Er war in einem Tal des Friedens. Als Fenton die Augen halb öffnete, lag er in unbekümmerter, wohliger Zufriedenheit da. Er hatte das Gefühl, zwar böse Tage und Nächte hinter sich zu haben, aber schließlich an Körper und Seele geheilt daraus hervorgegangen zu sein.
Na also, dachte Fenton, es war doch nur ein Traum. Ich habe keinen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Er ist nur eine Mythe. Ich habe nicht einen Monat lang blutige Kämpfe ausgefochten. Der Name Lydia kam ihm in den Sinn. Er spürte einen schwachen Schmerz.
Ich habe eine Frau geliebt, dachte er, die jetzt wohl mehr als zweihundert Jahre tot sein muß. Es war alles sehr lebendig. Aber jetzt ist der Traum vorbei. Ich bin sehr froh darüber; denn gegen Ende wurde es ein richtiger Alpdruck.
Ich habe zuviel von dem verflixten Schlafmittel genommen und daraufhin eine ganze Nacht und bis zur Abenddämmerung des nächsten Tages geschlafen. Jetzt bin ich wieder in der Gegenwart. Diese Gedanken gingen ihm durch den Kopf, weil er sich beim Erwachen in dem gleichen großen Himmelbett fand, das in dem von ihm gemieteten Haus gestanden hatte. Der weißblaue Himmel wurde allmählich dunkler. Dann kam der Schock.
Bei einem Versuch, sich im Bett aufzurichten, entdeckte Fenton, daß er so schwach war wie nach einer langen Krankheit. Ermattet sank er in die Kissen zurück. Er fuhr sich mit der Hand über den Kopf und stieß auf dichtes Haar, das nur schwarz sein konnte. Und dann sein Nachtgewand .
In diesem Augenblick sah er zwei brennende Kerzen an der linken Seite des Bettes. Eine wurde von Giles Collins getragen, die andere von Lord George Harwell.
Georges breites, rotes, von einer riesigen Perücke mit Stirnlocken umrahmtes Gesicht veränderte sich plötzlich, als er einen Blick aufs Bett warf. Seine braunen Augen traten vor Erstaunen aus dem Kopf, und das rote Gesicht strahlte vor Freude. »Potz Geck und kein Ende!« rief er. »Nun sieh einer an! Nick ist erwacht! Nick, mein guter Kerl, du hast uns schwere Sorgen gemacht! Gib mir deine Hand!«
Fenton spürte noch immer das seltsame Wohlgefühl, das er beim Erwachen empfunden hatte. »Sie ist allerdings merkwürdig schwach«, sagte er leise.
»Potztausend! Was kannst du anderes erwarten, wenn du wie tot zu Boden fällst und acht Tage in dieser Ohnmacht liegst?«
»Acht Tage?«
»Ja, frag nur Giles! Sie konnten dich nur ernähren, indem sie dich im Bett aufsetzten und dir mit einem großen Löffel Flüssigkeiten einflößten. Und das ist nicht so einfach. Aber ich werde die Sache jetzt in die Hand nehmen«, versicherte ihm George und warf sich in die Brust. »Potz Geck! Ich werde für dein Futter sorgen! Heiße, dampfende Kapaune, mit Austern gefüllt! Eine Fleisch- und Lerchenpastete mit schöner Sauce! Was meinst du dazu?«
»Vielen Dank, aber jetzt noch nicht. George, du wirkst wohltuend aufs Gemüt.«
»Nein, potztausend!« brummelte George verlegen. »Ich bin nur ein klobiger Bursche.« Er zauderte ein wenig, ehe er fortfuhr: »Hör mal, Nick. Sie haben mir verboten, auch nur ein Wort mit dir über Lydia zu reden. Aber ich will nicht schweigen. Als ich davon hörte, war ich von Kummer so niedergeschmettert, daß ich . daß ich.«
Giles lenkte ihn so geschickt ab, daß George es gar nicht merkte. »Mylord«, sagte er mit tiefer Ehrerbietung zu George, »darf ich mir vielleicht gestatten, Euch daran zu erinnern, daß wir seit acht Tagen eine neue französische Köchin haben, eine Madame Taupin?«
»Was sagt Ihr da?«
»Und Eurer Lordschaft zu Gefallen habe ich mir gestattet, eine Hammelkeule bei ihr zu bestellen. Mit heißen Pilzen, Mylord, und Pilzsauce. Es ist im Speisezimmer für Euch aufgetragen.«
George war empört. »Zum Donner, Mann, komme ich wegen Speis und Trank in dieses Haus?«
»Ach, du liebe Güte!« rief Giles und schlug sich mit der Hand vor den Kopf. »Gut, daß Ihr mich daran erinnert! Ich habe die Schlüssel zu einem edlen Weinkeller. Aber ich lasse keine alkoholischen Getränke im Hause herumstehen, damit mir keiner von den Hausknechten schnarchend und betrunken am Boden liegt mit der leeren Flasche in der Hand.«
»So, so«, murmelte George, von dieser Sparsamkeit tief beeindruckt.
»Und nun, Mylord, habe ich vergessen, Euch unseren besten Kanariensekt hinzustellen. Wenn Ihr vielleicht schon nach unten gehen und zulangen wollt, werde ich Euch eine Flasche bringen, sobald ich ein Wort mit meinem Herrn gesprochen habe. Mylord: Hammelkeule und Pilze!«
»Nu-un«, meinte George mit einem Seitenblick auf Fenton, der offenbar zärtlich gemeint war, aber recht düster ausfiel. »Nick, ich verlasse dich nicht, ich bin nur in einem anderen Raum.«
»Natürlich, George. Guten Appetit!«
Sobald sich die Tür hinter dem Besucher geschlossen hatte, begann Giles zu reden, während er mit sauertöpfischer Miene auf einen Bettpfosten starrte.
»Lord George«, meinte er, »ist ja ein sehr guter Mensch. Aber in der nächsten Viertelstunde hätte er Euch auf einem Pferderücken gehabt und zu einem lärmenden Zechgelage entführt.«
»Vielleicht. Schieb mir ein Kissen in den Rücken, Giles.« Giles stellte die Kerze auf den Nachttisch und gehorchte. Dann stemmte er die Hände in die Hüften und unterzog Fenton einer genauen Prüfung. Es war deutlich zu sehen, daß auch er das Bedürfnis hatte, seiner Erleichterung Ausdruck zu verleihen. Seine alte Impertinenz kehrte zurück.
»Heisa, juchhe!« rief er und schnitt eine Grimasse. »Da habt Ihr ja wieder alle fünf Sinne beisammen, um uns zu piesacken. Aber tagelang hing Euer Leben an einem seidenen Faden. Gott allein weiß, warum ich mir die Mühe machte, über Euch zu wachen.«
»Dann ist meine Frau also wirklich tot?« fragte Fenton leise und gefaßt.
Giles nickte. »Sie wurde vor vier Tagen auf dem St.-Martins-Friedhof begraben.«
»In der Tat?«
Giles warf ihm rasch einen Blick zu.
»Für Eure Ohnmacht«, sagte er, »haben wir die Ärzte scharenweise hier gehabt. Aber nur einer davon hatte ein Fünkchen Verstand im Kopf.«
»So?«
»>Nun<, sagte der, >dies ist mir schon mal vorgekommen. Es hat etwas mit dem Gehirn zu tun und nicht mit dem Körper. Es gibt Soldaten, die in einer Schlacht Tag für Tag mit Berserkerwut kämpfen, und wenn sie glauben, die Schlacht ist zu Ende, fallen sie ohne körperliche Verletzung in eine tiefe Ohnmacht, die zwei, acht oder zehn Tage anhält. Dann erwachen sie mit klarem Kopf und sind geheilt.<«
»Da hat er recht. Nun erzähl mir mal, was sich in den acht Tagen alles zugetragen hat, während ich hier wie tot lag.«
»Das will ich tun«, erwiderte Giles prompt. »Sonst laßt Ihr mir doch keine Ruhe.«
Ohne um Erlaubnis zu bitten, ging Giles zum Fenster und holte sich einen niedrigen Polsterstuhl. Als er sich, wieder ohne zu fragen, hinsetzte, ragte nur sein langes Gesicht mit dem roten Haarschopf über den Rand des Bettes. Es erinnerte, dachte Fenton, an den sprechenden Kopf ohne Rumpf bei einem Zaubertrick. »Sir«, begann Giles, »besinnt Ihr Euch noch auf den Abend des 10. Juni?«
»Den ich«, sagte Fenton vor sich hin, »für den neunten hielt.« Er nickte.
»Ihr kamt gegen halb neun vom Whitehall-Palast zurück und gingt sofort auf Euer Zimmer. Als ich ein paar Minuten vor neun nach oben ging, wo ich etwas zu erledigen hatte, sah ich Judith Pamphlin oben an der Treppe im Flur.« Giles erläuterte seine Erzählung mit entsprechenden Handbewegungen.
»>Nicht so hastig! < sagte ich, als ich sah, wie sie in größter Eile diesem Zimmer zustrebte. >Doch<, erklärte sie, »ich bringe Sir Nicholas eine Nachricht von großer Wichtigkeit von Mylady.< Dabei fiel mir ein, daß Ihr die Anordnung gegeben hattet, von niemandem gestört zu werden. Dennoch ließ ich sie eintreten. Erinnert Ihr Euch daran, was sie dann sagte?«
»Im großen ganzen, ja.«
»Ihr genauen Worte waren: >Mylady läßt Euch fragen, warum Ihr sie seit Eurer Rückkehr noch nicht aufgesucht habt.< Damit sprach die Frau die Wahrheit. Denn Eure Gemahlin, die Euren Schritt auf der Treppe gehört hatte und Euch bis zum Tode treulich liebte .« Fenton öffnete den Mund, um ihm zu widersprechen, schwieg dann aber.
».hatte dies wirklich gesagt. Die nächsten Worte der Pamphlin lauteten: >Auch möchte sie Euch bitten .< Hier wurde sie von Euch unterbrochen. Ihr schaltet sie - und mit Recht - kräftig aus, weil sie Myladys Zimmer betreten hatte, was ihr von Euch untersagt war. Dennoch hattet Ihr Vertrauen zu ihr.« Mit bitterer Miene fuhr Giles fort: »Ihr hießet sie zurückgehen und Wache halten. Denn Ihr, so sagtet Ihr, müßtet das Haus verlassen, würdet aber vor Mitternacht zurückkehren. Nun denkt mal nach, Sir! Habt Ihr jemals einen so häßlichen, bösartigen Ausdruck in Pamphlins Gesicht gesehen wie in dem Augenblick? Fiel er Euch nicht auf?«
Fenton nickte. »Ja, ich habe es auch bemerkt«, sagte er in ruhigem Ton.
»Ihr eiltet rascher aus dem Hause, als ich annahm. Ich glaubte Euch krank und hätte Euch gern an Eurem Vorhaben gehindert. Aber wer konnte Euch schon halten? Dann dachte ich an den Ausdruck in Pamphlins Gesicht und eilte in das Schlafgemach Eurer Gemahlin.
Sie lag auf dem Bett. Sie war sehr krank und mußte sich heftig erbrechen. Pamphlin stand daneben. Es war wieder Arsenik; das war deutlich zu sehen. Doch hört nun die übrige Botschaft, die Pamphlin verschwiegen hatte. Sie lautete: >Bitte ihn, doch um Gottes willen zu mir zu kommen, weil ich beim Abendessen etwas Giftiges getrunken oder gegessen haben muß; denn nur er kann mich retten.<«
Giles hielt inne, um sich mit einem raschen Blick davon zu überzeugen, daß seine Erzählung auch nicht zu schmerzlich für den Patienten sei.
Doch Fenton blieb ruhig. Nicht, weil er keinen Schmerz und keinen Kummer in sich trug - aber sie saßen so tief in seinem Herzen, daß sie nicht an die Oberfläche dringen konnten. »Etwas Giftiges beim Abendessen?« murmelte er. »Aber wir hatten doch sehr früh gegessen, und da hätten sich die Symptome viel eher einstellen müssen . oder hatte Lydia sich versteckt, während ich im Palast war, und mit niemandem reden wollen?«
»So war's, Sir.«
»Aber einen Augenblick! Beim Essen habe ich doch ihre Speisen probiert und von ihrem Wein getrunken.«
»Ihr dürft nicht vergessen, daß ich auch dabei war. Ich habe alles gehört und gesehen.«
»Gesehen?«
»Ihr habt von ihren Speisen gegessen, stimmt. Aber von Eurem eigenen Wein trankt Ihr nur sehr wenig, und aus ihrem Becher nahmt Ihr nur einen Schluck. Ist Euch kalt, Sir?«
»Nein, nein. Fahre schon fort mit deiner Erzählung. Von dem Augenblick an, wo du den vollen Inhalt der Botschaft erfuhrst.«
»Nun, in Anbetracht dessen«, sagte Giles, »überkam mich ein gewisser Zorn, und ich sagte zu der Pamphlin: >Warum habt Ihr die Botschaft nicht ausgerichtet, ehe der Herr des Hauses fortritt?< Sie lächelte, was ich noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte, und erwiderte: >Weil ich Mylady lieber tot als in seinen Händen sehen möchte.< Aber selbst bei diesen Worten hielt ich mich noch zurück! >Einmal hat er Euch doch Gegenmittel für dieses Gift genannt< sagte ich, >und wie hießen diese?« Sie entgegnete: >Ich kann mich nicht darauf besinnen.<« Hier wechselte Giles plötzlich die Farbe. »Sir, ich warf sie zu Boden und trat sie heftig mit dem Fuß. Dann richtete ich sie auf und stieß ihren Kopf gegen die Tür. Aber das Gesicht dieses Frauenzimmers war wie Holz, wie dieser Bettpfosten hier -das Gesicht einer Fanatikerin. Auch war kein Ton mehr aus ihr herauszubekommen. Als ich mich dann Eurer Gemahlin zuwandte, rannte die Pamphlin davon.
Und noch nie habe ich eine Dame gesehen, die selbst bei heftigen Schmerzen so reizend und freundlich war wie Eure Gemahlin. Wenn sie eben konnte, lächelte sie. >lch muß sterben, Giles<, sagt sie, >mich trifft die Strafe des Himmels. < Und auch von anderen Dingen sprach sie zu mir, obwohl sie mir früher - erinnert Ihr Euch? - kein Vertrauen schenkte. Ich schlug vor, einen Arzt und auch einen presbyterianischen Pfarrer zu holen, da ich wußte, daß sie in diesem Glauben aufgewachsen war.
>Nein<, sagte Eure Gemahlin, >kein Doktor kann mir helfen. Aber wenn du einen Geistlichen holen willst, dann soll es einer der Staatskirche sein. Denn das ist der Glaube meines Mannes, und jetzt ist es auch meiner.<« Giles hielt inne. »Sagtet Ihr etwas, Sir?«
»Nein. Ich . nein.«
»Weiß Gott, ich will Euch nicht länger quälen. Aber mit einem Umstand muß ich Euch noch bekannt machen. Immer, wenn es ihre Arbeit erlaubte, hat die Pamphlin vor der Tür Eurer Gemahlin Wache gehalten.«
»Das ist wahr. Ich selbst habe es oft bemerkt.«
»Gut! Die Pamphlin hat inzwischen folgende Aussage gemacht: Als sie am Abend des 10. Juni auf ihrem Posten stand, hörte sie Eure Gemahlin rufen und vor Schmerzen stöhnen. Sie ist dann an die Tür Eurer Gemahlin geeilt, die sie unverriegelt fand, und ins Zimmer gegangen. Könnte das stimmen?«
»Ja«, erwiderte Fenton. »In letzter Zeit gingen Lydia. meine Frau und ich sehr oft in dem Zimmer ein und aus. Sie hat die Tür nicht mehr verriegelt, wenn sie allein war.«
»Und doch«, sagte Giles, »hätte die Pamphlin Eurer Gemahlin das Gift verabreichen können, ja? Als ihre alte Kinderfrau hätte sie die gnädige Frau überreden können, einen vergifteten Trank zu sich zu nehmen, nicht wahr?«
Fenton schien sich das genau zu überlegen.
»Es ist möglich«, erwiderte er. »Aber Arsenik ist ein langsam wirkendes Gift. Selbst wenn sie es beim Abendessen genommen hat, muß es eine übergroße Dosis gewesen sein.«
»Ei, gewiß beim Abendessen«, murmelte Giles mit zusammengepreßten Zähnen. »Obwohl ich nicht sagen kann, auf welche Weise. Verflucht! Ich habe mir schon den Kopf zerbrochen über die Schuld dieser Frau. Ich hasse sie. Deshalb möchte ich gerecht sein. Aus diesem Grunde habe ich Euch auch überredet, sie nicht mit Eurem eigenen Degen zu töten, als Ihr damals halb von Sinnen nach Hause kamt. Aber ich will Euch eins sagen: Die alte Hexe liegt angekettet in einem kleinen Raum, streng bewacht von den Dienstboten. Kein Mensch kann diese Leute noch lange zurückhalten. Sie möchten sie töten, schon allein aus dem Grunde, weil sie Euch nicht gesagt hat, daß Eure Gemahlin im Sterben lag, und Euch ohne dieses Wissen aus dem Hause gehen ließ.«
Giles seufzte wie jemand, der sich vergeblich um eine Entscheidung bemüht hat.
»Herr«, fügte er schlicht hinzu, »was soll ich jetzt bloß tun?«
»Was die Pamphlin angeht«, sagte Fenton, »so werde ich mir die Sache durch den Kopf gehen lassen und selbst mit den Dienstboten sprechen.«
»Gut!« sagte Giles erleichtert. »Aber, Giles, du hast mir ja gar nichts erzählt!« Giles war völlig verblüfft. »Gar nichts, Sir?«
»Nur von der Nacht, in der meine gute, teure Frau . zur ewigen Ruhe gegangen ist. Was ist hinterher geschehen?«
»Sir, da kann ich Euch nur mit Euren eigenen Worten erwidern: gar nichts«, sagte Giles, der in seiner Erleichterung wieder in den alten, kecken Ton verfiel.
»Aber ein Arzt im Hause? Ein Todesfall durch Vergiftung? Da ist doch sicherlich ein Friedensrichter .?«
»Zum Schluß meines kleinen Berichts will ich davon erzählen.« Giles setzte wieder eine grimmige Miene auf. »Wohlgemerkt, muß ich noch einmal auf den Abend des 10. Juni zu sprechen kommen. Zuerst kam der Geistliche, ein stiller, ruhiger Mann. Dann erschien der einzige Doktor, den wir zu dieser Stunde erreichen konnten: der reinste Hansnarr! Eure Gemahlin schrie laut auf, als er sie anrührte. >Hm!< sagt er kopfschüttelnd und dann wieder >Hem! Dies ist ein überaus mysteriöser Fall!< Schließlich konnte ich das Geschwafel nicht mehr mit anhören und zog ihn auf den Flur. Dort fragte ich ihn, ob er sie in Gottes Namen heilen könne. >Nun<, sagt der Arzt, indem er den Finger an die Nasenspitze legt, >es handelt sich hier um eine Entzündung des Darmes, vielleicht auch um eine Vergiftung. Das kann ich erst sagen, wenn die arme Dame tot ist. Aber ich bin sehr beunruhigt, guter Mann, und hole am besten einen Friedensrichtern« Hier verstärkte sich der bittere Ausdruck in Giles' Gesicht. »>Magister der Medizin<, sage ich, »Ihr müßt so handeln, wie es Euch beliebt. Doch bevor Ihr einen Friedensrichter bemüht, möchte ich Euch die Namen derer aufzählen, die an diesem Abend an der Tafel meiner Gebieterin speisten.< Und ich nannte sie. >Mylord Danby <, ruft der alte Doktor. >Nein, dann will ich mich nicht einmischen; 's ist eine Darmentzündung, keine Vergiftung. Ich werde es schriftlich niederlegen. Ihr könnt sie begraben, wann Ihr wollt.<
Sir, wir waren völlig ratlos, da wir nur diesen Tölpel hatten. Eure Gemahlin ertrug jedoch alles mit großer Geduld. Wenn sie zu reden vermochte, sprach sie nur von Euch. Wir mußten ihr das lächerliche Ding holen, mit dem Ihr in den Zähnen herumstochert, und sie drückte es an ihre Brust wie ein Kruzifix. Und so starb sie, von einer solchen Liebe zu Euch erfüllt, wie man sie bei wenigen Frauen findet.« Jäh wandte sich Giles ab und stand auf.
Er trat an den Ankleidetisch und nahm ein kleines, fast volles Glas mit einer dunkelbraunen Medizin in die Hand. Dieses hielt er gegen das trübe Licht und betrachtete es eingehend, ehe er zurückkehrte und es neben die Kerze auf den Nachttisch stellte. Fenton blickte nachdenklich auf die Bettdecke.
»Du hast gut gesprochen«, sagte er, »und gut gehandelt. Ich sage dir meinen besten Dank dafür.« Giles verbeugte sich.
»In deinem Bericht«, fuhr Fenton fort, »steckt nur ein Fehler. Ich muß dir ein Geheimnis anvertrauen: meine Frau hat mich in Wirklichkeit nicht geliebt. Wollte Gott, es wäre anders!« Giles schien wie vom Donner gerührt.
»Ah!« sagte er in einem ganz anderen Ton, und es war Fenton, als hätte ihn Giles angezischt. »Hier ist noch etwas, was meinen Argwohn erweckte!«
»Argwohn?«
Vor Erregung zitternd, lehnte sich Giles halb über Fenton. »Es betrifft«, sagte er, »einen zerknüllten grauen Brief, den ich am nächsten Morgen dort - auf Eurem Ankleidetisch - fand, in der Handschrift Eurer Gemahlin. Und es betrifft Eure Rückkehr vom Whitehall-Palast am vorhergehenden Abend, als Ihr mir schwort, daß alles fröhlich und herzlich zugegangen sei, wogegen ich mit meinen eigenen Augen einen kranken, gebrochenen Mann vor mir sah.«
Fenton wandte den Kopf zur Seite.
»Deine Absichten sind gut, altes Faktotum. Aber was weißt du schon von diesem Abend?«
»Nicht viel, nur die Wahrheit. Ich bin nämlich der Sache auf den Grund gegangen.«
»Du?«
»Zum Teufel mit Eurer Ironie! Jawohl, ich, wer denn sonst? Habe ich nicht gehört, was Eure Gemahlin mir auf dem Totenbett sagte? Habe ich nicht den grauen Brief gelesen? Konnte ich mich nicht an Mr. Jonathan Reeve, Euren Freund, wenden, und steht ihm nicht die ganze Flüstergalerie von Whitehall zur Verfügung, wo eine Neuigkeit gegen die andere eingetauscht wird? Wenn ich Gold brauchte, um Geheimnisse hervorzulocken, hatte ich nicht Eure Geldschatulle? Sagt mir jetzt: habe ich unrecht gehandelt?«
»Nein.«
»Sir«, sagte Giles jetzt wieder in bescheidenem Ton, »Ihr glaubt immer noch, daß die Liebe Eurer Gemahlin nur Schauspielerei war und sie Euren Tod wünschte. Nun, vielleicht hattet Ihr Grund zu dieser Annahme.« Giles hob plötzlich seinen hageren Arm, als wolle er einen Eid ablegen. »Dennoch schwöre ich bei meiner unsterblichen Seele, daß sie Euch nie bei vollem Verstande an den Green-Ribbon-Klub verraten hat und daß ihre Liebe so echt war, wie ich sie geschildert habe! Und das kann ich beweisen.«
»Und doch«, fragte Fenton, »schrieb Lydia den Brief?«
»Allerdings«, gab Giles in aller Ruhe zu. »Sie schrieb ihn, als sie halb von Sinnen war und nicht ein noch aus wußte. Sie war kein leichtfertiges, tändelndes Mädchen, sondern eine Frau, die Freude, Haß und Kummer aufs tiefste empfand! Könnt Ihr Euch noch entsinnen - es sind zwar Wochen darüber hingegangen -, was am Morgen des 10. Mai geschah?«
»Ich habe nichts vergessen.«
»Erinnert Ihr Euch noch, wie Ihr Eure Gemahlin hierherkommen ließet, um die Ursache ihrer Krankheit zu erforschen? Wie Ihr die Entdeckung machtet, daß es sich um eine Arsenikvergiftung handelte, von der wir nichts wußten? Wie sie sich dort niederlegte, wo Ihr jetzt liegt?«
»Ich habe nichts vergessen!«
»Wirklich! Ihr erschient ihr zuerst ganz verwandelt- und das gestand sie Euch auch -, als habe eine gute Seele bei Euch Einzug gehalten und ringe mit einer bösen. Dann aber mußtet Ihr unbedingt umschwenken und Euch schlimmer aufführen als Sir Nick selbst: Ihr verfluchtet die Rundköpfe und ihre ganze Rasse. Werft nur einen Blick auf den Bettpfosten, Sir! Dort könnt ihr noch das Loch im Holz sehen, wo Ihr bei diesem Fluch Euren Dolch einstießet!«
Fentons Gesicht war ausdruckslos. Er enthielt sich jeder Bemerkung.
»Doch der gute Geist gewann sozusagen bei Euch wieder die Oberhand. Aber was sollte Mylady davon halten? Was ging hier vor sich? Und als Ihr - wie sie mir auf dem Totenbett erzählte - sie dann leidenschaftlich küßtet und beinahe hier, wo Ihr jetzt liegt, mit ihr geschlafen hättet, da wußte sie, daß Ihr nicht Sir Nick Fenton wäret.«
»Was sagst du da, Giles?«
Giles verzog ironisch den Mund und schüttelte den Kopf. »Sir, Sir! Habe ich etwa nicht seit den ersten Stunden jenes Morgens gewußt, daß Ihr nicht im geringsten wie Sir Nick wäret?«
Fenton blickte ihn aus seinen Kissen heraus unbewegt an. »Es ist etwas spät am Tage, Giles, mich einen Schwindler zu nennen.«
»Schwindler?« rief Giles. »Wer redet denn davon? Ich nicht! Am Nachmittag vor dem Straßenkampf hätte ich Euch beinahe gesagt, was ich davon hielt.«
»Und . das war?«
»Da ich nichts von guten und bösen Geistern weiß«, erwiderte Giles, während er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, »möchte ich nicht gern darüber sprechen. Aber ich glaube doch, daß eine gute Seele irgendwie in Sir Nicks Körper gefahren ist und eine Wandlung hervorgerufen hat. Sonst ist das, was ich gesehen habe, Teufelswerk.
Woher hatte >Sir Nick< seine Erfahrung in Dingen der Medizin, so daß er Mylady wie durch ein Wunder von ihrer ersten Krankheit kurierte? Sir Nick hatte nur stümperhafte Kenntnisse im Lateinischen und Französischen; doch Ihr last im Studierzimmer, wie ich selbst gesehen habe, beide Sprachen. Woher hatte Sir Nick die besondere Handgelenksdrehung beim Degenfechten und ein halbes Dutzend Ausfälle, die er niemals kannte? Wer verlieh Euch die Gabe, die Zukunft zu lesen? Welche Hand lehrte Euch sogar das Kriegshandwerk?«
Giles' schrill gewordene Stimme brach ab, und seinen Worten folgte ein langes Schweigen.
»Giles.«
»Sir?«
»Sprich nicht von mir. Sprich von Mylady! Du gibst doch zu, daß der Brief an den Green-Ribbon-Klub von ihrer Hand geschrieben ist, nicht wahr?«
»Ja«, entgegnete Giles. »Sie haßte Sir Nick und hatte auch allen Grund dazu. Sie war standhaft in ihrem religiösen Glauben. Obgleich sie von Politik nicht viel verstand, glaubte sie an diese >gute Sache<, weil sie annahm, daß ihr Vater auch dafür eingetreten wäre. Sie war halb von Sinnen, als sie den Brief schrieb . Nun will ich Euch zeigen, Sir, was sie nur eine Viertelstunde später an denselben Green-Ribbon-Klub schrieb! Seht her!« Mit zitternder Hand faßte er in seinen Rock und zog zwei graue Briefe hervor. Den ersten, den Giles aufs Bett schleuderte, kannte Fenton nur zu gut. Giles faltete den anderen Bogen auseinander und hielt ihn Fenton vor die Augen, wobei er ihm mit der Kerze leuchtete.
Fenton erkannte Lydias Handschrift. Sie war aber bedeutend zittriger als in dem ersten Brief. Es war ihm, als könnte er Lydias Stimme hören oder sie neben sich liegen sehen.
»Vor einer Viertelstunde schrieb ich Euch, um Euch zu sagen, wo Ihr meinen Mann finden könntet. Ich kann jetzt nicht sagen, daß es eine Lüge war, sonst glaubt man mir nicht. Aber ich sage, ich war eine arme Verrückte und eine Törin. Eurer Landpartei sage ich dies: wenn Ihr ihm einen Schaden zufügt (was Ihr, glaube ich, nicht könnt, denn Ihr fürchtet seine Fechtkunst!), werde ich Euch bei allen Richtern als Mörder anklagen und meine Rolle dabei eingestehen. Ich sende diese Zeilen heimlich durch Job, den Stallknecht, in der Hoffnung, daß sie Euch eher erreichen als mein erster Brief. Aber ich werde Euch niemals mehr schreiben. Mit Gott für König Charles! wie er sagt. Und ich sage mich hiermit in aller Form von Euch los.
Lady Lydia Fenton.«
Giles wartete, bis er sah, daß Fenton die Zeilen mehrere Male gelesen hatte. Dann ließ er den Brief auf die Bettdecke fallen und stellte die Kerze wieder auf den Nachttisch. »Giles«, fragte Fenton, »woher stammt dieser Brief?«
»Es ist nicht ratsam, danach zu fragen«, erwiderte Giles schnippisch. »Ihr habt ihn gesehen, das genügt! Wenn er aus dem Tresor des Staatssekretärs Seiner Majestät kam . nun, es war Euer eigenes Geld, das ihn herausholte.«
»Es existierten, glaube ich, noch andere Briefe.«
»Sir, andere sind nicht vorhanden.« Fenton versuchte sich aufzurichten.
»Wirklich?« fragte er. »Nicht einer, der begann: >Wenn Ihr ihn das nächste Mal nicht tötet, werde ich den Green-Ribbon-Klub verlassen«
»Sir«, entgegnete Giles und blickte Fenton fest ins Auge, »ein solcher Brief ist nie geschrieben worden. Mr. Reeve hat das nachgewiesen. Ein gewisser Schurke, der Euch haßt und sich nicht scheut, Seine Majestät selbst zu betrügen .«
»Welcher Schurke?«
»Ich werde ihn nicht mit Namen nennen, bis Ihr kräftiger seid. Dieser Halunke gab vor, einen Brief gelesen zu haben - den kein anderer gesehen hat - , und schwor, er sei von Eurer Gemahlin. Seine Aussage? Pah! Nichts weiter als Lügen. Zum Beweis kann ich zehn Zeugen und den verdammten Spitzbuben selber herbeiholen!«
Fenton sank in die Kissen zurück und schloß die Augen. Eine Zeitlang lag er regungslos da, während der Diener mit knirschenden Schuhen auf und ab ging. Schließlich konnte Giles das Schweigen nicht länger ertragen. »Na, und was sagt Ihr nun dazu?«
Fenton hatte das Gefühl, als sei die Wunde tief in seinem Herzen aufgebrochen und habe wieder zu bluten begonnen. »Eure Gemahlin sah in Euch eine andere Seele in der äußeren Gestalt ihres Mannes«, sagte Giles mit unterdrückter Stimme, »und diese Seele liebte sie. Als sie im Sterben lag und Ihr nicht bei ihr wäret, dachte sie, ihr erster Brief habe die >Strafe des Himmels< auf sie herabbeschworen, und wünschte zu sterben. Sir, findet Ihr dies alles nicht jammervoll? Habe ich ihren guten Charakter wiederhergestellt, nun, wo sie nicht mehr bei uns ist?«
»Giles«, beteuerte Fenton, »ich bin ja der größte Dummkopf gewesen! Ich habe nicht überlegt. habe mir nicht träumen lassen .«
»Nun, nun«, sagte Giles besänftigend. »Ich hatte zuviel von Euch erwartet. Und ich habe Euch zu sehr geplagt. Dafür bitte ich Euch um Verzeihung.«
»Du bittest mich um Verzeihung? Du, dem ich meine Rettung verdanke?«
»Schon gut, schon gut«, brummte Giles und starrte verlegen zu Boden. Dann setzte er auf einmal eine geschäftige Miene auf und erklärte in strengem Ton: »Und jetzt muß ich meinen Pflichten obliegen. Ich muß nach unten gehen und den Wein aus dem Keller holen, den ich Lord George Harwell vor einiger Zeit versprochen habe. Er hat nicht einmal einen Tropfen Gerstensaft - ich schließe selbst diesen ein - , und wird schön toben.«
»Bleib, ich möchte .«
Doch Giles eilte schon hinaus und machte die Tür hinter sich zu. Fenton lächelte ein wenig und lehnte sich zurück. Reumütig dachte er an die absurde Vorstellung, die er von Lydia gehabt hatte. Am deutlichsten erinnerte er sich an die Nacht in ihrem Zimmer, als er aus dem Schlaf gerissen wurde, um gegen den Mob zu kämpfen. Es fiel ihm wieder ein, wie sie ihm den wattierten Schlachthelm gereicht hatte.
»Wenn du stirbst«, hatte sie dabei gesagt, »dann muß ich auch sterben.«
Auf seltsame Art war Fenton glücklich. Er hatte sich den Wind zweier Welten um die Ohren wehen lassen. Er wußte, daß der Teufel existierte und - Herr über allem -des Teufels Widersacher. Lydia war nicht tot. Er wandte den Kopf und richtete den Blick auf den Schrank, in dem die Degen und Dolche hingen. Seine Hand tastete nach seinem Herzen. Er konnte sich jederzeit zu Lydia gesellen, wenn er es wünschte. Er konnte .
»Sir!«
Fenton, aus seinen Gedanken aufgeschreckt, entdeckte Giles wieder neben dem Bett und witterte Unheil. »Sir«, sagte Giles, »da Ihr nun wieder zu Euch gekommen seid, möchte ich mir Eure Instruktionen holen, wie ich mit zwei Besuchern verfahren soll, die soeben unten eingetroffen sind. Sie gehören nicht zusammen und kommen in verschiedenen Angelegenheiten. Die eine dieser Personen - vielleicht nicht so wichtig - ist Madam York .«
»Meg York?«
»Ja, und ich muß sagen, sie sieht außerordentlich verstört aus. Ich habe sie in den Salon geführt und sie gebeten zu warten. Die andere Person ist ein Mann, den wir schon .«
»Ja?«
»Er kommt - das behauptet er wenigstens -, in einer Staatsangelegenheit. Er bläht sich auf wie ein Ratsherr und will keine Entschuldigung hören. Dieser Mann besteht darauf, Euch zu sprechen. Was soll ich nur mit ihm anfangen?«
»Ich werde schon mit ihm fertig werden«, erwiderte Fenton mit einem glücklichen, aber boshaften Lächeln. »Komm, hilf mir beim Ankleiden.«
»Sir«, rief Giles entsetzt. »Ihr wollt doch wohl nicht nach unten gehen. Euch fehlt die Kraft dazu!«
Aber Fenton hörte nicht auf Giles. Eine gewisse kaltblütige Entschlossenheit verlieh ihm die nötige Kraft. Er schlug die Decken zurück und schwang seine steifen Beine über die Bettkante. »Eine Staatsangelegenheit?« stieß er keuchend hervor. »Wollen's lieber eine politische Angelegenheit nennen, eine Angelegenheit der Grünen Lords, die auf Unheil bedacht sind. - Giles! Als du mich zu Bett brachtest, hast du da den Ring an meiner linken Hand bemerkt? Einen Kameenring, das Geschenk Seiner Majestät? Den muß ich jetzt tragen und auch meinen Clemens-Hornn-Degen.«
»Fürs Degenfechten seid Ihr noch nicht gesund genug! Es ist auch gar nicht erforderlich. Ich habe bereits einige kleine Instruktionen erteilt.« Er ließ seine Stimme sinken und blickte Fenton mit zusammengekniffenen Augen prüfend an.
»Aber vielleicht könnt Ihr doch schon Euren Mann stehen«, meinte er. »Das wäre gut, denn jetzt, glaube ich, droht Euch die allergrößte Gefahr!«