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In der Morgendämmerung, am Rand des Vorgebirges, planten sie ihre weitere Route durch die Länder nördlich der Grenze zwischen Avonderre und Navarne. Ashe behauptete, die Höhle von Elynsynos liege im alten Wald, nordwestlich von Llaurons Reich und dem ausgedehnten lirinschen Wald von Tyrian, sodass sie der Sonne folgen und sich dann am Tara’fel nach Norden wenden würden.

Als sie die Stelle erreichten, an der die Hügel am Rand des Gebirges in felsige Steppe übergingen, lenkte Ashe Rhapsody auf einmal in ein Dickicht immergrüner Bäume. Sie folgte ihm rasch und versteckte sich; sie konnte selbst Ashe kaum sehen.

»Was ist los?«, flüsterte sie in die dunklen Zweige, deren dichte, duftende Nadeln jetzt, zu Beginn des Frühjahrs, weich und frisch waren.

»Ich habe gerade eine bewaffnete Karawane gesichtet«, antwortete er mit gedämpfter Stimme.

»Unterwegs in Richtung Ylorc.«

Rhapsody nickte. »Ja, das ist die vierwöchentliche Postkarawane.«

»Postkarawane?«

»Ja, Achmed hat einen vierwöchentlichen Zyklus von Karawanen eingerichtet, die zwischen Ylorc, Sorbold, Tyrian und Roland hin und her reisen. Jetzt, da es ein Handelsabkommen zwischen den Bolgs und Roland gibt, dachte er, es sei sinnvoll, dafür zu sorgen, dass Nachrichten und Transporte von Soldaten aus Roland begleitet werden, damit sie nicht Opfer dieser unerklärlichen Überfälle werden, die seit einiger Zeit immer häufiger werden. Ein Kontingent kommt immer am selben Wochentag an, und wenn es nicht eintrifft, macht sich der Posten, der die Karawane in diesem Fall erwartet hat, auf die Suche, um eventuell eingreifen zu können. Jede Karawane braucht zwei Zyklen oder acht Wochen, um einmal den ganzen Weg zwischen Roland, Tyrian, Sorbold und Ylorc zurückzulegen. Bisher hat es ganz gut geklappt.« Und Llauron hat die Gelegenheit genutzt, mir gehörig damit auf die Nerven zu gehen, dass ich ihm Informationen schicken soll, fügte Rhapsody im Stillen hinzu. Bisher war sie nicht sehr mitteilsam gewesen. Sie erwähnte auch nicht, dass die heikelsten Nachrichten nicht den Soldaten in der Karawane anvertraut wurden, sondern Vögeln. Achmed hatte eine ganze Schwadron fliegender Boten aufgebaut, welche die wichtigsten Sendschreiben durch die Lüfte an ihren Zielort beförderten. Auch Llauron griff auf geflügelte Boten zurück. Ashe erwiderte nichts. Rhapsody wartete eine Weile, und als dann immer noch keine Reaktion erfolgte, wandte sie sich um und wollte das Dickicht verlassen. »Warte.«

»Was ist denn jetzt schon wieder, Ashe?« In der Dunkelheit zwischen den Zweigen war er immer noch schlecht zu sehen. »Wir müssen hier ausharren. Ich dachte, du hättest verstanden, dass wir nicht gesehen werden dürfen, wenn wir gemeinsam über Land reisen.«

Rhapsody zog ihren Umhang enger um sich. »Ja natürlich ... wenn wir auf dem freien Feld angreifbar sind oder uns auf unbekanntem Gebiet befinden. Aber das da draußen ist doch nur die Postkarawane.«

»Nein, diese Vorsichtsmaßnahme gilt immer. Ohne Ausnahme. Verstanden?«

Sein Ton ärgerte sie; seine Stimme hatte einen entschlossenen Unterton, den sie nie zuvor von ihm gehört hatte eine Mahnung daran, wie wenig sie Ashe eigentlich kannte und dass sie die Einwände, die Achmed und Grunthor von Anfang an gegen ihre Reise mit ihm vorgebracht hatten, womöglich unterschätzte. Rhapsody seufzte, und ein Teil ihrer Zuversicht löste sich auf wie Nebel in der kalten Luft. »Nun gut«, erwiderte sie. »Dann warten wir eben, bis die Karawane vorübergezogen ist. Sag mir Bescheid, wenn sie außer Sichtweite sind.«

Sie überquerten die Steppen und Einöden der Krevensfelder, sich stets in nordwestlicher Richtung haltend, sodass sie nur die Außenbezirke der Provinz Bethe Corbair streiften und die Stadt selbst ganz umgingen. Die Reise gestaltete sich beschwerlich; das Terrain war holprig und unwirtlich, und im Schlamm, den der stetige Frühjahrsregen zurückließ, kam man schlecht vorwärts. Mehrmals blieb Rhapsody im Morast stecken. Ashe bot seine Hilfe an, aber sie wies ihn höflich ab, während sie sich vor sich hin murmelnd befreite. Die entspannte Vertrautheit, die sich in Ylorc zwischen ihnen entwickelt hatte, schien jetzt, da sie allein waren, verschwunden zu sein. Rhapsody hatte keine Ahnung, warum, obwohl sie fand, dass sich einiges auf Ashes Launenhaftigkeit zurückführen ließ. Manchmal war er recht nett, scherzte mit ihr oder vertrieb ihr die Zeit, wenn sie lagerten, mit netter, wenn auch banaler Konversation. Dann wieder bekam sie das Gefühl, dass ihn etwas belastete oder dass er sogar verärgert war; ganz unerwartet fuhr er sie dann an, wenn sie etwas zu ihm sagte, als störte sie ihn in seinen Überlegungen. Es war, als hätte er zwei verschiedene Persönlichkeiten, und weil sein Gesicht ja stets verborgen blieb, hatte Rhapsody keine Möglichkeit zu erraten, welche im jeweiligen Augenblick vorherrschend war. Demzufolge verbrachten sie den größten Teil der Zeit schweigend.

Als sie die weiten Felder von Bethe Corbair und die südwestliche Ecke der Provinz Yarim durchquert hatten, wurde es ein wenig besser. Sie folgten den letzten Spuren des Winters; vor wenigen Wochen war im Bolg-Land der Frühling eingezogen, aber hier war der Boden noch gefroren und das Tauwetter setzte gerade erst ein. Das Gelände war einfacher zu begehen, und es regnete auch weniger, was ihre Stimmung verbesserte. Dennoch war ihnen beiden bewusst, wie wenig Deckung sie hatten, und sie mussten sich oft verstecken, wenn Ashe Soldaten oder Reisende spürte. Für gewöhnlich konnte Rhapsody diese nicht sehen, aber sie hatte sich daran gewöhnt, plötzlich von hinten gepackt und in ein Dickicht oder eine dichte Baumgruppe gezerrt zu werden. Sie sah die Notwendigkeit dieser Maßnahmen durchaus ein, aber sie verbesserten ihre Beziehung zu Ashe keineswegs.

Nach mehreren Wochen der Wanderung erreichten sie die Provinz Canderre, ein Land, in dem es mehr Wald und grüne Täler gab als in Bethe Corbair und auch in Yarim. Die Spannung lockerte sich ein wenig; im Wald schien Ashe ruhiger zu werden. Vermutlich kam es daher, dass sie hier nicht mehr so deutlich erkennbare Zielscheiben waren wie auf den weiten, ungeschützten Ebenen.

Nun unterhielten sie sich auch etwas mehr, wenn auch immer noch nicht sehr häufig. Ashe war zwar meist freundlich und gelegentlich sogar lustig, aber er hielt Rhapsody immer auf Abstand. Nie teilte er ihr seine Gedanken mit, nie erzählte er von seiner Vergangenheit, nie nahm er seine Kapuze ab. Allmählich fragte Rhapsody sich ernsthaft, was nur mit seinem Gesicht passiert war, das er so strikt verbarg. Sie wünschte, er würde ihr mehr vertrauen. Durch seine Art, sich abzusondern, konnte auch sie nicht anders, als ihm gegenüber auf der Hut zu bleiben.

Das Einzige, wogegen er zu ihrer Überraschung nichts einzuwenden hatte, waren ihre täglichen Gebete. Jeden Morgen und jeden Abend begrüßte sie die Sonne und die Sterne mit einem Lied, allerdings immer mit gedämpfter Stimme, vor allem, wenn sie die Steppe durchkreuzten. Aber sie wusste, dass ihr Brauch trotzdem ein gewisses Risiko in sich barg. Im Allgemeinen hatte sie Wache, wenn die Morgendämmerung kam, und so war ihr Morgengebet für ihn der Weckruf. Wenn am Abend die Dämmerung hereinbrach, entschuldigte sie sich und suchte sich in einiger Entfernung eine Lichtung, um ihn nicht zu stören. Wenn sie zurückkam, ließ er nie irgendeine Bemerkung fallen und war immer noch mit dem beschäftigt, was er getan hatte, als sie weggegangen war. Der Wald wurde dichter, und es zeigte sich, dass sie nun den wichtigsten und schwierigsten Teil der Reise angetreten hatten. Sie befanden sich im Großen Wald, der den größten Teil des westlichen Canderre und den ganzen Norden von Navarne und Avonderre bedeckte, bis hinauf zum Meer. Die Hälfte des Weges war geschafft, Ashe hatte die Route bestens ausgearbeitet und eingehalten. Bis jetzt waren keine größeren Schwierigkeiten aufgetreten; obgleich es nur wenige Landmarken gab, nach denen man sich richten konnte, waren die Sterne über den weiten Ebenen klar zu lesen und die Richtung einfach zu erkennen. Sie gingen nach Westen, immer der Sonne nach. Doch nun kam der schwierige Teil, der Hauptgrund, warum Rhapsody auf Ashes Dienste als Führer angewiesen war. Der Wald war dicht, dunkel und richtungslos, hier konnte man sich leicht verirren. Obwohl Rhapsody nichts gesagt hatte, bemerkte Ashe ihre zunehmende Nervosität.

»Du machst dir Sorgen.«

»Ein wenig«, gab sie zu. Ihre Stimmen durchbrachen die Stille des Waldes und hatten einen seltsamen Klang.

»Ich war schon des Öfteren hier, ich kenne mich aus«, erwiderte er. In seinem Ton war nichts von der Gereiztheit zu hören, die eine Weile so typisch für ihn gewesen war.

»Ich weiß«, meinte Rhapsody mit einem schwachen Lächeln. »Aber ich bin noch nie einem Drachen begegnet, und deshalb ist es wahrscheinlich kein Wunder, dass ich mir ein wenig Sorgen mache. Ist sie groß für einen Drachen, meine ich?«

Ashe lachte leise. »Ich habe nie behauptet, ein Drachenkenner zu sein. Ich habe auch nicht gesagt, dass ich sie kenne. Ich habe nur erzählt, dass ich in der Nähe ihrer Höhle war.«

»Oh.« Rhapsody schwieg, statt ihren unausgesprochenen Fragen Ausdruck zu verleihen, denn sie wusste, dass Ashe sie ohnehin nicht beantworten würde.

»Vielleicht sollten wir zum Abendessen eine Pause einlegen«, schlug er vor. »Nach meiner Erfahrung beruhigt Essen manchmal die Nerven. Außerdem bist du an der Reihe mit Kochen.« Sein Ton klang schelmisch.

Rhapsody lächelte. »Aha, das ist also ein Trick. Na gut, ich koche. Hier sind wir sicher genug, um ein Feuer zu machen, meinst du nicht?« Während sie auf den Ebenen gewesen waren, hatte sie selten ein Feuer angezündet, denn beiden war klar gewesen, dass es in der vollkommenen Dunkelheit wie ein Signal gewirkt hätte.

»Ich denke schon.«

»Gut«, meinte sie, und ihre Stimmung hob sich etwas. »Ich werde mal nachschauen, was ich in der Nähe finde, wenn ich ein bisschen herumstöbere.«

»Geh nicht zu weit weg.« Ashe hörte sie seufzen, als sie sich ins Unterholz begab. Ein paar Minuten später kehrte sie aufgeregt zurück. »Warte nur, bis du siehst, was ich gefunden habe«, sagte sie und ließ sich mit übergeschlagenen Beinen auf der Lichtung nieder, die sie als Nachtlager auserkoren hatten. Sie nahm ihren Tornister auf den Schoß und kramte darin herum.

Ashe sah zu, wie sie ein Tuch auf dem frischen Frühlingsgras ausbreitete, in einem verbeulten Blechtopf verschiedene Dinge miteinander vermischte, das Ganze zudeckte, ein kleines Loch buddelte und den Topf darin versenkte. Neben ihm grub sie noch zwei Kartoffeln aus ihrem Proviant mit ein und entzündete dann direkt darüber ein Feuer. Während es brannte, entkernte sie drei kleine Äpfel, die sie im Wald gefunden hatte, Überbleibsel vom letzten Herbst, und würzte sie mit einem Pulver, das sie in einem Beutel in ihrem Tornister aufbewahrte. Dann hängte sie einen Topf übers Feuer, in den sie zuvor klein geschnittenen Lauch und wilden Meerrettich gegeben hatte. Nach einer Weile nahm sie den Topf vom Feuer und legte die Äpfel in die Glut. Binnen kurzem begannen sie zu brutzeln und einen ganz bemerkenswerten Geruch zu verströmen, der Ashe das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ.

Schließlich holte Rhapsody die Äpfel aus dem Feuer, legte sie zum Abkühlen beiseite und grub den Blechtopf und die Kartoffeln aus. Dann deckte sie den Topf ab und schüttelte ihn gut durch. Ein kleiner Brotlaib, leicht nussig und lecker duftend, kam zum Vorschein und landete auf dem Tuch. Als Letztes rührte sie die Lauchsuppe noch einmal kräftig um, die in der verrauchten Luft einen ganz anderen, nicht minder köstlichen Geruch verströmte.

Als sie den dampfenden Brotlaib aufschnitt und aus ihrem Tornister noch ein Stück Hartkäse zutage förderte, nahm Ashes Appetit noch zu. Mit geübten Bewegungen schnitt sie den Käse klein und legte ihn auf das Brot, wo er schmolz, während sie ihm die restlichen Bestandteile des Mahles auftischte.

»Hier. Ich fürchte, es ist alles sehr einfach, aber es müsste deinen Hunger eigentlich für die Nacht stillen.«

»Danke.« Ashe setzte sich neben sie und zog das Tuch näher zu sich heran. »Das sieht gut aus.« Er beobachtete, wie sie selbst das Essen versuchte, und nahm dann abwechselnd einen Bissen von allem, was sie auch aß.

»Es ist leider nicht sehr viel«, meinte sie entschuldigend. »Nur ein kleines Volkslied.«

Ashe hatte den Mund voll von gewürztem Apfel. »Hmmm?«

»Man kann nicht viel komponieren, wenn man nur die Zutaten hat, die sich in unmittelbarer Nähe befinden.«

Er schluckte seinen Bissen hinunter. »Komponieren?«

Rhapsody lächelte die verhüllte Gestalt an. »Nun ja, ein wirklich gut geplantes Mahl hat all die aromatischen Bestandteile eines guten Musikstücks.« Da sie keine Antwort bekam, fuhr sie mit ihrer Erklärung fort, in der Hoffnung, Ashe würde sie nicht so töricht finden wie Achmed. »Weißt du, wenn man genügend darüber nachdenkt, wie bestimmte Dinge von den Sinnen aufgenommen werden, kann man ihre Wirkung beeinflussen. Wenn man beispielsweise ein intimes Abendessen plant, möchte man das Ganze vielleicht wie ein kleines Orchesterkonzert gestalten. Also nimmt man für die Bassgeigen eine reichhaltige Suppe. Für die Violinen ein paar knusprige Kekse, gekrönt mit süßer Butter und Honig. Man könnte etwas Leichtes servieren, scharfes, knackiges Gemüse in einer Orangensauce für die schelmische Flötenstimme. Zuerst entscheidet man also, wie man sich das Essen als Musikstück vorstellt, dann stellt man die Speisen so zusammen, dass sie zur Atmosphäre passen.«

Ashe nahm einen Bissen Brot. »Spannend. Eine Manipulation, aber spannend.« Der Nussgeschmack mischte sich vortrefflich mit dem Käse, sodass beides viel gehaltvoller wirkte, als es allein je hätte sein können.

Überrascht sah Rhapsody ihn an. »Du findest, es ist eine Manipulation? Das verstehe ich nicht.« Er antwortete nicht. »Kannst du mir erklären, was du damit meinst?«, beharrte sie. I

Ashe nahm den nächsten Bissen. »Ist der Tee fertig?«

Wortlos stand Rhapsody auf und ging zum Feuer. Am besten fand sie den Tee aus den Gaben des Sommers: Himbeerblätter und Hagebutten, Gagelstrauch und rote Sumachbeeren. Die Kräuter, die sie hier entdeckt hatte, waren nicht die beste Mischung Platane und Rotulme, Löwenzahnwurzeln und Schafgarbe, aber sie hatten milde, gesunde Eigenschaften. So goss sie eine Tasse mit der dampfenden Flüssigkeit voll und reichte sie Ashe, noch immer mit gerunzelter Stirn und auf eine Antwort wartend.

Doch es kam keine. Die Gestalt im Umhang hob die Tasse zur Kapuze hoch und nippte daran. Aber dann sprang Rhapsody vor Schreck in die Höhe, denn Ashe spuckte den Tee mit einer Heftigkeit aus, dass er zischend ins Feuer spritzte.

»Pfui Teufel, was ist das denn?«, rief er ungehalten, und Rhapsody spürte, wie ihr Blut zu kochen begann.

»Na ja, jetzt ist es Kräuterdampf, aber vor deiner ausgesprochen reifen Reaktion war es Tee.«

»Ein neuer und ungewöhnlicher Gebrauch des Wortes, würde ich sagen.«

Rhapsody wurde immer wütender. »Nun, es tut mir Leid, dass du ihn nicht magst, aber es war die beste Kräutermischung, die ich finden konnte. Alles sehr gesund.«

»Wenn einen der Geschmack nicht schon umgebracht hat.«

»Das nächste Mal werde ich darauf achten, dass ich Süßholz für dich finde. Bis jetzt war mir noch nicht klar, dass du so nötig ein Abführmittel brauchst.«

Sie meinte ein leises Lachen zu hören, als der Vermummte sich erhob und zu seinem eigenen Tornister ging. Einen Augenblick kramte er darin herum und fand schließlich, wonach er gesucht hatte.

»Du könntest etwas von diesem hier machen.« Damit warf er ihr einen kleinen Leinensack zu, der mit einem Band aus Rohleder zugebunden war.

Rhapsody öffnete das Säckchen, hielt es sich an die Nase und atmete das Aroma ein. Angewidert zog sie die Nase zurück.

»Gott, was ist das denn?« Sie hielt den Sack ein gutes Stück von ihrem Gesicht entfernt.

»Kaffee. Eine Spezialmischung aus Sepulvarta.«

»Uch. Das ist ja ekelhaft.«

Ashe lachte. »Du bist sehr engstirnig, weißt du. Ehe du etwas als ekelhaft abtust, kannst du es doch zumindest versuchen.«

»Nein, danke. Das riecht wie Dreck aus einem Stinktiergrab.«

»Nun, sei’s drum, ich mag Kaffee, und zwar wesentlich lieber als deinen scheußlichen Tee.«

Rhapsody machte ein langes Gesicht, und er beeilte sich, den Schaden wieder gutzumachen.

»Obwohl ich natürlich schon glaube, dass der Tee, den du machst, wenn du nicht im Wald und unabhängig von dieser begrenzten Pflanzenauswahl bist...«

»Erspar mir deine Reden«, entgegnete sie kalt. »Es ist dein gutes Recht, meinen Tee nicht zu mögen. Niemand hat behauptet, er wäre lecker; er ist nur gesund. Und wenn du dich mit diesem Gallenzeug vergiften möchtest, will ich dich nicht zurückhalten. Aber du kannst deinen Kaffee selbst kochen, ich habe nicht das Bedürfnis, seine Dämpfe einzuatmen. Genau genommen denke ich, ich sollte mir einen anderen Lagerplatz suchen, bis du fertig bist.«

Damit erhob sie sich und ging vom Feuer weg in den Wald. Ihr Essen blieb zum großen Teil unberührt zurück.

Nur wenige Worte wurden an diesem Abend zwischen ihnen gewechselt. Nach Sonnenuntergang, als sie ihre Vesper gesungen hatte, kam Rhapsody zurück und machte es sich für die Nacht in ihrer Ecke des Lagers gemütlich.

Ashe reparierte gerade einen seiner Stiefel, als sie in den Feuerschein trat, und beobachtete, wie sie an den Flammen vorbeiging. Er hatte längst bemerkt, welche Wirkung sie auf das Feuer ausübte und wie es ihre Stimmung spiegelte. Jetzt knackte und zischte es in unausgesprochener Wut. Offensichtlich hatte sie sein beleidigendes Verhalten noch nicht überwunden, wahrscheinlich weil er sich nicht dafür entschuldigt hatte. Also beschloss er, das jetzt zu tun. »Es tut mir Leid wegen vorhin«, sagte er und drehte den Stiefel um, ohne sie anzuschauen.

»Du kannst die Sache ruhig vergessen.«

»Na gut«, entgegnete er und zog den Stiefel wieder an. »Dann vergesse ich sie. Ich wünschte, es gäbe mehr Frauen, die mich so leicht davonkommen lassen.«

Rhapsody rollte ihren Mantel zusammen und stopfte ihn als Kissen unter ihren Kopf. Der Boden war mit Baumwurzeln und Steinen übersät, sodass es kaum einen bequemen Schlafplatz gab. »Unsinn«, widersprach sie. »Deine Mutter hat dir bestimmt alles durchgehen lassen.«

Ashe lachte. »Ein Punkt für dich«, räumte er ein und gebrauchte damit einen Ausdruck der Schwertkampflehrer. »Dann kann ich also davon ausgehen, dass meine Entschuldigung angenommen ist?«

»Gewöhn dich lieber nicht zu sehr an den Gedanken«, brummte Rhapsody aus dem Innern ihrer Deckenrolle, doch eine Spur von Humor war in ihre Stimme zurückgekehrt. »Spucken verzeihe ich nur ganz selten. Gewöhnlich würde ich dir in einem solchen Fall das Herz herausreißen, obwohl es bei dir ganz danach aussieht, als hätte das schon jemand anderes erledigt.« Damit schloss sie die Augen und wollte einschlafen. Einen Sekundenbruchteil später drang ein Summen an ihr Ohr, und sogar hinter ihren geschlossenen Lidern konnte sie sehen, dass ein blauweißes Licht die Dunkelheit erfüllte. Die scharfe Metallspitze eines Schwerts piekte direkt unter dem Kinn in ihren Hals. Vorsichtig öffnete sie die Augen.

Über ihr stand Ashe. Selbst in der Dunkelheit sah man seiner verhüllten Gestalt die Anzeichen seines unbändigen Zorns an. Mit einer gemeinen Drehung des Handgelenks drückte er die Schwertspitze tiefer in ihren Hals, gerade so weit, dass die Haut unverletzt blieb. In seiner Kapuze funkelten zwei Lichtpunkte.

»Steh auf«, zischte er und trat heftig gegen ihren Stiefel.

Rhapsody erhob sich, dem Schwert gehorchend. Es pulsierte in bläulichem Licht, einem Licht, das sie in der Schlacht aus dem Augenwinkel gesehen hatte, aber nie zuvor aus der Nähe. Es war ein Bastardschwert, eine Waffe mit breiter Klinge und breitem Heft, länger als ihr eigenes. Sowohl Griff als auch Klinge waren verziert mit schimmernden blauen Runen, doch diese waren nicht der faszinierendste Teil.

Die Klinge selbst nämlich sah aus, als wäre sie flüssig. Sie schwebte in der Luft und kräuselte sich zum Griff hin wie Meereswellen, die ans Ufer schlagen. Von der wässrigen Waffe stieg ein Nebel auf wie Rauch von den Feuern der Unterwelt und bildete vor Rhapsody einen Nebeltunnel, einen beweglichen Tunnel, an dessen Ende ein Fremder stand, mit Mordgier in den Augen. Dies wusste sie, auch wenn sie seine Augen nicht klar sehen konnte, denn er hätte ihr eine Waffe, die eine solche Macht besaß, niemals gezeigt, wenn er nicht sicher gewesen wäre, dass für sie dieser Anblick nur von kurzer Dauer sein würde. Eine tödliche Ruhe überkam Rhapsody. Sie starrte durch den nebligen Tunnel auf den Mann im Umhang auf der anderen Seite. Er schwieg, aber sein Zorn war spürbar, überall in der Luft um sie herum.

Als er nach einem weiteren endlosen Augenblick noch immer nicht sprach, beschloss Rhapsody, etwas zu sagen.

»Warum musste ich aufstehen? Bist du zu ritterlich, um mich zu töten, während ich schlafe?«

Ashe antwortete nicht, sondern drückte noch ein bisschen stärker zu. Einen Augenblick lang wurde Rhapsody schwarz vor den Augen, weil kaum Blut in ihren Kopf kam. Doch sie nahm alle Kraft zusammen und starrte weiter in seine Richtung.

»Nimm das Schwert augenblicklich weg oder töte mich einfach«, befahl sie kalt. »Du störst mich beim Schlafen.«

»Wer bist du?« Ashes Stimme klang erstickt vor mörderischer Wut. Rhapsody horchte unwillkürlich auf, denn diese Worte hatte sie schon einmal gehört, und zwar von einem anderen in einen Umhang gehüllten Fremden. Fast genau so hatte sie Achmed kennen gelernt. Sein Ton war ähnlich mörderisch gewesen, als er in ihrem Tornister gewühlt hatte, während Grunthor sie im Schatten ihres ersten gemeinsamen Lagerfeuers festgehalten hatte.

Wer bist du?

He, Finger weg!

An deiner Stelle war ich jetzt schön brav, Herzchen. Er hat dich was gefragt.

Darauf habe ich doch schon geantwortet. Ich bin Rhapsody. Und jetzt nimm deine Hände aus meinen Sachen, sonst geht noch was kaputt.

Ich mache nichts kaputt, es sei denn absichtlich. Also, ich frage noch einmal: Wer bist du? Sie seufzte im Stillen. »Anscheinend muss ich bis in alle Ewigkeit derartige Gespräche mit Männern führen, die mir etwas antun wollen. Mein Name ist Rhapsody. Das weißt du doch längst, Ashe.«

»Offensichtlich weiß ich überhaupt nichts über dich«, entgegnete er mit leiser, tödlicher Stimme. »Wer hat dich geschickt? Wer ist dein Meister?«

Das letzte Wort tat weh, denn es rief eine Explosion von Erinnerungen in ihr hervor, entstanden in der Qual des Straßenlebens, der Erniedrigung und erzwungenen Prostitution.

»Wie kannst du es wagen? Ich habe keinen Meister. Was willst du damit andeuten?«

»Dass du eine Lügnerin bist, bestenfalls. Schlimmstenfalls bist du eine Verkörperung des Bösen und wirst für das Leid und die Schmerzen sterben, die du anderen seit Anbeginn der Zeit zugefügt hast.«

»Himmel! Was für Schmerzen denn?«, fragte Rhapsody ungläubig. »Und nenn mich nicht Lügnerin, du törichte Memme. Wenn hier einer lügt, dann du! Du hast meinen Freunden versprochen, ich wäre bei dir in Sicherheit. Wenn du vorhattest, mich zu töten, so hätte ich an dem von dir gewünschten Treffpunkt mit dir gekämpft. Du hättest mich nicht in die Wälder locken müssen, um ungestraft davonzukommen, du feiges Stück Bolg-Dreck.«

Ashe richtete sich noch ein Stück weiter auf; das Schwert rührte sich nicht von der Stelle. Doch dem Anschein nach hatte sich seine Wut ein wenig gelegt. Rhapsody hätte nicht mit Bestimmtheit sagen können, woher sie es wusste, aber sie war sich dennoch dessen sicher.

»Gestehe, wer dich geschickt hat, dann verschone ich dein Leben«, sagte er, und seine Stimme klang schon ein klein wenig vernünftiger. »Sag mir, wer der Wirt ist, dann lasse ich dich gehen.«

»Ich habe wirklich keine Ahnung, wovon du da faselst«, gab sie ärgerlich zurück. »Mich schickt niemand.«

Noch einmal piekte Ashe sie heftig in den Hals. »Lüg mich nicht an! Wer hat dich geschickt? Du hast zehn Sekunden, um mir einen Namen zu liefern, wenn dir dein Leben lieb ist.«

Einen Augenblick dachte Rhapsody scharf nach, denn sie wusste, dass er es todernst meinte. Es wäre einfach gewesen, irgendeinen Namen zu erfinden, in der Hoffnung, dass er sie in Ruhe lassen würde, um diesen Wirt zu suchen, von dem er da plapperte. Aber das Überleben war keine Lüge wert. Um sie herum lief die Zeit langsamer, und sie dachte an die Familie, mit der sie wieder vereint sein würde.

»Spar dir die Mühe«, antwortete sie schließlich. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst, und ich werde nicht lügen, damit du mich am Leben lässt.« Sie reckte ihm die Kehle entgegen, damit er besser zustechen konnte. »Los doch.«

Einen Augenblick war Ashe wie erstarrt, dann zog er das Schwert mit einer heftigen Bewegung, bei der Wassertropfen über ihr Gesicht und ins Feuer spritzten, von ihrem Hals zurück. Die Flammen zischten zornig. Doch er starrte sie weiterhin aus seiner nebligen Kapuze heraus an. Nachdem sie seinen Blick eine Weile fest erwidert hatte, sagte Rhapsody: »Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist. Vielleicht ist dein Hirn von dem Stinktier-Urin ausgetrocknet, den du Kaffee nennst.« Sie holte tief Luft und griff auf ihre Wahrheitskunde zurück, über die sie als Benennerin verfügte. »Auf alle Fälle ist dein Verhalten unverzeihlich. Ich bin keine Lügnerin und auch keine Verkörperung des Bösen. Ich weiß nicht, warum du auf mich wütend bist, aber ich habe keinen Meister, ich bin keines Menschen Hure, und ich weiß nichts von einem Wirt. Jetzt mach, dass du wegkommst. Ich werde den Drachen auch ohne dich finden.«

Ashe dachte kurz nach. »Was sollte die Bemerkung über mein Herz bedeuten?«

Gewöhnlich würde ich dir in einem solchen Fall das Herz herausreißen, obwohl es bei dir ja ganz danach aussieht, als hätte das schon jemand anderes erledigt. Rhapsody machte ein ratloses Gesicht ihre Bemerkung hatte ein Scherz sein sollen. »Dass du herzlos bist und grob. Dass du das Essen, das ich für dich zubereitet habe, schlecht machen wolltest, dass du meinen Tee ausgespuckt hast, dass du gemein warst. Du bist ein unerträgliches Schwein. Du selbst verträgst keinen Spaß, aber von anderen erwartest du es ständig. Du bist mürrisch. Soll ich weitermachen? Als ich das vorhin sagte, wollte ich dich ein bisschen necken. Jetzt allerdings nicht mehr.«

Ashes Schultern entkrampften sich, und Rhapsody hörte ein tiefes Ausatmen unter der Kapuze. Eine Weile noch starrten sie einander an. Dann senkte die Gestalt im Umhang den Kopf.

»Es tut mir sehr Leid«, sagte Ashe leise. »Dein Urteil über mich ist in allen Teilen zutreffend.«

»Da widerspreche ich dir nicht«, entgegnete Rhapsody, deren Herzschlag sich allmählich ein wenig beruhigte. »Jetzt geh. Wenn du immer noch kämpfen willst, stehe ich dir gern zur Verfügung. Ansonsten mach dich auf den Weg.«

Ashe steckte sein Schwert wieder in die Scheide. Sofort wurde es im Tal merklich dunkler. Das Feuer war im Rhythmus ihres Zorns aufgeflammt und brannte jetzt ebenfalls nieder, nachdem es in seiner Wut einiges von seinem Brennstoff verzehrt hatte.

»Wenn du möchtest, dass ich gehe, warum hast du dir dann nicht einfach einen Namen ausgedacht? Ich hätte dich hier gelassen, unversehrt. Du hast Glück gehabt, aber du bist ein großes Wagnis eingegangen.«

»Was für ein Wagnis?«, fauchte Rhapsody. »Du hast mir eine Frage gestellt. Es gab nur eine mögliche Antwort, und diese bestand nicht darin, einen Namen zu erfinden. Was, wenn ich es getan hätte und der Name dann einem Unschuldigen gehört hätte, dessen einziges Verbrechen darin bestand, dass er Pech hatte?«

Ashe seufzte. »Du hast Recht. Wir leben in schlimmen Zeiten, Rhapsody. Ich weiß, es steht dir an, mich für immer zu hassen, aber bitte, tu es nicht. Ich dachte, du wärst jemand anderes, aber das bist du nicht, und ich bitte dich um Vergebung. Viele meiner Freunde und zahllose andere Unschuldige sind durch die finstere Hand ums Leben gekommen, durch die Hand des Bösen, das all diese Überfälle verursacht. Einen Augenblick glaubte ich, du wärst es.«

»Welch ein merkwürdiger Zufall. Achmed hat dich im gleichen Verdacht.«

»Er ist klüger, als ich dachte«, meinte Ashe leise.

Rhapsody blinzelte verwundert. In seinen Worten lag eine Schärfe, die sie mitten in die Seele traf. »Was meinst du damit?«

»Nichts«, erwiderte er hastig, »gar nichts. Das war ein Missverständnis.« Seine Stimme wurde wehmütig. »Vielleicht hervorgerufen durch den Stinktier-Urin, wie du meinen Kaffee so überaus freundlich bezeichnet hast.«

Rhapsody setzte sich wieder ans Feuer. »Weißt du, Ashe, die meisten Leute tragen ihre Missverständnisse auf einer anderen Ebene aus. Meine Nachbarin hat einmal einen Teller nach ihrem Ehemann geworfen. Für gewöhnlich gehen sie nicht mit Waffen aufeinander los. Deshalb glaube ich nicht, dass das, was zwischen uns vorgefallen ist, gemeinhin als Missverständnis durchgehen würde.«

»Es tut mir sehr Leid«, entgegnete er. »Bitte sag mir, was ich tun kann, um es wieder gutzumachen. Ich schwöre, es wird nicht wieder vorkommen. Ich weiß, du glaubst mir vielleicht nicht, aber es war eine Überreaktion auf das, was überall im Land geschieht. Der Krieg kommt, Rhapsody, ich kann es fühlen. Deshalb misstraue ich jedem, selbst denen, die gar nichts damit zu tun haben so wie du.«

An seiner Stimme hörte sie, dass er die Wahrheit sprach. Sie seufzte und ließ sich ihre Möglichkeiten durch den Kopf gehen. Sie konnte ihn wegjagen, konnte sich weigern, auch nur einen weiteren Augenblick in seiner Gesellschaft zu verbringen, aber dann wäre sie allein im Wald und verloren. Sie konnte sich bereit erklären, mit ihm Weiterzuziehen, aber auf der Hut bleiben, konnte Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, um weitere unangenehme Vorfälle zu vermeiden. Oder sie konnte ihn beim Wort nehmen.

Sie war zu müde, und so blieb ihr nur letztere Möglichkeit. »Na gut«, sagte sie schließlich.

»Vermutlich komme ich nicht drum herum, solange du versprichst, nie wieder die Waffe gegen mich zu ziehen. Schwöre es, dann vergessen wir, was vorgefallen ist.«

»Ich schwöre es«, sagte er. In seiner Stimme schwang ein Unterton des Staunens mit und noch etwas anderes, das sie nicht recht zu deuten wusste.

»Und wirf den Kaffee weg. Er verdirbt dir das Gehirn.«

Obwohl die Situation alles andere als lustig war, musste Ashe lachen. Er griff in seinen Tornister und zog den kleinen Sack hervor.

»Aber nicht ins Feuer«, rief sie hastig. »Sonst müssen wir den Wald verlassen. Vergrab ihn morgen früh mit den Abfällen.«

»In Ordnung.«

Sie warf noch eine Hand voll Holz aufs Feuer. Es brannte niedrig, anscheinend war es auch müde geworden. »Und du übernimmst die erste Schlafschicht.«

»Einverstanden.« Ashe ging hinüber zu seiner Schlafstelle, holte seine Decken hervor und kroch schnell darunter, als wollte er damit zeigen, wie fest er darauf vertraute, dass sie sich nicht an ihm rächen würde, während er schlief. »Gute Nacht.«

»Gute Nacht.« Trotz allem, was vorgefallen war, spürte Rhapsody, wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete. Sie lehnte sich zurück und lauschte den nächtlichen Geräuschen des Waldes, der Musik des Windes und dem Gesang der Grillen in der Nacht. Dorndreher fluchte und spornte sein Pferd erneut an. Die orlandische Botschafterkarawane war ihnen mehrere Tage voraus, und er machte in seinen Bemühungen, sie einzuholen, keinerlei Fortschritte. Eigentlich hatte Dorndreher keinen Bedarf nach ihrer Gesellschaft und auch keinerlei Wunsch danach; im Großen und Ganzen hielt er die Botschafterklasse von Roland für eine jämmerliche Ansammlung tatteriger alter Männer, die nicht in der Lage waren, eine direkte Erklärung abzugeben, ganz zu schweigen davon, einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen. Marionetten, dachte er säuerlich, samt und sonders. Unterwegs, dem neuen Herr der Ungeheuer ihre Ehrerbietung zu erweisen. Ihm fielen die Worte seines Meisters wieder ein, während er über den schlammigen Weg galoppierte, der in trockeneren Zeiten die orlandische Durchgangsstraße war und Roland von der Küste bis zum Rand der Manteiden zweiteilte; einst hatten die Cymrer die Straße gebaut.

Alles, was du über Canrifin Erfahrung bringen kannst und darüber, welcher Irrsinn dort um sich greift. Alles, Dorndreher. Seine tiefe Stimme machte die in den Worten verborgene Drohung noch deutlicher.

Auch im Wind spürte Dorndreher die Drohung, trotz der milden Luft, welche die Rückkehr des Frühlings ankündigte. Canrif war eine Ruine, der vermodernde Leichnam eines längst verflossenen Zeitalters, ausgesetzt den raubgierigen Ungeheuern, die auf den Gipfeln umherschweiften und auf dem Wind dahintrieben, der die Erinnerung an das, was dort geschehen war, auch nach all dieser Zeit noch mit sich trug. Er wusste nicht, was er vorfinden würde, wenn er sich erst an dem dürftigen Hof von Gwylliam dem Missbraucher und Anwyn der Manipulatorin aufhielt; aber er war sich sicher, dass es ihm kaum gefallen würde.

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