Kapitel 13

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Selbst Fidelma kostete es Mühe, die Frage, die Elens Worte heraufbeschworen, auszusprechen.

Plötzlich wurde es laut vor der Tür. Gwnda trat ein. Er wirkte sehr erregt.

»Sie haben . «, hub er an. Nun entdeckte er Elen und schwieg. Dann sagte er: »Elen, laß uns bitte allein.«

»Aber Vater, was . «, beschwerte sich das Mädchen.

Gwnda stampfte mit dem Fuß auf - eine Reaktion, die Fidelma überrascht schmunzeln ließ. Sie hatte davon gehört, daß Leute in höchster Wut mit den Füßen aufstampften, aber gesehen hatte sie es noch nicht.

»Geh sofort hinaus!«

Widerstrebend stand das Mädchen auf und schaute Fidelma mit einem Blick an, der ihr zu verstehen gab, daß sie das Gespräch gern fortsetzen würde. Dann ging sie.

Gwnda wartete, bis sie draußen war. »Ich möchte nicht, daß sie das mit anhört«, erklärte er kurz.

»Das war kaum zu übersehen«, versicherte ihm Fidelmatrocken. »Was soll Elen denn nicht mit anhören?«

»Der Junge .«

»Meinst du Idwal?« mischte sich nun Eadulf ein.

»Idwal. Er ist gefunden worden.«

Fidelma sprang auf. »Dann müssen wir ihm umgehend einige Fragen stellen«, sagte sie entschlossen.

Eadulf stand auch auf, aber Gwnda machte eine abweisende Handbewegung.

»Dafür ist es zu spät. Ich sagte euch doch, daß die Leute aufgebracht reagieren würden, wenn sie von Bruder Meurigs Tod erfahren. Iorwerth und Iestyn haben den Mob angeführt. Sie . Sie haben den Jungen gelyncht.«

»Ist er tot?« fragte Fidelma nach einer Pause. Im selben Moment wurde ihr klar, daß diese Frage überflüssig war. Natürlich war der Junge tot. Sie konnte es in Gwndas Gesicht lesen.

»Ich habe Iorwerth und Iestyn für ihre Tat zurechtgewiesen«, sagte der Fürst von Pen Caer. »Ich sehe ein, daß sie gegen das Gesetz verstoßen haben. Doch ich glaube, es war ein gerechter Ausgang der ganzen Sache, und König Gwlyddiens oberster Richter wird dafür Verständnis haben. Der Junge ist tot. Damit ist die Angelegenheit erledigt.«

»Tatsächlich?« Fidelmas Zorn war nicht zu überhören. Eadulf wiegte sich voller Unbehagen hin und her.

»Ja, es ist in der Tat eine traurige Geschichte«, redete Gwnda weiter, ohne das Funkeln in ihren Augen zu bemerken. »Es tut mir nur leid, daß das Ganze mit dem Tod eines so erfahrenen barnwr wie Bruder Meurig endete.«

»Das ist sicherlich bedauerlich.« Fidelmas Stimme klang gefährlich kalt.

Gwnda klatschte in die Hände, woraufhin Buddog eintrat. Er befahl ihr, Met zu bringen.

»Ich habe die Leiche des Jungen zu Elisse, dem Apotheker, bringen lassen. Ich werde dafür sorgen, daß der Junge ein ordentliches Begräbnis erhält. Damit ist der Fall endgültig abgeschlossen«, verkündete er und setzte sich hin. »Meine Tochter kannte Idwal«, fügte er hinzu, als wollte er etwas erklären. »Ich wollte nicht, daß sie erfährt, was gerade geschehen ist.«

»Sie wird es bald selbst herausfinden«, meinte Eadulf.

»Das stimmt, ich werde es ihr in angemessener Form beibringen. Zunächst wollte ich es euch allein mitteilen.«

»Es ist empörend, daß die Leute den Richterspruch mißachtet haben«, sagte Fidelma, die ihre Wut jetzt ein wenig gezügelt hatte. Eadulf hatte befürchtet, sie würde völlig außer sich geraten, doch sie schien ihre Gefühle im Griff zu haben. »Verweigerst du es mir immer noch, über den Tod von Mair und Bruder Meurig Ermittlungen anzustellen?«

Gwnda sah sie erstaunt an. »Ermittlungen? Aber wir haben den Fall doch gelöst. Nicht innerhalb des Gesetzes, aber wir haben ihn gelöst.«

»Der Meinung bin ich nicht.«

Gwnda runzelte verärgert die Stirn. »Ich habe dir schon einmal gesagt, daß du in diesem Fall keine Befugnisse hast. Die Angelegenheit ist, soweit es mich betrifft, erledigt. Ich werde der Abtei Dewi Sant eine Botschaft schicken, damit das Gericht davon in Kenntnis gesetzt wird.«

Fidelma neigte nachdenklich den Kopf. »Nun gut, aber gegen meine Ermittlungen im Fall des Klosters Llanpadern hast du ja wohl nichts einzuwenden.«

Gwnda war mißtrauisch geworden. »Das weißt du doch. Du hast die Erlaubnis des Königs.«

»Dann werde ich mit jenen Ermittlungen fortfahren.« Sie drehte sich um und bedeutete Eadulf, ihr zu folgen. Gwnda blieb verwirrt und gereizt zurück.

Draußen fragte Eadulf verblüfft: »Was sollte denn das heißen?«

Fidelma lächelte ihn an. »Ich werde mit Iorwerth und Iestyn reden.«

»Aber Gwnda hat gesagt .«

»Gwnda hat gesagt, daß er nichts dagegen hätte, wenn ich mit meinen Ermittlungen zu Llanpadern weitermache. Du wirst dich daran erinnern, daß Idwal am Vormittag von Mairs Tod am Kloster vorbeikam. Alles, was Llanpadern betrifft, kann auch Idwal betreffen.«

Fidelma ging zu Buddog in die Küche. »Wo kann ich Elen finden?« fragte sie.

»Sie hat das Haus verlassen, als ihr Vater zurückkam. Ich weiß nicht, wohin sie gegangen ist.«

Fidelma preßte verärgert die Lippen aufeinander, bedankte sich aber bei der Haushälterin.

»Wie schade«, sagte sie zu Eadulf, der draußen auf dem Hof wartete. »Ich möchte unbedingt wissen, was sie damit meinte, daß Mair an ihrer Stelle umgebracht wurde. Ehe wir sie ausfindig machen, laß uns zur Schmiede gehen, um ein deutliches Wort mit dem Schmied zu reden.«

Eadulf zögerte. »Ich habe arge Zweifel, ob Gwnda die Sache im gleichen Licht sieht wie du.«

»Wahrscheinlich nicht«, stimmte ihm Fidelma zu. »Deshalb möchte ich nach wie vor, daß du zur Abtei Dewi Sant reitest, um Gwlyddiens Vollmacht zu erbitten. Gwndas Verbot muß entkräftet werden. Doch hören wir erst mal, was Iorwerth zu Idwals Tod zu sagen hat.«

»Ich möchte dich hier nicht allein lassen«, meinte Eadulf bedrückt.

»Die Erlaubnis von Gwlyddien ist jetzt um so dringlicher.«

Während sie durch die Ortschaft zur Schmiede liefen, begegneten ihnen verschiedene Leute. Es war später Nachmittag, die Abenddämmerung kündigte sich langsam an. Die meisten vermieden es, ihnen in die Augen zu schauen. Sie senkten die Köpfe und zogen sich in ihre Behausungen zurück.

»Der rasende Mob hat sich wohl beruhigt«, kommentierte Eadulf zynisch. »Jetzt wird ihnen bewußt, daß sie persönliche Schuld tragen an der Ermordung eines Mitmenschen.«

»Diese Schuld quält sie ein, zwei Tage, dann haben sie für ihre Tat Ausflüchte und Rechtfertigungen gefunden«, sagte Fidelma.

Vor Iorwerths Schmiede stand ein Pferd. Ein Junge, der ihnen vertraut schien, stieg ab und löste eine schwere Satteltasche. Als er sich umdrehte, erkannte Fidelma Goffs Sohn wieder.

»Dewi!«

Der junge Bursche begrüßte sie mit einem Lächeln. »Ich dachte mir schon, daß ich euch hier treffen würde«, sagte er.

»Was führt dich denn zu Iorwerths Schmiede?« fragte Eadulf, der auf die schweren Satteltaschen blickte.

»Mein Vater hat Iorwerth versprochen, daß er ihm Gold schickt zum Bearbeiten. Ich überbringe es ihm gerade.«

»Hast du was dagegen, Gwyddel?« wurden sie von einer barschen Stimme angefahren.

Iorwerth stand in der Tür der Schmiede, ließ die Muskeln seiner Arme spielen, in einer Hand hielt er eine Zange, die recht drohend auf und zu schnappte.

Fidelma lächelte freundlich. »Warum sollte ich etwas dagegen haben?«

Iorwerth wirkte beunruhigt. »Was habt ihr hier verloren?« fragte er.

»Wir wollen uns mit dir unterhalten. Aber du kannst zuerst ruhig deine Geschäfte mit Dewi abwik-keln.«

Iorwerth blickte voller Zweifel von Fidelma auf Dewi und wieder zurück. »Woher kennst du diese Gwyddel, Dewi?« fragte er mürrisch.

»Wir haben Dewi heute vormittag in der Schmiede seines Vaters getroffen«, warf Fidelma unschuldig ein. »Stört dich das? Willst du noch etwas anderes wissen?«

Iorwerth sah sie mit finsterem Blick an, er war sich nicht sicher, was er antworten sollte.

»Kannst du lesen, Iorwerth?« war ihre nächste unerwartete Frage.

Iorwerth verzog das Gesicht. »Das Lesen liegt mir nicht«, brummte er.

»Wie schade. Dyfed ist allerorts bekannt dafür, ein gebildetes Königreich zu sein. Doch vielleicht kann Dewi lesen ...?«

Der junge Mann errötete ein wenig vor Scham. »Pater Clidro hat mir etwas Lesen beigebracht«, gestand er.

Mit ernster Miene holte Fidelma ein Stück Pergament aus ihrem marsupium hervor und reichte es ihm. »Vielleicht kannst du Iorwerth mitteilen, worum es sich handelt. Ich fürchte, meinen Worten würde er nicht trauen.«

Iorwerth kniff die Augen zusammen, sein Ärger hielt an.

Der Junge nahm das Pergament und las es rasch durch. »Das hast du auch meinem Vater gezeigt. Es ist eine Vollmacht von König Gwlyddien.«

»In der was steht?« drängte ihn Fidelma.

»Daß du mit seiner Befugnis handelst und jedem geraten wird, mit dir zusammenzuarbeiten .«

Rasch langte Fidelma nach dem Pergament. »Begreifst du das, Iorwerth?« fragte sie.

Eadulf mußte ein Lächeln unterdrücken. Sie hatte dem Jungen das Pergament schnell entzogen, so daß er nicht hatte weiterlesen können, daß sich diese Zusammenarbeit ausschließlich auf die Ermittlungen im Fall von Llanpadern bezog.

Der Schmied schob trotzig den Unterkiefer vor.

»So steht es hier geschrieben, Iorwerth, und ich habe das königliche Siegel schon häufig in der Abtei Dewi Sant gesehen, wenn ich die Schmiedearbeiten meines Vater hinbrachte«, rechtfertigte sich Dewi.

Iorwerth zögerte immer noch, dann gab er sich geschlagen. »Wenn das da so geschrieben ist, werde ich dir Rede und Antwort stehen.«

»Sobald du deine Geschäfte mit Dewi erledigt hast«, erklärte ihm Fidelma, »werden wir uns in deinem Haus miteinander unterhalten.«

Der Junge nahm die Satteltasche von der Schulter und reichte sie Iorwerth. »Wir sind gleich fertig, Schwester«, verkündete er. »Ich will nur das Rohgold übergeben, das mein Vater Iorwerth versprochen hat.«

Iorwerth nahm die Tasche entgegen und schüttete Metallstücke aus, die eher wie Steinklumpen als wie kostbares Gold aussahen.

»Ausgezeichnet«, bemerkte Iorwerth, als er sie begutachtete. »Alles wie vereinbart. Übermittle deinem Vater herzliche Grüße, Dewi.«

Der Bursche verabschiedete sich höflich und wandte sich zu seinem Pferd um, während Iorwerth zu Fidelmasagte: »Ihr könnt nun eintreten und sagen, was ihr von mir wollt.«

Gerade als Fidelma der Aufforderung Folge leisten wollte, sagte Eadulf: »Ich komme gleich nach. Ich muß noch mal mit Dewi reden.«

Neugierig zog Fidelma eine Augenbraue hoch. Eadulf hatte ihren Blick bemerkt und deutete mit dem Kopf auf eine Ecke von Iorwerths Schmiede. Fidelma konnte ihre Überraschung eben noch verbergen. Dort stand eine Strohpuppe, die genau der glich, die sie zuvor in der Kapelle von Llanpadern entdeckt hatten.

»Nun, Schwester?« fragte Iorwerth und führte sie in seine kleine Behausung. Darin war es unangenehm eng und dunkel. Fidelma mußte sich ein wenig bük-ken, denn sie war eine hochgewachsene Frau. Ihr Kopf stieß fast an die niedrigen Balken. Das Feuer verbreitete eine stickige Wärme. Fidelma wartete nicht erst darauf, daß Iorwerth ihr einen Platz anbot, sie wußte, daß sie da vergeblich warten würde.

»Was willst du also?« fragte er schroff.

»Wir wollen mit dir über Idwal reden.«

»Aber Gwnda hat doch gesagt .«

Fidelma sah ihn mit eisigem Blick an.

»Ja? Was hat Gwnda gesagt?«

Iorwerth zuckte ein wenig mit der Schulter. »Der Mordfall an meiner Tochter ist geklärt.«

»Das stimmt nicht. Du hast gehört, daß ich eine Vollmacht von König Gwlyddien habe, oder? Die Sache ist erst erledigt, wenn ich es ausdrücklich sage.«

»Idwal hat meine Tochter ermordet, und er hat Bruder Meurig ermordet .«

»Und du hast ihn ermordet?« beendete Fidelma seinen Satz. In diesem Moment trat Eadulf herein und stellte sich hinter sie.

»Ich habe nichts damit zu tun«, widersprach Ior-werth, »nicht so, wie du es meinst. Die Leute haben ihn getötet.«

»Ach.« Fidelma lächelte. »Die Leute . Sag mir doch, wie das vor sich ging.«

»Als Gwnda uns mitteilte, daß Bruder Meurig erschlagen in der Waldhütte liegt, wußten wir alle sofort, daß es Idwal gewesen ist. Schließlich hat er meine Tochter vergewaltigt und umgebracht. Hättet ihr und Bruder Meurig nicht eingegriffen, so hätte die Gerechtigkeit schon vorher ihren Lauf genommen.«

Fidelma beschloß, jetzt nicht weiter darauf einzugehen. »Du hast mir immer noch nicht erklärt, wie es dazu kam.«

»Ich ahnte, daß sich der Junge bei der alten Eiche nicht weit von der Hütte im Wald verbarg.«

»Woher wußtest du von dieser Stelle?« fragte Fidelmagespannt.

»Der Junge hatte feste Gewohnheiten. Als Kind hatte er dort gespielt. Mit Mair und Elen und den anderen Kindern.«

»Weiter.«

»Also gingen wir dorthin, ein Dutzend Männer aus dem Ort hier. Idwal war tatsächlich dort. Als er uns sah, versuchte er zu entkommen. Ich bin mir nicht sicher, wer es tat, doch er hing kurz darauf an der Eiche.« Der Schmied sah sie rechtfertigend an. »Vox populi vox Dei

»Was hast du eben gesagt, Iorwerth?« fragte Eadulf überrascht.

»Voxpopuli vox Dei«, wiederholte der Schmied. So, wie er die Wörter betonte, schienen sie ihm nicht unbedingt geläufig zu sein.

»Das ist ein bemerkenswerter Ausspruch. Du weißt, was er bedeutet?«

»Das entlastet uns von jeder Schuld«, erwiderte der Schmied.

»Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes«, übersetzte Fidelma versonnen. »Die Wünsche des Volkes stehen über allem, oder? Das entbindet euch von eurer Schuld, Mörder zu sein?«

Iorwerth schwieg.

»War Gwnda dabei, als ihr euch von eurer Wut habt treiben lassen?«

»Das solltest du ihn selbst fragen.«

»Ich vermute, er hat dir diesen lateinischen Ausspruch beigebracht, damit du ihn wie ein Zauberamulett zu deiner Verteidigung einsetzen kannst, oder?«

Iorwerth antwortete nichts darauf.

»War dir bekannt, daß deine Tochter keine Jungfrau mehr war?« Fidelma stellte diese Frage ganz unvorbereitet. »Du hast eine falsche Aussage gemacht, damit du noch Geld dafür bekommst, nicht wahr?«

Iorwerths Gesicht lief dunkelrot an. Er trat ein paar Schritte vor, doch Eadulf hatte sich schon schützend vor Fidelma gestellt. Der Schmied hielt seine Riesenfäuste geballt, als wolle er zuschlagen.

»Du wagst es, meiner Tochter übel nachzureden?« stieß er schließlich aufgebracht hervor.

»Du behauptest also, daß du davon nichts wußtest? Und du hattest auch keine Ahnung, wer der ältere Liebhaber war?«

Iorwerth starrte Fidelma zornentbrannt an, aber dann hatte er sich im Griff. »Hat dir das dieser Einfaltspinsel erzählt? Hat Idwal diese Lügen verbreitet?« fauchte er sie an.

»Warum bist du dir so sicher, daß es Lügen sind?«

»Weil Idwal sich vor seinen Anklägern verteidigen wollte. Er hat dich zum Narren gehalten, Gwyddel. Er hat dich zum Narren gehalten!«

»Und wenn ein anderer Zeuge das gesagt hat und nicht Idwal? Was dann?«

Iorwerth schaute sie mißtrauisch an. »Welcher Zeuge? Das ist eine Lüge. Meine Tochter hatte vor mir keine Geheimnisse.«

»Selbst unter normalen Umständen würde eine Tochter ihrem Vater nicht anvertrauen, wann und wie sie ihre Jungfräulichkeit verloren hat.«

Jetzt betrachtete ihn Fidelma genau. Ihr ging der Ausspruch vultus est index animi durch den Sinn. Der Gesichtsausdruck eines Menschen verrät viel über seine Seele. Iorwerth hatte Angst.

»Erzähle mir von Mair«, forderte ihn Fidelma auf. »Wie war sie als Tochter?«

Der kräftige Schmied setzte sich plötzlich hin und vergrub sein Gesicht in den Händen. Zu ihrer Überraschung wurde seine große Gestalt von einem Schluchzen geschüttelt.

»Sie war keine gute Tochter. Doch sie war alles, was mir von ihrer Mutter geblieben war, und sie war ihr Ebenbild. Die arme Esyllt. Ich habe ihr furchtbar Unrecht getan. Sie starb, als Mair noch klein war. Ich wollte es wiedergutmachen ... an Mair.«

»Ich verstehe.« Fidelmas Stimme klang nun mitfühlender. »Du hast Esyllts Verlust wettgemacht, indem du Mair verwöhnt hast. In welcher Beziehung war sie keine gute Tochter?«

»Sie war eigensinnig, so wie ich auf gewisse Weise. Sie tat, was sie wollte. Sie war . eine Persönlichkeit mit einem starken Willen, wie ein Pferd, das man nicht bändigen kann. Sie wollte mir nicht gehorchen.«

»Also hätte sie dir nie im Leben gesagt, daß sie einen Liebhaber hatte.«

»Sie wußte, wie wichtig es war für . für uns beide, daß sie die Ehe einging, die mit Madog, dem Goldschmied von Carn Slani, arrangiert worden war.«

»Eine Ehe nach Absprache?«

»Ja.«

»Hat Mair eingewilligt?«

»Sie wußte, daß wir das Geld brauchen, das eine Verbindung mit Madog einbringen würde.«

»Doch sie hätte sich vielleicht einen anderen Mann ausgesucht, wenn sie die Wahl gehabt hätte?«

»Sie war eigensinnig.«

»Gwnda hat uns gesagt, daß sie eine pflichtbewußte Tochter war.«

Iorwerth machte eine verächtliche Geste. »Gwnda weiß auch nicht mehr, als andere ihm erzählen.«

»Also kannte er Mairs Eigensinn nicht?«

»Die meisten Leute kannten ihren Eigensinn. Und Gwndas Tochter Elen war eng mit Mair befreundet, sie waren wie Schwestern. Da konnte er kaum übersehen, daß Mair ihren eigenen Kopf hatte.«

»Man sagte uns, du hättest Mair und Idwal verboten, sich zu treffen. Also warst du dir wohl ziemlich sicher, daß Mair sich über deine Anweisungen hinwegsetzen würde?«

Iorwerth schnaubte gereizt. »Ja, vielleicht. Aber Idwal hatte Angst vor mir. Er war ziemlich schüchtern.«

»Wirklich?« fragte Fidelma überrascht. »Schüchtern, doch du behauptest, er hat deine Tochter ermordet.«

»Er war schüchtern gegenüber Männern. Ein Feigling entpuppt sich oft als ein mutiger Mörder.«

»Erzähl mir, wie der Vormittag des Tages verlief, an dem Mair sterben mußte - sagen wir von dem Zeitpunkt an, als du aufgestanden bist.«

Iorwerth wirkte verwirrt. »Ich verstehe nicht ...«

»Sei so gut«, bat ihn Fidelma.

»Nun, bei Morgengrauen stand ich auf und schürte das Feuer in der Schmiede. Kurz darauf kam Mair, um sich zu verabschieden.«

»Sich zu verabschieden?« fragte Eadulf.

»Sie wollte zu ihrer Cousine nach Cilau.«

»Cilau? Hat nicht Elen dort auch eine Cousine?«

Iorwerth nickte.

»Soviel ich weiß - ja. Ich glaube schon. Sie ging fort, und ich war mit meiner Arbeit beschäftigt, da sah ich, wie Idwal ziemlich außer Atem angerannt kam. Das erschien mir merkwürdig. Ihn so rennen zu sehen, meine ich.«

»Du sagtest, er kam in den Ort?«

»Er rannte gerade über die Brücke vor ...«

»Moment mal. Welchen Weg hatte Mair genommen?«

»Den über die Brücke.«

»Also muß Idwal ihr begegnet sein?«

»Ihr wißt ja, der Weg führt durch den Wald, in dem sie gefunden wurde, und zwar nach Westen und nach Süden.«

»Doch es war früh am Morgen und nicht lange, nachdem sie sich von dir verabschiedet hatte?«

Iorwerth nickte.

»Und Idwal kam in den Ort gerannt?«

»Ich glaube, er lief direkt zu Gwnda.«

»Weißt du, weshalb er zu Gwnda wollte?«

»Gwnda sagte später, daß Idwal der erste war, der ihn über das Verschwinden der Klostergemeinschaft von Llanpadern unterrichtet hat.«

»Was geschah dann?«

»Eine halbe Stunde später sah ich, wie Idwal wieder über die Brücke zurückging und im Wald verschwand. Ich habe einfach weitergearbeitet.«

»Aus deiner Sicht war es also ein ganz gewöhnlicher Vormittag, außer daß Idwal auftauchte?«

»So ist es. Nach einer Stunde etwa erschien mein Freund Iestyn recht aufgeregt in der Schmiede. Er erzählte mir, daß er Mair und Idwal im Wald gesehen hatte und daß sie sich heftig gestritten hätten. Er war zu mir geeilt, um mir davon zu berichten.«

Fidelma rückte auf ihrem Stuhl vor. »Warum hat Iestyn denn nicht selbst in den Streit eingegriffen?«

Iorwerth winkte ab. »Iestyn kannte meine Tochter. Hätte er das versucht, hätte er sich sicher ihren Zorn zugezogen.«

»Also lief er lieber zu dir? Und dich hat diese Nachricht wütend gemacht?«

»Aber sicher doch. Ich war ganz außer mir, daß Idwal sich über mein Verbot hinweggesetzt hatte, und wollte ihm eine Lehre erteilen. In der Schmiede hatten sich inzwischen ein paar Freunde eingefunden, mit denen ich mich auf den Weg zu der Stelle machte, wo Iestyn Idwal und meine Tochter gesehen hatte.

Wir liefen rasch . Bis wir die Leiche meiner Tochter fanden. Ein kurzes Stück von uns entfernt entdeckten wir Gwnda, der Idwal überwältigt hatte. Er duldete es nicht, daß wir dem Jungen etwas zufügten, sondern schickte jemanden los, einen barnwr zu holen, der sein Urteil sprechen sollte. Zornentbrannt brachen die Leute dann in Gwndas Scheune ein und schnappten sich den Jungen. Gwnda stellten wir unter Hausarrest, denn ihm schien unsere Art, Gerechtigkeit zu üben, nicht zu behagen. Wir wollten den Mörder gerade hängen, da .«

»Da trafen wir mit Bruder Meurig ein und haben euch vor der schlimmen Tat bewahrt«, beendete Eadulf den Satz.

»Als Gwnda klar war, daß ihr Idwal umbringen würdet, hat er da versucht, euch davon abzuhalten?«

»Natürlich nicht ...« Iorwerth zögerte. »Ich meine, wir waren zu viele für ihn. Ist dir nicht aufgefallen, daß wir vor seiner Behausung Wachen aufgestellt hatten?«

»In einem Punkt bin ich mir nicht sicher«, sagte Fidelmanachdenklich und überging seine Bemerkung.

»Und der wäre?« fragte Iorwerth.

»Wo hielt sich Gwnda auf, als ihr auf der Suche nach Mair und Idwal in den Wald kamt? War er schon dort?«

Der Schmied zuckte mit den Schultern. »Es war gut, daß er da war, um Idwal gleich festzunehmen.«

Plötzlich wurde die Tür krachend aufgestoßen. Der Fürst von Pen Caer stand im Türrahmen. Hinter ihm zwei Männer mit gezogenen Schwertern. Er blickte Fidelma zornig an.

»Also stimmt es, daß du hier in Iorwerths Schmiede bist.«

»Wie du sehen kannst!« Fidelma lächelte ihn mit einem Anflug von Ironie an.

»Habe ich dir nicht gesagt, daß du nicht befugt bist, irgendwelche Ermittlungen anzustellen, Gwyddel? Ich bin Fürst von Pen Caer, und ich bin hier das Gesetz. Du und dein angelsächsischer Freund - ihr werdet den Preis dafür zahlen, daß ihr mich hinters Licht geführt habt.«

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