Kapitel 20

Mit zynischer Geste wurden sie von Gwnda begrüßt.

»Willkommen in meinem Haus, Clydog, die Wespe«, sagte Gwnda ironisch.

Fidelma beugte sich leicht zur Seite, so daß sie sehen konnte, wer sich vor Clydog aufgebaut hatte.

Da war natürlich Gwnda, er saß auf einem Stuhl. Auf seinem Amtsstuhl hatte es sich ein junger Krieger bequem gemacht. Ein Silberreif auf seiner Stirn hielt sein blondes Haar zurück. Er sah gut aus und hatte fast violette Augen. Sein jungenhaftes Grinsen und seine kostbaren Gewänder täuschten nicht darüber hinweg, daß er das Schwert an seiner Seite nicht nur zur bloßen Zierde bei sich trug. Erst nach ein paar Augenblicken erkannte Fidelma in ihm den Mann wieder, dem sie in der Abtei Dewi Sant kurz begegnet waren. Es war Prinz Cathen, König Gwlyddiens Sohn.

»Legt eure Waffen ab«, fuhr Gwnda die Geächteten an.

Nur widerstrebend legten Clydog und seine Männer die Schwertgürtel ab. Einer von Cathens Kriegern stellte seinen Bogen beiseite, trat vor und sammelte die Waffen ein. Auf einen Wink Cathens hin eilte ein anderer Mann herbei und befreite Fidelma und Eadulf von ihren Fesseln.

Die beiden wirkten ein wenig verwirrt über diese glückliche Wende ihres Schicksals.

»Greift dieses Pack und steckt es zu den anderen«, befahl Gwnda und deutete auf Clydog und seine Männer.

»Warte!« rief Clydog eilig. »Das kannst du mir nicht antun. Das wird dir schlecht bekommen ...«

Doch Gwndas Krieger drängten ihn fort. So standen nur noch Fidelma und Eadulf vor Prinz Cathen und Gwnda, dem Fürsten von Pen Caer.

Cathen hatte sich erhoben und ging mit ausgestreckten Armen auf sie zu. »Du hast uns eine Weile in Angst und Schrecken versetzt, Fidelma von Cashel. Dein königlicher Bruder, Colgü von Cashel, hätte es uns nie verziehen, wenn dir als Gast in unserem Königreich von Dyfed etwas zugestoßen wäre.«

»Ich freue mich sehr, dich zu sehen, Prinz Cathen«, erwiderte Fidelma. »Deine Anwesenheit hat das letzte Steinchen in unser Mosaik eingefügt.«

Cathen sah sie fragend an, doch als Fidelma schwieg, wandte er sich an Eadulf. »Es ist gut, dich wiederzusehen, angelsächsischer Bruder.«

Gwnda hatte sich ebenfalls erhoben, wenn auch nur aus Hochachtung vor dem Prinzen.

»Kommt«, forderte Cathen sie auf. »Setzt euch vor das Feuer. Man soll ihnen etwas zu essen und zu trinken bringen.« Letzteres galt Buddog, die mit versteinertem Gesicht dastand. Folgsam verließ sie den Raum.

»Was ist geschehen?« fragte Eadulf. »Was hat dich hierhergeführt?«

»Dein junger Bote, Dewi, traf in der Abtei ein und übergab Abt Tryffin deine Nachricht. Mein Vater und ich haben ihn weiter über die Lage in Pen Caer befragt. Ich habe versucht, über die bloße Botschaft hinaus zu begreifen, was hier vorgeht. Und so hatte ich das Gefühl, daß ihr dringend ein paar Krieger benötigt, um eure richterlichen Aufgaben zu erfüllen. Also bot ich mich als ihr Anführer an, und wir ritten so schnell wie möglich los. Unterwegs ließen wir Dewi in der Schmiede seines Vaters zurück.«

»Glück und Kühnheit scheinen dir wohlgesonnen«, sagte Fidelma feierlich. »Das begünstigte in diesem Fall auch unser Schicksal.«

Buddog trat wieder ein. Die Anwesenheit des jungen Prinzen machte sie sichtlich nervös. Sie reichte Glühwein und Haferkekse.

»Fortes fortuna adiuvat, wie?« Cathen lächelte Fidelmaan. »Dem Tapferen hilft das Glück.«

»Wie Terenz in seiner Phormio sagt«, stimmte ihm Fidelma zu. »Doch Llanwnda war in den Händen von Clydogs Räubern. Wie habt ihr .?«

»Wie wir die Situation für uns entschieden haben? Ganz einfach. Clydog hatte keine Ahnung, daß wir in der Nähe waren. Er war mit vier seiner Leute hinter euch her. Die fünfzehn Männer, die er zurückgelassen hatte, sollten die Einwohner des Ortes in Schach halten. Sag du ihnen, wie alles ablief.«

Der Fürst von Pen Caer schien sich immer noch unwohl zu fühlen. Verlegen blickte er zu Boden. »Man hat uns in die große Scheune getrieben, alle Bewohner .«

»Wirklich alle?« fragte Fidelma schroff. Gwnda kniff die Augen zusammen.

»Hat man auch Iestyn mit euch eingesperrt?« warf Eadulf ein, dem klargeworden war, worauf Fidelma hinauswollte.

Gwnda schüttelte den Kopf. »Iestyn habe ich den ganzen Abend nicht gesehen. Und Iorwerth auch nicht, wenn ich es genau bedenke.«

»Kannst du ein halbes Dutzend Krieger abstellen?« fragte Fidelma Cathen plötzlich. »Männer, deren Klugheit und Geschicklichkeit mit dem Schwert du vertraust?«

»Das kann ich. Warum?«

»Einer der Leute aus dem Ort soll sie zu Iestyns Bauernhof führen. Sie sollen Iestyn gefangennehmen und alle, die sich auf seinem Hof aufhalten. Sag ihnen, daß sie mit Widerstand rechnen müssen. Es könnte sein, daß dort noch mehr von Clydogs Leuten stek-ken. Sie werden nicht bereit sein, die Waffen kampflos zu strecken.«

Cathen rief einen seiner Männer zu sich und erteilte ihm entsprechende Befehle. Fidelma blickte zufrieden drein.

»Jetzt können wir weiterreden. Kein Schurke soll uns entwischen!«

»Willst du damit sagen, daß Iorwerth und Iestyn mit dem geächteten Clydog gemeinsame Sache machen?« fragte Cathen erstaunt.

»Es geht hier um mehr als nur um Raub, Prinz Ca-then«, erwiderte Fidelma. »Doch Gwnda wollte gerade erzählen, wie ihr die Lage zu euren Gunsten verändern konntet ...?«

Während Fidelma das sagte, warf sie Eadulf einen warnenden Blick zu. Er begriff, daß sie einen Grund hatte, nicht preiszugeben, daß sie Iorwerths Leiche entdeckt hatten, auch wenn er diesen Grund nicht kannte.

Gwnda fuhr mit seinem Bericht fort. »Wie ich schon sagte, wir wurden alle in die Scheune gesperrt. Clydog stellte zehn seiner Leute ab, um uns zu bewachen. Weitere waren draußen.«

»Zu diesem Zeitpunkt trafen wir in Llanwnda ein«, meldete sich Cathen wieder zu Wort.

»Wie viele seid ihr?« wollte Eadulf wissen.

»Fünfzig Krieger aus der Leibwache meines Vaters. Alles ausgezeichnete Leute.«

»Es ist schon recht verwunderlich, daß Clydogs Männer einen so großen Trupp nicht vorher bemerkten«, sagte Fidelma.

»Ich habe zwei Späher vorgeschickt, um die Lage zu erkunden. Sie stießen auf einen Mann, der an der Brücke zum Ortseingang Posten bezogen hatte. Er machte den Fehler, die beiden für Gefährten zu halten, und begrüßte sie mit so eigenartigen Worten, daß meine Leute sofort mißtrauisch wurden. Also ent-waffneten sie ihn und brachten ihn zu mir. Wir konnten ihn überreden, ein wenig zu plaudern .« Cathen lachte trocken. »Vielleicht sollten wir diesen Punkt überspringen. Wie dem auch sei, er verriet uns, daß Clydogs Banditen Gwnda und sämtliche Bewohner von Llanwnda eingesperrt hatten, und er erklärte uns sogar, wo die Wachen aufgestellt waren. Da hatten wir leichtes Spiel, sie zu entwaffnen und die Leute zu befreien. Als wir erfuhren, daß Clydog und ein paar seiner Krieger dich und Eadulf verfolgten, beschlossen wir, daß alle rasch und leise in ihre Häuser zurückkehren und im Dunkeln dort ausharren sollten, bis sie von Gwnda weitere Anweisungen erhielten. Wir gingen in Deckung und warteten auf Clydogs Rückkehr, denn wir wußten, daß er zurückkommen mußte. Den Rest kennt ihr.«

Fidelma nickte voller Anerkennung. »Du scheinst ein ausgezeichneter Stratege zu sein, Cathen.«

»Selbst ein kluger Stratege braucht Glück, Schwester.«

Fidelma sah ihn bewundernd an. Eitel war Cathen gewiß nicht.

Gwnda räusperte sich. »So, Prinz Cathen«, sagte er, »mit dir kehrt wieder Friede in Pen Caer ein. Du hast die Räuberbande, die hier ihr Unwesen trieb, umzingelt und festgenommen. Und Schwester Fidelma wird dich nun davon unterrichten, daß auch all die anderen rätselhaften Vorfälle aufgeklärt sind. Si finis bonus est, totum bonum erit.«

Schnell schüttelte Fidelma den Kopf. »Wir sind noch keineswegs bei einem glücklichen Ende angelangt.«

Prinz Cathen blickte sie fragend an. »Ich kann mir denken, daß da noch Verschiedenes offengeblieben ist. Wie ist aber der Stand der Dinge, verehrte Schwester?«

»Zunächst muß ich wissen, Cathen, ob Dewi deinem Vater meine spezielle Bitte vorgetragen hat?«

Cathen nickte. »Die Bitte, daß man dir die Befugnis eines barnwr geben solle, um in all jenen Angelegenheiten ermitteln zu können, die du für wichtig erachtest.«

»Erhalte ich diese Befugnis?«

»Mein Vater war ohne Zögern bereit, dir diese Vollmacht zu erteilen. Wie ich schon sagte, wir meinten nur, daß du ein wenig kriegerischen Rückhalt gebrauchen könntest. Deshalb bin ich mit meinen Leuten ja hergekommen.«

Gwnda verfolgte das Gespräch mit abschätzigen Blicken.

In diesem Augenblick klopfte es an die Tür, und einer von Cathens Kriegern trat ein. »Das war leicht erledigt, Prinz Cathen. Wir haben den Mann, der Iestyn heißt. Er war mit zwei Geächteten auf seinem Hof. Wir überraschten sie derart, daß sie nicht einmal ihre Schwerter ziehen konnten. Niemand ist verletzt worden.«

Cathen warf Fidelma ein Lächeln zu. »Hervorragend. Also haben wir jetzt alle Ratten in der Falle, Lady?«

Fidelma sagte einen Moment lang nichts, dann fragte sie den jungen Krieger. »Trug einer der beiden Geächteten einen Helm? Einen Kriegshelm? Ein arrogant auftretender Mann?«

»Das muß der sein, der auf den Namen Corryn hört. Der wirkte ziemlich arrogant«, antwortete der Krieger.

Fidelma seufzte zufrieden. »Ja, den meinte ich.«

»Außer Iestyn war da noch ein Geächteter. Er heißt Sualda.«

»Sualda?« Eadulf zog ein wenig die Augenbrauen hoch. »Also hat er überlebt?«

»Das Glück ist uns hold«, erklärte ihm Fidelma.

Cathen sah sie mit fragendem Blick an. »Spielen diese Männer eine besondere Rolle?« erkundigte er sich. »Ich dachte, Clydog wäre der Anführer der Bande.«

»Sie spielen eine ziemlich besondere Rolle. Das kann man wohl sagen«, bestätigte ihm Fidelma. »Bringt sie getrennt voneinander unter und bei strengster Bewachung. Sie haben alle ihr Scherflein zu der Sache beigetragen.«

Cathen bedeutete seinem Krieger, Fidelmas Anweisungen auszuführen. Danach wandte er sich wieder an sie. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das alles überhaupt begriffen habe«, fing er an.

»Du wirst dich bis morgen gedulden müssen. Am späten Vormittag, natürlich nur mit Gwndas Zustimmung, werden wir uns in diesem Raum einfinden. Dann werde ich mich bemühen, alles zu erklären.«

Gwnda war offensichtlich verärgert. »Ich dachte, nun sei endlich Ruhe? Wir haben doch alle Banditen festgesetzt. Was gibt es sonst noch?«

»Denk an die vielen Toten, Gwnda, und auch an die Verschwörung gegen König Gwlyddien«, antwortete ihm Fidelma. An Cathen gewandt, fragte sie: »Habe ich das Recht und deine Erlaubnis, Anklage und Aufklärung der Verbrechen öffentlich vorzunehmen?«

»Aber gewiß«, erwiderte der Prinz.

»Dann benötige ich einen deiner Männer als Verhandlungsführer bei Gericht, das, wie ich vorschlage, morgen nachmittag in Gwndas Halle zusammentreten soll.«

»Cadell, mein Stellvertreter, genießt mein vollstes Vertrauen, Schwester.«

»Sehr gut. Ich werde mich mit Cadell unterhalten und ihm erklären, was er morgen zu tun hat. Alles muß wie am Schnürchen laufen.«

Cathen und Gwnda begriffen nicht recht, was sie vorhatte. Trotzdem ging Cathen zur Tür und beauftragte einen seiner Leute, nach Cadell zu suchen und ihn zu ihm zu schicken. Kurz darauf trat ein junger Krieger ein. Cathen wechselte leise ein paar Worte mit ihm, woraufhin er auf Fidelma zueilte und zum Gruß die Hand hob.

»Ich stehe zu deinen Diensten, Schwester«, sagte er. Er wirkte energisch und tüchtig.

»Du bleibst noch, Bruder Eadulf und ich werden dir Anweisungen geben.« Sie drehte sich zu den anderen um und sagte mit fester Stimme: »Die Nacht ist fast vorbei, sie war lang und hat uns alle ermüdet. Ich schlage vor, daß ihr euch zurückzieht. Bruder Eadulf und ich werden eurem Beispiel bald folgen.«

Ein unglaublich strahlender Morgen war angebrochen. Am Himmel zeigte sich keine Wolke, die Sonne schien mit herbstlicher Kraft. Doch trotz der Sonne war die Luft kalt, Rauhreif hatte sich in den Stunden vor Morgengrauen auf die Landschaft gelegt und war schon wieder verschwunden. Wassertropfen glänzten noch auf den Büschen und Bäumen, selbst im Gras.

Fidelma hatte lange geschlafen. Es schien bald Mittag zu sein. Immerhin war sie eher auf den Beinen als Eadulf. Sie ging in die Küche hinunter, wo Buddog schon Teller und Schüsseln abspülte. Buddog empfing sie mürrisch.

»Im Ort herrscht heute vormittag reges Treiben, Schwester. In Gwndas Halle haben sich schon jede Menge Leute versammelt, die neugierig sind, was du ihnen mitzuteilen hast.«

Fidelma nahm am Tisch Platz und griff nach einer Schale mit Äpfeln.

»Wollen wir hoffen, daß sie nicht enttäuscht werden«, sagte sie knapp. Buddog runzelte die Stirn und ließ sie allein.

Endlich erschien auch Eadulf. Er wirkte immer noch müde. Wahrscheinlich sah sie selbst ebenso abgespannt aus, schließlich waren sie erst bei Morgengrauen zu Bett gegangen. Sie hatten noch eine Weile mit Sualda gesprochen, der sich dank Eadulfs Hilfe von seiner Verletzung erholt hatte. Das Gespräch mit ihm bestätigte Fidelmas Verdacht.

»Wie ich sehe, kommen die Leute schon in der großen Halle zusammen«, sagte Eadulf zur Begrüßung und nahm sich einen Apfel. Er hatte gerade davon abgebissen, als auch Prinz Cathen und Cadell eintraten.

»Was für ein herrlicher Tag«, verkündete der Prinz. »Die Sonne steht fast im Zenit. Cadell hat sich ganz strikt an deine Anweisungen gehalten. Alle, die er herbitten sollte, sind schon erschienen. Clydog und seine Gefährten sind immer noch eingesperrt, außer Iestyn, der wurde bereits unter Bewachung in die Halle geführt.«

»Sind der Schmied Goff und seine Frau Rhonwen eingetroffen?« fragte Fidelma.

»Ja. Sie haben ihren Sohn Dewi mitgebracht«, antwortete Cadell.

»Und Elen?«

»Sie folgte nur unwillig der Aufforderung, zurückzukommen. Glücklicherweise ist sie für ein paar Tage bei Goff geblieben, so mußten wir nicht die ganze Strecke nach Llanrhian reiten, um sie zu holen. Ich nehme an, sie ist nicht besonders froh, wieder hier zu sein.«

»Also ist alles bereit, Schwester«, meinte Cathen, »so wie du es angeordnet hast.«

»Ist Gwnda auch da?«

»Ja, und er ist recht unglücklich darüber«, erwiderte Cathen. »Als Fürst von Pen Caer hätte er normalerweise den Vorsitz bei diesem Gericht, doch nun werde ich auf deine Bitte hin selbst dieses Amt übernehmen.«

»Es steht in deiner Macht, Prinz Cathen, dafür zu sorgen, daß die Anhörung rechtmäßig verläuft. Ich habe keine rechtliche Befugnis hier. Nachdem ich die Fakten dargelegt habe, wirst du entscheiden, welche rechtlichen Schritte eingeleitet werden müssen.«

»So soll es sein.«

»Dann geh voran, wir kommen gleich nach.«

Prinz Cathen und Cadell liefen zur Halle. Fidelma hörte, wie das Stimmengemurmel erwartungsvoll abebbte.

Buddog machte sich immer noch in der Küche zu schaffen.

»Buddog, kommst du nicht mit?«

Die Haushälterin schüttelte den Kopf. »Ich bin nur eine Bedienstete, Lady. Ich darf während öffentlicher Verhandlungen Gwndas Halle nur betreten, um Gäste zu bedienen.«

»Aber du hast das Recht, heute daran teilzunehmen und zu hören, was sich in den letzten Tagen wirklich ereignet hat. Eadulf wird dich hereinbringen und dir einen Platz besorgen.«

Eadulf erhob sich und bedeutete Buddog, ihm zu folgen. Widerstrebend schloß sie sich ihm an.

Fidelma saß noch am Tisch und trommelte mit den Fingern auf das Holz, sie starrte angespannt ins Leere. Dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus, stand auf und betrat Gwndas Halle.

Viele Leute waren hier versammelt. Prinz Cathen hatte sich auf dem Amtsstuhl niedergelasssen. Gwnda, als Fürst von Pen Caer, saß neben ihm. Gwnda war anzusehen, daß er dem Prinzen seinen Platz nur ungern überlasssen hatte. Er blickte Fidelma böse an, als sie hereinkam. Einer der Männer, die Cathen mitgebracht hatte, war offenbar ein Schreiber. Cathens Leute waren überall in der Halle postiert. Und Cadell war bereit, seine Aufgabe als Verhandlungsführer zu übernehmen.

Fidelma war an der Tür stehengeblieben. Schweigen breitete sich in der Halle aus. Fidelma sah Elens schmollendes Gesicht, sie saß in der Nähe ihres Vaters. Da waren Goff, seine dickliche Frau Rhonwen und ihr Sohn Dewi; Fidelma lächelte ihm zu. Hätte sich der Junge nicht zur Abtei Dewi Sant auf den Weg gemacht, hätte die Geschichte für sie einen fatalen Ausgang nehmen können. Buddog saß linkisch auf dem Platz, den ihr Eadulf angewiesen hatte. Nicht weit weg von ihr hockte Iestyn mit zwei Bewachern neben sich.

Cadell hatte genau nach ihren Anweisungen gehandelt. Clydog, Corryn und ihre Anhänger befanden sich nicht in der Halle, sondern wurden in Gwndas Scheune gefangengehalten, bis sie sie rufen ließ.

Cathen blickte zum Schreiber hinüber, der mit dem Knauf seines Dolches auf den Tisch klopfte. Das wäre nicht nötig gewesen, denn in der Halle herrschte bereits Ruhe.

»Wir sind bereit, dich anzuhören, Schwester«, sagte Cathen würdevoll.

Fidelma trat in die Mitte des großen Raumes. Dort stand schon Eadulf Cathen genau gegenüber. »Prinz Cathen, bitte bestätige vor diesem Gericht, daß ich und Bruder Eadulf durch die Genehmigung und Vollmacht von Gwlyddien, deinem Vater, dem König von Dyfed, hier zu sprechen befugt sind.«

»Das wird in vollem Umfang bestätigt. Schwester Fidelma von Cashel und Bruder Eadulf von Seax-mund’s Ham, die in ihrer Heimat als Richter tätig sind, sind im Auftrag meines Vaters, des Königs von Dyfed, nach Pen Caer gekommen. Um die Sache zu erleichtern, hat der König verfügt, sie als ehrenamtliche barnwrs dieses Königreiches anzuerkennen. Wir sind hier, um uns das Resultat ihrer Ermittlungen anzuhören.«

Fidelma blickte sich feierlich um, als sammle sie noch einmal ihre Gedanken, dann wandte sie sich an Prinz Cathen. »Wir sind zusammen mit Bruder Meu-rig nach Llanwnda gekommen, denn zwei Fälle bedurften der Untersuchung. In dem einen Fall hatte uns König Gwlyddien um Hilfe gebeten - es ging um das Verschwinden der Mönche von Llanpadern. Der andere Fall war der, den Bruder Meurig - als erfahrener Richter dazu ausgewählt - untersuchen sollte, nämlich den Tod von Mair, der Tochter von Iorwerth, dem Schmied dieses Ortes.

Anfänglich nahmen wir an, daß diese beiden Fälle nichts miteinander zu tun hätten. Dann fragte ich mich, ob es nicht doch einen Zusammenhang geben könnte, denn bestimmte Personen waren in beide Fälle verwickelt.«

In der Halle war kein Laut zu vernehmen, als Fidelmaeinen Moment lang schwieg.

»Prinz Cathen, mit deiner Erlaubnis werde ich bei der Darlegung beider Fälle mit Mairs Ermordung und dem Resultat beginnen ...«

»Einspruch!« rief Gwnda. »Dieser Fall überschreitet die Kompetenz einer Fremden, ganz gleich was sie für ein Ansehen in ihrem Land genießen mag.«

Cathen brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen. »Ich habe bereits über ihren Aufgabenbereich entschieden«, sagte er streng. »Mein Vater hat verfügt, daß sie auch den Tod von Bruder Meurig untersuchen und Beschuldigungen vorbringen darf. Und da dies der Richter war, der in Mairs Tod ermittelt hat, so meine ich, daß es nun auch zu ihren Pflichten gehört, ihre Beweisführung in diesem Fall vorzutragen.«

»Bruder Meurig ist von Idwal umgebracht worden. Idwal hat auch Mair ermordet. Das Verbrechen sollte zu den Akten gelegt werden«, widersprach Gwnda.

»Leugnest du etwa, daß auch dir schon Zweifel an Idwals Schuld gekommen sind?« fragte Fidelma. »Deine Tochter Elen nahm an, daß man Mair versehentlich umgebracht hat. Weil sie gewisse Verschwörer im Wald belauscht hatte, sollte sie dran glauben, so dachte sie. Stimmt das nicht, Gwnda? Du hast sogar erlaubt, daß Elen mir das mitteilte.«

»Aber ich habe mich ihrer Sicht der Dinge nicht angeschlossen«, erwiderte Gwnda gereizt.

Cathen blickte in Elens von Furcht gezeichnetes Gesicht. »Ist das wahr, Elen? Hast du das gesagt, und hat dein Vater dir erlaubt, darüber mit Schwester Fidelmaund Bruder Eadulf zu sprechen?«

»Es ist wahr«, antwortete ihm Elen ehrlich, froh schien sie darüber aber nicht zu sein.

Cathen schaute wieder zu Fidelma. »Dann ist Gwndas Einspruch abgelehnt. Fahr fort, Fidelma von Cashel.«

Fidelma hielt kurz inne, als ordne sie ihre Gedanken.

»Die Ursprünge dieser Tragödie - und damit meine ich Mairs Tod - reichen viele Jahre zurück. Es ist besser, wenn ich die Geschichte so genau wie möglich wiedergebe. Sollte mir ein Irrtum unterlaufen, werden mich die hier versammelten Zeugen berichtigen. So werdet ihr schließlich erfahren, daß die Hand, die Mair ermordete, nicht die gleiche war, die Bruder Meurig umgebracht hat.«

Gemurmel wurde laut in der Halle. Der Schreiber klopfte auf den Tisch, und es kehrte wieder Ruhe ein.

»Wie ich bereits sagte, die Ursprünge dieser Tragödie reichen viele Jahre zurück und liegen an einem Ort nicht weit von hier, der Dinas heißt«, fuhr Fidelma fort. Goff rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her. »Zwei junge Lehrlinge arbeiteten damals in der Schmiede von Gurgust. Einer der beiden war Goff, der andere Iorwerth, Mairs Vater. Gurgust, der Schmiedemeister, hatte eine Tochter namens Efa.«

Elen lehnte sich neugierig vor.

»Iorwerth schwängerte Efa. In einem Zornesausbruch warf Gurgust seinen Lehrling Iorwerth hinaus. Seine Wut verrauchte nicht, so verstieß er auch seine eigene Tochter. Verzweifelt nach Sicherheit suchend, ließ sich Efa mit einem umherziehenden Krieger ein, den die meisten für den Vater ihres Kindes hielten. Ich kann nur vermuten, was dann geschah, doch ich hoffe, daß die betreffende Person den Mut aufbringt, zu bestätigen, was ich sage. Dieser Krieger tat sich mit Efa zusammen, doch kurz nach der Geburt des Sohnes kam es zu einem heftigen Streit zwischen ihnen. Vielleicht wollte der Krieger einfach nicht das Kind eines anderen Mannes aufziehen.

Der Krieger verschwand. Efa fand man erwürgt, ihr Kind war fort. In glücklicheren Zeiten hatte Gurgust für seine Tochter eine Kette aus Rotgold angefertigt, mit einem juwelenverzierten Anhänger, der einen Hasen darstellte. Diese Kette war auch weg. Man nahm an, der Mörder hätte sie gestohlen.

Ein wenig später tauchte ein Schäfer namens Iolo bei Garn Fechan auf und wurde mit seiner Herde dort ansässig. Er zog einen Jungen namens Idwal auf, der nicht sein leiblicher Sohn war. Hier in Llanwnda heiratete Iorwerth unterdessen ein Mädchen, das Esyllt hieß. Sie hatten eine Tochter, die sie Mair nannten. Iorwerth behandelte seine Frau nicht gut, sie starb früh. Wegen seiner Schuldgefühle verwöhnte er Mair über Gebühr. Idwal, Iolos Pflegesohn, war ein schlichter, freundlicher Junge, und er und Mair fühlten sich auf seltsame Art zueinander hingezogen.«

»Wo steckt Iorwerth überhaupt?« fuhr Gwnda in befehlsgewohntem Ton dazwischen. »Er sollte hier sein, um diese abartige Geschichte zu widerlegen.«

Fidelma schaute zu Goff. »In Iorwerths Abwesenheit können du und deine Frau Rhonwen dem Gericht sagen, ob die Geschichte bisher den Tatsachen entsprach.«

Goff blickte zu Boden. Seine Frau ergriff das Wort.

»Dein Bericht entspricht der Wahrheit. Bisher hast du nichts hinzugefügt. Mein Mann war der zweite Lehrling in Dinas, und, wie alle wissen, war Esyllt, Iorwerths Frau, seinerzeit meine beste Freundin.«

»Was man nicht ahnte«, fuhr Fidelma fort, »war, daß die gegenseitige Anziehung zwischen Idwal und Mair nicht auf sexueller Ebene lag, sondern viel tiefer war. Idwal und Mair hatten den gleichen Vater, wußten es aber nicht.«

»Das mußt du beweisen!« rief Gwnda über den allgemeinen Tumult hinweg, der auf ihre Behauptung hin entstanden war.

»Kurz vor seinem Tod gab Iolo dem kleinen Idwal etwas, das seiner Mutter gehört hatte. Es war eine Kette aus Rotgold mit einem Hasen daran.«

»Idwal ist tot«, rief Gwnda. »Nichts von dieser Geschichte kann bewiesen werden.«

Fidelma lächelte. Sie wandte sich Elen zu.

»Es ist wahr«, flüsterte das Mädchen.

»Sprich lauter, Kind«, sagte Cathen. »Wenn du etwas mitzuteilen hast, so soll es das Gericht hören.«

Elen hob den Kopf. Tränen rannen über ihre Wangen. »Es ist wahr«, sagte sie ein wenig entschlossener. »Der Schäfer Iolo hat Idwal erzählt, von wem die Kette stammte. Als man Idwal des Mordes beschuldigte, wurde ihm klar, daß man ihm seinen kostbaren Besitz wegnehmen würde. Er wollte, daß die Kette in Sicherheit käme, und gab sie mir.«

»Wo ist sie nun?« fragte Cathen.

Fidelma hielt die Kette hoch. »Elen hat sie mir gegeben und mir erklärt, wie sie in ihre Hände gelangt ist. Sie ist so unverwechselbar, daß ich sicher bin, Goff wird sie als ein Schmuckstück erkennen, das sein Schmiedemeister Gurgust angefertigt hat. Efa hat die Kette immer getragen. Goff und Rhonwen hatten sie mir schon beschrieben, als man sie noch verloren glaubte.«

Goff hatte sich erhoben und starrte die Kette an. »Das ist sie«, bestätigte er leise. »Die würde ich immer wiedererkennen.«

Nun ertönte ein Schrei, und Geräusche von einem kleinen Aufruhr wurden laut. Die Augen wandten sich dorthin, wo Iestyn saß. Bisher hatte er mit versteinerter Miene schweigend zugehört, doch jetzt bemühte er sich, aufzustehen. Seine Augen waren weit aufgerissen, das Gesicht vor Haß verzerrt.

»Behauptest du etwa, daß Iorwerth Idwals Vater war?« rief er zornig. Die Wachleute stießen ihn wieder auf seinen Platz zurück.

»Schade, daß Iorwerth nicht hier ist«, murmelte Gwnda. »Er sollte die Anschuldigungen hören. Wenn es stimmt, was du sagst, so würde auch er diese Kette wiedererkennen.«

»Er hat die Kette wiedererkannt«, sagte Fidelma. Iestyns Bemerkung überging sie. »In Bruder Eadulfs Beisein habe ich sie ihm gezeigt.«

»Wo ist er eigentlich?« wollte Gwnda wissen.

»Als er sie erkannt hatte und ihm klar wurde, daß Idwal sein und Efas Sohn war, sind die Nerven mit ihm durchgegangen. Verstehst du, er hat geholfen, seinen Sohn, sein eigen Fleisch und Blut, wegen der Vergewaltigung und dem Mord an seiner Tochter aufzuhängen.«

»Wo steckt er, Schwester?« fragte nun auch Cathen. »Er sollte hier vor Gericht erscheinen.«

Cadell räusperte sich. Auf Fidelmas Wink hin trat er vor. »Mein Prinz, seine Leiche liegt in seiner Schmiede. Im Auftrag von Schwester Fidelma bin ich beim ersten Tageslicht zu einer Stelle im Wald aufgebrochen, die sie mir beschrieben hatte. Dort fand ich den Toten. Er hat sich selbst erhängt. Schwester Fidelmaund Bruder Eadulf haben Iorwerth vergangene Nacht entdeckt und vom Baum abgeschnitten, ehe sie kurz darauf in Clydogs Fänge gerieten.«

Die Menge stöhnte vor Entsetzen auf.

»Iorwerth konnte nicht mit dem Gedanken leben, daß er seinen eigenen Sohn umgebracht hatte«, fuhr Fidelma fort. »Und auch nicht damit, daß es diesen Sohn, wie er glaubte, nach seiner eigenen Schwester gelüstet und er sie ermordet hatte.«

»Dieser Schäfer Iolo, der Idwal aufzog, war das der Krieger, von dem du gesprochen hast?« erkundigte sich Cathen. »War Iolo derjenige, mit dem sich die unglückliche Efa zusammengetan hatte, nachdem sie von Iorwerth schwanger war?«

Zu aller Überraschung schüttelte Fidelma den Kopf. Sie wandte sich Iestyn zu. »Iolo war niemals ein Krieger, nicht wahr, Iestyn?«

Der Bauer starrte finster zu Fidelma hinüber.

»Jetzt mußt du doch nichts mehr abstreiten, oder? Es gibt Leute hier, die wissen, daß du in deiner Jugend ein Krieger gewesen bist. Und daß du Iolos Bruder bist. Ich schätze, Iolo hatte Mitleid mit dem kleinen Kind und hielt es für deins? So nahm er Idwal in Pflege, und du hast ihm Efas Kette gegeben. Ist es so gewesen?«

Iestyn sagte nichts.

»Später warst du zu alt für das Kriegshandwerk und hast dich als Bauer in Pen Caer niedergelassen. Idwal hat dir nichts bedeutet, außer daß er dich ständig an deine Vergangenheit erinnerte. Jedesmal, wenn du ihn sahst, hat er dich an Efa gemahnt. Ich schätze, daß du Efa umgebracht hast, nicht wahr?«

Iestyn schaute mit haßerfüllten Augen auf.

»Das wirst du nie beweisen können, Gwyddel«, stieß er hervor.

»Ich glaube nicht, daß das nötig ist. Dein Anteil an der Verschwörung von Llanpadern, auf die ich noch zu sprechen komme, ist Verbrechen genug, um dich zu bestrafen. Dennoch ist es gut, diese Geschichte zu klären. Es genügt mir, daß du nichts abstreitest. Als Iolo starb, warst du Erbe seines Besitzes, und als erstes hast du Idwal rausgeworfen, der nun ganz auf sich gestellt war. Er mußte als umherziehender Hirte seinen Unterhalt verdienen, blieb jedoch in dieser Gegend und war dir, ohne es selbst zu wissen, stets ein Dorn im Auge.

Als Idwal des Mordes an Mair angeklagt wurde, dachtest du, dies sei die Chance, den Jungen und mit ihm deine Schuldgefühle loszuwerden. Also hast du den Rachefeldzug gegen ihn angeführt. Du hast die Bewohner zu einem solchen Haß aufgestachelt, daß sie das Gesetz selbst in die Hand nahmen. Deine Schuld war auch das Motiv für deine Beteiligung an Idwals Hinrichtung.«

»Ich habe das nicht allein getan!« rief Iestyn.

»Das stimmt. Mitschuld trägt jeder, der bei Idwals Ermordung dabei war. Doch am tragischsten war Iorwerths Rolle, Idwals leiblichem Vater, und wegen dieses Verbrechens hat er sich dann selbst gerichtet.«

»Einen Augenblick, Schwester Fidelma.« Cathen unterbrach sie nachdenklich. »Du hast uns eine furchtbare Geschichte erzählt, und es scheint, als würden genügend Leute sie bestätigen können. Und du sagst, daß Idwals Tod ein Verbrechen ist. Das mag sein. Doch was ist mit den Verbrechen, die an Mair und Bruder Meurig begangen wurden? Was immer Iestyn in der Vergangenheit auf dem Kerbholz hat, du scheinst ihn nicht wegen dieser Morde anzuklagen, Idwal aber hast du auch noch nicht freigesprochen.«

Fidelma neigte leicht den Kopf und lächelte. »Du bist ein kluger Richter, Prinz Cathen. Bisher haben wir nur das Feld abgesteckt und versucht, den Nebel aufzulösen, der die zentrale Handlung dieser Tragödie verdunkelte.«

Wieder legte sie eine Pause ein.

»Iorwerth glaubte nur das Beste von seiner Tochter Mair. So behauptete er, sie sei noch Jungfrau gewesen und beschuldigte Idwal, sie vergewaltigt zu haben. Mair hatte jedoch schon sexuelle Erfahrungen gemacht. Ihre Freundinnen wußten, daß sie mehrere Männer kannte und vor allem reifere Männer vorzog. Sie hatte einen Liebhaber.«

»Das ist eine gefährliche Mutmaßung. So etwas darfst du nur behaupten, wenn du Beweise hast ...«, warnte Cathen sie.

»Oh, wenn es erforderlich ist, kann ich mehrere Zeugen aufrufen, die es bestätigen. Sogar Elen, Gwndas Tochter. Meinst du, daß das zu diesem Zeitpunkt notwendig ist?«

»Nun gut. Im Moment ist es nicht notwendig, aber sei darauf vorbereitet, wenn man dich dazu auffordert.«

»Ich bin darauf gefaßt. Mair hat Elen gegenüber, ihrer besten Freundin, damit geprahlt, sie hätte mit einem Mann eine Beziehung begonnen, der älter sei als sie. An dem Morgen, als sie umgebracht wurde, traf sie im Wald auf Idwal. Er wußte von ihren Affären. Aus moralischen Gründen lehnte er es ab, eine Nachricht an Mairs Liebhaber zu überbringen. Darüber gerieten sie in einen heftigen Streit, was Iestyn bemerkte, als er ihnen im Wald zufällig begegnete.

Iestyn war also Zeuge ihrer Auseinandersetzung und eilte zu Iorwerth, um ihn aufzuhetzen, indem er behauptete, ihr Streit sei weitaus gefährlicher als eine normale Meinungsverschiedenheit. Ich glaube Iestyn gern, daß er nicht ahnen konnte, daß die Sache mit Mairs Tod enden würde, doch als es dann so war, paßte es ihm gut in den Plan. Wahrscheinlich wollte er nur, daß man Idwal aus dieser Gegend hier verjagte. Doch klagte man Idwal des Mordes an, so wäre er ihn auch für immer los.«

»Halt! Das geht mir zu schnell«, meldete sich Ca-then zu Wort. »Willst du damit sagen, daß Idwal Mair nicht ermordet hat?«

»Er hat sie nicht umgebracht. Iestyn, der zu Ior-werth eilte, ist im Wald an jemand anderem vorbeigelaufen. Er hat diese Person kaum bemerkt, so sehr konzentrierte er sich auf sein Vorhaben. Inzwischen hatte Idwal es endgültig abgelehnt, Mairs Liebhaber zu benachrichtigen. Er war voller Zorn weggerannt und hatte Mair allein gelassen. Der Mörder näherte sich Mair, und Mair bat in ihrer Naivität diese Person, die Botschaft zu übermitteln.«

»Warum in ihrer Naivität?« fragte Cathen.

»Weil die Person, die sie um den Gefallen bat, viele Jahre lang die Geliebte von Mairs älterem Liebhaber gewesen war. Diese fühlte sich jetzt von dem jungen Mädchen verdrängt. Sie hatte bereits vermutet, daß es Mair war, die die Gunst jenes Mannes errungen hatte, und haßte sie dafür. Als Mair sie nun bat, eine Liebes-botschaft zu überbringen, geriet sie außer sich und erwürgte Mair mit ihren starken Händen. War es nicht so, Buddog?«

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