Es war kalt, aber es lag kein Reif auf dem Boden, als die drei Pferde durch die Tore der Abtei Dewi Sant trabten. Sie liefen hintereinander, angeführt von einer großen grauen Stute. Bruder Meurig ritt in zügigem Tempo voran, ihm folgten Schwester Fidelma und Bruder Eadulf auf feurigen kurzbeinigen Pferden. Es waren alles kräftige Tiere. Gegen die eisige Morgenkälte hatte sich Meurig einen weiten Umhang umgelegt, fast von gleicher Farbe wie sein Pferd. Auch seine Begleiter waren in dicke Wollumhänge gehüllt.
Abt Tryffin hatte zuvor einen Mann in Bruder Rhodris Hospiz in Porth Clais geschickt, um die Reisetaschen von Fidelma und Eadulf zu holen. Sie hatten unterdessen Gelegenheit gehabt, Bruder Cyngar zu fragen, was er in Llanpadern angetroffen hatte, so daß sie, da Bruder Meurig beim ersten Tageslicht mit ihnen aufbrechen wollte, inzwischen von Bruder Cyngar alle Informationen erhalten hatten.
Fidelma und Eadulf waren beide beeindruckt von der ernsten und umsichtigen Art Bruder Cyngars. Zwar erfuhren sie von ihm kaum mehr, als sie bereits von Abt Tryffin wußten. Aber Bruder Cyngar hatte ein ausgesprochen gutes Auge für Details.
Er war weit davon entfernt, den Vorfall auf Hexerei oder das Böse an sich zurückzuführen, aber er akzeptierte den Gedanken, daß etwas, das nicht auf natürliche Weise zu erklären war, eher übernatürlichen Kräften zugeschrieben werden mußte.
Nachdem sie sich von Bruder Cyngar verabschiedet hatten, waren Fidelma und Eadulf zum Skriptorium der Abtei geführt worden, wo Bruder Meurig gerade etwas in den dort aufbewahrten Rechtsschriften nachschlug. Bruder Meurig war ein großer Mann, der selbst Fidelma überragte, die schon als überdurchschnittlich hochgewachsen galt. Er war hager und hohlwangig und hatte hohe Wangenknochen. Seine Haare waren leicht angegraut, die dunklen Augen lagen tief, das rechte Auge schielte ein wenig, wodurch er finster wirkte. Doch seine düstere Erscheinung stand ganz im Gegensatz zu der warmherzigen Art, in der er sie begrüßte.
Er redete Fidelma in ihrer Muttersprache an und wandte sich dann in fließendem Angelsächsisch an Eadulf.
»Wie kommt es, daß du des Angelsächsischen mächtig bist?« erkundigte sich Eadulf.
»Ich war mehrere Jahre lang Gefangener in Mer-cia.« Bruder Meurig zeigte auf eine Narbe, die ihm quer über den Hals lief. »Hier seht ihr das Zeichen des sächsischen Sklavenkragens. Das liegt nun schon zehn Jahre zurück; Penda herrschte damals über das Land.
Ein übler Mann. Penda wurde als Heide geboren und starb als Heide, er diente zu allen Zeiten seinem Gott Wotan.«
»Bist du geflohen?« fragte Eadulf und bemühte sich, nicht verlegen zu erscheinen, auch wenn Bruder Meurigs Worte ohne Groll waren.
»Nachdem Oswy von Northumbria Penda besiegt und ihn bei Winwaed Field im Jahre 654 getötet hatte und das Königreich Mercia daraufhin zerschlagen wurde, kamen viele seiner Sklaven frei, insbesondere christliche Mönche wie ich, und sie durften in ihre Heimatländer zurückkehren.«
»Jetzt bist du ein barnwr - ein Richter an den Gerichten von Dyfed«, ergänzte Fidelma.
Bruder Meurig lächelte zufrieden. »So wie du, Schwester Fidelma«, sagte er. »Eine dalaigh ist das gleiche wie ein barnwr. Wir haben viel gemeinsam.«
»Ich habe gehört, daß eine große Anzahl eurer Gesetze den Gesetzen der Brehons von Eireann ähneln. Ich bin sicher, daß ich noch eine Menge von dir lernen kann, Bruder Meurig.«
»Dein Ruf eilt dir voraus, Schwester. Ich bezweifle, daß ich dir noch viel beibringen kann«, stellte der barnwr freundlich klar.
»Hat man dir mitgeteilt, was in Llanpadern geschehen ist?« fragte Eadulf.
Bruder Meurig nickte. »Doch man hat mir diesen Fall nicht angetragen.«
»Hast du eine Meinung dazu?« drängte ihn Eadulf.
»Eine Meinung?« Bruder Meurig rümpfte abschätzig die Nase. »Ich habe gehört, daß Prinz Cathen glaubt, es könnte sich um einen Überfall von Kriegern aus Ceredigion handeln, die Geiseln nehmen wollten. Ich halte das zwar für möglich, aber nicht für wahrscheinlich.«
»Gibt es eine andere vernünftige Erklärung?«
Bruder Meurig schüttelte den Kopf.
»Kannst du dir eine andere Möglichkeit vorstellen?« fragte nun Fidelma.
»Mir fällt keine ein.«
»Dann glaubst du also nicht wie Abt Tryffin, daß die Klosterbrüder Opfer Schwarzer Magie geworden sind - von dunklen Mächten einfach fortgehext?« fragte Eadulf ernst.
Bruder Meurig lachte trocken.
»Die dunklen Mächte haben Besseres zu tun, als ihre Zeit mit Zaubertricks zu verschwenden, Bruder Eadulf.«
Auf Fidelmas Lippen lag ein leichtes Lächeln. »Wenn du alle anderen Erklärungen ausgeschlossen hast, so muß das, was immer auch dann übrigbleibt, die Antwort sein, ganz gleich wie unglaublich sie erscheinen mag«, bemerkte sie. »Selbst Schwarze Magie.«
»Bei alldem, was ich über dich gehört habe, dachte ich, du würdest als letztes im Reich der Finsternis nach Antworten suchen, Schwester.«
»Oh, Bruder Meurig, da irrst du dich. Man muß als erstes im Reich der Finsternis suchen, wenn man mit dem Bösen zu tun hat. Der menschliche Geist ist derart finster und böse, daß im Vergleich dazu das Jenseits harmlos erscheint.«
Bruder Meurig schien belustigt. »Ich habe vor, beim Morgengrauen nach Pen Caer aufzubrechen, damit wir gegen Abend dort sind. Ihr könnt die Nacht in Pen Caer verbringen und am nächsten Tag nach Llan-padern weiterziehen. Das wäre das sicherste.«
»Das sicherste?« fragte Fidelma.
»Pen Caer ist eine Gegend, die in letzter Zeit oft von Räuberbanden heimgesucht wurde. Selbst Mönche und Nonnen werden von ihnen nicht verschont.«
»Auf unserer Reise morgen wirst du mir mehr von Pen Caer erzählen«, sagte Fidelma, als sie sich verabschiedeten.
»Dort ist es! Das ist Llanwnda! Das ist der Sitz des Fürsten von Pen Caer.«
Die meiste Zeit über waren sie gemächlich geritten, waren gut vorangekommen, ohne daß ihre Tiere ermüdeten, hatten hier und da angehalten, um Wasser zu trinken und dann, um ihren Mittagsproviant zu verzehren. Ihr Weg führte sie an der Küste entlang, und die Gegend war in ihrer Vielfalt sehr malerisch. Moorlandschaften und Klippen, hügelige bewirtschaftete Felder und dichte bewaldete Täler, Schluchten, durch die sich Flüsse wanden, und sogar Marschland säumten ihren Weg. Ab und zu waren sie dem Wasser ganz nahe. Bruder Meurig deutete dann manchmal auf die hoch aufragenden Klippen, die das Land von der ruhelosen See trennten.
Es war später Nachmittag; am Himmel standen graue Wolken, und bald würde die Abenddämmerung hereinbrechen. Sie konnten es an der Kälte spüren, an dem trüben Dunst. An einem Kreuzweg stand seitlich an der Hecke ein alter Stein, der am oberen Ende rund war und ein Kreuzeszeichen trug. Dort brachte Bruder Meurig seine Stute zum Stehen. Er zeigte auf ein paar Gebäude, die man hinter den Bäumen gerade noch erkennen konnte und die weniger als eine Meile entfernt lagen.
»Das ist Llanwnda!« rief er.
Eadulf fiel es schwer, den Namen auszusprechen. »Was bedeutet das?«
»Llan bedeutet Eingemeindung«, erwiderte Bruder Meurig. »Der Fürst hier wird Gwnda genannt, aus diesen beiden Silben besteht der Name.«
»Und der hohe Berg dort?« erkundigte sich Schwester Fidelma. »Ist das der Berg, hinter dem das Kloster von Llanpadern liegt?«
Bruder Meurig schüttelte den Kopf. »Nein, der Berg heißt Pen Caer, von ihm hat diese Gegend hier ihren Namen. Das Kloster Llanpadern befindet sich am Fuße eines kleineren Berges, der Carn Gelli heißt und südlich von uns liegt. In der Ferne kannst du ihn zu deiner Linken wahrnehmen.«
Es war schwierig, aber sie konnte die Umrisse gerade noch ausmachen.
»Gewiß finden wir in Llanwnda eine gute Unterkunft. Wahrscheinlich wird uns Gwnda persönlich seine Gastfreundschaft anbieten, und dann werdet ihr von den Leuten erfahren, was sie von den Geschehnissen in Llanpadern halten.«
»Das ist wunderbar«, meinte Fidelma erwartungsvoll. »Ich hoffe, wir erfahren etwas mehr über die Angelegenheit, in der man dich als Richter gerufen hat. So könnte ich ein wenig die Rechtspraxis von Dyfed kennenlernen.«
»Es wäre mir ein Vergnügen, wenn du mich bei meinen Ermittlungen begleitest«, erwiderte Bruder Meurig. »Das Rechtsverfahren ist hier wirklich etwas anders als in deinem Land.«
»Was ist das?« fragte Eadulf auf einmal. Er hatte unter den Bäumen, die die Ortschaft umgaben, einen merkwürdigen Lichtschein bemerkt. Ein rötlich flak-kerndes Licht.
»Das sieht nach einem Feuer aus«, erwiderte Bruder Meurig mit angstvoll aufgerissenen Augen.
»Vielleicht können wir helfen!« rief Fidelma und setzte ihr Pferd in Trab.
»Und was ist, wenn dort Plünderer zugange sind?« schrie ihr Bruder Meurig verzweifelt hinterher. »Sollten wir uns dem Ort nicht besser mit Vorsicht nähern?«
Doch Fidelma und Eadulf, der ihr hinterherjagte, waren schon außer Hörweite. Bruder Meurig blickte resigniert zum Himmel auf und folgte ihnen. In leichtem Galopp ritten sie durch den Wald, denn es war gefährlich, sich noch rascher vorwärtszubewegen. Schließlich gelangten sie an eine Brücke, die über einen schnell dahinfließenden Fluß in die Ortschaft führte.
»Ich glaube nicht, daß ein Gebäude in Flammen steht«, rief Eadulf, als sie auf der Brücke haltmachten.
So war es auch.
Hinter der Brücke konnten sie zwischen den Häusern einen Platz erkennen. Dort hatte sich um einen großen Baum eine Menschenmenge versammelt. Männer, Frauen und Kinder standen stumm zusammengedrängt. Jeder der Männer hielt eine brennende Fackel hoch, wodurch jener schaurige, rote Lichtschein entstand, der wie ein großes Feuer wirkte. Kein einziger Ton war zu hören, nur die lodernden Flammen der Fackeln knisterten. Zwei Männer traten aus dem Dunkel hervor. Sie zerrten einen dritten Mann zwischen sich mit, der sich heftig wehrte. Fidelma, Eadulf und Bruder Meurig konnten den Mann jammern hören, er weinte wie ein Kind.
Bruder Meurig stieß einen Fluch aus - was er als Mönch wohl besser nicht hätte tun sollen -, dann ritt er auf den Platz. Erschrocken gaben die Leute ihm den Weg frei.
Eadulf rief Fidelma eine Warnung zu, doch sie zuckte mit den Schultern und folgte Bruder Meurig.
Der war bereits an dem Baum, Fidelma und Eadulf kamen zu seiner Rechten und Linken zum Stehen. Eadulf wurde klar, daß Bruder Meurig sofort begriffen hatte, was hier vorging. Der sich wehrende Mann sollte an dem Baum aufgehängt werden.
»Im Namen Gottes, was treibt ihr hier?« schrie Bruder Meurig. »Haltet ein!«
Die Leute fuhren zurück, doch einige blickten ihn herausfordernd an. Die beiden Männer hielten ihren unglücklichen Gefangenen immer noch ganz fest.
Ein stämmiger Mann, dessen mondrundes Gesicht im Licht der Fackel rot leuchtete, trat hervor. Mit gespreizten Beinen baute er sich vor Bruder Meurig auf, die freie Hand lag am Messer an seiner Taille, er blickte den Mönch finster an.
»Das geht dich nichts an, Bruder! Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten und laß uns in Ruhe.«
»Das ist durchaus meine Angelegenheit«, entgegne-te Bruder Meurig mit Stentorstimme, um sich Autorität zu verschaffen. »Laßt Gwnda, den Fürsten von Pen Caer, hervortreten!«
Ein zweiter Mann gesellte sich zu dem Mondge-sichtigen. Er hatte eine Keule in der Hand, die er unbekümmert hin und her schwang. Es war nur zu deutlich, daß dies als Drohung zu verstehen war.
»Du wirst Fürst Gwnda in seinem Haus beim Beten antreffen, falls du zu ihm willst, Bruder.«
Dieser Satz wurde von schallendem Gelächter begleitet.
Bruder Meurig sah auf den Mann herab.
»Er ist bei sich zu Hause, und hier geht es drunter und drüber? Er wird König Gwlyddien Rede und Antwort stehen müssen, wenn auch nur einem Menschen ohne Grund Schaden zugefügt wird.«
Der Mondgesichtige blinzelte und blickte seinen Freund mit der Keule an, ehe er sich wieder an Bruder Meurig wandte.
»Grund gibt es genug, Bruder«, rief er mit zorniger Stimme. »Doch wer bist du, daß du im Namen des Königs gegen unseren Fürsten Drohungen ausstößt?«
»Auf Anfrage eures Fürsten Gwnda bin ich vom König hierhergeschickt worden. Ich bin der barnwr von der Abtei Dewi Sant.«
Der Mondgesichtige wurde ein wenig unsicher. Er trat von einem Fuß auf den anderen. Auch sein Begleiter wirkte nun weniger von sich überzeugt. Bruder Meurig packte die Gelegenheit beim Schopfe.
»Bringt diesen Mann dort her!« befahl er barsch den beiden Männern, die den Gefangenen festhielten. Fragend sahen sie den Mondgesichtigen an. Als sie von ihm keine gegenteiligen Anweisungen erhielten, bewegten sie sich langsam mit dem Gefangenen vorwärts. Der schluchzte und ließ den Kopf hängen.
»Das ist ja fast noch ein Kind«, murmelte Fidelma, die die unglückliche Gestalt eingehend betrachtete. Sie hatte das in ihrer Muttersprache zu Bruder Meurig gesagt. Der Mondgesichtige blickte sie mißtrauisch an. Offensichtlich hatte auch er ihre Worte verstanden.
»Kind oder nicht, er ist ein Mörder und wird bestraft«, erwiderte er.
»Auf solche Weise bestrafen wir hier niemanden«, entgegnete Bruder Meurig. »Was meinst du mit deiner Anschuldigung?«
»Dieser Junge hat meine Tochter vergewaltigt und ermordet! Ich will Vergeltung!« rief der Mondgesich-tige entschlossen.
»Vergeltung wird es nicht geben.« Bruder Meurigs Worte klangen schneidend. »Gerechtigkeit soll jedoch allen widerfahren. Wie heißt du?«
»Ich bin Iorwerth, der Schmied.«
»Und der Name des Jungen?«
»Er heißt Idwal.«
»Gut, Schmied Iorwerth. Du wirst uns zum Haus von Gwnda führen. Ihr beide seht zu, daß dem Jungen nichts passiert, sonst ziehe ich euch zur Rechenschaft.« Bruder Meurigs Anweisungen duldeten keine Widerrede. Er blickte in die Menschenmenge, die einige Schritte zurückgetreten war, als wolle sie sich von Iorwerth und seinen Freunden distanzieren. »Ihr anderen kehrt wieder in eure Häuser zurück.« Er sah den Mann mit der Keule an, der nun weniger angriffslustig schien. »Und wie heißt du?«
»Ich bin Iestyn. Ich bin Bauer«, antwortete er gereizt.
»Iestyn, was rechtfertigt dein Eingreifen in dieser Sache?«
»Ich bin ein Freund von Iorwerth.«
»Nun, Freund von Iorwerth, ich übertrage dir die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß diese Leute so schnell wie möglich in ihre Häuser zurückkehren. Gibt es auch nur das geringste Anzeichen von Unruhe oder weiterem Aufruhr, dann ... Ich würde dich dann persönlich dafür verantwortlich machen. Das würde dir ganz sicher nicht gefallen.«
Bruder Meurig gab nun Iorwerth ein Zeichen, voranzugehen. Der zögerte einen Moment, doch dann zuckte er mit den Schultern und setzte sich in Bewegung. Bruder Meurig folgte ihm auf seinem Pferd, während die beiden Männer, die den Jungen festhielten, ihn nun vor sich her schoben.
Eadulf und Fidelma schlossen sich Meurig an. »Es sieht so aus, als hätte Bruder Meurig mehr Durchsetzungsvermögen, als ich ihm zugetraut habe«, flüsterte Eadulf Fidelma zu.
Die verzog das Gesicht. »Er ist eben ein barnwr«, meinte sie in einem Ton, der ein wenig vorwurfsvoll klang.
Die kleine Gruppe schlängelte sich die kurze Strek-ke durch den Ort bis zu einem größeren Komplex aus Scheunen und Nebenbauten. Darunter befand sich ein stattliches Gebäude, dessen beeindruckende Ausmaße vermuten ließen, daß es sich um das Haus des Stammesfürsten dieser Gegend handelte. Zwei Männer standen vor der Tür. Sie schienen vom Eintreffen der Gruppe überrascht zu sein. Einer von ihnen trat hervor, als er Iorwerth erkannte.
»Was ist los?«
»Das ist der barnwr«, erklärte der Schmied knapp und nickte zu Bruder Meurig hinüber.
»Wo befindet sich der Fürst?« fragte Bruder Meurig vom Pferd herab.
Der Mann schaute zum Haus. Da drehte sich sein Gefährte plötzlich um und rannte davon. Der andere rief ihm einen Fluch hinterher.
»Hol deinen Fürsten her. Rasch! Und wehe dir, wenn ihm etwas zugestoßen sein sollte«, sagte Bruder Meu-rig in schärferem Ton.
Der Mann ging zur Tür und pochte. Sie schien nicht verschlossen zu sein. Man hörte Schritte dahinter. Jetzt nahm der zweite Mann ebenfalls Reißaus.
Einen Augenblick später stand in der Tür ein stämmiger Hüne mit einem dunklen Vollbart. In der rechten Hand hielt er ein Schwert, als wolle er sich im Falle eines Angriffs verteidigen.
»Was hat das zu bedeuten?« brummte er und blickte überrascht in die Runde. »Ich, Gwnda, verlange eine Erklärung!«
Bruder Meurig neigte sich in seinem Sattel nach vorn. »Bist du Gwnda, Fürst von Pen Caer?«
»Der bin ich«, antwortete dieser, ohne sein Schwert zu senken. Als er die Mönchskutte bemerkte, wurden seine Augen plötzlich schmal.
»Ich bin Bruder Meurig von der Abtei Dewi Sant -der Richter, nach dem du gerufen hast. Das sind meine Begleiter, Schwester Fidelma und ihr angelsächsischer Gefährte, Bruder Eadulf. Sie reisen im besonderen Auftrag von Gwlyddien von Dyfed.«
Gwnda schien verblüfft. Erst jetzt bemerkte er Iorwerth und die beiden Männer, die den Jungen festhielten. Er stellte nun die Schwertspitze auf die Stufe vor sich, seine Hände ruhten auf dem Knauf. Sein Gesicht entspannte sich ein wenig, als Begrüßungslächeln konnte man das allerdings nicht deuten.
»Ich wünschte, ich könnte euch hier unter erfreulicheren Umständen willkommen heißen.«
Bruder Meurig schwang sich vom Pferd. »Nichts gegen diese Umstände, Gwnda, vorausgesetzt, sie werden uns erläutert.«
Mit säuerlicher Miene betrachtete Gwnda Iorwerth. »Heißt das, euer Aufstand ist beendet, Iorwerth?«
»Es sollte nie zu einem Aufruhr kommen«, erwiderte der Schmied zu seiner Verteidigung. »Ich wollte nur Gerechtigkeit.«
»Du hattest Rache im Sinn, und es war ein Aufstand; ein Aufstand gegen deinen Herrn. Doch ich bin dir wohlgesonnen und verzeihe dir den Gesetzesbruch, weil du dich von deinen Gefühlen hast hinreißen lassen. Geh nach Hause, wir reden später darüber, wie du deine Aufsässigkeit wiedergutmachen kannst.« Gwnda wandte sich nun an Bruder Meurig: »Falls wir deine Erlaubnis dazu bekommen.«
»Du scheinst ein liberal denkender Mann zu sein, Gwnda«, sagte Bruder Meurig. »Ich sehe keinen Grund, warum ich dagegen etwas einwenden sollte, wenn man mir die Sache nachher in Gänze erklärt. Wenn nun alle hier wieder zur Besinnung gekommen sind, können die beiden Männer den Jungen an einen sicheren Ort schaffen, wo er gefangengehalten wird, bis ich ihn befragen kann.«
»Bringt Idwal in meine Stallungen«, befahl Gwnda. »Danach sorgt dafür, daß die Pferde unserer Gäste gut gefüttert werden.« Er lächelte. »Kommt nun in mein Haus, meine Freunde, und ich werde versuchen, euch von den betrüblichen Ereignissen dieses Abends zu berichten.«
»Fürst Gwnda .« Einer der beiden Männer zögerte immer noch.
»Nun?« fuhr ihn Gwnda an.
»Werde ich . Werden wir bestraft werden?«
Gwnda deutete auf Bruder Meurig. »Ihr werdet Gelegenheit haben, euch zu verteidigen. Eure Strafe wird von dem Urteil des barnwr hier abhängen.«
»Aber es war doch Iorwerth, der Schmied, der uns gesagt hat . uns allen eingeredet hat . daß wir ihm beistehen müssen. Er sagte, daß es um Gerechtigkeit ginge.«
»Allen?« rief Gwnda. »Genug. Du wirst dich später rechtfertigen können. Jetzt führ den Auftrag aus, den ich dir gab. Es sei denn, du willst noch weiter rebellieren?«
Die beiden Männer ließen reumütig ihre Köpfe hängen und entfernten sich mit dem Jungen, während Fidelma und Eadulf von den Pferden stiegen und die Zügel an einem Pfosten in der Nähe festbanden. Gwnda geleitete sie ins Haus. In einer Ecke saßen einige Frauen, die die Eintreffenden besorgt musterten.
»Kein Grund zur Aufregung«, rief Gwnda fröhlich und hängte sein Schwert auf. »Das ist der Richter mit seinen Begleitern. Sie kommen direkt von Gwlyddiens Hof.«
Darauf trat ein recht hübsches, dunkelhaariges Mädchen von ungefähr siebzehn Jahren hervor. Sie blickte neugierig auf die Fremden.
»Das ist meine Tochter Elen«, verkündete Gwnda.
»Ist der Junge, ich meine Idwal, ist er in Sicherheit?« fragte sie Bruder Meurig. Fidelma bemerkte den besorgten Ton in ihrer Stimme.
»Ja. Bist du mit ihm befreundet?« erkundigte sich der Richter.
Gwnda schnaubte ungehalten. »Meine Tochter ist mit diesem Burschen nicht befreundet!«
Bruder Meurig sah das Mädchen unverwandt an. Er entgegnete nichts, sondern zog einfach nur fragend seine Augenbrauen hoch.
»Ich war eine Freundin von Mair«, sagte das Mädchen zögernd, wobei sich ihre Wangen röteten. »Jeder hier kennt Idwal.«
»Du solltest lieber über Mairs Schicksal nachdenken als über Idwals«, murmelte Gwnda bitter. »So, nun laß uns allein, damit wir die Angelegenheit besprechen können.« Mit lauter Stimme rief er: »Bud-dog! Wo steckt Buddog?«
Eine hübsche, blonde Frau in mittleren Jahren eilte herbei. Ihre Gesichtszüge verrieten, was für eine Schönheit sie in ihrer Jugend gewesen sein mußte.
»Hol ein paar Getränke und etwas zu essen für den barnwr und seine Begleiter. Aber schnell!« Der Ton des Fürsten war befehlend, so sprang ein Herr mit seiner Bediensteten um.
Die Frau stand einen Augenblick wie angewurzelt da und schaute auf Gwnda. Fidelma fiel auf, wie intensiv sie ihn ansah, beinahe feindselig. Bruder Meurig und Eadulf bemerkten das offenbar nicht, ebenso wie Gwnda, der Bruder Meurig gerade einen Stuhl anbot. Erst danach wurde er gewahr, daß Buddog ihm nicht gehorcht hatte. Erstaunt runzelte er die Stirn.
»Unsere Gäste brauchen jetzt eine Erfrischung, nicht erst morgen.«
Für den Bruchteil einer Sekunde harrte Buddog noch aus, dann entfernte sie sich ohne ein weiteres Wort.
Außerdem registrierte Fidelma, daß Elen die ganze Zeit über an der Tür gestanden und die Szene beobachtet hatte. Als Buddog an ihr vorbeischritt, warfen sich die beiden einen bedeutungsvollen Blick zu. Darauf drehte sich Elen um und schloß die Tür. Fidelma hätte allzugern gewußt, was hinter ihrem Verhalten steckte. Im Hause des Fürsten von Pen Caer herrschte offenbar eine gespannte Atmosphäre. Interessant, dachte Fidelma.
Gwnda bedeutete Fidelma und Eadulf, sich zu Bruder Meurig an das lodernde Feuer zu gesellen. Eine andere Magd brachte einen Krug Met und schenkte ihn aus.
»Wir sind wohl gerade zum richtigen Zeitpunkt eingetroffen«, sagte Fidelma, als sie an dem honigsüßen Met nippte. »Offensichtlich warst du der Gefangene deiner eigenen Leute.«
Gwnda warf ihr einen abschätzenden Blick zu. Dann nickte er langsam. »Aufruhr, so muß man das nennen«, bestätigte er gereizt. »Ich kann verstehen, warum einige der Leute sich von ihrem Zorn haben leiten lassen. Bei so einer Sache gehen die Gefühle mit einem durch.«
Bruder Meurig betrachtete ihn ernst. »Dein Verständnis ist höchst löblich, Gwnda. Doch so einen Aufruhr darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Was ist passiert?«
Gwnda machte eine wegwerfende Geste. »Mein eigenes Volk, dumm und fehlgeleitet, hat mich und mein Gefolge hier eingesperrt. Dann haben sie den Gefangenen geholt und wollten ihn hinrichten.«
Bruder Meurigs Blick war düster geworden. »Sie haben dich und deine Familie eingesperrt und den Jungen gewaltsam aus deinem Gewahrsam entführt? Das ist bisher beispiellos.«
»Wenn es derart beispiellos ist, wird das Ereignis in die Annalen der Geschichte eingehen. Iorwerth, der diesen üblen Aufstand anführte, ist der Vater des Mädchens, das Idwal vergewaltigt und ermordet hat. Es ist verständlich, daß er sich von seinem Streben nach Vergeltung leiten ließ. Ich kann ihn nicht mit gutem Gewissen verurteilen.«
»Du bist sehr nachsichtig«, bemerkte Bruder Meurig.
»Das klingt ja, als hättest du den Jungen schon für schuldig befunden, Gwnda. Weshalb ist dann noch ein Richter nötig?« mischte sich Fidelma ein.
Gwnda lächelte herablassend. »Wie ich feststellen muß, bist du nicht von hier, Schwester. Ich werde dir später die Gesetze dieses Landes erläutern. Das Recht ist eine komplizierte Sache.«
Bruder Meurig hüstelte. »Fürst Gwnda, Fidelma ist nicht nur die Schwester des Königs von Cashel, sie ist auch eine befähigte dalaigh, eine Anwältin ihres Landes in einer Position, die der meinen vergleichbar ist. Sie wurde von Gwlyddien, unserem König, mit persönlichen Vollmachten ausgestattet, um das rätselhafte Ereignis von Llanpadern aufzuklären.«
Gwnda errötete.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet.« Fidelma gab nicht nach. »Deinen Worten entnehme ich, daß du den Jungen vorverurteilst.«
Dem Fürsten von Pen Caer war offenbar nicht ganz wohl in seiner Haut. »Ich habe nach einem Richter geschickt, weil ich denke, daß man die Gesetze einhalten muß. Unabhängig davon halte ich den Jungen für schuldig.«
Eine der Frauen brachte ein Tablett mit Speisen und weiteren Getränken herein und stellte es auf dem Tisch ab. Die Unterhaltung verstummte. Gwnda bat seine Gäste, am Tisch Platz zu nehmen. Es gab aufgeschnittenen Braten, Käse, pikante Pasteten und Haferbrot. Becher mit Met und frischem Wasser standen bereit.
Fidelma nutzte die Gelegenheit, Eadulf zu fragen, ob er der Unterhaltung einigermaßen hatte folgen können. Eadulf sagte, er verstehe, worüber man rede, sei der Sprache jedoch nicht so mächtig, um etwas beitragen zu können.
»Man hat dich also geschickt, um das Geheimnis der verschwundenen Klostergemeinde aufzudecken?« wandte sich Gwnda nun an Fidelma.
»Was weißt du darüber?« fragte Bruder Meurig.
»Llanpadern befindet sich nur drei Meilen von hier entfernt. Wir haben weder etwas bemerkt noch etwas gehört, bis einer unserer Schäfer uns davon berichtete.« Er war nachdenklich geworden. »Es war ebenjener Idwal, er kam hierher und erzählte meinen Leuten, daß die Mönche wie vom Erdboden verschluckt seien. Das war genau an dem Vormittag, als er Mair umgebracht hat.«
»Hast du jemanden losgeschickt, um seine Geschichte zu überprüfen?«
Gwnda schüttelte den Kopf. »Als mir Buddog, meine Dienerin, berichtete, was Idwal ihr erzählt hatte, war Mair schon tot. Idwal war bereits gefangengenommen worden. Wir waren ganz mit dem Mord beschäftigt, und dann habe ich jemanden losgeschickt, um von Dewi Sant einen Richter anzufordern. Erst heute vormittag habe ich mich an die Geschichte mit Llanpadern erinnert. Natürlich war es da zu spät.«
»Zu spät? Was meinst du damit?«
»Ja, wißt ihr es denn nicht?« fragte Gwnda überrascht. »Der junge Dewi, der Sohn von Goff, dem Schmied von Llanferran, teilte uns heute früh mit, daß die Klostergemeinde von Seeräubern entführt wurde. An der nahe gelegenen Küste hat man ein paar tote Mönche gefunden. Wahrscheinlich sind sie bei einem Fluchtversuch heimtückisch erschlagen worden.«
Diese Nachricht machte alle sprachlos und tief betroffen.
Bruder Meurig fragte leise: »War Bruder Rhun unter den Opfern?«
»Das weiß ich nicht. Dewi sagte, daß die Leute von Llanferran die toten Mönche begraben hätten. Wenn sich Bruder Rhun darunter befunden hat, hätten sie es uns sicher mitgeteilt.«
»Und hat dieser Dewi aus Llanferran gesagt, wer die Seeräuber waren?« fragte Fidelma ruhig.
»O ja. Es waren Angelsachsen.«