25

Oma Slättberg schaffte ihnen die Sorge vom Hals. Am Sonntag rief sie an, als Sprotte gerade das Bettfrühstück wegräumte, während ihre Mutter unter der Dusche stand. »Was ist mit eurem Telefon los, Herrgott noch mal?«, schimpfte sie Sprotte ins Ohr. »Entweder der Anrufbeantworter piept mir ins Ohr, oder es ist besetzt. Kommst du jetzt in dieses alberne Alter, wo du stundenlang mit deinen Freundinnen telefonierst, obwohl du sie gerade erst in der Schule gesehen hast?«

»Mam bekommt im Moment ziemlich viele Anrufe«, antwortete Sprotte. Drei Männer hatten an diesem Morgen schon wegen Wilmas Anzeige angerufen. Sprottes Mutter ging schon gar nicht mehr dran. »Kerle, die Sonntagmorgens vor zwölf anrufen«, sagte sie, »kommen sowieso nicht in Frage.« »Wieso bekommt sie viele Anrufe?«, fragte Oma Slättberg barsch.

»Keine Ahnung«, antwortete Sprotte und schnitt dem Tele fon eine Fratze. Natürlich hatte Mam O. S. nichts von der Kontaktanzeige erzählt. Wozu auch? Inzwischen hatten sich ziemlich viele Männer bei der mittelalten Taxifahrerin gemeldet, aber Sprottes Mutter hatte sich mit keinem getroffen, zu Wilmas großer Enttäuschung. Über jeden Anruf wollte Wilma Bescheid wissen, aber Sprotte hielt sich an ihr Ehrenwort und erzählte den anderen Hühnern nichts mehr über die Männerangelegenheiten ihrer Mutter. Na ja, so gut wie nichts. Sie selbst versuchte über das Thema auch nicht allzu viel nachzudenken. Ihre Mutter redete immer noch englisch beim Frühstück, und in ihrem Nachttisch, neben einer rosa Babysocke von Sprotte, lagen zwei Flugtickets nach New York, für die Frühjahrsferien. Dreimal schon hatte Sprotte geträumt, dass sie in einer Schule saß, in der sie kein einziges Wort verstand.

»Na ja, es geht mich nichts an, was meine Tochter treibt«, sagte Oma Slättberg mürrisch. »Und du glaub bloß nicht, dass ich anrufe, weil ich das Haus- und Gartenverbot aufheben will. Keineswegs. Ich habe mir einen Hund angeschafft, und ich will wissen, ob du ihn ausführst.« Sprotte gab keinen Laut von sich. Sie musste sich verhört haben.

»Bist du noch da?«, schnarrte O. S. »Klar ...«, stammelte Sprotte.

»Selbstverständlich bezahle ich dich fürs Ausführen«, unterbrach ihre Großmutter sie. »Mit Salat und Gemüse. Du brauchst ja Grünfutter für deine zähen, alten Hühner. Oder hat sie der Fuchs geholt?«

»Noch nicht«, antwortete Sprotte. Ein Hund. »Was ist es denn für einer?«, fragte sie.

»Vier Beine, ein Schwanz, zwei Ohren und jede Menge Zähne«, antwortete Oma Slättberg. »Jetzt klaut mir keiner mehr was aus meinem Garten. Diese alberne Pistole erschreckt ja nicht mal Kinder, wie sich gezeigt hat. Also führst du ihn aus?«

Sprotte lutschte an ihrer Zahnspange. Konnte das ein Trick sein? Ein ganz gemeiner Trick, um sie anzulocken und dann ... Dann was?

»Hör auf, an der Tür zu kratzen!«, hörte sie ihre Großmutter schimpfen. Und ein Hund jaulte.

So wie Hunde jaulen, wenn sie rausmüssen oder was zu fressen haben wollen.

»Ich komm!«, rief Sprotte. »Bin gleich da.« Und bevor ihre Oma noch was sagen konnte, knallte sie den Hörer auf. Sie schlüpfte in ihre Schuhe und riss ihre Jacke vom Haken. »Ich fahr mal eben zu Oma!«, rief sie ins Badezimmer, wo ihre Mutter gerade duschte.

»Ich denk, du hast Haus- und Gartenverbot!«, rief sie ihr verdutzt nach, aber da war Sprotte schon aus der Tür.

Der Hund stand hinterm Gartentor und lugte durch die Gitterstäbe. Aus mindestens drei Rassen war er zusammengemischt. Als Sprotte vom Rad stieg, wedelte er mit dem Schwanz, aber er gab keinen Ton von sich.

»Sie bellt nicht!«, schimpfte Oma Slättberg und kam aus dem Haus gehumpelt. »Bellt einfach nicht. Wie soll sie da Einbrecher verscheuchen? Ich hätte doch einen Rüden nehmen sollen, aber diese dumme Pute im Tierheim hat mich überredet.«

Die Hündin schob ihre schmale Schnauze durchs Tor und schnupperte an Sprottes Knie. Als Sprotte sich hinhockte und ihr die Hand hinhielt, leckte sie ihr die Finger ab. Sprotte musste kichern. Das kitzelte.

»Heute Morgen, als die Müllabfuhr kam«, schimpfte O. S. weiter, »hat sie auch keinen Ton gesagt. Nur freundlich mit dem Schwanz gewedelt. Der Hund von Feistkorn hat sich fast die Zunge aus dem Hals gebellt, als die seinen Mülleimer rausholten. Aber du?« Ärgerlich guckte sie auf die Hündin herab. »Wie bringt man einem Hund das Bellen bei?« Sie kraulte der Hündin die Ohren, griff ihr ins Halsband und ließ die Leine einschnappen.

»Das kann doch noch kommen«, sagte Sprotte und richtete sich auf. »Sie muss sich doch erst an alles gewöhnen.« »Na, hoffen wir’s«, murmelte O. S. »Einen gesegneten Appetit hat sie jedenfalls. Wie geht es dir?«, fragte sie, ohne Sprotte anzusehen.

»Gut«, antwortete Sprotte und schnalzte der Hündin zu. »Und deiner Mutter?«

»Auch gut. Sie hat Flugkarten nach Amerika gekauft. Für den Frühling.«

»Amerika? Ich denk, sie hat kein Geld?« Oma Slättberg zerrte die Hündin zur Seite und machte das Gartentor auf. »Da«, sagte sie und drückte Sprotte die Leine in die Hand. »Wenn mein Fuß wieder in Ordnung ist, führ ich sie selbst aus. Aber mit der Krücke reißt sie mich um.« »Ich merk schon, sie hat ziemlich viel Kraft.« Sprotte schlang sich die Leine ein paar Mal um die Hand. Die Hündin tänzelte aufgeregt hin und her. »Ich werd sie wohl besser ans Fahrrad nehmen«, sagte Sprotte. »Da kann sie sich mal so richtig auslaufen.«

»Wenn sie nicht bald bellt, geb ich sie sowieso zurück«, brummte Oma Slättberg und stützte sich auf ihr Gartentor. »Wenn du sie mir nicht vorher stiehlst.«

Sprotte wurde rot. »Wieso?« Sie guckte ihre Oma an. »Willst du sie schlachten, wenn sie nicht bellt?« Das brachte sogar Oma Slättberg zum Lächeln. »Wie deine Mutter«, sagte sie, während die Hündin an Sprottes Rad zerrte. »Die wollte ihre Kaninchen auch immer behalten, bis sie an Altersschwäche eingingen.«

»Nett von ihr, oder?«, sagte Sprotte, schwang sich aufs Fahrrad und tätschelte der unruhigen Hündin den Rücken. »Wie heißt sie?«

Oma Slättberg zuckte die Achseln. »Denk du dir einen Namen für sie aus. Das tust du doch zu gern. Ein Wunder, dass du den Rosenkohlpflanzen noch keine Namen gegeben hast.«

»Ich werd sie erst mal Bella nennen«, sagte Sprotte. »Irgendwie muss man sie doch nennen.«

Ihre Großmutter drehte sich um. »Lass sie sich richtig müde laufen«, sagte sie über die Schulter. »Es macht mich ganz wahnsinnig, wenn sie mir dauernd um die Beine springt. Vielleicht sollte ich sie ja auch einfach in den Hühnerauslauf sperren, bis ich mir neue Hennen anschaffe.« »Hast du das gehört? Schöne Aussichten, was?«, flüsterte Sprotte, schob das Fahrrad auf die Straße und fuhr vorsichtig los. Die Hündin schoss so schnell voraus, dass sie Sprotte fast umriss.

»He, nicht so eilig!«, rief Sprotte und lenkte ihr Fahrrad so, dass die Hündin neben ihr trabte. »Weißt du, was wir jetzt machen, Bella? Wir fahren zu einem wunderschönen Wohnwagen. Da stell ich dich ein paar Hühnern vor. Welchen mit und welchen ohne Federn. Dann pinkelst du ein paar Mal gegen den Stall, damit die Füchse heute Nacht einen Schreck kriegen und sich nie wieder sehen lassen. Und danach üben wir bellen, in Ordnung?«

Die Hündin trabte so schnell, als wüsste sie, wo es hinging. Jeden Tag werd ich mit ihr zum Wohnwagen fahren, dachte Sprotte, vielleicht darf ich sie ja sogar mal über Nacht behalten. Den Fuchs vergraulen wir schon. Und dann dachte sie noch: Hat Melanie eigentlich Angst vor Hunden?

Загрузка...