»Waddington«, sagte Chief Inspector Leach, als Lynley und Barbara Havers in den Besprechungsraum traten. Er war bester Stimmung, sein Gesicht entspannter als seit Tagen, sein Schritt wie beflügelt, als er durchs Zimmer eilte, um Kathleen Waddington ganz oben auf eine der Porzellantafeln zu schreiben.
»Wo hat es sie erwischt?«, fragte Lynley.
»In Maida Vale. Die gleiche Verfahrensweise. Ruhige Gegend. Ein Fußgänger allein auf der Straße. Nacht. Schwarzes Fahrzeug. Und bumm!«
»Gestern Abend?«, fragte Barbara Havers. »Aber das würde bedeuten -«
»Nein, nein. Es war schon vor zehn Tagen.«
»Könnte ein zufälliges Zusammentreffen sein«, meinte Lynley.
»Bestimmt nicht. Die hat damals auch eine Rolle gespielt.«
Leach beeilte sich, ihnen zu erklären, wer diese Kathleen Waddington war: eine Sexualtherapeutin, die ihr Institut an dem fraglichen Abend irgendwann nach zehn Uhr verlassen hatte. Sie war auf der Straße angefahren und mit einem Beckenbruch und ausgekugelter Schulter liegen gelassen worden. Bei der polizeilichen Vernehmung hatte sie ausgesagt, der Wagen, der sie angefahren hatte, sei groß gewesen, »wie so eine Gangsterlimousine«, er sei schnell gefahren und von dunkler Farbe gewesen, möglicherweise schwarz.
»Ich habe noch einmal meine Aufzeichnungen von damals durchgesehen, als das Kind ertrank, meine ich«, sagte Leach.
»Die Waddington war die Frau, die Katja Wolff beim Prozess das Genick gebrochen hat. Die Wolff hatte behauptet, sie hätte an dem Abend, an dem die kleine Davies ertrank, ganz kurz mit ihr telefoniert, und die Waddington konnte nachweisen, dass das nicht stimmte. Ohne sie wäre die Wolff vielleicht mit ein paar Jährchen wegen Fahrlässigkeit davongekommen. Aber nachdem sie die Wolff der Lüge überführt hatte… Das hat ihr damals den Rest gegeben. Wir müssen die Wolff festnehmen. Geben Sie das an Nkata weiter. Soll er die Lorbeeren einheimsen. Er hat an dieser Sache hart gearbeitet.«
»Was ist mit dem Wagen?«, fragte Lynley.
»Das wird schon noch rauskommen. Sie können mir nicht erzählen, dass sie zwanzig Jahre im Knast war, ohne diese oder jene nützliche Verbindung zu knüpfen.«
»Sie meinen, sie kennt jemanden mit so einem alten Wagen?«
»Worauf Sie sich verlassen können. Eine meiner Beamtinnen überprüft im Augenblick weitere Personen wegen des Wagens«, sagte Leach mit einem Nicken zu einer jungen Frau, die an einem der Computer im Zimmer saß. »Sie überprüft jeden Namen, der in irgendeinem Bericht erwähnt wurde. Die Gefängnisunterlagen werden wir uns auch noch beschaffen und dann sämtliche Leute unter die Lupe nehmen, mit denen die Wolff im Knast Kontakt hatte. Das können wir erledigen, während wir sie zur Vernehmung hier haben. Wollen Sie Ihren Mann anpiepsen und ihm Bescheid geben? Oder soll ich es tun?« Leach rieb sich geschäftig die Hände.
Die Beamtin am Computer stand in diesem Moment auf, ein Blatt Papier in der Hand. Sie sagte: »Ich glaube, ich hab den Wagen, Sir«, und Leach stürzte mit einem begeisterten: »Genial. Gut gemacht, Vanessa«, zu ihr hin. »Also, was haben wir?«, fragte er.
»Einen Humber«, antwortete sie.
Das genannte Fahrzeug war eine Nachkriegslimousine, die zu einer Zeit hergestellt wurde, als das Verhältnis zwischen Benzinverbrauch und gefahrenen Kilometern den Autokäufer nur in zweiter Linie interessierte. Der Humber war kleiner als ein Rolls-Royce, Bentley oder Daimler - und lange nicht so teuer -, aber größer als der Durchschnittswagen, den man heute auf den Straßen sah. Und während das moderne Auto aus Aluminium und Metalllegierung hergestellt wurde, um ein möglichst niedriges Gewicht und damit Sparsamkeit im Verbrauch zu erzielen, war der Humber ein Ungetüm aus Stahl und Chrom, vorn mit einem raubgierigen Kühlergrill, der sich so ziemlich alles - von geflügelten Insekten bis zu kleinen Vögeln - aus der Luft griff.
»Hervorragend«, sagte Leach.
»Und wem gehört der Wagen?«, fragte Lynley.
»Einer Frau«, antwortete Vanessa. »Sie heißt Jill Foster.«
»Richard Davies' Verlobter?« Barbara Havers sah Lynley an. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie sagte: »Das ist es. Verdammt noch mal, das ist es, Inspector. Als Sie gesagt haben -«
Doch Lynley ließ sie nicht ausreden. »Jill Foster? Das kann ich mir nicht vorstellen, Havers. Ich habe die Frau kennen gelernt. Sie ist hochschwanger. Sie kann das unmöglich getan haben, sie wäre gar nicht fähig dazu. Und selbst wenn, warum sollte sie es auf Kathleen Waddington abgesehen haben?«
Havers sagte: »Sir -«, und wurde wieder unterbrochen.
Von Leach diesmal. »Dann muss es einen zweiten Wagen geben. Noch ein anderes altes Modell.«
»Halten Sie das wirklich für wahrscheinlich?«, fragte die Beamtin zweifelnd.
»Piepsen Sie Nkata an«, sagte Leach zu Lynley. Und zu Vanessa:
»Besorgen Sie uns die Gefängnisunterlagen von Katja Wolff. Wir müssen sie durchforsten. Es muss einen Wagen geben -«
»Moment mal!«, rief Barbara heftig. »Das kann man doch auch ganz anders sehen, Herrschaften! Hören Sie mir nur mal einen Augenblick zu. Er hat Pytches gesagt. Richard Davies, meine ich. Er sagte nicht Pitchley oder Pitchford, sondern Pytches.« Emphatisch packte sie Lynley beim Arm. »Sie haben mir doch erzählt, dass er Pytches gesagt hat. Als wir vorhin im Café saßen. Sie sagten, dass in Ihren Aufzeichnungen Pytches steht. Von dem Gespräch mit Richard Davies, richtig?«
»Pytches?«, fragte Lynley. »Was hat Jimmy Pytches damit zu tun, Havers?«
»Es war ein Versprecher, verstehen Sie!«
»Constable«, raunzte Leach ungeduldig, »was, zum Teufel, quasseln Sie da?«
Barbara ließ sich nicht beirren. Zu Lynley gewandt, fuhr sie fort: »Richard Davies wäre so ein Versprecher bestimmt nicht unterlaufen, wenn er gerade erst erfahren hätte, dass seine geschiedene Frau ermordet worden war. Er hätte in diesem Moment gar nicht wissen können, dass J. W. Pitchley mit Jimmy Pytches identisch war. Er hätte vielleicht wissen können, dass James Pitchford Jimmy Pytches war, ja, aber er hat ihn in Gedanken bestimmt nicht Pytches genannt, er hat ihn doch nie als Pytches gekannt, warum, zum Teufel, sollte er ihn im Gespräch mit Ihnen so nennen, wo Sie selbst doch zu dem Zeitpunkt gar nicht wussten, wer Pytches war. Warum sollte er ihn überhaupt bei diesem Namen nennen, hm? Das hätte er nie getan, wenn er den Namen nicht präsent gehabt hätte, weil er das Gleiche getan hatte wie ich: Er hatte die standesamtlichen Unterlagen im St. Catherine's House durchgesehen. Und warum? Weil er selbst auf der Suche nach James Pitchford war.«
»Was soll das alles heißen?«, fragte Leach gereizt.
Lynley hob eine Hand. »Gedulden Sie sich einen Moment, Sir. An dieser Sache ist was dran. Weiter, Havers.«
»Garantiert ist da was dran«, bekräftigte Barbara. »Er war seit Monaten mit Eugenie telefonisch im Gespräch gewesen. Das haben Sie in Ihren Notizen. Er hat es uns selbst gesagt, und die Unterlagen der Telefongesellschaft bestätigen es.«
»Das ist richtig«, sagte Lynley.
»Und Gideon Davies hat Ihnen erzählt, dass ein Treffen zwischen ihm und seiner Mutter geplant war. Korrekt?«
»Ja.«
»Es wurde angenommen, Eugenie könnte ihm helfen, die Krise zu überwinden, in der er sich befand. Das hat er uns selbst gesagt. Auch das steht in Ihren Aufzeichnungen. Aber es kam nicht zu dem Treffen. Es kam nicht dazu, weil sie vorher getötet wurde. Sie wusste nicht, wo Gideon lebte. Das hätte sie nur von Richard erfahren können.«
Lynley sah sie nachdenklich an. »Davies möchte sie beseitigen und sieht eine gute Möglichkeit dazu: Gib ihr eine Adresse, die sie für Gideons halten muss, vereinbare eine Zeit für das vermeintliche Treffen mit dem Sohn, lauere ihr auf-«
»- und wenn sie dann auf der Suche nach der richtigen Hausnummer arglos die Straße entlanggeht - peng! -, fährt er sie nieder«, vollendete Havers. »Dann überrollt er sie noch einmal, um sicher zu sein, dass sie tot ist. Und mit den Anschlägen vorher auf die Waddington und hinterher auf Webberly erweckt er den Anschein, als stünde die Ermordung seiner Exfrau mit dem Verbrechen vor zwanzig Jahren in Zusammenhang.«
»Aber warum?«, fragte Leach.
»Ja, das ist die Frage«, bekannte Lynley. Zu Barbara sagte er:
»Es funktioniert, Barbara. Daran gibt es keinen Zweifel. Aber wenn Eugenie Davies ihrem Sohn wirklich über seine Krise hätte hinweghelfen können, warum hätte Richard Davies sie daran hindern sollen? Wenn man wie ich mit dem Mann gesprochen hat, wenn man seine Wohnung gesehen hat, wo man auf Schritt und Tritt den Zeugnissen der großen Karriere seines Sohnes begegnet, gibt es nur eine logische Schlussfolgerung - dass Richard Davies seinen Sohn unbedingt wieder spielen hören wollte.«
»Vielleicht gehen wir von der falschen Voraussetzung aus«, bemerkte Barbara.
»Inwiefern?«
»Ich akzeptiere, dass Richard Davies seinen Sohn wieder spielen hören möchte. Wenn er je Probleme mit der musikalischen Begabung seines Sohnes hatte - zum Beispiel eifersüchtig gewesen wäre und seinem Sohn den Erfolg geneidet hätte -, dann hätte er wahrscheinlich schon vor langer Zeit etwas unternommen, um ihn am Spiel zu hindern. Aber nach allem, was wir wissen, spielt Gideon Davies, seit er aus den Windeln heraus ist. Wie wäre es also, wenn Eugenie Davies sich mit ihrem Sohn treffen wollte, um zu verhindern, dass er je wieder Geige spielt?«
»Ja, aber warum denn?«
»Vielleicht nach dem Motto, wie du mir, so ich dir. Wenn Richard Davies etwas getan hatte, wodurch die Ehe in die Brüche ging -«
»Wie zum Beispiel das Kindermädchen schwängern?«, warf Leach ein.
»Oder Tag und Nacht um Gideon herumzutanzen und völlig zu vergessen, dass er eine Frau hatte, eine Frau, die trauerte, die einen anderen Menschen gebraucht hätte… Eugenie verliert ein Kind, aber statt dass Richard sich um sie kümmert und ihr Halt gibt, ist er einzig darum besorgt, Gideon über das Trauma hinwegzuhelfen, damit der nicht durchdreht und seine Geige in die Ecke wirft und plötzlich aufhört, der Sohn zu sein, den alle bewundern und der auf dem besten Weg ist, berühmt zu werden und alle Träume seines Daddys wahr zu machen. An Eugenie denkt keiner, sie muss allein sehen, wie sie fertig wird, und sie vergisst nie, wie es war. Als sich dann eine Gelegenheit bietet, es Richard heimzuzahlen, als er sie so dringend braucht, wie sie ihn einmal gebraucht hat, weiß sie genau, was sie tun wird.« Barbara holte tief Luft nach diesem langen Vortrag und blickte, auf eine Reaktion wartend, von Leach zu Lynley.
Leach sagte nur: »Wie?«
»Was wie?«
»Wie hätte sie ihren Sohn daran hindern können, in Zukunft wieder zu spielen? Was hätte sie Ihrer Meinung nach getan, Constable? Ihm die Finger gebrochen? Oder ihn mit dem Auto überfahren?«
Barbara holte ein zweites Mal Luft und stieß sie in Form eines Seufzers aus. »Ich weiß es nicht«, antwortete sie, und ihre Schultern sanken herab.
»Genau«, sagte Leach wegwerfend. »Sie können uns ja Bescheid geben, wenn Sie -«
»Nein, Sir«, mischte sich Lynley ein. »Das ist alles durchaus vernünftig.«
»Das soll wohl ein Witz sein«, gab Leach zurück.
»Nein. Wenn wir Constable Havers' Überlegungen folgen, haben wir eine Erklärung dafür, warum Eugenie Davies am fraglichen Abend Pitchleys Adresse bei sich hatte, während alle unsere anderen Theorien stets daran gescheitert sind, dass wir genau dafür keine Erklärung finden konnten.«
»Alles Quatsch«, knurrte Leach.
»Was für eine andere Erklärung ist denn möglich? Es gibt keine uns bekannte Verbindung zwischen ihr und Pitchley. Keinen Brief, kein Telefonat, keine E-Mail.«
»Sie hatte eine E-Mail-Adresse?«, fragte Leach scharf.
»Klar«, antwortete Barbara, »und ihr Computer -« Sie brach abrupt ab, zog eine Grimasse und schluckte den Rest ihres Satzes hinunter.
»Computer?«, rief Leach sofort. »Wo, zum Teufel, ist der Computer geblieben? In Ihren Berichten ist nirgends die Rede davon.«
Lynley spürte, dass Barbara ihm einen Blick zuwarf, bevor sie sich zu ihrer Umhängetasche vorbeugte und hektisch darin zu kramen begann. Er fragte sich, was für sie beide vorteilhafter wäre, Wahrheit oder Lüge, und entschied sich für: »Ich habe den Computer überprüft. Es war nichts drauf. Sie hatte E-Mail, ja. Aber es war nichts von Pitchley da. Ich sah deshalb keine Notwendigkeit -«
»- das in Ihren Bericht aufzunehmen?«, schnauzte Leach.
»Nennen Sie das gründliche Arbeit?«
»Ich hielt es für überflüssig.«
»Was?! Allmächtiger Gott! Dieser Computer kommt auf der Stelle hierher, Lynley. Damit unsere Leute ihn sich vornehmen können. Sie sind kein Fachmann. Sie können leicht etwas übersehen haben, das - verdammt noch mal! Sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Was, zur Hölle, haben Sie sich dabei gedacht?«
Was sollte er daraufsagen? Er habe Zeit sparen wollen? Mühe? Einen Ruf retten wollen? Eine Ehe? Er sagte mit Bedacht: »An ihre E-Mail zu kommen war kein Problem, Sir. Und als uns das gelungen war, haben wir sofort gesehen, dass es da praktisch nichts -«
»Was heißt hier praktisch?«
»Nur eine Nachricht von Robson, und mit dem haben wir gesprochen. Er verschweigt meiner Ansicht nach etwas. Aber mit Eugenie Davies' Tod hatte er sicher nichts zu tun.«
»Ach, das wissen Sie?«
»Das sagt mir mein Gefühl, Sir.«
»Ah ja, das gleiche Gefühl, das Sie veranlasst hat, ein Beweisstück zurückzuhalten - oder soll ich sagen >verschwinden zu lassen«
»Ich habe nach Ermessen entschieden, Sir.«
»Sie haben nichts zu entscheiden. Der Computer kommt hierher. Und zwar gleich. Jetzt.«
»Und was ist mit dem Humber?«, erkundigte sich Barbara vorsichtig.
»Zum Teufel mit dem Humber. Und zum Teufel mit Davies. Vanessa, besorgen Sie uns diese verdammten Gefängnisunterlagen von der Wolff. Womöglich hat die zehn Leute an der Hand, alle mit Autos, die so alt sind wie Methusalem, und alle irgendwie mit diesem Fall verquickt.«
»Aber Sir«, warf Lynley ein. »Diese Spur, die wir hier entdeckt haben, der Humber, führt uns vielleicht -«
»Ich sagte, zum Teufel mit dem Humber, Lynley. Was Sie angeht, sind wir wieder am Ausgangspunkt. Bringen Sie mir jetzt diesen Computer. Und wenn Sie das getan haben, dann fallen Sie auf die Knie und danken Sie Ihrem Schöpfer, dass ich Sie nicht bei Ihren Vorgesetzten melde.«
»Es wird Zeit, dass du zu mir kommst, Jill.« Dora Foster trocknete den letzten Teller und hängte das Geschirrtuch ordentlich gefaltet über den Halter neben dem Spülbecken. Sie zog die Ränder mit gewohnter Akribie gerade und wandte sich wieder ihrer Tochter zu, die am Küchentisch saß, die Beine hochgelegt, die Hände im Kreuz, um die schmerzhaft verspannten Muskeln zu kneten. Es kam ihr vor, als schleppte sie einen Fünfzig-Pfund-Sack mit Mehl in ihrem Bauch herum, und sie fragte sich, wie, um alles in der Welt, sie bis zur Hochzeit, die knapp zwei Monate nach der Entbindung geplant war, ihre Figur zurückbekommen sollte.
»Unsere kleine Catherine hat sich schon auf den Weg gemacht«, sagte Jills Mutter. »Es kann sich nur noch um Tage handeln.«
»Richard hat sich mit dem Plan noch nicht recht angefreundet«, gab Jill zu bedenken.
»Du bist bei mir besser aufgehoben als ganz allein in einem Kreißsaal, wo nur ab und zu eine Schwester vorbeischaut, um sich zu vergewissern, dass du noch lebst.«
»Mama, das weiß ich. Aber Richard macht sich Sorgen.«
»Wie vielen Kindern ich auf die Welt geholfen habe -« »Das weiß er doch.«
»Dann -«
»Es geht doch nicht darum, dass er dich für inkompetent hält. Aber es sei etwas anderes, sagt er, wenn es um das eigene Fleisch und Blut geht. Er behauptet, kein Arzt würde sein eigenes Kind operieren. Er wäre nicht fähig, objektiv zu bleiben, wenn es zu einer Krise käme. Einem Notfall. Du weißt schon.«
»Bei einem Notfall fahren wir ins Krankenhaus. Mit dem Auto zehn Minuten.«
»Das habe ich ihm auch gesagt. Darauf hat er erklärt, in zehn Minuten könne alles Mögliche geschehen.«
»Gar nichts wird geschehen. Deine ganze Schwangerschaft war wie aus dem Bilderbuch.«
»Ja, aber Richard -«
»Richard ist nicht mit dir verheiratet«, fiel Dora Foster ihrer Tochter mit Entschiedenheit ins Wort. »Er hätte dich heiraten können, aber er hat's nicht getan. Folglich hat er keinerlei Recht, bei dieser Entscheidung mitzureden. Hast du ihn darauf mal hingewiesen?«
Jill seufzte. »Mama…«
»Nichts Mama!«
»Es spielt doch überhaupt keine Rolle, dass wir noch nicht verheiratet sind. Wie werden heiraten - mit allem Drum und Dran, Kirche und Pfarrer und großem Empfang. Was brauchst du denn noch?«
»Es geht nicht darum, was ich brauche«, erklärte Dora. »Es geht darum, was du verdient hast. Und erzähl mir jetzt bloß nicht, das wäre deine Idee gewesen. Ich weiß genau, dass das Blödsinn ist. Du hattest deine Hochzeit seit deinem zehnten Lebensjahr geplant, von den Blumen bis
zur Hochzeitstorte, und soweit ich mich erinnere, war von einem Baby im Voraus nie die Rede.«
Jill wollte sich auf diese Diskussion nicht einlassen. »Die Zeiten ändern sich, Mama«, sagte sie.
»Aber du änderst dich nicht. Ja, ja, ich weiß, heutzutage sucht man sich als Frau einen Partner und keinen Ehemann. Einen Partner! Als hätte man vor, ins Babyproduktionsgeschäft einzusteigen. Und wenn sie ihre Babys dann haben, führen sie sie ohne das geringste bisschen Schamgefühl in der Öffentlichkeit vor. Ich weiß, dass das ständig passiert. Aber du bist keine Schauspielerin oder Rocksängerin, Jill. Du hast immer genau gewusst, was du willst, und hast nie etwas getan, nur weil es gerade in war.«
Jill seufzte. Ihre Mutter kannte sie besser als jeder andere, und was sie da sagte, traf zu. Aber damit eine Beziehung gelingen konnte, musste man eben Kompromisse schließen, und zu einem Kind wünschte sie sich eine glückliche Ehe, die sie sich wohl kaum erhoffen konnte, wenn sie Richard unter Druck setzte.
»Aber es ist nun mal so, wie es ist«, sagte sie. »Und es ist zu spät, um jetzt noch etwas zu ändern. Ich watschle bestimmt nicht mit diesem Bauch zum Altar.«
»Und weil es so ist«, sagte ihre Mutter, »bist du völlig frei in deiner Entscheidung und kannst allein bestimmen, wo und wie dein Kind zur Welt kommen soll. Und wenn es Richard nicht passt, kannst du ihn ja darauf hinweisen, dass er selbst es vorgezogen hat, nicht auf die konventionelle Art vor der Ankunft des Kindes zu heiraten, und dir daher keine Vorschriften zu machen hat, solange ihr nicht verheiratet seid. So, und jetzt -« ihre Mutter trat zu ihr an den Tisch, wo ein Karton mit Hochzeitseinladungen auf den Versand wartete -»holen wir deinen Koffer und bringen dich heim nach Wiltshire. Du kannst ihm einen Zettel hinlegen. Oder du kannst ihn anrufen. Soll ich dir das Telefon holen?«
»Heute Abend fahre ich nicht mehr nach Wiltshire«, sagte Jill.
»Ich möchte erst mit Richard sprechen. Ich werde ihn noch einmal fragen -«
»Fragen? Willst du ihn fragen, ob du bitte dein Kind auf die Welt bringen darfst?«
»Catherine ist auch sein Kind.«
»Na und? Du bist diejenige, die das Kind zur Welt bringt! Jill, das ist doch überhaupt nicht deine Art. Du hast immer gewusst, was du willst, aber jetzt benimmst du dich, als hättest du plötzlich Angst, du könntest etwas tun, was ihn von dir wegtreibt. Das ist absurd, Kind. Er kann sich glücklich preisen, dich zu haben. In seinem Alter kann er froh sein, überhaupt -«
»Mama!« Sie hatten sich vor langer Zeit geeinigt, dieses Thema unberührt zu lassen - Richards Alter und die Tatsache, dass er zwei Jahre älter war als Jills Vater und fünf Jahre älter als ihre Mutter. »Du hast ganz Recht, ich weiß, was ich will. Und ich will mit Richard reden, wenn er nach Hause kommt. Ich werde nicht nach Wiltshire fahren, ohne mit ihm gesprochen zu haben, und ganz sicher werde ich ihm nicht einfach einen Zettel hinlegen und abfahren.« Sie sprach in einem schneidenden Ton, dem Ton, den sie beim BBC einsetzte, genau die Nuance, die notwendig war, um den Leuten Beine zu machen. Wenn sie ihren schneidenden Ton anschlug, widersprach ihr keiner.
Und auch ihre Mutter widersprach ihr jetzt nicht. Sie richtete nur resigniert ihren Blick auf das elfenbeinfarbene Hochzeitskleid, das in der durchsichtigen Plastikhülle an der Tür hing, und sagte: »Nie hätte ich gedacht, dass es so kommen würde.«
»Es ist doch alles gut, Mama«, behauptete sie.
Aber als ihre Mutter gegangen war, stürmten die Gedanken auf sie ein, diese boshaften Gefährten der Einsamkeit. Sie drängten sie, die Worte ihrer Mutter sorgfältig abzuwägen, und damit war sie schon bei ihrer Beziehung zu Richard.
Es hatte nichts zu bedeuten, dass er derjenige gewesen war, der den Wunsch geäußert hatte, zu warten. Es war eine ganz logische Entscheidung gewesen. Und sie hatten sie gemeinsam getroffen. Was spielte es schon für eine Rolle, dass er die treibende Kraft gewesen war? Hinter seinen Überlegungen hatte gesunde Vernunft gestanden. Sie hatte ihm eröffnet, dass sie schwanger war, und er war voller Freude über die Neuigkeit gewesen, so glücklich wie sie selbst. »Wir heiraten«, hatte er gesagt. »Sag mir, dass wir heiraten werden.« Und sie hatte gelacht beim Anblick seines Gesichts, das so sehr dem eines kleinen Jungen ähnelte, der fürchtete, enttäuscht zu werden. »Natürlich heiraten wir«, hatte sie gesagt, und er hatte sie in die Arme genommen und ins Schlafzimmer geführt.
Nach der Liebe blieben sie ineinander verschlungen liegen, und er sprach von ihrer Hochzeit. Sie befand sich in diesem Zustand seliger Mattigkeit nach dem Orgasmus, in dem alles möglich und alles einleuchtend scheint. Als er daher sagte, er wolle eine richtige große Hochzeit für sie und nicht eine Trauung im Schnellverfahren, murmelte sie schläfrig: »Ja. Ja. Eine richtige große Hochzeit, Schatz.« Und er fügte hinzu: »Mit einem tollen Hochzeitskleid für dich. Mit Blumen und Brautjungfern. In der Kirche. Mit einem Fotografen. Einem Empfang. Ich möchte richtig feiern, Jill.«
Was natürlich nicht möglich war, wenn sie die gesamte Planung in den sieben Monaten vor der Geburt des Kindes erledigen mussten. Und selbst wenn sie das schafften, würde sie sich bis dahin beim besten Willen nicht mehr in ein elegantes Hochzeitskleid hineinquetschen können. Es war viel praktischer, zu warten.
Tatsächlich, erkannte Jill jetzt beim Nachdenken, hatte Richard sie mit sicherer Hand diesen Weg entlang geführt, und als er am Ende ihrer langen Aufzählung all der Dinge, die für so eine große Hochzeit noch erledigt werden mussten, gesagt hatte: »Ich hatte ja keine Ahnung, dass das so viel Zeit beansprucht… Wirst du denn die Hochzeit überhaupt noch genießen können, Jill, wenn dein Zustand schon so weit fortgeschritten ist?«, war sie bereits bestens präpariert für seine nachfolgenden Überlegungen.
»Das soll doch vor allem dein Tag sein. Und du bist so zart…« Er legte wie zum Nachdruck seine Hand auf ihren Bauch, der noch flach und straff war, das aber bald nicht mehr sein würde. »Meinst du, wir sollten warten?«, fragte er.
Warum nicht, hatte sie gedacht. Sie hatte siebenunddreißig Jahre auf ihren Hochzeitstag gewartet, da spielten ein paar zusätzliche Monate weiß Gott keine Rolle.
Aber das war zu einer Zeit gewesen, als noch nicht Gideons Schwierigkeiten alles andere aus Richards Sinnen und Trachten verdrängt hatten und bevor mit Gideons Schwierigkeiten plötzlich Eugenie auf der Bildfläche erschienen war.
Jill war jetzt klar, dass Richards Zerstreutheit nach der Panne in der Wigmore Hall noch eine andere Quelle gehabt hatte, als das Versagen seines Sohnes an diesem Abend. Und als sie dies mit seinem Widerstreben, zu heiraten, in Zusammenhang brachte, stieg eine Beklemmung in ihr auf wie Nebel, der sich lautlos über ahnungslose Ufer legt.
Sie gab ihrer Mutter die Schuld daran. Dora Foster freute sich auf ihr erstes Enkelkind, mit dem Vater jedoch, den Jill sich für ihr erstes Kind ausgesucht hatte, war sie nicht einverstanden, wenn sie auch klug genug war, das nicht direkt zu sagen. Aber sie konnte es natürlich nicht lassen, ihrer Missbilligung indirekt Ausdruck zu geben, und was eignete sich dazu besser, als Jills Glauben an Richards Ehrlichkeit zu erschüttern? Wobei Jill natürlich keineswegs in diesen altmodischen Kategorien vom Mann mit den ehrlichen Absichten dachte. Sie lebte schließlich nicht in einem Roman von Thomas Hardy. Wenn sie an Ehrlichkeit dachte, hieß das für sie nur, dass ein Mann bezüglich seines Handelns und seiner Absichten die Wahrheit sagte. Richard hatte gesagt, sie würden heiraten; also würden sie das auch tun.
Natürlich hätten sie sofort heiraten können, nachdem sie schwanger geworden war. Sie hätte nichts dagegen gehabt. Auf ihrer Liste der angestrebten Erfolge standen Ehe und Familie. Das Wort Hochzeit hatte sie nie niedergeschrieben; sie hatte die Hochzeit immer nur als ein Mittel zur Erreichung ihres Ziels gesehen. Und hätte sie sich damals im Bett nach der Liebe nicht in diesem Zustand seliger Verklärtheit befunden, so hätte sie wahrscheinlich gesagt: »Ach, vergiss die große Hochzeit, Richard. Lass uns gleich heiraten«, und er hätte zugestimmt.
Wirklich?, fragte sie sich. Wie er dem Namen zugestimmt hatte, den sie für das Kind gewählt hatte? Wie er dem Vorschlag zugestimmt hatte, dass ihre Mutter ihr bei der Entbindung beistehen würde? Wie er zugestimmt hatte, statt seiner zuerst ihre Wohnung zu verkaufen? Das Haus in Harrow zu erwerben? Nur einmal mit dem Makler hinzufahren, um sich das Haus wenigstens anzusehen?
Was hatte es zu bedeuten, dass Richard jeden ihrer Pläne zunichte machte, mit den vernünftigsten Argumenten, so dass es stets den Anschein hatte, der Entschluss basiere auf einer beiderseitigen Entscheidung und nicht auf ihrem Nachgeben, weil sie - ja, was? Weil sie Angst hatte? Und wenn ja, wovor?
Die Antwort lag auf der Hand, obwohl die Frau tot war, obwohl sie nicht zurückkehren und sich zwischen sie drängen und verhindern konnte, was vom Schicksal bestimmt war…
Das Telefon klingelte. Jill fuhr zusammen, im ersten Moment verwirrt. Sie war so tief in Gedanken gewesen, dass sie nicht gleich wusste, dass sie noch in der Küche war und das Telefon im Wohnzimmer. Schwerfällig stand sie auf.
»Spricht dort Miss Foster?« Es war eine Frauenstimme, professionell und sachlich, so wie Jills Stimme einmal gewesen war.
»Ja«, sagte Jill.
»Miss Jill Foster?«
»Ja. Ja. Wer spricht denn bitte?«
Als sie die Antwort hörte, brach ihre Welt in Stücke.
Etwas an der Art, wie Noreen McKay das sagte - »Ich kann sie nicht entlasten« -, veranlasste Nkata, innezuhalten, bevor er sich zum Erfolg gratulierte. Im Blick der Frau lag Verzweiflung, und beginnende Panik in der Geste, mit der sie den Rest ihres Drinks in einem Zug hinunterkippte. Er sagte: »Können Sie nicht, oder wollen Sie nicht, Miss McKay?«
»Ich muss an zweijunge Menschen denken. Sie sind die einzige Familie, die mir geblieben ist. Ich möchte mich nicht mit ihrem Vater um das Sorgerecht streiten müssen.«
»Die Gerichte sind heutzutage liberaler.«
»Ich muss außerdem an meine berufliche Laufbahn denken. Es ist zwar nicht die, die ich mir gewünscht habe, aber sie ist mir wichtig, und ich habe sie mir aus eigener Kraft aufgebaut. Verstehen Sie denn nicht? Wenn herauskommt, dass ich -« Sie brach ab.
Nkata seufzte. »Sie war also bei Ihnen? Vor drei Tagen. Abends. Und gestern Abend auch? Spät?«
Noreen McKay sagte nichts. Groß und aufrecht saß sie auf ihrem Stuhl wie eine Pappfigur.
»Miss McKay, ich muss wissen, ob ich Ihren Namen streichen kann.«
»Und ich muss wissen, ob ich Ihnen trauen kann. Die Tatsache, dass Sie direkt hierher gekommen sind, direkt ins Gefängnis… Ihnen muss doch klar sein, was das vermuten lässt!«
»Es lässt vermuten, dass ich einen Haufen Arbeit hab und es deshalb blödsinnig wäre, vom einen Ende der Stadt zum anderen zu fahren, wenn ich Sie hier erreichen kann, keine zwei, drei Kilometer von Harriet Lewis' Kanzlei entfernt.«
»Aber das ist nicht alles«, entgegnete Noreen McKay. »Ich entnehme daraus, dass Sie ein Eigeninteresse haben, Constable, und wenn das zutrifft, was sollte Sie dann daran hindern, meinen Namen für nette fünfzig Pfund an die Presse zu verhökern? Die Story würde sich bestimmt gut verkaufen lassen, an die Mail, zum Beispiel. Sie haben mir im Lauf dieses Gesprächs bereits mit Schlimmerem gedroht.«
»Ach, ein Geschäft könnte ich schon jetzt machen. Überlegen Sie mal. Sie haben mir eine ganze Menge erzählt.«
»Was denn? Dass einmal abends eine Rechtsanwältin und ihre Mandantin bei mir waren? Was soll die Mail damit anfangen?«
Nkata musste einräumen, dass Noreen McKay mit ihrer Skepsis nicht unrecht hatte. Aus den dürftigen Informationen, die er von ihr bekommen hatte, ließ sich kaum etwas machen. Doch man sollte nicht zu gering einschätzen, was er bereits wusste, was er aus diesem Wissen schließen konnte, und was er daraus letztlich machen konnte. Tatsache allerdings war, so ungern er sich das eingestand, dass er von ihr lediglich eine Bestätigung brauchte und eine Zeitangabe. Alles andere, all das Wie und Warum, das hätte er zwar gern erfahren, aber es bestand keine dienstliche Notwendigkeit, es zu wissen.
»Der tödliche Autounfall mit Fahrerflucht in Hampstead«, sagte er, »geschah neulich Abend so zwischen zehn und elf. Harriet Lewis behauptet, sie könnten Katja Wolff für diese Zeit ein Alibi geben, würden es aber nicht tun. Aus diesem Grund vermute ich, dass zwischen Ihnen und Katja Wolff was läuft, was Sie schlecht aussehen lässt, wenn es rauskommt.«
»Ich habe es schon einmal gesagt: Darüber spreche ich nicht.«
»Das hab ich begriffen, Miss McKay. Wie war's dann, wenn Sie über das reden, worüber Sie zu reden bereit sind? Wie war's mit nüchternen Fakten ohne Schnörkel?«
»Wie meinen Sie das?«
»Nur ja oder nein.«
Noreen McKay schaute zum Tresen hinüber, wo ihre Kollegen Bier tranken. Die Tür wurde geöffnet, und es traten noch drei Gefängnisangestellte ein, alles Frauen in Uniformen wie Noreen McKay eine trug. Zwei von ihnen grüßten sie und schienen zu überlegen, ob sie an ihren Tisch kommen und sich mit ihrem Begleiter bekannt machen lassen sollten. Noreen McKay wandte sich brüsk von ihnen ab und sagte leise: »Das ist unmöglich. Ich hätte nicht… Wir müssen gehen.«
»Das würde sich aber nicht besonders gut machen, wenn Sie jetzt davonlaufen«, murmelte Nkata. »Schon gar nicht, wenn ich gleichzeitig aufspringe und Ihnen hinterherbrülle. Nur ein paar klare Antworten, ja oder nein, Miss McKay, und ich bin weg. Ich verschwinde wie Spülwasser, und Sie können denen über mich erzählen, was Sie wollen. Dass ich der Schulpsychologe bin und Sie wegen Ihres Neffen sprechen wollte. Oder ein Talentsucher von Manchester United, der sich für den Jungen interessiert. Ist mir völlig egal. Nur ja oder nein, und für Sie bleibt alles beim Alten, wie auch immer das ausschaut.«
»Sie haben keine Ahnung.«
»Eben. Das hab ich ja gesagt. Wie auch immer es ausschaut.«
Sie starrte ihn einen Moment lang schweigend an. Dann sagte sie: »Also gut. Fragen Sie.«
»War sie vor drei Tagen abends bei Ihnen?«
»Ja.«
»Zwischen zweiundzwanzig Uhr und Mitternacht?«
»Ja.«
»Um welche Zeit ist sie gegangen?«
»Wir hatten ja oder nein vereinbart.«
»Richtig. Ist sie vor Mitternacht gegangen?« »Ist sie vor zweiundzwanzig Uhr gekommen?«
»Ja.«
»Kam sie allein?«
»Ja.«
»Weiß Mrs. Edwards, wo sie war?«
Noreen McKay blickte bei dieser Frage an ihm vorbei, aber sie schien es nicht zu tun, weil sie die Absicht hatte, zu lügen. »Nein«, antwortete sie.
»Und gestern Abend?«
»Was meinen Sie?«
»War Katja Wolff gestern Abend bei Ihnen? Sagen wir, nachdem ihre Anwältin gegangen war?«
Noreen McKay sah ihn wieder an. »Ja.«
»Ist sie geblieben? War sie gegen dreiundzwanzig Uhr dreißig und Mitternacht noch da?«
»Ja. Sie ist - es dürfte ungefähr halb zwei gewesen sein, als sie ging.«
»Kennen Sie Mrs. Edwards?«
Wieder wanderte ihr Blick von ihm weg. Er beobachtete, wie ein Muskel an ihrem Hals sich anspannte. Sie sagte: »Ja. Ja, ich kenne Yasmin Edwards. Sie hat den größten Teil ihrer Strafe in Holloway verbüßt.«
»Sie wissen, dass sie und Katja…«
»Ja.«
»Was drängen Sie sich dann zwischen die beiden?«, fragte er abrupt, und die Vereinbarung mit ihr wurde von einem plötzlichen Bedürfnis, zuzuschlagen, verdrängt, einem persönlichen Bedürfnis, das er sich kaum eingestehen konnte und überhaupt nicht verstand. »Sie haben wohl einen Plan, Sie und Katja? Benutzen Sie beide Mrs. Edwards und ihren Jungen für Ihre eigenen Zwecke?«
Sie sah ihn an, ohne etwas zu sagen.
»Das sind Menschen, Miss McKay«, fuhr er fort. »Menscher die ein eigenes Leben und Gefühle haben. Wenn Sie und Katj Wolff die Absicht haben, Yasmin Edwards etwas anzuhängen, sie in irgendwas reinzuziehen, sie schlecht zu machen, in Gefahr zu bringen-«
Mit einer heftigen Bewegung beugte sich Noreen McKay über den Tisch und zischte: »Sehen Sie denn nicht, dass genau das Gegenteil der Fall ist? Ich stehe schlecht da. Ich bin in Gefahr. Und warum? Weil ich sie liebe, Constable. Das ist mein Verbrechen. Sie glauben, hier ginge es um Perversion und Sex, nicht wahr? Um den Missbrauch von Macht. Um Nötigung und widerliche Szenen mit verzweifelten Frauen, die verzweifelten Frauen hinter Gittern Gewalt antun. Sie kommen gar nicht auf den Gedanken, dass es anders sein könnte, viel schwieriger, dass es um Liebe gehen könnte. Aber so ist es, ich liebe eine Frau und darf es nicht öffentlich tun, ich muss mich mit Heimlichkeiten begnügen und die Gewissheit ertragen, dass sie an den Abenden, an denen wir getrennt sind - und das sind weit mehr, als wir gemeinsam verbringen, glauben Sie mir -, mit einer anderen zusammen ist, eine andere liebt oder zumindest so tut, weil ich es so will. Und jede Auseinandersetzung, die wir haben, bleibt ohne Lösung, weil wir beide mit den Entscheidungen, die wir getroffen haben, Recht haben. Ich kann ihr nicht geben, was sie von mir will, und ich kann nicht annehmen, was sie geben will. Darum gibt sie es anderswo, und ich bekomme Brosamen von ihr, und sie bekommt Brosamen von mir. Und so wird es immer bleiben, ganz gleich, was sie darüber sagt, wie und wann sich die Dinge ändern werden.« Sie lehnte sich, als sie geendet hatte, einen Moment atemlos zurück, dann schlüpfte sie in ihren dunkelblauen Mantel, stand auf und steuerte auf die Tür zu.
Nkata folgte ihr. Draußen blieb sie stehen, mitten im pfeifenden Wind, keuchend wie eine Läuferin. Das Licht der Straßenlampe fiel auf sie herab, während sie mit einer Hand den Masten umfasst hielt und zum Holloway- Gefängnis auf der anderen Straßenseite hinüber schaute.
Sie schien zu spüren, dass Nkata an ihre Seite trat. Sie sah ihn nicht an, als sie sprach. »Zuerst machte sie mich nur neugierig. Sie kam nach dem Prozess ins Krankenhaus, dort arbeitete ich damals. Sie wurde rund um die Uhr bewacht, weil man fürchtete, sie könnte sich das Leben nehmen. Aber ich sah gleich, dass sie nicht die geringste Absicht hatte, sich etwas anzutun. Sie strahlte so eine Entschlossenheit und Selbstsicherheit aus. Sie schien genau zu wissen, wer sie war. Und mir gefiel das, ich fand es unwiderstehlich; denn ich wusste zwar ebenso genau, wer ich war, aber im Gegensatz zu ihr war ich nie fähig gewesen, es mir einzugestehen. Dann kam sie in die Abteilung für Schwangere, und sie hätte nach der Geburt des Kindes auf die Mutter-Kind-Station gehen können, aber das wollte sie nicht, sie wollte den Jungen nicht, und ich merkte auf einmal, dass es mich brennend interessierte, was sie vom Leben wollte und wie sie geschaffen war, dass sie so existieren konnte, so sicher in ihrer Einsamkeit.«
Nkata sagte nichts. Er hielt den Wind ein wenig ab, als er sich vor Noreen McKay stellte.
»Danach habe ich sie einfach nur beobachtet. Sie war natürlich in Gefahr, als sie aus der Krankenabteilung herauskam. Es gibt so etwas wie Ehre unter ihnen, und das Schlimmste ist in ihren Augen eine Kindsmörderin. Sie war deshalb nur in Gemeinschaft mit anderen Kapitalverbrecherinnen sicher. Aber ihre Sicherheit kümmerte sie gar nicht, und das faszinierte mich. Anfangs glaubte ich, das wäre so, weil sie ihr Leben als beendet betrachtete, und ich wollte mit ihr darüber sprechen. Ich nannte es meine Pflicht, und da ich damals für die Samariter zuständig war -«
»Samariter?«, fragte Nkata.
»Wir haben hier im Gefängnis ein Programm, das Samaritern erlaubt, Besuche zu machen. Wenn eine Gefangene an dem Programm teilnehmen möchte, teilt sie das der zuständigen Beamtin mit.«
»Und wollte Katja Wolff teilnehmen?«
»Nein. Nie. Aber ich benutzte das als Vorwand, um mit ihr ins Gespräch zu kommen.« Sie sah Nkata forschend an und schien etwas in seiner Miene lesen, denn sie fügte hinzu: »Ich bin gut in meiner Arbeit. Wir haben jetzt Entzugsprogramme. Wir verzeichnen einen Anstieg der Besucherzahlen.Wirhabenbessere
Rehabilitationschancen und bessere Möglichkeiten für Kinder, ihre Mütter im Gefängnis zu besuchen. Ich bin gut, glauben Sie mir.«
Ihr Blick schweifte von ihm weg zur Straße, wo abendliche Autoschlangen zu den Vorstädten im Norden hinauskrochen. Sie sagte: »Sie wollte das alles nicht, und ich konnte ihre Ablehnung nicht verstehen. Sie kämpfte gegen die Auslieferung nach Deutschland, und auch das verstand ich nicht. Sie sprach mit niemandem, wenn sie nicht angesprochen wurde. Aber sie beobachtete alles. Und so merkte sie natürlich nach einiger Zeit, dass ich sie beobachtete. Als ich in ihren Trakt versetzt wurde - das war später -, begannen wir miteinander zu reden. Sie nahm den Kontakt als Erste auf, was mich sehr überraschte. Sie sagte: >Warum beobachten Sie mich?<, daran erinnere ich mich. Und an das, was folgte, erinnere ich mich auch.«
»Sie hält alle Trümpfe in der Hand, Miss McKay«, sagte Nkata.
»Es geht hier nicht um Erpressung, Constable. Katja könnte mich vernichten, aber ich weiß, sie wird es nicht tun.«
»Woher wissen Sie das?«
»Es gibt Dinge, die weiß man einfach.«
»Wir sprechen von einer ehemaligen Gefängnisinsassin.«
»Wir sprechen von Katja.«
Noreen McKay trat von der Straßenlampe weg und ging in Richtung Ampel, um die Straße zu überqueren und ins Gefängnis zurückzukehren. Nkata ging mit ihr. Sie sagte: »Ich wusste schon sehr früh, was ich bin. Ich nehme an, meine Eltern wussten es auch, wenn ich Verkleiden spielte und mich als Soldat, Pirat oder Feuerwehrmann präsentierte. Nie als Prinzessin oder Krankenschwester oder feine Dame. Und das ist ja nicht normal, nicht? Aber mit fünfzehn will man unter allen Umständen normal sein. Also versuchte ich es mit jedem Mittel: Miniröcke, hochhackige Schuhe, tiefe Ausschnitte, was eben so dazugehört. Ich versuchte mein Glück bei den Jungs und trieb es mit jedem, den ich ergattern konnte. Bis ich eines Tages in der Zeitung eine Annonce entdeckte, wo Frauen Kontakt zu Frauen suchten, und die Nummer anrief. Nur aus Jux, sagte ich mir. Wir trafen uns in einem Fitnessstudio, schwammen ein bisschen im Pool, sind dann zusammen Kaffee trinken gegangen und danach zu ihr. Sie war vierundzwanzig. Ich war neunzehn. Wir waren fünf Jahre zusammen, bis ich im Vollzug zu arbeiten anfing. Danach - ich konnte so ein Leben nicht mehr führen. Ich empfand es als zu großes Risiko. Und dann bekam meine Schwester die Hodgkinsche Krankheit, und ich nahm die Kinder zu mir, und lange Zeit war das genug.«
»Bis Katja Wolff kam.«
»Ich habe mit Dutzenden von Männern geschlafen, aber geliebt habe ich nur zwei Menschen, und das waren Frauen, Eine von ihnen ist Katja.«
»Wie lange geht das schon?«
»Siebzehn Jahre. Mit Unterbrechungen.«
»Und wollen Sie ewig so weitermachen?«
»Sie meinen, mit Yasmin zwischen uns?« Sie warf Nkata einen Blick zu und schien seinem Schweigen die Antwort zu entnehmen. »Wenn man behauptet, dass wir in der Liebe wählen, dann habe ich Katja aus zwei Gründen gewählt. Sie hat nie darüber gesprochen, was sie ins Gefängnis gebracht hatte, daher wusste ich, dass sie schweigen konnte. Und sie hatte ein großes Geheimnis. Ich dachte damals, es sei ein Geliebter oder eine Geliebte außerhalb des Gefängnisses. Also kann ich mich gefahrlos auf sie einlassen, sagte ich mir, denn nach ihrer Entlassung wird sie zu ihm oder zu ihr zurückgehen, und ich habe meine Wünsche mit ihr ausleben können. Und dann kann ich gut wie eine Nonne leben, ohne das Gefühl haben zu müssen, ich hätte im Leben etwas versäumt…«
Die Ampel an der Parkhurst Road schaltete auf Grün. Noreen McKay trat vom Bürgersteig herab. Dann blickte sie noch einmal zurück, um eine letzte Bemerkung zu machen. »Es sind siebzehn Jahre, Constable. Sie ist die Einzige unter den Frauen im Gefängnis, die ich je angerührt habe. Sie ist die einzige Frau, die ich dort je geliebt habe.«
»Warum?«, fragte er, als sie sich anschickte, die Straße zu überqueren.
»Weil von ihr keine Gefahr ausgeht«, antwortete Noreen McKay. »Und weil sie stark ist. Niemand kann Katja Wolff zerbrechen.«
»Gottverdammter Mist. Das ist echt toll«, brummte Barbara Havers in sich hinein. Sie begann gerade, sich der Gefahr ihrer Situation bewusst zu werden: Erst vor zwei Monaten wegen Insubordination und tätlichen Angriffs auf einen Vorgesetzten degradiert, konnte sie sich ein weiteres Schlagloch auf ihrer holprigen Berufslaufbahn nicht leisten. »Wenn Leach das mit dem Computer an Hillier weitergibt, sind wir erledigt, Inspector. Das ist Ihnen wohl klar?«
»Wir sind nur erledigt, wenn sich in diesem Computer etwas findet, was für die Ermittlungen wichtig ist«, erwiderte Lynley, während er den Bentley am Rosslyn Hill in den dichten abendlichen Verkehr lenkte. »Und das ist nicht der Fall, Havers.«
Seine unerschütterliche Ruhe reizte sie. Sie waren mit solch einem Tempo zu seinem Wagen marschiert, nachdem sie Leachs Büro verlassen hatten, dass sie nicht dazu gekommen war, eine zu rauchen, und sie gierte nach einer Dosis Tabak zur Beruhigung ihrer Nerven und ihrer Befürchtungen.
»Ach, das wissen Sie so genau?«, fragte sie gereizt. »Und was ist mit den Briefen vom Superintendent an Eugenie Davies? Wenn wir die Briefe als Beweismittel gegen Richard Davies brauchen, um zu erklären, warum er es auf Webberly abgesehen hatte - warum er den Anschein erwecken wollte, dass die Wolff hinter den Anschlägen steckt . « Sie fuhr sich mit der Hand durch die Haare, die schon wieder viel zu lang waren. Gleich heute Abend würde sie sie schneiden, mit der Nagelschere, gründlich. Vielleicht ganz kurz, und dann mit Haargel hochfrisieren wie ein Punk. Das müsste Hillier doch von allen Gedanken über ihre Rolle bei dieser Manipulation von Beweismitteln ablenken.
»Es geht immer nur das eine oder das andere, Havers.«
»Und was bitte soll das heißen?«
»Er kann nicht einerseits Eugenie getötet haben, weil sie Gideons Karriere bedrohte, und andererseits aus Eifersucht Webberly aufs Korn genommen haben. Wo bleibt da die Sextherapeutin Kathleen Waddington?«
»Na ja, vielleicht liege ich mit meiner Theorie über Gideons Karriere falsch«, meinte sie. »Vielleicht hat er Eugenie tot gefahren, weil sie sich mit Webberly eingelassen hatte.«
»Nein, Sie haben schon Recht. Sein Ziel war Eugenie, die Einzige, die er getötet hat. Die Anschläge auf Webberly und Waddington hat er nur verübt, um unsere Aufmerksamkeit auf Katja Wolff zu lenken.« Lynley schien so sicher und absolut unbeeindruckt von der Gefahr, in der sie sich befanden, dass Barbara ihm am liebsten eine runtergehauen hätte. Er konnte es sich leisten, unbeeindruckt zu bleiben. Wenn man ihn in Scotland Yard an die Luft setzte, brauchte er nur in seinem dicken Schlitten nach Cornwall runterzufahren, wo sich der Familienstammsitz befand, und dort bis an sein seliges Ende das unbeschwerte Leben eines Landjunkers zu führen. Sie dagegen hatte solche Möglichkeiten nicht.
»Sie scheinen sich Ihrer Sache ja verdammt sicher zu sein«, nörgelte sie.
»Davies hatte den Brief bekommen, Havers.«
»Welchen Brief?«
»Den Brief, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass Katja Wolff aus dem Gefängnis frei gelassen worden war. Er wusste, dass ich ihn verdächtigen würde, wenn er mir den Brief zeigte.«
»Also fährt er zuerst diese Waddington über den Haufen und dann den Superintendent, damit es so aussieht, als wäre Eugenie aus Rache umgebracht worden und als wäre das Katja Wolffs Werk, die es den Leuten heimzahlen will, die sie in den Knast gebracht haben, ja?«
»Das ist meine Vermutung.«
»Aber vielleicht ist es ja wirklich Rache, Inspector. Nicht Katja Wolffs, sondern seine. Vielleicht hat er von Eugenie und Webberly gewusst. Vielleicht hat er es immer gewusst und hat nur abgewartet, krank vor Eifersucht und finster entschlossen, eines Tages -«
»Das funktioniert so nicht, Havers. Webberlys Briefe an Eugenie Davies sind alle an die Adresse in Henley gerichtet. Sie stammen aus einer Zeit lange nach Eugenies Trennung von ihrem Mann. Davies hatte keinen Grund zur Eifersucht. Er hat wahrscheinlich sogar nie von der Beziehung der beiden gewusst.«
»Aber warum dann Webberly? Warum nicht eine andere Person, die im Prozess eine Rolle spielte? Den Ankläger, den Richter, irgendeinen Zeugen.«
»Ich nehme an, Webberly war einfach leichter ausfindig zu machen. Er lebt seit fünfundzwanzig Jahren in demselben Haus.«
»Aber Richard Davies muss auch die Adressen der anderen kennen, wenn er die Waddington gefunden hat.«
»Welche anderen meinen Sie?«
»Die Leute, die gegen Katja Wolff ausgesagt haben. Robson, zum Beispiel. Was ist mit Robson?«
»Robson war immer nur für Gideon da. Das hat er mir selbst gesagt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Davies irgendetwas tun würde, was seinem Sohn schaden könnte. Ihre ganze Theorie - die, die Sie bei Leach im Büro vorgetragen haben - hängt an der Voraussetzung, dass Davies nur zur Rettung seines Sohnes aktiv geworden war.«
»Okay. Gut. Vielleicht bin ich auf dem falschen Dampfer. Vielleicht hat es mit Eugenie und Webberly und ihrer Beziehung überhaupt nichts zu tun. Vielleicht sind die Briefe und der Computer Beweisstücke, mit denen wir das hätten nachweisen können. Und vielleicht sitzen wir jetzt richtig im Dreck.«
Er sah sie von der Seite an. »Nein, Barbara, tun wir nicht.« Als sein Blick nach unten glitt, wurde ihr bewusst, dass sie tatsächlich die Hände rang wie die tragische Heldin in einem Melodram. Er sagte: »Nehmen Sie sich ruhig eine.«
»Was?«, fragte sie.
»Eine Zigarette. Rauchen Sie eine. Sie haben es verdient. Ich werd's überstehen.« Er drückte sogar den Zigarettenanzünder des Bentley ein und reichte ihn ihr, als er heraussprang. »Genießen Sie sie«, sagte er. »So bald erleben Sie das nicht wieder.«
»Das will ich hoffen«, antwortete Barbara brummig.
»Ich sprach eigentlich vom Rauchen in meinem Wagen.«
»Ah ja. Ich nicht.« Sie kramte ihre Players heraus und zündete sich eine an. Während sie den Rauch tief inhalierte, dankte sie im Stillen ihrem Chef, dass er ausnahmsweise einmal Toleranz für ihre Schwäche zeigte. Langsam krochen sie die Hauptstraße entlang, und Lynley sah auf seine Taschenuhr. Er reichte Barbara sein Handy und sagte: »Rufen Sie St. James an und bitten Sie ihn, den Computer bereit zu halten.«
Barbara wollte der Aufforderung gerade nachkommen, als das Handy in ihrer Hand klingelte. Sie drückte auf den Knopf, und Lynley bedeutete ihr mit einem Nicken, dass sie den Anruf entgegennehmen solle.
»Havers«, sagte sie deshalb.
»Constable?«, brüllte Leach ihr ins Ohr. »Wo, zur Hölle, sind Sie?«
»Auf dem Weg, den Computer zu holen, Sir«, antwortete sie und flüsterte, die Hand auf dem Mikrofon, zu Lynley gewandt:
»Leach. Schon wieder total ausgeflippt.«
»Vergessen Sie den Computer«, bellte Leach. »Fahren Sie rüber zur Portman Street. Zwischen Oxford Street und Portman Square. Sie werden die Sauerei sehen, wenn Sie hinkommen.«
»Portman Street?«, sagte Barbara. »Aber Sir, wollten Sie denn nicht -«
»Hören Sie schlecht?«
»Ich -«
»Es ist wieder jemand angefahren worden«, schnauzte Leach.
»Was?! Wer denn?«, rief Barbara.
»Richard Davies. Aber diesmal gibt's Zeugen. Und ich möchte, dass Sie und Lynley da drüben antanzen und die Leute durch die Mangel drehen, bevor sie verschwinden.«