»MEIN LIEBER JUNGE«

Der Raum war groß, kahl und spärlich mit ein paar billigen Möbeln im französischen art nouveau-Stil eingerichtet. Es ließ sich nur schwer beurteilen, ob er als Wohn- oder Esszimmer gedacht war, denn eine wackelig wirkende Anrichte mit Spiegel, auf der eine orangefarbene Obstschale und zwei angemalte hölzerne Kerzenhalter standen, nahm den Großteil der Wand gegenüber der Tür ein und biss sich mit dem ausgeblichenen pinkfarbenen Sofa auf der anderen Seite des Raums.

Es gab keinen Tisch unter der alabasternen Deckenleuchte in der Mitte des Zimmers. Stattdessen lag dort lediglich ein schmutziger kleiner Teppich mit einem futuristischen Muster aus unterschiedlichen Brauntönen.

Vor dem Fenster stand ein nicht zum Rest der Einrichtung passender thronartiger Stuhl aus geschnitztem Eichenholz mit einem roten Samtsitzpolster. Daneben befanden sich ein niedriger Tisch mit einer leeren Wasserkaraffe und zwei Gläsern sowie ein leichter Lehnstuhl mit einer runden Sitzfläche aus Korb, auf der kein Kissen lag.

Halb geschlossene Jalousien verdeckten die Aussicht aus dem Fenster, ließen jedoch ein paar Sonnenstrahlen durch, die auf die wenigen Möbel, die bunte Tapete und die braunen, fleckigen Bodenbretter fielen.

Le Chiffre deutete auf den Korbstuhl.

»Der dürfte perfekt sein«, sagte er zu dem dritten Mann. »Bereiten Sie ihn schnell vor. Wenn er sich wehrt, verletzen Sie ihn nur geringfügig.«

Er wandte sich an Bond. Auf seinem langen Gesicht lag keinerlei Ausdruck, und seine runden Augen wirkten desinteressiert. »Ziehen Sie Ihre Kleidung aus. Jedes Mal wenn Sie sich wehren, wird Ihnen Basil einen Finger brechen. Wir meinen es ernst, und Ihr Wohlergehen ist für uns nicht von Interesse. Ob Sie leben oder sterben werden, hängt vom Ausgang der Unterhaltung ab, die wir gleich führen werden.«

Er vollführte eine Geste in Richtung des dünnen Mannes und verließ den Raum.

Die erste Handlung des dünnen Mannes war seltsam. Er klappte das Messer aus, mit dem er das Verdeck von Bonds Wagen zerschnitten hatte, schnappte sich den kleinen Lehnstuhl und schnitt mit einer schnellen Bewegung die Korbsitzfläche heraus.

Dann kam er zu Bond zurück und steckte sich das Messer mit der immer noch ausgeklappten Klinge wie einen Füllfederhalter in die Brusttasche seines Jacketts. Er drehte Bond zum Licht und befreite seine Handgelenke von dem Kabel. Dann trat er schnell einen Schritt zur Seite und hatte das Messer sofort wieder in der Hand.

»Vite

Bond rieb sich die schmerzenden Handgelenke und überlegte, wie viel Zeit er wohl schinden konnte, indem er sich widersetzte. Doch es gelang ihm nur kurz. Mit einem schnellen Schritt und einer Bewegung seiner freien Hand packte der Dünne den Kragen seines Smokings, zog ihn nach unten und zwang Bonds Arme nach hinten. Bond wollte diesem alten Polizeigriff auf traditionelle Weise entgegenwirken, indem er sich auf ein Knie sinken ließ, doch als er sich nach unten bewegte, tat der dünne Mann es ihm nach und legte gleichzeitig sein Messer auf Bonds Rücken. Bond spürte, wie die Klinge an seiner Wirbelsäule entlangfuhr. Zischend fuhr das scharfe Messer durch den Stoff, und plötzlich waren seine Arme frei und die beiden Hälften des Jacketts fielen nach vorne.

Er fluchte und stand auf. Der dünne Mann befand sich wieder auf seiner ursprünglichen Position und hielt das Messer wie zuvor entspannt und allzeit bereit in der Hand. Bond ließ die beiden Hälften seines Jacketts auf den Boden fallen.

»Allez«, sagte der dünne Mann mit einem winzigen Anflug von Ungeduld.

Bond sah ihm in die Augen und fing dann langsam an, sein Hemd auszuziehen.

Le Chiffre kam leise in den Raum zurück. Er hatte eine Kanne dabei, deren Inhalt nach Kaffee roch. Er stellte sie auf den kleinen Tisch neben dem Fenster. Daneben legte er zwei weitere, unansehnliche Gegenstände: einen etwa neunzig Zentimeter langen Teppichklopfer aus gebogenem Schilfrohr sowie ein Tranchiermesser.

Er ließ sich auf dem thronähnlichen Stuhl nieder, machte es sich gemütlich und goss etwas Kaffee in eines der Gläser. Mit einem Fuß verschob er den kleinen Lehnstuhl, dessen Sitzfläche nun ein leerer runder Holzrahmen war, bis er ihm direkt gegenüberstand.

Bond stand splitterfasernackt in der Mitte des Raums. Die Blutergüsse hoben sich in starkem Kontrast von seiner hellen Haut ab, und sein Gesicht war eine graue Maske der Erschöpfung und des Wissens, was ihm als Nächstes bevorstand.

»Setzen Sie sich dorthin.« Le Chiffre nickte in Richtung des Stuhls vor sich.

Bond ging darauf zu und nahm Platz.

Der dünne Mann holte etwas Kabel hervor und fesselte Bonds Handgelenke damit an die Armlehnen und seine Fußgelenke an die vorderen Beine des Stuhls. Dann wickelte er einen doppelten Strang um seine Brust, schlang ihn unter seinen Achseln hindurch und verknotete sie schließlich hinter der Rückenlehne des Stuhls. Die Knoten waren einwandfrei und ließen keinerlei Spielraum. Jede einzelne Fessel schnitt schmerzhaft in Bonds Fleisch. Die Stuhlbeine standen weit auseinander, sodass Bond ihn nicht mal hin- und herschaukeln konnte.

Er war ein Gefangener, nackt und hilflos.

Sein Gesäß und der untere Teil seines Rumpfes hingen durch das Loch in der Sitzfläche des Stuhls.

Le Chiffre nickte dem dünnen Mann zu, der leise den Raum verließ und die Tür hinter sich schloss.

Auf dem Tisch lagen eine Packung Gauloises und ein Feuerzeug. Le Chiffre zündete sich eine Zigarette an und trank einen Schluck Kaffee aus dem Glas. Dann nahm er den Teppichklopfer und ließ den Griff gelassen auf seinem Knie ruhen, sodass sich das flache, kleeblattförmige Ende direkt unter Bonds Stuhl befand.

Er sah Bond vorsichtig, fast zärtlich in die Augen. Dann schnellte seine Hand plötzlich nach oben.

Das Ergebnis war verblüffend.

Bonds ganzer Körper bäumte sich in einer unwillkürlichen Zuckung auf. Sein Gesicht verzog sich zu einem lautlosen Schrei. Gleichzeitig riss er seinen Kopf zurück, sodass die angespannten Sehnen an seinem Hals sichtbar wurden. Für einen Augenblick spannten sich sämtliche Muskeln in seinem Körper an, und seine Zehen und Finger verkrampften sich, bis sie weiß wurden. Dann sackte sein Körper in sich zusammen, und er fing an, aus jeder Pore zu schwitzen. Er stieß ein tiefes Stöhnen aus.

Le Chiffre wartete, bis sich seine Augen wieder öffneten.

»Verstehen Sie, lieber Junge?« Er lächelte weich und breit. »Ist Ihnen Ihre Position nun klar?«

Ein Schweißtropfen fiel von Bonds Kinn auf seine nackte Brust.

»Dann sollten wir jetzt zum geschäftlichen Teil kommen und herausfinden, wie schnell wir diese unerfreuliche Lage beenden können, in die Sie sich gebracht haben.« Er zog vergnügt an seiner Zigarette und tippte mit seinem schrecklichen und ungewöhnlichen Folterinstrument einmal auf den Boden neben Bonds Stuhl.

»Mein lieber Junge«, sagte Le Chiffre wie ein Vater, »Sie spielen jetzt nicht mehr Cowboy und Indianer. Durch einen unglücklichen Zufall sind Sie in ein Spiel für Erwachsene hineingeraten und müssen nun feststellen, dass es eine schmerzhafte Erfahrung ist. Sie sind noch nicht dazu bereit, Spiele mit Erwachsenen zu spielen, mein lieber Junge, und es war sehr töricht von Ihrem Kindermädchen in London, Sie ohne Ihre Schaufel und Ihren Eimer herzuschicken. Wirklich sehr töricht und höchst unerfreulich für Sie.

Aber wir müssen aufhören, zu scherzen, mein lieber Freund, auch wenn Sie dieser amüsanten kleinen Fabel sicher noch gerne weiter lauschen würden.«

Völlig unvermittelt ließ er den scherzenden Ton fallen und starrte Bond scharf und boshaft an.

»Wo ist das Geld?«

Bond starrte aus blutunterlaufenen leeren Augen zurück.

Wieder bewegte Le Chiffre seine Hand, und wieder verkrampfte sich Bonds ganzer Körper.

Le Chiffre wartete bis das gequälte Herz sein angestrengtes Pumpen verlangsamte und Bond benommen die Augen öffnete.

»Vielleicht sollte ich es erklären«, sagte Le Chiffre. »Ich beabsichtige, die empfindlichen Teile Ihres Körpers auch weiterhin zu attackieren, bis Sie meine Frage beantworten. Ich kenne keine Gnade und werde auch nicht nachgeben. Niemand wird in letzter Minute kommen, um Sie zu retten, und es besteht keinerlei Möglichkeit zur Flucht. Dies ist keine romantische Abenteuergeschichte, in der der Bösewicht am Ende besiegt wird und der Held eine Medaille bekommt und das Mädchen heiratet. Leider passieren solche Dinge im wahren Leben nicht. Wenn Sie sich weiterhin so stur verhalten, werde ich Sie bis an den Rand des Wahnsinns foltern, dann wird das Mädchen hereingebracht, und wir werden vor Ihren Augen bei ihr weitermachen. Wenn das immer noch nicht ausreicht, werden Sie beide einen schmerzhaften Tod erleiden, ich werde Ihre Leichen widerwillig zurücklassen und mich auf den Weg in ein gemütliches Haus im Ausland machen, das auf mich wartet. Dort werde ich eine nützliche und profitable Karriere beginnen und bis ins hohe Alter inmitten der Familie leben, die ich zweifellos gründen werde. Sie sehen also, mein lieber Junge, dass ich nichts zu verlieren habe. Wenn Sie mir das Geld übergeben, umso besser. Wenn nicht, werde ich nur mit den Schultern zucken und mich auf den Weg machen.«

Er hielt inne und hob sein Handgelenk leicht an. Bond zuckte zusammen, kaum dass der Teppichklopfer ihn berührte.

»Aber Sie, mein lieber Freund, können lediglich darauf hoffen, dass ich Ihnen weitere Pein erspare und Ihr Leben verschone. Eine andere Hoffnung gibt es für Sie nicht. Absolut keine.

Nun?«

Bond schloss die Augen und wartete auf den Schmerz. Er wusste, dass der Anfang der Folter am schlimmsten war. Es gab einen Bogen der Qual. Ein Crescendo, das in einem Höhepunkt gipfelte, nach dessen Erreichen die Nerven abstumpften und immer weniger reagierten, bis schließlich Bewusstlosigkeit und Tod eintraten. Er konnte nur beten, dass dieser Höhepunkt bald erreicht sein und sein Geist so lange durchhalten würde. Danach konnte er nur noch den langen Leerlauf akzeptieren, der mit dem endgültigen Aus enden würde.

Ihm war von Kollegen, die Folter durch die Deutschen und die Japaner überlebt hatten, erzählt worden, dass man gegen Ende einen wundervollen Moment der Wärme und der Wohligkeit verspürte, der in eine Art sexuelle Zwischenwelt führte, in der sich Schmerz in Vergnügen verwandelte und der Hass und die Angst vor den Folterern zu einer masochistischen Verblendung wurde. Es war der ultimative Test der Willensstärke – so hatte er erfahren –, diese Form der Benommenheit nicht zu zeigen. Sobald die Folterer sie auch nur vermuteten, würden sie ihr Opfer entweder sofort töten, um sich so alle weiteren nutzlosen Mühen zu ersparen, oder sie würden warten, bis sich der Gefolterte genug erholt hatte, damit sich seine Nerven wieder am Anfang des Bogens befanden. Und dann fingen sie von vorne an.

Er öffnete seine Augen einen Spalt weit.

Le Chiffre hatte darauf gewartet, und das Werkzeug aus Schilfrohr schnellte wie eine Klapperschlange vom Boden hoch. Es traf sein Ziel wieder und wieder, sodass Bond nur noch schrie und sein Körper auf dem Stuhl hing wie eine Marionette.

Le Chiffre hörte erst auf, als Bonds gequälte Zuckungen einen Anflug von Trägheit aufwiesen. Er saß eine Weile lang da, trank seinen Kaffee und runzelte die Stirn, als wäre er ein Chirurg, der während einer schwierigen Operation den Kardiografen betrachtete.

Als sich Bonds Augenlider flatternd öffneten, sprach er ihn erneut an. Doch nun lag ein Hauch von Ungeduld in seiner Stimme.

»Wir wissen, dass sich das Geld irgendwo in Ihrem Zimmer befindet«, sagte er. »Sie ließen sich einen Scheck über vierzig Millionen Franc aushändigen, und ich weiß, dass Sie zurück ins Hotel gingen, um ihn dort zu verstecken.«

Einen Augenblick lang fragte sich Bond, wie er sich dessen so sicher sein konnte.

»Gleich nachdem Sie zum Nachtclub aufgebrochen waren«, fuhr Le Chiffre fort, »wurde Ihr Zimmer von vieren meiner Leute durchsucht.«

Die Muntzens mussten ihnen dabei geholfen haben, überlegte Bond.

»Wir fanden eine Menge kindischer Verstecke. Im Kugelhahn der Toilette befand sich ein interessantes kleines Codebuch, und an der Rückseite einer Kommode entdeckten wir ein paar weitere Papiere. Sämtliche Möbel wurden auseinandergenommen, und Ihre Kleider sowie die Vorhänge und Bettwäsche wurden zerschnitten. Jeder Zentimeter des Zimmers wurde durchsucht und die gesamte Einrichtung entfernt. Es ist höchst unerfreulich für Sie, dass wir den Scheck nicht finden konnten. Wenn wir ihn gefunden hätten, lägen Sie jetzt vermutlich gemütlich im Bett, vielleicht sogar mit der schönen Miss Lynd, anstatt das hier zu erleben.« Er ließ den Teppichklopfer hochschnellen.

Durch den roten Nebel aus Schmerz lenkte Bond seine Gedanken auf Vesper. Er konnte sich vorstellen, wie die beiden bewaffneten Männer sie missbrauchten. Bevor Le Chiffre nach ihr schicken ließ, würden sie sich so viel nehmen, wie sie konnten. Er dachte an die fetten, feuchten Lippen des Korsen und die langsame Grausamkeit des dünnen Mannes. Das arme Ding war in diese Sache hineingezogen worden. Arme Kleine.

Le Chiffre redete weiter.

»Folter ist eine schreckliche Sache«, sagte er, während er an einer neuen Zigarette zog, »aber eine einfache Angelegenheit für den Folterer, besonders wenn der Patient«, er lächelte über das Wort, »ein Mann ist. Sehen Sie, mein lieber Bond, bei einem Mann ist es vollkommen unnötig, sich mit Raffinesse aufzuhalten. Mit diesem einfachen Werkzeug oder auch mit fast jedem beliebigen anderen Gegenstand kann man einem Mann so viel Schmerz zufügen wie möglich oder nötig ist. Glauben Sie nicht, was Sie in Romanen oder Büchern über den Krieg gelesen haben. Es gibt nichts Schlimmeres. Es ist nicht nur die unmittelbare Qual, sondern auch der Gedanke, dass die Männlichkeit nach und nach zerstört wird und dass man, wenn man nicht nachgibt, am Ende kein Mann mehr sein wird.

Das, mein lieber Bond, ist ein trauriger und schrecklicher Gedanke – Sie erdulden eine lange Reihe körperlicher und geistiger Qualen, und dann kommt der letzte, entsetzliche Moment, in dem Sie mich anflehen werden, Sie zu töten. All das ist unausweichlich, es sei denn, Sie verraten mir, wo Sie das Geld versteckt haben.«

Er schenkte sich etwas Kaffee nach und nahm einen großen Schluck, sodass sich seine Mundwinkel braun färbten.

Bonds Lippen zuckten. Er versuchte, etwas zu sagen. Schließlich gelang es ihm, dass Wort als heiseres Krächzen hervorzubringen: »Trinken«, sagte er, und seine Zunge quoll hervor und fuhr über seine trockenen Lippen.

»Natürlich, mein lieber Junge, wie gedankenlos von mir.« Le Chiffre goss etwas Kaffee in das zweite Glas. Auf dem Boden um Bonds Stuhl herum befand sich ein Kreis aus Schweißtropfen.

»Wir müssen doch dafür sorgen, dass Ihre Zunge geschmiert bleibt.«

Er legte den Griff des Teppichklopfers zwischen seinen dicken Beinen auf den Boden und erhob sich. Er stellte sich hinter Bond, packte eine Handvoll seines schweißnassen Haars und zerrte Bonds Kopf ruckartig nach hinten. Er kippte den Kaffee in kleinen Schlucken Bonds Kehle hinunter, damit er nicht daran erstickte. Dann ließ er seinen Kopf los, sodass dieser wieder nach vorn auf seine Brust kippte. Er ging zu seinem Stuhl zurück und hob den Teppichklopfer wieder auf.

Bond hob seinen Kopf. »Geld wird nichts nützen.« Seine Stimme war undeutlich – ein angestrengtes Krächzen. »Die Polizei kann es zu Ihnen zurückverfolgen.«

Von der Anstrengung erschöpft sank sein Kopf wieder nach vorn. Er übertrieb das Ausmaß seines körperlichen Zusammenbruchs, allerdings nur ein wenig. Es ging ihm darum, Zeit zu schinden und den nächsten schmerzhaften Schlag hinauszuzögern.

»Ah, mein lieber Freund, ich vergaß, es zu erwähnen.« Le Chiffre lächelte anzüglich. »Nach unserem kleinen Spiel im Casino trafen wir uns erneut, und Sie waren ein so guter Sportsmann, dass Sie einer weiteren Partie zustimmten, die nur zwischen uns beiden stattfinden sollte. Es war eine galante Geste. Typisch für einen englischen Gentleman.

Leider verloren Sie, und das bestürzte Sie so sehr, dass Sie beschlossen, Royale umgehend und mit unbekanntem Ziel zu verlassen. Ganz Gentleman, hinterließen Sie mir freundlicherweise eine Notiz, in der Sie die Umstände erklärten, damit ich keine Schwierigkeiten haben würde, den Scheck einzulösen. Sie sehen also, mein lieber Junge, es wurde an alles gedacht, und Sie müssen sich keine Sorgen um mein Konto machen.« Er kicherte.

»Also, sollen wir dann fortfahren? Ich habe alle Zeit der Welt, und um die Wahrheit zu sagen, bin ich recht interessiert daran, zu erfahren, wie lange ein Mann diese spezielle Form der … äh … Ermutigung ertragen kann.« Er ließ den harten Teppichklopfer über den Boden klappern.

Das war also der Stand der Dinge, dachte Bond, dessen Mut ihn nun endgültig verließ. Das »unbekannte Ziel« würde unter der Erde oder auf dem Grund des Meeres liegen, oder vielleicht auch einfach unter dem zerstörten Bentley. Nun, wenn er schon sterben musste, konnte er es ebenso gut auf die harte Tour versuchen. Er hegte keinerlei Hoffnung, dass Mathis oder Leiter ihn rechtzeitig fanden, doch zumindest bestand eine Chance, dass sie Le Chiffre einholen würden, bevor sich dieser aus dem Staub machen konnte. Es musste bald sieben Uhr sein. Womöglich war der Wagen bereits entdeckt worden. Es war keine angenehme Aussicht, doch je länger Le Chiffre ihn folterte, desto wahrscheinlicher war es, dass Bond gerächt werden würde.

Er hob den Kopf und sah Le Chiffre direkt in die Augen.

Das ehemals makellose Weiß war nun von roten Adern durchzogen. Es war, als würde man auf zwei schwarze Johannisbeeren starren, die in Blut kochten. Der Rest des breiten Gesichts war gelblich, bis auf die Stelle, wo dichte schwarze Stoppeln das verschwitzte Kinn bedeckten. Die Reste des schwarzen Kaffees, die in seinen Mundwinkeln klebten, verliehen seinem Ausdruck ein falsches Lächeln, und das ganze Gesicht wurde durch das Licht, das durch die Jalousien fiel, in helle und dunkle Streifen getaucht.

»Nein«, sagte er tonlos, »… Sie …«

Le Chiffre schnaubte und machte sich voll ungezügelter Wut wieder ans Werk. Zwischendurch knurrte er wie ein wildes Tier.

Nach zehn Minuten hatte Bond glücklicherweise das Bewusstsein verloren.

Le Chiffre hielt sofort inne. Mit einer kreisförmigen Bewegung seiner freien Hand wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Dann schaute er auf seine Armbanduhr und schien eine Entscheidung zu treffen.

Er stand auf und trat hinter den reglosen, schweißnassen Körper. Aus Bonds Gesicht und seinem Körper oberhalb der Taille war jegliche Farbe verschwunden. Sein Herzschlag war noch schwach zu sehen, doch abgesehen davon hätte er genauso gut tot sein können.

Le Chiffre packte Bonds Ohren und verdrehte sie ruckartig. Dann lehnte er sich vor und schlug ihm mehrmals auf die Wangen. Bonds Kopf wankte mit jedem Schlag hin und her. Langsam wurde seine Atmung kräftiger. Ein animalisches Stöhnen entwich seinem schlaffen Mund.

Le Chiffre nahm ein Glas Kaffee, goss etwas davon in Bonds Mund und schüttete ihm den Rest ins Gesicht. Bond öffnete langsam sie Augen.

Le Chiffre kehrte zu seinem Stuhl zurück und wartete. Er zündete sich eine Zigarette an und betrachtete die Blutpfütze auf dem Boden unter dem reglosen Körper, der ihm gegenübersaß.

Bond stöhnte wieder erbärmlich. Es war ein unmenschlicher Laut. Seine Augen öffneten sich vollständig, und er starrte seinen Folterer benommen an.

Le Chiffre erklärte: »Das ist alles, Bond. Wir werden Ihnen jetzt ein Ende machen. Verstehen Sie? Wir werden Sie nicht töten, sondern Ihnen ein Ende machen. Und dann nehmen wir uns das Mädchen vor und sehen, ob wir aus Ihrer beider Überreste etwas herausbekommen können.«

Er streckte die Hand nach dem Tisch aus.

»Sagen Sie Ihrem besten Stück auf Wiedersehen, Bond.«

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