Kapitel 19

»Nun gut, er hat die Kette erkannt. Doch was sagt uns das? Was können wir daraus ableiten?« fragte Eadulf übellaunig.

Fidelma lächelte ihn zufrieden an. »Die Schlußfolgerung ist ganz einfach, Eadulf. Ich glaube, das Bild rundet sich ab.«

Eadulf schien fast so überrascht wie Iorwerth zuvor. »Das kannst du doch nicht ernst meinen!«

»Aber gewiß doch«, erwiderte Fidelma trocken. »Wollen wir nur hoffen, daß unser junger Freund Dewi bald aus der Abtei Dewi Sant zurück ist.«

»Was ist dann?«

»Ganz einfach. Wir werden die Schuldigen benennen und nach Porth Clais zurückkehren, um auf ein Schiff zu warten. Du willst doch sicher die Reise nach Canterbury fortsetzen, oder?«

Eadulf erwiderte nichts darauf.

»Gut«, fuhr Fidelma fort, als hätte sie eine Antwort erhalten. »Heute, am Vorabend zu Allerheiligen, dem alten heidnischen Totenfest, können wir feiern. Gehen wir auf das Fest und sehen uns das Feuer an.«

»Bist du sicher, daß du die Lösung gefunden hast?« fragte Eadulf wenig überzeugt.

»Ich hätte es sonst nicht gesagt«, entgegnete Fidelmaruhig.

Die Abendmahlzeit, die von der schweigsamen Bud-dog serviert wurde, fand in einer düsteren Atmosphäre statt. Gwnda saß mißgestimmt am Kopf der Tafel, seine Finger trommelten gelegentlich auf die Tischplatte. Er schien mit seinen Gedanken beschäftigt zu sein. Die Hauptspeisen waren gerade abgeräumt worden, da brachte Buddog einen Teller mit kleinen Kuchen herein, die mit Stachelbeeren verziert waren.

»Die sind aber fein«, sagte Eadulf in dem verzweifelten Bemühen, die angespannte Stimmung aufzulok-kern.

»Kennst du die noch nicht?« fragte Fidelma bedauernd. »Zu Hause nennen wir sie gesprenkelte Küchlein und reichen sie auch zu dieser Zeit im Jahr ...«

Eadulf hatte herzhaft in einen der kleinen Kuchen gebissen, da verzog er vor Schmerzen das Gesicht. Er führte die Hand zum Mund und holte einen kleinen glänzenden Fingerring heraus. Er hielt ihn hoch und starrte ihn überrascht an.

»Was zum Teufel ...?«

Fidelma kicherte vergnügt. »Keine Sorge, du wirst nicht vergiftet. Das ist nur ein Brauch.«

Eadulf wendete den Ring neugierig hin und her. »Was bedeutet das?« fragte er.

Er bemerkte nicht, daß Fidelma ein wenig errötete.

»Das werde ich dir später erklären«, sagte sie. »Das ist ein Brauch zu diesem Fest.«

Von draußen drangen Musik und singende Kinderstimmen zu ihnen herein. Eadulfs Miene drückte Ratlosigkeit aus.

»Das ist zum Vorabend von Allerheiligen«, erklärte Gwnda verdrießlich.

»O ja, das neue Fest.« Eadulf erinnerte sich an Fidelmas Erläuterung.

»Neu?« fragte Fidelma recht verärgert. »Komm, Eadulf, du weißt doch gewiß, wie alt dieses Fest ist? Du lebst schon lange genug in den fünf Königreichen, wenn du auch bisher nicht gewußt hast, daß die Bri-tannier den Tag feiern.«

»Ich weiß, daß Bonifazius, der Vierte seines Namens, Bischof in Rom, vor fünfzig Jahren Allerheiligen als Feiertag eingeführt hat«, erwiderte Eadulf halsstarrig.

»Weil er nicht verhindern konnte, daß die Gallier, Britannier und die Iren das alte Neujahrsfest, das Fest von Samhain, feierten. Also hat er diesen Tag in ein christliches Gewand gekleidet. Stimmt das nicht, Gwnda?«

Der Fürst von Pen Caer war immer noch schlecht gelaunt. »Was ist? Ach ja. Unser Volk hat das Fest von Calan Gaeaf seit Anbeginn gefeiert.«

»Wir nennen es immer noch Samhain«, erklärte Fidelma. »Viele meinen, dieser Tag in den Wintermonaten sei der eigentliche Beginn des neuen Jahres. Früher glaubte man nämlich, die Dunkelheit komme vor der Wiedergeburt des Lebens. Und« - sie lächelte kurz -»außerdem behaupteten die Vorfahren, dies sei die beste Zeit des Jahres für Frauen, um schwanger zu werden, denn dann erblicke das Kind in der Zeit des Lichts die Welt.«

»Ich hatte immer gedacht, daß es ein Totenfest sei«, meinte Eadulf.

»In gewisser Weise ist es das auch«, stimmte ihm Fidelmazu. »Weil es Ende und Anfang markiert. Die Weisen der Vorfahren dachten, in dieser Nacht sei die Zeit außer Kraft gesetzt und die Grenzen zwischen dem Natürlichen und Übernatürlichen seien verwischt. Es ist die Zeit, in der das Jenseits für diese Welt sichtbar wird . Eine Zeit, in der die Dahingeschiedenen, denen du einst ein Unrecht zugefügt hast, zu dir zurückkehren, um Rache zu nehmen . Um das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse wiederherzustellen.«

Mit großem Gepolter stieß Gwnda seinen Stuhl zurück und schritt aus dem Raum.

Eadulf lächelte verlegen. »Damit scheint er seine liebe Not zu haben«, bemerkte er sarkastisch.

»Viele Leute haben damit Schwierigkeiten, wenn sie wirklich an die Wiederkehr der Seelen glauben. In früheren Tagen folgte man dem moralischen Grundsatz, sich bereits zu Lebzeiten gegenüber seinen Freunden und Nachbarn so zu verhalten, wie es sich gehörte.« Sie machte eine Pause und neigte den Kopf zur Seite. Sie lauschte der Musik und den Rufen draußen. »Komm, laß uns mitfeiern. Die Feuer sind wahrscheinlich schon angezündet.«

Die Nacht war schwarz. Der Mond stand tief über dem Horizont, sobald er sich zwischen den Wolken hervorschieben konnte. In der Ferne waren über den Hügeln hier und da helle Punkte zu sehen: einzelne Freudenfeuer. Das Feuer von Llanwnda brannte bereits, die Rufe und Schreie der Kinder übertönten die Hirtenflöten, den Rhythmus der Ziegenfelltrommeln und das Plärren der Hörner. Einige ältere Leute tanzten in einem Kreis vor dem Feuer. Fidelma und Eadulf gesellten sich zu der Menge und schauten in die aufsteigenden Flammen.

Die Strohpuppe, die sie in Iorwerths Schmiede entdeckt hatten, war fast völlig verbrannt. Nur noch ein paar Reste konnte man ganz oben auf dem glühenden Holzstapel erkennen.

»Menschenopfer?« fragte Eadulf mit einem zynischen Grinsen.

Fidelma nahm die Frage ernst. »In alten Zeiten herrschte der Brauch, dem keltischen Gott Taranis, dem Herrn über Blitz und Donner, in einem hölzernen Gefäß Opfergaben darzubringen. Manche sagen, daß das Gefäß eine hölzerne Menschenskulptur war, die den Überbringer von Botschaften an die Götter symbolisierte.«

Doch Eadulf schien ihr nicht recht zuzuhören; er blickte sich unter den Leuten am Feuer um.

»Was ist?« fragte Fidelma.

»Ich will mal sehen, ob ich nicht Iorwerth oder unseren Freund Iestyn in der Menge entdecke«, entgeg-nete er. »Ich erwarte eigentlich, daß sie bei einem solchen Fest zugegen sind.«

Fidelma nickte zustimmend. Da schaute sie auf einmal in das grinsende Gesicht Iestyns, der hinter ihr gestanden hatte.

»Immer noch nicht fort, Gwyddel?« spottete er.

»Wie du sehen kannst«, erwiderte sie ruhig. »Doch wir hoffen, morgen aufzubrechen.«

»Morgen? Ihr wollt morgen los?« Seine Stimme klang recht herausfordernd.

Fidelma ließ ihn einfach stehen und zog Eadulf mit sich fort. Der Bauer schaute ihnen mißtrauisch hinterher.

Als sie außer Hörweite waren, fragte Eadulf besorgt: »Warum hast du ihm das gesagt? Du weißt doch, daß er nichts Eiligeres zu tun haben wird, als es seinem Freund Clydog mitzuteilen. Sie werden uns unterwegs abfangen.«

»Ich wollte nur etwas Öl ins Feuer gießen«, antwortete sie gelassen. »Morgen werden wir die Angelegenheit zum Abschluß bringen. Ich hoffe, daß dein Vertrauen in Dewi nicht enttäuscht wird. Eigentlich hätte er heute hier sein müssen, aber vielleicht kommt er ja morgen.«

»Ich wüßte nicht, warum uns Dewis Ankunft jetzt noch helfen sollte. Ich glaube nicht, daß Gwlyddiens Autorität hier viel gilt. Und Clydog hat viele kampferfahrene Männer zu seiner Verfügung.«

»Das ist wohl wahr«, stimmte ihm Fidelma zu. »Ich setze nur darauf, daß Clydog nicht versuchen wird .«

Auf einmal merkten sie, daß es stiller um sie herum geworden war. Die Musik verstummte nach kurzem Zögern völlig. Selbst die Schreie der Kinder erstickten. Sie hörten die scharfen und befehlenden Rufe von Männern. Im Abseits bewegten sich Schatten. Reiter auf Pferden, die brennende Fackeln und blanke Schwerter hielten.

Fidelma wandte sich um. Beim Feuerschein entdeckte sie auf einem Pferd eine vertraute Gestalt. »Clydog!« zischte sie.

Sie packte Eadulf am Ärmel und tauchte zwischen den nächsten Steinhütten im Dunkel unter. Dort gönnten sie sich eine kurze Verschnaufpause.

»Das habe ich nicht erwartet«, murmelte Fidelma. »Ich hätte gedacht, daß Clydog erst auftauchen würde, wenn man Gwlyddien dazu gebracht hat, gegen die Hwicce in den Kampf zu ziehen.«

»Vielleicht ist Gwlyddien schon längst auf die Intrige hereingefallen«, meinte Eadulf. »Doch was machen wir nun? Iestyn wird ihm erzählen, daß wir uns hier aufhalten. Ohne gesehen zu werden, kommen wir nicht einmal an unsere Pferde in Gwndas Stall heran.«

Fidelma zeigte auf den Wald hinter dem Ort. »Das ist die einzige Möglichkeit, Clydog und seiner Bande zu entgehen. Komm schon.«

Sie lösten sich rasch und leise aus dem Schatten der Häuser und schlüpften unter die Bäume. Es war schwierig, sich einen Weg durchs Unterholz zu bahnen, doch Fidelma schien auf einen Pfad gestoßen zu sein, den die Hirsche benutzten, und so kamen sie nun gut voran.

»Wollen wir nur hoffen, daß an dem alten Aber-glauben nichts dran ist«, murmelte Eadulf, der in der Finsternis hinter ihr herstolperte.

»Was meinst du damit?«

»Wir haben Menschen vor den Richter gebracht, von denen viele nun im Jenseits weilen. Gehen wir mal davon aus, daß diese rachsüchtigen Seelen keine Möglichkeit haben, in dieser Nacht zurückzukehren und an uns Vergeltung zu üben!«

Fidelma machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten. Sie ärgerte sich immer noch über sich selbst, daß sie das Ganze nicht vorhergesehen hatte. Es war ihr nicht in den Sinn gekommen, daß Clydog sich so sicher fühlen könnte, um in Llanwnda einzureiten und die Herrschaft an sich zu reißen.

»Wann werden sie wohl unsere Flucht in den Wald bemerken?« stöhnte Eadulf.

Fidelma war so unvermittelt stehengeblieben, daß Eadulf fast in sie hineingerannt wäre.

»Was ist ...?« fing er an.

»Wasser, genau vor uns«, erwiderte sie. »Das muß der Fluß sein, der an der Ortschaft vorbeifließt. Wir müssen eine Stelle finden, wo wir ihn durchqueren können.«

Kurz darauf standen sie vor dem dunkel dahinströmenden Wasser. Wo es Steine und Felsen im Flußbett umspülte und Strudel bildete, zeigten sich in der Finsternis kleine weiße Tupfer.

»Der Trampelpfad der Hirsche führt genau dort hinunter«, machte Fidelma Eadulf klar. »An dieser Stelle ist der Fluß nur zwei, drei Meter breit. Ich glaube, ich kann erkennen, wie es auf der anderen Seite weitergeht. Das bedeutet, daß das Wild hier eine Furt benutzt, und wenn ein Hirsch das kann, dann können wir das allemal. Bist du bereit?«

»Laß mich zuerst gehen, nur für alle Fälle«, sagte Eadulf.

Fidelma ließ ihn gewähren. Manchmal war sie so konzentriert auf eine Sache und achtete nicht darauf, daß sie Eadulfs männlichen Stolz verletzte, wenn sie ihm nicht zugestand, in Dingen die Führung zu übernehmen, wo er es für wichtig hielt.

Sie blieb stehen und wartete, während er ins Flußbett hinunterkletterte. Dann watete er durch das Wasser und schwankte, wenn sich dessen trügerische Kraft gegen ihn stemmte. Es ging ihm jedoch nicht höher als bis zu den Knien, und bald hatte er das andere Ufer erklommen. Sie wartete nicht ab, bis er sie herüberrief, sondern folgte ihm sofort. Als sie den Fluß durchquert hatte, beugte er sich zu ihr vor und half ihr aufs Ufer.

Nun schoben sich die Wolken zusammen und hinderten das schwache Licht des tief stehenden Mondes daran, zu ihnen zu dringen. Der Wald war fast tintenschwarz. Nur ein kaum sichtbares Schimmern verriet ihnen, wo der schmale Hirschpfad entlangging, dem sie mit hastigen Schritten folgten.

»Jetzt sind wir bestimmt ein gutes Stück von Llanwnda entfernt«, murmelte Eadulf ganz außer Atem, nachdem sie eine Weile so gelaufen waren.

»Ich glaube, wir haben uns in einem Halbkreis bewegt«, widersprach ihm Fidelma leise.

Kurz darauf gelangten sie zu einer dunklen Hütte. Eadulf zitterte, als er die Umrisse erkannte. »Das ist die Unterkunft des Holzfällers. Wir haben uns nicht weit genug von Llanwnda entfernt«, sagte er enttäuscht.

»Zumindest sind wir auf den eigentlichen Weg durch den Wald gestoßen. Wenn wir ihn weitergehen, gelangen wir zur Schmiede von Goff ...«

»Doch die liegt ungefähr sieben oder acht Meilen von hier entfernt, und ohne Pferde ... Nun ...!«

Gewiß verzog er jetzt jammervoll das Gesicht, doch es war viel zu finster, um etwas zu sehen, und so konnte Fidelma nur seine Stimme hören.

»Bei gutem Tempo, Eadulf, sind wir bei Tagesanbruch dort. Vielleicht können wir von Goff Pferde bekommen und zur Abtei Dewi Sant reiten, damit wir die Verschwörung noch rechtzeitig aufdecken.«

Auf einmal blieb sie stehen. »Sei still! Ich glaube, da vorn hat sich etwas bewegt«, flüsterte sie.

Eadulf beugte sich vor und spähte den Weg entlang. Die Bäume schienen sich über ihnen zu einem dunklen Gewölbe aus Zweigen zu verschränken. Er erschauerte.

»Ist hier nicht auch der Baum, an dem sie Idwal aufgehängt haben?« murmelte er.

Fidelma nickte, doch dann fiel ihr ein, daß er die Geste gar nicht sehen konnte.

»Ich denke, ja«, pflichtete sie ihm bei.

Auf einmal taten sich die Wolken auf, und der Mond erschien wieder. Ein silberner Streif fiel auf den Wald. Jetzt bemerkten es beide.

An einem der unteren Äste der Eiche vor ihnen schwang etwas hin und her. Beim Näherkommen machten sie eine Gestalt aus, die so tief über dem Boden baumelte, daß die Fußspitzen fast die Erde berührten. Der Kopf hing in einem merkwürdigen Winkel zum Körper herab.

Eadulf lief jetzt neben Fidelma her. Er wünschte, Fidelma hätte ihm nichts von den Bräuchen dieses Festes erzählt, dem Vorabend zu Allerheiligen.

Vor dem Erhängten blieben sie stehen. Wieder war der Mond hinter den Wolken verschwunden. Es war unmöglich zu erkennen, um wen es sich handelte, auch wenn es Eadulf so vorkam, als sei ihm die Person bekannt. Und im gleichen Moment wußten sie beide -es war Iorwerth.

»Dabit deus his quoque finem«, seufzte Fidelma traurig.

»Du scheinst nicht gerade überrascht zu sein«, murmelte Eadulf, der die Zeile von Vergil erkannt hatte, in der es hieß, daß Gott aller Not eine Ende bereite.

»Das bin ich auch nicht«, antwortete sie. »Selbst wenn ich annahm, er sei aus festerem Holz geschnitzt. Sonst hätte ich ihm die Kette nicht gezeigt. Komm, wir schneiden ihn ab.«

Eadulf nahm sein Messer und trennte den Strick durch. »Ich begreife nicht, was du eben gesagt hast. Wer hat ihn umgebracht?«

»Er selbst war es.«

Eadulf ließ den Toten zu Boden gleiten. »Warum sollte er .?«

Plötzlich hörten sie Geräusche. Lichter bewegten sich in der Dunkelheit; brennende Fackeln. Woher sie stammten, war klar. Fidelma packte Eadulfs Hand.

»Lauf! Das sind Clydog und seine Männer, die nach uns suchen.«

Sie rannten durch den Wald. Da schrie hinter ihnen jemand, sie waren entdeckt worden. Eben noch hatte Eadulf die Wolken verflucht, die sich vor den Mond geschoben hatten. Jetzt fluchte er, daß es nicht dunkel genug war, um sich zu verbergen.

Nach wenigen Augenblicken wurde ihnen klar, daß ihre Flucht aussichtslos war. Die Verfolger waren beritten. Voller Verzweiflung suchten sie nach einem schmalen Pfad, der sie tiefer in den Wald und fort von dem Hauptweg bringen könnte. Doch es gab keine Möglichkeit, ihnen zu entkommen. Das Unterholz war so dicht und dunkel, es war einfach undurchdringlich.

Einen Moment später hatte einer der Reiter sie eingeholt. Er wandte sein Pferd um und stellte sich ihnen in den Weg, wobei er bedrohlich sein Schwert durch die Luft sausen ließ.

»Bleibt stehen, oder ihr werdet erschlagen!« fuhr er sie böse an.

Hinter sich hörten sie Clydogs Stimme spotten: »Habe ich dir nicht gesagt, daß ich dich bald wiedersehen würde? Zwischen uns gibt es noch etwas zu klären, Schwester Fidelma von Cashel.«

Sie drehten sich um und starrten im Mondlicht auf Clydog. Fidelma schwieg.

»Wir haben heute nacht schon genug Zeit vergeudet«, sagte Clydog auf einmal in beinahe nüchternem Ton. »Fesselt ihnen die Hände auf dem Rücken und nehmt beide mit. Wir kehren nach Llanwnda zurück.«

Einer der Männer sprang vom Pferd, drehte Fidelmamit einem Ruck die Arme nach hinten und band die Handgelenke mit einem Strick zusammen. Das tat sehr weh. Eadulf hatte die Hände zu Fäusten geballt und machte einen Schritt auf Fidelma zu, doch da spürte er eine kalte Schwertspitze in seinem Nacken und hielt inne. Es war der Krieger, der sie vorhin vom Pferd aus bedroht hatte. Der andere, der Fidelma gefesselt hatte, trat mit zorniger Miene an ihn heran, durchsuchte ihn und nahm ihm das Messer weg. Dann wurden auch Eadulfs Arme brutal nach hinten gezogen. Er versuchte sich zu wehren, doch der Krieger versetzte ihm einen Schlag auf den Kopf, so daß er ins Taumeln geriet. Ehe er es sich versah, waren seine Hände festgezurrt. Und dann saßen sie auch schon hinter den Kriegern auf den Pferden.

Clydog gab das Signal zum Aufbruch. Zu Fidelmas Erstaunen schienen weder Clydog noch seine Gefährten Iorwerths Leiche zu bemerken, denn sie ritten ohne einen Blick an der Eiche vorbei. Ihr fiel ein, daß Eadulf den Toten ins hohe Gras gelegt hatte, wo man ihn im Dunkel nicht sehen konnte.

»Was hast du jetzt vor, Clydog?« rief Fidelma.

Der Anführer der Gesetzlosen drehte sich zu ihr um. »Stellst du immer noch Fragen, Gwyddel?« Er lachte höhnisch.

»Ich fürchte, ich bin einfach so«, erwiderte Fidelma munter. »Seit unserer letzten Begegnung bist du sehr kühn geworden.«

»Was brütet dein schlaues Hirn jetzt aus?« fragte Clydog mißtrauisch.

»Mal sehen. Das letztemal hast du dich im Wald versteckt, wie es deinem Halunkendasein entspricht. Jetzt hast du beschlossen, einen ganzen Ort anzugreifen. Das bedeutet, daß du kühner geworden bist. Ich frage mich nur, warum?«

»Du bist ein gerissenes Weib«, brummte Clydog zornig. »Ich habe das Gefühl, daß du mehr weißt, als du mir verrätst. Wenn wir in Llanwnda sind, werden wir schon aus dir herauskriegen, wovon du Kenntnis hast.«

Fidelma wurde klar, daß sie nichts weiter erreichen würde, wenn sie versuchte, die Unterhaltung mit ihm fortzusetzen. Sie blickte zu Eadulf hinüber, der sich angestrengt bemühte, auf dem Pferd nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Armer Eadulf. Er war kein guter Reiter. Für sie war es schon schwierig, mit auf dem Rücken gefesselten Händen die Balance zu halten. Für Eadulf mußte es geradezu unmöglich sein.

Zumindest machte der Reitertrupp keine Umwege. Clydog führte sie schnurstracks auf Llanwnda zu, und kurz darauf überquerten sie die hölzerne Brücke über den Fluß, der an der vereinsamten Schmiede von Ior-werth vorbeifloß.

Im Schatten erkannte Fidelma ein, zwei herumlungernde bewaffnete Männer. Clydog ignorierte sie, sie standen offensichtlich unter seinem Befehl. Er ritt die Straße voran, in der Ferne leuchteten immer noch die Freudenfeuer. Dann hatten sie Gwndas Wohnsitz erreicht, wo die Banditen absaßen und Fidelma und Eadulf unsanft von den Pferden zogen. Einer der Männer führte die Tiere in den Stall.

Clydog lief die Stufen zum Eingang hinauf und stieß die Tür auf. Auf der Schwelle drehte er sich um und rief seinen Untergebenen zu, die beiden Gefangenen hereinzubringen. Dann trat er ein. Hinter ihm wurden Fidelma und Eadulf derb ins Haus gestoßen. Die beiden hatten zu tun, nicht hinzustürzen, so daß sie erst recht spät bemerkten, daß Clydog plötzlich wie angewurzelt stehengeblieben war. Als sie schließlich aufschauten, stellten sie fest, daß Clydog und seine Gefährten wie zur Salzsäule erstarrt dastanden.

In der Halle des Fürsten befanden sich ein halbes Dutzend Krieger, die mit Pfeil und Bogen auf Cly-dogs Leute zielten.

Загрузка...