»So, was wollt ihr sonst noch außer unserer Gastfreundschaft? Selten kommen Fremde her, bloß um uns um Kost und Logis zu bitten, am wenigsten die Angelsachsen.« Goff, der Schmied, blickte Eadulf mißtrauisch an.
»Wir sind im Auftrag deines Königs Gwlyddien unterwegs, um den Fall der verschwundenen Klostergemeinschaft von Llanpadern zu untersuchen .«
Das Gesicht des Schmieds verfinsterte sich. Den bläßlichen Jungen, der neben ihm stand, schien diese Mitteilung auch nicht zu freuen.
»Gwnda, Fürst von Pen Caer, hat uns gesagt, jemand, der Dewi heißt, wüßte etwas darüber.«
Zögernd zeigte der Schmied auf den Jungen neben sich. »Das ist mein Sohn Dewi. Ich habe ihn nach dem heiligen Gründer unserer Kirche genannt.«
Fidelma lächelte den Jungen an, der offenbar Angst hatte. »Dann haben wir einiges zu besprechen. Dürfen wir euch um eine Mahlzeit bitten und uns an eurem Feuer wärmen, während wir uns über die Vorkommnisse im Kloster unterhalten?«
Der Schmied zögerte kurz, dann sagte er: »Wenn ihr wirklich von geistlichem Stand seid, so seid ihr an meinem Feuer willkommen. Laßt uns zu meinem Haus gehen.«
Er wandte sich an einen der anderen Männer, die sich um den alten Mann geschart hatten, auf den sie zuerst gestoßen waren und der sie nun voller Haß anstarrte.
»Kümmre du dich inzwischen um das Schmiedefeuer«, wies ihn Goff an. Der Mann wollte schon losgehen, da bat ihn Fidelma: »Kannst du auch unsere Pferde versorgen? Sie müssen abgerieben werden und brauchen Wasser und Futter.«
»Erledige das«, ordnete Goff an.
Fidelma und Eadulf murmelten Dankesworte, dann folgten sie Goff und Dewi über einen Hof und eine kleine Steigung zu dem größeren Gebäude, das, wie Fidelma richtig bemerkt hatte, alle Merkmale einer Herberge aufwies. Wie in ihrem Heimatland konnte man hier gegen Bezahlung eine Mahlzeit und ein Bett erhalten.
Eine Frau mit rundem Gesicht stand vor einem Kochtopf, der über einem munter lodernden Feuer hing.
»Rhonwen!« rief der Schmied. »Wir haben Gäste. Reisende von geistlichem Stand.«
Die Frau trat auf sie zu und wischte sich die Hände an der Schürze ab, die sie um ihren fülligen Leib trug.
»Das ist Rhonwen, meine Frau«, erklärte Goff.
»Habt ihr schon gefrühstückt, Schwester?« fragte sie freundlich. »Kann ich euch etwas zu essen und zu trinken holen?«
Bald standen frisches Brot und Bretter mit kaltem Braten und Käse vor ihnen auf dem Tisch. Der Schmied und sein Sohn leisteten ihnen beim Met Gesellschaft.
Fidelma hatte aus ihrem marsupium das Pergament mit König Gwlyddiens Siegel herausgeholt und hielt es dem Schmied hin. Er blickte darauf und reichte es mit einem Achselzucken seinem Sohn.
»Dewi kann lesen«, murmelte er kleinlaut.
»Das ist eine Vollmacht des Königs, Vater. Die Gwyddel ist eine Richterin, wie unser barnwr.«
»Na schön. Was können wir dir von Llanpadern berichten, Schwester?« fragte der Schmied. »Wir wissen, daß das Kloster überfallen wurde.«
»Das hat Dewi bereits Gwnda mitgeteilt.« Eadulf beteiligte sich zum erstenmal an der Unterhaltung. »Erzähl uns von dem Überfall.«
Der Junge blickte zu seinem Vater, der mit einem Nicken seine Zustimmung gab.
»Wir erfuhren, daß vor fast einer Woche ein sächsisches Kriegsschiff bei Penmorfa vor Anker ging«, fing Dewi an. »Dann fand man sieben Mönche tot in der Nähe der Klippen. Alle waren umgebracht worden. Es lag auf der Hand, wer ihren Tod zu verantworten hatte.«
Fidelma sah ihn neugierig an. »Warum lag das auf der Hand?« wollte sie wissen.
»Einen Augenblick, Schwester.« Der Schmied erhob sich und ging zu einer Truhe am Ende des Raumes. Er kehrte mit dem runden Schild eines Kriegers, einem zerbrochenen Schwert und einem Messer zurück. »Das hat man bei den Leichen der Mönche gefunden. Soll ich euch die Herkunft dieser Gegenstände erklären oder könnt ihr sie selbst feststellen?«
Eadulf untersuchte mit besorgter Miene die Kennzeichnungen. Noch ehe er etwas sagen konnte, wußte Fidelma schon, was es sein würde.
»Es waren Hwicce«, erklärte er.
»Bist du ganz sicher?« fragte sie.
Eadulf nickte. »Siehst du den doppelten Blitz auf dem Schild? Das ist das Symbol von Thunor, dem Gott des Blitzes. Wenn das nicht ausreicht, so kann man an der Nietung und der Fertigung des Kriegsgeräts erkennen ...«
»Wirklich!« Der Schmied lächelte boshaft. »Kein Britannier würde so etwas herstellen. Es sind eindeutig ein sächsischer Schild und sächsische Waffen.«
»Und du sagst, das hat man bei den Leichen der Mönche gefunden? Wer hat die Leichen denn entdeckt?« fragte Fidelma scharf.
»Reisende Händler. Dewi ging dann mit zwei Freunden nach Penmorfa, um zu prüfen, ob ihre Geschichte stimmte.«
»Dewi, hast du dort irgendwelche Angelsachsen gesehen?«
Der Junge schüttelte den Kopf. »Da waren nur die toten Mönche.«
»Hast du ein sächsisches Schiff bemerkt?« fragte sie weiter.
Der Vater lachte verbittert. »Die Angelsachsen sind schnell beim Plündern. Sie kommen, und schon sind sie wieder fort. Sie warten nicht, bis man zurückschlägt.«
»Ich muß mehr über die Leichen wissen, Dewi«, sagte Fidelma.
»Was gibt es da noch zu berichten?« antwortete der Junge verunsichert.
»Weißt du, ob es Mönche aus Llanpadern waren? Wie haben sie dagelegen? Wie sind sie umgebracht worden?«
Dewi dachte einen Moment nach, ehe er antwortete. »Ich bin oft in Llanpadern gewesen, und so habe ich zwei oder drei der Brüder wiedererkannt.«
»Kanntest du Bruder Rhun?«
»Den Sohn des Königs? Er war der oberste Verwalter des Klosters Llanpadern. Er machte die Geschäfte mit den Händlern und Kaufleuten. Ich bin ihm häufig begegnet.«
»Mein Sohn fährt unser Fuhrwerk. Er bringt die Sachen, die ich anfertige, zu jenen, die nicht zur Schmiede kommen können, um sie abzuholen«, erklärte sein Vater.
»Ich erinnere mich, daß es im Kloster auch eine Schmiede gibt«, sagte Eadulf nachdenklich. »Neben der Scheune.«
»Das Kloster hat eine eigene Schmiede, doch ab und zu braucht man zusätzliche Hilfe, oder es fehlt an Material. Nicht wahr, Vater?«
Goff nickte langsam.
»Deinen Worten entnehme ich, daß Bruder Rhun nicht unter den Toten war?« erkundigte sich Fidel-ma.
»Ich habe nur zwei der getöteten Brüder wiedererkannt. Er war nicht dabei.«
»Und du bist dir sicher, daß alle dem Kloster angehört haben?«
»Ja.«
»Und es waren sieben Leichen?«
»Sieben«, bestätigte der Junge.
»Wie hat man sie getötet?«
»Durch Schwerthiebe, glaube ich.«
»Auf welche Weise?« drang Fidelma weiter in ihn.
»Man hat sie in den Nacken geschlagen.« Offensichtlich hatte der Junge begriffen, was man von ihm wollte. »Einen hatte es von vorn erwischt, ins Herz, einem anderen war der Bauch von unten aufgeschlitzt. Sie lagen alle dicht beieinander, als hätte man sie zusammengedrängt, als man sie umbrachte.«
»Sie lagen also in einer Art Gruppe, sagst du? Wo fand man dann den Schild und die Waffen?«
»Genau daneben.«
»Genau daneben?« Sie nahm das zerbrochene Schwert in die Hand. »Wie genau hat es neben den Leichen gelegen?«
»Es hat zu Füßen eines der Mönche gelegen.«
»Hast du das Blut abgewaschen?« Die Waffe, die sie hielt, war sauber und glänzte beinah.
»Nein, wir haben das Schwert so gefunden«, warf Goff ein.
»Und wo ist der andere Teil des Schwerts? Steckt es in einer der Leichen?«
»Nein, die Wunden waren ...« Dewi hielt plötzlich inne, denn ihm wurde die Bedeutung ihrer Frage klar.
»Und das Messer und der Schild? Lagen sie auch einfach daneben?«
Der Junge überlegte. »Der Schild lag auf einer der Leichen und das Messer neben einer anderen.«
»Was ist geschehen, nachdem ihr die Leichen entdeckt hattet?«
Jetzt antwortete Goff.
»Dewi kehrte zurück, um mich und ein paar andere Männer nach Penmorfa zu holen. Ich nahm die Waffen an mich und untersuchte die Leichen; ich wollte feststellen, wer die Toten waren. Doch es gab keine Hinweise auf ihre Person. Keine Schmuckstücke oder Kreuze - rein gar nichts. Also haben wir sie bei den Klippen begraben, wo sie ihr Leben gelassen hatten.«
»Bist du sicher, daß sie wirklich an dieser Stelle umgebracht wurden?«
»Aber ja. Die Erde um sie herum war mit Blut getränkt.«
»Und dann?«
»Als wir uns alles genau angesehen hatten, sagte ich meinem Sohn, daß er nach Llanwnda reiten solle, um Gwnda, Fürst von Pen Caer, von unserer grausamen Entdeckung zu berichten. Von dem Gemetzel und dem angelsächsischen Kriegsschiff, das man vor der Küste gesichtet hatte. Es brauchte nicht viel Einbildung, um sich auszumalen, was da geschehen war.«
»Daß angelsächsische Seeräuber das Kloster von Llanpadern überfallen haben? Bist du sicher?« fragte Fidelma. »Bist du davon überzeugt, daß sie, aus welchem Grund auch immer, die Mönche verschleppt haben und bei den Klippen sieben von ihnen umbrachten, ehe sie wieder auf ihr Kriegsschiff zurückkehrten?«
»Natürlich. So muß es gewesen sein.«
»Weißt du, daß es in Llanpadern selbst keine Hinweise auf einen Überfall gibt? Nicht ein Gebäude ist dort niedergebrannt oder zerstört. Es gibt auch keinerlei Anzeichen dafür, daß Mönche getötet wurden.«
»Aber ...«, hob Eadulf an. Fidelma brachte ihn mit einem strengen Blick zum Schweigen.
»Ist jenes Schiff später noch einmal aufgekreuzt?« fragte sie.
»Wegen derartiger Überfälle haben wir entlang der Küste eine Wache eingerichtet. Das Schiff ist nicht noch einmal gesichtet worden.«
Fidelma unterdrückte einen Seufzer. »Du hast uns sehr geholfen, Goff. Du auch, Dewi.«
»Wo reitet ihr als nächstes hin?« fragte Goff und schenkte ihnen Met nach.
»Nach Llanwnda zurück. Dort werden wir mit unserem Gefährten von der Abtei Dewi Sant zusammentreffen.«
»Ich habe gehört, daß es in Llanwnda auch Ärger gibt.«
»Ja, das stimmt«, bestätigte Eadulf und biß genußvoll in ein Stück Brot. »Unser Reisebegleiter Bruder Meurig untersucht .«
»Meurig, der barnwr?« Rhonwen trat an den Tisch, ihr rundliches Gesicht war auf einmal ganz ernst. »Untersucht er den Tod der armen Mair?«
»Hast du Mair gekannt?« fragte Fidelma.
»Schwester, wir stehen hier alle unter dem Schutz von Pen Caer« - Goff nickte in die Richtung, wo in der Ferne der Berg dieses Namens lag - »und sind nur eine kleine Gemeinde. Außerdem ist Iorwerth ein Zunftgenosse, und Neuigkeiten gelangen rasch von Schmiede zu Schmiede.«
»Dann kennst du also Iorwerth?«
»Wir haben in derselben Schmiede gelernt. Zwei Jahre lang habe ich mir mit ihm eine Kammer geteilt, dann wurde er von unserem Lehrmeister rausgeschmissen.«
Das weckte Fidelmas Neugier. »Rausgeschmissen? Warum denn das?«
»Ganz einfach, Schwester. Unser Lehrmeister hatte eine Tochter. Manchmal bin ich nachts aufgewacht und habe das Lager meines Gefährten leer vorgefunden. Du verstehst?«
»Ich glaube schon«, antwortete Fidelma.
»Bei Iorwerth ging es eher um Lust als um Liebe«, sagte Goff mißbilligend. »Ich glaube nicht, daß er jemals irgendwen wirklich mochte. Vielleicht nicht einmal seine Tochter. Seine Frau starb vor ein paar Jahren, und er hat nur kurze Zeit um sie getrauert.«
»Ja, sehr kurze.« Rhonwen setzte sich mit an den Tisch. Goff und sie schienen sich auch ohne Worte zu verstehen.
»Ich denke, wir brauchen dich hier nicht mehr, Dewi«, sagte Goff. »Geh zur Schmiede hinunter und schau nach, ob dort alles in Ordnung ist.«
Zögernd stand der Junge auf und ließ sie allein. Dann lehnte sich Rhonwen vor.
»Iorwerths Frau war meine Freundin. Esyllt war ein wunderschönes Mädchen. Nur Gott allein weiß, was sie veranlaßte, Iorwerth zu heiraten. Dieser Ehe hatte der Himmel nicht gerade seinen Segen erteilt. Ihr Tod war beinah vorhersehbar.«
»Wieso?« erkundigte sich Fidelma.
»Sie wurde einfach krank und starb eines Tages. Du weißt doch, wie das geht? Irgendein Fieber. Das Fieber hat sie hinweggerafft, die Arme. Doch sie ist jetzt sicher an einem besseren Ort als zu Lebzeiten. Iorwerth ist ein engstirniger, rachsüchtiger Kerl. Ich habe mich oft gefragt, warum die arme Esyllt bei ihm blieb. Als wir erfuhren, daß Iorwerth sie prügelte, habe ich ihr vorgeschlagen, bei uns zu leben. Schließlich war Esyllt meine engste und liebste Freundin.«
»Sag mir, Goff, wo wohnte dieser Schmiedemeister, bei dem du und Iorwerth in der Lehre wart?«
»Er war Schmied in Dinas. Er hieß Gurgust aus Dinas. Armer Mann.«
Fidelma zog eine Augenbraue hoch. »Armer Mann?«
»Seine Tochter, weißt du.«
»Armer Mann, weil seine Tochter sich mit Iorwerth eingelassen hatte?«
Goff schüttelte den Kopf. »Nein, sondern wegen der Dinge, die sich später ereigneten. Ein paar Wochen nachdem Iorwerth aus Dinas verschwinden mußte, weil Gurgust entdeckt hatte, daß seine Tochter - Efa war ihr Name - auf Iorwerth hereingefallen war. Gurgust war so wütend, daß er auch noch seine Tochter aus dem Hause jagte.«
»Ist sie Iorwerth gefolgt?«
»Nein. Der hatte sich bereits aus dem Staub gemacht, Efa war ganz auf sich gestellt. Sie hat sich mit einem umherziehenden Krieger zusammengetan und auch ein Kind mit ihm gehabt. Dann starb Efa.«
»Im Wochenbett?«
»Als ihr Kind erst ein paar Monate alt war, fand man sie im nahe gelegenen Wald erwürgt.«
»Erwürgt?« fragte Fidelma bestürzt und stellte vorsichtig ihren Becher mit Met ab.
»Das war alles sehr traurig. Der arme Gurgust gab danach seine Schmiede auf. Ich erfuhr, daß er versuchte, Efas Kind zu finden, um es in seine Obhut zu nehmen.«
»Ist ihm das gelungen?«
»Nicht daß ich wüßte! Der Krieger hatte das Kind schon weggegeben und sich in ein Heer eingegliedert, das auf Ceredigion zumarschierte. Ich verließ Dinas und zog hier in die Schmiede von Llanferran. Erst einige Jahre später erfuhr ich, daß Gurgust bei einem der Kämpfe an der Grenze umgekommen war. Trotz seiner Strenge hatte er seine Tochter Efa sehr lieb, und als sie umgebracht worden war .« Nun zuckte er nur noch mit der Schulter.
»Hat man je herausgefunden, wer für Efas Tod verantwortlich war?« fragte Fidelma, als er schwieg.
Goff schüttelte den Kopf. »Es gab Gerüchte, daß der Krieger, der sich ihrer angenommen hatte, sie ermordet hätte. Doch niemand wußte, wer er war, und man hat ihn auch nie gefunden. Manche behaupteten sogar, daß Iorwerth selbst es getan hätte.«
»Ist Iorwerth jemals in dieser Sache verhört worden?«
Goff überraschte Fidelmas Frage nicht. In all den Jahren hatte er immer wieder darüber nachgedacht.
»Natürlich. Iorwerth war aus Dinas fortgegangen, gleich nachdem Gurgust ihn weggejagt hatte. Zumindest konnte ihn niemand finden. Man nahm an, daß er ebenfalls in einem der Heere diente, die in Ceredigion einfielen. Einige Jahre später hörte man, daß er in Llanwnda seine eigene Schmiede aufgebaut hatte. Er heiratete Esyllt, die Freundin meiner Frau, und Mair wurde geboren. Außer irgendwelchen Vermutungen gab es keinerlei Hinweise darauf, daß er etwas mit Efas Tod zu tun hatte. Einige meinten, ein umherziehender Bettler hätte sie getötet, denn die Goldkette, die sie immer getragen hatte - eine Kette aus Rotgold, die Gurgust für sie angefertigt und die sie sehr geliebt hatte -, fehlte. An der Kette befand sich ein goldener Anhänger mit einem Edelstein in Gestalt eines Hasen, dem Symbol von Andrasta, der alten heidnischen Göttin meines Volkes.«
»Andrasta?« erkundigte sich Fidelma. »Von dieser Göttin habe ich noch nie gehört.«
»Es heißt, daß die große Königin Boudicca sie anrief, ehe sie die Römer vor langer, langer Zeit aus ihrem Königreich im Osten Britanniens verjagte«, erklärte ihr Goff.
»Und diese Goldkette samt Anhänger fehlte?«
»Ja. Man schloß daraus, daß Efa ausgeraubt und dann erwürgt worden war.«
»Dennoch fiel Verdacht auf Iorwerth?«
»Er ist ein ausgesprochen böser Mensch, Schwester«, meldete sich Rhonwen zu Wort. »Ich traue ihm ohne weiteres einen Mord zu.«
Einen Augenblick lang überlegte Fidelma. »Ist Dinas weit von hier entfernt?«
»Hier an der Küste entlang schon. Doch wenn man der Küste ein paar Meilen nordwestlich von Llanwnda folgt und dann ein Boot über die große Bucht nimmt, so liegt die Insel Dinas auf der anderen Seite - etwa fünf Meilen weit. Sie wird häufig von Ceredigion aus angegriffen. Gurgust und seine Tochter Efa sind dort schon längst vergessen. Das alles geschah vor zwanzig oder mehr Jahren.«
»Es ist merkwürdig, daß Gurgusts Tochter und Iorwerths Tochter unter ähnlichen Umständen umgekommen sind,« stellte Fidelma nachdenklich fest.
»Was für eine Verbindung sollte es zwischen den beiden Fällen geben?« fragte Goff.
»Du hast gesagt, daß Gurgust bei einer Grenzfehde ums Leben kam?«
»Ja.«
»Bist du ganz sicher?«
»So habe ich es gehört.« Auf einmal leuchteten die Augen des Schmieds auf. »Wenn Gurgust noch am Leben wäre und überzeugt davon, daß Iorwerth seine Tochter umgebracht hat, dann hätte er sich längst gerächt. Gurgust ist schon lange tot.«
Rhonwen neigte sich über den Tisch und legte eine Hand auf seinen Arm. »Dennoch mag die gute Schwester einen Grund haben, so zu fragen. Meinst du, Id-wal hat nicht schuld an Mairs Tod? Glaubt Bruder Meurig das auch?«
»Du hast uns erklärt, den Überfall auf das Kloster Llanpadern zu untersuchen«, warf Goff dazwischen, ehe Fidelma etwas sagen konnte. »Weshalb interessierst du dich dann für Mairs Tod?«
Fidelma beruhigte ihn. »Wir sind zusammen mit Bruder Meurig nach Llanwnda geritten. Er soll den Mord dort aufklären. Es ist nur natürlich, daß dieser Fall auch unsere Aufmerksamkeit weckte. Und wenn wir Bruder Meurig helfen können, tun wir es gern.«
»Also glaubst du, daß Idwal unschuldig ist«, warf Rhonwen scharfsinnig ein. »Kein Richter würde seine Zeit mit so etwas verschwenden, wenn er nicht vermutete, daß die Dinge anders liegen, als es scheint.«
»Wie gut kennt ihr Idwal?«
»Wie Goff schon sagte, wir sind eine kleine Gemeinde«, erwiderte Rhonwen.
»Was hältst du von ihm?«
»Was ich von ihm halte?« fragte Rhonwen erstaunt.
»Traust du ihm einen Mord zu?«
»Wem ist ein Mord zuzutrauen und wem nicht unter den entsprechenden Bedingungen?« entgegnete Goff. »Uns allen ist ein Mord zuzutrauen, meine ich.«
»Ich glaube, Schwester Fidelma möchte wissen, wie ihr Idwal einschätzt. Ist er ein liebenswerter Junge? Würde er jemanden ohne Grund töten?«
Goff rieb sich die Nase. »Er ist ein Idiot.«
Rhonwen stieß einen mißbilligenden Laut aus und schüttelte den Kopf. Fidelma wandte sich an sie.
»Du siehst das wohl anders?«
»Er ist kein Schwachkopf. Er ist einfach langsam. Fast wie ein Kind. Er hatte keine schöne Kindheit, nachdem Iolo, der Schäfer, gestorben war. Iolo hat den Jungen schon als Säugling zu sich genommen. Id-wal war noch sehr klein, als ihn Iestyn, Iolos Bruder, nicht mehr haben wollte. Später mußte sich Idwal als umherziehender Hirte selbst ernähren.«
»Ich streite ja gar nicht ab, daß der Junge ein gutmütiger Kerl ist«, gab Goff zu. »Das kann man nicht leugnen. Immer, wenn eines seiner Lämmer stirbt, weint er bitterlich. Doch wer weiß, was ihn zu dieser Tat getrieben hat? Wir alle tragen den Instinkt zum Töten in uns, wenn es die Umstände von uns verlangen. Der Junge war immer sehr verschlossen. Er behielt seine Gedanken für sich. Wer weiß schon, welcher Zorn in seinem Inneren gewütet haben mag?«
»Also glaubst du auch an seine Schuld?« fragte Eadulf.
»Ich vertraue den Äußerungen von Männern, deren Meinung ich schätze.«
»Und wessen Meinung schätzt du? Wer hat dir gesagt, daß Idwal schuldig ist?« fragte Fidelma leicht aufgebracht.
»Nun, Iestyn aus Llanwnda natürlich.«
Rhonwens Miene drückte Abscheu aus.
»Du hältst wohl nicht viel von Iestyn, oder?« erkundigte sich Fidelma.
»Wenn ich nur daran denke, daß er Idwal einfach davonjagte ... Und nun besitzt er die Unverfrorenheit, ihn des Mordes zu bezichtigen.«
Goff versuchte sich zu rechtfertigen. »Iestyn ist ein guter Freund von mir. Vielleicht tat er recht daran, den Jungen nicht selbst großzuziehen. Vielleicht hat er die Sache kommen sehen.«
»Ich weiß, daß sich hier alles schnell herumspricht. Aber wann hast du mit Iestyn geredet?« wollte Fidelma wissen.
»Gestern. Er kam mit einem Karren vorbei, der repariert werden mußte.«
»Ich dachte, er sei mit Iorwerth befreundet. Der hätte doch viel schneller helfen können.«
»Mein Mann will sagen«, erklärte Rhonwen, »daß Iestyn eine Wagenladung voller Felle an einen Händler übergeben wollte, als ihm sein Wagen kaputtging. Es war einfacher, ihn hier reparieren zu lassen, als den Karren den ganzen Weg nach Llanwnda zurückzuziehen.«
»Ich verstehe. Iestyn hat euch von dem Mord erzählt und gesagt, daß Idwal der Täter sei.«
»Ja«, antwortete Goff und erhob sich. »Ich muß jetzt in meine Schmiede zurück.«
Fidelma stand auf, Eadulf folgte ihr zögernd.
»Und wir müssen unsere Reise fortsetzen. Doch ich will euch zuvor noch eine einzige Frage stellen.«
Goff machte eine Handbewegung, die darauf schließen ließ, daß er so lange noch Zeit hätte.
»Du sagst, daß die Ortschaften hier in engem Kontakt miteinander stehen, ihr eine kleine Gemeinde seid und jeder den anderen kennt?«
Rhonwen fing an, den Tisch abzuräumen. Sie lächelte. »Wollt ihr etwas über jemanden wissen?«
»Ja, allerdings. Was könnt ihr mir über einen Mann sagen, der sich Clydog Cacynen nennt, oder über einen anderen, der Corryn heißt?«
Der Becher, den Rhonwen gerade in Händen hielt, fiel zu Boden und zerbrach in viele Scherben. Ein Rest von dem Met spritzte über die Holzdielen. Rhonwen entschuldigte sich nervös und sammelte die Scherben auf.
»Wo ist euch der Name Clydog begegnet?« fragte Goff.
»In diesem Gebiet soll sich ein Geächteter aufhalten; man hat uns vor ihm gewarnt«, log Fidelma unbefangen. »Ich möchte einfach nur wissen, um wen es sich handelt.«
»Wenn du etwas über Clydog wissen willst, mußt du Pater Clidro fragen. Er hat einmal den Versuch unternommen, mit ihm einen Frieden auszuhandeln.«
»Aber Pater Clidro ...«, hub Eadulf an.
»Pater Clidro, wie du dich erinnerst, ist nicht mehr in Llanpadern und auch keiner der Mönche des Klosters«, warf Fidelma rasch ein, wobei sie Eadulf warnend anblickte.
»Und wir haben euch alles gesagt, was wir wissen«, erwiderte Goff entschieden. »Ich könnte nur noch einmal das wiederholen, was ihr ohnehin schon von anderen erfahren habt. Ich kann euch nur eindringlich bitten, Clydog aus dem Weg zu gehen. Für unser Volk ist er eine Geißel. Er hat scharfe Ohren, und er bestraft rasch. Mehr sage ich nicht. Ich wünsche euch viel Glück auf eurer Reise.«
Es war Fidelma und Eadulf nicht entgangen, daß Rhonwen bei der Nennung von Clydogs Namen die Fassung verloren hatte. Sie hatten nun auch lange genug ihre Gastfreundschaft in Anspruch genommen.
Goff lehnte es ab, Geld von ihnen anzunehmen. Er hatte ihnen die Gastfreundschaft ja schließlich angeboten, wie er sagte. Er äußerte die bei solchen Gelegenheiten üblichen Worte, daß es mehr wert sei als Silber und Gold, wenn die frommen Leute für ihn und seine Familie beteten. Fidelma und Eadulf segneten sie daraufhin. Doch das alles geschah recht förmlich und ohne besondere Herzlichkeit.
Dann nahmen Fidelma und Eadulf an der Schmiede aus Dewis Händen ihre Pferde in Empfang, ließen sich von dem Jungen den Weg nach Llanwnda zeigen und ritten los.
»Sehr merkwürdig«, sagte Eadulf, nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander hergeritten waren.
Fidelma, in Gedanken versunken, blickte ihn an. »Was?«
»Erinnerst du dich an Rhonwens Reaktion, als wir nach Clydog fragten? Auch der Schmied wurde wortkarg und schien sich zu fürchten.«
»Zweifellos hat das einen Grund«, stimmte sie ihm zu. »Leider können wir von Pater Clidro nichts mehr über Clydog erfahren. Ich vermute, daß er auch vor Raub und Plünderung nicht zurückschreckt.«
»Ehe wir es nicht von ihm selbst hören, was ich aber nicht empfehle«, erwiderte Eadulf ironisch, »werden wir nicht dahinterkommen, glaube ich. Doch was das Verschwinden der Brüder von Llanpadern betrifft, können wir meines Erachtens Gwlyddien nun die Lösung des Rätsels liefern, sosehr sie mich auch beschämt.«
Fidelma lachte auf. »Eine Erklärung hätten wir zu bieten, aber ob es die richtige ist? Komm, ich möchte deine Version hören.«
Ihre Skepsis machte Eadulf ein wenig betroffen. »Meine Erklärung ist die gleiche wie vorher.«
»Und die wäre .?«
»Ich nehme mein Volk nicht in Schutz, du weißt selbst, daß viele angelsächsische Schiffe die Küsten hier bedrohen und Güter und Sklaven erbeuten. Ein Schiff der Hwicce ist vor Anker gegangen, und die Leute haben darauf das Kloster Llanpadern überfallen. Dabei wurde einer der Hwicce getötet . Der Mann, den wir in dem Sarg gefunden haben. Dann schleppten die Angreifer ihre Gefangenen zum Schiff. Als sie die Klippen erreichten, von denen man ihr Schiff sehen konnte, geschah etwas Unerwartetes.
Vielleicht versuchte jemand zu fliehen. Sieben der Mönche wurden daraufhin niedergemetzelt. Die Waffen und ein Schild der Hwicce weisen darauf hin, wer die Täter waren.«
Fidelma blickte ihren Gefährten zweifelnd an. »Die Theorie ist gut«, gab sie zu.
Eadulf zog verärgert die Stirn kraus. »Die Theorie? Kannst du ihr nicht folgen?«
»Nicht so, wie du sie darlegst. Du vergißt, daß Pater Clidro nicht zum Zeitpunkt des Überfalls umgebracht wurde. Als wir ihn fanden, war er noch nicht lange tot.«
»Das hatte ich ganz vergessen«, erwiderte Eadulf enttäuscht.
»Ich glaube aber, daß du in bestimmten Punkten recht hast. Ein sächsisches Schiff . Ich weiß nicht genau, ob es aus dem Königreich kam, das du erwähnt hast. Doch wenn wirklich ein sächsisches Schiff vor der Küste ankerte, wie Goff ja auch sagte, dann hat es sicher eine Rolle bei dem Überfall auf Llanpadern gespielt, ganz gleich, was da wirklich geschehen sein mag.«
»Der Rest meiner Theorie stimmt«, meinte Eadulf hartnäckig.
»Die Fakten sprechen aber eine andere Sprache. Vergiß einfach, daß du ein Sachse bist.«
Eadulf grinste amüsiert. »Das ist ziemlich schwierig in diesem Land hier, wo ich ständig daran erinnert werde«, gab er trocken zu bedenken.
»Was geschieht denn gewöhnlich, wenn deine Landsleute eine Ortschaft plündern? Es gab eine Reihe solcher Überfälle in Laigin und Muman, wir kennen das. Also, wie gehen sie immer vor?«
Eadulf schwieg.
»Sie brennen alles nieder, zerstören alles und schleppen ihre Beute fort«, begann Fidelma, ohne auf seine Antwort zu warten. »Sie nehmen junge Männer und Mädchen als Sklaven mit, die anderen werden umgebracht. Welche Anhaltspunkte gibt es dafür, daß so etwas auch in Llanpadern geschehen ist?«
»Pater Clidro ist .«
»Pater Clidro wurde ausgepeitscht, in die Scheune gebracht und dann aufgehängt. Er ist weder von einem Schwert noch von einem Speer niedergestreckt worden. Und offenbar ist er erst gestorben, nachdem das angelsächsische Schiff schon wieder fort war. Wo war er während des Überfalls?«
Eadulf mußte zugeben, daß seine Theorie hier nicht stimmte. Auch ihm war das merkwürdig erschienen, doch er hatte keine logische Erklärung dafür finden können.
»Doch was ist mit den sieben ermordeten Brüdern an der Küste? Was ist damit?« protestierte er.
»Das hat damit vielleicht nichts zu tun, Eadulf. Denk mal genau nach. Die meisten von ihnen wurden durch einen Schwerthieb von hinten umgebracht. Ein Hieb in den Nacken. Sie sind alle an der gleichen Stelle getötet worden, was nicht darauf hindeutet, daß sie versucht haben, ihren Häschern zu entkommen, oder? Und nachdem er sieben Mönche umgebracht hat, welcher Krieger würde da sein Schild, ein Messer und ein zerbrochenes Schwert neben den Leichen liegenlassen?«
Eadulf erinnerte sich an die Fragen, die Fidelma Dewi zu dem zerbrochenen Schwert gestellt hatte. Es war kein Blut am Schwert gewesen, und das abgebrochene Stück war nirgendwo zu finden.
»Willst du etwa sagen, das alles sei bewußt inszeniert worden, damit die Leute denken, Sachsen seien dafür verantwortlich?« fragte er bestürzt. »Willst du etwa sagen, daß es keine Sachsen waren?«
Fidelma schüttelte den Kopf. »Der Sachse im Steinsarg und auch das Schiff vor der Küste haben irgendwie damit zu tun. Ich bin mir nur noch nicht sicher, in welcher Weise.«
Überrascht betrachtete er sie. »Doch wenn es nicht wegen des Überfalls war, weshalb sollte ein sächsisches Schiff hier sonst vor Anker gehen?«
»Genau das frage ich mich auch.«
Einen Moment lang schwieg Eadulf. »Dann sind wir wohl mit unserem Latein am Ende.«
Fidelma sah ihn abschätzig an. »Tempus omnia re-velat«, sagte sie tadelnd.
»Die Zeit mag die Dinge zwar ans Licht bringen, aber können wir es uns leisten zu warten?« erwiderte er gereizt.
»Wir müssen warten«, meinte sie ruhig. »Wir müssen Geduld haben.«
»Hast du vergessen, welche Bedrohung für uns von Clydog und seinen Männern ausgeht?«
»Nein, das habe ich nicht. Wie ich dir schon sagte, ich glaube, er ist vielleicht der Schlüssel zu dem Ganzen.«
Die Landschaft, durch die sie nun ritten, fiel zu ihrer Linken in schauerliche Klippen und tief eingeschnittene Felsbuchten ab. Ab und zu konnten sie sehen, wie Seehundjunge im Wasser herumpaddelten. Sie entdeckten ein paar Bussarde, die nach kleinen Säugetieren Ausschau hielten.
Bussarde zogen solche offenen Hügellandschaften vor, durch die sie gerade ritten, denn hier konnten die Greifvögel ohne große Mühe Kaninchen erbeuten. Der Weg führte nun weiter landeinwärts. Auf einem der Hügel konnten sie die Mauerreste einer alten Burg erkennen. Sie umritten den Hügel nach Osten, wo sich hinter dem hohen Berg Pen Caer der Ort Llanwnda verbarg. Eadulf wußte, daß pen soviel wie Kopf bedeutete und caer Festung hieß.
»Ich freue mich schon auf ein Bad und frische trok-kene Kleider«, meinte Eadulf fröhlich, als ihm klar wurde, daß sie nicht weit von Llanwnda entfernt waren.
Noch ehe sie heute morgen Llanferran und die Schmiede erreicht hatten, waren ihre Kleider trocken gewesen. Doch Leinen und Wolle waren rauh geworden von der Nässe und kratzten nun. Eadulf hatte sich in den Jahren, die er in den fünf Königreichen von Eireann lebte, an die irischen Bräuche gewöhnt. Dort nahmen die Menschen täglich ein Bad, meist am Abend, und morgens wuschen sie sich nur Gesicht und Hände. Eadulf hatte soviel Hygiene immer für übertrieben gehalten. In seiner Heimat beschränkte sich das Waschen häufig nur auf ein Abtauchen in einem nahe gelegenen Fluß, und das eher selten. Doch die Iren betrieben ihre Sauberkeit geradezu rituell. Sie verwendeten dabei fettige Klumpen, die sie sleic nannten; sleic ließ Schaum entstehen und wusch den Schmutz fort.
Jetzt vermißte Eadulf das erwärmte Badewasser, das Eintauchen in ein Becken, das man debach nannte und in dem süßlich duftende Kräuter lagen. Auch das energische Abreiben mit einem Leinentuch vermißte er. Nach seiner anfänglichen Scheu vor dem Baden fühlte er sich inzwischen stets erfrischt und belebt nach einer solchen Prozedur.
Fidelma sehnte sich ebenfalls nach einem Bad und neuen Kleidern. Nach der vorigen Nacht kam sie sich besonders beschmutzt vor. Erst nach einer Reihe von Bädern würde sie sich wieder ganz sauber fühlen. Doch da war noch eine andere Sache, wegen der sie gern nach Llanwnda zurückkehrte. Die ganze Zeit hatte sie sich um Idwal Sorgen gemacht. Sie hatte nicht das Gefühl abschütteln können, daß der Junge am Tod von Mair unschuldig war, auch wenn sie da mehr ihrem Instinkt folgte als der Logik. Wie weit war Bruder Meurig wohl mit dem Fall vorangekommen? Vielleicht konnte das, was sie über Mairs Vater Iorwerth erfahren hatten, nützlich sein.
Der Weg führte sie durch ein dichtbewaldetes Tal, hinter dem sich die Siedlung Llanwnda befand. Fidelmawurde auf einmal bewußt, daß dies wahrscheinlich der Wald war, in dem das Mädchen erwürgt worden war. Sie hätte es gern ganz sicher gewußt, hätte sich gern die Stelle angesehen, auch wenn ihr klar war, daß es dort keine Spuren mehr gab. Sie nahm die Orte eines Verbrechens immer in Augenschein, wenn sie es einrichten konnte. So konnte sie sich einen Tathergang besser vorstellen.
Sie teilte Eadulf ihre Gedanken mit, und sein Blick verdüsterte sich.
»Wäre es nicht besser, sich aus Bruder Meurigs Fall rauszuhalten?«
»Raushalten? Warum?« fragte Fidelma verärgert. »Eadulf, du weißt, ich als eine dalaigh kann nicht einfach so dabeistehen und ein Verbrechen mit ansehen.«
»Doch es ist nicht dein ...«
»Nicht mein Land? Du hast bei unseren vorigen Fällen auch nicht gesagt, daß du als Sachse dich nicht einmischen kannst! Ein Verbrechen bleibt ein Verbrechen, ganz gleich, wo es geschieht. Justitia omnibus -Gerechtigkeit für alle.«
»Ich wollte nur sagen ...«, versuchte sich Eadulf zu verteidigen.
Mit einer Handbewegung brachte sie ihn zum Schweigen. »Ich weiß schon, was du sagen wolltest.«
Eine unbehagliche Pause folgte.
Plötzlich bedauerte es Fidelma, daß sie ihren Verdruß immer so rasch zeigte. Sie wußte, daß ihr aufwallendes Gemüt und ihr manchmal harter Ton tadelnswert waren. Da erinnerte sie sich an ihren Mentor, Brehon Morann, der oft gesagt hatte, ein Mensch ohne Fehler gleiche einem Toten. Dennoch sollte sie versuchen, ihre Stimmungen besser zu beherrschen.
»Es tut mir leid«, sagte sie plötzlich zu Eadulfs Überraschung. »Seit wir in dieser Gegend sind, habe ich das eigenartige Gefühl, daß hier viel Böses im Gange ist. Irgend etwas geht hier vor, wir bekommen aber immer nur einen Bruchteil davon mit. Ich denke, wir sollten Mairs Tod und das Verschwinden der Klostergemeinschaft von Llanpadern im Zusammenhang betrachten.«
Eine Weile erwiderte Eadulf nichts.
Fidelma sprach also weiter. »Ich weiß, daß du so bald wie möglich nach Canterbury weiterwillst, doch ich könnte keine Ruhe finden, wenn ich nicht dahinterkomme, was hier geschieht.«
Eadulf war nun gezwungen, etwas zu erwidern. »Nichts anderes hatte ich erwartet. Es ist nur, daß ich mir um deine Sicherheit Sorgen mache. Um unsere Sicherheit«, berichtigte er sich. »Ich habe mich schon vorher oft in Gefahr befunden, doch so bedroht habe ich mich noch nie gefühlt. Wenn du oder ich Clydog wieder in die Hände fallen ...« Diesen Satz beendete er nicht, doch es war klar, was er sagen wollte.
»Dann müssen wir eben dafür sorgen, daß uns das nicht wieder passiert, mein Lieber«, erwiderte Fidelma munter und mit mehr Zuversicht, als sie selbst empfand.
Sie gelangten auf eine kleine Lichtung mitten im Wald, auf der eine Holzfällerhütte stand.
»Wir sollten vielleicht mal fragen, ob wir uns noch auf dem richtigen Weg nach Llanwnda befinden«, meinte Eadulf.
Die Tür stand halb offen. Fidelma brachte ihr Pferd zum Stehen und rief nach ihren Bewohnern. Es kam keine Antwort.
Die Hütte war klein, davor lag ein Stapel Holz. Jemand hatte gerade Feuerholz gehackt, denn eine langstielige Axt steckte in einem der Kloben.
Eadulf deutete schweigend auf die Axt, von der Blut tropfte. Vielleicht hatte sich der Holzhacker verletzt?
»He da!« rief Fidelma erneut. »Ist da jemand? Können wir helfen?«
Kein Laut, keine Regung.
Eadulf schwang sich von seinem Pferd und ging zur Hütte. Er blickte ins Innere und schrie auf.
»Da liegt ein Mann, anscheinend bewußtlos!« rief er und verschwand im Dunkel der Behausung. Fidelmawar gerade dabei, ebenfalls vom Pferd zu steigen.
»Was ist los?« fragte sie und lief auf die Hütte zu.
Eadulf war wieder herausgetreten. Er lehnte sich kreidebleich gegen den Türpfosten, starrte sie an und brachte zunächst kein Wort heraus. »Da drinnen ...«
Fidelma sah ihn erschrocken an. »Der Holzhakker?« fragte sie. Eadulf hatte schließlich in Tuam Bre-cain studiert, um Apotheker zu werden. Da sollte er doch an den Anblick von Blut gewöhnt sein. »Ist er schwer verletzt? Komm schon, Eadulf, wir wollen dem armen Mann helfen. Du bist doch sonst nicht so empfindlich.«
»Es ist zu spät«, stieß Eadulf leise hervor.
Fidelma schob ihn beiseite und betrat die kleine Hütte. Das Licht von der Tür fiel auf die Gestalt am Boden. Sie beugte sich über den hingestreckten Körper.
Sie sah folgendes: Das Genick des Mannes war durchtrennt worden. Es handelte sich nicht um einen Unfall. Jemand hatte den Mann mit der Axt ermordet und ihn tot oder sterbend liegengelassen.
Der Tote war kein Waldbewohner. Er trug das Gewand eines Mönches.
Da erkannte sie schließlich das von Todesqualen verzerrte Gesicht: Es war Bruder Meurig.