SCHWARZER HASE UND GRAUER JAGDHUND

Es war die denkbar schlechteste Fälschung.

Bond sprang in seinen Bentley und dankte der Eingebung, die ihn dazu gebracht hatte, den Wagen nach dem Essen herzufahren. Mit voll gezogenem Choke reagierte der Motor sofort auf den Anlasser, und das Dröhnen übertönte die zögernden Worte des Hotelportiers, der zur Seite sprang, als die Hinterräder Kies gegen seine Hosenbeine schleuderten.

Als der Wagen vor den Toren nach links abbog, sehnte sich Bond reumütig nach dem Frontantrieb und dem niedrigen Fahrgestell des Citroën. Dann schaltete er sich schnell durch die Gänge und bereitete sich auf die Verfolgung vor, indem er kurz das Echo des großen Auspuffs würdigte, das von beiden Seiten der kurzen Hauptstraße durch die Stadt zu ihm zurückhallte.

Bald war er draußen auf der Küstenstraße. Es handelte sich um eine breite Landstraße, die durch die Sanddünen führte und – wie er von seiner morgendlichen Spazierfahrt wusste – eine ausgezeichnete Oberfläche besaß sowie in den Kurven mit Retroreflektoren ausgestattet war. Er brachte den Wagen auf Touren, bis er hundertdreißig und schließlich über hundertvierzig fuhr. Seine riesigen Marchal-Scheinwerfer schufen in der nächtlichen Dunkelheit einen sicheren weißen Lichttunnel von fast einem Kilometer Länge.

Er wusste, dass der Citroën hier entlanggefahren sein musste. Er hatte den Knall des Auspuffs durch die Stadt gehört, und in den Kurven hing immer noch ein wenig Staub. Er hoffte, bald die fernen Schlitze seiner Scheinwerfer zu sehen. Die Nacht war nach wie vor still und klar. Lediglich draußen über dem Meer musste ein leichter Sommerdunst hängen, denn in regelmäßigen Abständen hörte er die Nebelhörner wie eisernes Vieh unten an der Küste brüllen.

Während er den Wagen immer schneller durch die Nacht peitschte, verfluchte er in Gedanken Vesper – und M – dafür, dass sie auf diesen Auftrag geschickt worden war.

Genau davor hatte er Angst gehabt. Diese geschwätzigen Frauen, die dachten, sie könnten die Arbeit eines Mannes erledigen. Warum zum Teufel konnten sie nicht einfach zu Hause bleiben, sich um ihre Töpfe und Pfannen kümmern, sich mit ihren Kleidern und ihrem Tratsch beschäftigen und die Männerarbeit den Männern überlassen? Und zu allem Überfluss musste ihm das auch noch ausgerechnet jetzt passieren, nachdem der Auftrag so wunderbar gelaufen war. Vesper hatte ja unbedingt auf diesen uralten Trick reinfallen und sich entführen lassen müssen, sodass sie gegen Lösegeld festgehalten werden konnte wie eine verdammte Hauptfigur in einem Comicstrip. Diese dämliche Kuh.

Bond kochte bei dem Gedanken an die Zwickmühle, in der er sich befand.

Natürlich. Es ging um ein einfaches Tauschgeschäft. Die Frau gegen seinen Scheck über vierzig Millionen. Tja, da würde er nicht mitspielen. Er dachte gar nicht daran. Sie war beim Geheimdienst und wusste, womit sie es zu tun hatte. Er würde M gar nicht erst fragen. Dieser Auftrag war wichtiger als sie. Zu dumm. Sie war ein hübsches Mädchen, aber er würde nicht auf diesen kindischen Trick hereinfallen. Keine Spielchen. Er würde versuchen, den Citroën einzuholen und die Sache mit einer Schießerei zu klären. Und wenn sie dabei getroffen wurde, dann war das eben Pech. Er würde alles in seiner Macht Stehende tun – würde versuchen, sie zu retten, bevor sie sie in ein Versteck bringen konnten –, aber wenn er sie nicht einholen konnte, würde er zu seinem Hotel zurückkehren, ins Bett gehen und kein Wort mehr darüber verlieren. Am nächsten Morgen würde er Mathis fragen, was mit ihr geschehen war und ihm die Notiz zeigen. Falls Le Chiffre versuchen wollte, Bond dazu zu bringen, ihm das Geld im Austausch für das Mädchen zu geben, würde Bond nichts tun und niemandem davon erzählen. Das Mädchen würde einfach damit klarkommen müssen. Falls der Hotelportier jemandem erzählen würde, was er gesehen hatte, würde Bond einfach behaupten, er sei betrunken gewesen und hätte sich mit dem Mädchen gestritten.

Bonds Verstand kämpfte weiter mit dem Problem, während er das große Auto über die Küstenstraße steuerte, automatisch die Kurven nahm und nach Pferdewagen und Radfahrern Ausschau hielt, die auf dem Weg nach Royale waren. Auf geraden Streckenabschnitten trieb der Amherst-Villiers-Kompressor seine Sporen in die fünfundzwanzig Pferdestärken des Bentleys, und der Motor stieß einen hohen Schmerzensschrei in die Nacht hinaus. Dann erhöhte sich die Drehzahl, bis er die hundertachtziger Marke auf dem Tachometer überschritten hatte und sich der Hundertneunzig näherte.

Er wusste, er würde schnell aufholen. So schwer beladen wie der Citroën war, konnte er selbst auf dieser Straße kaum schneller als hundertdreißig fahren. Aus einer Eingebung heraus verlangsamte er auf hundertzehn, schaltete seine Nebelscheinwerfer ein und seine Scheinwerfer aus. Ohne dieses blendende Licht konnte er die Rückleuchten eines anderen Wagens sehen, der sich etwa drei Kilometer vor ihm befand.

Er tastete unter dem Armaturenbrett herum und zog einen langläufigen .45 Colt Army Special aus einem verborgenen Holster. Wenn er Glück hatte und die Straßenoberfläche mitspielte, konnte er damit vielleicht ihre Reifen oder ihren Benzintank erwischen, sobald er mindestens bis auf neunzig Meter an sie heran war.

Dann schaltete er die großen Scheinwerfer wieder ein und trat aufs Gas, um die Verfolgung wiederaufzunehmen. Er fühlte sich ruhig und entspannt. Das Problem mit Vesper war kein Problem mehr. Sein Gesicht wirkte im blauen Schimmer des Armaturenbretts hart und gelassen.

In dem Citroën saßen drei Männer und eine Frau.

Le Chiffre fuhr, sein großer geschmeidiger Körper war nach vorne gebeugt, seine Hände lagen leicht und grazil auf dem Steuer. Neben ihm saß der gedrungene Mann, der im Casino den Stock bei sich gehabt hatte. Mit der linken Hand hielt er einen dicken Hebel umklammert, der fast auf einer Ebene mit dem Boden verlief. Es mochte sich um einen Hebel handeln, um den Fahrersitz zu verstellen.

Auf dem Rücksitz befand sich der große, dünne Bewaffnete. Er hatte sich entspannt zurückgelehnt und starrte an die Decke, als würde ihn die extreme Geschwindigkeit des Wagens nicht interessieren. Seine rechte Hand lag zärtlich auf Vespers linkem Oberschenkel, der nackt neben ihm ausgestreckt war.

Abgesehen von ihren bis zur Hüfte nackten Beinen war Vesper ein verschnürtes Paket. Ihr langes schwarzes Samtkleid war ihr über die Arme und den Kopf gezogen und oben mit einem Seil zusammengebunden worden. Vor ihrem Gesicht hatte man ein kleines Loch in den Stoff gerissen, damit sie atmen konnte. Auf andere Weise war sie nicht gefesselt. Sie regte sich nicht, und ihr Körper schaukelte träge mit den Bewegungen des Wagens hin und her.

Le Chiffre konzentrierte sich halb auf die vor ihm liegende Straße und halb auf das näherkommende Strahlen von Bonds Scheinwerfern im Rückspiegel. Er schien nicht beunruhigt zu sein, als zwischen dem Hasen und dem Jagdhund nur noch gut ein Kilometer lag, und verlangsamte die Geschwindigkeit sogar von hundertdreißig auf hundert Kilometer die Stunde. Als er um eine Kurve bog, fuhr er noch langsamer. Ein paar Hundert Meter vor ihm wies ein Straßenschild darauf hin, dass dort ein kleiner Feldweg die Landstraße kreuzte.

»Attention«, sagte er scharf zu dem Mann neben sich.

Der Mann verstärkte seinen Griff um den Hebel.

Als sie noch neunzig Meter von der Kreuzung entfernt waren, verlangsamte er auf knapp fünfzig Stundenkilometer. Im Rückspiegel beleuchteten Bonds große Scheinwerfer die Kurve.

Le Chiffre schien eine Entscheidung zu fällen.

»Allez

Der Mann neben ihm zog den Hebel ruckartig nach oben. Der Kofferraum des Wagens öffnete sich wie das Maul eines Wals. Ein klimperndes Geräusch erklang auf der Straße und dann ein rhythmisches Scheppern, als würde das Auto eine Reihe Ketten hinter sich herziehen.

»Coupez

Der Mann drückte den Hebel wieder nach unten, und das Scheppern endete mit einem letzten Poltern.

Le Chiffre warf erneut einen Blick in den Rückspiegel. Bonds Wagen kam gerade um die Kurve herum. Le Chiffre riss das Steuer herum und bog mit dem Citroën scharf nach links auf die Seitenstraße ab, während er gleichzeitig die Scheinwerfer ausschaltete.

Er brachte den Wagen abrupt zum Stehen, und alle drei Männer stiegen schnell aus und gingen hinter einer niedrigen Hecke neben der Kreuzung in Deckung, die nun von den Scheinwerfern des Bentleys hell erleuchtet wurde. Jeder von ihnen trug einen Revolver bei sich, und der dünne Mann hatte außerdem etwas in der Hand, das wie ein großes schwarzes Ei aussah.

Der Bentley kam auf sie zugeschossen wie ein Eilzug.

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