Kapitel 6

Buddog wartete mit einer Laterne an der Tür. Sie hielt das Licht in ihren starken, zupackenden Händen, als sie die drei über den Hof zu den dunklen Ställen führte. Fidelma kam der flüchtige Gedanke, daß die Hände nicht so recht zu der hübschen Frau paßten, denn sie waren von der vielen Arbeit grob und schwielig. Buddog wirkte weder zugänglich, noch war sie sonderlich freundlich zu ihnen. Sie redete nur, wenn man sie ansprach, und dann tat sie das eher einsilbig.

»Führst du schon lange diesen Haushalt, Buddog?« fragte Fidelma freundlich, als sie den Hof überquerten.

»Nein.«

»Erst seit ein paar Wochen?« Fidelmas Stimme klang ein wenig belustigt. Ungenaue Antworten waren ihr zuwider.

Die Haushälterin preßte die Lippen fester aufeinander.

»Ich bin seit zwanzig Jahren in diesem Hause.«

»Das ist eine lange Zeit. Also hast du schon als junges Mädchen hier gearbeitet?«

»Man hat mich als Geisel hergebracht«, erwiderte Buddog. »Ich stamme aus Ceredigion.«

Nun hatten sie die Stalltür erreicht. Buddog war stehengeblieben, ihre Hand lag auf dem Schnappriegel.

»Du wirst die Laterne brauchen, Bruder«, sagte sie zu Meurig. »Ich kenne den Weg im Dunkeln über den Hof, ich finde schon zurück.«

Bruder Meurig nahm ihr die Laterne ab.

Sie zögerte und sagte dann leise, aber recht aufgewühlt, zu dem Richter: »Wenn der Junge Mair umgebracht hat, so hat sie den Tod auch verdient!«

Daraufhin wandte sie sich um und verschwand als Schatten in der Nacht.

Vor Überraschung schwiegen alle, dann sagte Fidelma: »Ich glaube, Bruder, daß du Buddog bitten mußt, dir das näher zu erläutern.«

Bruder Meurig seufzte leise. »Zweifellos, Schwester. Sie wirkte ziemlich erregt.«

Sie fanden Idwal in dem leeren Stall angekettet. Als sie näher traten, zog er sich wie ein ängstliches Tier in die entfernteste Ecke zurück. Weit konnte er sich nicht fortbewegen, denn man hatte ihm die Kette um das Fußgelenk geschlungen und ihm die Hände auf den Rücken gebunden. Der Anblick stieß Fidelma ab, und sie rümpfte die Nase.

»Muß er auf diese Weise festgehalten werden?« fragte sie.

Doch Bruder Meurig war dagegen, ihm die Fesseln abzunehmen. »Falls der Junge ein Mörder ist, gibt es keinen Grund, ihn freizulassen. Er richtet möglicherweise noch mehr Unheil an.«

»Falls! Und falls er kein Mörder ist?« fragte Fidelmamit Nachdruck.

»Die Zeugenaussagen, die wir bisher gehört haben, scheinen diese Möglichkeit eher auszuschließen«, erwiderte Bruder Meurig verärgert darüber, daß sie seine Meinung anzweifelte.

»Bisher haben wir aber nur einen Teil der Zeugen vernommen«, erwiderte Fidelma.

Bruder Meurig wurde ungeduldig. Sie waren den ganzen Tag unterwegs gewesen, und nun war er müde. »Schon gut. Ich werde mit Gwnda sprechen, sobald wir hier fertig sind.«

Er machte einen Schritt nach vorn, und Idwal stieß einen tierähnlichen Schrei aus und verkroch sich. Er zog den Kopf ein, als erwarte er, geschlagen zu werden.

Fidelma legte eine Hand auf Bruder Meurigs Arm. »Mit deiner Erlaubnis würde ich ihn gern befragen, Bruder Meurig. Ich weiß, daß ich nur als Beobachterin hier bin und daß dies deine Großzügigkeit über Gebühr beansprucht, doch auf Fragen, die von einer Frau gestellt werden, antwortet der Junge vielleicht eher.«

Bruder Meurig wollte schon etwas dagegen einwenden. Er hatte langsam das Gefühl, daß sich Fidelmazu sehr in seine Amtsgeschäfte einmischte, doch er war auch so klug, zu spüren, daß sich der Junge einer Frau gegenüber womöglich wirklich eher öffnen würde. Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr, mit der Befragung zu beginnen, und ließ sich auf einem Strohballen in der Nähe nieder. Eadulf tat es ihm gleich. Fidelma griff sich einen dreibeinigen Melkhokker und setzte sich neben den Jungen.

»Dein Name ist Idwal, stimmt das?« erkundigte sie sich freundlich.

Der Junge starrte sie mit weit aufgerissenen Augen ängstlich an. Fidelma wurde schnell klar, daß Idwal nicht zu den aufgewecktesten Burschen gehörte, sondern eher etwas begriffsstutzig war. Doch vor allem fürchtete er sich.

»Ich will dir nicht weh tun, Idwal. Es gibt da nur ein paar Fragen, die ich dir stellen muß.«

Der Junge schaute ihr ins Gesicht, als suchte er darin etwas zu lesen. »Sie haben mir weh getan«, flüsterte er. »Sie wollten mich umbringen.«

»Wir werden dir nichts tun, Idwal.«

Der Junge wirkte unentschlossen. »Du bist nicht eine von uns, von den Kymren?«

»Ich bin eine Gwyddel.« Sie benutzte das Wort, das die keltischen Bewohner aus Wales für eine Irin gebrauchten.

Idwal blickte prüfend an ihr vorbei zu Bruder Meurig und zu Eadulf hinüber.

»Bruder Meurig ist Richter und möchte gern wissen, was man dir vorwirft. Er hat mich gebeten, mit dir zu reden. Versteh doch, wir wollen dir helfen. Bruder Eadulf ist mein Begleiter. Wir alle wollen dir helfen.«

Der Junge begann zu schluchzen. »Sie haben ver-sucht, mich umzubringen. Iorwerth und Iestyn und die anderen. Sie waren wütend auf mich und haben versucht, mich aufzuhängen.«

»Sie waren voller Zorn, aber sie taten großes Unrecht damit«, sagte Fidelma. »Nun, wir kamen gerade rechtzeitig und konnten sie aufhalten. Erinnerst du dich daran?«

Idwal warf Meurig und Eadulf einen verstohlenen Blick zu, dann schaute er wieder Fidelma an. »Ich erinnere mich«, sagte er zögernd. »Ja, ich erinnere mich.«

»Gut. Nun, dann begreifst du wohl, daß sie behaupten, du hättest ein Mädchen namens Mair umgebracht? Daß du sie vergewaltigt und dann ermordet hast. Begreifst du das?«

Idwal begann am ganzen Leibe zu zittern. »Nein, nein, nein! Das habe ich nicht. Ich habe Mair geliebt. Ich hätte alles für sie getan ...«

»Mairs Vater, Iorwerth, hat dir gesagt, du sollst dich von ihr fernhalten, nicht wahr?«

Der Junge ließ den Kopf hängen. »Ja. Er mag mich nicht. Keiner von den Leuten aus Llanwnda mag mich.« Idwals Stimme klang auf einmal ganz hohl, ohne Gefühl. Er hatte einfach nur eine Tatsache ausgesprochen.

»Warum mögen sie dich denn nicht?« wollte Fidelmawissen.

»Weil ich arm bin, schätze ich. Weil ich nicht weiß, wer meine Eltern sind. Weil sie glauben, daß ich ein Dummkopf bin.«

»Aber du bist hier in der Nähe geboren?« Diese Fra-ge stellte Fidelma, weil es in ihrem Land üblich war, sich um die schwächsten Mitglieder der Gemeinschaft zu kümmern und denjenigen gegenüber, die arm oder einfältig waren, Nachsicht walten zu lassen.

Idwal antwortete mit einem Stirnrunzeln. »Ich weiß nicht, wo ich geboren wurde. Ich bin im Haus von Io-lo in Garn Fechan aufgewachsen. Iolo war ein Schäfer. Er war nicht mein leiblicher Vater. Er hat mir nie gesagt, wer mein Vater war. Als er umgebracht wurde, hat mich sein Bruder Iestyn davongejagt, von da an war ich auf mich allein gestellt.«

»Iestyn?« Der Einwurf kam von Eadulf. »Wo haben wir diesen Namen schon einmal gehört?«

Fidelma blickte ihn warnend an. »Gehört jener Ie-styn zu denen, die heute abend versucht haben, dich zu bestrafen?«

Idwal nickte rasch. »Iestyn hat mich schon immer gehaßt.«

»Du hast gesagt, daß man Iolo umgebracht hat. Wie ist das passiert?«

»Seeräuber.«

»Wer waren die?«

Idwal zuckte mit den Schultern.

»Sag mir, was zwischen dir und Mair vorgefallen ist«, fuhr Fidelma fort. »Warum schiebt man dir die Schuld an dem Mord zu?«

»Mair hat mich anders als die anderen behandelt. Sie war freundlich zu mir. Sie war nett.«

»Und du hast sie gemocht?«

»Natürlich.« »Wie hast du sie gemocht?«

Der Junge schaute sie verwirrt an.

»Sie war meine Freundin«, bekräftigte er.

»Weiter nichts?«

»Was gibt es da noch mehr?« Der Junge meinte das aufrichtig.

Fidelma sah in die unschuldigen Augen des Jungen. »Kurz bevor man ihre Leiche fand, hattest du Streit mit ihr?«

Idwal errötete und blickte nun nach unten. »Das ist mein Geheimnis.«

»Das darfst du nicht für dich behalten, Idwal«, sagte sie streng. »Man hat beobachtet, wie du dich heftig mit ihr gezankt hast, und kurz darauf war sie tot. Die Leute könnten davon ausgehen, daß du sie wegen des Streits umgebracht hast.«

»Ich habe ihr versprochen, daß nichts über meine Lippen kommt.«

»Aber sie ist tot.«

»Mein Versprechen gilt immer noch. Es war eine persönliche Sache zwischen uns beiden.«

»So persönlich, daß sie jetzt tot ist?«

»Ich habe sie nicht umgebracht.«

»Was ist dann passiert?«

Nun antwortete der Junge vorsichtig: »Nachdem ich ihr gesagt hatte, daß ich nicht tun würde, was sie von mir wollte .«

Fidelmas Augen verengten sich. »Deshalb habt ihr euch gestritten? Sie hat dich um etwas gebeten, und du hast es abgelehnt?«

Idwal blinzelte verwirrt. »Versuchst du mich hereinzulegen? Ich werde nicht sagen, weshalb wir uns gezankt haben.«

»Ich versuche nur, die Wahrheit herauszufinden. Wenn du mir die Wahrheit sagst, dann hast du nichts zu befürchten.«

»Ich sage die Wahrheit. Ich habe sie nicht getötet.«

»Worum hat sie dich gebeten?« fragte Fidelma erneut.

Der Junge zögerte. Er seufzte leise. »Sie wollte, daß ich eine Nachricht für sie überbringe, das ist alles. Und das ist alles, was ich sagen kann, denn ich habe einen Eid geschworen, es niemandem zu verraten. Ich habe es ihr geschworen und werde ihn nicht brechen.«

Fidelma lehnte sich zurück und dachte nach. »Es muß schon ein schreckliches Geheimnis sein, daß du sogar einen Eid geschworen hast, wo es doch lediglich um einen Botendienst ging. Wieso hat deine Ablehnung zu solch einer Auseinandersetzung geführt?«

»Weil ich die Nachricht nicht überbringen wollte. Ich dachte, daß es falsch sei«, platzte es aus Idwal heraus.

»Warum war es falsch?« fragte Fidelma.

»Ich sage nichts mehr«, beharrte Idwal störrisch.

»Erklär mir, wie es kam, daß du über Mairs Leiche gebeugt dastandest, wenn du das Mädchen nicht umgebracht hast?« Fidelma hatte beschlossen, ihre Fragetaktik zu ändern. »Komm schon, Idwal, los, rück mit der Wahrheit heraus.«

Der Junge zuckte hilflos mit den Schultern, was schwierig war, denn seine Hände waren ja immer noch auf dem Rücken zusammengebunden. »Nach dem Streit bin ich weggegangen. Ich war mächtig aufgebracht, denn sie war meine Freundin und immer nett zu mir. Doch das, worum sie mich gebeten hatte, konnte ich nicht tun. Ich wollte eine Weile allein sein und nachdenken, ehe ich wieder zurückging und mich bei ihr entschuldigte ...«

»Wie lange warst du weg?«

»Das weiß ich nicht. Ist mir ziemlich lange vorgekommen.«

»Also bist du umgekehrt und hast sie gesucht, nicht wahr?«

»Sie lag nicht weit weg von der Stelle, wo ich sie zurückgelassen hatte. Es sah aus, als würde sie schlafen. Das war mein erster Gedanke.« Idwal schluchzte.

»Dann ist dir aufgefallen, daß Blut an ihr klebte?« Plötzlich griff zu Fidelmas Ärger Bruder Meurig ein.

»Da war kein Blut«, erwiderte der Junge. »Deshalb habe ich ja auch angenommen, daß sie schliefe.«

Bruder Meurig rückte auf seinem Strohballen vor. »Doch der Apotheker hat Gwnda zufolge erklärt, daß das Mädchen an seinen Kleidern Blut hatte«, sagte er, eher an Fidelma gewandt als an den Jungen.

»Idwal, bist du sicher, daß an den Kleidern kein Blut war?«

Der Junge schloß die Augen, als versuchte er, sich zu erinnern. »Ich habe keins gesehen«, entgegnete er mit Entschiedenheit.

Fidelma schaute zu Bruder Meurig hinüber.

Gwnda hatte gesagt, das Mädchen sei vergewaltigt worden und noch Jungfrau gewesen. Wenn dem so war, mußte an ihren Unterkleidern Blut sein, wie man es ja auch später festgestellt hatte.

»Was hast du dann getan?« fragte Fidelma weiter und ließ die Angelegenheit für den Moment auf sich beruhen.

»Ich kniete neben ihr nieder und fragte mich, wie ich ihr helfen könnte. Dann wurde mir klar, daß sie tot war. Ich stand auf. Ich spürte . « Er verstummte, er konnte seine Gefühle nicht ausdrücken. »Da hörte ich die wütenden Schreie. Leute liefen auf mich zu. Ich hatte furchtbare Angst und versuchte wegzurennen.«

»Und dann?«

»Ich weiß noch, daß mich ein Schlag traf. Ich sank zu Boden, und Gwnda stand mit einer Keule über mir. Nun waren die anderen auch schon da und fingen an, mich zu treten und zu schlagen. Ich glaube, ich war lange Zeit bewußtlos. Ich kann mich an nichts weiter erinnern, als daß ich später hier aufgewacht bin und gefesselt war.«

»Du kannst dich an nichts anderes erinnern?«

»Ich habe keine Ahnung, wie lange ich hier so eingesperrt war. Ich denke, daß es mehr als ein Tag und eine Nacht gewesen sein muß. Buddog kam und brachte mir Wasser. Sie sagte, daß ich ihr leid tue. Ich habe lange nichts mehr gegessen. Dann kam Iestyn mit zwei anderen, und sie schleppten mich fort. Sie zogen mich zu dem Baum auf dem Platz . Und dann seid ihr aufgetaucht.«

Schweigend lehnte sich Fidelma zurück und blickte den Jungen an. Schließlich drehte sie sich zu Bruder Meurig um. Der Richter zuckte die Schultern und deutete mit dem Kopf zur Tür.

»Idwal, du mußt uns die Wahrheit sagen. Schwörst du, daß du uns die ganze Wahrheit gesagt hast?« redete Fidelma wieder auf ihn ein.

Idwal schlug die Augen zu ihr auf. »Ich schwöre es beim lebendigen Gott, Schwester. Ich habe sie nicht umgebracht ... Mair war meine Freundin. Meine enge Freundin.«

»Und du sagst uns immer noch nicht, welche Botschaft du für sie überbringen solltest?«

»Ich habe es ihr geschworen. Ich werde das Geheimnis hüten. Ich kann meinen Schwur nicht brechen.«

Fidelma klopfte ihm auf die Schulter, erhob sich und folgte Bruder Meurig und Eadulf zur Tür.

»Klingt aufrichtig, was der Junge sagt«, bemerkte Bruder Meurig zögernd mit gedämpfter Stimme. »Andererseits, was er erzählt, wirft jede Menge Fragen auf.«

»Ja, er hat uns wohl die Wahrheit gesagt«, erwiderte Fidelma.

»Aber du hast wie ich das Gefühl, daß es nicht die ganze Wahrheit ist?«

»Wenn wir wüßten, was für eine Botschaft es war, die er überbringen sollte und die ihn bewog, deswegen mit dem Mädchen einen Streit vom Zaune zu brechen.«

»Vielleicht hat er in diesem Punkt gelogen?« gab Eadulf zu bedenken.

»Warum? Es ist offensichtlich, daß der Junge für sein Alter noch recht unreif ist. Ich bezweifle, daß sich ein derartig simpler Bursche so eine Geschichte ausdenkt«, entgegnete Fidelma.

»Und dennoch ist es seltsam. Was für eine Nachricht könnte für Mair so wichtig gewesen sein, daß sie Idwal schwören ließ, sie nicht zu verraten?«

Einen Moment lang schwiegen alle, dann sagte Eadulf: »Das verwirrendste daran ist Idwals Behauptung, an den Kleidern des Mädchens sei kein Blut gewesen. Laut Gwnda und dem Apotheker hat man aber gerade an Hand dessen den Schluß gezogen, Mair sei vergewaltigt worden.«

»Dazu werden wir den Apotheker persönlich befragen müssen. Wie war noch sein Name? Elisse?« erwiderte Fidelma.

»Fest steht, daß Idwal behauptet, er sei nicht der Liebhaber des Mädchens gewesen. Ja, er hat nicht einmal gesagt, daß er es gern gewesen wäre«, warf Bruder Meurig ein. »Nach der Aussage des Apothekers ist Mair jedoch vergewaltigt worden. Das Blut an ihren Unterkleidern würde das belegen.«

»Ich würde der Sache mit der geheimen Botschaft nachgehen«, schlug Eadulf vor. »Oftmals verständigen sich Liebende auf solche Art. Hatte Mair wirklich einen Liebhaber? Wollte Idwal aus diesem Grund die Nachricht nicht überbringen?«

Einen Augenblick lang starrte Fidelma Eadulf über-rascht an, dann lächelte sie. »Manchmal, Eadulf, hast du die Fähigkeit, das Offensichtliche zu erkennen, während wir daran vorbeisehen.«

»Wenn die Nachricht für ihren Liebhaber war«, stellte Bruder Meurig fest, »dann muß Idwal, der ja zugegeben hat, daß er Mair liebt, auch wenn es scheint, daß es dabei nicht um eine sexuelle Beziehung ging, dann muß ihn die Eifersucht zur Gewalt getrieben haben. Wollen wir doch mal hören, was er dazu sagt.«

Fidelma lief zurück in den Stall. »Idwal, es gibt noch eine Frage. Die Botschaft betreffend ...«

»Ich habe dir doch schon gesagt, daß ich nichts darüber verraten werde«, entgegnete der Junge entschlossen.

Fidelmas Stimme klang ruhig, aber sicher. »Nun gut. Ich nehme an, daß du auf die Bitte nicht eingegangen bist, weil du etwas gegen Mairs Liebhaber hattest? Ist es so?«

Idwals Gesichtsausdruck verriet ihr, was sie wissen wollte.

»Siehst du, Idwal«, fuhr Fidelma freundlich fort, »die Wahrheit kommt immer von allein ans Tageslicht. Wer war dieser Mann?«

Der Junge machte eine abwehrende Geste. »Ich habe einen Eid geschworen.«

»Deine Zukunft kann davon abhängen, ob du mir den Namen des Mannes nennst oder nicht.«

»Ich habe einen Eid geschworen.«

Fidelma hatte viel Übung darin, den Charakter eines Menschen einzuschätzen, und erkannte, daß Idwal dabei bleiben würde. »Nun gut, dann lassen wir das, Idwal.«

Kopfschüttelnd kehrte sie zu Bruder Meurig und Eadulf zurück. »Eadulf hatte recht. Der Junge beharrt zwar darauf, uns nicht zu verraten, für wen die Nachricht war, aber sein Gesicht verriet mir die Wahrheit, als ich ihm auf den Kopf zusagte, daß sie wohl für Mairs Liebhaber bestimmt war. Seinen Namen konnte ich jedoch nicht in Erfahrung bringen.«

»Eins übersehen wir«, stellte Bruder Meurig klar. »Wir reden hier nur von platonischer Liebe, nicht von körperlicher. Die Indizien belegen, daß Mair noch Jungfrau war. Damit hätte der Junge immer noch ein Mordmotiv. Rache, weil das Mädchen ihn um des anderen willen ablehnte.«

»Ich glaube, wir warten mit weiteren Fragen besser bis morgen«, erwiderte Fidelma. »Heute abend scheint Idwal entschlossen zu sein, seinen Schwur nicht zu brechen. Bis morgen hat er es sich vielleicht anders überlegt.«

Sie machten sich endgültig auf den Weg zum Haus; plötzlich blieb Bruder Meurig stehen. Im Schein der Laterne, die er trug, konnte man sein besorgtes Gesicht erkennen. »Vielleicht ist der Junge doch schlauer, als wir denken. Es könnte sein, daß er uns an der Nase herumführt.«

»Falls er das nicht tut«, entgegnete Fidelma, »könnte seine Aussage nicht nur klarstellen, warum Iestyn sah, wie sich der Junge und das Mädchen stritten, sondern auch - und das ganz zum Vorteil des Jungen -, daß ein anderer ein Motiv hatte, Mair umzubringen.«

Bruder Meurig äußerte Zweifel.

»Aber zu diesem Zeitpunkt«, beruhigte ihn Fidel-ma, »geht es nicht so sehr darum, die richtigen Antworten zu erhalten, sondern darum, den richtigen Personen die richtigen Fragen zu stellen. Habt ihr gehört, daß Elen, Gwndas Tochter, sagte, sie sei eine Freundin von Mair? Sie schien auch um Idwal Angst zu haben. Vielleicht weiß sie etwas? Wenn ich dir also einen Rat geben darf, so müßtest du versuchen, mit ihr zu reden, ohne daß Gwnda dabei ist. Es schien ihm nicht zu passen, daß sich seine Tochter Sorgen um Idwal macht.«

Bruder Meurig sah sie anerkennend an. »Und da ist noch die Haushälterin Buddog«, fügte er hinzu. »Es war ziemlich hart, was sie Mair bezüglich äußerte.«

»Das habe ich auch bemerkt. Noch ehe wir uns zur Nacht zurückziehen, wollen wir kurz mit ihr sprechen.«

Buddog war in der Küche. Sie war gerade dabei, mit ihren kräftigen Händen einem Huhn den Hals umzudrehen. Als sie eintraten, blickte sie mürrisch auf. Sie legte das getötete Huhn zu drei weiteren, die noch bis morgen gerupft werden mußten.

»Ich werde euch eure Schlafräume zeigen«, sagte sie, stand auf und wischte sich die Hände an einem Tuch ab.

Bruder Meurig bat sie, dem Jungen etwas zu essen zu bringen und ihm die Fesseln zu lockern.

»Das Essen werde ich ihm hinbringen«, erwiderte Buddog kühl. »Wegen seiner Fesseln müßt ihr mit Gwnda reden.«

»Das werde ich tun«, sagte Bruder Meurig. »Was hast du damit gemeint, als du sagtest, daß Mair den Tod verdient hat?«

Buddog entglitten die Gesichtszüge. »Ich habe nur meine persönliche Ansicht geäußert«, sagte sie.

»Und worauf stützt sich deine persönliche Ansicht?« Fidelma ließ nicht locker.

Buddog zögerte. Ihre Lippen wurden schmal. Sie lächelte geringschätzig. »Im ganzen Ort ist bekannt, daß das Mädchen gerne kokettierte. Mair bändelte mit jedem Mann an, von dem sie sich etwas versprach.«

»Willst du damit sagen, daß sie sich wahllos mit Männern herumtrieb?« fragte Fidelma ganz direkt.

»Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt.«

»Eine Jungfrau, die sich mit Männern herumtreibt? Das ist ein Widerspruch in sich«, murmelte Bruder Meurig.

»Jungfrau?« Buddog brach in schallendes Gelächter aus.

»Du glaubst nicht, daß sie noch Jungfrau war?«

»Ich äußere nur meine Ansichten«, erwiderte die Dienerin schnippisch. »Ich habe sie nicht untersucht.«

»Mit wem hat sie sich denn herumgetrieben?« erkundigte sich Fidelma. »Du hast gesagt, daß sie die Männer herausgefordert hat.«

Buddog schürzte die Lippen, vielleicht bedauerte sie bereits, daß sie etwas darüber hatte verlauten lassen. »Warum fragst du nicht Iestyn? Ich sah, wie er mit einem verzückten Lächeln auf dem Gesicht durch den Wald ging. Später erfuhr ich, daß er von Mair gekommen war.«

»Wann war das?« fragte nun Bruder Meurig.

»Vor ein paar Tagen ... Oh, an dem Tag, an dem sie starb.«

»Und was hattest du zu der Zeit im Wald zu tun?« fragte Fidelma rasch.

»Ich habe Pilze fürs Mittagessen gesammelt.«

»Buddog!« erklang die befehlsgewohnte Stimme von Gwnda, der an der Tür aufgetaucht war. »Vertu die Zeit nicht mit Schwatzen! Führe unsere Gäste sofort in ihre Räume! Siehst du nicht, daß sie müde sind?«

Buddog blickte ihn verärgert an, schwieg aber. Gwnda wollte sich schon entschuldigen, doch Bruder Meurig kam ihm zuvor.

»Wir hatten noch einige Fragen, Gwnda.«

Der Fürst von Pen Caer runzelte die Stirn. »Ihr solltet eure Fragen mir und nicht meinen Bediensteten stellen«, sagte er unfreundlich.

»Das würde uns nicht weiterhelfen, wir wollten etwas von Buddog wissen«, entgegnete Fidelma. Sie mochte den tyrannischen Fürsten von Pen Caer nicht, insbesondere die Art, wie er die Frauen in seinem Haushalt behandelte. »Ich glaube, Bruder Meurig hat eine Bitte an dich.«

Nun war es an Bruder Meurig, Gwnda zu sagen, daß er es für besser hielte, wenn man Idwal etwas zu essen brächte und ihm die Fesseln bis auf die Kette am Fuß abnähme. Gwnda grunzte etwas Unverständliches und drehte sich um. Bruder Meurig betrachtete das als Zustimmung und ließ ihn gehen.

»Sehr bedauerlich«, meinte der Richter kurze Zeit später, als er, Fidelma und Eadulf auf dem Flur vor ihren Räumen standen, zu denen sie Buddog geführt hatte, die kein Wort mehr gesagt hatte.

»Vielleicht kannst du ja morgen weiter mit ihr reden?« schlug Fidelma vor. »Möglicherweise sind es nur Mutmaßungen, die Buddog über Iestyn äußerte. Sicher ist, daß sie Mair nicht mochte. Doch wir sollten uns jetzt zur Ruhe begeben.«

»Vielen Dank, daß du mir Gelegenheit gegeben hast, die Methode, wie du die Fragen stellst, zu studieren«, sagte Bruder Meurig lächelnd. »Ich verstehe jetzt, warum du ein solches Ansehen genießt.« Er zögerte und blickte zu Eadulf. »Ich meine, warum ihr beide ein solches Ansehen genießt.«

Eadulf machte keine Anstalten, auf Meurigs nachträgliche Erwähnung seiner Person etwas zu erwidern.

»Eadulf und ich werden morgen in aller Frühe nach Llanpadern aufbrechen«, erklärte Fidelma.

»Ihr werdet nicht noch bleiben? Wollen wir nicht diesen Fall gemeinsam zu Ende bringen, ehe ihr weiterreitet? Ich dachte, ihr wäret daran interessiert?« Bruder Meurig war überrascht.

Fidelma schüttelte den Kopf. »Die Geschichte bewegt mich wirklich sehr, denn ich fürchte, der Junge ist unschuldig und etwas anderes steckt dahinter. Aber unsere Vollmacht von König Gwlyddien erstreckt sich nur auf die Geschehnisse in Llanpadern und seinen Sohn Rhun. Wir werden morgen früh nach Llan-padern reiten. Doch ich würde mich sehr freuen, wenn du uns bei unserer Rückkehr berichtest, wie die Sache ausgegangen ist.«

Bruder Meurigs Gesicht entspannte sich ein wenig. Wahrscheinlich ist er eher erleichtert, daß wir Weiterreisen, dachte Eadulf. Mit der ihr innewohnenden Autorität war Fidelma drauf und dran gewesen, seinen Fall an sich zu reißen! Doch der barnwr ließ Gnade vor Recht ergehen.

»Ich bin euch beiden dankbar für eure Hilfe. Unsere Vorgehensweisen sind ziemlich ähnlich.« Er schwieg einen Augenblick, dann fügte er beinah widerwillig hinzu: »Aber benötigt ihr nicht einen Führer morgen vormittag - und jemanden, der dolmetscht?«

Fidelma lächelte. »Das glaube ich nicht. Wenn Llanpadern nur etwa drei Meilen entfernt ist, in Richtung der Berge, die du mir heute nachmittag gezeigt hast, dann wird es nicht schwer zu finden sein. Und ich habe gemerkt, daß ich recht viel von eurer Sprache behalten habe, auch wenn es schon viele Jahre her ist, daß ich sie zum letztenmal benutzt habe. Und Eadulf scheint auch genügend zu verstehen.«

»Jedenfalls mehr, als ich sprechen kann«, bekräftigte Eadulf.

Bruder Meurig war offenbar sehr erleichtert darüber, daß sie seine Dienste als Führer und Sprachkundigen nicht weiter in Anspruch nahmen. »So werde ich hierbleiben und sehen, was ich herausfinden kann.«

Fidelma lächelte. »Wir freuen uns darauf, zu erfahren, wie sich die Dinge wirklich verhalten, wenn wir aus Llanpadern zurückkehren.«

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