Kapitel 14

Langsam erhob sich Fidelma und baute sich vor Gwnda auf. Sie fürchtete sich nicht vor seinem drohenden Gebaren.

»Daß wir dich hinters Licht geführt haben, Fürst von Pen Caer?« fragte sie mit gespielter Unschuld. »Deine letzten Worte waren, daß du keine Einwände hättest, wenn ich mit meinen Ermittlungen zum Fall von Llanpadern weitermache. Hast du das vergessen?«

Gwnda runzelte verblüfft die Stirn.

»Ich kann mir nicht vorstellen, daß du dich den Wünschen von König Gwlyddien widersetzen willst«, fügte Fidelma hinzu.

»Was für Spiele treibst du mit mir, Gwyddel?« fragte Gwnda, doch seine Stimme klang nicht mehr so sicher.

»Ich untersuche den Fall von Llanpadern«, sagte sie. »Idwal war in Llanpadern und überbrachte euch als erster die Nachricht vom Verschwinden der Klostergemeinschaft. Darüber wollte ich gerade mehr in Erfahrung bringen.«

»Du hast dich aber eher für Idwal und meine Tochter interessiert«, wandte der Schmied ein.

»Ich hätte nicht gedacht, daß eine Nonne lügt. Vielleicht macht man das so bei den Gwyddel?« stellte Gwnda mit Triumph in der Stimme fest.

»Ganz im Gegenteil, Gwnda«, entgegnete Fidelma, wobei ihre Augen eisig glänzten. »Ich kann nichts dafür, daß Mairs Unglück mit Idwals Rückkehr aus Llanpadern zeitlich zusammenfiel. Bist du der weise König Salomo, daß du meinst, zwischen den beiden Fällen eine Grenze ziehen zu können?«

Gwnda schloß den Mund. In seinem Gesicht zuckte ein Muskel. Ihm wurde bewußt, was sie damit sagen wollte. Schließlich meinte er: »Du bist sehr gerissen, dalaigh aus Eireann.«

»Utcumqueplacuerit deo, Fürst von Pen Caer«, gab Fidelma mit gesenktem Kopf andächtig von sich. »Wie immer es Gott gefällt.«

Gwnda rümpfte verärgert die Nase. »Setze nicht dein ganzes Vertrauen in Gott«, erwiderte er säuerlich.

»Hast du immer noch etwas gegen meine Ermittlungen?«

Ganz unvermittelt wandte sich Gwnda zu seinen Begleitern um und schickte sie mürrisch weg. »Meine Einwände bleiben bestehen«, sagte er dann. »Du bist nicht befugt, in der Sache der Todesfälle von Mair und Bruder Meurig zu ermitteln.«

»Und wie ich vermute, auch nicht im Mord an Id-wal?« fügte sie hinzu und blickte Iorwerth an, der nun vor Zorn rot anlief. »Aber ich will doch lediglich wis-sen, was Idwal in Llanpadern sah und was er den Leuten an dem Vormittag, als er hierher zurückkehrte, darüber erzählt hat.«

Gwnda wurde klar, daß er nichts dagegen tun konnte. »Wenn du dich daran hältst, habe ich keine Einwände.«

»So möchte ich auch dir ein paar Fragen stellen«, fuhr Fidelma fort. Doch Gwnda schickte sich an zu gehen. Ihre Stimme wurde ein wenig lauter. Der Fürst von Pen Caer blieb stehen.

»Iorwerth hat gesehen, daß Idwal an jenem Vormittag zu deinem Haus gerannt ist.« Fidelma zeigte auf den verwirrten Schmied, der nicht sehr viel von ihrer Auseinandersetzung verstanden hatte. »Was hat dir Idwal an diesem Morgen mitgeteilt?«

»Nichts. Ich war nicht da. Er hat mit Buddog geredet. Da mußt du sie selbst fragen.«

»Wann hat dir Buddog erzählt, daß Idwal mit dir sprechen wollte?«

»Wann das war?« Gwnda schien das Ganze unangenehm zu sein.

»Ich habe mich gefragt, warum du nicht einen Suchtrupp nach Llanpadern geschickt hast.«

»Wir waren so sehr mit Mairs Tod beschäftigt«, rechtfertigte sich Gwnda.

Fidelmas Mundwinkel verzogen sich hämisch. »Merkst du, nicht ich spreche über Mairs Tod?«

Gwnda schaute finster drein. »Es war gleich am Nachmittag, da hat mir Buddog von Idwals Besuch erzählt.«

»Also«, stellte Fidelma fest, »Buddog hat dir erst gesagt, was Idwal zu berichten hatte, nachdem man den Jungen in dein Haus zurückgeschleppt hatte. Warum hast du da immer noch keinen Suchtrupp nach Llanpadern geschickt?«

Der Fürst von Pen Caer zuckte mit den Schultern. »Inzwischen hatte ich einen Boten zur Abtei Dewi Sant ausgesandt und um einen Richter gebeten. Ich wollte abwarten und seinen Rat in beiden Angelegenheiten hören. An dem Vormittag, als ihr eintraft, kam dann Dewi, Goffs Sohn, aus Llanferran und berichtete uns von dem sächsischen Piratenschiff und den Toten bei den Klippen. Da wäre es gefährlich gewesen, nach Llanpadern aufzubrechen und unseren Ort schutzlos den Freibeutern auszuliefern.«

»Was genau hat Buddog dir gesagt?«

»Warum fragst du sie nicht selbst?«

»Sie ist später dran. Erst möchte ich wissen, woran du dich erinnerst.«

»Idwal war hier und wollte mich unbedingt sprechen. Dann erzählte er Buddog an meiner Statt, daß er früh am Morgen an Llanpadern vorbeigekommen war. Er glaubte gesehen zu haben, wie einer der Brüder gerade das Kloster in Richtung Süden verließ .«

»Das muß Bruder Cyngar gewesen sein«, warf Eadulf ein. Fidelmas Blick hieß ihn schweigen.

Gwnda erzählte weiter: »Idwal ging zum Kloster, in der Annahme, die Mönche um diese Zeit beim Frühstück anzutreffen. Doch er fand das Kloster leer vor und eilte zu mir, um mir davon zu berichten.«

Gerade wollte Eadulf wieder etwas sagen, als er Fidelmas warnenden Blick bemerkte.

»Was mich zu einer weiteren Frage veranlaßt«, erklärte sie. »Nur um etwas klarzustellen, du wirst es mir nachsehen. Wie kam es dazu, daß ausgerechnet du Mairs Leiche und auch Idwal entdeckt hast?«

»Ich habe dir schon gesagt, daß du nicht befugt bist, Mairs Tod zu untersuchen«, erwiderte Gwnda gereizt.

»Ich habe von Idwal gesprochen.«

»Das ist das gleiche.«

»Keineswegs. Idwal wollte dir von dem Verschwinden der Mönche berichten, doch du warst nicht da. Folglich ist es doch normal, wenn ich dich frage, wann und wo du mit Idwal zusammengetroffen bist.«

»Ich war draußen im Wald, das ist alles.«

»Und du bist ihm rein zufällig über den Weg gelaufen?«

»So ist es. Ich glaube, nun reicht es.«

Sein barscher Tonfall sagte Fidelma, daß sie ihm nichts weiter entlocken würde. Sie lächelte höflich. »Vielen Dank, daß du uns deine Zeit geopfert hast, Gwnda. Du hast uns sehr geholfen«, sagte sie. »Und du auch, Iorwerth.« Sie winkte Eadulf, ihr nach draußen zu folgen.

»Und denk dran, Gwyddel«, zischte Gwnda sie noch an, »deine Vollmacht endet bei dem Fall von Llanpadern.«

»Das werde ich nicht vergessen, Fürst von Pen Caer«, erwiderte sie ruhig.

Sie gingen die Straße zurück, die zu Gwndas Haus führte. Sobald sie außer Hörweite waren, begann Eadulf zu reden. Seine Stimme bebte beinahe vor Wut.

»Der verbirgt doch etwas vor uns! Warum hast du mich daran gehindert, ihn in die Enge zu treiben?«

»Weil ihn das uns gegenüber nur noch mißtrauischer gemacht hätte.«

»Du wußtest, daß er log?«

»Ich weiß, daß er nicht die ganze Wahrheit sagte. Aber es hat keinen Sinn, weiter in ihn zu dringen, wenn wir uns selbst nicht sicher sind.«

Eadulf dachte nach. »Ich weiß, daß Gwnda etwas damit zu tun hat, daß der arme Idwal gehängt wurde. Er hat Iorwerth die lateinische Redewendung zu seiner Verteidigung eingetrichtert.«

»Bereits am Abend unserer Ankunft hier war mir klar, daß Gwnda nicht eigentlich gegen die Ermordung von Idwal war«, stimmte ihm Fidelma zu. »Ior-werth hat die Wahrheit verraten, als er andeutete, daß Gwnda sich nicht bemühte, Idwal zu schützen.«

Eadulf war verblüfft. »Du hast ihn schon da für verdächtig gehalten?«

»Erinnerst du dich an die Geschichte, die man uns erzählte? Daß Gwnda ein gesetzestreuer Herrscher sei, der nach einem Richter gerufen hat, und daß Ior-werth und Iestyn, die den Mob anführten, Idwal mit Gewalt aus seinem Verschlag geholt hätten?«

»Aber natürlich. Gwnda wurde von dem Mob in seinen eigenen vier Wänden festgehalten.«

Fidelma lächelte zynisch. »Er wurde festgehalten? Da standen zwei junge Burschen am Eingang seines Hauses, beide waren unbewaffnet. Und als wir eintrafen, kam Gwnda mit einem Schwert herausgestürzt. Zwei Unbewaffnete bewachten einen Bewaffneten, der noch dazu im Umgang mit Waffen geübt ist!«

Eadulf führte sich noch einmal die Szene vor Augen, jedes Detail. »Er wirkte sehr bemüht, seinen Leuten den Aufstand gegen ihn zu verzeihen. Doch warum diese List? Das paßt doch alles nicht zusammen.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob wir wirklich schon zum Kern der Sache vorgedrungen sind.«

Sie waren nun an Gwndas Haus angelangt. Ehe sie eintraten, legte Fidelma ihre Hand aufs Eadulfs Arm und sagte: »Du mußt sofort zur Abtei Dewi Sant reiten. Ich brauche die Vollmacht von Gwlyddien, um Gwndas Verbot wirksam entgegentreten zu können.«

Ihr Begleiter grinste ein wenig selbstgefällig. »Es gibt keinen Grund, dich hier ohne Schutz zu lassen.«

»Natürlich gibt es einen Grund«, entgegnete Fidelmaetwas verunsichert.

Eadulf schüttelte entschlossen den Kopf. »Während du mit Iorwerth gesprochen hast, habe ich mir Dewi vorgenommen. Er ist ein kluger Bursche. Ich habe ihn gefragt, ob er bereit ist, zur Abtei Dewi Sant zu reiten und Abt Tryffin unsere Nachricht zu überbringen.«

Fidelma schwieg einen Moment. »Kannst du dich auf ihn verlassen?« fragte sie dann. »Denn ehe wir nicht wissen, was hier vor sich geht, sollten wir sorgfältig abwägen, wem wir vertrauen können.«

»Das ist klug von dir. Doch ich vertraue dem Jungen, und ich vertraue dem Silberstück, daß er bei seiner Rückkehr von mir erhalten wird.«

»Ich verstehe. Und die Nachricht, die du geschickt hast?«

»Ich habe geschrieben, daß Bruder Meurig tot ist. Daß wir von unseren Ermittlungen abgehalten werden und es in dieser Gegend eine bewaffnete Räuberbande gibt, der wir nur knapp entkommen konnten. Daß wir König Gwlyddiens Vollmacht benötigen, damit Gwnda uns in unserer Arbeit nicht mehr einschränken kann.«

Zögernd fand sich Fidelma zu einem Lob bereit. »Und du meinst wirklich, daß du diesem Jungen trauen kannst?«

»Von meinem Vertrauen in ihn hängt unser beider Leben ab«, unterstrich Eadulf. »Hier lauern so viele Gefahren, daß ich es für klüger halte, dich nicht allein zu lassen.«

Fidelma drückte seinen Arm. »Treuer Eadulf«, sagte sie in einem unerwarteten Anflug von Zärtlichkeit. »Du bist dir ganz sicher wegen des Jungen?«

Eadulf nickte. »Er hat mir auch verraten, warum seine Eltern so verängstigt waren, als du Clydogs Namen erwähntest. Clydog ist vor einiger Zeit in ihrer Schmiede aufgetaucht und hat sie ziemlich grob behandelt, sie ausgeraubt und ihnen angedroht, zurückzukehren und noch Schlimmeres zu tun, wenn sie nicht den Mund halten.«

»Das erklärt ihre Angst allerdings«, meinte Fidel-ma. Sie verstummte auf einmal, und Eadulf folgte ihren Blicken.

Der Bauer Iestyn kam mit einem zweirädrigen Karren angefahren, der von einem robusten kleinen Esel gezogen wurde. Er sah mürrisch zu ihnen herüber und verzog abschätzig das Gesicht, dann konzentrierte er sich wieder auf das Lenken seines Karrens.

»Haben wir ein Glück«, sagte Fidelma. Sie hob die Hand. »Iestyn! Einen Moment bitte. Ich möchte kurz mit dir sprechen.«

Widerwillig hielt Iestyn an.

»Was willst du von mir, Schwester?« fragte er abweisend.

»Antworten«, sagte Fidelma munter. »Antworten auf ein paar Fragen.«

»Auf was für Fragen?« stieß er mißtrauisch hervor.

Eadulf war hinzugetreten. »Wenn du kurz mal von deinem Karren steigst, werden wir es dir sagen.«

»Ich habe zu tun«, erwiderte der Bauer, kletterte aber trotzdem herunter.

Er war ein ganzes Stück kleiner als Fidelma. Herausfordernd schaute er zu ihr auf.

»Nun, worum geht es? Beeil dich, ich habe nicht den ganzen Abend Zeit.«

»Mach dir keine Sorgen, Iestyn.« Fidelma überging sein bewußt unhöfliches Verhalten. »Wir verdächtigen dich nicht. Wir wollen nur etwas klären.«

»Mich verdächtigen?« entgegnete Iestyn fassungslos. »Was soll ich denn getan haben? Und überhaupt, du bist kein barnwr, sondern eine Gwyddel. Du hast nicht das Recht, mich hier aufzuhalten.«

»Doch, wir haben das Recht dazu«, versicherte ihm.

Fidelma mit einer solchen Überzeugtheit, daß selbst Eadulf überrascht war. Er stöhnte innerlich. Falls Gwnda jetzt dazukäme und ihr vor Iestyn jede Befugnis absprach, wurde es ziemlich schwierig für sie.

»Was wollt ihr?«

»Wir wollen uns mit dir über Mairs Tod unterhalten.«

»Warum? Sie war die Tochter meines Freundes Iorwerth.«

»Mit Iorwerth haben wir bereits gesprochen. Er sagt, daß du ihn an dem Morgen, als Mair auf gewaltsame Weise den Tod fand, in seiner Schmiede aufgesucht hast. Du hattest beobachtet, wie sich Mair und Idwal stritten.«

Iestyn rümpfte die Nase. »So?«

»Berichte uns davon.«

Der Bauer war mißtrauisch. »Da gibt es nichts weiter zu erzählen. Ich kam durch den Wald und ...«

»Weshalb bist du eigentlich durch den Wald gegangen?« fragte Eadulf unschuldig dazwischen.

»Mein Hof liegt am Fluß in der Nähe des Waldes. Ich wollte zu Fuß in den Ort, nachdem ich einem meiner Nachbarn Obst gebracht hatte. Ich wollte zu Iorwerth.«

»Weiter«, sagte Fidelma, als er innehielt.

»Ich hörte einen lauten Wortwechsel. Ich erkannte Mairs Stimme sofort. Dann entdeckte ich Idwal. Sie schienen beide aufgebracht zu sein, Idwal wirkte ziemlich aggressiv.«

»Aggressiv? Wie hat sich das geäußert?«

»Seine Stimme klang wütend. Sein Gesicht und sein ganzes Benehmen kamen mir bedrohlich vor.«

»Und dann?«

»Ich wußte, daß Iorwerth Mair verboten hatte, sich mit Idwal zu treffen, und umgekehrt ebenso. Ich eilte zu Iorwerths Schmiede, um ihm davon zu berichten.«

»Hast du Mair gemocht?« fragte Eadulf zu Fidelmas Verwunderung. »Ich meine, fandest du sie anziehend?«

Iestyn errötete. »Ich bin der Freund ihres Vaters und alt genug, um ihr Vater zu sein«, entgegnete er schroff.

»So ist es«, erwiderte Eadulf munter. »Aber sie war ein hübsches junges Mädchen. Gab es da nicht Liebhaber oder Männer, die gern ihre Liebhaber gewesen wären?«

»Ihr Vater hatte eine Ehe für sie ausgehandelt, damit .«

»Ich weiß. Doch hast du sie nicht auch anziehend gefunden?«

Fidelma sah, daß Iestyn immer wütender wurde, und da sie ihn nicht völlig verstören wollte, fiel sie Eadulf ins Wort.

»Wir haben uns gefragt, warum du nicht eingegriffen hast, wenn sie sich so fürchterlich stritten. Warum hast du den Streit nicht geschlichtet?«

»Dazu hatte ich kein Recht. Ich dachte ja nicht, daß der Junge Mair umbringen würde, sonst hätte ich es wohl getan.«

»Aha, das heißt - so richtig besorgniserregend war ihr Gezänk für dich doch nicht?« warf Eadulf rasch ein.

Der Bauer runzelte die Stirn, als versuchte er, den Sinn dieses Einwurfs zu ergründen.

»Es war schon ein heftiger Streit«, sagte er langsam. »Sonst wäre Mair noch am Leben.«

»Rückblickend ist man immer schlauer«, stimmte ihm Eadulf zu. »Doch in dem Moment warst du nicht der Ansicht, es könnte für das Mädchen lebensgefährlich werden, oder? Sonst wärest du doch dageblieben und hättest Mair beigestanden, nicht wahr?«

»Natürlich hätte ich das!« fauchte der Bauer zurück.

»Statt dessen bist du zu Iorwerth gerannt und hast ihm erzählt, daß du Zeuge warst, wie sich Mair und Idwal im Wald stritten?«

»Ja.«

»Hast du unterwegs noch jemand anderen gesehen? Etwa Gwnda oder sonst wen?«

Iestyn schüttelte den Kopf. »Nicht daß ich wüßte ... Aber ja, ich bin Buddog begegnet, sie hat Pilze gesammelt.«

»Eins verstehe ich nicht recht«, meinte Fidelma nun. »Du hast erzählt, daß Idwal sich trotz des Verbots mit Mair traf und daß sie sich stritten. Allerdings nicht so heftig, daß es dein Eingreifen erforderte. Und auch nicht so ernst, als daß du um ihr Leben fürchten mußtest. Doch Iorwerth reichte deine Nachricht schon aus, ein paar Männer zusammenzutrommeln, um loszuziehen und Idwal zu bestrafen. Warum habt ihr den Jungen so gehaßt?«

»Dem mußte doch Gehorsam beigebracht werden!

Respekt kannte er auch nicht! Das ist alles«, rechtfertigte sich Iestyn. »Wir sind alle Iorwerths Freunde, und wir dachten, wir sollten ihm helfen.«

»Also, was geschah weiter?« fragte Fidelma.

»Zunächst führte ich sie zu der Stelle, wo ich Mair und Idwal gesehen hatte. Da lag Mair, tot. Fast im gleichen Augenblick entdeckte ich Gwnda - und Idwal, ein bißchen weiter, lag bewußtlos am Boden. Iorwerth und die anderen ...« Er machte eine Pause, blickte sie verstockt an. »Wir wollten den Jungen am nächsten Baum aufhängen. Gwnda hielt uns davon ab, er wollte nicht gegen das Gesetz verstoßen.«

»Nebenbei bemerkt, hat Gwnda euch eigentlich gesagt, wieso er so früh am Morgen im Wald unterwegs war?« fragte Eadulf.

Iestyn schüttelte den Kopf. »Der Weg hinter der Holzfällerhütte entlang ist ziemlich begangen. Er führt nach Cilau.«

»Ich verstehe. Also habt ihr den Jungen in den Ort gebracht? Wenn ihr wußtet, daß bald ein barnwr aus der Abtei eintreffen würde, warum habt ihr dann Gwnda festgesetzt und Idwal aus dem Stall geholt, um ihn zu erhängen?«

»Viele Leute waren daran beteiligt. Es war der Wille des Volkes. Vox ... vox ... Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes!«

»Vox populi vox Dei«, half ihm Fidelma erheitert weiter. »Ja, diese Rechtfertigung haben wir schon einmal gehört.«

Iestyn schwieg.

»Ich erinnere mich daran, daß du bei unserer Ankunft die Keule geschwungen hast. Weil du damit die Stimme des Volkes unterstützen wolltest?«

»Wäret ihr nicht eingeschritten, würde Bruder Meurig immer noch am Leben sein.«

»Willst du damit sagen, daß ihr keine Verantwortung an Idwals Tod tragt?«

»Der Junge hat Mair umgebracht. Wir haben hier unsere eigene Art, mit Mördern umzugehen, Gwyddel.« Zum erstenmal hatte sich Bitterkeit hinter Iestyns erzwungener Zurückhaltung gezeigt.

»Das ist eine Art, die gegen das Gesetz verstößt. Bruder Meurig hat euch das ziemlich deutlich erklärt.«

»Der ganze Ort stand hinter uns.«

»Wird es dadurch zu Recht? Nur selten wird etwas moralisch, weil es der Wille der Mehrheit ist.«

Iestyn blickte finster drein.

»Ich schätze«, stellte Eadulf sarkastisch fest, »daß der Wille der Mehrheit euch der Verantwortung an Idwals Tod enthebt?«

»Willst du etwa sagen, daß wir falsch gehandelt haben?« fragte der Bauer höhnisch. »Bruder Meurig war Richter und Mönch. Willst du etwa behaupten, daß man seinen Mörder nicht bestrafen sollte? Ich dachte, daß ihr Mönche und Nonnen euch untereinander beschützt.«

»Woher wußtest du, daß Idwal es war, der Meurig umgebracht hat?«

Der Bauer betrachtete ihn, als sei er verrückt. »Was sagst du da?«

»Ganz einfach. Wer hat gesagt, daß Idwal Meurig tötete?«

»Nun ... Jeder wußte es.«

»Waren denn alle dabei, als der Mord geschah?« fragte Fidelma verächtlich.

»So habe ich das nicht gemeint. Wenn es nicht Id-wal war, wer sollte denn dann den barnwr erschlagen haben?«

»Eine gute Frage«, warf Fidelma ein. »Eine, über die man hätte nachdenken sollen, ehe Idwal sterben mußte.«

»Wer, wenn nicht Idwal? Er ist mit dem barnwr in den Wald gegangen. Es war recht unklug von Bruder Meurig, den Jungen nicht bewachen zu lassen. Idwal hat sicher einen günstigen Augenblick abgewartet, hat den Richter umgebracht und ist geflohen.«

»Weit ist er aber nicht gekommen, oder?« meinte Fidelma rasch. »Er ist vielmehr in allernächster Nähe geblieben, bis ihr dawart.«

»Er war eben ein Schwachkopf.«

»Ein Schwachkopf, aber dennoch ein gemeiner Mörder, den ihr auf der Stelle aufhängen mußtet?«

»Was ich auch mit einem tollwütigen Hund tun würde«, antwortete Iestyn mürrisch.

»Also habt ihr den Jungen umgebracht, ohne ihm eine Chance einzuräumen?« entgegnete ihm Eadulf scharf.

»Umgebracht?« Der Bauer geriet allmählich außer sich. »Wage du es ja nicht, mir gegenüber von Mord zu sprechen, du Sachse. Dein Volk hat genug Blut an den Händen. Mein Großvater war ein kluger, gebildeter Mann, der Latein lesen konnte. Er hat an der Schule von Illtyd gelernt, als Gildas der Weise dort auch Schüler war. Er besaß eine Kopie des Buches, das Gildas geschrieben hat .«

»De Excidio et Conquestu Britanniae, verfaßt um 547«, murmelte Eadulf leise vor sich hin. »Das habe ich gelesen.«

Iestyn schien kurz aus der Fassung gebracht. Dann fuhr er fort: »Ich kenne den Titel nur, wie ihn mir mein Großvater übersetzt hat, er lautet: >Der Fall und die Eroberung Britanniens.< Mein Großvater las mir aus dem Buch vor und übersetzte mir das Gelesene. Ich habe daraus von der Falschheit der Sachsen genug erfahren. Leider kann ich kein Latein und vermag das Buch nicht selbst zu lesen.«

»Könntest du es lesen, so wäre dir vielleicht aufgefallen, daß Gildas schärfste Kritik an den Königen der Britannier übt und sie für ihre Schandtaten verurteilt«, erwiderte Fidelma. »Seine Schlußfolgerung ist, daß die Eroberung durch die Sachsen eine Strafe ist, die Gott deinen Vorfahren wegen ihrer Sünden auferlegt hat.«

Iestyn drehte sich ohne ein weiteres Wort um, hievte sich auf seinen Karren und setzte den geduldigen Esel in Bewegung.

»Was machen wir nun?« frage Eadulf, während sie dem wütenden Bauern hinterherblickten.

»Wir haben jetzt genügend Leute in Aufregung versetzt«, antwortete Fidelma. »Vielleicht wird das Stein-chen, das wir ins Wasser geworfen haben, etwas be-wirken durch die konzentrischen Kreise, die dabei entstehen. Warum hast du Iestyn gefragt, ob er an dem bestimmten Morgen noch jemand anderem im Wald begegnet ist?«

»Erinnerst du dich nicht, daß Buddog sagte, sie hätte ihn an jenem Morgen durch den Wald kommen sehen?«

Fidelmas juchzte auf und lachte mit einemmal schelmisch.

»Das hatte ich ganz vergessen, Eadulf. Du bist ein Schatz!«

Eadulf war verwundert über ihre Reaktion und sagte ihr das.

Fidelma hakte sich bei ihm unter. »Ich habe das Gefühl, daß uns schon bald die konzentrischen Kreise im Wasser erreichen werden.«

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