Kapitel 8

Fidelma und Eadulf rührten sich nicht von der Stelle. Als sie die auf sich gerichteten Pfeile entdeckt hatten, waren sie erstarrt.

Der Mann in der Mitte lächelte sie an. Er war schlank, jung und sah gut aus. Seine zerzausten Haare waren rotbraun, seine blauen Augen blickten stechend. Er trug die Kleider eines Kriegers, ein wollenes Hemd mit einem enganliegenden Lederwams darüber, enge Lederhosen und Stiefel. An seiner rechten Seite hing ein Schwert, an seiner linken ein Jagdmesser.

Als Fidelma den goldenen Reif an seinem Hals entdeckte, wurden ihre Augen ein wenig größer. Einst hatte ein solcher Halsreif in ihrem Land angezeigt, daß sein Träger ein Held, meist ein fürstlicher Krieger war. Dieser Halsreif war kunstvoll gearbeitet und reich verziert. In den fünf Königreichen war ein solcher Schmuck inzwischen aus der Mode, niemand trug ihn mehr, nur zu bestimmten offiziellen Anlässen wurde er noch angelegt, und das geschah eher selten. Aus Erfahrung wußte Fidelma jedoch, daß solche Halsreife bei vielen Stämmen in Britannien und Gallien bis heute sehr verbreitet waren.

Außerdem trug der Mann eine schwere Kette aus Rotgold, die ihm bis zur Brust reichte - meisterlich gefertigt und ziemlich wertvoll. Fidelma rümpfte die Nase. Wenn jemand zwei so teure und feine Schmuckstücke anlegte, wurde die Wirkung jedes einzelnen gemindert, und es entstand der Eindruck von Protzerei.

»Nun«, sagte der junge Mann schließlich und betrachtete sie mit einem eigenartigen Lächeln, »wen haben wir denn da?«

Langsam richtete sich Fidelma auf, spreizte dabei die Hände leicht von ihrem Körper ab, damit die Bogenschützen sehen konnten, daß sie keine Waffe in der Hand hielt. Eadulf zögerte einen Augenblick, folgte ihrem Beispiel dann aber. Da drang vom Hof das Hufgeklapper von vielen Pferden zu ihnen. Offensichtlich hatten der Mann und seine beiden Bogenschützen ein größeres Gefolge.

»Ich bin Schwester Fidelma, und das ist Bruder Eadulf«, hub sie an.

Das Lächeln des jungen Mannes wurde noch breiter, es war kalt und erbarmungslos, so betrachtete ein Jäger sein Opfer.

»Eine Gwyddel und noch ein Angelsachse, den Namen nach?« Er blickte seine Begleiter an. »Nun, Leute, ein merkwürdiges Paar, nicht wahr?« Er schaute wieder zu ihnen, noch immer lächelte er auf unverschämte Weise. »Was macht ihr hier?«

»Ich bin eine dalaigh, was bei euch barnwr heißt .«

»Ich habe nicht gefragt, wer ihr seid«, unterbrach sie der junge Mann barsch. »Ich habe gefragt, was ihr hier macht.«

»Genau das will ich dir ja erklären. Mein Begleiter und ich sind im Auftrag eures Königs Gwlyddien unterwegs. Wir überprüfen den Bericht über das Verschwinden der Klostergemeinschaft .«

Zu ihrer Überraschung brach der Mann in lautes Gelächter aus. Ein Gelächter ohne Heiterkeit.

»Gwlyddien ist nicht mein König. Und überhaupt, würde ein König von Dyfed eine Frau deiner Abstammung mit einer Untersuchung beauftragen, ganz zu schweigen einen Angelsachsen? Die Angelsachsen sind unsere Erzfeinde.«

Einer der Bogenschützen, der Eadulf im Visier hatte, hob leicht seinen Bogen, als erwarte er den Befehl, Eadulf zu töten.

»Sieh dir die Vollmacht mit dem königlichen Siegel darunter an, wenn du meine Worte anzweifelst«, ent-gegnete Fidelma und suchte in ihrem marsupium. »Es wird nicht gut ausgehen mit euch, wenn ihr einen Mönch umbringt, der noch dazu im Dienste des Königs von Dyfed steht. Bruder Eadulf hat euch nichts getan!«

Nun sah der Mann sie ein wenig mit Bedauern an. »Ach, das habe ich vergessen. Die Gwyddel sind ja besonders gern mit Angelsachsen befreundet, nicht wahr. Ihr seid doch die, die zu den Angelsachsen gegangen sind, um sie zum rechten Glauben zu bekehren und ihnen das Lesen und Schreiben beizubringen und auch, sich wie zivilisierte Menschen zu verhalten. Wir Britannier kennen sie besser. Deshalb haben wir es abgelehnt, sie zu bekehren, selbst als die Prälaten aus Rom herkamen und es von uns verlangten. Sei vorsichtig, Gwyddel; eines Tages werden sich die Angelsachsen gegen dich erheben und dir das antun, was sie den Britanniern angetan haben, die einst im ganzen Land lebten.«

Es waren die Worte eines gebildeten Mannes, der gewohnt war, Befehle zu erteilen. Seine beiden Begleiter grunzten zustimmend und hielten die Bögen nach wie vor fest auf sie gerichtet.

Fidelma verzog keine Miene. »Ich frage noch einmal, was hat dir der Mann neben mir getan?«

»Hast du nicht davon gehört, daß die Sachsen mehrere tausend Mönche in Bangor abschlachteten, um ihren Sieg über König Selyf von Powys zu feiern?« entgegnete der junge Krieger.

»Das habe ich. Das war vor fast fünfzig Jahren, zu einer Zeit, als noch niemand von uns auf der Welt war. Du ganz sicher nicht.«

»Glaubst du etwa, daß die Sachsen ihren Charakter geändert haben, nur weil eure Missionare sie zum christlichen Glauben bekehrt haben?«

»Mit jemandem voller Vorurteile kann ich nicht disputieren, ganz gleich, wer du sein magst. Ich sage noch einmal, daß wir im Auftrag des Königs von Dy-fed hier sind. Wir befinden uns auf dem Territorium von Dyfed, ob ihr nun dessen König anerkennt oder nicht. Sag uns, wer du bist und warum du es wagst, das Gesetz dieses Landes zu mißachten.«

Der junge Mann war einigermaßen erstaunt, daß eine so hübsche junge Frau keine Furcht vor seinen drohenden Worten hatte, obwohl er durchaus imstande war, sie in die Tat umzusetzen.

»Du scheinst dir deiner recht sicher zu sein, Gwyd-del«, sagte er schließlich. »Fürchtest du den Tod nicht? Ganz gleich, ob wir hier in Dyfed sind oder nicht - wo ich bin, da herrscht mein Gesetz.«

»Da bin ich anderer Ansicht. Du magst vorübergehend die Macht haben, solange deine Freunde mit Pfeil und Bogen an deiner Seite sind, doch du bist nicht das Gesetz. Das Gesetz ist heiliger als das Schwert, das du bei dir trägst. Und was die Furcht betrifft, so dient sie nicht dem Erfolg. Sie schwächt das Urteilsvermögen, und ich bin eine dalaigh

Der junge Mann blickte starr in ihre feurigen grünen Augen. Dann kehrte das Lächeln wieder auf sein Gesicht zurück, er lachte selbstgefällig.

»Du hast recht, Gwyddel. Die Furcht verrät kleinmütige Seelen. Ich bin froh, daß du dich nicht fürchtest. Ich töte ungern Leute, die Angst haben, ins Jenseits zu gelangen.«

Er gab seinen Bogenschützen ein Zeichen. Fidelma war entschlossen, sich nicht anmerken zu lassen, wie sie innerlich bebte. Sie war sich bewußt, daß der junge Mann keine leeren Worte machte. Er war skrupellos.

»Würdest du auch Mönche und Nonnen umbringen?« rief sie. »Wenn dem so ist, dann schätze ich, bist du verantwortlich für diese ungeheuerliche ...« Sie zeigte auf die Leiche des alten Mönches, den sie vom Balken abgenommen hatten.

In diesem Augenblick betrat ein weiterer Mann die Scheune. Er gehörte der gleichen Bande an, das konnte man sehen. Man konnte schlecht erkennen, wie alt er war, denn er trug einen glänzenden Helm, durch den er größer wirkte, der jedoch sein Antlitz halb verbarg. Aber er hatte wohl ein hübsches Gesicht und stechende blaue Augen. Er stellte sich neben die anderen und betrachtete Fidelma und Eadulf. Seine Miene wirkte finster.

Der Anführer hielt immer noch die Hand erhoben. Einer der Bogenschützen hüstelte nervös.

»Herr, was ist mit Sualda? Manche Mönche sind auch Ärzte.«

Der Anführer zögerte.

»Töte sie, und dann ist es gut«, zischte der Hinzugekommene. »In den letzten Tagen haben wir genug Fehler gemacht.«

Der junge Mann blickte ihn mit offener Feindseligkeit an. »Daran bin ich nicht schuld. Ich habe mir die komplizierte Strategie nicht ausgedacht. Auf meinen Mann ist Verlaß.« Er wandte sich wieder an Fidelma und Eadulf: »Beherrscht einer von euch die Kunst des Heilens?«

Fidelma zögerte, denn sie war sich nicht sicher, ob Eadulf ihrem Gespräch hatte folgen können. »Bruder Eadulf hat an der medizinischen Fakultät von Tuam Brecain studiert«, sagte sie dann.

Erheitert musterte der junge Mann nun Eadulf. »Damit hast du dem Angelsachsen ein längere Lebenszeit verschafft, als für ihn vorgesehen war. Ihr kommt beide mit.«

»Du hast uns immer noch nicht verraten, wer du bist«, erwiderte Fidelma trotzig.

»Mein Name wird euch nichts sagen.«

»Schämst du dich so dafür?«

Zum erstenmal verfinsterte sich das Gesicht des jungen Mannes. Sein Gefährte mit dem glänzenden Helm trat einen Schritt vor und legte eine Hand auf seinen Arm. Dieser Moment prägte sich Fidelma tief ein. Man konnte den jungen Mann also in Harnisch bringen. Dieses Wissen könnte sich später einmal als nützlich erweisen. Der junge Mann bemühte sich sehr, seine Fassung zurückzugewinnen. Dann kehrte sein zynisches Lächeln wieder.

»Mein Name ist Clydog. Häufig nennt man mich Clydog Cacynen.«

»Clydog, die Wespe?« Fidelma sprach, als würde sie ein Kind besänftigen wollen. »Sag mir, Clydog, warum trägst du den Halsreif eines Helden? Könnte es sein, daß du diese Auszeichnung im Kampf gegen wehrlose Mönche erworben hast?«

Unwillkürlich griff der junge Mann mit der Hand an seinen Halsreif. Wieder flackerte unkontrolliert Wut in seinem Gesicht auf.

»Dieser Reif wurde«, erwiderte er langsam, »bei der Niederwerfung von König Selyf in Cair Legion getragen. Die Angelsachsen werden sich noch an das Verbrechen erinnern.«

Warnend räusperte sich nun der Mann mit dem Kriegshelm. »Es sind genug Worte gewechselt. Wenn du willst, daß die beiden sich nun um Sualdas Gesundheit kümmern, laß uns lieber gehen, ehe noch etwas Unvorhergesehenes passiert. Ihr beiden lauft vor den Bogenschützen her. Keine Tricks, sonst werden sie ihre Pfeile abschießen. Ich sage das nur einmal.«

Zum erstenmal war Eadulf in der Lage, sich einzumischen.

»Paß nur auf, Welisc«, sagte er und gebrauchte das angelsächsische Wort für Britannier. »Du sprichst gerade mit Fidelma von Cashel, der Schwester des Königs von Cashel.«

Fidelma wandte sich zu ihm um. »Denk an das Sprichwort: Redime te captum quam queas minimo!« flüsterte sie ihm zu.

Der Mann mit dem Kriegshelm blickte von Eadulf zu Fidelma und brach in höhnisches Gelächter aus. »Wie gut! Nun wissen wir wenigstens, daß der Angelsachse eine Zunge hat. Danke für die Mitteilung. Eine Prinzessin der Gwyddel, he? Lady, du mußt deinen sächsischen Freund nicht daran erinnern, daß man bemüht sein sollte, das Lösegeld für sich so gering wie möglich zu halten, wenn man Gefangener ist. Ich bezweifle, daß wir deinen geschätzten königlichen Bruder um Lösegeld angehen werden, auch wenn wir nun deine hohe Stellung kennen. Er ist viel zu weit weg, und solche Verhandlungen sind immer zähflüssig.«

»Also seid ihr gewöhnliche Verbrecher?« Fidelma betrachtete die Männer mit offener Verachtung.

Die rot aufflammenden Wangen des Mannes, der sich Clydog nannte, verrieten, daß er wieder zornig war. »Verbrecher? Solange wir in Dyfed sind, würde ich das bejahen. Aber keine gewöhnlichen, zumindest nicht ich. Ich bin .«

»Clydog!« brach es aus dem Mann mit dem Helm hervor. Ruckartig drehte er sich zu Fidelma und Eadulf um. »Genug dahergeredet. Geht voraus!« Er zeigte auf den Innenhof hinaus.

»Hast du auch einen Namen?« Fidelma konnte man nicht so schnell einschüchtern. Es bereitete ihr vielmehr Vergnügen, zwischen jene Männer, die sie gefangengenommen hatten, einen Keil zu treiben.

Einen Moment lang musterte sie der Mann mit dem Helm von oben bis unten. »Du kannst mich Corryn nennen«, erwiderte er ernst.

»Es ist das erstemal, daß ich höre, daß eine Wespe und eine Spinne zusammenleben«, stellte Fidelma belustigt fest. Corryn, das wußte sie, war das Wort für Spinne.

»Mir egal«, erwiderte der Mann. »Also los jetzt!«

Draußen wartete ein halbes Dutzend Reiter, die alle bewaffnet waren und auf wohlgenährten Pferden saßen. Außerdem waren da noch zwei weitere Männer auf einem großen, offenbar vollbeladenen Fuhrwerk, das mit einer Plane abgedeckt war. Fidelma machte sich nun Vorwürfe, daß sie vorhin dem unruhigen Verhalten ihrer Pferde und dem offenen Tor keine weitere Beachtung geschenkt hatte.

»Wie ich sehe, seid ihr mit eigenen Pferden gekommen«, meinte Clydog, als er sie begutachtete. »Schöne Vollblüter. Die frommen Schwestern und Brüder sind hervorragend ausgestattet.«

»Die Pferde hat uns König Gwlyddien zur Verfügung gestellt«, warf Eadulf ein.

»Ah. Also werden sie dem Alten auch nicht fehlen. Da wir noch ein Stück Weg vor uns haben, könnt ihr sie weiter benutzen.«

»Wohin reiten wir?« wollte Eadulf wissen. »Und warum habt ihr uns gefangengenommen, wenn ihr kein Lösegeld für uns verlangen wollt?«

»Aufgesessen!« wies ihn der Mann schroff an, der sich Corryn nannte. »Keine Fragen!«

Clydog war zu den beiden Männern auf dem Fuhrwerk geritten. »Ihr wißt, was ihr zu tun habt? Sobald ihr fertig seid, stoßt ihr wieder zu uns.«

Er setzte sich an die Spitze des Trupps, der nun Fidelmaund Eadulf in seine Mitte genommen hatte. Nach einem Handzeichen von ihm ritten alle in raschem Tempo in Richtung des großen Waldes südlich vor ihnen los. Bruder Meurig hatte auf ihrer Reise nach Llanwnda den Namen des Waldes genannt, erinnerte sich Fidelma. Wie hieß er nur? War das der Wald von Ffynnon Druidion?

Schlimmer hätte es nicht kommen können. Einer Horde von Halsabschneidern in die Hände zu fallen! Bruder Meurig hatte zwar erwähnt, daß in dieser Gegend Räuberbanden ihr Unwesen trieben, aber von einer so großen bewaffneten Meute hatte er nicht gesprochen. Hätte sie das gewußt, sie hätte darauf be-standen, daß Gwlyddien oder auch Gwnda ihnen einen Trupp Krieger als Geleitschutz mitgegeben hätte. In Wahrheit machte sie sich mehr Sorgen um Eadulf als um sich. Vielleicht hätte sie Eadulf mehr Gehör schenken sollen, als er darüber sprach, welche unguten Gefühle er als Angelsachse hatte, sich allein auf britannischem Terrain zu bewegen. Es war nicht so, daß sie die Tiefe der Feindseligkeiten zwischen den beiden Völkern falsch eingeschätzt hatte, doch sie hatte geglaubt, die Vernunft würde sich durchsetzen. Sie hatte vergessen, daß meist schon Vorurteile ausreichten, um jemandem Schaden zuzufügen.

Fidelma betrachtete Corryn eingehend, der neben Clydog an der Spitze des Trupps ritt. Seine Züge kamen ihr eigenartig vertraut vor. Waren sie sich schon einmal begegnet? Oder erinnerte er sie einfach nur an jemand anderen? Falls ja, an wen?

Er schien intelligent zu sein und gebildet. Er sprach Latein. Jedenfalls genug, um ihre an Eadulf gerichtete Warnung zu verstehen, daß er sich vorsehen sollte, ihre Identität preiszugeben, da die Räuber ein hohes Lösegeld für eine ranghohe Frau verlangen würden, wohingegen sie möglicherweise eine einfache Nonne ohne Lösegeld gehen lassen würden.

Clydog, der Anführer, wirkte ebenfalls gebildet. Da war zum Beispiel dieser kostbare Halsreif und das, was er darüber hatte verlauten lassen. Weder Clydog noch Corryn schienen typische Räuber oder Verbrecher zu sein. Doch ganz gleich, welches Rätsel sie umgab, es war ein ausgesprochenes Mißgeschick, daß sich ihre Wege gekreuzt hatten. Flucht war jetzt das vorrangige Gebot. Der ganze Trupp bestand aus neun Reitern, Clydog und Corryn eingeschlossen. Im Moment war es aussichtslos zu fliehen, denn die meisten der neun trugen Bogen bei sich, deren Pfeile eine große Reichweite hatten. Sie würden warten müssen, bis sie an ihrem Bestimmungsort angelangt waren und sich ihnen eine günstige Gelegenheit bot.

Verstohlen blickte sie zu Eadulf hinüber. Düstere Sorgenfalten zeichneten sich auf seinem Gesicht ab. Sie wußte, daß sich Eadulf nur ihr zuliebe auf dieses gefährliche Unternehmen eingelassen hatte. Ihm war unwohl bei all dem gewesen. Und zwar schon ehe sie zur Abtei Dewi Sant aufbrachen, um dort mit Abt Tryffin zu sprechen. Vielleicht hätte sie seine Vorbehalte respektieren sollen, denn Eadulf machte sich nie ohne Grund Sorgen. Nie würde sie es sich verzeihen, wenn ihre Eitelkeit, ihre Vermessenheit schuld daran sein sollten, daß ihm etwas zustieße. Sie hätten in Porth Clais warten und sofort ihre Reise nach Canterbury fortsetzen sollen. Fidelma preßte die Lippen zusammen. Jetzt war es zu spät für Reue.

Inzwischen hatten sie den Schutz des Waldes erreicht. Offensichtlich kannte sich Clydog hier gut aus, denn er verlangsamte das Tempo nicht, sondern ritt zügig voran. Die anderen folgten ihm einer nach dem anderen. Ihre Begleiter mußten ausgezeichnete Reiter sein, denn ohne Tempoverlust hatten sie ihre beiden Gefangenen geschickt in die Mitte der Reihe genommen. Nach einer Weile kam die Reiterkette durch dichtes grünes Unterholz. Dann gelangten sie auf eine Lichtung, auf der sich ein kleiner Bach in ein großes Becken ergoß, zu klein, um See genannt zu werden. An einem Ende befanden sich ein Hügelgrab und ein paar provisorische Hütten und Zelte. Über einer Feuerstelle hing ein Kochtopf. An einem einfachen Geländer etwas entfernt unter einem offenen Dach konnte man die Pferde anbinden.

In dem Lager hielten sich ein halbes Dutzend Männer auf, die auf die Gefangenen zuliefen und sie begafften.

»Was sind das für Leute, Clydog?« fragte einer der Kumpane, ein stämmiger Bursche, der das Leben in freier Natur gewöhnt zu sein schien.

»Die haben wir in Llanpadern aufgegabelt«, erwiderte Clydog und glitt vom Pferd. »Der hier ist ein Heiler.« Er stieß Eadulf mit dem Daumen an.

»Wissen sie Bescheid?« fragte der andere.

»Halt deine lose Zunge im Zaum!« fuhr ihn Corryn barsch an. »Das gilt für euch alle. Niemand unterhält sich mit den Gefangenen.«

Die Männer betrachteten Fidelma und Eadulf mit unverhohlener Neugier.

»Es sind Fremdlinge, oder?« fragte ein junger Bursche mit überschnappender Stimme, dem noch nicht einmal der Bart sproß.

»Eine Gwyddel und außerdem ein Angelsachse«, erwiderte Clydog.

Gemurmel wurde laut.

»Sitz ab, Angelsachse«, befahl Corryn.

Eadulf stieg vom Pferd. Corryn packte ihn am Arm und stieß ihn in das düstere Innere einer Hütte, ehe er noch ein Wort mit Fidelma wechseln konnte. Auf dem Boden lag ein Mann.

»Wenn du ein Arzt bist, dann tu etwas«, fuhr ihn Corryn an und ließ ihn allein.

Eadulf blickte auf den Mann hinunter, der zu schlafen schien. Dann lief er rasch zum Eingang der Hütte zurück.

Fidelma saß immer noch auf ihrem Pferd und war von den Männern umringt, die inzwischen alle abgestiegen waren. Doch man hielt die Zügel ihres Pferdes fest, so daß sie sich nicht unversehens davonmachen konnte.

»Sie behauptet, daß jener unfähige Narr, der darauf besteht, König von Dyfed zu sein«, sagte Clydog soeben, »ihnen den Auftrag gegeben hat, herauszufinden, wohin Pater Clidros Klostergemeinschaft verschwunden ist.«

Schallendes Gelächter erhob sich.

»Nicht einmal der alte Gwlyddien ist so beschränkt, einem Angelsachsen einen solchen Auftrag zu geben«, rief jemand schrill.

»Er hat mir aber diesen Auftrag gegeben.« Fidelmas Stimme war kalt und ruhig, doch so bestimmend, daß das Gegröle sofort verstummte, die Männer schwiegen und abwartend zu ihr aufschauten.

Clydog lachte und trat vor. »So will ich dich vorstellen, Lady. Das ist Fidelma von Cashel, Schwester des Königs jenes Reiches.«

»Wo zum Teufel liegt Cashel?« fragte ein Mann.

»Dummkopf!« Clydog lächelte. »Es ist eines der größten der fünf Königreiche von Eireann. Dieses Land hier hätte mit seiner Fläche mehrmals darin Platz, und das würde immer noch nicht ausreichen.«

Eadulf staunte über die Kenntnisse, die Clydog besaß.

»Ein wohlhabendes Land, oder?« rief eine durchdringende Stimme.

»Wohlhabend genug«, bestätigte ihm Clydog.

»Warum sollte der alte Gwlyddien sie damit beauftragen, in Llanpadern Ermittlungen anzustellen?« fragte ein anderer.

»Weil sie eine dalaigh ist, meine Freunde.«

»Was in aller Welt ist das?« erkundigte sich der nächste.

»Eine dalaigh, du Trottel, ist das gleiche wie ein barnwr hier. Eine Richterin, jemand, der Verbrechen und rätselhafte Vorfälle untersucht und über die Schuldigen ein Urteil fällt.«

»Warum schickt er dann eine Gwyddel? Gibt es in Dyfed nicht genügend Richter?«

»Ja, warum wohl? Am Ende kann man niemandem von ihnen trauen«, meinte Clydog mit spöttischem Grinsen.

»Vielleicht«, warf Fidelma mit kühler Stimme ein, »wollt ihr das König Gwlyddien selbst fragen? Doch möglicherweise habt ihr nicht den Mut, dafür nach Menevia zu gehen.«

Clydog sah mit einem Lächeln zu ihr auf. Da er aber ständig lächelte, konnte sie dem auf keinen Fall vertrauen.

»Es reicht! Es reicht!« fuhr Corryn schroff dazwischen. »Habe ich nicht gesagt, daß niemand mit den Gefangenen sprechen soll?«

Clydog blickte seinen Mitstreiter verärgert an. »Gönnst du meinen Leuten nicht ein kleines bißchen Spaß?«

»Spaß sollen sie haben, nachdem unsere Sache getan ist.«

»Dennoch ist es eine grundlegende Frage, Corryn. Warum sollte der alte Narr solch einen Auftrag dieser Frau anvertrauen, selbst wenn sie eine dalaigh ist? Warum einer Gwyddel?«

Seine Männer murmelten etwas Bestätigendes. Eadulf konnte nicht umhin, vom Eingang der Hütte den Männern laut entgegenzuhalten: »Schwester Fidelma hat den Ruf, ungewöhnliche Kriminalfälle lösen zu können.«

Clydog grinste ihn an. »Unser sächsischer Freund ist sparsam mit seinen Worten. Wie ihr hören könnt, Leute, so ist ihm unsere Sprache nicht fremd, ebensowenig der guten Schwester hier. Doch wenn er spricht, sagt er nur Bedeutsames.« Er wandte sich wieder Fidelma zu. »Kennst du das Satyricon des Petronius, Lady?«

Die Frage überraschte Fidelma. »Ich habe Petronius gelesen«, sagte sie.

Clydog neigte leicht den Kopf. »Bei ihm steht folgendes: Raram facit misturam cum sapientia forma. Hier handelt es sich um so einen seltenen Fall.«

Fidelma errötete. Die Zeile, die er zitiert hatte, besagte, daß sich selten Schönheit und Klugheit in einer Person paarten.

»Du scheinst eine gewisse Bildung genossen zu haben, Clydog. Und deine Zunge kann einem Honig ums Maul schmieren. Ich antworte dir mit einer Zeile von Plautus: Ubi melibi apes ... Honig zieht Bienen an, und du solltest daran denken, daß Bienen stechen können.«

Clydog schlug sich auf die Schenkel und brach in Lachen aus, während seine Männer ihn erstaunt anstarrten, denn sie hatten die Worte, die ihr Anführer und Fidelma gewechselt hatten, nicht verstanden.

»Es wird mir ein Vergnügen sein, dich heute abend zu unterhalten, Lady. Ich werde mich selbst auf die Jagd nach einem Hirsch machen, den wir dann am Spieß braten können.«

»Wie lange willst du uns gefangenhalten?«

»Vorerst seid ihr meine Gäste.«

»Hast du keine Angst vor dem, was der König von Dyfed unternehmen könnte, wenn er von unserer Festnahme erfährt?«

»Falls er davon erfährt, Lady«, erwiderte er mit Nachdruck.

»Glaubst du etwa, daß du das lange vor ihm verbergen kannst?«

Clydog blieb unerschütterlich. »Gewiß doch.«

Seine Unbekümmertheit reizte Fidelma. Sie versuchte, ihn ein wenig in Rage zu bringen. »Und wenn auch Dyfed nicht darauf reagieren mag, so wird mein Bruder .«

»Was wird dein Bruder, Lady?« unterbrach sie Cor-ryn. »Falls du nicht nach Cashel zurückkehrst, wird er ein wenig trauern, das ist alles. Pilger verschwinden eben mal, und niemand hört mehr von ihnen. Das ist ganz normal. Und in den Grenzgebieten der sächsischen Königreiche und der Kymren verschwinden allemal Angelsachsen. So, ich glaube, wir haben jetzt genug Worte gewechselt.« Bedeutungsvoll blickte er Clydog an.

Clydog nickte. »Bildet euch nur nicht ein, daß ihr mit Worten die Freiheit herbeireden könnt oder daß irgendwelche Retter hier erscheinen und euch befreien werden. Du und der Angelsachse seid von jetzt an Gäste von Clydog Cacynen. Mehr braucht ihr nicht zu wissen.« Er drehte sich um und erteilte seinen Männern verschiedene Befehle.

Mit zornigem Blick wandte sich Corryn zu Eadulf um: »Habe ich dir nicht gesagt, daß du dich um den Kranken kümmern sollst, Angelsachse?« fuhr er ihn unwirsch an und erhob sein Schwert.

Eadulf trat zurück in die Hütte und beugte sich zu dem Mann hinunter. Dieser war ganz offensichtlich ein Mitglied der Verbrecherbande, hatte grobe Gesichtszüge und war ungepflegt. Er schlief nicht, wie Eadulf zuerst gemeint hatte, sondern war bewußtlos. In einem Halter an der Wand flackerte eine Kerze. Eadulf griff nach ihr.

Als er dem Kranken die Hand auf die Stirn legte, stellte er fest, daß sie glühend heiß war. Er hielt die Kerze in die Höhe, schlug die Decke zurück, und sofort war ihm die Ursache des Fiebers klar. Aus einer Wunde in der Magengegend verlor der Mann viel Blut. Es handelte sich um eine nicht allzu tiefe Stichwunde, die sich entzündet hatte.

Inzwischen hatte Corryn die Hütte betreten und blickte über Eadulfs Schulter hinweg auf den Liegenden.

»Kannst du etwas für ihn tun?« fragte er.

»Welcher Art war die Waffe, mit der man ihm diese Wunde zufügte?« wollte Eadulf wissen. »Warum ist sie entzündet?«

»Es war ein Fleischmesser. Daher auch die ausgefransten Wundränder.«

»Kann einer deiner Männer Haarmoos von anderen Pflanzen unterscheiden und sammeln?«

Corryn nickte. »Natürlich. Am Bach wächst welches.«

»Davon benötige ich ein wenig. Schafft auch meine Satteltasche her.« Auf Reisen trug Eadulf immer eine kleine Tasche mit medizinischen Utensilien bei sich.

Corryn zögerte, doch dann verließ er die Hütte. Eadulf hörte, wie er draußen jemandem einen Auftrag erteilte. Da packte ihn der fiebernde Mann am Handgelenk. Eadulf sah, daß er die Augen weit geöffnet hatte und ihn anstarrte.

»Ich hab’s ihm heimgezahlt, was?« fragte er.

Eadulf lächelte. »Leg dich wieder hin. Ruh dich nur aus. Dann wird es dir bald besser gehen.«

Doch der Mann umklammerte weiter sein Handgelenk. »Er hat mich überrascht. Ich habe ihn gejagt, ins ... ins ... mit dem Fleischmesser. Plötzlich hatte er mich. Ich ... mußte ihn töten ... Hab’s ihm heimgezahlt, was?«

»Natürlich hast du das, mein Freund«, murmelte Eadulf. Der Mann sank erschöpft auf sein Lager. Da trat Corryn wieder ein und stellte die Satteltasche ab.

»Wie heißt er?« fragte Eadulf.

»Sualda«, erwiderte Corryn. »Warum?«

»Manchmal beruhigt es einen Kranken, wenn der Arzt weiß, wer er ist«, erklärte Eadulf sarkastisch. Er nahm seine Tasche und machte sich an die Arbeit. Er bat um heißes Wasser. Wasser und Haarmoos wurden ihm zur gleichen Zeit gebracht.

»Was hast du vor?« wollte Corryn wissen, nachdem Eadulf die Wunde gesäubert hatte.

»Ich verabreiche ihm einen Tee aus Baldrian, um das Fieber zu senken, und auf die saubere Wunde kommt ein Haarmoosumschlag, getränkt in einem Extrakt aus den Blüten des Rotklees, aus Beinwell und Klette. Und dann können wir nur noch beten.«

Corryn entfernte sich und rief einen der Männer herbei, damit er Eadulf im Auge behielt. Der wartete, bis Eadulf mit seiner Behandlung fertig war, und beförderte ihn recht grob aus der Hütte. Er fesselte ihm die Hände auf dem Rücken, stieß ihn in eine größere dunklere Hütte und band ihn an einen Stützpfahl. Dann schlug er ihm unvermittelt ins Gesicht.

»Das ist für meinen Bruder, Angelsachse! Er wurde umgebracht, als deine Leute nach Sklaven jagten. Du wirst ganz langsam sterben, das verspreche ich dir.«

Der Mann verschwand. Eadulf hörte, wie sich am anderen Ende der Hütte etwas bewegte. Aus dem Dunkel drang Fidelmas Stimme zu ihm.

»Bist du verletzt?« fragte sie besorgt.

»Es hätte schlimmer kommen können«, erwiderte Eadulf gleichmütig und schmeckte Blut auf seinen Lippen. »Die Zähne sind noch heil.«

»Wir haben schon Furchtbareres durchgestanden.« Das sollte beruhigend klingen. Fidelma untersuchte ihre Fesseln, doch sie erwiesen sich als fest. »Was haben sie von dir gewollt?«

Eadulf erzählte ihr alles in Kürze. »Ich denke, ganz gleich, was Clydog mit dir vorhaben mag, ich bin nur ein durchschnittlicher Angelsachse für ihn und seine Männer. Sobald sie wissen, ob ihr Gefährte Sualda überlebt oder nicht, werde ich überflüssig.«

Fidelma seufzte. »Kopf hoch, Eadulf. Wir sind immer allen Gefahren entkommen, wir schaffen das auch diesmal.«

Eadulf machte sich an seinen Fesseln zu schaffen, die sich straff um seine Handgelenke spannten. Vergeblich suchte er nach etwas, was ihm helfen könnte, sie zu lockern. Eine Weile verfolgte Fidelma seine nutzlosen Anstrengungen, dann sagte sie: »Eadulf, es hat keinen Sinn, gegen das Unvermeidliche anzukämpfen, es sei denn, man hat eine Wahl.«

»Was ist mit dem Ratschlag deines so vielzitierten Freundes Publilius Syrus?« fragte Eadulf verärgert.

»Syrus?« fragte Fidelma verwirrt.

»Du zitierst immerfort Zeilen von Publilius Syrus.

Entsinnst du dich nicht an die Stelle, wo er sagt, daß in der Not jede Waffe einen Nutzen hat und zum eigenen Vorteil gereichen kann? Sollten wir uns nicht überlegen, welcher Waffen wir uns in dieser Lage bedienen könnten?«

Eine Weile schwiegen beide.

»Wir sollten uns jetzt besser nicht streiten, Eadulf«, sagte Fidelma schließlich. »Zeig mir so eine Waffe, und ich werde sie zu nutzen wissen. Im Moment gibt es nichts, womit wir uns befreien können, also sollten wir lieber über unsere Situation nachdenken.«

Eadulf stöhnte innerlich auf. Manchmal vermochte er Fidelmas Logik nicht zu folgen. »Da ist nicht viel, das uns weiterhelfen könnte«, entgegnete er resigniert.

»Ich glaube, daß Clydog und seinen Leuten schon vorher bekannt war, daß die Mönche aus dem Kloster verschwunden waren. Vielleicht haben sie sogar gewußt, daß wir uns gerade dort aufhielten.«

»Das ist völlig .«

»Lächerlich?« unterbrach ihn Fidelma. »Mag sein. Doch wir sind nicht auf sie aufmerksam geworden, weil sie sich uns überaus vorsichtig genähert haben. Sie haben nicht an der Glocke gezogen, sondern sind durch die Tore gekommen und zur Scheune herübergeritten, wo sie uns überrascht haben. Ich glaube, sie sind schon einmal im Kloster gewesen.«

»Und zu welchem Zweck?«

»Eadulf, Antworten ergeben sich nicht so rasch wie Fragen. Hat Clydog jemand mitgeteilt, daß wir dort waren? Und falls dem so ist, wer hat es getan? Wer wußte alles davon? Und weiter - warum sollte jemand daran interessiert sein, daß Clydog uns gefangennimmt? Will jemand verhindern, daß wir die Wahrheit über das Verschwinden der Mönche herausfinden? War der alte Mann wirklich der Klostervorsteher Pater Clidro? Warum wurde er erst ein paar Stunden vor unserem Eintreffen im Kloster erhängt?«

»Du vergißt den Hwicce in dem Steinsarg«, murmelte Eadulf düster.

Fidelma lächelte in der Dunkelheit. »Der Hwicce. Nein, ich habe ihn nicht vergessen. Wenn Clydog und seine Männer schon einmal in Llanpadern waren, dann gibt es möglicherweise auch für den Toten im Sarkophag eine Erklärung.«

Eadulf schob sich unruhig hin und her, soweit das seine Fesseln erlaubten. »Um Gottes willen, kein Wort über den Hwicce in Gegenwart dieser Kerle hier. Sie könnten auf die Idee kommen, daß ich etwas mit seinem Tod zu tun habe. Mein Leben hängt ohnehin nur am seidenen Faden.«

»Vielleicht weiß Clydog ja schon von dem Toten in der Kapelle?« überlegte Fidelma weiter.

»Gewiß nicht«, sagte Eadulf entschieden.

»Warum gewiß?«

»Wenn er es wüßte, hätte er längst darauf angespielt. Ich bin schließlich ein Angelsachse.«

Fidelma schwieg.

Eadulf zerrte vergebens an seinen Fesseln. Es machte ihn rasend, daß er so hilflos war. Erst vor kurzem war er in dieser grausigen Zelle in der Abtei Fearna eingesperrt gewesen und hatte auf seinen Tod gewartet. Wut und Verzweiflung packten ihn, schon wieder gefangen und derart ausgeliefert zu sein.

Da aus der anderen Ecke der Hütte nichts zu hören war, nahm Eadulf an, daß Fidelma nun meditierte. Durch die Kunst der dercad hatten unzählige Generationen von irischen Mystikern den Zustand des inneren Friedens erlangt, ihre Gedanken zur Ruhe gebracht und ihr Seelenheil gefunden. Eadulf wollte diese Kunst gern selbst erlernen. In Zeiten besonderer Belastung griff Fidelma häufig darauf zurück. Doch hatte nicht der heilige Patrick persönlich einst einige meditative Praktiken der Selbsterleuchtung ausdrücklich verboten, da man sich schon zu heidnischen Zeiten ihrer bedient hatte? Die Kirche der fünf Königreiche tolerierte zumindest die Meditation zum Zwecke der Entspannung und Beruhigung der Nerven.

Die Zeit verstrich. Langsam wurde es kälter, die frühabendlichen Schatten wurden von der Dunkelheit geschluckt. Sie konnten das Flackern eines Feuers vor der Hütte erkennen und hörten das laute Gelächter der Männer.

»Eins können wir aus diesem Feuer lernen, Eadulf«, bemerkte Fidelma leise.

»Das da wäre?« erwiderte Eadulf vom anderen Ende der dunklen Hütte.

»Daß Clydog und seine Männer keine Angst haben, das Feuer könnte Aufmerksamkeit erregen. Sie müssen sich ihrer Sache ziemlich sicher sein.«

Fidelma schwieg plötzlich, denn jemand stand am Eingang zur Hütte; Clydogs Stimme drang aus der Finsternis zu ihnen.

»Nun, wie ich euch versprochen habe, das Festmahl ist bereitet, und wir möchten dich als unseren Hauptgast an unserer Tafel willkommen heißen, meine Lady.«

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