Kapitel 9

Clydog trat in die Hütte und band Fidelmas Fesseln los. Nur ihre Hände blieben gefesselt. Er zog sie hoch und stieß sie sanft vor sich her zur Tür. An der Türschwelle blieb sie stehen und fragte: »Was ist mit meinem Gefährten?«

»Der Sachse? Der kann bleiben, wo er ist.«

»Hat er nicht auch etwas zu essen und zu trinken verdient?«

»Ich werde ihm etwas bringen lassen.« Damit ließ es Clydog bewenden. »Ich habe nur dich zum Essen eingeladen. Ich möchte mich mit dir und nicht mit dem Angelsachsen unterhalten.«

Fidelma wurde unversehens aus der Hütte befördert. Draußen loderte ein Feuer, darüber brutzelte an einem großen Spieß über der Glut ein Hirsch. Zwei Männer kümmerten sich um den Braten, die anderen saßen herum, tranken und redeten lautstark miteinander.

Ein Stück entfernt vom Feuer war die abendliche Luft regelrecht kalt. Fidelma war beinah dankbar für die Wärme der Flammen. Clydog führte sie zu einem Baumstamm vor einem einzeln stehenden Zelt aus Tierhäuten. Es war eines von mehreren Zelten, die auf der Lichtung verteilt standen und vermutlich Clydog und seinen Männern nachts Schutz boten.

»Besonderen Komfort können wir dir nicht bieten, Prinzessin von Cashel«, sagte Clydog und zeigte auf den Baumstamm, auf den sie sich niederlassen sollte. Als sie saß, machte er sich daran, ihr die Fesseln zu lösen.

»So. Nun kannst du etwas bequemer essen und trinken. Doch denk dran, Lady, daß du von meinen Männern umgeben bist und jeder Fluchtversuch vergeblich ist.«

»Ich würde meinen Begleiter nie allein deiner Obhut anvertrauen«, erwiderte sie scharfzüngig.

Clydog zeigte wieder sein breites Grinsen und setzte sich neben sie. »Das ist sehr schlau. Für Sachsen haben wir nicht viel übrig, insbesondere nicht für sächsische Mönche.«

Nun trat Corryn zu ihnen; sein schmales Gesicht wurde immer noch halb von seinem Helm verdeckt. Er reichte ihr einen Becher mit Met. Fidelma fiel auf, daß seine Hände glatt und gepflegt waren, ganz untypisch für die Hände eines Kriegers oder eines Mannes, der an körperliche Arbeit gewöhnt war. Fidelma nahm den Becher, trank aber nichts.

»Das ist nicht klug von dir, Clydog«, murmelte Corryn, an seinen Gefährten gewandt.

Clydog blickte zornig auf. »Das geht dich nichts an, mein Freund.«

»Geht uns das nicht beide an?«

Der Anführer der Bande lachte trocken. »Nicht diese Angelegenheit.«

Corryn unterdrückte einen Seufzer und setzte sich zu den anderen. Clydog merkte, daß Fidelma den Met nicht anrührte.

»Magst du unseren Waldmet nicht, Lady?« erkundigte er sich und nahm einen Schluck aus dem Becher, den er in der Hand hielt. »In einer Nacht wie dieser wärmt er gut.«

»Du hast gesagt, daß du meinem Gefährten etwas zu essen und zu trinken schicken würdest. Erst wenn er etwas bekommt, werde ich trinken.«

»Der Sachse kann warten«, erwiderte Clydog unbekümmert. »Erst kommen wir.«

»Das sehe ich anders.« Fidelma erhob sich so plötzlich, daß Clydog viel zu überrascht war, um sie daran zu hindern. »Ich werde ihm das hier bringen«, verkündete sie und machte einen Schritt nach vorn. Doch schon wurde sie festgehalten. Es war Corryn. Seine glatten und gepflegten Hände packten hart zu. Erstaunt holte sie Luft. Corryn grinste.

»Varium et mutabile semper femina, nicht wahr, Clydog? Auf die solltest du besser aufpassen. Ich habe dir gesagt, daß es nicht klug von dir ist.«

»Halt!« Clydog war aufgestanden. Sein Gesicht verriet Verdruß. »Wenn es dir so viel bedeutet, werde ich deinem angelsächsischen Freund was zu essen bringen lassen.«

Fidelma stand reglos da, was blieb ihr auch weiter übrig. Corryn hielt sie immer noch fest.

»Laß sie los und sorge dafür, daß der Sachse was zu essen kriegt«, sagte Clydog wütend.

»Was hat es für einen Sinn, einen Mann durchzufüttern, der ohnehin bald stirbt?«

»Tue, was ich dir sage«, fuhr ihn Clydog an, »sonst passiert was.«

Corryn stieß Fidelma mit einem Ruck von sich. Sie sah ihm ins Gesicht. In seinen blauen Augen las sie Zorn und Groll. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Er zuckte mit den Schultern, trat zu seinen Gefährten und gab ein paar Anweisungen. Widerwillig erhob sich einer der Männer, schnitt ein paar Scheiben von dem Braten ab und legte sie auf ein Holzbrett. Dann nahm er einen Becher Met und ging zur Hütte.

Zufrieden schaute Fidelma zu Clydog, der sich wieder hingesetzt hatte, ganz blaß aussah und Corryn mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck beobachtete.

»Du willst uns also töten?« fragte ihn Fidelma ruhig.

»Ich bin kein Freund der Angelsachsen«, erwiderte er kurz angebunden.

»Wie es scheint, auch sonst niemandes Freund.« Sie blickte zu Corryn hinüber.

Langsam schüttelte Clydog den Kopf. »Du bist eine resolute Frau, nicht wahr? Wie dem auch sei, ich bin nicht dafür verantwortlich, was meine Männer denken. Ich gebe hier die Befehle, und bisher habe ich niemandem befohlen, irgend jemanden zu töten. Also komm her und setz dich wieder hin.«

Fidelma erwiderte daraufhin nichts.

»Setz dich hin, Gwyddel!« wiederholte er schon schärfer. »Sei dankbar, daß ich dich aus Corryns Klauen befreit habe. Er hätte euch beide am liebsten gleich in Llanpadern aus dem Weg geräumt. Ich habe dem Sachsen bisher nur das Leben retten können, weil er ein Heilkundiger ist.«

Mit ausdrucksloser Miene ließ sich Fidelma neben ihm nieder. Clydog lachte vergnügt vor sich hin.

»Ich sehe schon, du bist ein ausgezeichneter Gast«, sagte er belustigt.

»Was willst du von mir, Clydog?« fragte sie. »Warum ist dir daran gelegen, mich und Bruder Eadulf gefangenzuhalten?«

»Sollte mir an mehr gelegen sein als an deiner Gesellschaft bei diesem Mahl? Komm, iß dich satt und genieße unsere Unterhaltung. Du wirst feststellen, daß ich ein gebildeter Mann bin, den es manchmal nach geistvollen Gesprächen verlangt.«

»Da kannst du dich sicher gut mit deinem Gefährten dort unterhalten«, erwiderte sie spöttisch und nickte in Richtung Corryn. »Einer, der Vergil zitiert, muß einfach gebildet sein.«

Clydog runzelte verärgert die Stirn. »Ein paar Worte Latein aufschnappen - das kann jeder«, sagte er, sich fast rechtfertigend. »So, nun laß uns essen.«

»Ich zöge es vor, im Wald zu hungern«, gab sie ihm kühn zurück. »Die wilden Tiere wären mir willkommener als deine Gesellschaft.«

»Kann es sein, daß du mich so wenig magst?« erwiderte der junge Mann nachdenklich, aber immer noch mit einem Lächeln. »Abneigung ist nur ein negativer Ausdruck der eigenen Wünsche.«

Fidelma konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ich kenne dich nicht gut genug, um dich hassen zu können, Clydog«, erwiderte sie belustigt. »Doch auf jeden Fall kann ich dich nicht leiden, und das hat allerdings etwas mit meinen Wünschen zu tun.« Ihre Worte schienen ihn zu verblüffen. Sie fuhr fort: »Ich wünschte mir sehnlichst, daß du tausend Meilen von hier fort wärest.«

Clydog nahm ein scharfes Messer von seinem Gürtel, spielte damit großtuerisch herum, ehe er aufstand und von dem Braten am Spieß ein paar Scheiben abschnitt und sie auf zwei Holzbretter legte. Er reichte ihr eines der Bretter, dann nahm er wieder Platz.

»Ich bin mir sicher, daß jemand von deiner Intelligenz, Lady, auch Antisthenes gelesen hat«, sagte er nach einer Weile.

»Es überrascht mich sehr, daß so gewöhnliche Strauchdiebe, wie ihr es seid, so bedeutende Philosophen kennen. Zuerst hören wir von Vergil und nun von Antisthenes.«

Clydog erwiderte nichts auf ihre höhnische Bemerkung. »Da du behauptest, mich nicht leiden zu können, Lady, solltest du dir vielleicht die folgenden Worte von Antisthenes ins Gedächtnis rufen: Achte auf jene, die du nicht leiden kannst, auf deine Feinde, denn sie sind die ersten, die deine Fehler und Fehltritte bemerken.«

Fidelma neigte den Kopf leicht zur Seite. »Mein Lieblingsphilosoph ist Publilius Syrus. Vielleicht hast du ihn auch gelesen?«

»Mir sind seine Lebensweisheiten ein wenig bekannt.«

»Er sagte, daß es keine Sicherheit bedeute, die Zuneigung seines Feindes zu erringen. Der Feind wird erst zum Freund, wenn er tot ist.«

»Publilius Syrus«, spottete Clydog, »war nur ein Sklave aus Antiochia, der nach Rom gebracht wurde und seine Freiheit errang, weil er Dinge schrieb, die die Gefühle seiner Herren ansprachen.«

»Lehnst du seine Weisheiten ab, seine Stücke oder ihn, weil er aus Antiochia stammte oder weil er ein römischer Sklave war, der seine Freiheit erringen konnte? Viele unserer Vorfahren hatten das gleiche Schicksal.«

»Meine Vorfahren nicht!« brauste Clydog zu Fidelmas Überraschung wütend auf.

»Ich meine jene Britannier und Gallier, die als Sklaven nach Rom gelangten und ihre Freiheit wiedererrangen.«

»Die sollen für sich selbst sprechen. Ich werde für mich sprechen.«

»Es ist offensichtlich, daß du ein gebildeter Mann bist, Clydog. Wer bist du?« fragte Fidelma plötzlich. »Du bist viel zu intelligent für einen gewöhnlichen Banditen.«

Sie betrachtete ihn eingehend. Die Schatten, die das flackernde Feuer über sein Gesicht huschen ließ, erschwerten ihr das ein wenig.

»Ich habe dir schon gesagt, wer ich bin.«

»Clydog, die Wespe, offenbar ein Geächteter«, räumte Fidelma ein. »Doch weshalb bist du das? Du bist nicht als Wegelagerer geboren.«

Clydog lachte kurz auf. »Ich bin das, was ich bin, weil ich mehr im Leben erreichen will, als mir das Schicksal mit auf den Weg geben konnte. Doch ich habe dich nicht zu dieser Abendmahlzeit gebeten, um über mich zu sprechen.«

Von der anderen Seite des Feuers drangen heisere Stimmen zu ihnen herüber. Man hatte Corryn überredet, ein Saiteninstrument in die Hand zu nehmen, welches Fidelma an eine ceis erinnerte, eine kleine rechteckige Harfe mit diagonal verlaufenden Saiten, die in ihrer Heimat weit verbreitet war. Als Corryn zu singen begann, verstummten die anderen. Er hatte einen schönen weichen Tenor.

»Wintertag, die Hirsche sind mager,

geschwind und kraftvoll ist der Rabe.

Der Wind bläht sich auf zum Gewittersturm.

Weh dem, der einem Fremden traut,

Weh den Schwachen, weh den Schwachen.«

Fidelma schnaubte abschätzig. »Clydog, ist das deine Philosophie? Weh den Schwachen?«

»Gibt es eine bessere?« erwiderte Clydog. »Nur die Starken werden das Erdreich besitzen.«

»So bist du kein Christ? Unser Herr sagte: Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Bist du anderer Ansicht?«

»Ich bin kein Christ. Ich halte nichts von der christlichen Lehre, die den Menschen Mut und Stärke abspricht. Dein Gott ist ein Gott der Sklaven, er ermutigt sie, ewig Sklaven zu bleiben. Er ermutigt die Leute, arm, hungrig und ohne Kleider zu bleiben. Dein Gott wurde erfunden, damit die Reichen die Armen versklaven können! Fort mit dem Unsinn! Fort mit solchen Lehren der Sklaverei!«

Fidelma musterte Clydog aufmerksam. Er hatte mit großer Leidenschaft gesprochen.

»Warst du einmal arm und versklavt, Clydog?«

Wieder brauste er auf. »Was meinst du ... Ich habe nicht gesagt .«

Fidelma lächelte. »Ich sehe, in deinem Herzen ist großer Zorn, und du willst auf keinen Fall verzeihen. Lukas schrieb: >Wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig.<«

»Predige mir nicht deinen Glauben, Gwyddel. Den brauchen wir nicht. Trotzdem solltest du Sünder wie mich akzeptieren, bist du doch eine Christin.«

Fidelma schaute ihn erstaunt an.

»Rede mir ja nicht ein, daß einer, je mehr er sündigt, einen um so besseren Heiligen abgeben wird. Je mehr einer gesündigt hat, desto mehr wird ihm Christus vergeben?«

»Wer hat dich das gelehrt?« fragte Fidelma.

»Das steht in euren christlichen Büchern. Dein Christus sagt: >Ich sage euch: Also wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.< So steht es in eurer Heiligen Schrift.«

»Und deshalb übst du dich so im Sündigen? Ist das dein Weg zu Frieden und Zufriedenheit?« fragte Fidelmaspöttisch.

Clydog blieb ruhig. »Du solltest mich nicht mit deinen geistvollen Sprüchen und Spitzfindigkeiten herausfordern, Gwyddel, auch wenn man mir sagte, daß in den Klöstern von Eireann sich dein Volk in solchen Dingen übt.«

»Gewiß schult man seinen Verstand nicht nur in meinem Land. Ich habe gehört, daß die Kymren ein Spiel kennen, das unserem fidchell gleichkommt, ein Spiel, mit dem man den Verstand schärft.«

Gedankenvoll nickte Clydog. »Wir nennen es Gwyddbwyll. Unser großer Krieger Arthur beherrschte dieses Spiel meisterlich.«

»Dann solltest du geübt sein in solchen Spielen wie jeder Gwyddel auch«, sagte Fidelma gereizt.

Clydog griff nach dem Krug Met und wollte ihr nachschenken. Fidelma schüttelte den Kopf. So goß er sich ein, wobei er sie unverfroren betrachtete.

»Du bist eine schöne Frau«, sagte er schließlich.

Fidelma rutschte voller Unbehagen hin und her, war ihr doch sein veränderter Tonfall nicht geheuer.

»Warum ist eine so schöne Frau Nonne?«

»Schönheit ist relativ. Gibt es irgendeinen Grund zu der Annahme, daß einen die äußere Erscheinung davon abhalten sollte, im Leben einer bestimmten Berufung zu folgen? Meist verdeckt das Äußere nur, was sich im Inneren verbirgt. Du, zum Beispiel, Clydog, solltest ein grober, häßlicher kleiner Mann sein mit Warzen und schwarzen Zahnstümpfen.«

Clydog zögerte erst, doch dann lachte er vergnügt. »Eine gute Antwort, Gwyddel. Eine gute Antwort. Hinter der Schönheit verbirgt sich eine schwarze Seele, oder? Also, was verbirgt sich hinter deiner Schönheit, Fidelma von Cashel?«

Fidelma war einen Augenblick verwirrt.

»Ich würde erst einmal in Frage stellen, ob ich ...«, fing sie an, doch Clydog unterbrach sie.

»Ich habe gehört, daß einige Vertreter deines Glaubens fordern, alle Angehörigen des geistlichen Standes sollten im Zölibat leben. Du folgst nicht der Regel, oder?«

Fidelma errötete.

»Dein Gesicht verrät dich«, fuhr er fort, als sie nicht antwortete.

»Das geht dich nichts an«, erwiderte sie wütend. »Der Glaube fordert es nicht, wie du wohl weißt. Rom sähe es gern, wenn Äbte und Bischöfe nicht die Ehe eingingen, aber es gibt kein Gesetz, das es vorschreibt.«

Ihr wurde langsam klar, daß das Temperament ihres Gesprächpartners wie trockener Zunder war. Schon der kleinste und harmloseste Funke genügte, um die Flamme seines unberechenbaren Charakters auflodern zu lassen. Je besser es ihr gelänge, seine Stimmung in ruhige Bahnen zu lenken, desto größer stünden ihre Chancen, sich und Eadulf aus der Gefangenschaft zu befreien.

Clydog lächelte sie lüstern an. »Gewiß hast du Liebhaber gehabt. Die einzig keusche Frau ist diejenige, die keiner wollte. Ist der Sachse dein Liebhaber, he?«

Fidelma spürte, wie sich ihr Gesicht erneut rötete. Wieder suchte sie einen Moment nach den rechten Worten.

»Du bist intelligent, Clydog. Du wirkst kultiviert. Du weißt, daß es in einer Unterhaltung Themen gibt, die zivilisierte Menschen lieber nicht ansprechen sollten. Reden wir von etwas anderem.«

Clydog lachte auf. »Du siehst mich falsch, Gwyd-del, wenn du meinst, ich wäre zivilisiert. Du vergißt, ich bin nur ein Geächteter, ein Gesetzloser. Du bist meine Gefangene, wir sind allein in diesem Wald, und du bist mir und meiner Gewalt vollkommen ausgeliefert. Erregt das nicht deine Sinne?«

»Erregen?« Fidelma schob die Unterlippe vor. »Das ist ein eigenartiges Wort. Sicher mache ich mir Sorgen, aber nicht um mich ... sondern um dich.«

Clydog begriff offenbar nicht, was sie damit sagen wollte.

»Um mich machst du dir Sorgen?« Sein Lächeln wirkte gezwungen. »Ich habe Frauen gesehen, die mich heulend und kreischend um Gnade angefleht haben, aber einer, die sich um mich sorgt, bin ich noch nicht begegnet.«

Fidelma schauderte bei seinen lüsternen Drohungen, doch sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Du hast das Gesetz und den Glauben abgelehnt. Sollte ich als Nonne da nicht um dich fürchten in dieser und der nachfolgenden Welt?« erwiderte sie ernst.

»Deine Sorgen sind mir höchst willkommen. So hegst du zumindest irgendwelche Gefühle für mich.«

»Stimmt. Es sind die gleichen Gefühle, die ich für einen Aussätzigen oder einen blinden Bettler empfände, der Barmherzigkeit ablehnt«, entgegnete sie ihm rasch.

Clydog stieß einen Fluch aus. Er sprang auf die Beine und stand nun über ihr. »Genug geredet. Kehren wir auf den Boden der Tatsachen zurück. Da ist mein Zelt! Geh voran! Du weißt, warum ich dich eingeladen habe.«

In seiner Stimme schwang die Gier seines angestauten Verlangens. Während sie verzweifelt überlegte, auf welche Weise sie ihm entkommen könnte, war sie gleichzeitig wie gelähmt.

»Die Erklärung dafür hast du mir bisher vorenthalten«, konnte sie ihm nur flau entgegnen. »Sag mir also, warum ich hier bin!«

Clydog war durch ihre verbale Hinhaltetaktik total verunsichert. Nie zuvor war er einer Frau begegnet, die ihm soviel Widerstand entgegenbrachte.

»Sei nicht so begriffsstutzig, Lady«, fauchte er sie an. »Du bist viel zu klug, als daß du Unwissenheit vortäuschen könntest. Erfüllst du dem Sachsen alle seine Wünsche?«

Fidelma blickte in seine schamlosen Augen. »Du bist frech, Clydog. Ich glaube, du hast zuviel Met getrunken. So .« Sie erhob sich. »Ich werde nun in die Hütte zu meinem Begleiter zurückkehren.«

Clydog packte sie. »Das wirst du nicht tun, Lady. Du kommst schön mit in mein Zelt und wirst dich in dieser Nacht mir widmen!«

Ein, zwei seiner Männer am Feuer hatten die Szene beobachtet. Sie riefen ein paar zotige Bemerkungen herüber und lachten obszön.

»Hast du Schwierigkeiten, sie zu bändigen, Clydog? Gib’s ihr!«

»Heute darf er an sie ran, morgen ich!« rief ein anderer.

Fidelma machte sich von Clydog los.

»Du bist also doch nur ein Tier, Clydog?« warf sie ihm höhnisch zu. »Ein Tier ohne Moral? Du willst deine sexuellen Begierden einer Nonne aufdrängen? Mistkerl, weiter nichts.«

Jetzt stand Clydog keuchend vor ihr. »Hast du die Absicht, mich mit Beleidigungen zu beschämen, Gwyddel? Ich fürchte, da wirst du keinen Erfolg haben. Mein Blut ist so gut wie das deine. Der Unterschied ist, daß ich weiß, wer ich bin. Und ich bin abgehärtet gegen die Schaumschlägereien der Prälaten und ihrer Anhänger. Du kannst nirgendwohin fliehen, also kannst du auch dein abweisendes Gebaren ablegen. Ein Weib, so prächtig wie du, kann nicht so tun, als wäre ihr das Werben eines richtigen Mannes gleichgültig.«

Fidelma preßte die Lippen aufeinander, sie waren ganz trocken. Sie sah ihn durch schmale Augenschlitze an. »Ein richtiger Mann? Einem richtigen Mann gegenüber bin ich vielleicht nicht gleichgültig. Doch du bist keiner, tut mir leid, du bist nur ein bemitleidenswertes Tier.«

Clydogs Männer lachten. Einige klatschten in die Hände und feuerten ihn mit Ausrufen an, er solle es der Fremdländischen ordentlich zeigen. Clydogs Miene hatte sich verhärtet. Fidelma hatte seine Eitelkeit getroffen.

Auf einmal machte er einen Satz auf sie zu. Da drehte sich Fidelma so, daß er durch seinen eigenen Schwung ins Stolpern geriet. Er fing sich wieder und stand ihr nun gegenüber. Im Flackern des Feuers funkelten seine Augen böse auf. Erneut stürzte er mit ausgestreckten Armen nach vorn, um sie an sich zu reißen.

Fidelma hatte einen sicheren Stand und schien ebenfalls die Arme auszustrecken, so als wollte sie nach den seinen greifen. Sie bewegte sich scheinbar kaum, doch dann zog sie Clydog über eine Hüfte hinter sich, und sein eigener Schwung warf ihn zu Boden.

Nun ging sie in Verteidigungsstellung. Offenbar beherrschte Clydog die alte Kunst der Selbstverteidigung nicht. Als die Missionare durch ferne Länder reisten, um den christlichen Glauben zu verbreiten, waren sie häufig Angriffen von Dieben und Banditen ausgesetzt gewesen. Da sie es ablehnten, Waffen zu benutzen, entwickelten sie eine Technik der »Selbstverteidigung«. Schon in früher Kindheit hatte man Fidelmadarin unterwiesen.

Clydog wälzte sich zur Seite und sprang auf die Beine. Er schüttelte verblüfft den Kopf. Das rauhe Gelächter seiner Männer schallte ihm in den Ohren.

»Ein feiner Krieger! Kann nicht einmal eine unbewaffnete Frau überwältigen!« rief einer von ihnen.

»Brauchst du Hilfe, um sie zu bändigen?« rief ein anderer.

»Laß mich mal ran«, meldete sich ein dritter, »ich werde keine Hilfe brauchen.«

Clydog war nun aufs äußerste gereizt. »Ich werde es dir schon zeigen, Gwyddel«, tobte er.

»Du meinst, daß du Manns genug bist, um es mir zeigen zu können?« spottete Fidelma. »Deine Männer meinen wohl eher, daß man es dir erst einmal selbst zeigen muß.«

Sie provozierte ihn absichtlich, denn sie wußte, im Zorn macht man Fehler. Mit einem wütenden Schrei ging Clydog wieder auf sie los. Sie war sich klar darüber, daß sie ihn jetzt nicht mehr überraschen konnte. Clydog tat so, als würde er zur Seite ausweichen. Doch darauf war sie vorbereitet. Sie machte schnell einen Schritt zurück, hob ein Bein und trat ihm genau in die Genitalien.

Clydog schrie auf und fiel, sich vor Schmerzen krümmend, zu Boden.

Fidelma hatte gehofft, den Moment, da er am Boden lag, nutzen zu können, doch Clydogs Leute hatten einen bedrohlichen Halbkreis um sie gebildet. An Flucht war nicht zu denken. Zwei der Männer hatten ihre Schwerter gezogen. Ein anderer lief auf Clydog zu, um ihm zu helfen. Der wand sich immer noch am Boden und erbrach sich.

»Der hat ganz schön was abgekriegt«, sagte einer.

»Töte die Hexe«, befahl Corryn kalt. »Und den Sachsen auch. Wir hätten ihnen schon in Llanpadern den Hals umdrehen sollen. Sualda wird von allein gesund werden.«

Einer der Männer hob das Schwert.

Fidelma versuchte, keine Miene zu verziehen.

»Nein!«

Der Ruf kam von Clydog. Selbst in dem düsteren Feuerschein konnte Fidelma sein Gesicht erkennen, es war weiß und schmerzverzerrt. Man hatte ihm aufgeholfen. Auf den Arm eines Gefährten gestützt, humpelte er auf sie zu.

»Nein! Noch soll ihr nichts geschehen. Sie könnte uns von Nutzen sein.« Sein Gesicht verzog sich zu einem kümmerlichen Grinsen. »Du wirst noch bedauern, was du getan hast, Gwyddel«, erklärte er ihr.

»Ich bedaure nur, dir keine härtere Lektion erteilt zu haben«, erwiderte sie spöttisch und verbarg ihre Erleichterung darüber, daß sie der unmittelbaren Todesgefahr erst einmal entgangen war.

»Du willst diese Farce auf die Spitze treiben, was?« fragte Corryn.

Clydog überging seine Bemerkung. »Bringt sie in die Hütte zurück. Fesselt sie.«

Sie wurde von rauhen Händen an den Armen gepackt, und man band ihr die Handgelenke so fest auf dem Rücken zusammen, daß sie vor Schmerzen nach Luft rang. Rohe Fäuste stießen sie auf die Hütte zu. Dann hörte sie wieder Clydogs Stimme.

»Holt den Sachsen raus! Wir werden noch ein Spielchen mit ihm treiben, ehe wir ihn zu seinem wahren Gott, zu Wotan schicken.«

»Das könnt ihr nicht tun!« schrie Fidelma und wand sich im Griff ihres Wächters. »Warum willst du Eadulf für etwas bestrafen, was ich getan habe? Kannst du deine Niederlage nicht wie ein Mann tragen?«

»Möchtest du vielleicht zusehen?« erkundigte sich Clydog höhnisch. »Deine Anwesenheit könnte den Sachsen vielleicht ermutigen, sein Ende mit stoischer Gelassenheit hinzunehmen. Solche Dinge habe ich schon erlebt. Die Sachsen haben im Angesicht des Todes den Namen ihres Gottes auf den Lippen und glauben, in Walhall, der Ruhmeshalle der unsterblichen Helden, aufgenommen zu werden. Nein, du mußt dich damit begnügen, seine jammervollen Schreie um Gnade zu hören. Holt ihn endlich raus!«

Sie stießen Fidelma in das Dunkel der Hütte. Sie fiel zu Boden. Als man sie wie zuvor an der Hüttenwand festband, litt sie Höllenqualen.

»Beeilt euch!« hörte sie Clydog draußen wüten. »Wird ja wohl nicht die ganze Nacht dauern. Bringt den Sachsen her zu mir. Mag der Spaß endlich beginnen.«

»Eadulf!« konnte Fidelma schließlich hervorbringen.

Dann vernahm sie, wie einer der Banditen einen erstaunten Schrei ausstieß. Der Mann hielt die Fackel hoch, um das Hütteninnere auszuleuchten.

Nun blickte auch sie hinüber zu der Stelle, wo Eadulf festgebunden gewesen war. Er war nicht mehr da. Seine Fesseln lagen auf der Erde, dicht daneben das Holzbrett mit den Bratenscheiben, die noch unberührt waren. Hoffnung stieg in ihr auf.

Das ferne Wiehern eines Pferdes drang an ihr Ohr. Dann das wilde Durcheinander mehrerer Stimmen.

»Ein Pferd hat sich losgemacht!«

»Der Sachse! Er haut ab!«

Clydog brüllte hysterisch: »Der Sachse? Stimmt das? Ist er fort?«

Er stürzte in die Hütte, entdeckte die abgestreiften Fesseln und blickte zu Fidelma hinab. Er war außer sich vor Wut.

»Keine Sorge, Gwyddel. Wir kriegen ihn schon. Wir kennen uns in den Wäldern hier gut aus. Wenn er wieder eingefangen ist, werdet ihr beide solche Schmerzen erleiden, daß ihr mich anflehen werdet, euch zu töten. Der Tod wird euch wie ein Geschenk vorkommen.«

»Findet erst einmal Eadulf«, erwiderte sie zornig. »Clydog, bisher hast du nicht eine deiner Drohungen wahrmachen können. Ich bezweifle, daß es dir diesmal gelingt.«

Sie meinte, Mordlust in seinen Augen aufflackern zu sehen, und war auf alles gefaßt. Da tauchte Corryn neben seinem Anführer auf und packte ihn am Arm.

»Der Sachse flieht gerade!« zischte er ihn an. »Deine persönliche Rache kann warten.«

Es dauerte einen Moment, ehe sich Clydog wieder unter Kontrolle hatte. Dann verließ er die Hütte und gab seinen Männern verschiedene Befehle. Ein geschäftiges Treiben begann, die Männer saßen auf, das Unterholz knackte, als sie auf ihren Pferden davonstoben. Fidelma hatten sie im Dunkel der Hütte allein gelassen.

Einerseits freute sie sich darüber, daß Eadulf die Flucht gelungen war, und sie hoffte, daß er ihnen nicht in die Hände fiel. Andererseits wurde ihr bewußt, daß sie nun allein und hilflos Clydog und seiner Räuberbande ausgeliefert war. Bei seiner Rückkehr würde Clydog völlig unberechenbar und hemmungslos sein. Sie lag da und lauschte, ob die Pferde zurückkehrten. Sie fragte sich, wohin sich Eadulf wohl durchschlagen würde. Vermutlich versuchte er, nach Llanwnda zu gelangen, um entweder von Bruder Meurig oder Gwnda, dem Fürsten von Pen Caer, Hilfe zu erbitten. Doch selbst wenn ihm das gelänge, es würde einige Zeit verstreichen, ehe er mit den Rettern hier auftauchte, wenn er überhaupt die Stelle wiederfände und Clydog nicht inzwischen woanders sein Lager aufgeschlagen hatte.

Vergeblich zerrte sie an ihren Fesseln. Sie waren viel zu fest. Sie fragte sich, wieviel Zeit ihr noch verbliebe, bis Clydog mit seinen Leuten wieder zurück war, und sie betete, daß Eadulf ihnen entkommen möge.

Dann hörte sie im Dunkel einen Laut. Sie drehte sich um und bemerkte, wie jemand die Hütte betrat.

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