Gras und Heidekraut beugten sich unterwürfig vor dem Wind, der über die Steppe fegte und in den Schluchten der Zahnfelsen ächzte. Er drückte das Gebüsch zu Boden, das an der kargen Klippe wuchs und verzweifelt versuchte, das zerklüftete Land mit Leben zu erfüllen. Die Sonne des Spätnachmittags färbte die Felsspitzen von Ylorc blutrot und warf die Schatten der Berge über Täler und Moränen.
Doch Jo hatte keine Augen für den verängstigten Tanz der Natur, sie war immun gegen das Rütteln des Windes, während sie sich stolpernd und kriechend einen Weg zur Ebene auf der Spitze der Welt bahnte. Als sie den höchsten Punkt der Klamm erreichte, hielt sie inne, um Luft zu holen, und ließ ihr schweißnasses Gesicht einen Augenblick auf ihren abgeschürften Händen ruhen, mit denen sie sich an die rauen Felsen klammerte. Dann hievte sie sich über den Rand und stolperte vorwärts, bis sie an die erste Stelle gelangte, an der sich der morastige Boden einigermaßen fest anfühlte. Keuchend stemmte sie die Hände in die Hüften und drehte sich im Kreis, schaute über das öde Land hinter ihr und den Rand des Moors, das ins tiefere, versteckte Reich der Firbolg führte.
Allmählich wurde es dunkel; am östlichen Horizont sah sie einen Stern aufgehen und hinter einem Wolkenschleier wieder verschwinden, den der Wind über den schwärzer werdenden Himmel trieb. Mit der hereinbrechenden Nacht wurde der Wind eisig, seltsam für einen Spätsommertag, aber in den Zahnfelsen nicht ungewöhnlich. Die Berge ragten über und unter ihr auf und umschlossen ihre Welt mit einer trostlosen Umarmung. Jo wandte sich der untergehenden Sonne zu und wünschte sich, sie würde sich beeilen. In der Dunkelheit würde nur der Himmel und das flache Land sichtbar sein;
Felsspitzen und Risse würden verschwinden wie ein vergessener Albtraum. Wenn sie hier lange genug verharrte, konnte sie vielleicht mit ihnen verschwinden. »Warum bist du denn hier draußen?« Jo wirbelte herum und sah im Zwielicht eine verhüllte Gestalt auf sich zukommen. Der Wind spielte mit Mantel und Kapuze und gab für kurze Zeit den Blick auf das vertraute kupferrote Haar und die meerblauen Augen frei, in denen unverkennbar Mitleid und Sorge zu lesen waren.
Ein kehliger Laut enttäuschter Wut drang aus Jos Kehle. »Bei allen Göttern, nicht ausgerechnet du! Verdammt! Verschwinde, Ashe! Lass mich in Ruhe!«
Er musste rennen, um sie einzuholen, aber er packte sie am Arm, als sie blindlings in Richtung Klippe fliehen wollte. »Warte! Bitte warte. Wenn ich dich durcheinander gebracht habe, tut mir das sehr Leid. Bitte lauf nicht weg. Sprich mit mir. Bitte.«
Jo riss sich los und starrte ihn wütend an. »Kannst du mich denn nicht einfach in Ruhe lassen? Ich möchte nicht mit dir sprechen. Geh weg!«
Selbst unter der Kapuze konnte sie den verletzten Ausdruck auf seinem Gesicht erkennen. Er trat einen Schritt zurück und ließ die Arme sinken, eine Haltung, die sie unmöglich als Bedrohung auslegen konnte. »In Ordnung. Tut mir Leid. Ich gehe, wenn du es willst. Aber um Himmels willen, renn nicht wieder zum Abgrund. Ich wollte dir helfen und nicht auch noch daran schuld sein, dass du dich in den Tod stürzt.«
In finsterem Schweigen wartete Jo, dass er endlich ging, aber er blieb stehen und beobachtete sie.
»Nun, was ist? Verzieh dich.«
Der Sturm heulte über die Heide. Jo musste sich anstrengen, um aufrecht stehen zu bleiben. Ashes Antwort ging fast im Wind unter.
»Es tut mir Leid. Ich kann dich nicht allein hier draußen lassen. Das ist zu gefährlich.«
Wieder starrte sie ihn wütend an. »Ich brauche deine Hilfe nicht. Ich kann mich ganz gut um mich selbst kümmern.«
»Das weiß ich. Aber du brauchst es nicht. Freunde passen aufeinander auf, oder nicht? Wir sind doch immer noch Freunde, oder nicht?«
Jo wandte sich wieder der untergehenden Sonne zu. Sie kletterte gerade über den äußersten Rand der Zahnfelsen und warf ihre letzten Strahlen mit einem kurzen Aufleuchten über das Land, ehe sie unterging. Jo kam es vor wie das Ende der Welt.
»Wenn du mein Freund wärst, Ashe, dann würdest du mich jetzt in Ruhe lassen und nicht versuchen, mich an einen Ort zurückzuholen, an dem ich nicht sein will.«
Er ging um sie herum, bis er ihr direkt gegenüberstand. »Ich würde dich niemals zu etwas zwingen, und ich habe auch nicht gesagt, dass du irgendwo hingehen sollst.« Er sah, wie ihr Ärger ein paar Grade abkühlte, während sie ihn fragend anblickte. »Ich möchte nur nicht, dass du allein bist. Ich bleibe hier bei dir. Solange du mich brauchst. Wenn nötig, die ganze Nacht.«
Jo fühlte ihren Zorn abflauen, und die alte Sehnsucht kehrte zurück. Sie bemühte sich, sie zu verdrängen, aber sie konnte nicht verhindern, dass sich ihre Gefühle auf ihrem Gesicht widerspiegelten. »Was ist mit Rhapsody?«
»Was soll mit ihr sein?«
»Nun, wird sie sich nicht wundern, wo du bleibst?«
»Warum sollte sie?«
»Oh, ich weiß nicht, das ist bei Liebespaaren doch sonst immer so. Sie wollen ständig zusammen sein.«
Unter der Kapuze konnte sie ihn lächeln sehen. »Mach dir keine Sorgen wegen Rhapsody. Sie kommt schon zurecht. Außerdem würde sie wollen, dass ich hier bei dir bin.«
Rhapsody ging zu dem großen Tisch zurück, an dem ihre Kameraden saßen, und nahm sich einen Stuhl.
»Ich dachte, wir hätten vereinbart, dass du deine Haustiere daheim lässt, wenn du uns besuchst«, sagte Achmed, der noch immer nicht von seiner Lektüre aufgeblickt hatte. Rhapsody ignorierte den Seitenhieb. »Weißt du denn schon, warum ich hier bin? Können wir die Förmlichkeiten lassen und direkt zur Antwort übergehen?«
Ein amüsierter Ausdruck zog über das Gesicht des Firbolg-König s, und er starrte zur Decke hinauf. »Überlegen wir mal warum bist du hier? Wegen des hervorragenden Weins, der guten Bedienung, der Umgebung ...«
»In Ordnung«, unterbrach Rhapsody ihn seufzend. »Da du uns die Sache anscheinend schwer machen willst, fangen wir noch mal von vorn an. Wie du verdammt genau weißt, bin ich gekommen, um euch zu helfen, den Rakshas zu töten.«
Jetzt legte Achmed das Pergament beiseite. »Wie du verdammt genau weißt, könnte er soeben diesen Raum verlassen haben.«
»Nein«, antwortete Rhapsody. »Er ist ein eigenständiges Wesen, er sieht nur aus wie Ashe. Bitte Achmed, quäl mich nicht.«
Grunthors Gesicht hellte sich auf. »Da haben wir’s, ich wusste ja, dass sie mich am liebsten mag. Oh, darf ich es probieren, ja, Herr? Bitte! In einer Minute bin ich mit den Daumenschrauben wieder da.«
Wütend starrte Rhapsody ihn an. »Sei still, mit dir spreche ich noch nicht wieder.« Der scherzhafte Ausdruck auf dem Gesicht des Ungeheuers wandelte sich in Verlegenheit.
»Schon komisch«, meinte Achmed mit einem sarkastischen Lächeln. »Gerade darum geht es doch bei der Folter sie soll den Betreffenden zum Reden bringen. Wenn du nicht redest, dann muss ich daraus schließen, dass wir dich nicht wirklich quälen.«
»0 nein, das macht ihr ganz hervorragend. Bitte, wollt ihr mir helfen? Ich möchte nicht, dass Ashe den Rakshas jagt. Wenn der Rakshas ihn findet, wird der F’dor versuchen, ihm den Rest seiner Seele zu stehlen. Uns aber hat der Dämon nicht in der Hand; wir können den Rakshas wahrscheinlich ohne viel Mühe töten, wenn wir zusammenarbeiten. Seit wir im Haus der Erinnerungen waren, steht das sowieso auf unserer Liste. Jetzt möchte ich es nur zu einer Priorität machen. Bitte. Helft mir, den Rakshas zu töten.«
Achmed lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und seufzte. »Na gut, verschaffen wir uns einen Überblick. Weißt du mit Sicherheit, wo er ist, wer er ist und was er ist?«
»Wo er ist, nein. Aber ich habe getrocknetes Blut mitgebracht, von den Wunden, die er bei unserem Kampf erlitten hat. Der Rakshas ist aus dem Blut des F’dor geschaffen, und er stammt aus der alten Welt. Ich dachte, du könntest das Blut dazu nehmen, um ihm auf die Spur zu kommen.« Achmed antwortete nicht. »Wer er ist, das wisst ihr bereits. Was du wirklich meinst, ist, wer er nicht ist er ist nicht Ashe, da bin ich sicher.«
»Wie kannste dir da so sicher sein?«, fragte Grunthor.
»Möchtest du eine Liste von Gründen, oder reicht dir mein Wort?«
Achmed und Grunthor tauschten einen kurzen Blick. »Lieber die Liste.«
»Nun, dann sehen wir mal ... Ashe hat Drachenaugen. Sie sind ganz anders als die des Rakshas seine Pupillen sind vertikal geschlitzt, die des Rakshas rund, genau wie die unseren.«
»Warum sollte das so sein? Ich dachte, sie müssen identisch sein.«
Rhapsody bemühte sich, trotz Achmeds spöttischem Ton die Ruhe zu bewahren. »Das Stück von Ashes Seele wurde herausgerissen, als der Drache in seinem Blut noch schlief. Sobald der Fürst und die Fürstin Rowan den Sternensplitter in seine Brust legten, brachte diese reine, ungezähmte Elementarkraft die Drachennatur ans Licht und machte sie dominanter. Ich vermute, dass Ashes Augen, bevor er verwundet wurde, normal waren, genau wie die von Llauron.«
»Hat er dir das erzählt?«
»Nein«, gab Rhapsody zu. »Wir sprechen nicht über die Vergangenheit.«
»Nein? Sprecht ihr dann über die Zukunft?« »Eigentlich auch nicht. Das ist ein schmerzhaftes Thema, denn wir haben keine gemeinsame Zukunft.« »Nun, das ist aber ausnahmsweise eine gute Nachricht.« »Find ich nich«, warf Grunthor fröhlich ein. »Wenn sie nich viel miteinander reden, was meinste wohl, was sie dann so alles treiben?« Rhapsodys Gesicht wurde finster, und Grunthor beeilte sich, die bevorstehende Attacke abzuwehren. »Ist das schon die ganze Liste? Was unterscheidet die beiden denn sonst noch?«
»Nun, als ich mit dem Rakshas kämpfte, habe ich ihm einen Daumen abgeschnitten. Ashe hat noch beide Daumen ...«
»Er hat sowieso zwei linke Hände. Wahrscheinlich hatte er einen Daumen in Reserve. Das beweist gar nichts.«
Jetzt reichte es Rhapsody. »Seht mal, das ist wirklich dumm von euch. Wenn ihr mir nicht helfen wollt, dann tu ich es eben allein.« Damit schob sie den schweren Stuhl zurück und machte Anstalten aufzustehen.
»Da müsste ich Einspruch einlegen, Hoheit«, sagte Grunthor sanft. »Bei allem Respekt, aber ich denke, wenn du allein bist, riskierst du deinen bezaubernden kleinen Arsch.«
»Das lass nur meine Sorge sein.« Sie ging um den Stuhl herum und schob ihn unter den Tisch.
»Zeig mir sein Blut.«
Einen Moment sah Rhapsody Achmed schweigend an und versuchte, seine Absicht zu erraten. Schließlich aber griff sie in ihren Tornister und zog die Kleider hervor, die sie in Sepulvarta getragen hatte, als sie in der Basilika vom Rakshas angegriffen worden war. Sie waren mit Blut getränkt, einige Stellen auch verbrannt.
Beeindruckt beugte Grunthor sich vor. »Ist das Blut alles von ihm?« Rhapsody nickte. »Na, dann muss ich wohl zugeben, dass ich mich geirrt habe. Anscheinend hast du bei den Schwertübungen doch aufgepasst, Schätzchen.«
Achmed drehte die Kleidungsstücke in den Händen und konzentrierte sich auf die Flecken. Rhapsody fühlte eine seltsame Schwingung von ihm ausgehen, eine, an die sie sich überhaupt nicht erinnern konnte. Irgendwie kratzig, nicht unähnlich dem Zirpen einer Grille in der Nacht. Schließlich blickte er wieder auf.
»Hast du auch etwas von Ashes Blut?«
»Nein.«
»Ich könnt welches besorgen«, schlug Grunthor eifrig vor.
»Nein. Das ist Nummer zwei, Grunthor. Noch einmal, und du wirst aus dem Testament gestrichen.«
Eine Weile blickte Achmed Rhapsody schweigend an. Schließlich sagte er: »Wenn ich dir helfe, den Rakshas zu töten, kann ich dann auf deine Hilfe für das zählen, was in der Kolonie in Angriff genommen werden muss?«
Sie betrachtete ihn ernst. »Davon kannst du auch ausgehen, wenn du mir nicht hilfst.«
»Womöglich musst du kämpfen.«
»Ich weiß.«
Der Firbolg-König nickte. »Dann machen wir Pläne für den ersten Tag des Winters.«
Ein Strahlen breitete sich über Rhapsodys Gesicht aus. »Dann tut ihr es? Ihr helft Ashe? Ihr helft mir, den Rakshas zu töten?«
»Ja. Nein. Und ja«, stellte Achmed trocken fest. »Ich habe dir schon gesagt, dass meine Hilfe allein dir gilt. Außerdem bin ich dazu bereit, weil es getan werden muss. Jetzt hol die Karte.«
Lange Zeit war das einzige Geräusch auf der Heide das erbarmungslose Heulen des Windes. Hartnäckig schweigend saß Jo da, warf gelegentlich einen Seitenblick auf ihren unwillkommenen Aufpasser, der sie geduldig aus höflicher Distanz beobachtete. Unbeholfenheit und Verlegenheit untergruben allmählich ihre Wut, und schließlich nahm sie allen Mut zusammen und sprach ihn an.
»Schau mal«, sagte sie und versuchte, erwachsen zu klingen, »warum gehst du nicht zu eurem Treffen zurück? Ich verspreche dir, dass ich in ein paar Minuten nachkomme.«
Beinahe hätte der Sturm seine Antwort übertönt. »Nein.«
Jo sprang auf. »Verdammt, Ashe, ich bin kein Kind mehr! Ich habe mein Leben lang allein für mich gesorgt; es ist wirklich nicht nötig, dass du die arme, dumme Jo vor der Dunkelheit beschützt. Womöglich kriegst du irgendwas Wichtiges von der Besprechung nicht mit. Hau einfach ab.«
Als sie sah, wie er aufstand und auf sie zukam, bekam sie weiche Knie. So sehr sie ihn hassen wollte, in diesem Augenblick spürte sie nur das wundervolle Ziehen im Bauch, das sie auch gespürt hatte, als sie ihm in Bethe Corbair das erste Mal begegnet war. Sie wollte weglaufen, konnte sich aber nicht vom Fleck rühren. Er blieb vor ihr stehen. Seine Stimme war ganz sanft, als er die Hand ausstreckte und ihr die vom Wind zerzausten Haarsträhnen aus der Stirn strich. »Was könnte wichtiger sein, als dafür zu sorgen, dass dir nichts passiert?«
»Wie wäre es, wenn du Achmed überzeugst, dass er Rhapsody helfen soll, den Rakshas zu töten?«
Jo konnte nicht sehen, wie er reagierte, aber seine Antwort klang ernst. »Achmed wird tun, was er für das Beste hält, ungeachtet dessen, was ich dazu sage. Außerdem bedeutet es mir mehr, bei dir zu sein.«
Ehe sie die Frage zurückhalten konnte, war sie schon aus ihrem Mund. »Warum?«
Er kam noch ein wenig näher, und seine Finger glitten von den Haarsträhnen über ihre Wange. So standen sie voreinander und sahen sich an; Jo glaubte, die blauen Augen in der dunklen Kapuze funkeln zu sehen, wie die Sterne am inzwischen nachtschwarzen Himmel. In seiner Stimme lag eine Wärme, die ihre Haut zum Prickeln brachte.
»Musst du mich das wirklich fragen, Jo?«
Der wirbelnde Wind umkreiste sie, das Blut wich aus Jos Kopf, und ihr wurde schwindlig. Der Abscheu, den sie gegen das Verlangen in ihrem Körper empfand, unterlag rasch dem Verlangen selbst, und sie senkte die Augen in der vergeblichen Hoffnung, ihre Gefühle verbergen zu können. Ihr Blut pochte an Stellen, an denen sie im Augenblick lieber nichts fühlen wollte.
»Dann lass uns eben zusammen zurückgehen«, sagte sie.
»Noch nicht, ich möchte lieber noch einen Augenblick hier bleiben«, entgegnete er, und seine Hand glitt von ihrer Wange zu ihrem Kinn. Langsam hob er mit der einen Hand ihr Gesicht an und ergriff mit der anderen seine Kapuze.
»Aber ich möchte reingehen«, wiederholte Jo, ihre Stimme nur noch ein panisches Flüstern.
»Ich auch«, erwiderte er und zog sich die Kapuze vom Kopf. Selbst in der Dunkelheit übten die Gesichtszüge, die ihr damals das Herz gestohlen hatten die wie Kupfer glänzenden Haare, die Augen so blau wie der Zenit immer noch die gleiche Wirkung auf sie aus. Und das Gesicht war noch viel schöner, als sie es sich in ihren hartnäckig wiederkehrenden Träumen vorgestellt hatte. Jo fühlte ihren Willen dahinschmelzen, und ihr Schoß begann in höchst unwillkommenem Verlangen zu brennen. Halb benommen, halb entsetzt sah sie zu, wie er den Überwurf seines Umhangs ablegte und auf den Boden warf. Das Kleidungsstück war mit scheckigem Pelz gefüttert, und er breitete es mit der Stiefelspitze über das Gras neben ihnen. Jo zitterte heftig. »Ashe, was tust du da?«
Nun gesellte sich seine zweite Hand zu der ersten, und er umfasste ihr Gesicht, während seine Augen, die in der Dunkelheit noch schöner waren, als sie sich erinnern konnte, über ihren Körper glitten. »Nichts, was du nicht auch wollen würdest«, antwortete er und lächelte auf sie herab, seine Stimme so warm wie ein knisterndes Feuer. »Ich habe dir doch gesagt, ich würde dich nie zu etwas zwingen, nicht wahr, Jo?«
»Ja«, flüsterte sie schwach.
»Und das habe ich auch so gemeint. Ich würde dich niemals in irgendeiner Weise in Gefahr bringen.« Sanft glitten seine Lippen über ihren Mund, spielerisch liebkoste er ihn mit der Zunge. »Du glaubst mir doch, Jo, oder etwa nicht?«
Ihre Antwort war kaum hörbar. »Doch.«
»Das dachte ich mir. Ich bin froh, dass du mir vertraust«, meinte er, und dann presste er die Lippen fest auf ihre, leidenschaftlich beinahe grob.
Die Hitze seines Kusses ließ Jo erzittern. Aus der Tiefe ihrer Seele stieg eine flammende Hitze empor; all die Wunden, die ihr in ihrem früheren Leben zugefügt worden waren, all die schmerzhaften, verkümmerten Stellen schrieen plötzlich geradezu danach, getröstet und angenommen zu werden. Im beißenden Wind fröstelte ihr Körper, und sie schlang die Arme um Ashes Hals, erwiderte seinen Kuss und drückte sich dabei Wärme suchend an ihn. Er zog sie enger an sich, und da bemerkte Jo, wie groß seine Erregung war und wie ungleich die Kräfte zwischen ihnen verteilt waren.
Auf einmal bekam sie Angst. Aber noch ernüchternder war der Gedanke an Rhapsody. Mit einem Ruck wurde ihr die ekelhafte Wirklichkeit klar. Sie entzog sich ihm und befreite sich aus seiner Umarmung.
»Himmel, was tun wir denn da?«, stöhnte sie. »Ashe, bitte lass uns zurückgehen.« Schnell drehte sie sich um und wollte sich auf den Weg machen.
Doch er legte von hinten die Hände auf ihre Schultern, sanft, aber entschlossen, und hielt sie fest, während seine Lippen ihr Ohr und ihre Wange streiften. Im heulenden Wind war seine Stimme warm und fast tonlos.
»Es tut mir Leid, dass ich dein Missfallen erregt habe, Jo«, murmelte er, während er sanft ihren Hals unter den strohblonden Haarsträhnen liebkoste. »Das wollte ich wahrhaftig nicht.«
Behutsam drehte er sie um und blickte wieder auf sie herab.
In seinen Augen stand Mitgefühl vielleicht wirken sie deshalb auf einmal so viel menschlicher, dachte sie. Sein strahlendes Lächeln brachte ihr Herz wieder zum Beben, und erneut kämpfte ihr Gewissen mit dem Verlangen tief in ihr.
»Das hast du auch nicht«, erwiderte sie stockend. »Ich möchte nur Rhapsody nicht wehtun.«
»Ach, ja, Rhapsody«, sagte er. »Sie hat Glück, dich zur Freundin zu haben, wo du dir solche Sorgen um ihre Gefühle machst. Aber wer schützt denn deine Gefühle, Jo? Wer weiß denn all die Dinge zu schätzen, die dich zu etwas Besonderem machen?«
Jo ließ den Kopf hängen. »Mach dich nicht über mich lustig, Ashe.«
Jetzt kniete er sich vor ihr nieder und blickte zu ihr auf. »Ich mache mich nicht über dich lustig das schwöre ich dir. Warum denkst du das?«
»Weil du genauso gut wie ich weißt, dass es an mir nichts Besonderes gibt«, antwortete sie heftig und kämpfte gegen die Tränen an.
»Das ist nicht wahr.«
»Wirklich? Woher willst du das überhaupt wissen? Ich sage es dir ja ungern, aber manche Leute können nicht mit Macht und Einfluss um sich werfen, als wären es Brotkrumen, manche haben kein Schwert aus Feuer oder Sternenlicht geerbt, und wenn wir lächeln, breitet sich auch kein Blumenteppich vor unseren Füßen aus. Manche Leute werden in einem Hinterhof geboren und sterben irgendwo auf einem Müllhaufen, und keiner merkt etwas davon.«
Jetzt flössen die Tränen in Strömen über ihr Gesicht. Behutsam nahm er ihre Hand und küsste sie. Der nächste Windstoß peitschte über ihr tränennasses Gesicht, und er zog sie zu sich auf die Erde und drückte ihr Gesicht an seine Brust.
»Jo, Jo, was ist nur los mit dir? Du bist so voller versteckter Schätze du musst nur bereit sein, jemanden sie bergen zu lassen.« Jo hob den Kopf, und er küsste sie abermals. Ihr Verlangen gewann die Oberhand, und sie schob das schlechte Gewissen zur Seite, während sie mit all dem Begehren, dem Schmerz und der Bedürftigkeit auf ihn reagierte, die ihre Seele überflutet hatten.
In der Ferne heulte ein Wolf, ein lang gezogenes, hohes Jaulen, das sich disharmonisch in das Stöhnen des Windes mischte. Ein bleicher Mond ging auf und warf gespenstische weiße Schatten auf die sturmgepeitschte Landschaft. Jo hatte das Gefühl zu fallen, als er sie auf seinen mit Pelz gefütterten Umhang legte. Sie öffnete die Augen und sah das schimmernde blaue Licht auf sie zurückstrahlen, sah eine Gier in diesen Augen, die ihr die letzte Kraft raubte. Aber sie war bereits zu weit gegangen.
Schon rissen seine Hände an ihrem Wams, zerrten grob ihr Hemd auseinander. Sie hörte ein heftiges Einatmen und ein anerkennendes Ausatmen.
»Siehst du, Jo versteckte Schätze. Die nur darauf warten, geborgen zu werden.« Sie rang nach Luft, als sein Mund sich auf ihre Brüste legte; feuchte Wärme umschloss ihre Brustwarzen, bis sie hart wurden und schmerzten, während seine Hände sich an den Bändern ihrer Hose zu schaffen machten. Er riss so heftig daran, dass Jo plötzlich den eisigen Wind auf ihrer entblößten Haut spürte; sie klammerte sich an seinen Hals und hieß fröstelnd seine heißen Finger zwischen ihren Beinen willkommen.
Seine grobe Erkundung ließ sie pulsierend von unerfülltem Verlangen zurück, während er sich seiner eigenen Hose widmete. Ihr lauter frustrierter Seufzer überraschte sie beide, und er lachte, bellend und unangenehm. Dann bewegte sich sein Mund über ihren Bauch und immer weiter nach unten, hin zu der Stelle, wo zuvor seine Finger gewesen waren. Beinahe brutal befriedigte er sie und schob dann die Kleider fort, die ihm noch im Weg waren; sein Mund glitt wieder nach oben, während er sich auf sie legte. Als Jo seinen Kopf über ihrem spürte, blickte sie in sein Gesicht; die Erregung, die sie darin sah, war von einer Grausamkeit, die ihr Angst einjagte.
Panik ergriff sie, während der Wind über ihre beiden Körper peitschte, und sie spürte eisige Regentropfen auf der Haut. Zitternd, teils vor Verlangen, aber mehr noch aus Angst, flehte sie ihn an, er möge von ihr ablassen. Doch als Antwort bewegten sich seine Lippen von ihrer Brust auf ihren Mund, seine Zunge glitt hitzig hinein und erstickte ihre Bitte. Dann spürte sie eine noch heftigere Hitze und einen Schmerz, als ihre Jungfräulichkeit hinweggerafft wurde und er sich in einer hastigen Bewegung mit ihr vereinte. Sie krallte sich in seinen Rücken, dass das Blut aus ihren Fingern wich, und gab sich den rasenden Wogen der Lust hin, in die sich ein quälender Schmerz mischte, während er immer weiter in sie eindrang. Seine Lippen lösten sich von ihren, und er begann zu ächzen, ein harter, tierischer Laut im Rhythmus seiner Bewegungen, die sie auf den Boden drückten und wieder und wieder gegen den felsigen Untergrund schlugen. Jo schrie auf, rief immer wieder seinen Namen, betete, dass es bald zu Ende sein möge, und fürchtete doch eben jenen Moment. Die ganze Zeit über brauste der Wind über sie hinweg und um sie her, dämpfte ihre Schreie und trug sie mit sich fort, wie die Stimmen der Möwen, hinab ins Tal. Und die Firbolg, welche sie hörten, suchten Schutz, so schnell sie konnten, denn sie fürchteten das Kommen der Dämonen.
Und dann, als Jo schon fast um den Tod betete, war es vorüber. Keuchend lag er auf ihr, und sie hielt sich an ihm fest. Als sie so dalag, spürte sie, ausgehend von der Stelle ihrer körperlichen Vereinigung, eine schleichende Empfindung, die sich durch ihren Körper und ihre Seele wand, sich um ihr Innerstes schlang wie eine Ranke, die ihr Rückgrat emporwucherte und überallhin ihre Triebe aussandte. Das Gefühl stieg hinauf bis in ihren Schädel und wuchs daraus hervor wie ein Haarschaft, um sich schließlich aufzulösen. Sie begann zu frösteln. Inzwischen war der Wind zu einer kaum spürbaren Brise abgeflaut; der Mann neben ihr hob den Kopf und sah sie an. Die ganze Hässlichkeit, deren Zeuge sie in der Leidenschaft gewesen war, war verschwunden. Jetzt lächelte er wieder und küsste sie sanft.
»Alles in Ordnung mit dir?«
Sie nickte, unfähig zu sprechen.
»Gut.« Er machte sich los, erhob sich langsam und band seine Hose zu. »Siehst du, Jo, du bist mehr als etwas Besonderes, du bist einzigartig auf der weiten Welt. Jetzt zieh dich wieder an.«
Wie im Traum knotete Jo ihr zerfetztes Hemd zusammen und band ihre zerrissene Hose zu, so gut es eben ging. Mit zitternden Händen zog sie ihr Wams über und beobachtete, wie er den Schmutz von seinem Umhang schüttelte und ihn überzog. Dann drückte er sie noch ein letztes Mal an sich und strich ihr dabei behutsam über die langen Haare. Zusammen gingen sie zum Rand des Kessels, wo er ihr einen raschen Kuss auf den Kopf drückte und davonschlenderte, in die Schatten der Zahnfelsen hinein. Im Handumdrehen hatte die Dunkelheit ihn verschluckt.
Erst als sie allein war, als sie mit schmerzendem Körper und schmerzender Seele in ihren Gemächern in Ylorc lag, wurde Jo klar, dass sie keine Ahnung hatte, was seine letzten Worte zu bedeuten hatten.
Fröhliches Lachen drang aus dem Beratungszimmer hinter der Großen Halle, als Ashe in den Kessel zurückkehrte; der Duft von gebratenem Wildschwein und gewürzten Äpfeln hing in der Luft. Die Lampen waren angezündet worden; zu den Essensgerüchen und dem süßen Holzrauch gesellte sich der beißende Gestank von brennendem Fett. Im Laternenlicht wirkte der Raum wie ein Leuchtfeuer in den finsteren Gängen des Kessels. Als er eintrat, sprang Rhapsody von ihrem Platz auf und rannte zu ihm, um ihn zu begrüßen. Sie hatte ihre Reisekleidung gegen ein langes, tailliertes Kleid aus blassgrüner Seide eingetauscht; daher wusste er, dass sie gefeiert hatten. Als er sich zu ihr beugte, um sie zu küssen, bemerkte er Achmeds Blick; in seinen mürrischen Augen lag demonstrative Belustigung. Ashe legte einen Arm um Rhapsodys Mitte und nahm mit der freien Hand den Krug entgegen, den Grunthor ihm hinhielt.
»Also gibt es gute Neuigkeiten?«
Achmed sagte nichts.
»Kommt ganz drauf an, wie man es sieht«, meinte Grunthor.
»Wo ist Jo?«, fragte Rhapsody.
Ashe ließ den Blick über das ungewöhnliche Trio schweifen, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder Rhapsody zuwandte. »Ich habe sie nicht gefunden«, antwortete er. Er sah, wie sich das schöne Gesicht vor Enttäuschung verzog und besorgt wirkte. »Vielleicht sollte ich sie suchen«, sagte sie, an Achmed gewandt.
»Lass sie in Ruhe, Hoheit«, widersprach Grunthor und füllte sein Glas wieder auf. »Wenn sie gefunden werden wollte, dann hätte er sie auch gefunden. Vielleicht braucht sie bloß ein bisschen Zeit, um sich daran zu gewöhnen ... na, ihr wisst schon, woran.«
»Das müssen wir doch alle«, meinte Achmed. Doch Rhapsody starrte nachdenklich in ihr Glas. Ashe strich ihr zärtlich über das Haar, und sie blickte zu ihm auf und lächelte.
»Wahrscheinlich habt ihr Recht«, sagte sie endlich, nahm Ashes Hand und führte ihn an seinen Platz.
Dort schob sie Geschirr und Besteck beiseite und zeigte ihm die große Landkarte, an der sie in seiner Abwesenheit gearbeitet hatten. »Achmed und Grunthor haben sich bereit erklärt, uns zu helfen«, sagte sie und lächelte die beiden Firbolg strahlend an. »Wir wollen am ersten Tag des Winters aufbrechen.«
»Das ist wunderbar. Danke. Danke euch beiden.« »Bitte sehr«, antwortete Grunthor. »Keine Ursache.« »Bitte«, fügte Achmed hinzu, »erinnere mich nicht daran.« Bis spät in die Nacht schmiedeten sie Pläne, tranken, aßen und scherzten. Draußen um den Berg heulte und wütete der Wind, und der dunkle Himmel weinte eisige Tränen, ohne zu wissen, um wen.