GEZEITEN DER LEIDENSCHAFT
Sie unterhielten sich auf der Schwelle von Vespers Zimmer. Nachdem der Gastwirt gegangen war, hatte Bond sie hineingeschoben und die Tür geschlossen. Dann hatte er seine Hände auf ihre Schultern gelegt und sie auf beide Wangen geküsst.
»Das hier ist himmlisch«, sagte er.
Dann bemerkte er, dass ihre Augen leuchteten. Sie hob die Hände und legte sie auf seine Unterarme. Er trat näher an sie heran und ließ seine Arme um ihre Taille gleiten. Sie neigte den Kopf nach hinten, und ihr Mund öffnete sich unter seinem.
»Mein Liebling«, sagte er. Er drückte seine Lippen auf ihre, zwang ihre Zähne mit seiner Zunge auseinander und spürte, wie ihre sich zuerst zögerlich und dann immer leidenschaftlicher bewegte. Er ließ seine Hände über ihren Hintern gleiten, griff fest zu und presste ihre Körper in der Mitte zusammen. Keuchend zog sie ihren Mund von seinem, und sie klammerten sich aneinander, während er seine Wange an ihrer rieb und spürte, wie sich ihre festen Brüste gegen seinen Körper drückten. Dann hob er einen Arm, ergriff ihr Haar und zog ihren Kopf zurück, sodass er sie wieder küssen konnte. Sie schob ihn von sich und sank erschöpft aufs Bett. Einen Augenblick lang sahen sie einander hungrig an.
»Es tut mir leid, Vesper«, sagte er. »Das wollte ich nicht.«
Sie schüttelte nur den Kopf, stumm durch den emotionalen Sturm, der gerade durch sie hindurch gefegt war.
Er setzte sich neben sie, und sie sahen sich mit beständiger Zärtlichkeit an, während die Wellen der Leidenschaft in ihren Adern verebbten.
Sie lehnte sich zu ihm hinüber und küsste ihn auf den Mundwinkel. Dann strich sie die schwarze Haarsträhne aus seiner Stirn.
»Mein Liebling«, sagte sie. »Gib mir eine Zigarette. Ich weiß nicht, wo meine Tasche ist.« Sie sah sich flüchtig im Zimmer um.
Bond zündete ihr eine Zigarette an und steckte sie zwischen ihre Lippen. Sie sog den Rauch tief ein und ließ ihn mit einem leisen Seufzen durch ihren Mund entweichen.
Bond legte seinen Arm um sie, doch sie erhob sich und ging zum Fenster hinüber. Sie stand da und wandte ihm den Rücken zu.
Bond sah auf seine Hände und stellte fest, dass sie zitterten.
»Wir werden ein wenig Zeit brauchen, um uns fürs Abendessen fertig zu machen«, meinte Vesper, ohne sich umzudrehen. »Warum nimmst du nicht ein Bad? Ich werde für dich auspacken.«
Bond stand vom Bett auf und stellte sich ganz nah neben sie. Er schlang seine Arme um sie und legte eine Hand auf jede Brust. Sie füllten seine Hände aus, und seine Finger fühlten die harten Brustwarzen. Sie legte ihre Hände über seine und drückte sie gegen sich, doch sie schaute immer noch aus dem Fenster und sah ihn nicht an.
»Nicht jetzt«, flüsterte sie leise.
Bond beugte sich vor und vergrub seine Lippen in ihrer Halsbeuge. Für einen Moment hielt er sie fest gegen sich gedrückt, dann ließ er sie los.
»Natürlich, Vesper«, sagte er.
Er ging zur Tür und drehte sich noch einmal um. Sie hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Aus irgendeinem Grund glaubte er, dass sie weinte. Er machte einen Schritt auf sie zu und erkannte dann, dass sie sich nichts zu sagen hatten.
»Meine Liebe«, verabschiedete er sich.
Dann verließ er das Zimmer und schloss die Tür hinter sich.
Bond ging in sein Zimmer und setzte sich aufs Bett.
Er fühlte sich von der Leidenschaft, die durch seinen Körper gerauscht war, erschöpft. Er war hin- und hergerissen zwischen dem Verlangen, sich einfach der Länge nach rückwärts aufs Bett zu werfen, und der Sehnsucht, sich vom Meer abkühlen und neu beleben zu lassen. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, dann ging er zu seinem Koffer hinüber und nahm eine weiße Leinenbadehose und einen dunkelblauen Pyjama heraus.
Bond hatte Schlafanzüge schon immer gehasst und stets nackt geschlafen, bis er am Ende des Krieges in Hongkong den perfekten Kompromiss gefunden hatte. Es handelte sich um ein Pyjamaoberteil, das ihm fast bis zu den Knien reichte. Es hatte keine Knöpfe, sondern einen locker sitzenden Gürtel, der um die Taille geschlungen wurde. Die Ärmel waren weit und kurz – sie endeten knapp über den Ellbogen. Das Ergebnis war ein kühles und bequemes Schlafgewand, und als er das Oberteil nun über die Badehose anzog, wurden all seine Blutergüsse und Narben verdeckt, mit Ausnahme der dünnen weißen Streifen an seinen Hand- und Fußgelenken und der Markierung von SMERSCH auf seiner rechten Hand.
Er schlüpfte in ein Paar dunkelblaue Ledersandalen und ging die Treppe hinunter, aus dem Haus und über die Terrasse zum Strand. Als er an der Vorderseite des Hauses vorbeikam, dachte er an Vesper, doch er sah nicht nach oben, um festzustellen, ob sie immer noch am Fenster stand. Falls sie ihn sah, ließ sie es ihn nicht wissen.
Er lief über den harten goldenen Sand am Wasser entlang, bis er außer Sichtweite des Gasthauses war. Dann zog er sein Pyjamaoberteil aus, rannte los und tauchte blitzschnell in die flachen Wellen ein. Der Strand fiel schnell ab, und er blieb so lange unter Wasser, wie er konnte. Er schwamm mit kräftigen Zügen und spürte, wie ihn die sanfte Kühle vollkommen umgab. Dann tauchte er wieder auf und wischte sich das Wasser aus Gesicht und Augen. Es war fast neunzehn Uhr, und die Sonne brannte nicht mehr so heiß wie noch vor ein paar Stunden. Schon bald würde sie hinter den fernen Zufluss der Bucht sinken, doch momentan schien sie ihm direkt in die Augen. Er drehte sich auf den Rücken und schwamm von ihr weg, damit er die warmen Strahlen so lange wie möglich genießen konnte.
Als er einen guten Kilometer weiter zurück an den Strand kam, war sein Pyjama in der Ferne längst in den Schatten verschwunden, doch er wusste, dass er noch genug Zeit hatte, um sich auf den harten Sand zu legen und seinen Körper trocknen zu lassen, bevor die Dämmerung endgültig hereinbrach.
Er zog seine Badehose aus und sah an seinem Körper hinunter. Von seiner Verletzung waren nur noch ein paar Spuren zu sehen. Er zuckte mit den Schultern, legte sich mit weit ausgestreckten Gliedern flach auf den Boden, starrte in den leeren blauen Himmel hinauf und dachte an Vesper.
Seine Gefühle für sie waren durcheinander, und er hatte keine Geduld mit diesem Durcheinander. Alles war so einfach gewesen. Er hatte vorgehabt, sobald er konnte, mit ihr zu schlafen. Weil er sie begehrte und, so gestand er sich ein, auch deswegen, weil er die Genesung seines Körpers ganz pragmatisch einem Abschlusstest unterziehen wollte. Er hatte geplant, die nächsten Tage und Nächte mit ihr zu verbringen und sie danach noch eine Weile in London zu treffen. Dann wäre die unvermeidliche Trennung erfolgt, die in diesem Fall dank ihrer Stellungen beim Geheimdienst recht leicht gewesen wäre. Und wenn nicht, hätte er immer noch einen Auftrag im Ausland annehmen oder den Dienst quittieren können – worüber er nach wie vor nachdachte – und wäre in verschiedene Teile der Welt gereist, was schon immer sein Wunsch gewesen war.
Doch irgendwie hatte sie etwas an sich, das ihn nicht mehr losließ, und im Verlauf der vergangenen Wochen hatten sich seine Gefühle nach und nach verändert.
Er fand ihre Gesellschaft unkompliziert und angenehm. Sie hatte etwas Geheimnisvolles an sich, was einen beständigen Reiz auf ihn ausübte. Sie gab nur wenig von ihrer wahren Persönlichkeit preis, und er hatte das Gefühl, dass es in ihrem Inneren stets einen privaten Raum geben würde, in den er nicht eindringen konnte, egal, wie lange sie zusammen waren. Sie war fürsorglich und rücksichtsvoll, ohne sklavisch zu wirken oder etwas von ihrem hochmütigen Geist einzubüßen. Und nun wusste er, dass sie äußerst sinnlich war, doch dass die Eroberung ihres Körpers aufgrund dieser inneren Abgrenzung stets den süßen Beigeschmack der Nötigung haben würde. Sie zu lieben, würde jedes Mal eine aufregende Reise ohne die Ernüchterung der Ankunft sein. Sie würde sich ihm voller Begeisterung hingeben, dachte er, und gierig alle Intimitäten genießen, ohne je zuzulassen, von ihm in Besitz genommen zu werden.
Nackt lag Bond da und versuchte, die Schlussfolgerung zu verdrängen, die er am Himmel las. Er drehte seinen Kopf zur Seite, blickte den Strand entlang und stellte fest, dass ihn die Schatten der Landzunge fast erreicht hatten.
Er stand auf und wischte so viel Sand von seinem Körper, wie er konnte. Er dachte darüber nach, ein Bad zu nehmen, sobald er wieder in seinem Zimmer war, sammelte geistesabwesend seine Badehose ein und ging am Strand entlang zurück. Erst als er sein Pyjamaoberteil erreichte und sich vorbeugte, um es aufzuheben, wurde ihm klar, dass er immer noch nackt war. Ohne sich mit der Badehose aufzuhalten, schlüpfte er in das Oberteil und ging zum Gasthaus zurück.
In diesem Moment hatte er sich entschieden.