11

Elynsynos’ Worte hallten durch die dunkle Höhle und hinterließen eine dröhnende Stille. Der Flammenschein von den Kronleuchtern flackerte über das Gesicht der Sängerin, das auf einmal leichenblass geworden war.

Die Drachin senkte langsam den Kopf, bis sie Rhapsody aus gleicher Höhe in die Augen sehen konnte. Voller Verständnis und Mitgefühl blickte sie die Sängerin an, doch ihr riesiges Gesicht blieb ernst.

»Was ist, Hübsche?«, fragte sie sanft, die Stimme nicht lauter als das Zirpen einer Grille.

»Woran erinnerst du dich?«

Rhapsody schloss die Augen; sie kämpfte mit der Erinnerung an den schrecklichsten Albtraum, den sie auf der Reise durch die Erde durchlitten hatte. Achmed hatte sie aus ihrem ruhelosen Schlaf geweckt und sie zu einem weitläufigen Tunnel gebracht, auf dessen Grund sie das Schlagen eines gigantischen Herzens hatte hören können, das im gemächlichen Rhythmus eines Winterschlafs gepocht hatte.

Es ruht etwas Schreckliches an diesem Ort, etwas, das mächtiger und entsetzlicher ist, als du es dir vorzustellen vermagst und dessen Namen ich nicht einmal zu nennen wage. Was tief in diesem Tunnel, im Bauch der Erde schläft, darf auf keinen Fall aufwachen. Niemals. Er hatte Angst gehabt zu reden, die Worte der uralten Geschichte auszusprechen; zum ersten Mal war er nicht unverschämt oder überheblich gewesen. Zum ersten Mal hatte sie Angst in seinen Augen wahrgenommen.

In der Vorzeit, als die Erde und das Meer entstanden, wurde der Urmutter aller Drachen, dem Urwyrm, ein Ei gestohlen ... Dieses Ei wurde hier, in der Erde, versteckt gehalten, und zwar von dämonischen Wesen, die dem Feuer entsprungen waren ... Der kleine Wyrm, der dem Ei entschlüpft ist, hat hier in den gefrorenen Tiefen der Erde gelebt. Er wurde größer und größer, bis er mit seinem Leib das Herz der Welt umschlingen konnte. Der Wurm ist ein angeborener Bestandteil der Erde, sein Körper Teil der Weltmasse. Noch schläft er, doch schon bald wird sich dieser Dämon regen und zur Oberfläche aufsteigen ... Genau darauf haben es die Diebe angelegt, die das Ei hier versteckt haben. Es wartet nur noch auf den Befehl des Dämons, der bald erfolgen wird dessen bin ich mir sicher. Das weiß ich, weil der Dämon versucht hat, mich zu seinem Werkzeug zu machen.

Was, wenn die Bestie diesen Ruf nicht hört?, hatte sie gefragt. Wenn wir dafür sorgen könnten, dass der Ruf ungehört bleibt, würde sie vielleicht weiter schlafen und keine Antwort geben. Fürs Erste jedenfalls.

Sie hatten Schritte unternommen, den Schlaf des Wyrms zu verlängern, hatten ein Netz aus Tönen im Tunnel gewoben, hatten endlose disharmonische Melodien ersonnen, die den Ruf des Dämons stören sollten. Doch Achmed hatte sie gewarnt, dass auch diese Lösung nur eine zeitlich begrenzte sei.

Aber damit wäre nur Zeit gewonnen. Ihn vollständig zu vernichten wird weder uns noch irgendjemandem sonst jemals gelingen.

»Es schläft noch«, sagte Elynsynos und riss Rhapsody aus ihren Grübeleien. Ihr Herz pochte; die Drachin hatte ihre Gedanken gelesen. Das große Biest lachte leise, als es den panischen Ausdruck bemerkte, der über Rhapsodys Gesicht huschte. »Nein, Hübsche, ich kann nicht all deine Gedanken erkennen, nur dann, wenn du an das Schlafende Kind denkst.«

Rhapsody blinzelte. »Ich habe nicht an das Schlafende Kind gedacht«, entgegnete sie. »Ich habe ...«

»Sprich es nicht aus. Ich weiß, was du im Innern der Erde gesehen hast. Gerade ging dir etwas durch den Kopf, wovon nur Drachen und F’dor etwas wissen, etwas Unendliches und Uraltes, was bei meiner Rasse heilige Abscheu hervorruft. Du bist zufällig darauf gestoßen. Jetzt gehörst du zu den wenigen Lebewesen, die wissen, dass es existiert.

Die Kreatur, die gerade in deinen Gedanken war, ist das Gegenstück zu deinem Lebensspender. Es war das Erste Kind unserer Rasse, als Ei entführt und von Kreaturen aufgezogen, die unser Gegenstück waren wo wir die Erde und ihre Reichtümer lieben und verehren, gieren die F’dor nach ihr, um ihre eigenen lachhaften Gelüste zu befriedigen. Dieses Kind ist kein Wyrm mehr; die F’dor haben es vergiftet, haben es in Besitz genommen, wie sie es auch mit menschlichen Wirten tun. Jetzt ist es Teil der Erde, ein großer Teil sogar, und wird sich eines Tages erheben und die Erde als sein Eigen beanspruchen. Wenn das unser Schicksal ist, soll es so sein. Aber es ist ein heiliges Geheimnis, eines, das kein Drache ausspricht, außer in den Gebetsliedern. Wir beten, dass das Erste Kind weiterschlafen möge dafür gibt es Drachenlieder. Ein Schlaflied für das Schlafende Kind.«

»Das Schlafende Kind«, murmelte Rhapsody nachdenklich. »Im überlieferten Wissen Serendairs hatten diese Worte eine andere Bedeutung. In unseren Legenden war das Schlafende Kind Melita, ein Stern, der vom Himmel fiel. Er stürzte nahe der Insel ins Meer und riss viel von dem, was einst Land war, für immer mit sich in die Tiefe. Aber das Meer konnte ihn nicht auslöschen, er blieb vielmehr unter den Wogen liegen, in unverbrauchtem Feuer kochend, bis er sich schließlich erhob ...« Ihre Stimme zitterte und erstarb. Als sie sich wieder in der Hand hatte, fuhr sie fort. »Er erhob sich und nahm die gesamte Insel mit sich in die Tiefe dieses Mal im Prasseln eines vulkanischen Feuers.«

»Vielleicht steht der Name, wie auch immer er verwendet wird, für die Prophezeiung des Untergangs unserer jeweiligen Rassen«, meinte Elynsynos. »Merithyn pflegte mir ein Lied aus deiner Heimat vorzusingen, in dem auch das Schlafende Kind vorkam. Möchtest du, dass ich dir die Worte aufsage?«

»Ja, bitte.«

Die große Drachin setzte sich auf und räusperte sich mit einem mächtigen Husten, dass die Kronleuchter über ihnen klirrten und hektische Wellen rückwärts über die Lagune liefen, im selben wilden Rhythmus, in dem auch Rhapsodys Herz pochte. Als Elynsynos nun sprach, geschah dies nicht mehr in den mehrstimmigen Tönen, in denen sie Rhapsody zum ersten Mal angeredet hatte; indes ertönte ein tiefer, melodischer Bariton, eine wohlklingende Stimme, die Magie in sich trug und den Klang uralter, längst vergangener Zeiten. Merithyns Stimme.

Das Schlafende Kind, sie, die Jüngstgeborene, Lebt weiter in Träumen, doch weilt sie beim Tod, Der ihren Namen in sein Buch zu schreiben gebot, Und keiner beweint sie, die Auserkorene.

Die Mittlere, sie liegt und schlummert leise,

Zwischen dem Himmel aus Wasser und treibendem Sand,

Hält stille, geduldig, Hand auf Hand,

Bis zu dem Tag, an dem sie antritt die Reise.

Das älteste Kind ruht tief, tief drinnen im immerstillen Schoß der Erden. Noch nicht geboren, doch mit seinem Werden Wird das Ende aller Zeit beginnen.

Die Worte hallten von den Höhlenwänden wider und hingen in der abgestandenen Luft, vibrierten in der Stille. Rhapsody schwieg, denn sie fürchtete, ihr Herz werde zerbersten, wenn sie auch nur einen Ton von sich gäbe. Endlich sprach die Drachenfrau.

»Als meine Töchter geboren wurden, waren ihre Augen geschlossen, wie bei kleinen Kätzchen«, begann Elynsynos, und ihre mehrtönige Stimme war zurückgekehrt. »Sie schienen zu schlafen, und einen Augenblick dachte ich, sie wären die drei Kinder aus der Prophezeiung, aber natürlich konnte das nicht stimmen. Ich wusste ja wie jeder Drache, wer das erstgeborene Kind war. Merithyn hatte das Schlafende Kind vor seiner deiner Heimatküste erwähnt. Das wäre das mittlere, nehme ich an.«

»Gibt es denn tatsächlich noch ein anderes?«, erkundigte sich Rhapsody nervös. »Noch ein Schlafendes Kind? Das jüngste?«

»Offenbar«, antwortete Elynsynos lächelnd. Der Anblick des gewaltigen, zu einem Grinsen verzogenen Mauls, in dem die schwertartigen Zähne im blassen Licht schimmerten, war gleichzeitig liebenswert und grausig. »Es hat außerdem den Anschein, als könnte jedes dieser Schlafenden Kinder zum Werkzeug der F’dor werden zu etwas, das hilft, das Ende der Welt herbeizuführen, sie auf die eine oder andere Art zu vernichten.«

»Ich habe immer gebetet, dass der Aufstieg des mittleren Kindes, das die Insel zerstört hat, das Ende dieser Geschichte bedeuten möge«, sagte Rhapsody. »Wir dachten, die F’dor planten, das heraufzubeschwören ...« Als Rhapsody den warnenden Ausdruck bemerkte, der sich blitzschnell auf dem Gesicht der Drachin ausbreitete, brach sie rasch ab. »Wir dachten, der F’dor, von dem Achmed wusste, dass er sich in der alten Welt aufhielt, sei tot. Sein letzter übrig gebliebener Diener, eines der tausend Augen, die er die Shing nannte, erzählte uns das, ehe er sich auflöste; er sagte, der F’dor sei tot, als Mensch wie als Dämon. Und das bedeutete, dass das ... das, was wir befürchteten, vielleicht niemals geschehen würde.«

Die mächtige Drachin streckte sich, und ein Schauer aus Licht flackerte über die Millionen Kupferschuppen hinweg. »Der Dämon, den er kannte, ist vielleicht wirklich zerstört, genau wie ihr angenommen habt. Aber das spielt keine Rolle jeder F’dor würde das Geheimnis des Wyrms kennen, würde wissen, wie er gerufen werden kann, wenn er stark genug geworden ist.«

»Und der, den du vorhin erwähnt hast, Elynsynos? War das ein anderer Dämon? Nicht derjenige, den Achmed kannte?«

»Ich weiß es nicht. Möglicherweise hat es noch einen anderen gegeben, der entflohen ist, als der Stern unter den Meereswellen explodierte. Das ist schwer zu sagen, Hübsche. Nicht viele haben seit der Morgendämmerung der Zeit überlebt, aber sie kommen ohne Warnung, verstecken sich in ihrem Wirt, warten ab und sammeln Kraft, während ihr Wirt erstarkt. Wenn sie genug Kraft in sich tragen, suchen sie sich einen neuen, noch stärkeren Wirt für gewöhnlich einen jüngeren. Ein F’dor kann nur jemanden in Besitz nehmen, der schwächer oder von ähnlicher Stärke ist; er kann niemanden beherrschen, der größere Macht hat als er selbst.«

Rhapsody nickte. »Weißt du, wer es jetzt ist, Elynsynos?«

»Nein, Hübsche. Er hat seinen Wirt im Lauf der Jahre oft gewechselt. Ich spüre ihn zwar, wenn er in der Nähe ist, aber er ist weit weg geblieben, wahrscheinlich, weil er das weiß. Es könnte irgendjemand sein.

Wenn du dir von all den Dingen, die ich dir gesagt habe, eines merken solltest, dann dieses:

Sie sind meisterhafte Lügner, und das arbeitet gegen dich, denn als Benennerin bist du auf die Wahrheit eingeschworen. Ihre größte Macht liegt darin, die Vorzüge ihres Wirts für sich zu nutzen; in unserem Fall konnten sie die von Natur aus zerstörerische Natur der Drachen für ihre Belange einsetzen und daraus eine Waffe zum Erreichen ihrer eigenen bösen Ziele machen. Das Gleiche werden sie bei dir versuchen, nur werden sie es auf deine Wahrheitsliebe abgesehen haben. Nimm dich in Acht, Hübsche. Sie sind wie ein Gast in deinem Bau, von dem du erst zu spät merkst, dass er deine Vorratskammer geplündert hat.«

»Llauron hat mir von einer Prophezeiung Manwyns über einen ungebetenen Gast berichtet«, sagte Rhapsody nachdenklich. »Könnte es sich dabei um den F’dor gehandelt haben?«

Die Luft um die Drachin summte ein Zeichen, wie sehr sie sich für diesen Gedanken erwärmte. »Ich kenne diese Prophezeiung nicht.«

Rhapsody schloss die Augen und versuchte sich an die Nacht im Wald zu erinnern, als Llauron ihr von der Prophezeiung erzählt hatte. Auch Achmed und Grunthor waren dabei gewesen. Sie kramte in ihrem Tornister und zog ein kleines Tagebuch hervor, in dem sie einiges von dem aufgezeichnet hatte, was sie in dieser neuen Welt erfahren hatte. »Hier ist sie«, sagte sie schließlich und las vor:

Er geht als einer der Letzten und kommt als einer der

Ersten, Trachtet danach, aufgenommen zu werden, ungebeten,

an neuem Ort.

Die Macht, die er gewinnt, indem er der Erste ist, Ist verloren, wenn er als Letzter in Erscheinung tritt. Unwissend spenden die, die ihn aufnehmen, ihm

Nahrung,

In Lächeln gehüllt wie er, der Gast; Doch im Geheimen wird die Vorratskammer vergiftet.

Neid, geschützt vor seiner eigenen Macht Niemals hat, wer ihn aufnimmt, ihm Kinder geboren,

und niemals wird dies geschehen, Wie sehr er sich auch zu vermehren trachtet. Elynsynos seufzte. »Manwyn war schon immer ein seltsames Wesen«, murmelte sie. »Ich weiß nicht, warum sie nicht einfach sagt, was sie meint. Ja, Hübsche, es klingt, als wäre der F’dor damit gemeint. Für einen Dämon ist die Vermehrung mit sehr viel Macht und Wagnis verbunden. Wenn er es durch den Körper eines menschlichen Wirts versucht, schwächt er sich selbst, bricht seine Lebensessenz auf und gibt etwas davon an das Kind weiter. F’dor sind viel zu gierig und machthungrig, um etwas von ihrer Stärke aufzugeben, deshalb müssen sie auf andere Methoden der Fortpflanzung zurückgreifen.«

»Wie zum Beispiel die Erschaffung des Rakshas?« »Ja, meine Hübsche, meine Seele. In gewisser Weise unterscheidet sich der F’dor nicht von den alten Drachen, was die Vermehrung außerhalb ihrer Rasse angeht. Als uns klar wurde, dass es ein Fehler war, nicht die Gestalt des Schöpfers anzunehmen, versuchten wir, diesen Fehler wieder gutzumachen. Eigentlich ist es eine Ironie; die wenigen Menschen, die Drachenblut in sich haben, wollen nicht menschlicher werden, sondern haben im Allgemeinen den Wunsch, ihre Menschengestalt aufzugeben und Drachenform anzunehmen, was bedeutet, dass sie ihre Seele opfern. Da die Drachen sich nicht mit Angehörigen der Rassen der Drei vermehren konnten, versuchten sie, eine menschenähnliche Rasse aus den wenigen Bruchstücken des Lebendigen Gesteins zu erschaffen, die nach dem Bau des Kerkers noch übrig waren. Außergewöhnlich und schön waren die Kreaturen, die dabei entstanden. Kinder der Erde nannte man sie, und sie hatten menschliche Gestalt, oder zumindest waren sie den Menschen so ähnlich, wie die Drachen es eben fertig brachten.

In mancherlei Hinsicht waren sie brillante Geschöpfe, in anderer abscheulich, aber jedenfalls konnten sie sich mit den Dreien mischen. Anders als der Rakshas hatten die Kinder der Erde eine Seele, denn im Gegensatz zu den F’dor waren die Drachen willens, einen Teil ihrer Lebensessenz dafür zu geben, um sie hervorzubringen. Ihre Nachkommen, die Älteren Rassen, die sie ins Leben riefen, sind die Erdgeborenen, die in ihrem Schoß leben wollen, deren Seelen jedoch den Himmel berühren.«

Rhapsody kritzelte eifrig in ihr Tagebuch. »Und welche Form nehmen diese Rassen an?«

»Die Nachkommen der Kinder der Erde und die Seren bildeten eine Rasse, die man Gwadd nennt, kleine, zierliche Menschen, eng mit der der Erde innewohnenden Magie verbunden. Eine Mischung von Erde und Sternen.«

Jetzt hielt Rhapsody im Schreiben inne und blickte traurig auf. »Ich erinnere mich an die Gwadd aus der alten Welt«, sagte sie wehmütig.

»Sie sind mir die Liebsten unter den Drachenenkeln«, meinte Elynsynos. »Auch die Nain mag ich ganz besonders. Die Nain waren die Abkömmlinge der Kinder der Erde und der Mythlin.

215

Sie sind Naturbegabte Bildhauer und Bergleute, talentiert für alles, was mit Stein zu tun hat, denn sie haben von einem Elternteil das Wissen über die Erde und vom anderen das Wissen über das Meer geerbt. Für sie ist Granit wie eine Flüssigkeit; es gibt unter ihren Händen bereitwillig nach.«

Rhapsody nickte und machte sich wieder Notizen. »Und die Kith? Hat die Rasse des Windes auch Erdgeborene Kinder hervorgebracht?«

»Ja«, antwortete Elynsynos. »Ihre Vereinigung schuf eine Rasse, die man Firbolga nennt, wörtlich übersetzt Wind der Erde.«

Vor Erstaunen blieb der Sängerin der Mund offen stehen. »Firbolga? Firbolg? Die Bolg stammen von den Drachen ab?«

»Nun ja, in gewisser Weise. Aber sie sind eher eine Art adoptierter Enkel, denn die Kinder der Erde wurden ja von den Drachen aus dem Lebendigen Gestein geformt, ohne direkte Verbindung zu ihrem Blut zu haben. Die Kith waren eine harte Rasse, und die Bolg sind es auch, aber sie lieben die Erde von Herzen. Ich mag sie, trotz ihrer grobschlächtigen Art. Von allen Erdgeborenen haben sie am meisten mit ihren Wyrm-Vorfahren gemeinsam.«

Rhapsody lachte. »Wahrscheinlich könnte ich wirklich die Seele eines Drachen sein«, meinte sie. »Ich habe selbst ein Dutzend Firbolg-Enkel adoptiert.« Ihr Gesicht wurde wieder ernst.

»Deshalb muss ich dich jetzt auch etwas fragen, Elynsynos.«

»Was denn, Hübsche?«

»Du hast nicht vor, die Bolg irgendwie dafür zu bestrafen, dass sie den Krallendolch behalten haben, oder?«

»Selbstverständlich nicht. Nur weil ich ein Drache bin, bedeutet das noch lange nicht, dass ich böse und rachsüchtig bin.« Eins der riesigen Augen schloss sich, und die Drachenfrau betrachtete Rhapsody mit dem offen gebliebenen durchdringend. »Hast du etwa diesen Schund von der Verheerung des Wyrms gelesen?«

Im Licht der Kronleuchter errötete Rhapsody. »Ja.«

»Es ist ausgemachter Unsinn. Den Schreiberling, der das verbrochen hat, hätte ich bei lebendigem Leibe fressen sollen.

216

Als Merithyn starb, spielte ich mit der Idee, den Kontinent in Flammen aufgehen zu lassen, aber du weißt selbst, dass ich es nicht getan habe.«

»Ja, ich habe es auch nicht wirklich geglaubt.«

»Glaube mir, wenn ich auf Verheerung aus wäre, dann wäre dieser Kontinent nichts als ein großes, schwarzes Loch, das noch heute qualmt.«

Rhapsody schauderte. »Ich glaube dir. Und ich bin froh zu hören, dass du die Bolg nicht für schuldig hältst.« Vor ihrem inneren Auge erschienen die Gesichter ihrer Freunde und ihrer Enkel. »Und so gern ich auch für immer bei dir bleiben würde, muss ich wirklich zu ihnen zurückkehren.«

»Du willst jetzt gehen?«

»Ich sollte mich auf den Weg machen«, seufzte Rhapsody. »Obwohl ich gern länger bleiben wollte.«

»Wirst du zurückkommen, Hübsche?«

»Ja, ganz gewiss«, antwortete Rhapsody. Dann dachte sie an Merithyn. »Wenn ich am Leben bin, Elynsynos. Das Einzige, was mich daran hindern könnte, dich aufzusuchen, wäre mein Tod.«

Die Drachin begleitete Rhapsody zurück zum Tunnel. »Du darfst nicht sterben, Hübsche. Wenn du stirbst, wird mein Herz brechen. Ich habe meine einzige Liebe verloren. Ich möchte nicht meine einzige Freundin auch noch verlieren.« Vor einer der Galionsfiguren blieb sie stehen; die Figur war mit Salz verkrustet, und die Farbe blätterte ab. »Diese hier stammt von Merithyns Schiff.«

Nachdenklich betrachtete Rhapsody die Holzstatue, eine goldhaarige Frau, nackt von der Taille aufwärts, mit ausgestreckten Armen, die ins Nichts griffen. Ihre vom Wasser gebleichten Augen waren grün wie das Meer.

»Sie sieht aus wie du«, stellte Elynsynos trocken fest. Zweifelnd blickte Rhapsody auf den üppigen Busen der Figur und dann auf ihre eigene Brust. »Nicht mal an meinen besten Tagen, aber trotzdem vielen Dank.«

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