Der Feuerschein am Himmel verwandelte sich in ein mattes Rosa und erlosch. Es blieb nur die unstete, wechselnde Silhouette im Stuhl neben dem schwachen Feuer. Der Teufel sprach wie üblich, modernes Englisch mit einem leicht archaischen Einschlag. Fenton beschlich wieder dasselbe Gefühl, das er bei seiner ersten Begegnung mit dem Teufel gehabt hatte: das Gefühl, er schwebe in einer Traumwelt, in der Stimmen klanglos waren und Gefühle nur als unbestimmte Wogen empfunden wurden. Und doch schien alles so natürlich und alltäglich wie die Unterhaltung zweier Männer im Rauchzimmer eines Klubs.
Aber das Erscheinen des Teufels bewirkte, daß Fenton mit einem halberstickten, feinen alten Fluch aufsprang, ehe ihn die Traumwelt umfing. Dann ließ er sich wieder nieder und zeigte sich von einer Höflichkeit, die sich mit der des Teufels messen konnte. »Guten Abend, mein lieber Herr«, antwortete Fenton kühl. Es entstand eine Pause. Der Teufel schien bekümmert zu sein. »Professor Fenton, habe ich Euch in irgendeiner Weise verletzt? Ist meine Anwesenheit unwillkommen?«
»Ihr seid immer willkommen«, räumte Fenton ein, »schon allein Eurer Wortfechterei wegen. Doch habt Ihr einen höchst ungelegenen Augenblick für Euren Besuch gewählt.«
»Aha!« meinte der Teufel, dem die Erleuchtung kam. »Ihr habt dabei wohl die - hm - junge Dame im Sinn, wie?«
»Die in kurzer Zeit hier erscheinen wird.« Der Teufel war aufs tiefste schockiert.
»Aber, mein lieber Freund!« protestierte er. »Nehmt Ihr auch nur für eine Sekunde an, daß ich diese löbliche kleine Affäre stören würde? Nein, nein, nein! Solche Affären sind mir in den meisten Fällen höchst nützlich. Ah, ich verstehe! Ihr betrachtet meine Anwesenheit zu einer solchen Zeit als peinlich und taktlos, ja?«
»Nicht taktlos. Ich weise nur darauf hm, daß Ihr hier seid.«
»Nanu!« schmunzelte der Teufel. »Ich hatte eigentlich nicht erwartet, daß Ihr so konventionell sein würdet. Wenn dem so ist, könnt Ihr Euer Schäferstündchen wohl auf einen anderen Zeitpunkt verschieben.«
»Habt Ihr in Eurer eigenen ausgedehnten Erfahrung, Sir, dieses Argument in dem bestimmten Augenblick ganz überzeugend gefunden?«
Der Ton des Teufels veränderte sich leicht.
»Kommt Euch gar nicht der Gedanke, Professor Fenton, daß Ihr gewisse Dinge, die Eure eigene Seele angehen, ein wenig leichtfertig behandelt?«
Jetzt spürte Fenton in der Gefühlswoge, die aus dem großen Stuhl strömte, die ersten Anzeichen von Bosheit. Der Teufel war, bildlich gesprochen, riesengroß geworden. Wenn er sich auch so gelassen gab wie ein Herr in seinem Klub, so war seine Macht doch deutlich spürbar. Mit anderen Worten: Er war wie ein Mann, der eine Handvoll Trümpfe hält und dies allmählich durchblicken läßt. Natürlich hatte er von Anfang an gewußt, daß Meg hier war. Wie bei der früheren Begegnung wurde Fenton auf einmal von einer eisigen Furcht gepackt. Er wandelte auf sehr gefährlichen Pfaden; dessen war er sich durchaus bewußt. Aber um bei der Metapher zu bleiben: Der Teufel hatte wohl viele Trümpfe, aber nicht das Trumpf-As. Fenton mußte seine Karten nun äußerst geschickt spielen.
»Da habt Ihr recht«, gab Fenton zu und ließ etwas Demut in seiner Stimme mitschwingen. »Ich habe diese Dinge vielleicht zu sehr auf die leichte Achsel genommen. Ich bitte Euch um Verzeihung.«
»Gewährt, gewährt!« erwiderte der Teufel höflich. »Ich wollte Euch nur an Eure Position erinnern. Schließlich haben wir ja tatsächlich vor einiger Zeit einen gewissen. einen gewissen Pakt unterzeichnet.«
»Allerdings.«
»Habe ich die Bedingungen unserer Vereinbarung erfüllt?«
»Offen gestanden, Sir, habt Ihr mich verteufelt an der Nase herumgeführt!«
»Aber Ihr wolltet doch Sir Nick Fenton sein. Und siehe da, Ihr seid's! Immerhin! Ich muß Euch daran erinnern, daß es selbst nicht in meiner Macht stand, manchen Eurer >Bedingungen< nachzukommen. Da ich etwas zerstreut bin, habe ich es versäumt, Euch darauf hinzuweisen.«
»Ach so?« Abermals durchfuhr Fenton ein eisiger Schrecken. »Leider, ja«, seufzte der Teufel. »Doch hättet Ihr selbst einsehen müssen, daß ich machtlos war, wenn es sich um Forderungen handelte, die der Geschichte widersprachen. Mein lieber Professor« - seine Stimme klang ein wenig verletzt -, »ich habe Euch ganz deutlich darauf aufmerksam gemacht, daß niemand die Geschichte ändern kann.«
»Niemand?«
Der Teufel setzte eine selbstgefällige Miene auf. »Weder ich selbst noch mein. mein Widersacher«, erklärte er mit einem flüchtigen Blick nach oben. »Vor unendlich langer Zeit - eine Spanne, die - verzeiht mir - über Euer Ermessen hinausgeht - planten mein Widersacher und ich die Geschichte dieses winzigen Planeten. Wir lagen natürlich miteinander in Fehde. Einmal trug er den Sieg davon, ein andermal ich. Aber sie liegt nun unabänderlich fest. Ich hatte ihn schon beinahe vergessen, diesen alten, staubigen Plan, der aufgerollt in irgendeinem obskuren Fach der Zeit liegt.« Besänftigend, einschläfernd, fast hypnotisierend klang diese Stimme. Dann auf einmal kicherte der Teufel und zeigte sich wieder von einer anderen Seite.
»Hört mal, Professor Fenton!« sagte er liebenswürdig. »Wenn ich Euch in Sir Nick Fenton verwandelt habe, was habt Ihr da schon zu befürchten? Nichts. Selbst dann nicht, wenn ich . Euch zur Zeit Eures Todes abhole. Aber laßt uns von angenehmeren Dingen sprechen! Zum Beispiel von dieser jungen Dame .« Die Tür öffnete sich, und Meg stand auf der Schwelle. In der Linken trug sie eine brennende Kerze in einem Messingleuchter. Das dunkel glänzende Haar fiel ihr lose auf die Schultern. Mit der rechten Hand hielt sie das gelbe Neglige zusammen, das sie getragen hatte, als Fenton sie zum erstenmal als Meg York sah.
Selbst im Licht der Kerze hätte sie eigentlich das wechselnde, vage Schattengebilde am Fenster nicht sehen können. Und doch - das merkte Fenton, als er sich umdrehte -, wußte Meg Bescheid. Die Kerzenflamme schrumpfte sofort - vielleicht in einem Zugwind - zu einem blauen Funken zusammen und erlosch. Gerade bevor dies geschah, schien eine seltsame Veränderung mit Megs Gesicht vorzugehen.
Sie blieb wie angewurzelt stehen; der Schreck war ihr lähmend in die Glieder gefahren.
»Ah, meine Liebe«, sagte der Besucher. »Ihr braucht nicht formell zu sein. Ihr dürft Euch zu uns gesellen, wenn Ihr wollt.« Er sprach im Ton eines älteren Onkels, der mit einem achtjährigen Mädchen redet.
»Nein, nein, meine Liebe!« fügte er hinzu. »Ihr dürft Euch nicht zu meinem guten Freund, Professor Fenton, setzen. Meine Großzügigkeit in diesen Dingen ist ja wohl weithin bekannt. Aber dies würde. wie soll ich mich ausdrücken?. Eure Konzentration zu sehr beeinträchtigen. . Setzt Euch lieber auf die Ottomane, meine Liebe.«
Meg wandte sich von Fenton ab und ging schwankenden Schrittes zur Ottomane, auf der sie, das Neglige eng um sich ziehend, Platz nahm. Fenton wollte sprechen. Aber er war von Entsetzen gepackt und mußte sich erst räuspern.
»Eine Frage!« stieß er hervor. »Darf ich eine Frage stellen?«
»Mein lieber Professor! Aber selbstverständlich.«
»Als ich törichterweise darum bat, ins siebzehnte Jahrhundert versetzt zu werden, hat Mary Grenville Euch da ihre See . ich meine, sich erboten, Eurem Haushalt beizutreten, wenn sie mich begleiten könnte? Hat sie das etwa um meiner idiotischen Person willen getan?«
Der Besucher wich einer direkten Antwort aus. »Und wenn schon?« sagte er wie ein sich windender Krämer. »Sir«, entgegnete Fenton, »meine eigene Seele ist nur ein armseliges Ding. Aber ich biete sie Euch bereitwilligst an, wenn Ihr ihre Seele zurückgebt.«
Meg richtete sich auf.
»Nein«, rief sie Fenton zu. »Er besitzt nicht die Macht, einen solchen Handel abzuschließen, selbst wenn er dazu bereit wäre!« Meg brach ab, hielt die Hände vors Gesicht und sank auf die Couch zurück, als habe sie von einer ungeheuren Hand einen Schlag erhalten. Und doch hatte sich nichts im Raum bewegt; aber auch gar nichts.
Die Gestalt im Sessel schien sich verbindlich an Fenton zu wenden.
»Nun«, sagte der Besucher, »die junge Dame hat ganz recht. Seit ihrem achtzehnten Lebensjahr ist sie schon, wie Ihr Euch so taktvoll ausdrücktet, ein Mitglied meines Haushalts. Sie trat über, weil sie die Welt unerträglich langweilig fand und allzu viel für Männer übrig hatte.«
Fenton wollte etwas sagen, vermochte aber kein Wort hervorzubringen.
»Sie hat ihre Probezeit längst hinter sich«, versicherte der Teufel. »Im allgemeinen ist sie ein gefügiges Mädchen und eine bewundernswerte Dienerin. Aus irgendeinem Grunde, der sich - verzeiht mir -, selbst meiner Kenntnis entzieht, hat sich ihre Zuneigung stets auf Euch konzentriert. Und als sie in ihrer reizendsten Art darum bettelte, mit Euch in die Vergangenheit reisen zu dürfen - konnte da mein gütiges Herz ihr diese Bitte abschlagen?«
»Dann besteht also keine Möglichkeit für sie, ihre Seele.?«
»Keine.«
»Wenn jedoch .«
»Wollt Ihr meinen Haushalt beleidigen, Sir? Das Mädchen fühlt sich ganz glücklich.«
Und dann nahm die Stimme des Teufels einen sehr mokanten Ton an.
»Aber nun zu Eurem eigenen Anerbieten, Professor! Es war sehr großmütig von Euch. Ja, sogar übertrieben idealistisch, wie Ihr es dummerweise so oft seid. Aber mir Eure eigene Seele anzubieten? Nun, warum sollte ich etwas in Tausch nehmen, was ich schon besitze?«
Die Gedanken, die Fenton durch den Kopf schossen, schienen fast hörbar zu sein.
»Jetzt«, flüsterten sie, »jetzt ist es an der Zeit. Versetz ihm einen Schlag!«
Und Fenton sprach klar und deutlich. »Oh, nein, da seid Ihr im Irrtum«, sagte er. »Wie, bitte?«
»Ihr besitzt meine Seele nicht. Habt sie nie besessen und werdet sie durch Gottes Gnade nie besitzen.«
Das Feuer puffte und knisterte. Fenton machte sich auf einen Wutausbruch gefaßt, auf eine jener entsetzlichen Wogen, in denen der grausame kleine Junge die Oberhand über den liebenswürdigen Philosophen hatte. Aber das tiefe Schweigen, das nun folgte, war weitaus drohender. »Und Euer - hm - Beweis für diese Behauptung, Professor Fenton?«
»Liegt in Eurer eigenen Lehre.«
»Das müßt Ihr wohl etwas genauer erklären.«
»Mit Vergnügen. Sir Nicholas Fenton wurde am 25. Dezember geboren. Und ich ebenfalls, wenn es Eurer Aufmerksamkeit entgangen sein sollte. Der 25. Dezember ist weit und breit als Weihnachtstag bekannt.« Fenton beugte sich vor.
»Bei meinen Studien«, fuhr er fort, »habe ich entdeckt, daß eine am Weihnachtstag geborene Person ihre Seele dem Teufel nicht verkaufen kann; sie kann sie höchstens durch eine freiwillige Gabe verlieren, oder wenn sie an Euren Firlefanz glaubt. Und das trifft nicht auf mich zu. Jeder Pakt, den ich mit Euch schließe, ist von vornherein null und nichtig. Wollt Ihr dies abstreiten?«
»Ihr habt Gunstbezeigungen von mir angenommen. Dafür müßt Ihr zahlen.«
»Genehmigt. Den Vorschriften gemäß muß ich Euch als Anerkennung an jedem 25. Dezember ein Weihnachtsgeschenk machen. Sobald die Zeit gekommen ist, wird es mir ein Vergnügen sein, Euch eine silberne Röstgabel oder eine illustrierte Bibel zu präsentieren. Sagt mal, war Euch dies alles nicht bekannt?«
»Oh, ja, ich wußte es schon, überlegte mir aber, ob Ihr es auch wußtet.«
»Das habt Ihr Euch überlegt?« fragte Fenton erstaunt. »Wißt Ihr denn nicht alles, wie allgemein angenommen wird?«
»Oh, ja, ich weiß alle Dinge, wie Ihr in Kürze zu Eurem Kummer und Schmerz entdecken werdet. Aber wenn ich mit einer törichten, idealistischen Seele wie Euch zu tun habe«, stieß er beinahe fauchend hervor, »sind selbst mir die Augen manchmal vorübergehend verbunden .«
»Von Einem, der weit größer ist als Ihr?«
»Nicht größer«, erwiderte der Besucher mit seidiger Stimme. »Solche Reden sind gefährlich, Professor Fenton. Ich rate Euch davon ab.«
»Gebt Ihr zu, daß Ihr geschlagen seid?«
»Oh, ich kann Eure Seele nicht für mich beanspruchen. Ihr müßt von meinem Widersacher gerichtet werden. Und Er, wie ich höre, ist nicht sehr nachsichtig in diesen Dingen. Aber Ihr habt mich hintergangen, Professor Fenton. Das ärgert mich maßlos. Betrug kann ich nicht ausstehen! Warum habt Ihr mich beschwindelt?« Abermals beugte sich Fenton vor und umklammerte die Armlehnen.
»Weil Ihr selbst der größte Schwindler aller Zeiten seid«, entgegnete er. »Ich war entschlossen, Euch zu besiegen.« Fenton sprach jetzt mit sehr lauter Stimme. »Und warum habe ich Euch besiegt? Weil Ihr, wie alles Böse, dumm und töricht seid!« Nun kam der erwartete Wutausbruch.
Die lautlosen, furchtbaren Zorneswogen stürmten mit aller Gewalt auf Fenton ein. Er spürte darin den kleinen Jungen, der vor Wut eine Blechtrommel zertrampelt, und gleichzeitig die Gegenwart Seiner Majestät des Teufels. Er murmelte gewisse Gebete und sah geradeswegs auf eine Stelle, wo er die Augen der Erscheinung vermutete.
Dann blickte er zu Meg hinüber und war entsetzt. Sie saß aufrecht, den Rücken halb abgewandt, die Knie unter das Neglige gezogen. Das Feuer brannte mittlerweile wieder hell, so daß er ihre Züge erkennen konnte. Ihr Gesicht hatte denselben Ausdruck, den er am ersten Abend seines neuen Lebens gesehen hatte: verschlagen, mokant, in sich gekehrt und im wesentlichen bösartig. Man darf den Teufel nicht dumm nennen; das kann er nicht leiden. Die Wogen brandeten um Fenton; doch er nahm keinen Schaden. Bald legten sie sich; der Wutausbruch war zu Ende. Aber etwas Drohendes lag in der Luft, wie Feuer oder scharfer Stahl, und Megs Gesicht zeigte immer noch den boshaften Ausdruck. Der Teufel schien nachzudenken. Als er schließlich sprach, lagen ungeheuchelte Belustigung und wirkliches Interesse in seinem Ton. »Professor Fenton«, sagte er süßlich, »habt Ihr wirklich angenommen, daß Ihr mich überlisten könntet?«
»Das kann ich noch nicht sagen.«
»In der Tat? Ihr könnt es mir nicht sagen? Aber ich kann's Euch sagen. Einst hatte ich eine Vorliebe für Euch. Aber die ist verschwunden. Ich fühle mich versucht, Euch die Fehler zu nennen, die Ihr gemacht habt, und Euch die sehr unangenehmen Überraschungen zu enthüllen, die Eurer harren. Aber ich will davon Abstand nehmen; Ihr werdet es früh genug erfahren. Ich möchte nur die kleinsten, hauchfeinsten Eurer Irrtümer erwähnen.«
»Euer eigener Mangel an Intelligenz, Sir .« Der Besucher ignorierte diese Unterbrechung. »Ihr«, sagte er belustigt und dehnte diese Silbe wie ein Gummiband, »wolltet den Lauf der Geschichte ändern! Ja? Und habt, glaube ich, schon wiederholt den Versuch gemacht?«
»Ja.«
»Ihr habt tatsächlich mit den beiden - intelligentesten Männern in England gesprochen, mit König Charles dem Zweiten und Mylord Shaftesbury, die sogar entgegengesetzte Meinungen vertreten. Jedes Wort, das Ihr gesprochen habt, wird sich bewahrheiten. Aber wollte einer von beiden Euch glauben?«
»Nein.«
»Der König schätzte Euch und war sogar geneigt, Euch zu glauben. Er gab Euch den Kameenring, der jetzt Euren Finger ziert. Dieser Ring, so sagte er, würde Euch vor allem Unheil bewahren« - hier grinste der Besucher boshaft -, »wenn Ihr in Gefahr schwebtet und ihm den Ring schicktet. Könnt Ihr wirklich beschirmt werden? Ich halte es für unmöglich. Einen Augenblick!« fügte er hinzu. »Noch ein letztes Wort. Nun, warum wart Ihr so erstaunt, Professor Fenton, als Ihr mich heute abend hier saht? Ihr müßt mich doch sicherlich erwartet haben.«
»Aus welchem Grund?«
»Nanu! Das in Euren Augen so wichtige Datum in der Geschichte, das zu ändern Ihr entschlossen wart, ist der 10.
Juni. Am 10. Juni, so ist es vom Schicksal bestimmt, soll Eure Gattin Lydia an Vergiftung sterben .«
Fenton saß wie gelähmt da. Eine Angst würgte ihn, wie sie ihm der Besucher noch nie zuvor einzuflößen vermocht hatte. Lydia! Mitternacht! Er hatte gelobt, vor dieser Stunde zurückzukehren! Zitternd zog er die Uhr aus der Tasche. Sie fiel ihm beinahe aus den Händen. Seine müden Augen konnten im Schein des Feuers die Zahlen auf dem Zifferblatt nicht erkennen. Aber es konnte keinesfalls sehr spät sein.
»Die Stunde!« flehte er. »Ich bitte Euch, Sir: sagt mir die Stunde!«
Es war, als habe der Besucher verdutzt die Augenbrauen hochgezogen.
»Die Stunde?« forschte er. »Ist die denn so wichtig?«
»Ja, ja, ja!« rief Fenton. »Um Mitternacht beginnt der 10. Juni. Dann muß ich zu Hause sein, damit Lydia nichts zustößt!«
»Potz Geck!« bemerkte der Besucher, der in grauenvoller Weise George Harwell imitierte. »Dieser Mann muß wohl von Sinnen sein!«
Fenton hastete zum erlöschenden Feuer und hielt das Zifferblatt an die glühenden Holzscheite. Die Uhr war um halb zehn stehengeblieben, genau um die Zeit, als er über Megs Schwelle trat. Er steckte die Uhr langsam wieder in die Tasche. Dann stürzte er sich auf die Gestalt im Sessel und griff mit beiden Händen nach der vermutlichen Kehle. Aber er packte ins Leere. Langsam wich Fenton zurück, und wieder tauchte die wechselnde Silhouette auf, deutlich zu sehen im aufsteigenden Feuerschein der Seifensiederei.
Und abermals kicherte der Besucher in aufreizender Weise. »Sieh mal, mein Kind«, wandte er sich an Meg, »wie Euer Hektor zusammenschrumpft wie ein gebrannter Wurm, wenn er an Lydias Gefahr denkt, und wie versessen er auf sie ist! Kann ich Euch nie davon überzeugen?«
Meg kniete jetzt auf der Ottomane, vor Wut mit den Zähnen knirschend und mit verzerrtem Mund.
»Verweilt noch einen Augenblick, Professor Fenton«, säuselte der Teufel. »Ich bitte Euch um Verzeihung, daß ich annahm, Ihr hättet den Verstand verloren. Ich habe inzwischen darüber nachgedacht, und ich glaube, es gibt eine ganz einfache Erklärung für das, was mich vorhin verblüffte.«
»Wovon redet Ihr eigentlich?«
»Ich denke, guter Mann, Ihr habt für den vergangenen Monat selbst Euren Kalender geführt, nicht wahr?« Ungehalten über diese Verzögerung, eilte Fenton zur Ottomane, um sich Cape, Degen und Perücke zu holen. Meg schlug nach ihm wie eine Katze; doch er stieß sie beiseite. Er schnallte sich gerade das Degengehenk um, als die nächsten nachdenklich geäußerten Worte des Besuchers ihn aufhorchen ließen. »Dieser Kalender war abgeschlossen und lag in einem verschlossenen Schrank. Ihr habt ihn niemandem gezeigt und mit keinem die Tage verglichen! Stimmt's? Mit niemandem habt Ihr über diesen Tag, den 10. Juni, den Ihr so fürchtetet, gesprochen. Habe ich recht?«
»Ich.«
»Und doch«, fuhr die Gestalt im Stuhl fort, »erwähnte Mr. Jonathan Reeve noch an diesem Abend an Eurer Tafel, daß die >Schlacht< in der Pall Mall in der Nacht des 7. Juni stattgefunden habe. Nun überlegt mal! Nach dieser >Schlacht< habt Ihr zwei Tage lang geruht. Am Abend des dritten Tages, nämlich heute, gabt Ihr eine Abendgesellschaft. Stimmt's?« Mit Händen, die vor Entsetzen wieder ruhig geworden waren, befestigte Fenton sein Cape an der linken Schulter und stülpte sich die Perücke auf.
»Es war etwas dumm von Euch«, murmelte der Teufel, »wenn auch verzeihlich. Ihr habt vergessen, daß Ihr am Tage nach der >Schlacht< den ganzen Tag und die folgende Nacht unter der Wirkung von Opiumtinktur geschlummert und Euren Kalender nicht angerührt habt. Am nächsten Tage schriebt Ihr den >achten< an Stelle des >neunten<. In Eurer Aufzeichnung habt Ihr einen Tag überschlagen.«
»Tod und Verdammnis! Was soll das heißen?« schrie Fenton.
»Heute war der 10. Juni - und Eure Gemahlin liegt im Sterben.«
Das Schweigen dauerte unerträglich lange.
»Lügner!«
»Daß Euch die Pest, Professor Fenton! Warum sollte ich mir die Mühe machen, Euch etwas vorzulügen? Ihr werdet es selbst in Kürze entdecken.«
»Die Zeit! Wie spät ist es?«
»Laßt mich noch einmal wiederholen: es spielt keine Rolle. Wenn ich vielleicht die Zeiger Eurer Uhr zum Stehen brachte, so war das nur eine sanfte Mahnung für Euch: vor einem Monat habt Ihr Euch über mich lustig gemacht und behauptet, daß ich mit Daten und Uhren jonglierte. Bleibt noch einen Augenblick«, sagte er überredend, »und ich will Euch sagen, warum Eure Gemahlin jetzt im Sterben liegt. Zum Teil ist Eure Nachlässigkeit daran schuld.«
»Meine Nachlässigkeit?«
»Aber gewiß. Ihr kehrtet heute abend ziemlich gedrückter Stimmung vom Whitehall-Palast zurück. Irgend jemand, gegen den Ihr nicht den geringsten Verdacht hegtet, verabreichte Mylady Fenton eine ungeheuer große Portion Arsenik. Von Schmerzen gefoltert, sandte sie eine Mrs. Judith Pamphlin mit einer Botschaft zu Euch. Ihr habt Mrs. Pamphlin immer für. treu ergeben gehalten?«
»Ja.«
»In gewissem Sinne war sie's auch. Aber ist Euch nie der Gedanke gekommen, daß Judith Pamphlin ihre Herrin lieber tot als in Euren Händen sah?« Fenton stand wie versteinert da.
»Also brachte Euch Mrs. Pamphlin nur die Botschaft, daß Eure Gemahlin Euch zu sprechen wünsche. Das war alles, was sie sagte, und keine Folter im Newgate-Gefäng-nis hätte mehr aus ihr herauspressen können. Ihr hättet einen Schwindel, einen Trick vermuten müssen, als Ihr erfuhrt, daß Mrs. Pamphlin im Gemach Eurer Gemahlin gewesen war. Aber nein. Ihr eiltet aus dem Haus, um bei einer anderen Frau Euer Glück zu suchen.« Meg, die wieder auf der Ottomane kniete, wandte sich mit veränderter Stimme an den Besucher.
»Ich bin die demütigste Eurer Dienerinnen«, flehte sie. »Aber quält ihn nun nicht mehr!«
Ein merkwürdiges Geräusch ertönte: als striche eine große, schuppige Hand über die eichene Armlehne des Sessels. »Mein Kind«, schnurrte der Besucher, »Ihr seid sehr reizvoll, besonders wenn Ihr so nachlässig mit dem Neglige umgeht. Aber ich jemanden quälen? Wie entsetzlich!«
Und die Gestalt im Sessel schien sich, ungeheuer amüsiert, an Fenton zu wenden.
»Geht nun«, sagte er. »Eure Gemahlin liegt in diesem Augenblick im Todeskampf. Und wenn Ihr mit Windeseile rittet oder auf Flügeln durch die Luft flögt, Ihr könntet nicht bei ihr sein, ehe sie stirbt.«
Fenton rannte hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Sie hörten das Klirren seiner Sporen, das Poltern seiner Stiefel auf den Stufen. Dann klappte die Haustür zu, und es herrschte Stille. Und abermals das Geräusch, als striche eine große, schuppige Hand über die Armlehne. Meg schauderte vor Ekel. Das Feuer im Kamin war fast erloschen. »Und nun, meine Liebe«, girrte der Teufel. Fünfundzwanzig Minuten später galoppierte Fentons schwarze Stute schaumbedeckt in die Pall Mall. Sie bäumte sich auf, als er sie mit heftigem Ruck zum Stehen brachte, und hätte ihn beinahe abgeworfen. Leichenblaß rannte er auf die Haustür zu, die sich vor ihm öffnete, noch ehe er sie erreichte.
In der unteren Halle stand Sam, der seinen Amtsstab an die Wand gelehnt hatte und eine Kerze in der Hand hielt, und neben ihm Giles, der ebenfalls eine Kerze trug und einem Zusammenbruch nahe schien. Es war so still, daß sie die Blätter draußen rascheln hörten.
»Dies kann doch unmöglich sein«, sagte Fenton. »Ich habe es nur geträumt. Es ist nicht wahr. Meine gute, holdselige Frau, die lieblichste Frau, die je .« Er brach ab.
Giles, der dies offenbar nicht mit ansehen konnte, hatte sich abgewandt.
»Sir«, sagte er nach einer Weile, als seine bebenden Lippen es zuließen, »sie - sie ist vor etwa einer halben Stunde gestorben. Sie ist bei Gott.«
Eine Zeitlang starrte Fenton stumm zu Boden, auf eine zickzack-förmige Schramme im Holz. Als er aufblickte, hatte sich Giles wieder umgedreht.
»Sir«, sagte er, »wir haben Euch überall gesucht. Keiner wußte, wo Ihr zu finden wart. Sir, wer hat Euch enthüllt, daß Eure Gattin . im Sterben lag?«
»Der Teufel«, entgegnete Fenton.
Sam schreckte zurück. Die Kerze fiel ihm aus der Hand und zerbrach am Boden. Mit ruhiger, aber entschiedener Stimme schickte ihn Giles weg.
»Sir«, sagte Giles leise, »Euer Scherz ist unangebracht.«
»Sieh mich an! Bin ich zu Scherzen aufgelegt? Nun?«
Giles wich mit flackernder Kerze zurück. »Nein, Sir, ich dachte nur.«
»Bezichtigst du mich, Giles?«
»Ich Euch bezichtigen? Wessen?«
»Der Nachlässigkeit. Und du wärest völlig im Recht. Wer aber hat es getan? Wer hat sie vergiftet? Etwa Judith Pamphlin?« Fenton zog langsam den Degen aus der Scheide. »Wo ist diese Frau jetzt, Giles?«
»Nein, Sir! Steckt Euren Degen weg. Ich bitte Euch darum. Ihr braucht Eure Hände nicht zu besudeln, wenn Ihr mich nur anhören wollt!«
»Wo steckt sie, Giles?«
Als Fenton ein paar Schritte vorging, umklammerte Giles ungestüm seinen Arm.
»Mein Gebieter, das Frauenzimmer Pamphlin ist unten, streng bewacht von den Dienern. Wenn - wenn Pamphlin schuldig ist, wird sie unter ihren Händen eines schrecklichen Todes sterben; denn sie lieben Euch alle. Sie warten auf Euch. Ihr braucht nur ein Wort zu sagen. Aber ihre Köpfe sind jetzt viel zu hitzig, um irgend etwas zu unternehmen. Und Ihr. auch. Herr, um Gottes willen!« rief Giles, und dann schien ihm eine Erleuchtung zu kommen. »Hätte Eure Gemahlin es wohl gern gesehen, wenn die Frau durch Euer Schwert stürbe?«
Fenton, der Giles beiseite stieß, daß die Kerze wild flackerte, machte noch zwei Schritte und blieb dann wie angewurzelt stehen. Eine Weile schien er in Gedanken versunken zu sein. Dann zwang er sich mit Gewalt zur Ruhe und ließ den Degen wieder in die Scheide gleiten.
Danach vermieden er und Giles es, sich anzusehen. Giles war der erste, der wieder sprach.
»Würde es Euch zu sehr schmerzen, sie zu sehen?«
»Sehen.?«
»Eure Gemahlin, Sir. Wir haben den Raum von allen üblen Gerüchen befreit, die Fenster weit geöffnet und süßduftende Kräuter gestreut. Ich glaube, sie hätte es gern.«
»Potz Blitz! Hör auf damit, von ihr als einer Toten zu reden. Ich dulde es nicht!«
»Verzeihung, Sir. Darf ich Euch vorangehen, um Euch die Treppe hinaufzuleuchten?«
»Ich. ja; danke.«
Langsam und leise stiegen sie die Stufen empor. Nun, es war bald vorüber. Sie hatten Lydia allein im Dunkeln gelassen. Giles blieb mit seiner Kerze in der Tür stehen. Fenton ging ein paar Schritte auf die Tote zu. Aber die Tränen quollen ihm aus den Augen und machten ihn halb blind. Vergebens versuchte er, sie mit dem Ärmel fortzuwischen. Auf dem großen Bett, dessen Vorhänge zurückgezogen waren, lag Lydia mit geschlossenen Augen und auf der Brust gefalteten Händen, das Gesicht vom weichen Haar umrahmt. In den Händen hielt sie etwas, was er nicht erkennen konnte. Zögernd trat er an die andere Seite des Bettes, wo die balsamische Nachtluft in das offene Fenster wehte. Er beugte sich herab und küßte sanft ihre Lippen, die noch etwas warm waren. Jetzt sah er auch, was sie an ihre Brust gepreßt hielt. Seltsamerweise war es die blaue Zahnbürste, die er für sie hatte anfertigen lassen. Ein lächerliches Ding, aber das einzige Erinnerungsstück, das sie von ihm besaß.
Bei diesem Anblick brach er völlig zusammen. Von Tränen geblendet, taumelte er tastend umher, bis er gegen ein Fenster stieß. Dann spürte er eine kräftige Hand an seinem Ellbogen. »Genug, Sir«, flüsterte Giles mit fester Stimme. »Gestattet mir, daß ich Euch hinausgeleite.«
Fenton gehorchte. Er hatte das Gefühl, über einen endlosen Holzboden zu wandern, bis ihn die feste Hand an seinem Ellbogen zum Stehen brachte.
»Sie ist nicht tot, Giles. Ihre Lippen waren warm, als ich sie küßte.«
»Ganz recht, Sir«, log Giles. Seine Stimme war sanft. »Ihr seid müde und erschöpft. Am Morgen wird es Euch besser sein.« Fenton befand sich in seinem eigenen Schlafzimmer. Giles hatte bereits Kerzen auf den Ankleidetisch gestellt. Darauf waren ein zerknitterter grauer Brief, die nicht mehr ganz volle Weinkaraffe und seine eigene rote Zahnbürste .
Von neuem strömten ihm die Tränen aus den Augen. Mit letzter Anstrengung - als suche er eine Zuflucht -versuchte er, sich auf sein Bett zu werfen. Aber er besaß nicht genug Kraft. Sein Körper schlug auf dem harten Holzgestell auf, und er sank bewußtlos zu Boden.