider. Im Hintergrund lauerte der unausgesprochene Reiz des Versprechens, das zum richtigen Zeitpunkt und wenn beide so weit waren, eingelöst werden würde. Und über allem schwebten der Schatten seiner Verletzungen und die Qualen ihres langsamen Heilprozesses.

Ob es Bond nun gefiel oder nicht, der Zweig war seinem Messer bereits entkommen und bereit, zu erblühen.

Bond erholte sich erfreulich schnell. Zuerst durfte er aufstehen. Dann durfte er im Garten sitzen. Bald darauf konnte er kurze Spaziergänge unternehmen und schließlich sogar eine lange Autofahrt. Und dann kam der Nachmittag, an dem der Arzt zu einer Stippvisite aus Paris erschien und ihn für vollständig geheilt erklärte. Vesper brachte ihm seine Kleidung, er verabschiedete sich von den Krankenschwestern, und sie fuhren in einem gemieteten Wagen davon.

Drei Wochen waren seit dem Tag vergangen, an dem er auf der Schwelle des Todes gestanden hatte. Nun war Juli, und der heiße Sommer schimmerte an der Küste und draußen auf dem Meer. Bond klammerte sich an den Augenblick.

Ihr Ziel war eine Überraschung für ihn. Er wollte nicht in eins der großen Hotels in Royale zurückkehren, und Vesper hatte versprochen, eine Unterkunft außerhalb der Stadt zu finden. Doch sie bestand darauf, diese geheim zu halten und verriet nur, dass sie einen Ort entdeckt hatte, der ihm gefallen würde. Es gefiel ihm, ihr auf diese Weise ausgeliefert zu sein, doch er verbarg seine Kapitulation, indem er ihr Ziel als »Trou sur Mer«, also »Kaff am Meer«, bezeichnete (sie hatte zugegeben, dass es am Meer lag) und die rustikalen Freuden von Außentoiletten, Bettwanzen und Kakerlaken lobte.

Ihre Fahrt wurde von einem seltsamen Vorfall verdorben.

Während sie der Küstenstraße in Richtung Les Noctambules folgten, beschrieb Bond ihr die wilde Jagd mit seinem Bentley und zeigte ihr schließlich die Kurve, die er vor dem Unfall genommen hatte, sowie die genaue Stelle, an der der heimtückische Teppich aus Stahlspitzen ausgelegt worden war. Er bat den Fahrer des Wagens, zu verlangsamen, und lehnte sich heraus, um ihr die tiefen Einschnitte im Asphalt zu zeigen, die die Felgen seiner Reifen hinterlassen hatten, und auch die abgebrochenen Zweige in der Hecke und den Ölfleck an der Stelle, an der das Auto zum Stehen gekommen war.

Doch sie war die ganze Zeit über abgelenkt und nervös und gab lediglich einsilbige Kommentare ab. Ein- oder zweimal bemerkte er, wie sie einen Blick in den Rückspiegel warf, doch sobald er eine Gelegenheit erhielt, durch die Heckscheibe hinter sich zu schauen, waren sie gerade um eine Kurve gebogen, und er konnte nichts sehen.

Schließlich nahm er ihre Hand.

»Du hast etwas auf dem Herzen, Vesper«, sagte er.

Ein Schatten huschte über ihr Gesicht, doch dann schenkte sie ihm ein angespanntes Lächeln. »Es ist nichts. Absolut nichts. Ich hatte die alberne Idee, dass wir verfolgt werden. Das sind wohl nur meine Nerven, schätze ich. Diese Straße ist voller Geister.«

Sie nutzte ein kurzes Lachen, um sich noch einmal umzudrehen.

»Schau mal.« In ihrer Stimme lag ein Anflug von Panik.

Bond drehte gehorsam den Kopf herum. Tatsächlich fuhr etwa zweihundert Meter hinter ihnen eine schwarze Limousine, die schnell aufholte.

Bond lachte.

»Wir sind doch nicht die Einzigen, die diese Straße benutzen«, meinte er. »Und wer sollte uns schon verfolgen? Wir haben nichts Unrechtes getan.« Er tätschelte ihre Hand. »Das ist bestimmt nur ein Handlungsreisender mittleren Alters, der Autopolitur verkauft und auf dem Weg nach Le Havre ist. Vermutlich denkt er gerade an sein Mittagessen und seine Geliebte in Paris. Wirklich, Vesper, du musst nicht immer den Teufel an die Wand malen.«

»Vermutlich hast du recht«, erwiderte sie nervös. »Wir sind sowieso gleich da.«

Sie verfiel wieder in Schweigen und starrte aus dem Fenster.

Bond konnte spüren, dass sie immer noch angespannt war. Er musste schmunzeln, da er ihr Verhalten als Nachwirkung ihres kürzlichen Abenteuers deutete. Doch er beschloss, Vesper ihren Willen zu lassen, und als sie einen kleinen Weg erreichten, der zum Meer führte, bat er den Fahrer, sofort anzuhalten, sobald sie die Hauptstraße verlassen hatten.

Im Schutz eines hohen Gestrüpps sahen sie gemeinsam durch die Heckscheibe.

Über dem leisen Summen der sommerlichen Umgebungsgeräusche konnten sie hören, wie sich das Auto näherte. Vesper grub ihre Finger in seinen Arm. Die Geschwindigkeit des Wagens veränderte sich nicht, während es sich ihrem Versteck näherte, und sie erhaschten nur einen flüchtigen Blick auf das Profil des Mannes am Steuer, als die schwarze Limousine vorbeiraste.

Er schien tatsächlich kurz in ihre Richtung zu schauen, doch über ihnen befand sich ein bunt bemaltes Schild in der Hecke, das die Straße hinunter wies und auf dem die Worte »L’Auberge du Fruit Défendu, crustaces, fritures« standen. Für Bond war offensichtlich, dass dieses Schild die Aufmerksamkeit des Fahrers auf sich gelenkt haben musste.

Als das Klappern des Auspuffs des Wagens in der Ferne verklang, ließ sich Vesper zurück in den Sitz sinken. Ihr Gesicht war blass.

»Er hat uns angesehen«, meinte sie, »ich hab’s dir doch gesagt. Ich wusste, dass wir verfolgt werden. Jetzt wissen sie, wo wir sind.«

Bond konnte seine Ungeduld nicht verbergen. »Unsinn«, sagte er. »Er hat auf das Schild geschaut.« Er zeigte es Vesper.

Sie wirkte ein wenig erleichtert. »Meinst du wirklich?«, fragte sie. »Ja. Natürlich, du hast sicher recht. Tut mir leid, dass ich mich so dumm verhalten habe. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.«

Sie lehnte sich vor, sprach durch die Trennwand mit dem Fahrer, und der Wagen fuhr weiter. Sie ließ sich zurücksinken und drehte sich mit strahlendem Gesicht zu Bond um. Die Farbe war fast vollständig in ihre Wangen zurückgekehrt. »Es tut mir wirklich leid. Es ist nur … ich kann einfach nicht glauben, dass es vorbei ist und dass es niemanden mehr gibt, vor dem wir Angst haben müssen.« Sie drückte seine Hand. »Du musst mich für sehr dumm halten.«

»Natürlich nicht«, versicherte Bond. »Aber nun kann wirklich niemand mehr an uns interessiert sein. Vergiss die ganze Sache einfach. Der Auftrag ist erledigt und abgeschlossen. Wir sind im Urlaub, und am Himmel ist nicht eine Wolke zu sehen. Oder?«, beharrte er.

»Nein, natürlich nicht.« Sie schüttelte sich leicht. »Ich bin verrückt. Also, wir sind gleich da. Ich hoffe, es wird dir gefallen.«

Beide lehnten sich vor. Ihr Gesicht war wieder lebhaft, und der Zwischenfall ließ nur ein winziges Fragezeichen zurück. Und selbst das verblasste, als sie durch die Dünen fuhren und das Meer sowie das bescheidene kleine Gasthaus zwischen den Pinien sahen.

»Ich fürchte, es ist nicht besonders vornehm«, sagte Vesper. »Aber es ist sehr sauber, und das Essen ist wundervoll.« Sie sah ihn nervös an.

Sie hätte sich keine Sorgen machen müssen. Bond liebte den Ort vom ersten Moment an – die Terrasse, die fast bis zur Hochwassermarkierung führte, das niedrige, zweistöckige Haus mit den hübschen Vordächern aus roten Ziegeln über den Fenstern und die halbmondförmige Bucht aus blauem Wasser und goldenem Sandstrand. Wie oft in seinem Leben hätte er alles gegeben, um von der Hauptstraße abzubiegen und ein verstecktes Fleckchen wie dieses zu finden, wo er die Welt hinter sich lassen und sich von morgens bis abends im Meer aufhalten konnte? Und jetzt würde er das eine ganze Woche lang genießen können. Zusammen mit Vesper. Im Geiste tauchte er bereits in die Freuden der kommenden Tage ein.

Sie fuhren auf den Hof hinter dem Haus, und der Gastwirt und seine Frau kamen heraus, um sie zu begrüßen.

Monsieur Versoix war ein Mann mittleren Alters mit nur einem Arm. Den anderen hatte er im Kampf für die Freien Französischen Streitkräfte auf Madagaskar verloren. Er war mit dem Polizeichef von Royale befreundet, und der Commissaire selbst hatte Vesper das Gasthaus vorgeschlagen und mit dem Besitzer telefoniert. Aus diesem Grund würden sie von allem nur das Beste bekommen.

Madame Versoix war mitten in der Zubereitung des Abendessens unterbrochen worden. Sie trug eine Schürze und hielt einen hölzernen Kochlöffel in der Hand. Sie war jünger als ihr Ehemann, pummelig, hübsch und freundlich. Bond vermutete instinktiv, dass sie keine Kinder hatten und ihre Zuneigung daher ihren Freunden und Stammgästen und womöglich auch einigen Haustieren zukommen ließen. Er überlegte, dass ihr Leben sehr anstrengend und das Gasthaus im Winter sehr einsam sein musste, wenn die Wellen im Hintergrund rauschten und der Wind durch die Pinien fegte.

Der Gastwirt zeigte ihnen ihre Zimmer.

Vespers war ein Doppelzimmer und Bonds befand sich direkt nebenan in der Ecke des Hauses, sodass man durch das eine Fenster das Meer und durch das andere einen fernen Zufluss zur Bucht sehen konnte. Zwischen den beiden Räumen befand sich ein Badezimmer. Alles war makellos sauber und spärlich, aber gemütlich eingerichtet.

Der Gastwirt freute sich, als sich beide begeistert zeigten. Er sagte, das Abendessen werde um halb acht serviert und Madame la patronne bereite gekochten Hummer mit geschmolzener Butter zu. Er entschuldigte sich dafür, dass nicht viel los war. Es sei Donnerstag. Am Wochenende würden mehr Leute kommen. Die Saison sei nicht besonders gut gewesen. Normalerweise würden viele Engländer bei ihnen übernachten, doch die Zeiten dort drüben seien schwierig, und die Engländer kämen nur für ein Wochenende nach Royale und kehrten dann sofort wieder nach Hause zurück, nachdem sie ihr Geld im Casino verloren hätten. Es sei nicht mehr so wie früher. Er zuckte philosophisch mit den Schultern. Allerdings sei kein Tag wie der vorherige und kein Land wie das letzte, und …

»So ist es«, sagte Bond.

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