Epilog

»Ich finde, du hast den Fall ausgezeichnet dargelegt, Eadulf«, lobte Fidelma ihren Gefährten.

Die Küste von Dyfed verschwand in der Ferne, als sie sich gegen die Heckreling des fränkischen Handelsschiffes lehnten, das nach Süden über die Bucht von St. Brides segelte. Es war ein beruhigendes Gefühl, zu spüren, wie die Wellen dumpf gegen den Schiffsrumpf schlugen, wie sich die verschwindende Küstenlinie mit den Wellen immer auf und ab bewegte, wie die dünnen Ledersegel knarrten, die für ihre Reise aufgezogen worden waren, wenn der wechselhafte Wind in sie fuhr. Der Kapitän hatte ihnen versprochen, daß sie erst wieder an der Insel Tanatos vor der Küste von Kent anlegen würden. So brauchten sie die nächsten Tage die Reise einfach nur zu genießen. Sie waren entspannt und glücklich.

»Du hattest ja die Fäden in der Hand«, gestand Eadulf. »Dir war die Ähnlichkeit zwischen Corryn und Cathen aufgefallen. Weshalb hast du vermutet, daß Corryn der Klosterbruder Rhun war? Wegen der Ähnlichkeit der beiden?«

»Nicht nur deswegen. Ich war mir sicher, Corryns Gesicht schon einmal gesehen zu haben. Diese irisierenden beinahe violetten Augen hätten mich schon früher darauf bringen können. Aber warum trug er stets diesen Helm? Offensichtlich um seine Tonsur zu verbergen.

Und dann die Art, wie er auftrat. Entsinnst du dich, er gab vor, Clydogs Stellvertreter zu sein, doch oftmals schien er die Entscheidungen zu treffen. Er war Clydog zumindest ebenbürtig. Meine Vermutung wurde bestätigt, als du mir die Worte des sterbenden Mönchs am Strand mitteiltest.«

Eadulf versuchte sich zu erinnern. »Ich dachte, der arme Kerl redete nur wirres Zeug.«

»Nein, er wollte dir sagen, daß sich das Böse in ihrer Mitte aufhielt. Die böse Spinne. Bruder Rhun war das Böse in ihrer Mitte. Er hatte den Spitznamen Cor-ryn angenommen, und was bedeutet der?«

»Spinne.«

»Genau«, sagte Fidelma. »Zum Glück hast du Sual-da wieder gesund gemacht. Er lieferte das noch fehlende Glied in der Kette der Beweise; denn ohne ihn hätten wir vielleicht nie erfahren, was mit dem Krieger der Hwicce geschah.«

»Ah, Thaec. Zumindest scheint er tapfer gestorben zu sein, und er konnte glauben, daß er in Walhall Einzug halten darf. Ich schätze, du hast recht. Ohne Sual-da hätte Clydog geschwiegen oder alles abgestritten. Wie hast du erraten, daß Clydog der Sohn von Art-glys ist?«

»Er konnte kein gewöhnlicher Geächteter sein. Wie Corryn war auch er belesen und gebildet. Dann erinnerte ich mich daran, daß Cathen erwähnte, Artglys hätte einen Sohn. Ich habe nur geraten, doch häufig trifft man damit die Wahrheit.«

»Was wird mit Clydog geschehen? Er ist ein übler Schurke.«

»Er ist auch der Prinz von Ceredigion. Ich schätze, daß man ihn als Geisel nimmt und daß damit König Artglys dazu gebracht wird, sich in Zukunft friedlicher zu verhalten. Vielleicht bietet Artglys an, die verbliebenen Mönche von Llanpadern im Austausch gegen seinen Sohn auszuliefern. Vielleicht gibt er zusätzlich sogar noch die gestohlenen Schätze aus der Klosterkapelle zurück.«

»Und was wird mit Rhun geschehen, dem Verräter?«

»Cathen hat ja deutlich gesagt, was er mit seinem Bruder machen würde. Doch König Gwlyddien wird entscheiden, was mit ihm passiert. Sollte Rhun am Leben bleiben, wird er für Vater und Bruder eine ständige Bedrohung darstellen.«

»Es setzt mich in Erstaunen, daß er keine Gewissensbisse hatte, was die Ermordung seiner Gefährten von Llanpadern betrifft«, sagte Eadulf.

»In gewisser Hinsicht ist er ein noch größerer Verbrecher als Clydog«, meinte Fidelma.

»Und er ist kurzsichtiger«, fügte Eadulf hinzu. »Äsop sagte, daß man nie versuchen sollte, auf den Schwingen seiner Feinde emporzusteigen. Genau das hat er aber getan. Ein Sklave hat einen Herrn, doch ein ehrgeiziger Mann wird so viele Herren haben, wie nötig sind, um ans Ziel zu gelangen.«

»Und das bedeutet?« warf Fidelma ein.

»Nun, selbst wenn er mit Hilfe von Ceredigion König von Dyfed geworden wäre, so wäre der Preis zu hoch gewesen. Ceredigion hätte Belohnungen eingefordert, die Rhun vielleicht nie hätte erbringen können.«

Nun schwiegen beide eine Weile.

»Ich denke«, sagte Eadulf dann, »daß die größere Tragödie Idwal und Mair widerfahren ist.«

»Eine traurige Geschichte, die ohne die Verschwörung, die nichts mit ihnen zu tun hatte, beinahe nicht ans Licht gekommen wäre«, stimmte ihm Fidelma zu. »Bruder Meurigs Tod, Iorwerths Selbstmord und die Toten, die im Vorfeld sterben mußten - zum Beispiel Idwals Mutter, Efa. Wann hat das alles angefangen?«

»Wer weiß? Jetzt spielen wir wieder das Spiel >Was wäre wenn?< Was wäre gewesen, wenn Gurgust damals seinen Lehrling Iorwerth nicht hinausgeworfen hätte? Oder er nicht so grausam seine Tochter Efa fortgeschickt hätte?«

»Was wäre passiert, wenn damals im Wald nicht Ie-styn, sondern eine andere Person vorbeigekommen wäre?« fing nun auch Fidelma an.

»Iestyn!« Eadulf seufzte. »Den hatte ich fast vergessen. Was wird ihn erwarten?«

»Ich schätze, das steht schon längst fest«, sagte Fidelma. »Vielleicht hat man ihm verziehen, daß er Ior-werths Ängste und seinen Haß geschürt und so Idwals Tod verschuldet hat, doch er hat sich mit Rhun verbündet. Man kann es so auslegen, daß er Rhun gedient hat und damit weiterhin ein treuer Untergebener von Dyfed war. Doch in Wahrheit war er ein Spion für Ceredigion. Ich glaube, sein Schicksal war bereits von Ca-then besiegelt, als man ihn aus Gwndas Halle führte.«

»Und was ist mit Gwnda und Buddog?«

»Die Britannier waren viele Jahrhunderte lang eine Provinz des Römischen Reiches«, meinte Fidelma nachdenklich. »Sie haben Methoden der Bestrafung übernommen, die wir in den fünf Königreichen nicht anwenden. Ihr Gesetze stecken voller Rache und Vergeltung. Ihre Strafen sind wesentlich härter.«

Eadulf schauderte bei dieser Vorstellung ein wenig. »Nun, ich bin froh, daß wir auf dem Weg nach Canterbury sind. Ich kann nicht gerade behaupten, daß ich die Zeit im Königreich Dyfed genossen hätte.«

»Das ließ sich nicht übersehen«, stimmte ihm Fidelmazu. »Ich habe nicht gewußt, daß du so nervös und gereizt sein kannst.«

»Es tut mir leid, daß ich meine Ängste nicht verbergen konnte.« Eadulf schaute sie ernst an. »Es gab Augenblicke, da hielt ich sie für begründet.«

Fidelma wirkte auf einmal betroffen. »Gewiß habe ich mich dir gegenüber recht befremdlich verhalten, Eadulf. Ich gebe zu, ich habe versucht, mich von dir zu distanzieren.«

Zu ihrer Überraschung nickte Eadulf bedächtig. »Mir ist das nicht entgangen.«

Fidelma starrte ihn an. Es verwirrte sie ein wenig, daß er mit einer solchen Ruhe bekannte, davon gewußt zu haben. »Du scheinst ja jede Beleidigung von mir hinzunehmen.«

»So ängstlich und argwöhnisch wie ich im Land der Welisc auch war, so bemerkte ich trotzdem, daß dein Unbehagen und deine Ängstlichkeit irgendwie noch größer waren. Obwohl du dich vor den Welisc selbst eigentlich nicht fürchtetest.«

»Ich glaube, du schuldest mir da eine Erklärung«, sagte sie mit angespannter Stimme.

»Die Erklärung ist ganz einfach. Bei Loch Garman, ehe wir das Königreich von Laigin verließen, da hast du dich zu deinen Gefühlen für mich bekannt und den Entschluß gefaßt, mich nach Canterbury zu begleiten, statt in das Königreich deines Bruders zurückzukehren. Denkst du etwa, daß mir nicht bewußt war, wie schwer dir das gefallen ist? Daß mir nicht klar war, wieviel Überwindung es dich kostete, dich dafür zu entscheiden? In den letzten Tagen warst du voller Befürchtungen. Doch es liegt in deiner Natur, deine Angst nicht zu zeigen. Du hast sie einfach unter dem Mantel der Verachtung und sogar des Hohns mir gegenüber verborgen.« Eadulf zuckte mit den Schultern. Er war immer noch ernst. »Ich weiß schon, was du getan hast, Fidelma. Du hast mich geprüft. Du wolltest sehen, ob ich versagen und dir bestätigen würde, daß dein Entschluß, mit mir zu reisen, falsch war. Doch ich wollte es dir nicht leicht machen. Wenn du deine Entscheidung widerrufen willst, dann nur aus eigenem Antrieb heraus und nicht wegen meiner Person. Ich bleibe bei meinem Standpunkt in dieser Angelegenheit.«

Fidelma betrachtete ihn eine Weile still, dann streckte sie impulsiv ihre Hand aus und legte sie fest auf die seine.

»Ich glaube nicht, daß ich dies bewußt getan habe, Eadulf. Vielleicht geschah es aus einem unbewußten Antrieb heraus? Du bist sehr klug. Ich glaube, daß meine Befürchtungen nun zerstreut sind. Kannst du mir verzeihen?«

»Furcht entsteht aus Unsicherheit. Man muß sich sicher sein. Seneca schrieb, dort, wo Angst ist, ist das Glück verschwunden.«

Fidelma wirkte feierlich. »Dem stimme ich zu. Angst ist keine Tugend. Ich bin sehr froh, daß du mir gegenüber Nachsicht übst, Eadulf. Glaub mir, ich bin mir jetzt sicher. Doch falls ich wieder schwankend werde, so schwöre ich, daß ich aufrichtig sein und es nicht zulassen werde, daß die Angst mich beherrscht. Ich habe dazugelernt.«

»Da wir vom Dazulernen sprechen« - Eadulf lächelte und schnitt ein vergnüglicheres Thema an -, »erinnerst du dich an dein Versprechen, mir die Bedeutung des Rings in dem kleinen Kuchen zu erklären, auf den ich bei Gwnda gebissen habe? Ich habe mir fast einen Zahn dabei abgebrochen.«

Fidelma errötete leicht. »Oh, das ist nur ein alter Aberglaube«, sagte sie und wollte die Sache damit auf sich beruhen lassen.

»Was für ein Aberglaube?« fragte Eadulf beharrlich nach.

Fidelma sah sich in die Enge getrieben. »Daheim, zum Fest von Samhain, das von Rom zum Vorabend von Allerheiligen erklärt wurde, gibt es bei uns gewöhnlich ein kleines Küchlein, das bairin breac heißt. Die Britannier nennen ihren Kuchen bara brith -doch das hatte ich dir bereits erzählt.«

»Aber was bedeutet der Ring darin?« fragte Eadulf weiter.

»Man knetet einen Ring oder eine Haselnuß in den Teig. Wer die Haselnuß findet, wird sein Leben lang unverheiratet bleiben.«

»Ich hatte aber den Ring«, meinte er. »Was geschieht mit dem, der den Ring bekommt?«

»Der wird bald heiraten.«

Eadulf lachte glücklich und zufrieden. »Das ist ein Aberglaube, der mir sehr entgegenkommt. Er ist sogar ganz ausgezeichnet.«

Fidelma senkte nachdenklich den Kopf. Dann griff sie in ihr marsupium.

»In meinem kleinen Kuchen habe ich auch etwas gefunden«, sagte sie leise.

Da ihr Mund sich zu einem Lächeln verzog, merkte Eadulf nicht, wie ernst ihre Augen schauten.

Sie öffnete langsam die Faust. Darin lag eine Haselnuß.

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