Kapitel 16

»Du vermutest doch nur, daß Iorwerth in die Sache verwickelt ist«, sagte Fidelma und versuchte Elen zu beruhigen.

Elen schüttelte trotzig den Kopf.

»Du mußt logisch denken«, redete ihr Fidelma zu. »Der Krieger kann ebensogut in der Schmiede gewesen sein, um sein Pferd neu beschlagen zu lassen. Wieso glaubst du, daß er und Iorwerth etwas miteinander zu tun haben?«

»Weil sie miteinander gelacht und getrunken haben, als ich vorbeilief. Was sollte das sonst bedeuten, außer daß sie unter einer Decke stecken? Ich weiß, daß er mich erkannt hat und Iorwerth gefragt hat, wer ich bin.« Das Mädchen war offenbar sehr von seiner Sicht der Dinge überzeugt.

»Weißt du denn, was dein Vater inzwischen unternommen hat? Wollte er Iorwerth zur Rede stellen?«

»Ich weiß nicht, was er vorhat. Er sagte, ich solle verschwinden, bis er alles erledigt hätte.«

»Und er hatte nichts dagegen, daß du uns einweihst?« wollte Fidelma noch einmal wissen. Sie wandte sich Eadulf zu. »Ist es nicht eigenartig, daß er uns gegenüber nichts davon erwähnte, als wir bei Iorwerth in der Schmiede waren?«

»Vielleicht wollte er nicht, daß Iorwerth etwas davon erfährt«, gab Eadulf zu bedenken.

»Vielleicht«, stimmte ihm Fidelma widerwillig zu. »Sag mir, Elen, meinst du, daß Iestyn auch damit zu tun hat?«

»Er ist Iorwerths Freund.«

»Doch was für eine Art Mann ist er?«

»Heute ist er Bauer. Aber früher hat er als Krieger an vielen Kämpfen teilgenommen. Jetzt ist er alt, alt und verbittert, und meint, daß die Jugend ihm nicht genügend Respekt zollt.«

»Wo genau liegt sein Hof?« fragte Fidelma interessiert.

»Kennst du die Brücke über den Fluß, die in die Ortschaft hineinführt? Dort, wo sich Iorwerths Schmiede befindet?«

»Ja.«

»Ehe man die Brücke überquert, biegt man nach rechts ab und folgt dem Pfad. Ungefähr eine Meile am Fluß entlang. Am Ende des Weges liegt sein Gehöft.«

»Ist er verheiratet?«

»Er war verheiratet.«

»Kinder?«

»Sind alle in den Grenzkriegen für Gwlyddien gefallen. Das ist ein Grund für seine Verbitterung.« Elen schwieg kurz und blickte von einem zum anderen. »Es ist spät geworden. Wißt ihr jetzt genug von mir?«

Fidelma nickte.

»Was hast du vor?« fragte Eadulf das Mädchen, als es aufstand und sich den Mantel um die Schultern warf.

»Ich will fort von hier. Ich habe den Dienern meines Vaters gesagt, daß ich in Cilau bei meiner Cousine bleibe. Doch dorthin werde ich nicht gehen.«

»Wohin denn dann?« fragte Fidelma. »Mach dir keine Gedanken, du kannst uns voll vertrauen. Falls ich diesen Fall löse, was ich vorhabe, muß ich wissen, wo du dich aufhältst. Du könntest als Zeugin gebraucht werden.«

»Du wirst es niemandem verraten?« fragte das Mädchen unsicher.

»Nein.«

Elen blickte zu Eadulf, der ebenfalls nickte.

»Südwestlich von hier liegt ein Ort namens Llanrhian. Dort habe ich eine Freundin. Da will ich hin.«

»Etwa noch heute nacht? Bei diesem Wetter?«

»Besser nachts. Ich kenne den Weg sehr gut, niemand wird mich sehen.«

In der Ferne rollte der Donner. Elen zuckte zusammen. Dann fuhr ihre Hand in eine Tasche ihres Kleides, holte etwas hervor und reichte es Fidelma.

»Ich möchte, daß du das aufbewahrst. Idwal hat es mir gegeben, damit ich es für ihn hüte. Es war das einzig Wertvolle, was er besaß. Er fürchtete, die Leute, die ihn gefangengenommen hatten, würden es ihm wegnehmen.«

Fidelma betrachtete den Gegenstand. Es war eine Kette aus Rotgold, an dem sich ein mit Juwelen verzierter Anhänger befand, der einen Hasen darstellte.

»Wann hat dir Idwal die Kette gegeben?« fragte Fidelma.

»An dem Tag, an dem er als Gefangener in unser Haus gebracht wurde.«

»An dem Tag, als Mair ermordet wurde?«

»Genau. Die Kette hätte seiner Mutter gehört, sagte Idwal, und er hatte sie von Iolo, dem Schäfer bekommen, der ihn aufzog.«

Elen drehte sich zur Tür um und blickte in die immer schwärzer werdende Nacht hinaus.

»Ich habe euch gesagt, was ich weiß. Ich muß los. Betet für mich, denn mir ist klar, wie falsch es war, so lange über die Todesursache der armen Mair geschwiegen zu haben.«

»Wir werden dafür beten, daß du sicher an dein Ziel gelangst, Elen«, versprach ihr Fidelma ernst. »Was Mair betrifft, so mußt du allein mit deinem Gewissen ins reine kommen. Vielleicht hast du recht, vielleicht auch nicht. Ganz gleich, wie es ist, dich trifft keine Schuld, glaub mir.«

Das Mädchen lächelte und verließ die Hütte. Sie hörten, wie sie sich auf ihr Pferd schwang und davonritt.

Eadulf schaute zu Fidelma hinüber, die immer noch am Feuer stand, damit die Kleider trockneten.

»Nun, es sieht fast so aus, als klärten sich die Dinge ganz von selbst. Du hattest recht, was Idwals Un-schuld betrifft. Es war offensichtlich Clydog, der Mair ermordet hat.«

Fidelma schüttelte den Kopf. Sie hob die Kette mit dem funkelnden Anhänger hoch.

»Ganz im Gegenteil, Eadulf. Ich glaube, die Angelegenheit ist jetzt nur noch verworrener. Wir können nichts mehr für bare Münze nehmen. Daß Clydog Mair anstelle Elens umgebracht hat, ist nur eine Vermutung, für die es an Beweisen fehlt.«

»Du hast gehört, was das Mädchen sagte. Das paßt doch alles zusammen, oder?«

»Aber welche Rolle spielt Gwnda dabei? Du hast ihn verdächtigt. Er war indirekt beteiligt an der Ermordung Idwals. Warum? Wollte er ihn mundtot machen? Weshalb? Falls Gwnda wirklich glaubte, daß Idwal schuldig war, warum läßt er es zu, daß uns seine Tochter ihre Geschichte anvertraut? Das ist doch alles sehr seltsam. Oder etwa nicht?«

»Würde Gwnda sich zum Komplizen einer Verschwörung machen, die die Ermordung seiner Tochter zum Ziel hatte? Was war das für eine Verschwörung? Warum sollte er Elen davon abhalten, über das zu sprechen, was sie zufällig im Wald aufgeschnappt, aber nicht richtig verstanden hat? Ich sehe keinen Grund. Und ich weiß nicht, wie wir weitermachen sollen.«

»Das ist mir ganz klar«, sagte Fidelma und blickte aus der Tür. Es regnete kaum noch. »Wir sollten uns wohl noch einmal mit Iestyn unterhalten«, fuhr sie fort. »Danach ist Iorwerth wieder an der Reihe, der uns sagen muß, was er über den fremden Krieger weiß.«

Eadulf seufzte. »Deshalb warst du so sehr darauf aus, mehr über Iestyn zu erfahren.«

Fidelma griff ihren immer noch feuchten Mantel und hängte ihn sich um. Dann ging sie zu den Pferden hinaus. Eadulf löschte das kleiner gewordene Feuer und folgte ihr nach draußen. Der Nieselregen hatte zwar aufgehört, doch die Nacht war kalt und feucht.

Schweigend ritten sie zurück in Richtung Brücke. Kurz vor der Brücke schlug Fidelma den Weg entlang des Flusses ein, den Elen ihr beschrieben hatte. Zu ihrer Linken strömte das dunkle Wasser, zu ihrer Rechten bildeten die Bäume und das Unterholz einen dichten Wall.

Eadulf beugte sich nach vorn, um besser sehen zu können. Es war stockfinster. Immer noch hingen schwere Regenwolken über ihnen. Weder Mond noch Sterne drangen hindurch. Unter solchen Umständen vertraute Eadulf Fidelmas Gewandtheit als Reiterin, ließ sie voranreiten und überließ es seinem Pferd, einen sicheren Weg zu finden.

Die Strecke war länger, als Fidelma geschätzt hatte. Schließlich sah sie vor sich ein Licht und erkannte die vagen Umrisse von Gebäuden. Das war also Iestyns Gehöft. Sie drehte sich zu Eadulf um, der nichts weiter als ein dunkler Schatten in der Schwärze der Nacht war.

»Wir wollen nicht gleich auf uns aufmerksam machen«, flüsterte sie ihm zu.

Sie führte ihr Pferd um eines der Gebäude herum. Es war offenbar die Scheune, in deren Schutz sie anhielt und absaß. Sie entdeckten einen großen Busch, an dem sie die Pferde festbinden konnten. Dann tasteten sie sich zu einer Ecke der Scheune vor.

Licht schien durch die Fenster des Haupthauses, ein schwacher Schein fiel über den Hof.

»Was siehst du?« fragte Eadulf und versuchte, etwas in dem Halbdunkel zu erspähen.

»Still!« zischte ihn Fidelma an. »Vor dem Haus sind zwei Pferde angebunden.«

»Ja, und?« erwiderte Eadulf, der nun genauso leise sprach wie sie.

»Das sind keine Ackergäule.«

»Ich verstehe nicht«, murmelte er, trat versehentlich in irgendwelchen Schlamm und stöhnte verärgert auf.

»Das sind zwei Streitrosse. Welche Krieger besuchen wohl des Nachts ein abgelegenes Bauerngehöft?«

»Clydog?« flüsterte Eadulf auf einmal beunruhigt.

»Es könnten alle möglichen Leute sein. Freunde. Selbst Verwandte. Aber wir sollten wohl lieber auf der Hut sein.«

Eadulf hatte schon einen Einwand auf den Lippen, doch dann zog er es vor zu schweigen. Aus Dank dafür, daß das Gewitter vorbei war und der Regen aufgehört hatte, murmelte er ein Gebet.

Fidelma lief vorsichtig auf das Bauernhaus zu. Sie erreichte, ohne ein Geräusch zu machen, ein Fenster und spähte hinein. Durch das grobe, undurchsichtige Glas konnte sie aber nichts erkennen. Sie sah sich zu Eadulf um und schüttelte den Kopf.

»Ich kann nichts entdecken«, flüsterte sie. »Aber ich glaube, daß Iestyn und seine Besucher im Haus sind.«

»Was machen wir jetzt?« fragte Eadulf. »Warten wir hier draußen im Feuchten, oder sollten wir einfach anklopfen?«

Fidelma berührte Eadulf am Arm und zeigte zur Scheune hinüber, hinter der sie ihre Pferde angebunden hatten. Gebückt liefen sie über den Hof und hatten das schwarze offenstehende Tor fast erreicht, als sich ein Schatten bewegte.

Ein bedrohliches Knurren, das in ein hohes Gebell überging, warnte sie, dann sprang ihnen ein riesiger Hund aus der Scheune entgegen. Er war nur einen Meter von Fidelma entfernt, als plötzlich sein Bellen verstummte und nur noch ein schmerzerfülltes Winseln zu hören war. Es kam Eadulf so vor, als sei das Tier mitten im Sprung aufgehalten worden. Es sank zu Boden, vor Schmerzen japsend und jaulend.

Eadulf konnte erkennen, daß der Hund angekettet war. Wären sie näher an der Scheune dran oder die Kette des Hundes länger gewesen, so hätte er sie erwischt.

Die Pferde im Hof fingen unruhig zu wiehern an. Der Hund knurrte und bellte beleidigt. Eadulf sah sich voller Verzweiflung um, packte dann Fidelma am Arm und schob sie auf ein kleines Gebäude zu, das von einer niedrigen Mauer umgeben war. Er sprang über die Mauer und half dann Fidelma auf die andere Seite. Um sie herum regte es sich. Dem Gestank nach mußten sie in einem Schweinekoben gelandet sein.

Die Schweine beschnüffelten sie eingehend, legten sich dann aber - gleichgültig gegenüber den beiden Eindringlingen - wieder hin.

Vorsichtig hoben Fidelma und Eadulf die Köpfe. Am anderen Ende des Hofes ging gerade die Tür des Bauernhauses auf. Ein Mann hielt eine Laterne hoch. Der Hund bellte immer noch aufgebracht.

»Still, Ci!« fuhr ihn der Mann schroff an. »Was zum Teufel ist denn nur los mit dir?«

Sie erkannten Iestyn. Ein anderer Mann stellte sich neben ihn. Fidelma holte tief Luft und flüsterte dann Eadulf ins Ohr: »Das ist Corryn.«

Der Hund winselte ungeduldig, als er seinen Herrn sah.

»Was hat den Hund so aufgebracht?« fragte Cor-ryn.

»Da draußen ist nichts«, erwiderte Iestyn. »Die Pferde sind scheu. Vielleicht haben sie ihm einen Schrecken eingejagt.«

»Vielleicht«, stimmte ihm Corryn zögernd zu. Er blickte sich im Dunkel um.

Nun gesellte sich ein Dritter dazu. »Dein Haus liegt weitab von der Ortschaft«, sagte dieser. »Da würde doch sicher niemand mehr so spät hier vorbeikommen, oder?«

Iestyn lachte bitter.

»Niemand kommt hier in einer solchen Nacht vorbei. Das da vorn ist der einzige Weg vom und zum Ort. Das weißt du. Und überhaupt, warum macht ihr euch solche Sorgen? Ich hätte mir mehr Gedanken darüber gemacht, am hellichten Tag in den Ort zu reiten. Man hätte dich erkennen können.«

Der dritte Mann lachte auf. »Ich glaube nicht, daß man mich erkannt hat. Dagegen habe ich das Mädchen wiedererkannt. Doch ich bin mir sicher, daß sie nicht wußte, wer ich bin. Egal, ich weiß ja nun, wer sie ist. Gwndas Tochter.«

»Genau«, warf Corryn ein. »Was ist, wenn sie jemandem etwas erzählt hat? Das Ganze war sehr gefährlich. Es könnte alle unsere Pläne zunichte machen.«

»Doch nur, wenn sie etwas aufgeschnappt hat. Sie hat wahrscheinlich gar nichts mitbekommen. Dennoch geht alles viel zu schleppend voran. Ceredigion kann nicht länger hingehalten werden.«

»Wenn Artglys mit Dyfed ein Bündnis eingehen will, muß er warten«, hielt ihm Corryn vor. »Wir haben soviel Zeit damit zugebracht, den Plan heranreifen zu lassen, da werden wir ihn doch jetzt nicht einfach aufgeben. Und welche Wahl hätte Artglys denn? Er hat keine.«

Der andere zuckte mit den Schultern. »Die Krieger von Ceredigion sind gut ausgebildet und bereit zum Kampf. Wir können sofort in den Krieg ziehen.«

Corryns Stimme klang herausfordernd. »Glaubst du denn etwa, daß in Dyfed Schwächlinge leben? Wie oft ist Ceredigion schon gegen Dyfed in den Krieg gezogen? Seit Ceredigs Zeiten habt ihr immer neidisch auf dieses Königreich geschaut. Oft habt ihr versucht, es zu erobern, aber es hat euch widerstanden. Es wird sich nicht bezwingen lassen, nur weil Ceredigion in die Schlacht zieht; es wird nur durch eine List zu erobern sein. Also wollen wir uns schön an den Plan halten, den wir so sorgfältig ausgearbeitet haben.«

Der Dritte schob zornig die Kinnlade vor. »Der Plan wird befolgt, solange mein Lord Artglys es sagt!«

»Dann solltest du besser deinen König fragen, ob er an dem Bündnis noch interessiert ist oder nicht.« Corryn wandte sich ab.

»Und du solltest Clydog nach seinen Absichten fragen!« rief ihm der Krieger zu.

Corryn drehte sich rasch um. »Clydogs Absichten sind nicht die meinen!« fuhr er ihn barsch an. »Geh nur und teile Artglys’ Handlanger, dem guten Morgan, mit, daß er mit der nächsten Stufe des Plans beginnen sollte. Wir müssen dafür sorgen, daß Gwlyd-dien selbst bald loslegt. Offensichtlich braucht es noch ein paar Leichen mehr, um seine Wut zum Überkochen zu bringen. Noch ein paar niedergemetzelte Mönche am Strand könnten ihn vielleicht in Rage versetzen. Verstehst du?«

Der dritte Mann schien zu zögern. »Nun gut«, sagte er dann. »Ich begreife jetzt, warum man dich die Spinne nennt, mein Freund. Warten, Ränke schmieden, beobachten, und dann ... Wollen wir hoffen, daß wir Geduld bewahren. Ich werde Artglys sagen, was du wünschst.«

Ohne ein weiteres Wort ließ er die anderen beiden stehen und ging zu seinem Pferd. Er saß auf und verschwand im Dunkel der Nacht, ohne sich noch einmal umzusehen.

Iestyn stand noch neben Corryn und hielt die Laterne hoch, so als würde er dem Davonreitenden hinterherblicken.

»Ist das ein arroganter Kerl, mein Herr«, sagte der Bauer abschätzig.

»Ein wahres Wort«, stimmte ihm Corryn zu. »In den kommenden Tagen sollten wir uns ein Urteil über ihn bilden. Denk daran, daß es sich hier nicht um einen foedus amorum handelt, sondern um einen Vertrag zu unserem Nutzen, der aufgelöst werden kann, sobald das Ziel erreicht ist.«

»Vertraust du Clydog, Herr?«

»Überhaupt nicht.« Corryn lachte laut. »Sein Vater tut das wohl auch nicht, wie mir scheint. Hat er Cly-dog nicht losgeschickt, um in Dyfed Unruhe zu stiften und nicht in seinem Haus? Da fällt mir ein, daß ich zu ihm muß. Gibt es sonst noch etwas Neues von dieser Frau ... der Gwyddel und ihrem sächsischen Freund?«

»Sie sind wieder da und haben sogar mich und Ior-werth ausgehorcht. Die Gwyddel interessiert sich aber mehr für Mairs Mörder als für unsere Machenschaften.«

»Könnte Iorwerth etwas ausgeplaudert haben, was sie auf unsere Spur führt? Dieser Idiot aus Ceredigion hätte nicht sein Pferd in Iorwerths Schmiede beschlagen lassen dürfen.«

Iestyn schüttelte schnell den Kopf. »Was sollten sie erfahren haben? Geheime Informationen überbringen wir im geheimen. Iorwerth hat damit nichts zu tun; es besteht keine Möglichkeit, unserem Plan zuvorzukommen.«

Corryn schwieg eine Weile. »Du hast vielleicht recht, mein Freund. Doch die Schwester ist keine Närrin. Ich habe gehört, daß diese Richter an den Gerichten von Ei-reann sehr listenreich und findig arbeiten. Sie sicher auch. Und der Sachse ebenso. Mir ist es unbegreiflich, wie leicht sie Clydog reinlegten und aus seinem Lager fliehen konnten. Doch es ist ihnen gelungen!«

»Wenn die Zeit reif ist, wirst du mit ihnen abrechnen können, Herr«, sagte Iestyn. »Jedenfalls haben sie keine Ahnung.«

»Trotzdem, Iestyn, mir gefällt es nicht, daß sie hier die Leute verhören.«

Iestyn lachte in sich hinein. »Mich mögen sie befragen, Herr. Hab keine Angst. Der Plan ist sicher. Sie scheinen sich nur für Mairs Tod zu interessieren.«

»Ich verlasse mich auf dich, Iestyn«, erwiderte der andere, »denn du weißt, was dir Verrat einbringt.«

Auf einmal herrschte Schweigen zwischen ihnen. Dann ging Corryn zu seinem Pferd und saß auf.

»Halte mich über die üblichen Kanäle auf dem laufenden, Iestyn. Wenn Morgan seine Anweisungen befolgt, wird Gwlyddien bald etwas unternehmen. Wenn er erst einmal angestachelt ist ... Das Königreich gehört uns!« Er hob zum Abschied die Hand und ritt in die Nacht hinein.

Iestyn sah ihn in der Dunkelheit verschwinden und ging zu seinem Hund. Der lag vor der Scheune, den Kopf zwischen den Pfoten; er jaulte.

»Gib Ruhe, Ci, du dummes Tier.«

Der Hund stand auf und bellte.

Iestyn sah sich zögernd um. Fidelma und Eadulf duckten sich tief hinter die Schweinestallwand.

»Oh, ich weiß«, sagte Iestyn. »Ich habe vergessen, dich zu füttern. Keine Sorge. Ich habe einen Knochen für dich.« Er ging zum Haus zurück.

Fidelma packte Eadulf am Arm, und kurz darauf waren sie beide über die Mauer geklettert. Der Hund hatte sie bemerkt und fing wieder an zu bellen. Sie hörten Iestyns verärgerte Stimme.

»Halt die Schnauze, du dummer Köter! Ich bringe den Knochen sofort!«

Fidelma und Eadulf eilten, so schnell sie konnten, zu den Pferden. »Komm, bloß fort von hier«, flüsterte Fidelma.

Als sie von der Scheune fortritten, schob sich plötzlich der Mond zwischen den Wolken hervor. Doch er konnte die stockfinstere Nacht kaum erhellen.

»Auf den Weg können wir nicht zurück«, sagte Fidelma. »Falls Iestyn den Hund losbindet, wird er uns einholen, und Corryn ist auch noch nicht weit genug weg. Vielleicht kehrt er noch einmal um.«

Eadulf sondierte den Fluß. »Hier ist eine Furt. Da ist er flach genug. Geh du voraus, Fidelma.«

Folgsam führte sie ihr Pferd ins Wasser und trieb es voran. Das Geräusch, das dabei entstand, wurde vom Rauschen des Flusses ein wenig weiter aufwärts gedämpft, denn dort drängte das Wasser über eine Barriere aus Felsen und Steinen, fast einem Wasserfall gleich. Eadulf folgte Fidelma dichtauf. Er konnte immer noch das Bellen des Hundes hinter ihnen hören.

Die Pferde stiegen mit Leichtigkeit die Uferböschung hinauf und verschwanden mit ihren Reitern bald in dem Baumdickicht, das den Fluß säumte. Dort einen Weg ausfindig zu machen war nicht einfach, doch schließlich gelangten sie auf einen schmalen Pfad. Er schien in die Ortschaft zu führen.

Als sie eine ziemliche Strecke geritten waren, brach Eadulf das Schweigen.

»Warum sind wir nicht dort geblieben und haben Iestyn zur Rede gestellt?«

Fidelma gönnte ihrem Pferd eine Pause. »Das wäre der falsche Zeitpunkt gewesen«, sagte sie.

»Corryn war doch fort«, meinte Eadulf. »Unser Erscheinen hätte Iestyn vielleicht überrascht, ihn zu einem Geständnis veranlaßt.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ganz im Gegenteil, ich glaube, daß selbst Iestyn dann gewußt hätte, warum sein Hund so laut angeschlagen hat. Jetzt haben wir die besseren Karten in der Hand. Wir kehren mit Kenntnissen zurück, die Iestyn uns nicht zutraut.«

»Ich muß zugeben, daß ich völlig durcheinander bin«, gestand Eadulf. »Jedesmal, wenn ich meine, daß die Dinge einen Sinn ergeben, werden sie undurchsichtiger.«

Fidelma klopfte ihrem Pferd nachdenklich den Hals. »Zum erstenmal sehe ich einen Lichtstreif am Horizont, Eadulf«, sagte sie zuversichtlich.

»Wie denn das?«

»Wir haben da zufällig etwas über eine Verschwörung erfahren, um Gwlyddien zu entmachten und das Königreich von Dyfed zu erobern. Ich glaube, daß die Vorfälle in Llanpadern etwas mit diesem Plan zu tun haben.«

Eadulf dachte einen Augenblick nach. »Eine Verschwörung im benachbarten Königreich von Cere-digion?«

»Ceredigion spielt eine zentrale Rolle dabei.«

»Willst du etwa sagen, daß in dieser Sache die Hwicce mit Ceredigion unter einer Decke stecken? Das kann ich nicht glauben. Die Hwicce sind die letzten, die die ehrgeizigen Absichten eines Herrschers der Welisc unterstützen würden.«

»Hängt das nicht davon ab, was man ihnen dafür bietet, Eadulf?«

»Du hättest recht, wenn du all die anderen angelsächsischen Königreiche meinen würdest. Doch die Hwicce würden sich niemals in die Angelegenheiten eines Welisc hineinziehen lassen.«

»Bist du da ganz sicher?«

»Ich würde drauf wetten. Da wir nun von dieser Verschwörung wissen«, fuhr Eadulf fort, »meinst du nicht, daß wir Gwndas Gastfreundschaft lange genug in Anspruch genommen haben? Sollten wir nicht zur Abtei zurückkehren und Gwlyddien mitteilen, daß sein Königreich in Gefahr ist?«

»Ganz gewiß werden wir ihn warnen«, stimmte ihm Fidelma zu, »doch wir sollten jetzt nicht unsere Ermittlungen aufs Spiel setzen. Es bleiben zu viele Fragen offen, wenn wir uns einfach aus dem Staub machten und Gwlyddien allein herausfinden ließen, wer hinter der Verschwörung gegen ihn steckt.«

Eadulf stöhnte leise auf. Tief im Inneren hatte er gewußt, daß Fidelma so reagieren würde. Doch zum erstenmal neigte er dazu, sich von seinen Befürchtungen leiten zu lassen: dem Wunsch, rasch von diesem Ort seiner Blutsfeinde zu verschwinden und zu seinen Landsleuten zurückzukehren, nach Canterbury. Er hatte genug von all den Gefahren bei den Welisc.

»Was willst du denn noch hier?« fragte er. »Wir wissen, daß Clydog und Corryn in die Verschwörung verwickelt sind und daß Iestyn ihr Geheimnis kennt. Außerdem ist uns bekannt, daß ein Schiff der Hwicce die Küste umsegelt und deiner Meinung nach auch was damit zu tun hat.«

»All das hilft uns kaum weiter«, erklärte ihm Fidelmageduldig. »Zu wissen, wie all diese Dinge miteinander zusammenhängen, das wäre nützlich. Vielleicht auch die Lösung der unzähligen Rätsel zu kennen, vor denen wir stehen. Hat Clydog Mair umgebracht? Falls es so war, warum mußte Bruder Meurig sterben? Warum mußte Idwal dran glauben? Wie ist Gwnda daran beteiligt? Warum zollt Iestyn Corryn solchen Respekt? Du hast gehört, wie er ihn angesprochen hat. Eine Frage ergibt die nächste.«

Eadulf streckte einen Arm vor, als wolle er der Flut ihrer Überlegungen Einhalt gebieten. »Ich stimme zu, daß da sehr viel ist, was wir noch nicht verstehen. Warum schickt wohl Gwlyddien nicht einen seiner eigenen barnwrs her, um der Sache auf den Grund zu gehen? Warum uns?«

»Weil wir, wie du dich erinnerst, seinen Auftrag angenommen haben.«

»Ich erinnere mich«, sagte Eadulf resigniert.

»Es ist mir zuwider, eine Aufgabe nicht zu Ende zu führen«, fügte Fidelma hinzu. »Finis coronat opus!«

»Unter andern Umständen würde ich dem zustimmen«, murmelte Eadulf. »Doch ich kann nichts dagegen tun, daß ich mich in diesem Königreich ständig in Angst und Schrecken befinde.«

»Das brauchst du mir nicht zu sagen, Eadulf«, erklärte Fidelma düster. »Nie zuvor habe ich dich so nervös erlebt. Weder in Rom noch in meiner Heimat, nicht einmal, als du in Fearna dem Tod ins Gesicht sahst. Was verstört dich hier so?«

Eadulf sann nach. »Ich habe dir schon einmal erzählt, daß zwischen meinem Volk und den Britanni-ern große Feindschaft herrscht. Die Welisc sind meine Blutsfeinde.«

»Komm schon, Eadulf. Du bist ein Christ. Du bist niemandes Feind.«

»So einfach ist das nicht. Ein Feind kann eingebildet oder wirklich sein. Schon das Wort >Angelsachse< reicht hier aus, mir den Tod zu wünschen.«

»Ich glaube, du siehst da Gespenster. Vielleicht würden dich die Leute nicht so hassen, wenn du sie nicht so fürchten würdest?«

Eadulf war klug genug, um zu bemerken, daß sie versuchte, seine Ängste mit Vernunft zu zerstreuen, doch eine so tiefsitzende, von den Vorvätern überkommene Furcht ließ sich nicht einfach wegwischen.

»Es gibt noch andere Dinge als meine Furcht und den Haß, über die wir uns Gedanken machen sollten«, sagte er eigensinnig. »Was hast du jetzt vor?«

In dem Dunkel sah er nicht, daß Fidelma ihn mitleidig anblickte. »Du hast recht. Wir verschwenden unsere Zeit; wir sollten zu Gwnda zurückkehren. Im Moment hat es keinen Sinn, mit Iorwerth zu sprechen. Trotzdem möchte ich Gwnda mit dem konfrontieren, was Elen uns heute abend erzählt hat. Und aus Iestyn muß ich auch noch mehr herausbekommen.«

»Müßten wir Gwlyddien nicht sofort vor der Verschwörung warnen?«

»Wenn wir Dewi wirklich trauen können, wird er oder eine andere Person aus der Abtei Dewi Sant morgen nachmittag hier sein. Wir können demjenigen dann eine Nachricht an den König mitgeben.«

Sie hatten die Ortschaft erreicht und ritten wieder an dem aufgeschichteten Holzstapel vorbei, der immer noch nicht angezündet war. Ganz oben bemerkten sie die Strohpuppe aus Iorwerths Schmiede. Fidelmahielt ihr Pferd an, sah hinauf und lachte dann zu Eadulfs Überraschung leise.

»Was hat es damit auf sich?« wollte Eadulf wissen.

»Was bin ich nur töricht. Da hätte ich doch schon längst drauf kommen können.«

Eadulf wartete geduldig ab.

»Mir ist gerade klargeworden, was morgen für ein Tag ist . Der Scheiterhaufen und die Strohpuppe.«

»Was für ein Tag denn?« fragte Eadulf.

»Das Samhainfest.«

Eadulf runzelte die Stirn, als er den Namen des alten irischen Feiertags hörte. »Du meinst den Vorabend von Allerheiligen?«

»Eben diese eine Nacht im Jahr, in der das Jenseits mit all seinen Geistern und Dämonen sichtbar wird und die Seelen jener, denen wir in diesem Leben ein Leid zugefügt haben, zurückkehren und Vergeltung fordern«, bestätigte Fidelma.

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