»Die Hunde?»wiederholte Fenton, als begreife er nicht. Der Zugwind ließ ein Stück Papier aus seiner Hand in eine Kerzenflamme flattern. Giles drückte es mit seinen knochigen Fingern aus, als es Feuer fing, so daß die Funken stoben. »Da ich mich bei einem so gelehrten Mann einer präzisen Ausdrucksweise befleißigen muß«, erwiderte Giles, der sich immer, wenn er schlechte Nachricht brachte, von seiner übelsten Seite zeigte, »will ich mich deutlicher ausdrücken. Ich sprach von den Doggen.«
»Wann? Wie? Warum?«
»Sir, es ist gestern abend geschehen. Nun flucht nicht, weil wir nicht eher davon zu sprechen wagten. Es besteht nämlich noch etwas Hoffnung.«
»Hoffnung? Inwiefern?«
»Job rannte wie verrückt, um Mr. Milligrew zu holen, der sich am besten mit Hunden und Pferden auskennt. Er glaubt, daß er höchstwahrscheinlich Donner und Löwe, vielleicht auch Nacktarsch retten kann, obgleich alle recht übel dran sind. Whiteboy, der Terrier, wird ja nach Einbruch der Dunkelheit nie nach draußen gelassen. Aber Vielfraß, der leider auch diesmal seinem Namen Ehre gemacht hat, ist tot.«
Fenton ließ sich wieder hinter seinem Schreibtisch nieder und strich sich mit der Hand über Stirn und Perücke. »Wie ist es geschehen?«
»Vergiftetes Fleisch«, entgegnete Giles und zog hinter dem Rücken ein in Papier gewickeltes Stück rohes Fleisch hervor, das mit weißem Pulver bedeckt war.
»Wieder einmal Arsenik«, meinte Fenton, der mit einem Gänsekiel daran herumstocherte. »Sieh nur, es ist geruchlos und in Pulverform. Es sind keine Kristalle anderer weißer Gifte, wie Antimon oder Strychnin, vorhanden. Nein! Es ist schon Arsenik.« Giles verschränkte die Arme. »Und was bedeutet das?«
»Es bedeutet, daß ich ein Narr gewesen bin!«
»Oh, zweifellos«, murmelte Giles. »Aber - inwiefern?«
»Das will ich dir erklären«, erwiderte Fenton, der wieder aufsprang und inmitten der flackernden Kerzen auf und ab ging. »Meine ganze Sorge ist darauf gerichtet, meine Frau vor Vergiftung zu bewahren. Ich habe alle im Haus einer gründlichen Untersuchung unterzogen. Würde einer von ihnen ihr Schaden zufügen?«
»Nein«, antwortete Giles und blickte auf seine Schuhe herab. »Die gnädige Frau ist sehr beliebt.«
»Und deshalb bin ich ein Narr. Gegen alle im Haus war ich auf der Hut - aber nicht ein einziges Mal habe ich den Blick nach außerhalb gerichtet, an einen Freund gedacht.«
»Freund?«
»Einen sogenannten Freund. Eine solche Person braucht nur ein Wort zu sagen - die Doggen kennen ihre Stimme -, und die Hand auszustrecken, um sie lecken zu lassen. Die Tiere würden nicht bellen.«
»Unter Einbrechern«, meinte Giles, »ist das ja allgemein so Sitte. Aber aus dem Hause ist nichts gestohlen, nicht einmal ein silberner Löffel. Warum also die Hunde vergiften?«
»Weil sie heute nacht nicht hier sein sollen, wurden sie gestern nacht vergiftet. Und gleichzeitig wurde wahrscheinlich von dem Schloß einer Tür - wahrscheinlich der Haustür - ein Wachs- oder Seifenabdruck gemacht. Ein Schlosser kann den Schlüssel in einem Tage anfertigen .«
»Und heute nacht?«
»Nun, heute nacht wird jemand erscheinen - vielleicht unsere gute Kitty, die ja als Köchin die Hunde fütterte -, um in aller Ruhe die Juwelenkästen zu plündern und die Speisen meiner Frau zu vergiften. Habe ich es richtig gedeutet?«
Giles, der aus irgendeinem Grunde bei der Erwähnung von Kittys Namen zusammenzuckte, blickte Fenton ins Gesicht und schüttelte den Kopf. »Nein, Sir«, antwortete er gelassen. »Ihr seid zu sehr mit Mylady Fenton beschäftigt und habt noch nicht die Tiefe dieser Angelegenheit ergründet.«
Fenton erwiderte nichts darauf, sondern nickte nur erwartungsvoll. Der Wind, der die Kerzen so unstet flackern ließ, hatte sich inzwischen gelegt und eine schwere, drückende Luft zurückgelassen. Fenton kehrte wieder zu seinem Stuhl zurück. »Sir Nick, dieser Vorfall hat tiefere Wurzeln, als Ihr denkt. Es ist eine politische Sache, bei der es vielleicht sogar um den Thron selbst geht! Mylord Shaftesbury steht im Begriff, aus kleinen Anfängen eine ungeheure Oppositions- oder Landpartei zu bilden, die als Kennzeichen ein grünes Band trägt, und ist besonders darauf bedacht, die mobile Partei aufzustacheln .«
»Nenne sie Mob, Giles. Der Name wird bald in aller Munde sein.«
»Nun, und Ihr würdet ganz allein unter Hunderten von ihnen >Gott für König Charles!< rufen, jedesmal, wenn sie Euch angegriffen haben - oder Ihr sie - habt Ihr sie dem Spott und dem Gelächter der Menge preisgegeben. Diesen hochgestellten Männern der Landpartei darf eine solche Behandlung nicht zuteil werden, sonst büßen sie an Macht ein. Sie müssen deshalb dafür sorgen, daß dem ein Ende gemacht wird.«
Giles, der sehr blaß geworden war, trat vom Tisch zurück. Fenton hob den Kopf, und Giles sah mit Bestürzung das seltsame Lächeln und das erwartungsvolle Glitzern in den Augen seines Gebieters. »In schlichten Worten«, meinte Fenton, »sie müssen mich mit einer größeren Menge angreifen und zermalmen. In noch schlichteren Worten: sie müssen mein Haus angreifen und mich hervorlocken.«
»Sir, ich will nicht behaupten, daß dies geschehen wird. Aber die Möglichkeit besteht. Und wenn, dann heute nacht!«
»Was mich angeht«, sagte Fenton in aller Gemütsruhe, »so bete ich sogar darum, daß sie den Versuch machen. Denn ich habe mich in Gedanken schon damit befaßt.«
»Was sagt Ihr da?«
»Und habe einen kleinen Plan ersonnen. Komm her und schau, ich mache eine Skizze.« Giles trat näher. Fenton nahm einen Pergamentbogen, tauchte die Gänsefeder in die Tinte und skizzierte mit ein paar raschen Strichen einen kleinen Schlachtplan, den er mit kurzen, eindringlichen Worten erklärte. Zuletzt schrieb er fünf Namen nieder, darunter auch seinen eigenen. Dann schien er zu zögern, während Giles vor sich hin pfiff.
»Aber .«, begann Fenton voller Verzweiflung. »Sprecht, Sir! Was bekümmert Euch?«
»Diese Leute«, sagte Fenton, auf die Namen deutend, »sind meine Diener. Kann ich, darf ich sie überhaupt bitten, ihr Leben für mich zu wagen?«
Giles lief behende zur anderen Seite des Tisches und blickte seinen Herrn erstaunt an.
»Blitz!« rief er ganz verdutzt. »Es wird doch von allen Gebietern verlangt. Und noch eins, Sir! Habt Ihr Euch überlegt, was Eure Diener - Männer wie Frauen - von Euch halten? Jedenfalls seit einem gewissen Datum?« Seine Augen bekamen einen verschlagenen Ausdruck. »Genauer gesagt, seit dem 10. Mai dieses Jahres?«
Fenton hatte das Gefühl, als ob das Spitzenband an seinem Hals enger würde. Er blickte nicht auf. Der 10. Mai war der erste Tag seines neuen Lebens im alten London gewesen. Giles fuhr indessen, seltsam bewegt, fort: »Hat einer seitdem für das leiseste Vergehen die Peitsche oder gar die Neunschwänzige Katze zu spüren bekommen? Hat man je wieder das wahnwitzige Toben in den Ställen mit ansehen müssen, das beinahe zu einem Mord geführt hätte?
Und habt Ihr seitdem mit den gemeinsten Huren von Whetstone ein Zechgelage veranstaltet? Und sie in Eurem eigenen Salon geheißen, nackt und betrunken Lieder zu singen? Während Ihr im Sessel lagt, in jeder Hand eine Flasche, und kräftig mitsangt?«
Fenton hob protestierend die Hand, obgleich er immer noch den Blick gesenkt hielt. »Verschone mich. Ich gebiete es dir!«
»Zu Diensten, Sir.« Giles zuckte die Achseln. Beide schwiegen eine Weile.
»Dennoch frage ich«, platzte Giles von neuem hervor, »wie steht's mit diesen Dienern jetzt? Sie haben alles, was sie begehren, und noch mehr. Die einzige Härte, die sie auszustehen haben, ist ein Bad. Einige waren zugegen, als Ihr das Geheimnis der vergifteten Sektmolke aufdecktet, als hättet Ihr Augen, die durch Backsteinwände sehen können. Sie sahen, wie diese Schlampe Kitty nicht an den Galgen befördert, sondern mit etlichen Goldstücken in der Hand freigesetzt wurde. Sir, sie würden für Euch in den Tod gehen. Und ich selbst, bin ich nicht dankbar?«
»Zum letztenmal, hör auf damit!«
Fenton blickte immer noch nicht auf. Er dachte über den merkwürdigen Ausdruck in Giles' Augen bei der Erwähnung des 10. Mai nach und fragte sich, wieviel Giles wußte oder erriet. Und Lydia? Nein, Lydia konnte nichts erraten haben.
»Nun«, meinte Giles, »dann will ich von etwas anderem reden. Aber eins, Sir, muß geändert werden!«
Er tippte mit seinem knöchernen Zeigefinger auf die fünf Namen, die Fenton an den Rand des Pergaments geschrieben hatte. »Sir Nick, Ihr kennt mich als einen ziemlich guten Degenfechter. Auch kann ich den Dolch geschickt handhaben. Warum steht mein Name nicht hier? Warum gehöre ich nicht zu den fünf Leuten, die das Haus verteidigen sollen?«
»Giles, Giles, du bist. keiner der jüngsten mehr. Das habe ich festgestellt, als wir uns zuerst miteinander maßen.« Giles stellte sich in Positur.
»Sir, Ihr könnt es nicht verhindern«, sagte er gelassen. »In dieser Nacht, so Gott will, kämpfe ich an Eurer Seite.« Fenton traten die Tränen in die Augen, und er verdeckte sie rasch mit der Hand. Obgleich nicht mehr viel vom alten Professor Fenton übriggeblieben war, so doch noch genug, um zu bewirken, daß ihn eine große Verlegenheit überkam und er es vermied, Giles anzusehen.
»Schon gut«, brummte er und schrieb rasch Giles' Namen an das Ende der Liste. »Im Augenblick ist wenig zu machen. Bitte, gehe nach unten und setze Big Tom, Whip, Job und Harry von unserem Plan in Kenntnis. Laß die Waffen, die ich gewählt habe, bereitstellen.«
Giles war wieder voller Energie. »Soll ich die Fensterläden schließen lassen, Sir?«
»Nein! Auf keinen Fall! Dann wären sie ja gewarnt, daß wir sie erwarten. Alle Mann zu Bett, bis wir geweckt werden. Harry soll Wache stehen. Bis zehn Uhr sind die Lichter zu löschen. Und kein Wort davon zu Mylady.«
»Sir, das versteht sich.« Und Giles rannte.
Fenton schob seine Perücke zurecht und ging dann nach oben, um sich vor dem Abendessen zu waschen.
Zweifellos, dachte er, war diese Idee von einem nächtlichen Angriff der reinste Wahnsinn, erzeugt von der lastenden Hitze, dem Gewitter, das nicht zum Ausbruch kam, und einem Gefühl, als ob Läuse an freiliegenden Nerven entlangkrabbelten. Immerhin war es eine Möglichkeit. Und Lydia .
Als er mit Lydia zu Tisch saß in dem von Silber glänzenden, düsteren Raum mit den Ahnenbildern, versuchte er, fröhlich und unbekümmert zu sein, und lachte infolgedessen zuviel. Obgleich Lydia pflichtschuldigst mitlachte, betrachtete sie ihn ernst, um seine wahre Stimmung zu ergründen.
»Nick«, fragte sie, »droht Gefahr? Ist es das, worüber du nachdenkst?«
»In aller Ehrlichkeit, nein.« Er lächelte sie an und drückte ihr beruhigend die Hand. »Auf jeden Fall kann ich schwören, daß dir keine Gefahr droht.«
»Das weiß ich doch«, protestierte sie in aufrichtiger Überraschung. »Bist du nicht bei mir?«
Abermals senkte Fenton den Kopf, während er die scheußliche Omelette probierte, die für sie zubereitet war. »Du möchtest mich irgend etwas fragen!« sagte Lydia plötzlich und hielt den Atem an. »Liebes Herz, was ist es?« Ihr Instinkt war beinahe unheimlich; wieder traf der Pfeil direkt ins Schwarze. Er überlegte sich nämlich gerade, wieviel sie von Sir Nicks Verwandlung wußte und wie tief sie wohl von diesem verletzt worden war. Aber er lachte nur und schwor bei allem, was ihr teuer war, daß er keine Frage an sie habe.
»Na schön!« rief sie erleichtert, aber immer noch etwas im Zweifel. Sie blickte über ihre Schulter, als wolle sie sich vergewissern, daß niemand sie hören könne. »Ich möchte dir etwas sagen. Versprich mir aber, daß du dich nicht über mich lustig machen wirst.«
»Habe ich das je getan?«
»Seit Tagen«, sagte Lydia mit leiser Stimme, »bin ich von einer seltsamen Ahnung erfüllt. Ich habe das Gefühl, daß ich bald sterben werde.«
Fentons Messer fiel klirrend auf den Tisch. »Lydia! Das darfst du nie sagen!«
»Es ist wohl nur Einbildung«, meinte sie, wahrend ihre Augen unstet umherirrten. »Ich möchte jetzt nicht sterben, wo du und ich einander gefunden haben.« Sie wandte sich ihm zu. »Sag mir, daß es Unsinn ist!«
Er versicherte es ihr. Er versicherte es ihr so lange, bis sie wieder voller Zuversicht war und sogar lachte.
»Pah, ich bin einfältig!« erklärte sie und warf den Kopf in den Nacken. »Ich will nicht mehr daran denken.« Aber Fenton mußte daran denken.
An diesem Abend gingen sie vor zehn Uhr zu Bett, und zwar wie üblich in Lydias Zimmer. Er herrschte immer noch eine drückende Hitze, und kein Windhauch regte sich.
Vor dem Schlafengehen legte sich Fenton einen alten Anzug und Waffen zurecht. Da weder er noch Lydia sich mit Nachtgewändern abplagten, konnte er in wenigen Sekunden angezogen sein. Lydia beobachtete ihn bei diesen Vorbereitungen, ohne irgendeine Bemerkung zu machen.
Beide schliefen bald ein, obwohl er sich zuerst unruhig hin und her wälzte. Denn eins war ihm nie gelungen - nicht mit Bitten, nicht mit Schmeicheln, nicht mit Fluchen: Lydia zu überreden, nachts ein Fenster zu öffnen. Sie schwor, manchmal sogar auf den Knien, daß es sie töten würde. Die dumpfe Luft war beklemmend. Kurz bevor er in einen leichten Schlummer sank, glaubte er in der Ferne einen Blitz zu sehen.
Dann wurden seine düsteren Träume verworren. Es waren eigentlich keine Alpträume, aber sie waren von etwas Drohendem erfüllt, was er weder sehen noch berühren, aber immer hören konnte.
Eine verzerrte Szene spielte kurz in seine Träume hinein: Er hörte das dumpfe Keuchen einer Lokomotive und das schrille Pfeifen des Schaffners. Er stand an der Tür eines Abteils und lehnte sich in einer Art SuppentellerHelm zum Fenster hinaus. Als der Zug langsam anfuhr, reichte ihm ein ernsthaftes, hübsches, etwa fünfzehnjähriges Mädchen mit schwarzem Haar und grauen Augen einen Blumenstrauß und etwas in Silberpapier gewickelten Tabak.
Das Gesicht verschwamm und verschwand, während andere ihn umdrängten. »Major Fenton?« - »Ja?« -»Telegramm, Sir.« Seine Finger entfalteten das grobe Papier des Telegramms, und er las: »Fürchte Sie im Gedränge zu verpassen habe Blumen Tabak falls wir uns nicht sehen alles Gute Ihre Freundin Mary Grenville.« Und im Hintergrunde laute Stimmen, die mit Musikbegleitung sangen. Es war ein fröhliches Lied, das mit mächtiger Heiterkeit geschmettert wurde, aber bei jedem Wort schwang ein wenig Herzeleid mit. Die Stimmen wurden schwächer, so schwach, daß er kaum die Worte verstehen konnte.
Der Zug rumpelte weiter. Auf einmal war der Himmel pechschwarz. Seine Augen blickten auf die Leuchtziffern einer Armbanduhr. Seine Füße standen auf den oberen Sprossen einer schlammigen Leiter. In seiner rechten Hand, schräg nach oben gehalten, war ein. nein, kein Revolver, sondern eine pistolenähnliche Vorrichtung, die er abfeuern mußte. In einiger Entfernung von ihm begann Artilleriefeuer mit ohrenbetäubendem Krach, und der Himmel wurde taghell.
»Nick!« Lydias Stimme drang durch seine Träume und ließ ihn erschreckt auffahren. Der Krach, den er gehört hatte, war ein heftiger Donnerschlag gewesen. Da die Bettvorhänge nicht ganz zugezogen waren, konnte er den von Blitzen grellerleuchteten Himmel sehen. Er saß halb aufrecht. Lydia hatte seinen Kopf an ihre Brust gepreßt und hielt ihn fest umschlungen.
»Lieb Herz«, flüsterte sie mit zittriger Stimme, »du hast so schrecklich geträumt und im Schlaf gesprochen.«
»So?« sagte Fenton, der sich etwas beruhigt hatte. »Was habe ich denn gesagt?«
»Ei, ich bin nicht ganz sicher.« Lydia versuchte zu lachen. »Es war wohl Englisch, aber so seltsam, daß ich nur einen Teil verstehen konnte. Du sprachst offenbar zu einer Gruppe von Männern.«
»Was habe ich gesagt?«
Lydias merkwürdige Aussprache bildete einen seltsamen Kontrast zu ihrer Umgebung, als sie wiederholte:
»Wir müssen an den Maschinengewehren und dem Drahtverhau vorbei. Aber wenn Sie einen Blick auf diese Karte werfen ... Liebster«, setzte Lydia ernst hinzu, »das war aber nicht der wahre Grund, warum ich dich weckte.«
»Nun?«
»Ich glaube, es stehen Männer vor unserem Hause. Manche stoßen laute Schreie aus.«
Lydias Körper war feucht und warm. Fenton küßte sie ein einziges Mal und stand in der nächsten Sekunde auf dem Fußboden. Er tastete nach seinen Sachen. »Zünde ein Licht an!« sagte er schroff.
Er hielt sich nicht mit Unterwäsche auf, sondern fuhr mit den Beinen in ein Paar alte Samthosen. Ritsch! ratsch! machte die Zunderbüchse, und eine fettgetränkte Flamme schoß in die Höhe. Fenton zog stampfend ein Paar hohe, schwere Reitstiefel an, von denen er die üblichen leichten Sporen entfernt und durch schwere mit langen, scharfen Rädchen ersetzt hatte. Dann schnallte er sein Degengehenk um.
Die beiden Ketten hielten eine neue Scheide mit einem Degen, der etwas länger, schwerer und zweischneidig war und einen Ringgriff hatte. Griffbereit lag ein main-gauche oder linkshändiger Dolch - aus alten Zeiten, als seine Vorfahren mit Schwert und Dolch gefochten hatten - , der etwa sechzig Zentimeter lang war und ein schönes, muschelförmiges Stichblatt aus Stahl über der Hand hatte.
Diesen schob er in seinen Gürtel. Außerdem steckte in seiner Hosentasche noch eine andere, runde, sehr schwere, etwa achtzehn Zentimeter lange Waffe: eine Radachse. »Wo bleibt denn dieser Giles nur? Schockschwerenot!« Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als ein kurzes Klopfen an der Tür ertönte. Lydia sprang rasch ins Bett und zog das Laken bis zum Kinn.
Giles stand schmuck und adrett im Türrahmen, den gezogenen Degen in der Rechten und ebenfalls einen main-gauche-Dolch im Gürtel.
Überdies trug er einen alten Kavalierhelm, der das Gesicht unbedeckt ließ und dessen stählerne Ohrenklappen auch unter dem Kinn zusammengeschnallt werden konnten. »Es ist alles parat«, meldete Giles. »Wo ist Euer Helm, Sir?«
Fenton brauste auf. »Glaubst du, ich trüge einen Helm im Kampf mit diesem Otterngezücht? Soll ich diese Schurken etwa mit einer militärischen Ausrüstung ehren?«
»Sir, Ihr habt allen anderen befohlen, Helme zu tragen. Im Handgemenge kann leicht eine Keule auf Euer Haupt niedersausen.« Mit der Linken, die er hinter seinem Rücken versteckt hatte, hielt er ihm einen zweiten Helm hin.
»Giles«, sagte Lydia, »gib mir den Helm.«
Giles eilte herbei und reichte ihn ihr. Lydia winkte Fenton zu sich und sagte: »Trag diesen Helm. Denn wenn du stirbst, muß ich auch sterben. Und nicht durch die Hand eines Aufrührers, sondern durch meine eigene.«
In diesem Augenblick traf ein schwerer Stein das Vorderfenster des oberen Korridors. Es zerbrach mit lautem Klirren. »Nieder mit den Papisten!« brüllten ein Dutzend Stimmen wie aus weiter Ferne. »Tod den Papisten!« Ohne zu zögern, stülpte sich Fenton dem Helm auf. Dieser war innen mit einem von Lederriemen festgehaltenen Stoßkissen versehen, und der Nacken durch ein spitz zulaufendes Stahlgeflecht, den sogenannten Hummerschwanz, geschützt. Fenton schnallte den Sturmriemen unter dem Kinn fest und schlüpfte dann, ohne sich ein Hemd anzuziehen, in einen alten, losen Samtrock. »Nun los!»sagte er.
Draußen im Korridor eilte er nach vorn, um die Angreifer durch das zerbrochene Fenster in Augenschein zu nehmen. »Sir, meiner Schätzung nach sind es .«
»Pst! Einen Augenblick, Giles!«
Fenton konnte sie ziemlich gut sehen. Als Beleuchtung hatten sie im Hintergrund eine an einer Stange befestigte Laterne und eine Fackel, die mit gelber Flamme brannte. Sie hatten sich reihenweise vor dem Haus aufgestellt. Auf der anderen Seite der Fall Mall, die verhältnismäßig breit war, standen Häuser auf hohen Böschungen.
In der ersten Reihe, die zwei Meter vor der Lücke in den Lindenbäumen haltgemacht hatte, zählte Fenton acht Degen. Es wimmelte von schweren Keulen und zahllosen Steinen. Voller Freude stellte Fenton fest, daß die meisten dieser Keulen nicht in der vordersten Reihe oder auf der linken Flanke waren. »Hängt den Hexenmeister!«
»Er soll vortreten! Zauberer, Sohn einer Papistenhure, der eine Papistin als Mätresse hat!«
Als sie die beiden Gestalten am Fenster sahen, schwoll das Geschrei von neuem an. Eine Woge des Hasses strömte von ihnen aus. Aber wie die meisten Pöbelhaufen fauchten sie und zögerten dann. Noch kamen sie nicht näher. Fenton hatte sich inzwischen alle wichtigen Einzelheiten gemerkt.
»Nach unten!« befahl er, und als sie die Treppe hinuntereilten, fügte er hinzu: »Wo bleibt der Regen? Ich höre nichts.«
»Sir, noch ist kein Tropfen gefallen! Wenn wir zehn Minuten länger warten, müssen wir in einem Platzregen kämpfen und auf einer Straße, die voller Schlamm ist.« Beginnend mit einer Reihe von knackenden Geräuschen, krachte wie eine Explosion ein Donnerschlag unmittelbar über dem Haus, und alle Fenster leuchteten in geisterhafter Helligkeit. Unten brannte kein Licht außer einer glimmenden Kerze im Studierzimmer. Als Fenton die Tür öffnete, drehten sich vier Helme langsam herum, und die Augen, die darunter hervorblickten, schienen verändert und bösartig.
Alle vier Männer trugen die gerundete, mörderische Radachse in der Tasche. Big Tom, dessen Helm einen altmodischen Nasenschützer besaß, hatte sich mit einem Knüttel bewaffnet, der fast einem kleinen Baumstamm glich. Seine riesigen Finger umspannten ihn jedoch ganz. In seinem Gürtel steckte eine Keule. Whip, der breitschultrige Kutscher, war ähnlich ausgerüstet, und ein erwartungsvolles Grinsen lag auf seinem schlechtrasierten Gesicht. Job, der Reitknecht, war einst Gaukler auf einem Jahrmarkt gewesen. Er trug zwei sehr schwere Keulen, mit denen er blitzgeschwind nach allen Seiten zugleich schlagen konnte. Der dritte Degenfechter neben Fenton und Giles war Jung-Harry.
Fenton erteilte ihnen nun die letzten Instruktionen. »Ich will mich kurz fassen«, sagte er. »Aber merkt euch dies! Sie sind es, die uns angreifen. Wir sind geschützt. Wißt ihr, was letzten Endes mit ihnen geschieht? Sie werden alle aufgeknüpft, bis zum letzten Mann! Scheut euch daher nicht, sie zu töten! Mit dem Mob kann man nur auf eine Art fertig werden. Zunächst halten sie sich zurück, wenn sie keinen Führer haben. Wenn ich das Zeichen gebe, schlagt ihr sofort zu! Ihr seid nicht hier zum Parlamen-tieren. Ihr seid nicht hier, um sanft zu tätscheln. Ihr seid hier, um zu vernichten, zu zerstören, zu töten! Ist das klar?« Leise brummend gaben sie ihre Zustimmung.
»Gut!« rief Fenton und fegte einen Haufen Bücher vom Tisch, die in einer Wolke von Staub dumpf zu Boden fielen. Er wollte ungehindert zu den Leuten sprechen. »Ich wiederhole noch einmal unseren Plan. Zunächst gehe ich allein nach draußen und spucke ihnen ins Gesicht.«
Jung-Harry mit Dolch und Schwert rief plötzlich dazwischen: »Sir, Gott steh uns bei! Wir sind nur sechs Leute, und draußen sind mehr als sechzig! Können wir das wagen? Sechs gegen sechzig?«
»Jawohl, und zwei gegen zweihundert!« fauchte Fenton und wirbelte herum. »Wenn du keinen Mut hast, geh zurück und schlaf bei Weibern!«
Unter den vier alten Helmen um Fenton ließ sich jetzt ein fast tierisches Knurren hören. Giles, der regungslos dastand, hätte wohl annehmen können, der alte Sir Nick sei wieder zurückgekehrt.
Doch Giles hatte sich geirrt. Fenton stachelte diese Leute planmäßig auf.
»Sir, ich bleibe!«
»Dann hört mir zu! Ich gehe also allein nach draußen. Das Haus ist dunkel. Ich öffne die Haustür. Wenn ich auf halbem Wege zur Lücke zwischen den Linden bin, schleicht ihr drei Keulenschwinger, Tom, Whip und Job, aus dem Haus, ohne das leiseste Geräusch zu machen. Wenn ihr euch duckt, wird euch niemand sehen. Sie haben nur eine Nachtwächterlaterne und das Licht einer Fackel. Ihr haltet euch zu meiner Linken. Wenn ihr den ersten Baum an der Straße erreicht habt, versteckt euch dahinter und wartet auf mein Zeichen. Verstanden?«
»Jawohl, Sir!« riefen alle drei wie aus einem Mund. »Nun, ihr beiden, Giles und Harry. Wir drei sind die Männer mit dem Degen. Dasselbe, was ich zu den anderen gesagt habe, gilt auch für euch. Nur werdet ihr auf meiner rechten Seite sein. Verstanden?«
»Jawohl, Sir«, riefen auch diese beiden.
Von oben ertönte ein lang anhaltendes Klirren, als unter lautem Gejohle eine Salve von Steinen die Vorderfenster traf. »Ruhig Blut!« mahnte Fenton, und alle standen regungslos. »Sie haben noch keinen Mut für einen Angriff, sonst würden sie nicht mit Steinen werfen. Noch ein paar Worte, um unseren Plan zu vervollständigen!
Ich stehe also in der Mitte. Zu meiner Linken sind drei verborgene Männer mit Keulen und zu meiner Rechten zwei verborgene Männer mit Degen. Wenn ihr seht, daß ich meinen Degen hoch in die Luft hebe, werden beide Gruppen - die Keulenschwinger von links und die Degenfechter von rechts - hinter den Bäumen hervorkriechen. Sorgt dafür, daß ihr Platz habt. Wenn möglich, sollt ihr versuchen, so zu tun, als ob ihr zum Pöbel gehörtet. Wenn ihr hervorkommt, wird kein Auge euch erblicken. Dafür werde ich sorgen; ich schwör's! Alle Blicke werden auf mein erhobenes Schwert gerichtet sein. Das wäre alles. Aber ich hoffe, ihr habt eure endgültigen Anweisungen nicht vergessen. Wie ist's mit den Keulenschwingern?« Er wandte sich an Whip, Job und Big Tom.
»Nein, Sir«, antwortete Whip prompt, während er sein Schlagholz hin und her schwang. »Wenn Ihr ruft: >Los!<, dann fallen wir drei ihnen in die rechte Flanke und schieben sie zurück, damit wir alle zwingen, im engsten Teil der Straße mit uns zusammenzustoßen.«
»Gut! Und ihr Degenfechter?«
»Wenn Ihr ruft: >Degen!<, springen wir miteinander auf die Linie«, erwiderte der jetzt sehr erregte Giles, »und dann mit Gott für König Charles!«
»Gut! Nun noch ein letztes Wort an die Keulenschwinger. Zielt niemals, ihr Männer mit der Keule, die ihr drei, vier oder fünf Personen zugleich treffen werdet - zielt niemals auf Brust und Bauch der Feinde; sie könnten dann die Keule fassen und sie euch entreißen. Zielt stets mit aller Kraft nach dem Kopf. Zerschmettert mir ihre Schädel und hämmert mir ihre Gesichter zu Brei. Wenn ihr in die Menge gedrängt werdet, verwendet nicht mehr das Schlagholz, sondern die stählerne Radachse. Habt ihr alle geschärfte Spornrädchen, wie ich angeordnet habe?« Ein leises heftiges Zischen bekundete ihre Zustimmung. »Sollte jemand euch bei den Füßen packen, dann wißt ihr, was ihr mit euren Sporen zu tun habt. Degenfechter!«
»Ja, Sir?«
»Ich gebiete euch dringend: kämpft, solange es geht, am Rand der Masse! Sonst nützen euch eure Degen nichts. Und gebt mir kein elegantes Schauspiel eurer Fechtkunst, gebt mir nur einen Toten jedesmal, wenn euer Degen oder euer Dolch zusticht. Wenn ihr ins Gedränge kommt, was ja unvermeidlich ist, steckt den Degen ein und nehmt die Radachse. Aber gebt niemals den langen Dolch auf. Haltet ihn tief, damit ihn keiner sieht, und immer zugestochen! Vornehmlich in die untere Bauchgegend, aber stecht in einem fort, ganz gleich, wohin!«
Fenton sah ihren Gesichtern an, daß sie jetzt aufs äußerste erregt waren. Er hatte bereits sein langes zweischneidiges Schwert gezückt und zog nun den main-gauche-Dolch aus seinem Gürtel. Er umfaßte mit der linken Hand den Griff und legte den Daumen in die dafür bestimmte Vertiefung. »Ich gehe jetzt nach draußen. Haltet euch bereit!« Als er die Tür öffnete, drehte er sich noch einmal um. »Laßt euch nicht entmutigen! Hört niemals auf zu kämpfen! Dieser Mob ist ein Tyrann, nicht wahr? Gott steh uns bei, wir wollen's wagen! Drei Männer mit Degen und drei mit der Keul' sollen den Tyrannen zu Fall bringen!«
Er schloß die Tür hinter sich und stand in der pechfinsteren Halle. Als er auf die Haustür zuging, spürte er wenig Haß gegen diesen Mob. Im Geiste sah er in der Hauptsache die Landpartei: reiche, fette Grundbesitzer, die den Thron stürzen wollten, um mehr Macht und Geld zu gewinnen.
Fenton stieß die Haustür auf. Als das Licht von Laterne und Fackel auf ihn fiel, fegte wie ein Sturmwind ein tosendes Geschrei über ihn dahin. Zwei schwere Steine sausten dicht an seinem Kopf vorbei.
Als er ihnen entgegenging, ließ er seine Stimme mit aller Macht ertönen.
»Tod und Verdammnis euch allen, ihr Otterngezücht! Was wollt ihr?«
Abermals rollte der Donner über das Haus. Weit hinter der Menge zuckte ein greller Blitz über den Himmel. Alle sahen die helle Flamme, als er krachend in einen Baum schlug. Fenton, Schwert und Dolch schwenkend, schritt geradewegs auf die Lücke zwischen den Linden zu und blickte verächtlich über den Pöbel hinweg.
»Wo ist euer Führer?« fragte er. Dann brüllte er sie an: »Zurück!« Die Stärke, die eine kraftvolle Persönlichkeit ausstrahlt, das kühne Vorgehen eines zielbewußten Menschen treiben selbst eine überhitzte Menge ein wenig zurück. Die lose Reihe, die immer noch zwei Meter von den Linden entfernt stand, trat instinktiv zwei Schritt zurück.
Fenton, der spürte, daß die drei Keulenschwinger jetzt zu seiner Linken und die beiden Degenfechter zu seiner Rechten waren, freute sich, daß sie mehr Platz hatten.
»Wo ist euer Führer, frag' ich?« rief er mit Donnerstimme. Dann hob er sein Schwert hoch in die Luft, und es glitzerte im Schein einer schwankenden Laterne und einer unsteten Fackel. Aller Blicke hefteten sich eine Sekunde lang auf die glitzernde Klinge. Er vermochte kaum die geduckten, schattenhaften Gestalten zu sehen, die rechts und links hinter der Baumreihe hervorschlichen.
»Ich bin der Führer, Sir«, sagte einer der acht Degenkämpfer, die auf der linken Seite zu dicht zusammengedrängt standen, mit rauher Stimme.
Aus der Reihe heraus trat ein dickbäuchiger Mann, der jedoch ein sehr hageres, würdevolles Gesicht hatte, ein idealer Anhänger der Landpartei in feinen Kleidern und mit einem grünen Band am Hut.
»Ich bin Samuel Warrender, Esquire«, verkündete er. »Seid Ihr ein Papist oder nicht?«
»Nein! Aber Euer Benehmen heute abend reizt mich dazu, einer zu werden!«
»Habt Ihr die Gabe, die Zukunft vorauszusagen?«
»Ja!« brüllte Fenton mit der ganzen Kraft seiner Lungen. Er spürte, wie eine eisige, abergläubische Furcht sich aller Herzen bemächtigte. Jetzt, jetzt war der Augenblick da, um zuzuschlagen. »Dann wollt Ihr also Streit?« schrie Fenton und hob abermals das Schwert. »Los!«
Wie riesenhafte Schatten in dem flackernden Licht erhoben drei Gestalten auf der rechten Flanke der Menge ihre mächtigen Mordwaffen. Zwei Schlaghölzer - jedes fast zwei Meter lang - sausten durch die Luft, während die zwei Keulen in der Hand eines Mannes ihren Totentanz begannen.
Die erste Reihe merkte kaum, was auf sie zukam. Alle konzentrierten sich auf Fenton. Aber in der zweiten Reihe löste der Anblick dieser Männer einen unmenschlichen Schrei des Entsetzens aus. Unermüdlich wurden die Schlegel und Keulen geschwungen.
»Zurück!« gellte ein langbeiniger Mann mit einer Manchesterkappe, der vergeblich versucht hatte, eine steile Böschung auf der anderen Seite der Straße zu erklimmen. »Geht zurück! Geht zurück!«
»Zurück nach Charing Cross!« hallte ein Schrei. Die Toten und Schwerverwundeten fielen nach allen Richtungen, und wenn sie zu Boden sanken, wirbelten Wolken von rötlichbraunem Staub auf. Obgleich der Staub die Gesichter bedeckte, so boten sie doch einen entsetzlichen Anblick. Ein Mann mit Perücke und Goldknöpfen am Rock schoß vorwärts, heftig an seiner goldenen Uhrkette zerrend. Er machte noch ein paar kurze Schritte, bis er tot zu Boden sank, während ihm die Blutgerinnsel wie Schlangen über das Gesicht krochen.
Mittlerweile wußten die auf dem linken Flügel kaum, was ihnen geschah, bis man sie durch Rufe darauf aufmerksam machte. Fenton, kaltblütig und gelassen wie immer, stand da, als ob er eine Uhr in der Hand hielte.
»Gut!« sagte er, als der richtige Augenblick für ihn gekommen war, und dann rannte er an der krummen Linie vorbei. Giles und Jung-Harry folgten ihm.
Die rechte Flanke des Mobs war inzwischen zurückgedrängt worden, und der Flügel der Degenfechter hatte sich automatisch mitgedreht, so daß die Reihen ihnen nun quer auf der Straße gegenüberstanden. Damit hatte sich die Position für Fenton weit günstiger gestaltet. Seine Leute hatten viel kürzere, zusammengedrängte Reihen vor sich. Die Übermacht für sechs Leute war jedoch immer noch zu groß.
»Degen!« rief Fenton. Und drei behelmte Angreifer stürzten sich wie ein Mann auf den Feind.
So grimmig war der Sprung und so waghalsig entschlossen die Angreifer, daß die Linie in zehn Sekunden um zwanzig Schritte zurücktaumelte. Die Laterne schwang heftig hin und her. Das grelle Licht der Blitze spielte über die harten, harschen Züge der Kämpfenden.
Acht Schwertfechter rangen gegen drei, und alle acht lagen in etwas mehr als einer Minute am Boden, entweder tot oder sich vor Schmerzen krümmend. Keiner von ihnen hatte wirklich Erfahrung außer einem, der Fenton in sechs Gängen fast dreißig Sekunden Widerstand leistete - bis Fenton seine Finte mit einem A-tempo-Stoß brach und ihm den Hals durchstach. Unglücklicherweise wurde der erste Angriff auf Fenton von Samuel Warrender, Esquire, gemacht. Mr. Warrender zielte in einem vollen Ausfall nach Fentons Bauch. Fenton hörte das Zischen der Klingen, als er parierte, und im nächsten Augenblick stach er den Grünbandträger durchs Herz. Mr. Warrender fiel vornüber zu Boden und wand sich wie ein zertretener Wurm. Nun sprangen die drei Degenfechter über die Gefallenen - mit ihren Sporen nach den Händen hackend, die sie zu Boden reißen wollten -, und griffen den Pöbel selbst an, der entweder zurückwich oder mörderisch mit schweren Keulen focht. Giles, kaltblütig und methodisch, stieß niemals zu mit Degen oder Dolch, ohne sein Ziel zu treffen. Harry, bleich, aber verbissen, stürzte sich tapfer mit seinem zweischneidigen Schwert in das Gemenge; immer wieder sahen sie seine blitzende Klinge.
Aber jetzt war der Angriff fast zum Stehen gekommen; die Menge nahm eine andere Haltung an.
Nachdem sie zu Anfang den Kopf verloren hatten, planten sie jetzt einen Gegenangriff. Selbst ihr Geschrei war verstummt. Fenton, der sich ein wenig zurückzog, sah, daß Schwerter, Dolche und Keulen von Hand zu Hand nach vorn gereicht wurden.
Sie hatten entdeckt, daß der schwerste Keulenschlag auf einen Helm nichts weiter anrichtet, als daß er den Träger etwas schwindelig macht. Wenn sie aber nach der stählernen Ohrenklappe zielten, könnten sie den Kiefer zersplittern. Dann könnten einige mit Dolchen durchbrechen, um die Keulenschwinger von hinten zu erstechen .
Fenton sah mit Entsetzen, daß Big Tom am Boden lag. Zu seiner Rechten vernahm er ein scharfes Knacken, als Harrys Schwert entzweibrach.
Kaum hatte er es wahrgenommen, als ein zerlumpter Kerl mit schwarzem Haarschopf sich durch die Linie schlängelte, um mit einem Dolch auf Job loszugehen. Fenton machte einen Seitensprung nach links und schlug dem Angreifer mit einem kurzen Schwerthieb die Hand ab. Der Mann starrte ungläubig auf das abgetrennte Glied.
Fenton raste durch den Staubnebel wieder an seinen Platz und sah jetzt, daß Harry auch am Boden lag.
Fenton stürzte sich, im höchsten Grade gereizt, geradewegs auf den Mob. Eine Zeitlang sah es so aus, als ob Sir Nick ihn beim Wickel habe. Sein Dolch mit dem geschwungenen Stichblatt, der für gerade linkshändige Stiche gedacht war, stach überall nach dem Unterleib. Die rasiermesserscharfe Degenklinge in seiner Rechten schlug in einem fort zu. Die Gegner konnten seinen Arm nicht greifen; er war zu gewandt. Und viele Hände, die nach seinem Handgelenk tasteten, begegneten scharfem Stahl, der ihnen einen stechenden, lähmenden Schmerz den Arm hinaufjagte. So grimmig war sein draufgängerischer Angriff, daß ein ganzer Teil der Linie zurücktaumelte und sich mit Ellbogenkraft Raum verschaffte. Ein schwerer Keulenschlag gegen seine rechte Ohrenklappe betäubte ihn nicht einmal. Ein auf seine linke Seite gezielter Dolchstich zerfetzte nur den losen Samtrock und ritzte die Haut ein wenig.
Plötzlich stand er in einem offenen Halbkreis, ohne jemanden im Rücken zu haben. Er konnte kaum Atem schöpfen, konnte die anderen kaum sehen. Doch sein Gehirn arbeitete.
Ringsumher herrschte fast Schweigen. Man hörte nur dumpfe Schläge, Ächzen und Fauchen. Alles war durchdrungen von dem scharfen, penetranten Schweißgeruch, der beim Nahkampf widerlicher ist als Blutgeruch.
Aus der Ferne, von den königlichen Ställen her, hörte Fenton Trommelschlag, der die Soldaten zu den Waffen rief. Er wünschte den Beistand des Militärs nicht. Der Schlachtplan, den er so sorgfältig entworfen hatte, durfte nicht versagen. »Wenn ich nur eine Minute Zeit zum Nachdenken hätte!« Dieses Stoßgebet schickte er gen Himmel. »Dreißig Sekunden! Fünfzehn nur .!«
Um diese Zeit zum Nachdenken zu gewinnen, versuchte er es mit einem Trick. Er hob den Kopf und blickte über seine rechte Schulter.
»Laßt die Doggen los!« brüllte er mit Stentorstimme. »Donner! Löwe! Vielfraß! Nacktarsch!«
Die Gruppe vor ihm überfiel ein Zittern, aber sie wich nicht zurück. Erkennen konnte er nur einen dicken Mann in dem gefleckten Kittel eines Schlächters, der eine Keule trug. »Tötet den Teufel in Samt!« fauchte der Schlächter. »Tötet.« Dann hielt er inne, als habe er die Sprache verloren. Alle anderen waren genauso betroffen. Denn sie hörten plötzlich ein heiseres Gebell und das Splittern von Glas. Alle sahen, wie drei große Doggen zwischen den Linden hervorsprangen. Vielfraß war tot und konnte dem Ruf keine Folge mehr leisten. Aber Donner, Löwe und Nacktarsch, diese kämpfenden Wachhunde - vergiftet, halb blind und krank - ließen ihren Herrn nicht im Stich. Sie rochen das vergossene Blut und wußten, daß dies keine wilde Spielerei in einem Lustgarten war. Mit fletschenden Zähnen stürzten sich diese Tiere auf die Feinde und sprangen ihnen hoch an die Kehle.
Fenton gab ein letztes Kommando. »Vorwärts!« Und dann: »Mit Gott für König Charles!« Über den Köpfen der Menge erhoben sich plötzlich der Helm, der Schnurrbart und die machtvollen Schultern von Big Tom, der wie ein Titan nach rechts und links Hiebe mit Keule und Radachse austeilte. Whip und Job, erschöpft und schwankend, spürten die heiße Energie, die von ihm ausging. Sie verlieh ihnen neue Kraft. Fenton und Giles stürzten sich mit glitzerndem Dolch und Schwert ebenfalls auf den Pöbel. Beide hatte alle Vorsicht und Kaltblütigkeit verlassen.
Und dann löste sich die Menge auf.
Im ersten Augenblick merkte es Fenton noch nicht. Eine kleine Gestalt sprang aus der letzten Reihe und rannte wie besessen durch die Straße der Heu- und Kornhändler, die allgemein Haymarket genannt wurde. Zwei oder drei andere folgten, dann ein halbes Dutzend, ein Dutzend .
Genau dreißig Sekunden nach der zweiten stürmischen Attacke auf den Mob war kein einziger Feind übriggeblieben. Die Straße lag verlassen da und wirkte mit all den Toten und Verletzten unheimlich. Einige der Verwundeten stöhnten oder versuchten davonzukriechen.
Und dann, gerade als Fenton zum Schluß seine Instruktionen erteilte, öffneten sich die Himmel mit einem letzten explosionsartigen Donnerschlag, und der Regen prasselte hernieder.