Als Ashe sie endlich losließ, setzte Rhapsody sich wieder auf die Bank.
»Nun, das war wundervoll«, sagte sie und strich ihren Seidenrock glatt. »Ich kann es kaum erwarten, bis wir es wiederholen. Also, was hast du mir nun zu sagen?«
Ashe schauderte. Er wusste, wie unangenehm das, was er ihr mitzuteilen hatte, für sie sein würde, und er war noch nicht bereit, das Glück loszulassen, das sie gerade zusammen erlebt hatten. Noch nicht.
»Singst du etwas für mich, Rhapsody?«, fragte er und ließ sich zu ihren Füßen nieder.
»Du schindest Zeit«, schalt sie ihn. »Ich habe das Gefühl, dass wir eine lange Nacht vor uns haben; wir haben eine Menge zu besprechen und wollten uns auch noch dem Benennungsritual widmen. Ich muss morgen früh aufbrechen, deshalb mache ich dir einen Vorschlag: Du sagst mir, was notwendig ist, dann teile ich dir mein Anliegen mit, anschließend gebe ich dir deinen neuen Namen und singe danach etwas für dich. Ist das ein Angebot?«
Ashe seufzte. »Nun gut«, meinte er und versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. »Aber ich würde lieber in diesem Augenblick sterben, als dir das mitzuteilen, was ich dir mitteilen muss.«
Alarmiert blickte Rhapsody ihn an. »Warum?«
»Weil ich sicher bin, dass es dich verletzen wird, und wie du inzwischen wissen müsstest, versuche ich das zu vermeiden, so gut ich es nur kann.«
Rhapsodys Gesicht wurde wieder ruhig. »Keine Bange, Ashe. Sag es mir einfach.«
»In einer Weile wird mein Vater an dich herantreten mit der Bitte, ihn auf einer Reise zu begleiten. Das Ziel kenne ich nicht, es ist auch vollkommen ohne Bedeutung. Ihr werdet nie dorthin gelangen.«
»Was meinst du damit?«
Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke. »Bitte, Rhapsody, es ist so schon schwierig genug. Hör einfach zu, dann erkläre ich dir alles. Und falls du, nachdem ich fertig bin, deine Erlaubnis zurücknehmen willst, dass ich diese Erinnerung für dich aufbewahre, werde ich das verstehen und mich deiner Entscheidung beugen.«
Rhapsody drückte ermutigend seine Hand. »Erzähl es mir«, sagte sie sanft.
»Auf deiner Reise mit Llauron werden euch Lark und eine Bande ihrer abtrünnigen Anhänger entgegentreten. Sie wird meinen Vater zum tödlichen Zweikampf herausfordern, was durchaus zu den Gepflogenheiten in Llaurons Machtbereich gehört. Also hat er keine andere Wahl, als die Herausforderung anzunehmen, und Lark wird ihn im Kampf töten.«
Erschrocken sprang Rhapsody auf. »Was Nein. Das wird nicht geschehen, Ashe. Ich werde es nicht zulassen.«
»Du wirst es nicht verhindern können, Aria. Ein Schwur, den du meinem Vater geleistet hast, wird dich dazu verpflichten, unter keinen Umständen einzugreifen. Du wirst die Wahl haben, ihn entweder sterben zu sehen oder dein heiliges Wort zu brechen und die Tagessternfanfare zu verlieren. Es tut mir Leid, es tut mir so Leid«, fügte er mit stockender Stimme hinzu und sah, wie das Grauen sich über ihr Gesicht breitete, das noch vor wenigen Augenblicken so gestrahlt hatte.
Rhapsody wandte sich ab und schlang die Arme um sich, als wollte sie sich übergeben. Ashe spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht und ihren Händen wich, wie sie blass wurde und zu zittern begann. Schließlich drehte sie sich wieder zu ihm um, mit einem Ausdruck des Unglaubens im Gesicht, der ihm im Herzen wehtat.
»Ich weigere mich zu glauben«, sagte sie langsam, »dass du mit Lark unter einer Decke steckst und mit ihr ein Komplott zur Ermordung deines eigenen Vaters schmiedest.«
Ashe ließ den Kopf hängen. »Du hast zur Hälfte Recht«, erwiderte er leise. »Aber ich stecke nicht mit Lark unter einer Decke.«
»Mit wem dann? Mit wem hast du dich verbündet?«
Ashe wandte sich ab, denn er konnte ihrem Blick nicht standhalten. »Mit meinem Vater.«
»Sieh mich an!«, befahl Rhapsody mit barscher Stimme. Ashe blickte auf, und sein Gesicht wirkte zutiefst beschämt. »Was meinst du damit?«
»Seit du hier angekommen bist, plant mein Vater, dich zu benutzen, um seine Ziele zu erreichen. Das erste war, den F’dor zu vertreiben, obwohl ich glaube, dass dieses Ziel neben dem zweiten unwichtig geworden ist.«
»Und das wäre?«
»Llauron ist es müde, sich den Grenzen einer Existenz in menschlicher Gestalt zu beugen«, antwortete Ashe mit hohler Stimme. »Sein Blut ist zum Teil das eines Drachen, aber diese Natur schlummert noch. Nun wird er alt und hat Schmerzen, er sieht sich mit seiner Sterblichkeit konfrontiert, die ihm näher ist, als man es vielleicht glauben mag. Doch er will seine Wyrm-Identität voll ausleben. Sollte er das schaffen, wäre er so gut wie unsterblich und hätte die elementaren Kräfte, die du, deine Firbolg-Kameraden und auch ich jetzt einsetzen, nur eben auf einem wesentlich höheren Niveau. Er wird eins werden mit den Elementen, Aria; wie du das Feuer beeinflusst oder über es befiehlst, so wird er Feuer werden. Oder Wasser oder Äther, ganz nach Belieben.«
»Wie Elynsynos?«
»Genau. Und ebenso wie Elynsynos muss er, um das zu erreichen, seiner sterblichen Gestalt abschwören und eine elementare Form annehmen, aber ohne zu sterben. Erst dann kann er zu der elementaren Existenz übergehen, die er sich ersehnt. Als er vor langer Zeit entdeckte, dass sich Lark gegen ihn verschwor, schmiedete er Pläne, wie er die Situation zu seinen Gunsten ausnutzen könnte. Dieser letzte Teil deiner nämlich ist der endgültige Schritt, sein Ziel zu erreichen.«
Rhapsody riss den Blick von ihm los und schaute hinüber in den Garten und zum See, während sie aufnahm, was er sagte. »Aber du hast doch gesagt, er würde getötet werden.«
Ashe zuckte zusammen. »Alle werden es glauben selbst du, Rhapsody. Denn Llauron wird Kräuter und Tränke mitnehmen, die ihn in einen todesähnlichen Zustand versetzen, und wenn ihr du und Lark seinen Körper untersucht, werdet ihr beide überzeugt sein, dass er wirklich tot ist.«
Rhapsody ging zum Rand der Laube und setzte sich auf die oberste Stufe der Treppe, die in den Garten hinunter führte. So blickte sie über den See zum Wasserfall und versuchte, die Gedanken zu ordnen, die sich in ihrem Kopf überschlugen. »Und was soll der Sinn des Ganzen sein? Er überzeugt also Lark und mich, dass er tot ist, obwohl es nicht stimmt? Wozu soll das gut sein?«
»Lark ist mit dem F’dor verbündet, obgleich immer noch nicht ganz klar ist, wer er ist. Schon seit einiger Zeit weiß Llauron, dass der F’dor einen Komplizen in seinen Reihen hat, aber bis vor kurzem war er sich über dessen Identität noch nicht im Klaren. Wenn Lark glaubt, dass Llauron tot ist, wird sie irgendwann diese Information an den F’dor weitergeben, und ich werde auf der Lauer liegen, um ihr zu folgen. Natürlich könnten auch noch andere Überläufer bei ihr sein, und dann weiß ich, wen ich sonst noch töten muss.«
Rhapsody blickte sich über die Schulter um, und ihre Augen flammten wie ein Grasfeuer.
»Aber warum ich, Ashe? Warum muss Llauron ausgerechnet mich täuschen? Warum höre ich das von dir, wenn ich dazu verurteilt bin, die Erinnerung daran zu verlieren? Warum hast du mich nicht einfach um Hilfe gebeten? Ich habe die Wiedervereinigung der Cymrer unterstützt, bis Achmed und Grunthor mir gedroht haben, mich aus dem Berg zu werfen, wenn ich nicht damit aufhöre. Bei den Göttern, habe ich meine Freundschaft und meine Loyalität diesem Mann gegenüber nicht schon reichlich bewiesen?«
Ashe duckte sich fast unter ihrem Blick. »Natürlich hast du das. Aber es gibt zwei Gründe. Der erste ist, dass sie beide von dir erwarten werden, dass du als Herold fungierst, als Sängerin, als Benennerin. Sowohl Llauron als auch Lark wissen, dass du die Wahrheit sagst, wie du sie gesehen und erkannt hast. Wenn du nun glaubst, dass Llauron tot ist, dann wird es der Rest der Welt ebenfalls glauben. Man wird die Nachricht nicht anzweifeln, wenn sie aus deinem Mund kommt. Darauf zählen Lark und auch Llauron Lark, um ihr Recht als neue Herrin der Filiden zu untermauern, und Llauron, um seine Charade glaubhaft erscheinen zu lassen. Wenn du nicht so ehrlich wärst, hätte er es dir vielleicht erzählt, in der Hoffnung, dass du trotzdem bei seinem Plan mitmachen würdest. Aber ich fürchte, dein Ruf eilt dir voraus, mein Schatz.«
Bissige Erwiderungen lagen Rhapsody auf der Zunge, denn sie musste daran denken, wie sie vor langer Zeit die gleichen Worte aus Michaels Mund gehört hatte. Aber sie verbiss sich ihre Kommentare, sah weg und bemühte sich, ihre Wut vor Ashe zu verbergen. »Und was ist der zweite Grund?«
Ashe schluckte. »Aria, wenn du mich liebst, dann frage mich bitte nicht danach. Glaube mir einfach, dass du nichts damit zu tun haben wolltest, wenn du es wüsstest.« Er fuhr sich mit den Fingern durch sein metallisch glänzendes Haar, das jetzt nass war von Schweiß. Langsam stand Rhapsody auf, verschränkte die Arme und wandte sich um. »Nun gut, Ashe, da ich dich wirklich liebe, werde ich dich nicht fragen. Aber ich glaube, du wirst es mir trotzdem sagen. Angesichts dessen, was wir einander versprochen haben, kann ich mir nicht vorstellen, dass du mir dergleichen vorenthältst, zumal du doch weißt, dass es mich in beiden Fällen verletzten wird. Dann kannst du es mir auch sagen.«
Endlich begegneten sich ihre Blicke, und hinter ihrer Wut spürte er Mitgefühl; sie verstand, wie schwierig die Situation für ihn war. Und sie vertraute ihm, obwohl es genügend Gründe gab, es nicht zu tun. Er schloss die Augen.
»Bevor der Kampf beginnt, wird Llauron dich bitten, falls er stirbt...« Seine Stimme versagte.
»Mach weiter«, drängte sie ungeduldig. »Was soll ich für ihn tun?«
»Du wirst ihm versprechen, seinen Scheiterhaufen anzuzünden, wenn du ihn für tot hältst, und zwar, indem du mit der Tagessternfanfare das Feuer von den Sternen herabrufst. Die Flammen werden seinen Körper verzehren, und das ist der wichtige erste Schritt auf seinem Weg zur elementaren Unsterblichkeit. Ohne das kommt er nicht weiter. Llauron braucht die beiden Elemente Feuer und Äther, um ein vollständiger Drache zu werden. Er weiß, dass du ihn nicht im Stich lassen wirst, wenn du ihm dein Wort gegeben hast.«
Als er keine Antwort hörte, öffnete er die Augen wieder. Rhapsody starrte ihn an und zitterte heftig.
»Aber er wird nicht wirklich tot sein!«
»Nein.«
»Ich werde ihn bei lebendigem Leibe verbrennen. Ich werde ihn töten.«
»Aria ...«
Doch Rhapsody rannte aus der Laube, und wenige Sekunden später hörte Ashe ein Würgen im Gebüsch, gefolgt von einem herzzerreißenden Schluchzen. Vor Wut schlug Ashe mit der Faust gegen eine der Säulen, doch er bemühte sich, Herr über seinen Zorn und den sich aufbäumenden Drachen zu werden, denn er wusste, dass er für sie Ruhe bewahren musste und dass das wichtiger war als die Erleichterung, die er sich verschaffte, indem er seinen Gefühlen freien Lauf ließ. Rastlos wanderte er in der Laube auf und ab, wartete, dass sie endlich zurückkam, spürte ihre Angst, hörte ihr Weinen, widerstand aber dem Drang, sie zu trösten, denn das hätte alles nur schlimmer gemacht.
Endlich verstummte das Schluchzen, und einen Augenblick später näherte sich Rhapsody wieder der Laube. Ihr Gesicht war rot, aber ruhig, ihr Kleid zerknautscht, aber wieder einigermaßen in Ordnung. Sie stellte sich seinem Blick, ohne Vorwurf, ohne Mitgefühl; er konnte nicht beurteilen, ob sie überhaupt etwas fühlte.
»Darauf hat Manwyn also angespielt«, sagte sie. »Das war die Information, die dich so aufgeregt und dazu bewogen hat, mir die Erinnerung zu nehmen. Du hattest Angst, dass ich, weil ich ihre Worte nur zur Hälfte verstanden habe, vielleicht aus Versehen etwas ausplaudern und den Plan zu früh oder an die falschen Leute verraten könnte. Das willst du nun aus meinem Gedächtnis löschen die List, die ihr plant, und das, was Manwyn darüber gesagt hat.«
Es hatte keinen Sinn, es zu leugnen. »Ja.«
»Und die Erinnerung an deinen Antrag? Warum darf ich nicht daran denken, dass du mich heiraten möchtest und dass ich zugestimmt habe?«
»Weil du dich ganz in der Nähe eines der wichtigsten Sklaven des F’dor aufhalten wirst. Im Augenblick brauchen sie dich, um Lark zu legitimieren. Aber wenn sie auf die Idee kämen, sie könnten durch dich an mich herankommen, wäre ihnen das wahrscheinlich noch wichtiger. Sollten sie von deinem Versprechen erfahren und herausfinden, dass wir uns verlobt haben, dann würdest du in weit größerer Gefahr schweben.« Sie nickte. »Kannst du mir verzeihen?«
Rhapsodys Gesicht blieb ausdruckslos. »Ich bin nicht sicher, ob es etwas gibt, was ich dir verzeihen müsste, Ashe.«
»Ich könnte mich weigern. Ich könnte den Plan verhindern.«
»Wie denn? Indem du dich um meinetwillen deinem Vater gegenüber unloyal verhältst? Nein danke. Das möchte ich nicht auf mich laden. Es ist Llaurons Plan, Ashe du bist dabei genauso eine Marionette wie ich.«
»Allerdings eine, die Bescheid weiß. Das ist der Unterschied. Also, Rhapsody, wie entscheidest du dich? Willst du dein Einverständnis zurückziehen und die Erinnerung lieber behalten? Falls es so ist, hast du meine volle Unterstützung.«
»Nein«, antwortete sie kurz. »Das würde bedeuten, dass ich mein Wort zurücknehme, auch wenn du mir das Recht dazu gibst. Und außerdem was würdest du dann tun? Es ist zu spät, Ashe, viel zu spät. Wir können nur unsere Rollen spielen und versprechen, dass wir, wenn alles vorbei ist, unser Leben ehrlich leben, ohne diese Art von Täuschung und Betrug.«
Er trat zu ihr und nahm ihr Gesicht in beide Hände. »Immer wieder führst du mir vor Augen, warum ich nie daran zweifeln werde, dass ich dich liebe.«
Doch Rhapsody entzog sich ihm und wandte ihm den Rücken zu. »Über Zweifel möchte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt lieber nicht reden, Ashe. Eigentlich möchte ich sogar gleich noch einen Zweifel ausräumen.«
Seine Kehle war wie zugeschnürt. »Und zwar?«
Sie lehnte sich ans Geländer und starrte über den See. »Man könnte sich fragen, ob du mir, wenn Manwyn sich nicht verplappert hätte, von selbst diese Information gegeben hättest oder ob du es hättest geschehen lassen, ohne mich darüber in Kenntnis zu setzen, da du ja wusstest, dass es ohnehin passieren würde. Weil du es nicht hättest ändern können. Antworte mir nicht, Ashe. Da ich, wie Achmed sagt, die Königin der Selbsttäuschung bin, möchte ich glauben, dass du es mir gesagt hättest. Und wenn ich mich irre, will ich es nicht wissen.«
Ashe legte das Kinn auf ihre Schulter und schlang die Arme um ihre Taille. »Eines Tages trägt dieser wunderschöne Kopf vielleicht viele Kronen, Rhapsody, aber auf alle Fälle bist du jetzt schon die Königin meines Herzens. Das großzügige, offenherzige Vertrauen, mit dem du der Welt entgegentrittst, ist keineswegs Selbsttäuschung. Du hast dich entschieden, Achmed zu vertrauen, und obwohl er ein abstoßendes Scheusal ist, ist er dir doch gleichzeitig ein großartiger Freund. Und du hast beschlossen, mir zu vertrauen; ohne dein Vertrauen wäre ich vermutlich tot und für alle Ewigkeit in den Klauen des Dämons. Dein Herz ist weiser, als du glaubst.«
»Kann ich dann davon ausgehen, dass du mir meine letzte unangenehme, aber leider unumgängliche Frage verzeihen wirst, auf die mein Herz eine Antwort braucht?«
»Natürlich.« Er lächelte, aber in seinen Augen war ein nervöses Funkeln.
»Bist du absolut sicher, dass Llauron nicht selbst der Wirt des F’dor ist?«
Ashe vergrub die Lippen in ihrem goldenen Haar und seufzte. »Wenn es um den F’dor geht, kann man niemals vollkommen sicher sein, Aria. Aber ich kann es nicht glauben. Llauron ist sehr mächtig, und der F’dor kann nur einen schwächeren Wirt in Besitz nehmen. Außerdem hasst Llauron den F’dor mit jeder Faser seines Wesens und verfolgt ihn schon seit langer Zeit. Er wird alles tun, was nötig ist alles, um ihn zu finden und zu zerstören, selbst wenn er dich damit in Gefahr bringt. Vielleicht glaubst du das nicht, aber Llauron hat dich sehr gern.« Er lachte leise, und sie verdrehte die Augen. »Dennoch spielt das keine Rolle, wie ich leider sagen muss. Mich hat er auch sehr gern, doch das hat ihn nie davor zurückgehalten, mich nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.
Im Lauf der Zeit ist mir klar geworden, dass deine Freundschaft mit Achmed und Grunthor wahrscheinlich das Einzige war, was dich davor bewahrt hat, dass Llauron dich schon vor langer Zeit zur Vollstreckerin seiner Pläne auserkor. Als du ihm zum ersten Mal begegnetest, waren Achmed und Grunthor bei dir, aber dann trennten sie sich eine Weile von dir, und er spürte, dass du frei warst. Damals fing er an, dich in der Lehre der Filiden zu unterweisen. Aber dann kamen die beiden zurück und haben dich wieder mitgenommen. Das hat er nie wirklich überwunden, obwohl er gute Miene zum bösen Spiel macht. Ich denke, du kannst dich darauf verlassen, dass er nichts tun wird, was dir schaden könnte, aber er wird dich auf jede erdenkliche Weise für seine Zwecke einzusetzen versuchen.«
Rhapsody seufzte. »Ist das alles? Oder gibt es sonst noch etwas?«
»Ist das nicht genug?«
»Mehr als genug«, erwiderte sie, wandte sich in seinen Armen um und brachte ein schwaches Lächeln zustande. »Ich wollte nur sicher sein.«
Ashe küsste sie sanft. »Du hast gesagt, du hättest noch eine Bitte. Worum geht es? Was es auch sein mag, es sei dir gewährt. Du brauchst es nur zu nennen.«
Rhapsody zuckte zusammen. »Nach all dem, worüber wir gesprochen haben, kommt es mir albern vor.«
»Unsinn. Sag mir, was ich für dich tun kann. Bitte, Aria. Trage mir etwas auf, irgendetwas, womit ich diese ganzen Täuschungsmanöver ausgleichen kann. Um was wolltest du mich bitten?«
Rhapsody machte ein verlegenes Gesicht. »Ich wollte wissen, ob ob du mich ob ich das hier behalten darf.« Sie berührte seine Brust und zeigte auf das weiße Leinenhemd, das er unter seinem Umhang trug.
»Das Hemd?«
»Ja.«
Ashe ließ sie los und legte seinen Umhang ab. »Selbstverständlich. Es gehört dir.«
»Nein, warte«, rief Rhapsody lachend. »Jetzt brauche ich es noch nicht. Mir ist nicht kalt, aber du wirst frieren, wenn du es ausziehst. Ich möchte es nur bei mir haben, wenn du morgen weggehst falls du so nett bist, es mir zu überlassen.« Sie nahm seine Hand und führte ihn die Treppe hinunter, zurück ins Haus.
Im Gehen legte Ashe den Arm um sie. »Einer der großen Vorteile daran, dein Liebhaber dein Verlobter zu sein, besteht darin, dass ich nie friere«, meinte er und lächelte. »Dafür sorgst du wirklich sehr zuverlässig, Feuerfrau.«
»Nun, das würde nicht stimmen, wenn du keine anderen Hemden hättest«, entgegnete Rhapsody. »Aber da ich dir ein paar genäht habe, die du mitnehmen kannst, denke ich, du bist ganz gut ausgerüstet.«
Ashe hielt ihr die Tür auf und sah, wie die Kohlen im Kamin auflebten, um sie zu begrüßen. Er folgte ihr ins Wohnzimmer.
»Wenn du mir neue Hemden nähst, wieso möchtest du dann dieses alte hier behalten? Es ist schon ziemlich verschlissen an den Manschetten die hatte ich nämlich unter der Jacke versteckt.«
Rhapsody lächelte ihn an. »Es trägt deinen Duft. Ich wollte dich darum bitten, als ich noch dachte, du würdest weggehen, um einer anderen Frau einen Antrag zu machen. Ist das nicht gemein?« Vor lauter Verlegenheit traten ihr Tränen in die Augen.
»0 ja, das ist wirklich grässlich!«, lachte Ashe, kopfschüttelnd und erstaunt, wie sie ihn wieder einmal überraschte.
»Es ist eine sehr egoistische Bitte, ich weiß.«
Ashe strich ihr übers Haar. »Hast du in deinem ganzen Leben je etwas Egoistisches getan, Rhapsody?«
»Aber selbstverständlich, die ganze Zeit. Das weißt du doch.«
»Mir fällt aber nichts ein«, entgegnete Ashe. »Kannst du mir vielleicht ein Beispiel nennen?«
Ihr Gesicht wurde ernst. »Mach dich bitte nicht über mich lustig, Ashe.«
Er nahm ihre Hände. »Das tue ich nicht, wirklich, Rhapsody. Aber ich bezweifle ganz ernsthaft, dass du mir etwas nennen könntest.«
Nachdenklich blickte Rhapsody ins Feuer, und plötzlich liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Als sie sich wieder zu ihm umwandte, waren ihre Augen erfüllt von einer Traurigkeit, die er lange nicht mehr in ihnen gesehen hatte.
»Ich bin von zu Hause weggelaufen«, sagte sie leise und verschränkte die Arme vor dem Bauch, wie sie es tat, wenn ihr übel wurde. »Ich habe mich von den Menschen, die mich geliebt haben, abgewandt, um einem Jungen zu folgen, der mich nicht liebte. Weil ich so egoistisch gehandelt habe, bin ich heute am Leben, Ashe; ich lebe, und sie haben bis ans Ende ihrer Tage um mich getrauert. Ich habe das Leben im Kreis meiner Familie für eine Nacht mit bedeutungslosem Sex und eine wertlose Kupfermünze eingetauscht.« Sie hielt inne, als sie sah, wie sein Gesicht sich versteinerte und weiß wurde. »Was ist los?«
»Wie war sein Name?«, fragte er und sah aus, als bräche die Welt um ihn herum zusammen.
»Wessen Name?«
»Der Name dieses Jungen«, antwortete er, mit immer lauterer, dringlicherer Stimme. »Wie war sein Name?«
Beschämt antwortete sie: »Ich weiß es nicht. Er hat gelogen.«
»Wie hast du ihn dann genannt? Sag es mir, Aria.«
Allmählich wurde Rhapsody panisch; seine heftige Reaktion machte ihr Angst, und sie spürte die elektrische Spannung, welche immer die Rückkehr des Drachen ankündigte. Die Luft in der Grotte war seltsam still geworden wie die Ruhe vor dem Sturm oder die extreme Ebbe vor einer Flutwelle.
»Sag es mir«, befahl er mit einer Stimme, die sie nie bei ihm gehört hatte. Sie klang entsetzt und tief erfüllt von einer fremden Kraft. Sie wich zurück, aber er packte ihre Schultern so heftig, dass es ihr wehtat.
»Sam«, flüsterte sie. »Ich habe ihn Sam genannt.«
Seine Finger gruben sich in ihren Oberarm, und er stieß ein Gebrüll aus, dass die Hütte erzitterte. Sein Gesicht lief rot an, und voller Entsetzen sah sie, dass er immer größer zu werden schien, während sich vor Zorn seine Muskeln dehnten und streckten.
»Gottloses Miststück!« schrie er; Gegenstände fielen von den Konsolen, der Tisch bebte. Die Sehnen in seinem Hals schwollen an, die Luft war aufgeladen, und eine kochende Wut hielt ihn fest im Griff. Die Pupillen in seinen Augen zogen sich zu kaum sichtbaren Schlitzen zusammen. »Hure! Elende, verfluchte Hure!«
Er griff sich an den Kopf und raufte sich die Haare. Als er sie losließ, wich Rhapsody langsam vor ihm zurück, mit bekümmertem, furchtsamem Gesicht. Jetzt ist es endlich passiert, dachte sie traurig. Ich habe mich geirrt. Er ist der F’dor, und nun wird er mich töten. Kurz spielte sie mit dem Gedanken zu fliehen, entschied sich aber dagegen. Entweder musste sie sich ihm stellen und kämpfen oder kapitulieren und die Sache ein für allemal zu Ende bringen. Wie auch immer, weglaufen würde sie nicht. Es hatte sowieso keinen Sinn. Ashe wütete weiter in maßlosem, ungebändigtem Zorn und fluchte dabei so entsetzlich, wie Rhapsody es noch nie von ihm gehört hatte. »Sie hat es gewusst«, stieß er hervor und schlug um sich, während der Donner über das Firmament rollte, welches die Kuppel von Elysian an Ort und Stelle hielt. »Sie hat es gewusst und mich belogen.«
»Was gewusst? Was habe ich gewusst?«, keuchte Rhapsody, die sich kaum aufrecht halten konnte, weil der Boden unter ihr bebte. »Es tut mir Leid, aber ich weiß nicht, was ich getan haben soll.«
Seine Augen, zu Schlitzen verengt, glühten blau wie der heißeste Teil einer Flamme. »›Sie ist nicht angekommen, sie ist nicht gelandet, hat sie gesagt«, wetterte er, und dann senkte er die Stimme zu einem mörderischen Flüstern. »Aber sie wusste Bescheid. Sie wusste, dass du gegangen warst, du warst nur noch nicht eingetroffen. Und doch wusste sie, dass du kommen würdest. Und sie hat es mir nicht gesagt.«
»Sie? Wer? Wer wusste es?«
»ANWYN!«, kreischte der Drache. Seine mehrtönige Stimme brachte die Wände abermals zum Erzittern.
Rhapsody warf einen Blick zur Tür. Achmed! Sie musste zur Laube laufen und Achmed rufen! Ashe ohne das Bann-Ritual zu töten wäre sinnlos.
Die Instrumente in dem Schrank aus Kirschbaumholz schepperten und rappelten; Ashe holte mit den Armen weit aus, und die Bücher stürzten aus den Regalen und fielen polternd zu Boden.
Rhapsody zog sich immer weiter in Richtung Tür zurück. Die Tränen liefen ihr ungehindert übers Gesicht, und sie wusste, dass sie die Tagessternfanfare nicht rechtzeitig erreichen konnte. Sie wünschte sich den Tod herbei und hoffte, dass das Böse, das er verkörperte, sich nicht an ihre Seele binden würde, wenn er ihr das Lebenslicht ausblies. Von der Ruhe, die sich für gewöhnlich auf sie herabsenkte, wenn sie einer Gefahr gegenübertrat, war nichts zu spüren.
Dann hielt Ashe plötzlich, wie vom Donner gerührt, inne und blickte zu ihr hinüber. Sein Gesicht fiel in sich zusammen, als er sie anschaute, mit ihren vor Angst aufgerissenen Augen, die den Tod kommen sahen und ihn annahmen. Ein Ausdruck des Entsetzens breitete sich auf seinem Gesicht aus, und die Drachennatur zog sich blitzschnell zurück. Er bemühte sich zu sprechen, und tatsächlich war seine Stimme sanft, zitterte jedoch noch immer.
»Rhapsody.« Einen Moment konnte er nichts weiter sagen. »Rhapsody, es tut mir Leid bitte vergib mir, ich ...« Er streckte die Hände nach ihr aus und trat einen Schritt auf sie zu. Doch sie machte eine abwehrende Handbewegung. »Nein, bleib«, sagte sie und trat ihrerseits einen Schritt zurück. »Bleib, wo du bist.«
Ashe tat es, und sein Gesicht wurde abgrundtief traurig. Dann fasste er in sein Hemd, zog einen winzigen Samtbeutel heraus und warf ihn vor ihr auf den Boden. »Aria, mach das auf, bitte.«
»Nein, rühr dich nicht vom Fleck«, sagte sie und wich einen weiteren Schritt zurück. Wieder sah sie sich um und bewegte sich langsam zum Schwertständer.
»Bitte, Rhapsody, bitte, mach ihn auf, in Gottes Namen!«, flehte er. Nun, da der Wutanfall abebbte, war er ganz bleich geworden.
»Nein«, wiederholte sie, diesmal lauter. »Bleib weg von mir. Wenn du dich bewegst, bringe ich dich um. Du weißt, dass ich nicht lüge. Also hilf mir, Ashe, stell meinen Entschluss nicht auf die Probe. Rühr dich nicht.«
Tränen rannen aus den Kristallaugen. »Rhapsody, wenn du mich jemals geliebt hast, bitte ...«
»Hör auf«, sagte sie, und nun war ihre Stimme nur noch ein böses Wispern. »Wage es nicht, dieses Wort auszusprechen. Ich weiß nicht, wer du bist. Ich weiß nicht, was du bist.«
»Öffne den Beutel. Dann wirst du es erfahren.«
Rhapsody straffte die Schultern und sah ihm in die Augen. Die Worte, die ihre Lippen formten, waren die gleichen wie an dem Tag, als sie den Tar’afel überquert hatten.
»Habe ich mich etwa nicht deutlich genug ausgedrückt?« Inzwischen war sie langsam bis zum Schwertständer vorgerückt und griff nach der Tagessternfanfare. Ashe rührte sich nicht, aber mit ruhigerer Stimme sagte er noch einmal: »Emily, bitte. Sieh in den Beutel.«
Rhapsody erstarrte. »Wie hast du mich eben genannt?«, fragte sie mit halb erstickter Stimme.
»Bitte, Emily. Du wirst es verstehen, wenn du in den Beutel schaust.« Er trat einen Schritt zurück, in dem Versuch, ihre Angst zu beschwichtigen.
Voller Schrecken starrte Rhapsody ihn an. Doch dann ging sie langsam, als gehorchte sie einem unhörbaren Befehl, auf den Beutel zu, der in der Mitte des Wohnzimmers lag, und bückte sich nach ihm. Mit zitternden Händen löste sie die dünne Schnur und ließ den Inhalt auf ihre Handfläche rollen. Hervor kam ein kleines Herz aus Silber, mit einer eingravierten Rose; das Lied, das den Gegenstand umgab, stammte aus einem längst untergegangenen Land, das in Rhapsodys Blut jedoch weiterlebte. Ihre Augen wanderten wieder zu Ashe zurück, dessen Gesicht sich entspannte und einen Ausdruck annahm, den sie noch nie bei ihm gesehen hatte.
»Das ist mein Knopf«, flüsterte sie. »Wo hast du ihn gefunden?«
Er lächelte sie vorsichtig an, wenn er wollte sie nicht erschrecken mit der Freude, die sich in ihm ausbreitete. »Du hast ihn mir gegeben«, antwortete er.
Sie ließ ihn nicht aus den Augen, während ihre Hand an ihren Hals wanderte. Ohne hinzusehen, holte sie das goldene Medaillon hervor und öffnete es. Als der Verschluss aufging, fiel eine winzige Kupfermünze heraus, mit dreizehn Kanten, seltsam geformt und poliert von jahrelangen liebevollen Berührungen.
Wieder füllten sich Ashes Augen mit Tränen. »Emily«, sagte er leise und streckte ihr abermals die Hände entgegen.
Die Welt drehte sich vor ihren Augen in einem wirbelnden Tanz von Farben und Formen, und Rhapsody sank in eine tiefe Ohnmacht.