DAS GROSSE SPIEL
Während Bond das Spiel erklärte, hatten seine Augen zu leuchten begonnen. Die Aussicht, Le Chiffre zu Leibe rücken zu können, stimulierte ihn und beschleunigte seinen Puls. Er schien die kurzzeitige Kälte zwischen ihnen vollkommen vergessen zu haben. Vesper war erleichtert und ließ sich von seiner Begeisterung anstecken.
Er beglich die Rechnung und gab dem Sommelier ein großzügiges Trinkgeld. Vesper erhob sich und ging vor, hinaus aus dem Restaurant und zu den Eingangsstufen des Hotels.
Der große Bentley wartete bereits. Bond fuhr Vesper zum Casino und parkte so nah wie möglich am Eingang. Während sie die opulent eingerichteten Vorzimmer durchquerten, sprach er kaum ein Wort. Als sie ihn ansah, bemerkte sie, dass seine Nasenflügel leicht bebten. In jeder anderen Hinsicht wirkte er vollkommen gelassen und erwiderte heiter die Grüße der Casinoangestellten. An der Tür zum salle privée wurden sie nicht um ihre Mitgliedskarte gebeten. Bonds kompromissloses Spiel hatte ihn bereits zu einem bevorzugten Gast gemacht, und dieser Ruhm strahlte auf seine Begleiterin ab.
Sie hatten den Raum kaum betreten, als Felix Leiter von einem der Roulettetische zu ihnen herüberkam und Bond wie einen alten Freund begrüßte. Nachdem er mit Vesper Lynd bekannt gemacht worden war und mit ihr ein paar Nettigkeiten ausgetauscht hatte, sagte Leiter zu Bond: »Da Sie heute Abend Baccara spielen, gestatten Sie mir, Miss Lynd zu zeigen, wie man beim Roulette die Bank sprengt? Ich habe drei Glückszahlen, die mit Sicherheit schon bald drankommen werden, und ich nehme an, Miss Lynd hat ebenfalls welche. Und später, wenn das Spiel richtig angelaufen ist, könnten wir an den Tisch kommen und Ihnen zusehen.«
Bond sah Vesper fragend an.
»Sehr gerne«, sagte sie, »aber nur, wenn Sie mir eine Ihrer eigenen Glückszahlen geben, damit ich mit dieser spielen kann.«
»Ich habe keine Glückszahlen«, erwiderte Bond ohne ein Lächeln. »Ich setze nur auf gleichwertige Chancen, oder so nah daran, wie es geht. Nun, ich verlasse Sie dann jetzt.« Er entschuldigte sich. »Sie sind bei meinem Freund Felix Leiter in guten Händen.« Er warf beiden ein flüchtiges Lächeln zu, und schlenderte zur caisse.
Leiter spürte ihre Kränkung.
»Er ist ein sehr ernsthafter Spieler, Miss Lynd«, sagte er. »Und ich schätze, das muss er auch sein. Kommen Sie einfach mit mir und sehen Sie zu, wie die Nummer 17 meiner übersinnlichen Gedankensteuerung gehorcht.
Ich denke, Sie werden es nicht allzu unangenehm finden, einfach so jede Menge Geld zugeschoben zu bekommen.«
Bond war erleichtert, wieder allein und in der Lage zu sein, sich ausschließlich auf die bevorstehende Aufgabe konzentrieren zu können. Er stand an der caisse und bekam gegen die Quittung, die ihm nachmittags ausgestellt worden war, seine vierundzwanzig Millionen Franc wieder. Er teilte die Scheine in zwei gleiche Stapel und steckte die eine Hälfte des Geldes in seine rechte Jacketttasche, die andere in die linke. Dann schlenderte er gemächlich zwischen den vollbesetzten Tischen hindurch, bis er am Ende des Saals angekommen war, wo hinter einem Messinggeländer der breite Baccaratisch wartete.
Der Tisch füllte sich allmählich, und die Karten wurden verdeckt auf dem Tisch durcheinandergeschoben, eine der effektivsten Methoden, um Kartensets zu mischen und Manipulationen zu vermeiden.
Der chef de partie hob die mit Samt überzogene Kette am Geländer an und gewährte ihm Einlass.
»Ich habe Nummer 6 für Sie reserviert, wie Sie es wünschten, Monsieur Bond.«
Drei Plätze waren immer noch unbesetzt. Bond ging zum Tisch, wo ihm ein huissier einen Stuhl zurechtrückte. Er nickte seinen Mitspielern zu und nahm Platz. Dann zog er sein Zigarettenetui und sein Feuerzeug heraus und legte sie neben seinen rechten Ellbogen auf den grünen Filz. Der huissier wischte einen dicken Glasaschenbecher aus und stellte ihn dazu. Bond zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
Der Platz des Bankhalters ihm gegenüber war unbesetzt. Er sah sich am Tisch um. Er kannte die meisten Spieler vom Sehen, doch nur wenige mit Namen. Auf Nummer 7, zu seiner Rechten, saß ein Monsieur Sixte, ein reicher Belgier mit Beteiligungen am Metallhandel im Kongo. Auf Nummer 9 befand sich Lord Danvers, ein distinguierter, aber schwächlich aussehender Mann, dessen Vermögen vermutlich von seiner reichen amerikanischen Gattin stammte. Es handelte sich um eine Frau mittleren Alters, deren raubtierhafter Mund an einen Barrakuda erinnerte und die auf Platz Nummer 3 saß. Bond nahm an, dass ihr Spiel gerissen, aber nervös war, und dass sie unter den ersten sein würde, die ausschieden. Auf Nummer 1, zur Rechten des Bankhalters, befand sich ein bekannter griechischer Spieler, der eine profitable Reederei besaß, wie Bonds Erfahrung nach offenbar jeder im östlichen Mittelmeerraum. Er würde gelassen und gut spielen und weiterkommen.
Bond bat den huissier um einen Zettel und schrieb unter ein Fragezeichen die verbleibenden Zahlen 2, 4, 5, 8 und 10.
Schnell kam der Zettel mit den ausgefüllten Namen zurück.
Nummer 2 würde von Carmel Delane besetzt werden. Sie war ein amerikanischer Filmstar und hatte die Alimente dreier Exmänner zu verheizen, und Bond nahm an, dass noch mehr Geld von ihrem derzeitigen Begleiter hier in Royale dazukommen würde. Mit ihrem lebhaften Temperament würde sie unbekümmert und voller Elan spielen und vielleicht eine Glückssträhne haben.
Dann kam Lady Danvers auf Nummer 3. Nummer 4 und 5 waren Mr und Mrs Du Pont. Sie wirkten reich und hatten möglicherweise das echte Geld der Du Ponts im Rücken. Bond war recht froh, sie neben sich zu haben – Mrs Du Pont saß auf Nummer 5 –, und er war darauf vorbereitet, mit ihnen oder Monsieur Sixte zu seiner Rechten zusammenzulegen, wenn sie sich einer zu großen Banksumme gegenübersehen sollten.
Auf Nummer 8 saß der Maharadscha eines kleinen indischen Staates, der hier wahrscheinlich seine gesamten Reserven aus der Zeit des Sterlingblocks als Spielkapital einsetzte. Bonds Erfahrung nach waren nur wenige Asiaten beherzte Spieler. Selbst die vielgepriesenen Chinesen neigten dazu, den Mut zu verlieren, wenn es schlecht lief. Aber der Maharadscha würde wahrscheinlich im Spiel bleiben und ein paar schwere Verluste hinnehmen, solange sie nur nach und nach kamen.
Nummer 10 war Signor Tomelli, ein wohlhabend aussehender junger Italiener, dessen Reichtum wahrscheinlich von Wuchermieten in Mailand stammte. Bond nahm an, dass er überstürzt und unklug spielen würde. Vielleicht würde er sogar die Beherrschung verlieren und eine Szene machen.
Bond hatte seine grobe Zusammenfassung der Spieler gerade beendet, als Le Chiffre mit den stillen und sparsamen Bewegungen eines großen Fisches durch die Öffnung im Geländer trat. Er schenkte den Anwesenden am Tisch ein kaltes Lächeln, und setzte sich direkt gegenüber von Bond auf den Platz des Bankhalters.
Mit dem gleichen sparsamen Einsatz von Bewegung schnitt er den Kartenstapel, den der Croupier auf den Tisch gelegt hatte, zwischen seinen schmalen, entspannten Händen. Dann, als der Croupier die sechs Pakete mit einer flüssigen Bewegung in den Kartenschlitten aus Holz und Metall gepackt hatte, flüsterte ihm Le Chiffre etwas zu.
»Messieurs, mesdames, les jeux sont faits. Un banco de cinq cent mille«, und als der Grieche auf Nummer 1 vor seinem fetten Stapel Hunderttausender-Jetons auf den Tisch klopfte, »Le Banco est fait.«
Le Chiffre beugte sich über den Schlitten und stieß kurz dagegen, um die Karten auszurichten. Und schon zeigte die erste ihre blassrosa Zunge im geneigten Mund des Schlittens. Dann zog er die Karte sanft mit einem dicken weißen Zeigefinger heraus und schob sie dem Griechen zu seiner Rechten zu. Danach zog er eine Karte für sich selbst heraus, gefolgt von einer weiteren für den Griechen und noch einer für sich.
Schließlich saß er regungslos da, ohne seine Karten zu berühren.
Er sah den Griechen an.
Mit dem Palette genannten flachen Holzschieber hob der Croupier die beiden Karten des Griechen an und beförderte sie mit einer schnellen Bewegung nach rechts, sodass sie genau vor den blassen, haarigen Händen des Griechen landeten, die still wie zwei wachsame Krebse auf dem Tisch lagen.
Die beiden rosa Krebse hasteten auseinander. Der Grieche nahm die Karten mit seiner linken Hand auf und neigte den Kopf, um sich im Schatten seiner hohlen Hand den Wert der unteren Karte anzusehen. Dann schob er mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand die untere Karte leicht beiseite, um auch den Wert der oberen Karte erkennen zu können.
Sein Gesichtsausdruck war teilnahmslos. Er legte seine linke Hand wieder flach auf den Tisch und zog sie dann zurück. Seine beiden Karten blieben verdeckt vor ihm liegen und hatten nur ihm ihr Geheimnis preisgegeben.
Er hob den Kopf und blickte Le Chiffre in die Augen.
»Non«, sagte der Grieche mit flacher Stimme.
Mit seiner Entscheidung, bei seinen zwei Karten zu bleiben und keine weitere zu verlangen, hatte der Grieche deutlich gemacht, dass er eine Fünf, Sechs oder Sieben hatte. Um zu gewinnen, musste der Bankhalter nun eine Acht oder Neun aufdecken. Wenn der Bankhalter keines von beiden vorzuweisen hatte, durfte er ebenfalls eine weitere Karte nehmen, die seine Punktzahl verbessern oder verschlechtern konnte.
Le Chiffre hatte seine Hände vor sich gefaltet, seine zwei Karten lagen etwa acht Zentimeter entfernt. Mit der rechten Hand nahm er die beiden Karten auf und drehte sie mit einem leisen schnappenden Geräusch um.
Es waren eine Vier und eine Fünf, eine unschlagbare natürliche Neun.
Er hatte gewonnen.
»Neuf à la banque«, sagte der Croupier in ruhigem Tonfall. Mit der Palette drehte er die beiden Karten des Griechen um. »Et le sept«, fügte er emotionslos hinzu. Dann beförderte er die Sieben und die Dame durch den breiten Schlitz im Tisch, der sich in der Nähe seines Platzes befand. Dieser führte zu einem verplombten Metallbehälter, in dem alle toten Karten landeten. Le Chiffres zwei Karten folgten ihnen mit einem Klappern, das zu Anfang jedes Spiels aus dem Kanister kam, bevor die abgelegten Karten auf dem Boden ihres Kerkers eine Decke gebildet hatten.
Der Grieche schob fünf Jetons zu jeweils hunderttausend vor, und der Croupier fügte sie Le Chiffres Jetons im Wert einer halben Million hinzu, die in der Mitte des Tisches lagen. Normalerweise zweigt das Casino von jedem Einsatz einen kleinen Teil ab, die cagnotte, aber während eines großen Spiels ist es üblich, dass der Bankhalter dies selbst übernimmt, entweder als vorher ausgemachte Summe oder als Abgabe am Ende jeder Hand, sodass der Betrag des Anteils für die Bank ständig variiert. Le Chiffre hatte sich für die zweite Variante entschieden.
Der Croupier schob ein paar Spielmarken durch einen anderen Schlitz im Tisch, der die cagnotte enthielt, und verkündete leise:
»Un banco d’un million.«
»Suivi«, murmelte der Grieche, womit er sein Recht geltend machte, erneut Banco zu spielen.
Bond steckte sich eine Zigarette an und machte es sich auf seinem Platz gemütlich. Das lange Spiel hatte begonnen, und die Abfolge dieser Gesten sowie die Wiederholung dieser zurückhaltenden Litanei würden weitergehen, bis das Ende kam und sich die Spieler zerstreuten. Dann würde man die Karten verbrennen oder auf andere Weise unbrauchbar machen, ein Tuch über dem Tisch ausbreiten, und der grasgrüne Filz des Schlachtfelds würde das Blut seiner Opfer aufsaugen und sich daran laben.
Nachdem er eine dritte Karte genommen hatte, konnte der Grieche der Sieben des Bankhalters nicht mehr als eine Vier entgegensetzen.
»Un banco de deux millions«, sagte der Croupier.
Die Spieler links von Bond blieben stumm.
»Banco«, sagte Bond.