Barbara Havers sagte: »Es wär doch prima, wenn die Situation nicht alle fünfundzwanzig Minuten ein völlig anderes Gesicht bekäme. Dann könnten wir tatsächlich hoffen, den Fall in den Griff zu bekommen.«
Lynley bog in die Belsize Avenue ein und vergegenwärtigte sich den Stadtplan, um sich einen Weg zur Portman Street zu überlegen, der sie nicht mitten in einen Verkehrsstau führen würde.
Barbara, die neben ihm saß, schimpfte weiter. »Wer bleibt eigentlich, wenn's jetzt auch Davies erwischt hat? Leach wird schon Recht haben. Es kann eigentlich nur noch die Wolff dahinter stecken, die einen Kumpel mit einem Oldtimer hat, von dem wir noch nichts wissen. Der Kumpel leiht ihr den Wagen - wahrscheinlich völlig ahnungslos, wozu sie ihn braucht -, und sie fährt ihre Attacken auf die Leute, die sie in den Knast gebracht haben. Oder vielleicht attackieren die beiden auch gemeinsam. Das ist eine Möglichkeit, die wir noch nicht ins Auge gefasst haben.«
»Das würde voraussetzen, dass eine Unschuldige zwanzig Jahre im Gefängnis war.«
»Das soll schon vorgekommen sein«, erwiderte Barbara.
»Aber doch nicht, ohne dass die Unschuldige ihre Unschuld lautstark beteuert hat.«
»Sie kommt aus der ehemaligen DDR, einem totalitären Staat. Sie war gerade mal - wie lange war sie in England, als die Geschichte passierte? Zwei Jahre? Vielleicht drei? Plötzlich findet sie sich auf dem Polizeirevier wieder und wird vernommen. Alte Ängste werden wach, und sie hält es für das Klügste, kein Wort zu sagen. Mir leuchtet das ein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie dort, wo sie herkommt, ein inniges Verhältnis zur Polizei hatte.«
»Ja, gut«, meinte Lynley, »es kann sein, dass die Polizei ihr Angst gemacht hat. Aber irgendjemandem hätte sie doch gesagt, dass sie unschuldig ist, Havers. Sie hätte doch bestimmt mit ihren Anwälten gesprochen. Aber das hat sie nicht getan. Was sagt Ihnen das?«
»Dass jemand sie beeinflusst hat.«
»Wie denn?«
»Weiß ich doch nicht.« Barbara zerrte frustriert an ihren Haaren, als könnte sie so irgendwelche neuen Ideen locker machen.
Lynley ließ sich ihre Vermutung durch den Kopf gehen. Er sagte: »Piepsen Sie mal Winston an. Vielleicht hat er etwas für uns.«
Barbara benutzte Lynleys Handy, um dies zu tun.
Sie arbeiteten sich zur Finchley Road durch. Der Wind, den ganzen Tag schon frisch, hatte im Lauf des späten Nachmittags an Kraft gewonnen und fegte jetzt Herbstlaub und Abfälle durch die Straße, während aus Nordwesten sich Regenwolken heranwälzten. Als sie von der Park Road in die Baker Street abbogen, fielen die ersten dicken Tropfen auf die Windschutzscheibe des Bentley. Die frühe Dämmerung des Novembers hatte sich über London herabgesenkt, und der immer dichter fallende Regen glitzerte im Licht der entgegenkommenden Scheinwerfer.
Lynley fluchte. »Das gibt eine schöne Schweinerei am Tatort.«
Barbara stimmte zu. Lynleys Handy läutete, und Barbara reichte es ihm hinüber.
Winston Nkata berichtete, dass, wenn die langjährige Geliebte Katja Wolffs nicht gelogen habe, diese entlastet sei, sowohl bezüglich des Mordes an Eugenie Davies als auch des Anschlags auf Webberly. Die zwei Frauen seien an beiden Abenden zusammen gewesen.
»Das ist nicht neu, Winston«, sagte Lynley. »Wir wissen ja von Ihnen bereits, dass Yasmin Edwards bestätigt hat -«
Es handle sich bei dieser Geliebten nicht um Yasmin Edwards, erklärte Nkata, sondern um die stellvertretende Direktorin im Holloway-Gefängnis, eine gewisse Noreen McKay, die seit Jahren mit Katja Wolff ein Verhältnis habe. Die McKay habe sich aus nahe liegenden Gründen gescheut, eine Aussage zu machen, habe aber schließlich zugegeben, an den beiden fraglichen Abenden mit Katja Wolff zusammen gewesen zu sein.
»Geben Sie auf jeden Fall ihren Namen an Leachs Leute durch«, sagte Lynley. »Sie sollen prüfen, was für einen Wagen sie fährt. Wo ist die Wolff jetzt?«
»Zu Hause, vermute ich. Ich bin jetzt auf dem Weg dorthin.«
»Warum?«
Es trat eine Pause ein, bevor Nkata antwortete. »Ich wollte ihr selbst sagen, dass sie nicht mehr verdächtig ist. Ich bin ziemlich grob mit ihr umgesprungen.«
Lynley fragte sich, wen genau der Constable meinte, wenn er von »ihr« sprach. »Geben Sie vorher Leach den Namen dieser McKay durch. Und ihre Adresse.«
»Und dann?«
»Erledigen Sie die Sache in Kennington. Aber, Winnie, seien Sie zurückhaltend.«
»Warum das, Inspector?«
»Wir haben bereits die nächste Fahrerflucht.« Lynley setzte ihn kurz ins Bild und fügte hinzu, dass er und Havers in diesem Moment auf dem Weg in die Portman Street seien. »Jetzt, wo es auch Richard Davies erwischt hat, haben wir ein ganz neues Spiel. Neue Regeln, neue Spieler und, wer weiß, vielleicht ein neues Ziel.«
»Aber wenn die Wolff doch ein Alibi hat -«
»Lassen Sie einfach ein bisschen Vorsicht walten«, riet Lynley.
»Es ist noch nicht alles auf dem Tisch.«
Nachdem Lynley das Gespräch beendet hatte, berichtete er alles Barbara, und als er zum Schluss gekommen war, sagte sie: »Na, das wird ja immer dürftiger.«
»Ja, das kann man wohl sagen«, stimmte Lynley zu.
Noch einmal zehn Minuten Fahrt, und sie erreichten die Portman Street, wo schon blinkendes Blaulicht und ein größerer Verkehrsstau in der Nähe des Portman Square von einem Unfall kündeten. Lynley fuhr den Wagen an den Bordstein und hielt ihn halb auf dem Bürgersteig, halb auf der Busspur an.
Sie stapften durch den Regen den Blaulichtern entgegen und bahnten sich einen Weg durch ein Gewühl von Gaffern. Die Lichter gehörten zu zwei Streifenfahrzeugen, die die Busspur blockierten, und zu einem dritten, das den Verkehr stoppte. Die Beamten aus einem der Wagen führten mitten auf der Straße ein Gespräch mit einer Politesse, während einige Beamte aus den beiden anderen Fahrzeugen mit Leuten auf dem Bürgersteig redeten und die anderen sich durch das Unter- und Oberdeck des Busses drängten, der schief, mit einem Rad auf dem Bordstein, am Straßenrand stand. Ein Rettungswagen war weit und breit nicht zu sehen. Ebenso wenig die Kollegen von der Spurensicherung. Und die Unfallstelle selbst - die zweifellos dort war, wo der Streifenwagen mitten im Verkehr stand - war noch nicht einmal abgesperrt worden. Das hieß, dass eventuell vorhandene, wichtige Spuren ungesichert waren und bald verloren sein wurden. Lynley schimpfte unterdrückt.
Dicht gefolgt von Barbara Havers schob er sich durch die Menge und hielt dem nächst stehenden Polizisten, einem Bobby im Anorak, dem das Wasser vom Helm in den Nacken tropfte, seinen Ausweis unter die Nase.
»Was ist hier geschehen?«, fragte er. »Wo ist das Opfer?«
»Schon auf dem Weg ins Krankenhaus«, antwortete der Beamte.
»Er ist also am Leben?« Lynley sah Barbara an. Die hob die Faust mit aufgestelltem Daumen. »Wie ist sein Zustand?«
»Hat ein Schweineglück gehabt, der Mann. Als wir das letzte Mal so einen Fall hatten, haben sie eine Woche gebraucht, um die Leiche vom Pflaster zu kratzen, und der Fahrer ist erst mal in der Klapse gelandet.«
»Gibt es Zeugen? Wir müssen mit ihnen sprechen.«
»Ach ja? Wieso denn?«
»Wir hatten ähnliche Unfälle mit Fahrerflucht in West Hampstead«, erklärte Lynley, »in Hammersmith und in Maida Vale. Bei dem heutigen hat es einen Mann erwischt, der mit einem unserer früheren Opfer verwandt ist.«
»Sie sind falsch informiert.«
»Wie bitte?«, fragte Barbara.
»Das hier war keine Fahrerflucht.« Der Polizist wies mit einer Kopfbewegung zum Bus, in dem einer seiner Kollegen gerade mit einer Frau sprach, die direkt hinter dem Fahrersitz saß. Der Fahrer selbst war draußen auf dem Bürgersteig in einem erregten Gespräch mit einem der Polizisten, dem er seinen linken vorderen Scheinwerfer zeigte. »Ein Fußgänger ist vom Bürgersteig aus direkt vor den Bus gestoßen worden«, erläuterte der Polizist.
»Zum Glück ist ihm nicht allzu viel passiert. Mr. Nai« - er deutete auf den Busfahrer - »hat gute Reflexe, und bei dem Bus sind erst letzte Woche die Bremsen überprüft worden. Bei den Fahrgästen hat es ein paar Schrammen und Beulen gegeben, und das Opfer hat ein paar Knochenbrüche abbekommen, aber das ist schon alles.«
»Hat jemand gesehen, wer ihn gestoßen hat?«, fragte Lynley gespannt.
»Das versuchen wir gerade rauszukriegen, Meister.«
Jill stellte den Humber einfach auf einem Platz ab, der unübersehbar für Krankenfahrzeuge reserviert war. Es war ihr egal. Sollten sie dem Wagen doch eine Kralle verpassen oder ihn abschleppen, wenn es ihnen Spaß machte. Sie kämpfte sich hinter dem Lenkrad hervor und lief zum Eingang der Notaufnahme.
Hier gab es keine Anmeldung, nur einen Wachmann hinter einem simplen Holzpult.
Er warf nur einen Blick auf Jill und fragte sofort, »Soll ich Ihren Arzt anrufen, Madam? Oder erwartet er Sie hier?«
Jill sagte: »Wie bitte?«, bevor sie begriff, was der Wachmann angesichts ihres Körperumfangs, ihrer Aufmachung und ihrer panischen Verfassung glaubte. »Nein, nein«, wehrte sie ab, »keinen Arzt«, woraufhin der Mann missbilligend sagte: »Sie haben keinen Arzt?«
Ohne ihn weiter zu beachten, lief sie schwerfällig auf einen Mann zu, der wie ein Arzt aussah. Er blätterte gerade irgendwelche Unterlagen durch, die auf einem Klemmbrett befestigt waren, und hatte ein Stethoskop um den Hals hängen.
Jill rief: »Richard Davies?«, woraufhin der Arzt aufblickte. »Wo ist Richard Davies? Man hat mich angerufen. Ich solle herkommen. Man hat ihn hierher gebracht. Bitte sagen Sie mir jetzt nicht… sagen Sie bitte nicht, dass er… Bitte! Wo ist er?«
»Jill…«
Sie fuhr herum. Er stand hinter dem Empfangspult an den Pfosten einer offenen Tür gelehnt, durch die man in eine Art Behandlungsraum hineinsehen konnte. Fahrbare Tragen standen dort, auf denen Menschen unter dünnen pastellfarbenen Decken lagen, und weiter hinten waren Abteile, durch Vorhänge voneinander abgetrennt, die nicht ganz bis zum Boden reichten, so dass die Füße derer zu sehen waren, die sich um die Verletzten, die Schwerkranken und die Sterbenden bemühten.
Richard gehörte in die Gruppe der Verletzten. Jill wurden die Knie weich, als sie ihn sah. »O Gott«, rief sie. »Ich dachte, du wärst… Sie sagten… Als sie angerufen haben…«, und dann begann sie zu weinen, was überhaupt nicht ihre Art war und deutlich verriet, wie sehr sie sich aufgeregt hatte.
Er ging ihr humpelnd entgegen, und sie hielten einander fest. Er sagte: »Ich habe sie gebeten, dich nicht anzurufen. Ich sagte ihnen, ich würde dich selbst anrufen und dir Bescheid geben, aber sie ließen nicht mit sich reden… Das sind eben die Vorschriften… Wenn ich gewusst hätte, dass du dich so sehr aufregst… Komm, Jill, hör auf zu weinen .«
Er versuchte, ein Taschentuch für sie herauszukramen, und erst bei dieser Gelegenheit bemerkte sie, dass sein rechter Arm in Gips war. Gleich darauf nahm sie alles andere wahr: den Gehgips am rechten Fuß, den sie unter dem aufgerissenen marineblauen Hosenbein sehen konnte, die hässlich verfärbte Quetschung auf der einen Seite seines Gesichts, die blutige Naht unter seinem rechten Auge.
»Was ist denn nur passiert?«, rief sie.
Er sagte: »Bring mich nach Hause, Schatz. Sie wollen mich über Nacht hier behalten, aber ich - das brauche ich nicht… Ich verstehe nicht…« Er sah sie ernst an. »Jill, bringst du mich nach Hause?«
Natürlich, sagte sie. Habe er denn je daran gezweifelt, dass sie da sein würde, alles für ihn tun, ihn versorgen und pflegen würde?
Er nahm es mit einer Dankbarkeit entgegen, die sie rührte. Und als sie seine Sachen packten, rührte es sie noch tiefer, zu sehen, dass er es tatsächlich geschafft hatte, all die Einkäufe zu erledigen, die er sich vorgenommen hatte, als er weggegangen war. Er kam mit fünf ziemlich zerdrückten und verschmutzten Einkaufstüten aus dem Behandlungszimmer zurück. »Wenigstens habe ich das Babyfon gefunden«, sagte er mit ein wenig bitterer Ironie.
Ohne auf die Proteste des jungen Arztes und der noch jüngeren Schwester zu achten, die sie aufzuhalten suchten, verließen sie das Krankenhaus. Es ging langsam, da Richard etwa alle vier Schritte eine Verschnaufpause einlegen musste. Unterwegs erzählte er ihr kurz, was geschehen war.
Er sei auf der Suche nach dem, was ihm vorschwebte, in mehr als ein Geschäft gegangen, sagte er. Am Ende hatte er mehr eingekauft, als er eigentlich vorgehabt hatte, und in den Menschenmassen draußen auf den Bürgersteigen erwiesen sich die Einkaufstüten als sperrig und hinderlich.
»Ich habe einfach nicht aufgepasst«, sagte er. »Es waren so viele Menschen.«
Er war auf dem Weg zur Tiefgarage am Portman Square, wo er seinen Granada geparkt hatte. Auf den Bürgersteigen wimmelte es von Menschen: Leute, die noch einen schnellen letzten Einkauf in der Oxford Street machen wollten, ehe die Geschäfte schlossen, Geschäftsleute auf dem Heimweg, Gruppen von ausgelassenen Schülern, die Obdachlosen auf der Suche nach einer Türnische für die Nacht und ein paar Münzen, um sich etwas zu essen kaufen zu können.
»Du weißt ja, wie es in der Stadt um diese Zeit zugeht«, sagte er.
»Es war Wahnsinn, sich in dieses Getümmel zu stürzen, aber ich wollte es einfach nicht länger aufschieben.«
Der Stoß, erklärte er, traf ihn aus dem Nichts, als eben ein Bus der Linie 74 von seiner Haltestelle ausscherte. Ehe er wusste, wie ihm geschah, fiel er direkt vor das Fahrzeug. Ein Rad fuhr über - »Über deinen Arm«, sagte Jill. »Ach, dein Arm. Oh, Richard…«
»Die Polizisten sagten, ich hätte großes Glück gehabt«, schloss Richard. »Es hätte - du weißt, was hätte geschehen können.« Wieder legte er auf dem Weg zu Jills Wagen eine kurze Rast ein.
Jill sagte zornig: »Die Leute sind heutzutage dermaßen rücksichtslos. Ständig sind sie in Eile. Sie laufen mit ihren Handys am Ohr durch die Straßen und achten nicht auf die anderen.« Sie berührte seine verletzte Wange. »Komm, ich bring dich nach Hause, mein Schatz. Ich verwöhne dich ein bisschen.« Liebevoll lächelnd sah sie ihn an »Ich mache dir eine schöne Bouillon und pack dich ins Bett.«
»Heute Abend muss ich zu mir nach Hause«, sagte er. »Verzeih mir, Jill, aber die Nacht auf deinem Sofa zu verbringen .«
»Aber natürlich, nein, unmöglich. Ich fahr dich zu dir.« Sie nahm die fünf Tüten in die andere Hand.
Sie waren wirklich schwer und unhandlich. Kein Wunder, dass er abgelenkt gewesen war.
»Was hat die Polizei denn mit der Person gemacht, die dich gestoßen hat?«, fragte sie.
»Sie wissen noch nicht, wer es war.«
»Sie wissen nicht -? Wie ist das möglich, Richard?«
Er zuckte die Achseln. Sie kannte ihn gut genug, um sofort zu wissen, dass er etwas verheimlichte.
»Richard!« sagte sie »Der Mensch hat sich nicht blicken lassen, nachdem ich angefahren worden war. Es kann gut sein, dass der oder die Betreffende von meinem Sturz gar nichts bemerkt hat. Es ging so schnell und passierte genau in dem Moment, als der Bus vom Bordstein wegfuhr. Wenn derjenige es eilig hatte…« Er zog sein Jackett, das er sich wegen des Gipses am Arm nur übergehängt hatte, fester über die Schulter. »Am liebsten würde ich es einfach vergessen.«
»Aber irgendjemand muss doch was beobachtet haben«, insistierte Jill.
»Sie waren dabei, die Leute zu befragen, als der Rettungswagen mich wegbrachte.« Er bemerkte den Humber, den Jill so verboten stehen gelassen hatte, und humpelte schweigend auf ihn zu.
Jill folgte ihm. »Richard, du verschweigst mir doch etwas!«
Er antwortete ihr erst, als sie den Wagen erreicht hatten. »Sie vermuten, dass es Absicht war, Jill.« Dann fügte er hinzu: »Wo ist Gideon? Er muss gewarnt werden.«
Wie ein Automat öffnete Jill die Autotür, klappte den Sitz nach vorn und legte die Tüten auf den Rücksitz. Sie half Richard in den Wagen und rutschte dann neben ihm hinter das Lenkrad. »Was soll das heißen - Absicht?« Sie blickte starr geradeaus auf die Spuren, die der Regen auf der Windschutzscheibe hinterließ, und versuchte, ihre Angst zu verbergen.
Er gab ihr keine Antwort. Sie wandte sich ihm zu. »Richard, was meinst du mit >Absicht Gibt es da einen Zusammenhang mit -«
Und da sah sie, dass er auf dem Schoß den Bilderrahmen hielt, den sie unter dem Sitz gefunden hatte.
»Woher hast du das?«, fragte er.
Sie erklärte es ihm und fügte hinzu: »Aber ich verstehe nicht… Wo ist das hergekommen? Wer ist sie? Ich kenne sie nicht. Das kann doch nicht…« Jill zögerte, sie wollte es nicht aussprechen.
Richard tat es für sie. »Das ist Sonia, meine Tochter.«
Jill hatte ein Gefühl, als legte sich plötzlich ein Ring aus Eis um ihr Herz. Im dämmrigen Licht vom Eingang des Krankenhauses griff sie nach dem Bild und drehte es so, dass sie es ansehen konnte. Es zeigte ein kleines Mädchen - so blond wie ihr Bruder als Kind gewesen war -, das einen Plüschpanda an seine Wange gedrückt hielt. Sie lachte in die Kamera, als hätte sie keine Sorgen. Wahrscheinlich hat sie auch nicht gewusst, dass es anders war, dachte Jill, während sie das Bild betrachtete.
Sie sagte: »Richard, du hast nie erwähnt, dass Sonia… Warum hat mir das nie jemand gesagt? Richard! Warum hast du mir nicht gesagt, dass deine Tochter am Down- Syndrom litt?«
Erst da sah er sie an. »Ich spreche nicht über Sonia«, erklärte er ruhig. »Ich spreche nie über Sonia. Das weißt du.«
»Aber ich hätte es wissen müssen. Du hättest es mir sagen müssen. Das wärst du mir schuldig gewesen.«
»Du hörst dich an wie Gideon.«
»Ich bin aber nicht Gideon! Richard, warum hast du mit mir nie über sie gesprochen? Und was tut dieses Foto in meinem Wagen?« Der ganze Stress des Abends - das Gespräch mit ihrer Mutter, der Anruf aus dem Krankenhaus, die wilde Fahrt durch die Stadt - überwältigte Jill in diesem Moment. »Willst du mir Angst machen?«, schrie sie schrill. »Hoffst du, ich werde zustimmen, zur Entbindung ins Krankenhaus zu gehen und nicht zu meiner Mutter, wenn ich sehe, was mit Sonia los war? Legst du es darauf an, ja?«
Richard warf das Bild nach hinten, wo es auf einer der Einkaufstüten landete. »Mach dich nicht lächerlich«, sagte er. »Gideon will ein Foto von ihr haben - Gott allein weiß, warum -, und ich habe das hier herausgesucht, um es neu rahmen zu lassen. Das ist notwendig, wie du bemerkt haben dürftest. Der Rahmen ist zerkratzt, und das Glas… Du hast es ja selbst gesehen. Das ist alles, Jill. Mehr steckt nicht dahinter.«
»Aber warum hast du es mir nicht gesagt? Ist dir denn nicht klar, auf was für ein Risiko wir uns da einließen? Wenn sie auf Grund eines genetischen Defekts am Down- Syndrom erkrankt war . Wir hätten zum Arzt gehen können. Wir hätten Blutuntersuchungen machen lassen können, oder ich weiß nicht, was. Irgendwas auf jeden Fall. Stattdessen hast du mich schwanger werden lassen, und ich hatte keine Ahnung, dass eine Möglichkeit bestand .«
»Ich wusste es«, entgegnete er. »Es bestand überhaupt keine Gefahr. Ich wusste, du würdest die Fruchtwasseruntersuchung machen lassen. Und nachdem man uns gesagt hatte, dass alles in Ordnung ist - wozu hätte ich dich unnötig beunruhigen sollen?«
»Aber als wir beschlossen, es darauf ankommen zu lassen, dass ich schwanger werde, da hättest du mich - ich hatte ein Recht darauf, denn wenn die Tests gezeigt hätten, dass etwas nicht stimmt, dann hätte ich entscheiden müssen… Verstehst du denn nicht, dass ich von Anfang an hätte Bescheid wissen müssen? Ich hätte über das Risiko aufgeklärt sein müssen, um Zeit zu haben, darüber nachzudenken, falls ich gezwungen sein sollte, eine Entscheidung zu treffen… Richard, ich kann es nicht fassen, dass du mir das verheimlicht hast!«
»Fahr los, Jill«, sagte er. »Ich will nach Hause.«
»Du glaubst doch nicht, dass ich das so einfach unter den Tisch fallen lasse!«
Er seufzte und holte tief Luft. »Jill, mich hat eben ein Bus angefahren. Die Polizei vermutet, dass jemand mich absichtlich vor den Bus gestoßen hat. Das heißt, dass jemand mich töten wollte. Ich kann deine Erregung verstehen. Du behauptest, sie wäre berechtig, und ich bin bereit, das für den Moment so stehen zu lassen. Aber wenn du einmal einen Moment lang über deine eigene Nase hinausschauen könntest, dann würdest du begreifen, dass ich nach Hause muss. Mein Gesicht tut mir weh, ich habe Schmerzen im Arm und am Knöchel. Wir können jetzt hier im Auto eine Riesenauseinandersetzung starten, und ich lande wieder in der Notaufnahme, oder wir verschieben diese Diskussion auf morgen. Du kannst das halten, wie du willst.«
Jill starrte ihn an, bis er den Kopf drehte und sie anblickte. Sie sagte: »Mir kein Wort von ihr zu sagen kommt einer Lüge gleich.«
Sie ließ den Motor an, bevor er antworten konnte, und legte krachend den Gang ein. Er verzog sein Gesicht. »Wenn ich gewusst hätte, dass du so reagierst, hätte ich es dir gesagt. Glaubst du im Ernst, ich möchte, dass irgendetwas zwischen uns steht? Gerade jetzt, wo jeden Moment das Kind kommen kann? Glaubst du das? Mein Gott, Jill, wir hätten einander heute Abend beinahe verloren!«
Jill lenkte den Wagen zum Grafton Way hinaus. Sie wusste intuitiv, dass etwas nicht in Ordnung war, aber sie konnte nicht sagen, ob es an ihr lag oder an dem Mann, den sie liebte.
Richard sprach erst wieder, als sie sich zum Portland Place durchgeschlängelt hatten und nun durch den Regen in Richtung Cavendish Square fuhren. Und da sagte er: »Ich muss so bald wie möglich mit Gideon sprechen. Er könnte auch in Gefahr sein. Wenn ihm etwas zustößt . nach allem anderen .«
Dieses »auch« sprach Bände, fand Jill. Sie sagte: »Dann besteht also tatsächlich ein Zusammenhang mit dem, was Eugenie geschehen ist?«
Sein Schweigen war Antwort genug. Furcht begann von neuem an ihr zu nagen.
Zu spät bemerkte Jill, dass die Route, die sie gewählt hatte, sie direkt an der Wigmore Hall vorbeiführen würde. Und das Schlimmste daran war, dass heute Abend offenbar ein Konzert stattfand. Die Straße davor war von Taxis verstopft, die um einen Platz vor dem Glasdach kämpften, um dort ihre Passagiere, vor dem Regen geschützt, abzusetzen. Sie sah, wie Richard sich abwandte.
»Sie ist aus dem Gefängnis entlassen worden«, sagte er. »Und auf den Tag genau zwölf Wochen nach ihrer Entlassung wurde Eugenie ermordet.«
»Du glaubst, dass diese Deutsche…? Die Frau, die Sonia getötet hat…?« Und mit einem Schlag war alles wieder da und machte jede andere Diskussion unmöglich: das Bild dieses bedauernswerten Kindes und die Tatsache, dass man ihr, Jill Foster, die ein ernstes Interesse daran haben musste, alles über Richard Davies und seine Kinder zu wissen, seinen Zustand verschwiegen hatte. »Hattest du Angst, es mir zu sagen?«, fragte sie. »War es das?«
»Du wusstest doch, dass Katja Wolff frei ist. Wir haben erst neulich mit diesem Kriminalbeamten darüber gesprochen.«
»Ich spreche nicht von Katja Wolff. Ich spreche von… Du weißt, wovon ich spreche.« Sie bog in den Portman Square ein und fuhr weiter zur Park Lane, während sie sagte: »Du hattest Angst, ich würde kein Kind von dir wollen, wenn ich es wusste. Ich würde dann zu viel Angst haben. Das hast du befürchtet, nicht wahr, und mir nichts gesagt. Weil du mir nicht vertraust.«
»Wie hätte ich es dir denn mitteilen sollen?«, fragte Richard.
»Hätte ich ganz beiläufig sagen sollen: >Ach, übrigens, meine Exfrau hat ein behindertes Kind zur Welt gebracht?< Es war nicht relevant.«
»Wie kannst du das sagen!«
»Weil wir gar nicht unbedingt versuchten, ein Kind zu bekommen, du und ich. Wir hatten Sex miteinander. Guten Sex. Wirklich aufregend. Und wir waren verliebt. Aber wir dachten doch nicht daran -«
»Ich habe nicht verhütet. Das wusstest du.«
»Aber ich wusste nicht, dass du keine Ahnung von Sonia hattest… Mein Gott, es stand doch damals, nach ihrem Tod, in allen Zeitungen: dass sie am Down-Syndrom litt und dass sie ertränkt wurde. Mir ist nie der Gedanke gekommen, ich müsste dir das erzählen.«
»Aber ich wusste nichts davon. Das alles ist vor mehr als zwanzig Jahren passiert, Richard, da war ich sechzehn. Wer erinnert sich zwei Jahrzehnte später noch, was er mit sechzehn mal in der Zeitung gelesen hat?«
»Dein Erinnerungsvermögen ist nun wirklich nicht meine Sache.«
»Aber es wäre deine Sache gewesen, mich auf etwas aufmerksam zu machen, das meine Zukunft und die unseres Kindes beeinflussen könnte.«
»Du warst doch diejenige, die nicht verhütet hat. Ich dachte, du hättest deine Zukunft bereits geplant.«
»Willst du unterstellen, dass ich dich reingelegt habe?« Sie standen vor der Ampel am Ende der Park Lane, und Jill drehte sich mühsam in ihrem Sitz herum, um ihm ins Gesicht sehen zu können. »Willst du das damit sagen? Willst du behaupten, ich wäre so versessen darauf gewesen, mir dich als Ehemann zu angeln, dass ich es darauf angelegt habe, schwanger zu werden, damit du mit mir vor den Altar treten würdest? Tja, schlecht gelaufen für mich, nicht? Ich habe während unserer ganzen Beziehung sowieso nur einen Kompromiss nach dem anderen geschlossen. Alle dir zuliebe.«
Ein Taxi hupte ungeduldig hinter ihnen. Jill schaute zuerst in den Rückspiegel und bemerkte dann, dass die Ampel auf Grün geschaltet hatte. Sie fuhren weiter, rund um den Wellington Arch, und Jill war froh, dass der Humber so groß und wuchtig war, deutlich zu sehen für die Busfahrer und ein wenig bedrohlich für die Fahrer kleinerer Autos.
»Ich unterstelle gar nichts«, entgegnete Richard ruhig. »Ich sage nur, dass ich darüber nicht streiten will. Es ist nun mal geschehen. Ich habe versäumt, dir etwas mitzuteilen, weil ich glaubte, du wüsstest es. Mag sein, dass ich es nicht erwähnt habe, aber ich habe nie versucht, es zu verheimlichen.«
»Wie kannst du das sagen, wenn du nicht ein einziges Foto von ihr im Haus hast?«
»Das ist Gideons wegen so. Glaubst du denn, ich möchte, dass mein einziger Sohn sein Leben lang seine ermordete Schwester ansehen muss? Was meinst du wohl, wie sich das auf seine Musik auswirken würde? Als Sonia getötet wurde, sind wir alle durch die Hölle gegangen. Alle, Jill, auch Gideon. Wir mussten versuchen, zu vergessen, und ich dachte, ohne Bilder von ihr wäre es leichter, zu vergessen. Wenn du das nicht verstehen oder verzeihen kannst, wenn du deswegen unsere Beziehung beenden willst .«
Seine Stimme zitterte. Er hob eine Hand zu seinem Gesicht und zog an der Haut unter seinem Kinn, zog und zerrte, ohne etwas zu sagen.
Und auch Jill schwieg den Rest der Fahrt bis Cornwall Gardens. Sie nahm den Weg über Kensington Gore, und sieben Minuten später hielten sie auf dem kleinen Platz, wo der Wind das Herbstlaub über das Pflaster trieb.
Schweigend half Jill Richard aus dem Wagen und griff nach hinten, um die Einkaufstüten vom Rücksitz zu holen. Einerseits wäre es vernünftiger gewesen, sie liegen zu lassen, da es ja lauter Dinge für Catherine waren. Andererseits schien es, da die Zukunft von Catherines Eltern plötzlich so unsicher geworden war, ein dezentes, aber unübersehbares Zeichen, sie in Richards Wohnung zu bringen. Jill nahm die Tüten. Sie nahm auch das Bild, das die Ursache ihres Streits gewesen war.
Richard sagte: »Komm, lass mich auch was tragen«, und bot ihr seine gesunde Hand.
»Ich schaff das schon«, entgegnete sie.
»Jill…«
»Ich schaff es schon.«
Sie wandte sich zum Haus, zu diesem verwahrlosten alten Gemäuer, das sie erneut an die vielen Kompromisse erinnerte, die sie ihrem Verlobten zuliebe ständig einging. Wer wurde hier wohnen wollen? fragte sie sich. Wer würde eine Wohnung in einem Haus kaufen wollen, das auf die Abrissbirne zu warten schien? Wenn sie und Richard wirklich versuchten, seine Wohnung vor der ihren zu verkaufen, würden sie niemals zu dem Haus mit Garten kommen, in dem sie mit Catherine wie eine richtige Familie zusammenleben wollten.
Aber vielleicht war das ja auch nie sein Wunsch gewesen.
Er hatte sich nicht wieder verheiratet. Zwanzig Jahre waren seit seiner Scheidung vergangen - oder waren es achtzehn? sechzehn? -, und er hatte sein Leben nie wieder mit einer Frau geteilt. Und jetzt, an diesem Abend, an dem er hätte sterben können, dachte er an sie. Dachte daran, was ihr zugestoßen war und was er nun unternehmen musste, um seinen Sohn zu schützen. Nicht Jill Foster, seine zukünftige Frau, die von ihm schwanger war, nicht ihr gemeinsames ungeborenes Kind, nein, seinen Sohn wollte er beschützen. Gideon. Seinen verfluchten Sohn.
Richard kam ihr nach, als sie schwerfällig die Treppe zur Haustür hinaufging. Er griff an ihr vorbei und sperrte auf, stieß die Tür auf, so dass sie in das unbeleuchtete Foyer treten konnte, wo die Fliesen auf dem Boden voller Sprünge waren und die Tapete sich an den feuchten Wänden wellte. Es schien ein zusätzlicher Affront, dass es keinen Aufzug gab und keinen Treppenabsatz, sollte jemand eine Verschnaufpause einlegen wollen, sondern nur eine nach außen hin breiter werdende Stufe an der Stelle, wo die Treppe eine Biegung machte. Aber Jill wollte sowieso nicht rasten. Sie stieg zielstrebig in den ersten Stock hinauf und ließ Richard sich allein hochplagen.
Er atmete schwer, als er oben ankam. Normalerweise hätte es ihr Leid getan, ihm bei diesem mit dem Gipsbein mühevollen Anstieg, bei dem das wacklige alte Treppengeländer kaum Stütze bot, nicht geholfen zu haben, aber sie fand, die Lektion würde ihm gut tun.
»In meinem Haus gibt es einen Aufzug«, bemerkte sie. »Die Leute achten immer darauf, ob es im Haus einen Aufzug gibt, wenn sie eine Wohnung suchen. Und was denkst du, was du für diese Wohnung im Vergleich zu meiner bekommen wirst? Mit dem Erlös aus dem Verkauf meiner Wohnung könnten wir umziehen. Wir könnten ein Haus kaufen. Und du hättest dann Zeit, die nötigen Arbeiten zu machen, streichen, renovieren und so, die es braucht, um die Wohnung hier so herzurichten, dass sie sich verkaufen lässt.«
»Ich bin zu Tode erschöpft«, sagte er. »Ich kann so nicht weitermachen.« Er drängte sich an ihr vorbei und ging hinkend zu seiner Wohnungstür.
»Das ist ja sehr bequem«, sagte sie, als sie die Wohnung betraten und Richard die Tür hinter ihnen schloss. Die Lichter waren an. Richard nahm das stirnrunzelnd zur Kenntnis. Er ging zum Fenster. »Du machst nie weiter, wenn es dir nicht in den Kram passt.«
»Das ist nicht wahr. Jetzt wirst du unsachlich. Du hast dich aufgeregt, wir haben uns beide aufgeregt, und jetzt reagierst du darauf. Wenn du dich erst ein wenig ausgeruht hast -«
»Sag du mir nicht, was ich zu tun habe!« Ihre Stimme war schrill. Sie wusste zwar, dass Richard Recht hatte und sie unsachlich war, aber sie konnte sich nicht beherrschen. All die unausgesprochenen Zweifel, die sie seit Monaten quälten, vereinigten sich jetzt mit ihren uneingestandenen Ängsten. Alles stieg in ihr hoch wie eine Mischung giftiger Gase, die ein Ventil suchten. »Es geht immer nur nach deinem Kopf. Ich gebe ständig nach. Aber jetzt wirst ein Mal du mir nachgeben.«
Er blieb am Fenster stehen. »Hat das alles der Anblick dieses uralten Fotos bewirkt?«, fragte er und hielt ihr die Hand hin.
»Dann gib es mir. Ich vernichte es.«
»Ich dachte, es wäre für Gideon«, rief sie.
»Ja, aber wenn es zu solchen Problemen zwischen uns Anlass gibt… Gib es mir, Jill.«
»Nein. Ich werde es Gideon geben. Gideon ist schließlich unheimlich wichtig. Wie Gideon sich fühlt, was Gideon tut, wann Gideon auf seiner Geige spielt. Er hat von Anfang an zwischen uns gestanden - mein Gott, wir haben uns sogar nur dank Gideon kennen gelernt -, und ich habe nicht die Absicht, ihn jetzt von seinem Platz zu verdrängen. Du möchtest Gideon das Foto geben, und er wird es bekommen. Komm, rufen wir ihn doch gleich an und sagen ihm, dass wir es haben.«
»Jill! Das ist doch albern. Er weiß nicht, dass ich dir erzählt habe, wie groß seine Angst davor ist, zu spielen, und wenn du ihn jetzt wegen des Fotos anrufst, wird er sich verraten fühlen.«
»Man kann eben nicht alles haben, Schatz. Er möchte das Foto, und er wird es heute Abend bekommen. Ich bringe es ihm selbst.«
Sie griff zum Telefon und begann, die Nummer einzutippen.
»Jill!« sagte Richard und schickte sich an, zu ihr zu gehen.
»Was willst du mir denn bringen, Jill?«, fragte Gideon.
Sie fuhren beide herum, als sie seine Stimme hörten. Er stand an der Wohnzimmertür in dem düsteren Flur, der zum Schlafzimmer und zu Richards Arbeitszimmer führte. In der einen Hand hielt er einen Briefumschlag, in der anderen eine Grußkarte mit einem Blumenbild. Sein Gesicht hatte die Farbe grauen Sands, und unter seinen Augen lagen Schatten der Schlaflosigkeit.
»Was wolltest du mir bringen?« wiederholte er.