Kapitel 12

Schweigend ritten sie in Llanwnda ein. Fidelma hatte seit ihrem Aufbruch von der Hütte im Wald nur wenig gesprochen. Als sie die Brücke über den Fluß in die Ortschaft überquerten, vernahmen sie aus der Schmiede den Klang des Schmiedehammers und das Ächzen des Blasebalgs. Dann sahen sie Iorwerth bei der Arbeit. Er hatte kaum einen Blick für die vorbeiziehenden Fremden. Auf dem Platz hinter der Brücke, wo vor zwei Tagen die aufgebrachte Menge versucht hatte, Idwal zu erhängen, lag immer noch der riesige Holzhaufen, aufgeschichtet für ein Feuer. Hier und dort spielten Kinder. Leute standen herum und schwatzten miteinander, andere warfen neugierige Blicke auf Fidelma und ihren Begleiter.

Eadulf schaute zu Fidelma. Ihm war klar, daß sie der Mord an Bruder Meurig stark beschäftigte. Die Ermordung eines Geistlichen war gewiß ein scheußliches Verbrechen. Als er sich in Mutmaßungen über den Täter hatte ergehen wollen, hatte sie wie immer erwidert: »Es hat keinen Sinn zu spekulieren.« Sie hatte den Vorfall nicht weiter mit ihm erörtern wollen, obwohl er spürte, daß sie während des Ritts in Gedanken verschiedene Möglichkeiten durchspielte. Das hatte ihn verärgert.

Fidelma nahm seinen Verdruß zwar wahr, wollte ihn aber auf keinen Fall an ihren Überlegungen teilhaben lassen. Sie zog es vor, in Ruhe nachzudenken. Sie hatte sich Bruder Meurigs Leiche genau angesehen, ebenso die Hütte, die Axt und die Umgebung. Doch sie war auf nichts gestoßen, was Licht in das Dunkel hätte bringen können. Was hatte Bruder Meurig im Wald zu suchen gehabt? Hatte er sich die Stelle anschauen wollen, an der Mair umgebracht worden war? Wenn dem so war, weshalb war er auf eine so hinterhältige Weise getötet worden?

Es hatte keinen Sinn, all das mit Eadulf zu besprechen. Er stellte sich sicher dieselben Fragen.

Die friedliche Ruhe in Llanwnda stand in krassem Gegensatz zu dem, was sie in der Hütte im Wald entdeckt und im Kloster Llanpadern erlebt hatten. Niemand schien überrascht, sie wiederzusehen. Niemand schien sich über ihr Eintreffen zu wundern.

»Laß uns gleich Gwnda aufsuchen«, meinte Fidelmazu Eadulf. Langsam ritten sie auf den Wohnsitz des Fürsten von Pen Caer zu.

Erst als sie absaßen und ihre Pferde an einem Pfahl vor dem Fürstensitz festbanden, trat Gwnda heraus. Er schien sich nicht gerade zu freuen über ihre Ankunft.

»Was gibt es Neues aus Llanpadern? Ihr seid rasch wieder hier«, begrüßte er sie ohne jede Begeisterung.

Fidelma betrachtete ihn genau. »Weißt du, wo sich Bruder Meurig aufhält?« fragte sie.

»Ich habe keine Ahnung. Er ist heute vormittag aufgebrochen«, antwortete Gwnda.

»Wohin?«

Gwnda zuckte mit den Schultern. »Das hat er mir nicht gesagt.«

»Wann wollte er zurück sein?«

»Hat er auch nicht gesagt.«

Fidelma versuchte, ihre Wut zu unterdrücken.

»Hat er jemand anderem mitgeteilt, was er vorhat?« fragte nun Eadulf.

»Der barnwr ist ein verschwiegener Mann.« Gwnda lächelte gleichgültig. Dann bemerkte er, wie müde und erschöpft Eadulf und Fidelma aussahen. »Ihr scheint keine gute Unterkunft gefunden zu haben. Gab es in Llanpadern kein Bett für euch? Letzte Nacht ging hier ein schlimmes Gewitter nieder.«

»Wir mußten in einer Höhle Zuflucht suchen«, erklärte Eadulf kurz. »Doch jetzt würden wir uns über ein Bad und saubere Wäsche freuen.«

»Bis zu eurem Aufbruch zur Abtei Dewi Sant seid ihr meine Gäste«, verkündete der Fürst pflichtschuldigst.

»Dann werden wir ...«, Eadulf verstummte, denn er hatte Fidelmas scharfen Blick bemerkt. Sie wollte wohl auf jeden Fall verhindern, daß er verriet, daß Bruder Meurig tot war. »... werden wir deine Gastfreundschaft annehmen«, beendete er schleppend seinen Satz.

Sie folgten Gwnda ins Haus. Der klatschte in die Hände, und Buddog erschien. Als sie die Besucher erkannte, kniff sie die Augen ein wenig zusammen.

»Buddog, Schwester Fidelma und Bruder Eadulf sind noch einmal unsere Gäste. Sorge dafür, daß man ihnen ein Bad richtet und ihnen Erfrischungen bringt. Auch ihre Pferde müssen versorgt werden.«

Buddog neigte leicht den Kopf. »Wird gemacht.«

Während Gwnda seine Anweisungen gegeben hatte, hatte Fidelma ihrem Gefährten zuflüstern können: »Laß mich über Bruder Meurig berichten.«

Sie nahmen vor dem Feuer Platz. Buddog brachte ihnen Getränke und verkündete, daß das Bad vorbereitet werde. Als sich Gwnda zu ihnen setzte und seinen Becher in die Hand nahm, sagte Fidelma leise: »Pater Clidro ist tot.«

Einen Moment starrte sie der Fürst von Pen Caer an. »Also war es doch ein Angriff der Sachsen? Wie viele Brüder sind umgekommen?« In seiner Stimme schwang ein wenig Triumph mit.

»Noch sieben weitere, soweit wir wissen, und Pater Clidro. Er wurde in der Scheune von Llanpadern erhängt, wohingegen die anderen bei den Klippen in der Nähe von Llanferran den Tod fanden, so wie man dir berichtet hat.«

Gwnda seufzte tief. »Unsere Küste ist vor Übergriffen der Angeln und Sachsen wenig geschützt.«

»Kennst du einen Geächteten, der Clydog genannt wird?«

Gwnda zuckte bei der Erwähnung des Namens derart zusammen, daß er sich ein wenig von seinem Met über die Hand kippte.

Fidelma lächelte finster. »Wie es scheint, kennst du ihn«, bemerkte sie, ehe der Fürst sich wieder gefaßt hatte.

»Die meisten Leute in der Gegend von Pen Caer wissen, wer Clydog ist, und viele haben leider schon seine Bekanntschaft gemacht«, sagte der Fürst.

»Was weißt du über ihn?«

Gwnda betrachtete Fidelma und Eadulf nachdenklich. »Was hat Clydog mit der Sache zu tun?« fragte er zögernd.

»Ich möchte nur, daß du mir sagst, was du über ihn weißt.«

Gwnda schwieg nachdenklich. »Clydog Cacynen.« Er sprach den Namen beinah höhnisch aus. »Vor sechs Monaten hörten wir, daß in den Wäldern um Ffynnon Druidion Reisende überfallen und ausgeplündert wurden. Anfangs wurde niemand umgebracht, man raubte die Leute aus und ließ sie laufen. Sie berichteten von einem Banditen, der sich Clydog nannte, ziemlich gebildet wirkte und ihnen mit einem Grinsen alles Wertvolle abnahm. Er hat eine kleine Gruppe von Kriegern um sich geschart, vermutlich irgendwelche Abenteurer, Diebe und Mörder, die auf der Flucht vor dem Gesetz sind. Ein Dutzend Männer oder so, die sich mit ihm in den Wäldern verstecken.«

Damit erzählte ihnen Gwnda nur, was sie schon wußten. »Zuerst wurden die Ausgeraubten also nicht getötet. Das bedeutet, daß man später welche ins Jenseits beförderte?« erkundigte sich Fidelma.

Gwnda nickte. »So ist es, Schwester. Clydogs Überfälle wurden immer verwegener. Einmal sandte König Gwlyddien einen Trupp Krieger durch die Wälder, um Clydog aufzuspüren, doch sie schafften es nicht. Clydog kennt jeden Baum und Strauch im Wald von Ffynnon Druidion.«

»Gwlyddien hatte Krieger ausgeschickt? Du bist der Fürst von Pen Caer. Warum hast du nicht einen Trupp Krieger zusammengerufen, um Clydog unschädlich zu machen?«

Gwnda lachte bitter vor sich hin. »Ich hätte kein Dutzend Männer dafür gefunden. Die meisten jungen Männer dienen schon Fürst Rhodri, um unsere Grenzen zum Königreich Ceredigion zu schützen.«

»Abgesehen von diesem einen Versuch von König Gwlyddien hat man gegen Clydog seitdem nichts weiter unternommen?«

»Solange er nicht eine der großen Siedlungen von Pen Caer angreift und sich auf Wegelagerei beschränkt, stellt er keine große Bedrohung für diese Gegend dar.«

»Also besteht deine Taktik darin, Clydog in Ruhe zu lassen, in der Hoffnung, er läßt euch in Ruhe?« fragte Fidelma tadelnd. »Was ist, wenn er für die Vorkommnisse in Llanpadern verantwortlich ist?«

Gwnda zuckte erstaunt zusammen. »Hast du nicht gesagt, daß es sich um einen Überfall der Sachsen handelt? Meinst du etwa, daß Clydog die Schuld an der Ermordung Pater Clidros und der anderen trägt? Das ist doch Unsinn! Wozu sollte er das getan haben?«

»Und was wäre, wenn er dahintersteckte?« wiederholte sie eindringlicher.

»Dann, nehme ich an, müßte König Gwlyddien Krieger ausschicken, um ihn zu vertreiben. Allerdings brauchte man dazu eine stattliche Anzahl, denn sie müßten die Wälder durchkämmen, und das Königreich kann nicht noch mehr ausgebildete Krieger aufbieten. Nicht zu dem jetzigen Zeitpunkt.«

»Warum?«

»Artglys, der König von Ceredigion, bedroht unsere Grenzen, sucht Schwachstellen in der Hoffnung, unser Land zu erobern. Unsere Grenzen sind lang, und unsere Krieger stehen überall, um sie zu sichern.«

Fidelma dachte einen Augenblick nach. »Wir wissen, was Clydog tut, aber ich würde gern wissen, wer er ist.«

Gwnda war verblüfft. »Wer er ist?«

»Dieser Räuber ist doch sicher nicht plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht, oder?«

Der Fürst von Pen Caer nickte bedächtig. »So ist es aber gewesen.«

»Du meinst, daß er nicht aus dieser Gegend stammt?«

»Nicht daß ich und die anderen das wüßten.«

»Wenn er nicht von hier ist, wieso kennt er sich dann so gut aus, daß er den Kriegern des Königs entkommen konnte?« hielt Eadulf ihm entgegen.

Gwnda schnaubte mißbilligend. »Das ist eine gute Frage, angelsächsischer Bruder. Wirklich eine gute. Doch niemand, dem Clydog bisher begegnet ist, konnte ihn mit jemandem von hier in Verbindung bringen. Vielleicht weiß einer seiner Leute hier so gut Bescheid.«

Fidelma war enttäuscht. Sie war sich sicher gewesen, daß Clydog aus Pen Caer stammte, und hatte gehofft, daß ihn seine Herkunft irgendwie mit ihrem rätselhaften Fall in Verbindung bringen würde.

Da betrat Buddog wieder den Raum. »Die Gäste können nun ihr Bad nehmen, Fürst«, verkündete sie. »Doch wir haben keine frischen Sachen, die für die beiden frommen Leute angemessen wären. Vielleicht nehmen die Schwester und der Bruder aber mit unseren normalen Kleidern vorlieb, bis ihre gewaschen sind.«

Langsam erhob sich Fidelma. »Das tun wir gern. Danke für deine Gastfreundschaft, Gwnda.«

Als Buddog wieder fort war, standen auch der Fürst und Eadulf auf. »Ich hoffe aufrichtig, daß die Angelegenheit, die euch herführte, so rasch wie möglich aufgeklärt wird«, sagte der Fürst.

»Das hoffen wir auch, Gwnda«, erwiderte Fidelma feierlich. »Es mag jedoch einige Zeit dauern. Denn du mußt wissen . Bruder Meurig ist verschwunden.«

Eadulf hatte schon gespannt darauf gewartet, in welchem Moment Fidelma damit auftrumpfen würde.

Gwndas Gesichtsausdruck veränderte sich nur langsam. Dann schüttelte er sich wie ein zottiger Hund. »Bruder Meurig ist tot?«

»Er liegt tot im Wald«, erklärte ihm Fidelma.

Gwnda seufzte. »Ermordet, meinst du? Warum hast du mir das nicht sofort mitgeteilt?«

»Du hast gesagt, du wüßtest weder, wohin Bruder Meurig unterwegs war, noch wann er wiederkommt. Was hättest du mir denn erzählt, wenn du schon vorher von seinem Tod gewußt hättest?«

»Nichts, nur .«

»Nur?«

»Sein Tod lastet schwer auf meinem Gewissen. Vielleicht hätte ich ihn vor seinem Aufbruch nachdrücklicher warnen sollen. Ich hätte dieses Verbrechen verhindern können.«

Fidelma und Eadulf sahen sich an. »Ihn warnen sollen? Den Mord verhindern können? Das klingt ja, als wüßtest du weit mehr über Bruder Meurigs Ermittlungen, als du uns verraten hast?«

»So ist es nun wieder nicht.«

»Ach? Du beharrst darauf, daß du nicht wußtest, was er auskundschaften wollte, aber du hättest ihn davon abhalten können, sich auf den Weg zu machen, und so seinen Mord verhindern können?« Fidelmas Stimme klang zynisch.

Gwnda suchte nach einer Rechtfertigung. Er blieb dabei: »Ich hätte es verhindern können. Am besten, ich breche sofort mit ein paar Männern zur Hütte auf und hole Bruder Meurigs Leiche her.«

»Ehe du losgehst, bist du uns noch ein paar Erklärungen schuldig, glaube ich«, sagte Fidelma leise.

»Was soll ich da erklären? Bevor Bruder Meurig sich verabschiedete, hätte ich ihn auffordern sollen, sich lieber allein auf den Weg zu machen. Das ist alles.«

»Allein?« Fidelma legte die Stirn in Falten. »Willst du etwa sagen, daß er in Begleitung eines anderen von hier losgegangen ist?«

»Habe ich das nicht schon gesagt?«

Fidelma atmete in ihrer Wut hörbar aus. »Im Namen der Heiligen, verrate uns endlich, wer Bruder Meurig begleitet hat und warum du meinst, daß diese Person für seinen Tod verantwortlich ist!«

»Nun, er ist mit dem Mörder von Mair losgezogen.«

»Mit Mairs Mörder?« wiederholte Eadulf.

»Der Junge, Idwal. Er ist mit Idwal aufgebrochen.«

Eine Stunde später hatten sich Fidelma und Eadulf durch ein Bad erfrischt und saubere Kleider angelegt. Buddog teilte ihnen mit, daß Gwnda sie in der großen Halle erwartete.

Gwnda wartete tatsächlich auf sie.

»Ich habe zwei meiner tüchtigsten Jäger und Fährtenleser ausgeschickt, die nach Spuren von Idwal suchen sollen«, erklärte er. »Doch er hat fast einen Tag Vorsprung, und wir werden erst morgen beim ersten Tageslicht seine Verfolgung aufnehmen können. Wie es aussieht, beweist Bruder Meurigs Tod die Schuld des Jungen nun endgültig.«

»Daß der Junge mit Bruder Meurig zusammen losging, ist kein Beweis dafür, daß er Mair oder Meurig ermordet hat.«

Gwnda starrte sie offenen Mundes an, dann lachte er finster. »Schwester, du bezweifelst jetzt doch sicher nicht mehr, daß der Junge schuldig ist?«

»Da sind immer noch viele Fragen offen. Aber du hast recht, Idwal muß gefunden werden. Ich hoffe, daß deine Leute ihn unversehrt herbringen, sobald sie ihn haben?«

»Sie wissen, daß sie einen Mörder verfolgen. Sie werden entsprechend handeln«, erwiderte Gwnda.

»Bruder Meurig war ein barnwr. Ich bin eine dalaigh und ihm seiner Stellung nach ebenbürtig«, verkündete Fidelma. »Deshalb übernehme ich nun diesen Fall.«

»Beim heiligen Kreuz, das tust du nicht!« entgegne-te Gwnda ihr mit großer Bestimmtheit.

Fidelma erwiderte seinen Blick, ohne eine Miene zu verziehen. »Stellst du etwa meine Autorität in Frage?« Ihre Stimme war ganz sanft. Eadulf wußte, daß das am gefährlichsten war.

»Hier besitzt du keine Autorität. In dieser Angelegenheit sowieso nicht.«

»Ich verfüge über eine Vollmacht des Königs Gwlyddien von Dyfed«, widersprach Fidelma ihm.

»Nein, das stimmt nicht.«

Fidelma riß ungläubig die Augen auf. »Bruder Meurig hat es dir bei unserem Eintreffen mitgeteilt. Du hast das zu dem Zeitpunkt akzeptiert.«

Gwnda schüttelte den Kopf. »König Gwlyddien hat dich nur mit den Ermittlungen zum Verschwinden der Klostergemeinschaft von Llanpadern beauftragt.

Er hat Bruder Meurig hergeschickt, um Idwals Schuld zu untersuchen. Ich bin Fürst von Pen Caer, und ich werde in diesem Fall entscheiden.«

Fidelma mußte schlucken. Er hatte recht, wenn man das Gesetz genau nahm. Sie war hier nicht zuständig. Ihr wurde bewußt, daß sie nachgeben mußte.

»Wenn das so ist, muß ich dich inständig bitten, mich weiter ermitteln zu lassen, Gwnda. Ich glaube, daß hier ein Unrecht geschieht.«

»Du hast die Befugnis, in Llanpadern zu ermitteln, und mehr nicht«, erwiderte Gwnda entschlossen. »Ihr seid heute nacht noch meine Gäste. Ich nehme an, daß ihr morgen zur Abtei Dewi Sant aufbrechen wollt. Bis dahin rate ich euch, euch nicht zu weit aus dem Schutz meines Hauses zu entfernen.«

Fidelma kniff die Augen zusammen. »Das klingt ja beinahe wie eine Drohung, Gwnda?« Wieder einmal nahm Eadulf den gefährlich leisen Ton in ihrer Stimme wahr.

Gwnda wirkte unbeeindruckt. »Meine Worte haben absolut nichts Bedrohliches an sich, Schwester. Ich warne euch nur um deiner Sicherheit und der deines angelsächsischen Begleiters willen.«

»Das kommt mir aber sehr wie eine Drohung vor«, warf Eadulf verbittert ein.

»Wenn sich Bruder Meurigs Tod erst einmal herumgesprochen hat, werden viele hier sehr aufgebracht sein. Die Tatsache, daß Idwal Mair umgebracht hat, haben die meisten in Llanwnda so hingenommen. Jetzt sieht es so aus, als hätte er auch Bruder Meurig auf dem Gewissen. Die Leute werden sich daran erinnern, daß ihr sie davon abgehalten habt, Rache an Id-wal zu nehmen. Wäret ihr nicht eingeschritten, so wäre Meurig noch am Leben.«

»Wir haben den Mob nicht vom Mord abgehalten«, berichtigte ihn Eadulf. »Bruder Meurig war es, der dieser vorschnellen Handlung Einhalt gebot.«

Gwnda lächelte leicht. »Bruder Meurig hat den Preis für seinen Fehler zahlen müssen. Doch wenn ihr nun in Llanwnda herumlauft, könnte sich jemand daran erinnern, daß ihr mit ihm zusammen gewesen seid und gemeinschaftlich die Schuld an dem nächsten Mord tragt.«

»Das ist ein völlig absurder Gedanke«, entgegnete ihm Fidelma entschieden.

»Ich spreche natürlich nicht für mich, sondern für meine Untergebenen«, sagte Gwnda ausweichend. »Die Leute hier handeln eher absurd, wenn es um Rache geht.« Er drehte sich zur Tür um. »Wenn ihr noch etwas benötigt, so läutet mit der Handglocke. Buddog wird euch zu Diensten sein.«

Sie hörten, wie sich seine Schritte entfernten und wie kurze Zeit darauf ein Pferd den Stall verließ.

Eadulf war vollkommen resigniert. »Das war es dann! Morgen kehren wir zur Abtei Dewi Sant zurück. Zumindest können wir ...«

Fidelmas verächtlicher Blick hieß ihn schweigen. »Meinst du etwa, daß ich einfach davonlaufe?«

»Ich schätze nicht.«

»So ist es.«

»Was hast du also vor?«

»Noch nie habe ich mich von einem Fall zurückgezogen, zu dem ich hinzugerufen wurde. Das werde ich auch jetzt nicht tun.«

»Dann wirst du um die Vollmacht von König Gwlyddien ersuchen müssen, damit du gegenüber dem Fürsten von Pen Caer etwas in den Händen hast.«

Sie blickte ihn an und lächelte. Wie gewöhnlich besaß Eadulf die Gabe, immer das Praktische ins Auge zu fassen. Eadulf ahnte, woran sie dachte, und stöhnte innerlich.

»Du willst, daß ich zur Abtei Dewi Sant reite und um die Vollmacht von König Gwlyddien ersuche?«

Sie nickte und fügte hinzu: »Das ist unsere einzige Chance.«

»Habe ich noch Zeit, vorher etwas zu essen?« fragte er verdrießlich.

»Aber sicher. Und zu schlafen. Ich glaube, das beste ist, wenn wir so tun, als würden wir morgen beim ersten Tageslicht gemeinsam aufbrechen. Ich werde mir dann irgendwo in der Nähe von Llanwnda eine Unterkunft suchen, während du zur Abtei reitest. Wenn du dich beeilst, könntest du innerhalb von vierundzwanzig Stunden zurück sein.«

»Was wirst du die ganze Zeit über machen?« fragte Eadulf. »Du wirst dich nicht groß draußen zeigen und Ermittlungen anstellen können, und du darfst dich nicht in Gefahr begeben und etwa unserem Freund Clydog und seiner Bande in die Hände fallen.«

Fidelma sah trübselig drein. »Da passe ich schon auf. Aber du hast recht, viele Freiheiten habe ich nicht bis zu deiner Rückkehr.«

»Ich glaube, wir sollten den Plan noch einmal überdenken«, fuhr Eadulf fort. »Über Idwal wirst du absolut niemanden befragen können. Außerdem hat Gwnda ja recht, wie du weißt.«

Sie blickte ihn herausfordernd an. »Recht? In welcher Beziehung?«

»Die Sache mit Idwal geht uns eigentlich nichts an. Unsere Aufgabe ist es ...«

Sie hob die Hand und gebot ihm zu schweigen. »Erspare mir, was ich schon hundertmal hören mußte«, zischte sie. Doch dann lächelte sie ihn reumütig an. »Tut mir leid, Eadulf, aber das hast du mir bereits vorher erklärt - mehrere Male.«

Er mußte ihr kleinlaut beipflichten. »Aber Tatsachen bleiben Tatsachen, ganz gleich, wie oft man sie wiederholt«, rechtfertigte er sich.

»Tatsache ist, daß ich langsam glaube, alles, was hier geschieht, steht in irgendeinem Zusammenhang miteinander. Ich möchte wissen, in welchem.«

»Es ist nicht das erstemal, daß du andeutest, eine Verbindung zwischen all den Vorfällen zu sehen. Wie kommst du darauf? Ich habe dafür bisher keine Anhaltspunkte entdeckt.«

»Ich spüre es.«

»Du verläßt dich doch aber sonst nicht auf deine Intuition.«

»Ich verlasse mich auch nicht darauf, wie du sehr gut weißt. Doch Brehon Morann hat oft gesagt, daß das Herz und die Gefühle die Dinge erkennen, noch ehe der Kopf dazu in der Lage ist.«

»Und häufig machen Herz und Gefühle blind, wohingegen der Verstand den Weg zeigt«, murrte Eadulf.

»Ich dachte, wir könnten zusammenarbeiten«, ent-gegnete nun Fidelma, von sich selbst überrascht. »Statt dessen streiten wir uns die ganze Zeit. Was ist mit uns geschehen, Eadulf?«

Eadulf wurde klar, daß sie recht hatte. Seit sie in dieses verfluchte Land Dyfed gekommen waren, hatte es zwischen ihnen ständig Reibereien gegeben. Nicht daß ihnen Streit fremd war. Sie hatten sich oft gestritten, doch jeder hatte dem anderen weiterhin Respekt gezollt. Und beide hatten ihren Sinn für Humor behalten. Fidelma neckte Eadulf oft wegen ihrer unterschiedlichen Ansichten über den Glauben und ihrer unterschiedlichen philosophischen Grundsätze. Doch das war immer ein freundliches Geplänkel gewesen, das nie etwas Feindseliges hatte. Doch nun, nun . Was stimmte da nicht? Eine zunehmende Bitterkeit schwang in ihren Worten mit.

Nachdenklich rieb er sich das Kinn.

»Ich glaube, es liegt an der Atmosphäre hier, Fidelma«, antwortete er leise. »Ich spüre, wie bedrük-kend sie ist.«

»Du warst düsterer Stimmung, seit wir in Dyfed an Land mußten. Vielleicht hätte ich das nicht einfach übergehen sollen. Vielleicht hätten wir wirklich in Porth Clais auf das nächste Schiff warten sollen.«

Eadulf wußte, daß sie nicht glaubte, was sie da von sich gab. Sie war hier in ihrem Element, sie ging diesem rätselhaften Fall nach. Ihr das zu verwehren würde bedeuten, ihr ihr Lebenselixier zu nehmen.

»Das liegt alles bloß an mir«, sagte er nach einer Weile. »Ich bin ja derjenige, der hier Trübsal bläst.«

Fidelma blickte ihn rasch an, um zu sehen, ob er das aufrichtig meinte. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich glaube, die Schwierigkeiten haben mit meiner Entscheidung am Loch Garman begonnen, als unser Schiff dort lossegelte.« Ihre Stimme war ganz emotionslos.

Eadulf preßte die Lippen aufeinander. Er sagte nichts.

Fidelma wartete einen Moment, und als er immer noch schwieg, fuhr sie fort: »Die Weisen sagen ne cede malis, aber das ist offenbar genau das, was wir hier tun. Wir unterwerfen uns dem Mißgeschick. Das haben wir noch nie getan.«

»Auf diesem Land lastet ein Fluch«, stieß Eadulf zornig hervor.

»Ein Fluch?« Fidelma mußte lächeln. »Ich habe noch nie erlebt, daß du dich auf den Aberglauben deines Volkes berufst, Eadulf.«

Eadulf errötete. Ihm war durchaus bewußt, daß die meisten Christen aus anderen Ländern die erst kürzlich zum neuen Glauben bekehrten Angeln und Sachsen nicht für echte Christen hielten. Er dachte an die Leiche des toten Hwicce in dem Sarkophag in Llan-padern und das Gerücht über ein sächsisches Schiff, das auf Beutezug war. Er wußte wohl, wie sehr die Britannier in diesen Königreichen die Angeln und Sachsen haßten. Er hatte bisher immer das Gefühl gehabt, über den Schandtaten seines Volkes zu stehen, die sie in dem jahrhundertelangen blutigen Kampf zur Vertreibung der Britannier nach Westen begangen hatten. Die sächsischen Kriege hatten nichts mit ihm zu tun, meinte er. Die sollten lieber von der Kirche verurteilt werden, er hatte keinen Anteil daran. Daß Fidelma ihn in Verbindung brachte mit .

Seine finsteren Gedanken wurden unterbrochen. Jemand hatte den Raum betreten und kam auf den Tisch zu, an dem sie saßen. Es war Buddog.

»Ich bin gekommen, um den Tisch zu decken«, verkündete die Haushälterin leise und nahm Teller von einem Holztablett.

Fidelma beobachtete die strenge, verschlossene Frau mißtrauisch. »Weißt du schon das Neueste?«

Buddog fuhr mit ihrer Arbeit fort. »Was Bruder Meurig betrifft? Ja, das habe ich gehört.«

»Gwnda behauptet, daß der Richter von Idwal umgebracht wurde.«

»Das geht mich nichts an.«

»Ich kann mich erinnern, daß du das letztemal, als wir hier waren, Bruder Meurig zu verstehen gegeben hast, daß Idwal ein wenig Mitleid verdient hätte.«

»Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte Buddog schroff.

»Was hast du denn gesagt?«

»Ich sagte, falls Idwal Mair umgebracht hat, hätte sie es auch verdient.«

»Ach ja«, bemerkte Fidelma. »Das stimmt. Deiner Meinung nach war sie flatterhaft und hat den Männern den Kopf verdreht. Wieso war das so? Welche Gründe hattest du, so zu reden?«

»Mair war durchtrieben. Launisch. Sie wickelte die Männer um den Finger. Sie konnte mit ihnen anstellen, was sie wollte.«

»Richtig, jetzt fällt es mir wieder ein. Doch damit sagst du, daß sie kaum noch Jungfrau war, wofür sie ihr Vater ja hielt.«

»Was wußte denn Iorwerth schon davon, was Mair tat? Eine schöne Jungfrau, wirklich«, warf Buddog höhnisch ein. »Sie hat die Begierden der Männer als Waffe gegen sie eingesetzt.«

»Du scheinst sie ja sehr gut gekannt zu haben. Jedenfalls besser als ihr Vater«, meldete sich Eadulf zu Wort.

»Ich kannte sie. Sie war oft genug hier.«

»So. Sie war ja Elens Freundin, nicht wahr? Doch was die männlichen Begierden betrifft - wer waren denn ihre Opfer? Meinst du Idwal damit?«

»Und andere.«

»Welche anderen?«

Da öffnete sich die Tür. Ein attraktives dunkelhaariges Mädchen trat ein. Eadulf brauchte einen Moment, ehe er sich besann, daß es sich um Elen handelte, die Tochter von Gwnda, Fürst von Pen Caer. Sie zögerte, als sie Buddog erblickte. Die Dienerin nutzte die Gelegenheit, den Raum mit gesenkten Augen zu verlassen.

»Stimmt es?« waren die ersten Worte, die Elen fast außer Atem hervorbrachte. »Stimmt es, daß Bruder Meurig ermordet wurde und daß ihr nach Idwal sucht, der ihn aus Rache umgebracht haben soll?«

Fidelma bedeutete dem Mädchen, sich auf einen Stuhl neben sie zu setzen. Elen befolgte ihre wortlose Aufforderung und nahm Platz. Dann wiederholte sie noch einmal mit Nachdruck ihre Frage. »Stimmt es?«

»Es stimmt, daß Bruder Meurig in der Waldhütte erschlagen wurde. Doch es ist nicht wahr, daß wir nach Idwal suchen lassen, weil er der Mörder sein soll. Dein Vater hat uns klargemacht, daß wir in dieser Sache keinerlei Einfluß haben. Trotzdem würden wir gern Idwal finden, sei es auch nur um seiner eigenen Sicherheit willen.«

Eine Weile schwieg das Mädchen. »Bruder Meurig hat mir erzählt, daß du eine berühmte Richterin aus Cashel bist.«

»Wann hast du mit Bruder Meurig gesprochen?«

Das Mädchen spitzte nachdenklich die Lippen. »Er stellte mir gestern ein paar Fragen, ehe ich losgegangen bin.«

»Du bist fortgegangen?«

»Ich bin soeben aus Cilau zurück und habe im Ort von seinem Tod erfahren.«

»Cilau?« Fidelma überlegte laut. »Ich glaube, diesen Namen schon einmal gehört zu haben.«

»Das ist eine kleine Siedlung hier in der Nähe. Dort wohnt eine Cousine von mir«, erklärte das Mädchen. »Mittags bin ich von da weg, um noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück zu sein.«

»Hast du gewußt, daß Bruder Meurig in den Wald wollte?«

»Ja, er wollte heute vormittag dort hin, um sich die Stelle anzuschauen, wo Mair zu Tode kam«, antwortete Elen.

»Wußtest du auch, daß er Idwal mitnehmen wollte?«

»Wer sonst sollte ihm genau den Ort zeigen können, wo es passiert ist?«

»Wenn ich mich recht besinne, warst du nicht der Meinung, Idwal hätte deine Freundin Mair getötet, nicht wahr?«

»Idwal kann niemandem etwas zuleide tun. Du hast dich mit ihm unterhalten, also wirst du wissen, daß er ein unbedarfter Junge ist. Unbedarft, aber nett . Und er ist so freundlich. Manchmal, wenn ein Schaf oder ein Lamm, das zu seiner Herde gehört, vom Fels abstürzt und sich verletzt, dann bringt er es kaum über sich, ihm den Gnadenstoß zu versetzen. Nur der Gedanke, daß das Leben des Tieres mit der Verletzung qualvoller ist als der Tod, kann ihn dazu bewegen.«

»Du hast Idwal also richtig gern?« fragte Fidelma ermunternd.

»Ich weiß, daß er Mair nicht hätte umbringen können.«

»Weißt du auch, daß dein Vater überzeugt ist, der Mord an Bruder Meurig gehe ebenfalls auf sein Konto?«

»Mein Vater hat Idwal noch nie leiden können. Ich glaube, daß er Bruder Meurig genausowenig hätte umbringen können wie Mair.«

»Du scheinst mehr mit dem Herzen als mit dem Verstand zu entscheiden«, warf Eadulf trocken ein.

Fidelma wußte, daß seine Worte eher an sie gerichtet waren. Sie sah ihn rasch an, aber ihr Gefährte schaute weg.

»Ehe wir aufbrechen, würde ich gern noch etwas anderes von dir wissen, Elen«, sagte Fidelma. »Bud-dog mochte deine Freundin Mair wohl überhaupt nicht? Wie lange ist sie schon bei euch im Haus?«

»Sie war schon vor meiner Geburt hier«, erklärte Elen. »Die arme Buddog.«

»Warum?«

»Sie ist die Geliebte meines Vaters. Doch ich glaube, daß mein Vater ihrer inzwischen überdrüssig ist.«

Das erklärt einiges an Buddogs Verhalten, dachte Fidelma.

»Elen, wie gut kennst du Idwal eigentlich?«

Das Mädchen zögerte ein wenig, ehe ihr der tiefere Sinn von Fidelmas Frage bewußt wurde. Ihre Augen wurden größer. »Ich bin keine ...«, sie zögerte, »... zwischen uns ist nichts weiter, nichts Sexuelles. Wird es auch nie geben. Er ist vier Jahre älter als ich, ein einfacher, freundlicher Junge, den viele bemitleiden, weil er keine Eltern hat. Ein Schäfer zog ihn auf . Ie-styns Bruder, aber ich habe seinen Namen vergessen.«

»Wir kennen Idwals Geschichte«, mischte sich Eadulf nun ein. »Deine Beziehung zu ihm ist also nicht tiefer?«

Das Mädchen errötete vor Ärger. »Wie ich schon sagte.«

»Es ist irgendwie eigenartig«, sprach Fidelma langsam, »daß du so fest von Idwals Unschuld überzeugt bist und deine Meinung nur auf deinen Gefühlen zu dem Jungen beruht. Möglicherweise sind wir alle unter bestimmten Umständen zu einem Mord fähig. Ich will damit sagen, im Affekt oder wenn uns eine Notwendigkeit dazu zwingt, die stärker als unsere Moral ist ...«

»Ich kann mir keinen Umstand vorstellen, bei dem Idwal derart außer sich geraten könnte, daß er einen Mord beginge«, erwiderte Elen überzeugt.

Nachdenklich betrachtete Fidelma das Mädchen. Sie schien offen und ehrlich zu sein. »Erzähl mir mehr von deiner Freundin Mair.«

Einen Moment war Elen offenbar mit sich im Zwiespalt. »Was willst du noch wissen?«

»Wie lange kanntest du sie schon?«

»Wir sind zusammen aufgewachsen. In diesem kleinen Ort hier kennt jeder jeden. Mair und ich waren die einzigen beiden Mädchen gleichen Alters und sahen uns sogar sehr ähnlich. Fremde hielten uns manchmal für Schwestern.«

»Ich glaube, daß du noch aus einem anderen Grunde weißt, daß Idwal unschuldig ist an dem Verbrechen ... Aus einem anderen Grund als nur dem vagen Gefühl in deinem Herzen.«

Fidelmas Vermutung kam selbst für Eadulf unvermittelt und überraschend.

Elen schwieg, also fuhr Fidelma fort: »Als man Id-wal beschuldigte, Mair vergewaltigt und ihr die Jungfräulichkeit genommen zu haben, da wußtest du, daß es nicht stimmen konnte, nicht wahr?«

Das Mädchen zuckte nur mit der Schulter. »Mair war nicht mehr Jungfrau«, bestätigte sie. »Das hatte sie mir schon vor vielen Monaten gesagt.«

»Wenn Mair einen Geliebten hatte, heißt das, man kann kein Geld mehr für den Verlust ihrer Jungfräulichkeit einfordern, so wie es ihr Vater nun tut, das wäre gegen das Gesetz.«

»Wie hast du von Mairs Liebhaber erfahren?« fragte Elen neugierig.

»Idwals Worte haben es mir verraten, ohne daß er es ausgesprochen hätte.«

»Idwal ist nicht gerade geschickt darin, ein Geheimnis zu bewahren«, bemerkte Elen. »Hat er gesagt, wer Mairs Liebhaber war?«

»Er hätte uns nicht einmal gesagt, daß Mair einen Geliebten hatte, wenn ich es nicht mit einer List aus ihm herausgeholt hätte«, erwiderte Fidelma. »Den Namen wollte er auch nicht nennen. Er sagte, er hätte Mair geschworen, zu schweigen. Sie wollte, daß er für sie eine Nachricht überbrachte. Idwal sträubte sich. Die Nachricht war offenbar für ihren Liebhaber.«

Elen senkte traurig den Kopf. »Er hat ein edles Gemüt und bricht seine Versprechen nicht. Das ist noch ein Beweis mehr, warum er Mair nicht hätte umbringen können.«

»Angenommen, daß es so ist, weißt du, wer ihr Liebhaber war?«

»Nein, das weiß ich nicht. Sie war sehr verschwiegen. Sie hat mir nur erzählt, wie die erste Nacht gewesen ist - so wie sich Mädchen eben über ihre Liebsten unterhalten. Mair war sehr zynisch. Sie machte sich sogar ein wenig über ihren Liebhaber lustig; er war wohl sehr linkisch und unerfahren.«

»Mair hingegen hatte Erfahrung, was?« fragte Eadulf mit spöttischem Unterton.

Fidelma neigte sich auf einmal zu dem Mädchen vor, um ihm in die Augen zu blicken. »Bruder Eadulf hat recht. Fand diese Unterhaltung mit Mair statt, als sie gerade ihre Jungfräulichkeit verloren hatte, oder hatte sie schon zuvor ihre Erfahrungen gemacht?«

Elen überlegte sich ihre Antwort genau, denn ihr wurde deren Tragweite bewußt. Dann schüttelte sie den Kopf. »Zu jenem Zeitpunkt prahlte sie damit, ihre Jungfräulichkeit verloren zu haben. Mair war den Männern immer sehr zugetan gewesen - besonders älteren Männern. Ich erinnere mich, daß sie damals über fleischliche Gelüste sprach und mir verriet, daß ihr Geliebter ein älterer Mann sei, der unbeholfen war und dem sie sich überlegen fühlte.«

»Ein älterer Mann?« Fidelma richtete sich nachdenklich auf. »Da Mair ziemlich jung war, könnte es sich auch um jemanden handeln, der einfach nur ein wenig älter war als sie.«

»Elen, hast du überhaupt keine Ahnung, wer es sein könnte?« fragte Eadulf.

Elen schüttelte heftig den Kopf.

»Denk gründlich nach«, bedrängte er sie. »Das könnte auch der Mann sein, der sie getötet hat, falls dein Freund Idwal, wie du behauptest, es nicht gewesen ist.«

»Ich denke nicht, daß Mair von ihrem Geliebten umgebracht worden ist.«

»Ich schätze, das ist wohl eine weitere vom Gefühl bestimmte Aussage, oder?« fragte Eadulf boshaft.

»Nein«, entgegnete das Mädchen. »Wißt ihr, ich glaube, ich sollte an jenem Tag das Opfer sein.«

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