DAS SPIEL HEISST BACCARA

Bond sah sich um, aber es schien keine Gefahr zu bestehen, belauscht zu werden. Und der Kaviar wartete wahrscheinlich noch auf den heißen Toast aus der Küche.

»Legen Sie los.« In seinen Augen funkelte Interesse.

»Sie haben den dritten Bulgaren auf der Straße nach Paris geschnappt. Er fuhr in einem Citroën und hatte zur Tarnung zwei britische Anhalter mitgenommen. An der Straßensperre war sein Französisch so schlecht, dass er nach seinen Papieren gefragt wurde. Da zog er eine Waffe und schoss auf einen der Polizeibeamten. Aber seinem Kollegen gelang es irgendwie, ihn zu überwältigen und davon abzuhalten, Selbstmord zu begehen. Dann wurde er nach Rouen gebracht, wo sie den Rest der Geschichte aus ihm herausholten – ich nehme an, auf die übliche französische Art.

Offenbar gehörten sie zu einer Gruppe von Saboteuren, Schlägern und so weiter, die in Frankreich für diese Art von Arbeit engagiert wird. Mathis ist bereits dabei, den Rest einzukassieren. Sie sollten für Ihren Tod zwei Millionen Franc bekommen, und der Agent, der sie instruierte, hat ihnen versichert, dass sie auf keinen Fall geschnappt werden könnten, solange sie seine Anweisungen genau befolgen.«

Sie nahm einen Schluck Wodka. »Jetzt kommt der interessante Teil.

Der Agent gab ihnen die beiden Kamerataschen, die Sie gesehen haben. Er sagte ihnen, die grellen Farben würden es ihnen leichter machen. Er erklärte, dass die blaue Tasche eine sehr kräftige Rauchbombe enthalte. In der roten befände sich der Sprengstoff. Wenn der eine die rote Tasche warf, sollte der andere einen Knopf an der blauen drücken, damit sie im Schutz der Rauchwolke entkommen konnten. Doch in Wahrheit war die Rauchbombe eine reine Lüge, um den Bulgaren vorzugaukeln, dass sie davonkommen würden. Beide Taschen enthielten eine identische, hochexplosive Bombe. Es gab keinen Unterschied zwischen der blauen und der roten Tasche. Der Plan bestand darin, erst Sie und dann die Bombenleger ohne eine Spur zu beseitigen. Wahrscheinlich gab es für den dritten Mann ähnliche Pläne.«

»Sprechen Sie weiter«, sagte Bond voller Bewunderung für das raffinierte Doppelspiel.

»Nun, offenbar fanden die Bulgaren, dass das alles zwar gut und schön klang, entschieden aber insgeheim, kein Risiko einzugehen. Sie dachten, es wäre besser, zuerst die Rauchbombe zu aktivieren, und dann aus der Deckung heraus den Sprengsatz auf Sie zu werfen. Was Sie sahen, war der zweite Bulgare, der auf den Knopf der vermeintlichen Rauchbombe drückte. Und natürlich wurden dadurch beide in die Luft gesprengt.

Der dritte Bulgare wartete hinter dem Splendide darauf, seine beiden Freunde mitzunehmen. Als er sah, was passiert war, nahm er an, dass sie es vermasselt hatten. Aber die Polizei hatte ein paar Fragmente der nicht explodierten roten Bombe eingesammelt, und ihn damit konfrontiert. Als er erkannte, dass sie reingelegt worden waren und dass man seine beiden Freunde mit Ihnen hatte umbringen wollen, begann er zu reden. Ich schätze, er redet immer noch. Aber es gibt nichts, was das alles mit Le Chiffre in Verbindung bringen würde. Der Auftrag wurde ihnen von einem Zwischenhändler vermittelt, vielleicht einem von Le Chiffres Leibwächtern. Und derjenige, der überlebt hat, kann mit Le Chiffres Namen nichts anfangen.«

Sie beendete ihre Geschichte, gerade als der Kellner den Kaviar und einen Stapel warmer Toastscheiben brachte. Dazu wurden kleine Schalen mit fein gehackten Zwiebeln und hart gekochten, geriebenen Eiern gereicht, das Eiweiß in einer Schale und das Eigelb in einer anderen.

Der Kaviar wurde auf ihre Teller gehäuft, und eine Zeit lang aßen sie schweigend.

Nach einer Weile sagte Bond: »Es ist sehr befriedigend, eine Leiche zu sein, die mit ihren Mördern den Platz getauscht hat. Sie haben sich im wahrsten Sinne des Wortes in ihrer eigenen Schlinge verfangen. Mathis muss mit seinem Tagwerk sehr zufrieden sein – fünf unserer Gegner wurden in vierundzwanzig Stunden neutralisiert.« Dann erzählte er ihr, wie sie die Muntzens überlistet hatten.

»Übrigens«, fragte er, »wie sind Sie eigentlich in die Angelegenheit verwickelt worden? Zu welcher Abteilung gehören Sie?«

»Ich bin die persönliche Assistentin des Leiters von S«, sagte Vesper. »Da er sich den Plan ausgedacht hat, wollte er, dass seine Abteilung an dem Einsatz beteiligt ist, und fragte M, ob ich gehen könnte. Es schien nur ein Kontaktauftrag zu sein, also willigte M ein, auch wenn er meinem Vorgesetzten sagte, dass Sie wütend darüber sein würden, dass man Ihnen eine Frau zur Seite stellt.« Sie wartete, aber als Bond nichts erwiderte, fuhr sie fort: »Ich sollte Mathis in Paris treffen und mit ihm herkommen. Ich habe eine Freundin, die eine vendeuse bei Dior ist und es irgendwie geschafft hat, mir dieses Kleid und das von heute Morgen zu leihen. Ansonsten hätte ich wohl kaum mit all diesen Leuten mithalten können.« Sie deutete in den Speisesaal.

»Im Büro waren alle sehr neidisch auf mich, auch wenn sie nicht wussten, um was für einen Auftrag es sich genau handelt. Sie hatten nur gehört, dass ich mit einem Doppelnullagenten zusammenarbeiten darf. Sie sind natürlich unsere Helden. Ich war entzückt.«

Bond runzelte die Stirn. »Es ist nicht schwer, eine Doppelnull zu bekommen, wenn man bereit ist, Menschen zu töten«, sagte er. »Mehr steckt nicht dahinter. Es ist nichts, worauf man besonders stolz sein kann. Ich habe diesen Status den Leichen eines japanischen Chiffrierexperten in New York und eines norwegischen Doppelagenten in Stockholm zu verdanken. Wahrscheinlich waren sie ganz anständige Leute. Sie gerieten lediglich ins Minenfeld der Welt, wie dieser Jugoslawe, den Tito kaltgemacht hat. Es ist ein verwirrendes Geschäft, aber wenn man sich diesen Job nun einmal ausgesucht hat, tut man, was einem gesagt wird. Wie schmeckt Ihnen das geriebene Ei zum Kaviar?«

»Es ist eine wunderbare Kombination«, sagte sie. »Ich liebe dieses Essen. Es ist wirklich eine Schande, dass …« Ein kalter Blick von Bond warnte sie, weiterzusprechen.

»Ohne den Auftrag wären wir gar nicht hier«, sagte er.

Plötzlich bedauerte er die Intimität ihres gemeinsamen Abendessens und ihrer Gespräche. Er hatte das Gefühl, zu viel gesagt zu haben, und dass das, was zuvor nur eine Arbeitsbeziehung gewesen war, nun durcheinandergeraten war.

»Wir sollten darüber sprechen, was getan werden muss«, sagte er sachlich. »Ich werde Ihnen erklären, was ich vorhabe und wie Sie mir dabei helfen können. Was, wie ich befürchte, nicht sehr viel sein wird«, fügte er hinzu.

»Das sind also die grundlegenden Fakten.« Und er begann, den Plan zu erläutern und die zahlreichen Eventualitäten aufzuzählen, denen sie sich gegenübersahen.

Der maître d’hôtel wies das Auftragen des zweiten Gangs an, und während sie die köstlichen Gerichte verspeisten, fuhr Bond fort.

Sie hörte ihm emotionslos, aber aufmerksam zu. Sein scharfer Tonfall hatte sie verunsichert, und sie ärgerte sich darüber, der Warnung des Leiters von S nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt zu haben.

»Er ist ein äußerst zweckorientierter Mann«, hatte ihr Vorgesetzter gesagt, als er ihr den Auftrag zugeteilt hatte. »Glauben Sie bloß nicht, dass dieser Einsatz Spaß machen wird. Er denkt an nichts anderes als an seine Mission. Und währenddessen ist es die Hölle, für ihn zu arbeiten. Aber er ist ein Experte, und von denen gibt es nicht viele, also werden Sie nicht Ihre Zeit verschwenden. Ich glaube nicht, dass er viel Herz hat. Wie auch immer, viel Glück und passen Sie auf sich auf.«

All dies hatte für sie so etwas wie eine Herausforderung dargestellt. Und als sie intuitiv gespürt hatte, dass er sie attraktiv und interessant fand, hatte ihr das eine gewisse Befriedigung verschafft. Doch dann hatte er sich aufgrund einer beiläufigen Bemerkung, dass sie sich miteinander amüsierten, in Eis verwandelt und brutal zurückgezogen, als ob Wärme Gift für ihn wäre. Im ersten Moment war sie gekränkt gewesen und war sich wie eine Idiotin vorgekommen. Doch dann hatte sie innerlich mit den Schultern gezuckt und sich mit aller Aufmerksamkeit auf das konzentriert, was er sagte. Sie würde den gleichen Fehler kein zweites Mal begehen.

»… und unsere größte Hoffnung besteht darin, dass ich eine Glücks- oder er eine Pechsträhne hat.«

Bond erklärte ihr, wie Baccara gespielt wurde.

»Im Grunde unterscheidet es sich nicht großartig von anderen Glücksspielen. Die Chancen der Bank und des Spielers sind mehr oder weniger gleich. Nur eine Glückssträhne eines Beteiligten kann die Entscheidung bringen und ‚sprengt die Bank‘, oder ruiniert den Spieler.

Wir wissen, dass Le Chiffre heute Abend den Baccaratisch vom ägyptischen Syndikat gekauft hat, das hier die Tische mit den hohen Einsätzen betreibt. Er hat eine Million Franc dafür bezahlt, womit sich sein Kapital auf vierundzwanzig Millionen reduziert hat. Ich habe etwa den gleichen Betrag. Ich nehme an, dass es zehn Spieler geben wird, und wir sitzen um den Bankhalter herum an einem nierenförmigen Tisch.

Im Allgemeinen ist dieser Tisch in zwei Tableaus aufgeteilt. Der Bankhalter spielt zwei Spiele, eines gegen jedes der Tableaus rechts und links von ihm. In diesem Spiel sollte der Bankhalter in der Lage sein, zu gewinnen, indem er ein Tableau gegen das andere ausspielt. Aber es sind noch nicht genügend Baccaraspieler in Royale eingetroffen, und so wird Le Chiffre sein Glück gegen die Spieler an einem einzelnen Tableau versuchen. Das ist ungewöhnlich, weil die Chancen für den Bankhalter in diesem Fall schlechter sind, allerdings stehen sie leicht zu seinen Gunsten, und natürlich kontrolliert er die Einsätze.

Der Bankhalter sitzt also in der Mitte, ihm gegenüber ein Croupier, um die Karten auszugeben und den Betrag jedes Bancos anzusagen, und ein chef de partie, der das ganze Spiel überwacht. Ich werde versuchen, Le Chiffre so direkt wie möglich gegenüberzusitzen. Vor ihm wird ein Kartenschlitten mit sechs gut durchgemischten Paketen stehen. Es besteht absolut keine Möglichkeit, sich an dem Schlitten zu schaffen zu machen. Die Karten werden vom Croupier erneut gemischt, von einem der Spieler geschnitten und gut sichtbar in den Schlitten zurückgelegt. Wir haben die Mitarbeiter überprüft, und sie sind alle in Ordnung. Es wäre nützlich, aber fast unmöglich, alle Karten zu markieren, und es würde bedeuten, zumindest den Croupier einweihen zu müssen. Doch wir werden auch diese Option im Auge behalten.«

Bond trank einen Schluck Champagner und fuhr fort. »Während des Spiels passiert nun Folgendes: Der Bankhalter verkündet ein Eröffnungsbanco von fünfhunderttausend Franc, was etwa fünfhundert Pfund entspricht. Jeder Platz ist durchnummeriert, und der Spieler neben dem Bankhalter, oder Nummer 1, kann diesen Einsatz akzeptieren und sein Geld auf den Tisch legen, oder passen, wenn es zu hoch für ihn ist oder er es nicht annehmen will. Dann hat Nummer 2 das Recht, das Banco anzunehmen, und wenn er ablehnt, geht es an Nummer 3, und so weiter, einmal um den Tisch. Wenn kein einziger Spieler es annehmen will, wird der Einsatz dem Tisch als Ganzes angeboten und jeder steuert etwas bei, manchmal sogar einschließlich der Zuschauer um den Tisch, bis die fünfhunderttausend zusammengekommen sind.

Das ist nur ein kleiner Einsatz, der sofort angenommen werden würde, aber wenn es zu einer Million oder mehr kommt, ist es oft schwierig, einen Spieler oder sogar eine Gruppe von Spielern zu finden, die den Einsatz annehmen. Ich werde zuerst versuchen, den Einsatz stets zu akzeptieren – genau genommen werde ich Le Chiffres Banco angreifen, wann immer ich die Gelegenheit dazu bekomme, bis ich entweder ihn oder er mich rausgeworfen hat. Es wird wahrscheinlich ziemlich lange dauern, aber am Ende muss einer den anderen besiegen, ohne Rücksicht auf die anderen Spieler am Tisch. Auch wenn sie ihn natürlich in der Zwischenzeit reicher oder ärmer machen können.

Da er der Bankhalter ist, hat er einen leichten Vorteil im Spiel. Doch da er genau weiß, dass ich es auf ihn abgesehen habe, aber hoffentlich mein Kapital nicht kennt, wird ihn das bestimmt ziemlich nervös machen. Also hoffe ich, dass wir ungefähr auf gleicher Augenhöhe beginnen.«

Er machte eine Pause, als die Erdbeeren und die Avocado kamen.

Eine Weile aßen sie schweigend ihren Nachtisch, und als der Kaffee serviert wurde, sprachen sie von anderen Dingen. Sie rauchten. Keiner von beiden trank einen Brandy oder Likör. Schließlich fand Bond, dass es an der Zeit war, die eigentlichen Grundlagen des Spiels zu erklären.

»Im Prinzip ist es ganz einfach«, sagte er, »und Sie werden es sofort verstehen, wenn Sie schon mal Siebzehnundvier gespielt haben, wo das Ziel darin besteht, Karten vom Bankhalter zu bekommen, die in ihrer Summe näher an die Zahl einundzwanzig herankommen als seine. In diesem Spiel bekomme ich zwei Karten und der Bankhalter ebenfalls. Sofern keiner von uns beiden direkt gewinnt, können wir uns eine weitere Karte geben lassen. Ziel des Spiels ist es, zwei oder drei Karten zu haben, die zusammen neun Punkte ergeben, oder so nah an neun herankommen wie möglich. Bildkarten und Zehnen zählen null, Asse einen Punkt, jede andere Karte entspricht ihrem Nennwert. Es zählt immer nur die letzte Ziffer der Punktzahl. Daher ergibt beispielsweise neun plus sieben nicht sechzehn, sondern sechs.«

Vesper hörte aufmerksam zu, aber sie beobachtete auch den Ausdruck abstrakter Leidenschaft in Bonds Gesicht.

»Wenn der Bankhalter mir also meine zwei Karten austeilt«, fuhr Bond fort, »und sie zusammen acht oder neun ergeben, nennt man das ein ‚Naturel‘ und ich decke sie auf und gewinne, es sei denn, er hat ein gleiches oder besseres Naturel. Wenn ich kein Naturel habe, kann ich bei einer Sechs oder Sieben bleiben und bei einer Fünf um eine weitere Karte bitten oder auch nicht. Bei einer Punktzahl, die niedriger als fünf ist, werde ich auf jeden Fall um eine weitere Karte bitten. Fünf ist der Wendepunkt des Spiels. Die Chancen, seine Hand bei einem Punktestand von fünf durch eine weitere Karte zu verbessern oder zu verschlechtern, stehen genau gleich.

Erst wenn ich um eine Karte bitte oder auf meine klopfe, um anzuzeigen, dass ich bei dem bleibe, was ich habe, kann der Bankhalter seine ansehen. Wenn er ein Naturel hat, deckt er sie auf und gewinnt. Anderenfalls ist er mit dem gleichen Problem konfrontiert wie ich. Aber ihm wird bei seiner Entscheidung, ob er eine dritte Karte ziehen soll, von meinen Aktionen geholfen. Wenn ich dabei geblieben bin, kann er davon ausgehen, dass ich eine Fünf, Sechs oder Sieben habe. Wenn ich mir eine weitere Karte habe geben lassen, weiß er, dass ich etwas Niedrigeres als sechs hatte und meine Hand mit der zusätzlichen Karte nun verbessert oder verschlechtert habe. Und diese Karte wurde mir offen ausgeteilt. Ihr Nennwert und seine Kenntnis der Chancen verraten ihm, ob er noch eine Karte nehmen oder bei seinen beiden bleiben soll.

Er ist mir gegenüber also im Vorteil, da er diese kleine Entscheidungshilfe hat, ob er ziehen oder bei seiner ursprünglichen Summe bleiben soll. Aber es gibt bei diesem Spiel immer eine Problemkarte – was soll man bei einer Fünf tun, und was macht der Gegner damit? Einige Spieler lassen sich immer eine dritte Karte geben, andere bleiben immer bei zweien. Ich folge meiner Intuition.

Aber letztendlich«, sagte Bond, drückte seine Zigarette aus und bat um die Rechnung, »zählen nur die natürlichen Achten und Neunen, und ich muss hoffen, dass ich mehr davon bekomme als er.«

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