19

Frieda schrieb einen Brief an Willis Mutter. In der Biologiestunde. Frieda konnte so was wirklich gut. Sie unterschrieben alle, die Jungs natürlich auch. Torte klebte eine Sondermarke auf den Umschlag, die er eigentlich für seine Briefmarkensammlung gekauft hatte, und Sprotte brachte den Brief nach der Schule zur Post. Nach dem Ärger mit Willis Vater traute sich nicht mal Fred, ihn direkt bei Willis Eltern in den Briefkasten zu werfen.

Als Sprotte nach Hause kam, war ihre Mutter schon da. Keine Englischkassette dröhnte aus der Küche, sondern Mams Hippiemusik. Sprotte drehte den Kassettenrekorder etwas leiser und setzte sich zu ihrer Mutter an den Küchentisch.

»Ich hab Pfannkuchenteig gemacht«, sagte sie und guckte hinter der Zeitung hervor. Erschrocken ließ sie sie sinken. »Du meine Güte, was ist denn mit dir passiert? Habt ihr euch etwa wieder geprügelt, ihr und diese Pickmaier, oder wie die heißen?« »Genau«, murmelte Sprotte. Wenn ihre Mutter erfuhr, dass Willis Vater sie geschlagen hatte, würde sie sich furchtbar aufregen, und Aufregung hatte Sprotte erst mal genug gehabt. Für hundert Jahre reichte das.

Mit einem Seufzer verschwand ihre Mutter wieder hinter der Zeitung. »Ich leg gleich los mit den Pfannkuchen«, sagte sie. »Ich trink nur noch meinen Kaffee aus.« »Lass dir Zeit, ich bin noch nicht am Verhungern«, sagte Sprotte und holte sich die Milch aus dem Kühlschrank. »Hast du was von O. S. gehört?«

»Sie hat auf den Anrufbeantworter gesprochen«, antwortete Mam. »Willst du’s dir anhören?«

Mit einem tiefen Seufzer stellte Sprotte ihre Milch hin und ging zum Telefon.

»Na, dann lass mal hören, Oma«, murmelte sie und spulte das Band zurück. Oma Slättbergs Stimme klang heiser wie immer.

»Ich bin es«, schnarrte sie. »Natürlich! Schon wieder keiner zu Hause. Ich hasse es, dauernd mit dieser Maschine zu reden. Aber ich habe auch keine

Zeit, dauernd hinter euch herzutelefonieren. Dies ist eine Nachricht für Sprotte: Du kannst die zähen, alten Hennen, die du mir gestohlen hast, behalten. Ich nehm sie nicht zurück. Nicht mal, wenn du mich auf den Knien anbettelst.« »Das hättest du wohl gern«, flüsterte Sprotte. »Du wirst schon sehen, wie es ist, wenn sie dir die Haare vom Kopf fressen«, fuhr O. S. fort. »Da lernst du etwas fürs Leben.

Ich werde dich auch nicht anzeigen, obwohl ich nicht übel Lust dazu hätte. Aber ich verlange Entschädigung. Fünfzehn Tiefkühlhühner für meine Truhe oder Abarbeitung der Schuld im Garten. Dann hebe ich das Garten- und Hausverbot auf. Ich warte auf deine Antwort. Einen schönen Tag noch.«

Sprotte löschte die Ansage. »Du kannst mich mal«, murmelte sie. »Haare vom Kopf fressen, lernen fürs Leben, pah.« Mit düsterer Miene schlenderte sie in die Küche zurück.

»Herzerwärmend, was?«, sagte ihre Mutter und blätterte in der Zeitung.

»Frieda und Wilma sind auch dafür, ihr was zu bezahlen«, sagte Sprotte.

»Ach was, spart das Geld lieber für das Futter. Hühner fressen viel, vor allem wenn es kalt ist.« Sprotte seufzte». »Ich weiß.«

Besorgt guckte ihre Mutter sie an. »Guck nicht so traurig«, sagte sie und strich ihr mit dem Finger über die Nase. »Sie wird das Verbot sowieso bald aufheben. Spätestens, wenn der Rosenkohl im Unkraut versinkt.« Sie verschwand wieder hinter der Zeitung. »Hör dir das an«, sagte sie. »Zärtliche Sie sucht Bär zum Kuscheln. Du meine Güte. Manche Leute machen sich wirklich selbst zum Affen. Da würde ich eher ins Kloster gehen, als so eine alberne Anzeige aufzugeben.«

Dienstag! Es war Dienstag! Sprotte schluckte. Wilmas Anzeige.

»Mam«, sagte sie schnell. »Mein Bauch macht schon ziemlich seltsame Geräusche. Könntest du jetzt Pfannkuchen machen?«

»Ach ja, entschuldige!« Ihre Mutter trank schnell noch einen Schluck Kaffee, legte die Zeitung hin und stand auf. »Ich hab schon Urlaub beantragt«, sagte sie, während sie die Pfanne auf den Herd knallte. »Für die Frühjahrsferien. Nach Flügen hab ich mich auch schon erkundigt. Erst mal nach New York. San Francisco wird zu teuer.« »Hm«, murmelte Sprotte und zog unauffällig die Zeitung zu sich rüber.

»Wir fliegen hin, und ich hör mich mal um, wie das so läuft mit der Arbeitserlaubnis«, sagte ihre Mutter. Der Teig zischte, als sie ihn in die Pfanne goss. »Kann ja sein, dass man diese Greencard fürs Taxifahren nicht braucht. Was meinst du, das wird doch toll, du und ich in New York, was?« »Hm«, murmelte Sprotte und fuhr mit dem Finger über eine blödsinnige Kontaktanzeige nach der anderen. Wo war Wilmas?

»Verdammt!«, fluchte ihre Mutter. »Warum kann ich das nicht? Jetzt ist

dieser blöde Pfannkuchen doch schon wieder hin.«

»Macht nichts, ich mag deine kaputten Pfannkuchen«, sagte Sprotte und ließ den Finger weiterwandern. Kuschelhase, Schmusebär, attraktiv, aber schüchtern, Taxifahrerin ... da war sie.

»Was liest du denn da?«, fragte ihre Mutter und lugte neugierig über Sprottes Schulter. Sprotte fuhr zusammen und versuchte, Wilmas Anzeige mit der Hand zu verdecken, aber Mam schob ihre Finger weg.

»Lass mal sehen«, sagte sie. »Was steht denn da so Interessantes? Attraktive Taxifahrerin, mittelalt, sucht Mann zum Kuscheln. Nicht sehr originell, aber ... «

Ganz still wurde sie plötzlich. Sprotte hielt den Atem an und schob noch mal, in einem letzten kläglichen Versuch, die Finger über die Anzeige. Aber da packte ihre Mutter sie auch schon bei den Schultern und drehte sie zu sich herum. »Da steht unsere Telefonnummer«, sagte sie. Knallrot war ihr Gesicht. »Hör mal, spinnst du? Willst du mir jetzt die Männer aussuchen?« Ihre Stimme überschlug sich fast. »Hättest du mich nicht wenigstens fagen können, wenn du schon auf so verrückte Ideen kommst?« »Ich war das doch gar nicht!«, rief Sprotte. »Auf so was Bescheuertes würd ich doch nie kommen!« Ihre Mutter guckte sie verblüfft an. Sie wusste genau, dass Sprotte nicht lügen konnte. Wenn sie es doch mal versuchte, sah man es ihr meist an der Nasenspitze an. »Und wer war's dann?«

»Kann ich meinen Pfannkuchen haben?«, fragte Sprotte kleinlaut.

»Oh, verdammt, der ist jetzt bestimmt kalt.« Mam schaufelte die Pfannkuchenruine auf einen Teller und schob ihn Sprotte hin.

Sprotte bestreute den Pfannkuchen mit reichlich Zucker und begann zu essen. »Wilma hat sich das ausgedacht«, erzählte sie mit vollem Mund. »Weil sie nicht wollte, dass wir auswandern, verstehst du?«

»So was Verrücktes hab ich wirklich noch nie gehört«, sagte ihre Mutter, kniff die Lippen zusammen und wagte einen Pfannkuchen-Hochwerf-Versuch. Der Pfannkuchen landete ziemlich zerknittert wieder in der Pfanne. Mit einem Seufzer drehte Sprottes Mutter das Gas aus und setzte sich mit der Pfanne zu Sprotte an den Tisch. Schweigend spießte sie mit der Gabel einen Pfannkuchenfetzen auf, pustete und schob ihn sich in den Mund.

»Ich denk, du willst keinen neuen Vater«, sagte sie. »Stimmt«, antwortete Sprotte. »Auswandern will ich aber auch nicht.«

Schweigend aß ihre Mutter weiter. Plötzlich stöhnte sie auf. »O Gott, jetzt wird hier bestimmt bald ein einsames Herz nach dem ändern anrufen! Da steht unsere Telefonnummer! Hat Wilma noch nie davon gehört, dass man so eine

Anzeige mit Chiffre aufgibt?« »Mit was?«

»Ach, vergiss es.« Sprottes Mutter seufzte noch einmal. Dann musste sie plötzlich kichern. »Du meine Güte, was da wohl für Typen anrufen? Vielleicht ruft ja auch gar keiner an. Mittelalt hört sich ja wie lange gelagerter Käse an.« »Na ja, jung hätte ja nicht mehr gepasst, oder?« »Wahrscheinlich nicht. >Etwas abgenutzt hätte es wahrscheinlich getroffen. Aber warum steht da nichts von dir drin? Hat nette Tochter, die Männer eher störend findet. Irgend so was.«

»Melanie meinte, Kinder wirken irge ndwie ...«, Sprotte schob ihren leeren Teller weg, »... abschreckend.« »Aha.« Ihre Mutter grinste. »Ich sehe, ihr habt die Angelegenheit gründlich besprochen. Hast du deinen Hühnerfreundinnen etwa auch von meinem schlechten Männergeschmack erzählt?«

Sprotte zog mit dem Finger verlegen das Tellermuster nach. »O nein!« Ihre Mutter guckte sie ungläubig an. »Sprotte! Das mit dem zerschmissenen Geschirr, wissen sie das auch?« Sprotte kniff die Lippen zusammen und nickte. Ihre Mutter vergrub den Kopf in den Armen. »Ihr kriegt alle Taxiverbot!«, hörte Sprotte sie murmeln. »Alle. Ich will keins von euch Hühnern mehr sehen.«

»Du erzählst über mich doch auch dauernd Sachen, die keinen was angehen!«, rief Sprotte. »Wem?«, fragte ihre Mutter und hob den Kopf. »Na, deine n Busenfreundinnen«, antwortete Sprotte. »Oder etwa nicht?« »Schon gut.« Ihre Mutter strich sich das Haar aus dem Gesieht. »Aber für die Anzeige kitzle ich dich durch. Mindestens eine Stunde lang.«

»O nein, bitte nicht«, Sprotte musste kichern. »Na gut«, sagte ihre Mutter und kniff ihr in die Nase. »Du wirst noch einmal begnadigt, aber dann will ich dein heiligstes Hühnerehrenwort, dass du deinen Freundinnen kein Wort mehr über mein Liebesleben erzählst. Versprochen?« Sprotte nickte. »Versprochen. Obwohl...« »Kein Obwohl«, sagte ihre Mutter und stand auf. »Willst du noch einen von meinen sensationellen Pfannkuchen?« »Klar«, antwortete Sprotte. Und ihre Mutter machte sich an die nächste Ruine.

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