XVI

»Phyllis, ach, laß uns vergolden solange es uns erlaubt, die Liebesstunden, die holden, die wir grauem Alltag geraubt.«

Die Stimme, klar und geschlechtslos, war die eines französischen Knaben; einer von mehreren, die auf Bitten der Herzogin von Portsmouth, einer Französin, an den englischen Hof geholt waren. Die Herzogin - fett wie ein Türke und mit einem Kopf, der einem goldenen Sofakissen glich - hatte eine ganze Nacht lang geweint, und der König hatte schließlich fluchend nachgegeben. Die von einer Viola begleitete Stimme ertönte von einer mit Blumen umgebenen Plattform an der Westseite der großen Festhalle. Diese hohe Halle mit ihren braunen, goldverzierten Wandpfeilern besaß eine enorme Decke, die von Rubens mit Göttinnen und Liebesgöttern bemalt war.

Sie ist heute noch zu sehen, da sie allein von dem Feuer verschont blieb, das im Jahre 1698 den alten Whitehall-Palast völlig zerstörte.

An die tausend Wachslichter in Kronleuchtern und vergoldeten, am Boden stehenden Eisenständern verbreiteten einen strahlenden Glanz. Die großen Bogenfenster an der Westwand hatten schwere, dunkelrote, goldgefaßte Samtvorhänge, die durch goldene Kordeln mit langen Quasten ein wenig gerafft wurden. Der weiche Schimmer der manchmal unruhig flackernden Kerzen vermischte sich mit dem betäubenden Duft, der von unzähligen weißen und roten Rosen, Nelken, Lilien und Orangenblüten aufstieg.

»Wir warten hier auf Mr. William Chiffinch«, bemerkte Sir Robert Southwell, ein dunkler, bärtiger Mann, als er und Fenton an einer der großen Türen standen und das Leben und Treiben in der Halle beobachteten. »Halt! Ich glaube, ich sehe ihn.«

»Sir Robert!« ließ sich eine gewichtige, ziemlich heisere Stimme hören. »Sir Nicholas! Ich stehe Euch zu Diensten, meine Herren!« Mr. Chiffinch, der inoffizielle Page der Hintertreppe, war ein Herkules mit Habichtsnase und brauner Perücke. Er konnte jeden Mann, der ihm über den Weg lief, unter den Tisch trinken und auf diese Weise Geheimnisse für den Königh herauslocken. Viele der Anwesenden wären überrascht gewesen, hätten sie gewußt, was für eine Rolle Will Chiffinch im Geheimdienst des Königs spielte. »Wenn Ihr gestattet.«, murmelte Sir Robert und zog sich zurück.

»Sir Nicholas«, sagte Mr. Chiffinch, als er Fenton mit einer Verbeugung durch die Tür geleitete, »da Ihr so hastig herbeordert seid, wäre es unhöflich, Euch warten zu lassen. Aber, bei Gott! Ich kann den König nicht finden!«

Es waren viele offene Kamine in dem Raum, und da der Juniabend kühl war, loderten große Holzfeuer darin, die zusammen mit der von den Kerzen ausstrahlenden Wärme und den geschlossenen Fenstern den Raum unbehaglich heiß machten. »Es macht nichts«, erwiderte Fenton. »Ich . ich kann warten.«

»Aber Ihr müßt Unterhaltung haben«, erklärte Chiffinch. »Kommt!« fügte er hinzu und deutete auf die Ostwand der Halle. »Noch vor einem Augenblick wurde drüben am Kamin an mehreren Tischen Karten gespielt. Wartet dort, und ich werde mich beeilen, Seine Majestät zu finden!«

»Ich danke Euch bestens.«

»Hm - ein Wort im Vertrauen, Sir Nicholas. Verwundert Euch nicht über Dinge, die Ihr vielleicht zu sehen bekommt. Merkt Euch wohl: nur aus Galanterie gestatten wir den Damen zu betrügen.« Plötzlich stellte sich Mr. Chiffinch auf die Zehenspitzen und blickte über die Stuhlreihen hinweg zum östlichen Kamin. »Ei«, meinte er, während sich sein breites Gesicht mit den blauen Äderchen zu einem Lächeln verzog, »jetzt spielt Madam Gwynn allein mit Mr. Ralph Montagu. Also, in zwei Minuten, ich schwör's!« Mit diesen Worten eilte er davon.

Und ich werfe einen Blick hinter die Kulissen, dachte Fenton. Ich sehe, was nur die Augen von Toten geschaut haben. Ich muß gut Obacht geben!

Die Helligkeit, die fettgetränkte Hitze, der berauschende Duft der Blumen, das Stimmengewirr, die Musik - dies machte ihn eine Weile benommen, so daß er das Gefühl hatte, es sei alles wirklich nur ein Traum.

Aber er riß sich zusammen und blickte sich langsam nach einem Gesicht um, das er vielleicht identifizieren konnte. Er ging zwischen den Stuhlreihen hindurch zu dem Kartentisch am östlichen Kamin. Er hatte Madam Gwynn schon mehrere Male gesehen, da sie beide in derselben Straße wohnten. Madam Gwynn ließ sich von jedem Nelly nennen mit der Begründung, daß sie nichts Besseres sei als alle anderen. Fenton hatte hin und wieder ihr hübsches, sanftes Gesicht an einem efeuumsponnenen Fenster gesehen oder beobachtet, wie sie in eine übermäßig geschmückte Sänfte stieg. Leider muß hier erwähnt werden, daß Nelly nicht immer sanft und auch nicht immer nüchtern war. Aber an diesem Abend war sie äußerst hübsch und charmant. Vor dem lodernden Feuer stand ein sehr großer runder Tisch aus polierter Eiche, so daß die beiden Spieler ziemlich weit voneinander entfernt saßen. Das Licht spielte glitzernd über den riesigen Haufen von Goldmünzen bei Nellys Ellbogen.

Ihre goldenen Haare waren auf ihrem Kopf aufgetürmt und mit Perlen durchwirkt. Sie trug zahlreiche Ketten und Ringe und ein weites veilchenfarbenes Gewand. Das ovale Gesicht glühte vor Erregung, und die braunen Augen tanzten. »Ei!« rief sie. »Wer gibt?«

»Ich glaube, Madam«, erwiderte ihr Gegner leichthin, »daß ich an der Reihe bin.«

»Liebster Mr. Montagu!«

Etwa ein halbes Dutzend Gäste - Galane mit ihren Damen - standen am Feuer, um das Spiel zu beobachten. Fenton, der den Namen Ralph Montagu überhört hatte, als Chiffinch ihn erwähnte, horchte gespannt auf.

Mr. Montagu, dessen geziertes Gehabe die Frauen liebten, hatte ein häßliches Gesicht mit brünettem Teint und trug eine flachsfarbene Perücke, die von den roten Rosen im Hintergrund scharf abstach. Neben ihm lag ebenfalls ein großer Haufen von Goldmünzen. Mr. Montagu war listig, schmeichlerisch, habgierig und so kaltherzig und tückisch wie ein Tiger.

Durch das Studium alter, vergilbter Manuskripte konnte Fenton das schmeichlerische Wesen dieses Mannes durchschauen. Er wußte, daß Mr. Montagu - falls niemand ihn daran hinderte - in der Zukunft Verrat am König üben würde . »Aber Nelly«, zwitscherte eine der zuschauenden Damen. »Dieses >Put<-Spiel, ich verstehe es einfach nicht. Lomber oder Pikett kenne ich wohl. Wie .?«

»Es ist ein ordinäres Spiel und paßt zu mir«, entgegnete Nelly mit strahlendem Lächeln. »Lomber und Pikett sind so langweilig, so gräßlich langweilig!« Sie zuckte ihre geschmeidigen weißen Schultern. »Dieses fette Brandschiff, die Herzogin von Portsmouth, würde schaudern, wenn sie es hörte.« Delikat spie sie über ihre Schulter.

»Aber das Monstrum«, fuhr sie fort, »ist nicht in London, sondern auf dem Kontinent. Auch die andere führende Mätresse, die Herzogin von Cleveland, ist schon vor langem in tiefster Empörung nach dem Kontinent gereist.«

»Und gibt es keine andere?« fragte Mr. Montagu mit seinem seidigsten Lächeln.

»Ich bin des Königs Hure«, erwiderte sie mit holder Stimme. »Es ist mir noch nicht zu Ohren gekommen, daß ich die eines anderen bin. Mr. Montagu, ich möchte meiner Freundin dieses Kartenspiel zeigen. Bitte, gebt mir meine Karten.«

Die prächtig bemalten Karten waren bereits gemischt und abgehoben. Montagu erhob sich graziös und legte mit ebensoviel Grazie drei Karten, mit der Bildseite nach unten, vor Nelly hin. »Dies ist meine Hand, Holdeste«, erklärte Nelly dem zimperlichen Mädchen mit dem Fächer. »Mr. Montagu gibt sich seine Karten und nimmt Platz. Bevor wir nun wetten«, plapperte Nelly weiter, »darf jeder eine Karte ablegen und sich eine andere dafür nehmen. Und wer die niedrigste Hand hält, hat gewonnen.«

Beide Spieler nahmen die Karten vom Tisch: Nelly voller Eifer, Montagu kühl und gelassen, mit einem starren Lächeln. Sie spielten eine Weile schweigend.

»Es betrübt mich sehr«, sagte Montagu plötzlich, als bitte er sie kindisch um Verzeihung, »daß ich über eine Dame triumphieren muß. Aber Fortuna ist nun mal so -selbst dem lieblichsten Gesicht gegenüber blind.«

Damit legte er seine Karten auf den Tisch. Ein Gemurmel erhob sich unter den Zuschauern. »Einen Augenblick, bitte«, säuselte Nelly. »Seht Euch dies nur an!«

Karte für Karte legte sie mit zierlichen Bewegungen hin. Sie hatte gewonnen.

Tödliches Schweigen. Es war natürlich Betrug auf beiden Seiten, ein so eklatanter Betrug, daß die Zuschauer sofort eine nichtssagende Plauderei begannen. Doch Fenton spürte das allgemeine Entzücken über Montagus Niederlage, der nie Karten spielte, wenn er nicht seines Sieges gewiß war. Montagu sprang auf die Füße.

»Madam, ich.«, begann er mit erstickter Stimme. Dann beherrschte er sich aber und ging um den Tisch herum auf den Gang zu.

Und Fenton trat ihm direkt in den Weg.

»Mr. Montagu«, sagte er mit so leiser Stimme, daß kein Zuschauer es gehört haben konnte, »zweifelt Ihr an der Korrektheit des Spiels?«

Das von der flachsenen Perücke umrahmte Gesicht des Mannes zeigte auf einmal einen anderen Ausdruck. »Wer zum Teufel seid Ihr denn?« fragte er laut. »Mein Name ist Fenton, Sir Nick Fenton. Nochmals: zweifelt Ihr an der Korrektheit des Spiels?« Es war, als sei die Gruppe am Kamin zu Eis erstarrt.

»Ich zweifle nicht daran, Sir«, erwiderte Montagu lächelnd in leichtfertigem Ton.

Doch er wich langsam bis zum Tisch zurück, die Hand unter der Kante. In der tiefen Stille fiel ein Goldstück klirrend zu Boden.

»Sir Nick, um Gottes willen!« zischte eine Stimme dicht an seiner Perücke, und eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter. Laut und in etwas brüskem Ton sagte Chiffinch dann: »Ich bitte Euch um Verzeihung, Madam Gwynn, meine Damen und Herren, daß wir uns so rasch verabschieden müssen. Aber Sir Nick rufen dringende Geschäfte.«

Woraufhin der hakennasige Herkules ihn zurückführte. Obwohl Chiffinch weiterhin eine ehrerbietige Haltung zeigte, hatte Fenton das Gefühl, er hätte ihn am liebsten angebrüllt. »Zum Teufel!« flüsterte er. »Kann ich Euch nicht zwei Minuten allein lassen, ohne daß es zu einer Duellforderung im Palast selbst kommt? Euer Ruf, Sir Nicholas, ist in keiner Weise unterschätzt.«

»Nicht doch!« protestierte Fenton. »Ich weiß, was geschehen soll« - hier blickte ihn Chiffinch von der Seite an -, »und ich. ich versuche, es zu verhindern. Weiter nichts!«

»Nun, Ihr wartet jetzt hier!«

Chiffinch führte ihn zu einer abgeteilten Nische in der Südostecke der Halle, wo ein Kamin im Winkel zweier Wände eingebaut war. Vier hohe Paravents aus starkem, mit Messingnägeln beschlagenem und dich gepolstertem Leder verwandelten diesen Alkoven in einen kleinen Raum. Ein helles Feuer brannte im Kamin. Mehrere sogenannte orientalische Stühle, gepolstert und mit Stoff bezogen, und zwei Schemel vervollständigten die Einrichtung. Da niemand anwesend war, nahm Fenton Platz. Er sah der Unterredung mit Spannung entgegen. Es gab so vieles, so vieles, wovor er den König warnen mußte!

Dann hörte er außerhalb der Nische die »mächtige Stimme« - so ist sie beschrieben worden -, und die wohlbekannten langen Schritte von Charles Stuart.

»Nicht, bis ich Euch rufe, Will!« sagte die Stimme. Und in den Alkoven trat der Mann, über den er so viel gelesen hatte. Seine lebendige Gegenwart verschlug Fenton den Atem. Er erhob sich schnell.

Charles war fast zwei Meter lang und wirkte durch die hohe Perücke und die halbhohen Absätze noch größer. Er war hager und muskulös und trug einen fast schäbigen schwarzen Anzug, der ihm reichlich weit war, mit einer mattroten Weste und vielen Spitzen.

Die Haare seiner schwarzen Perücke, sorgfältig in der Mitte gescheitelt und üppig gelockt, reichten ihm beinahe bis zur Brust. Er war fast so braun wie ein Indianer und besaß eine lange, gerade Nase. Wie Fenton, trug er einen strichartigen schwarzen Schnurrbart. Er hatte die Backenknochen und das lange Kinn der Stuarts. Am schönsten waren seine rotbraunen Augen unter hochgeschwungenen schwarzen Brauen.

Er hieß Fenton mit einem warmen Lächeln willkommen. »Sir Nicholas«, sagte er, indem er ihm die Hand reichte, »da Ihr nicht zu mir kommen wolltet, mußte ich Euch holen lassen.« Fenton legte die Stirn auf die mit drei Ringen geschmückte Hand und machte einen Kratzfuß. Im Augenblick fand er keine Worte. »Nun, Mann, seid ungeniert!« ermunterte ihn Charles, während er sich in einen Sessel fallen ließ und einen Fuß auf einen prächtig bestickten Schemel legte. »Oder macht's Euch wenigstens bequem. Nehmt Platz - so! Nun ist's mir auch wohler.« Ja, er besaß den Charme aller Stuarts. Mit einem Wort oder Blick vermochten sie blinde Treue und Hingebung zu entfachen. Wie viele Schwerter waren schon für sie gezogen, wie viele Trinksprüche auf sie ausgebracht, wie viele Vivat-Rufe erschallt, selbst aus dem Mund von Sterbenden!

»Ich hatte die Absicht«, sagte Charles, »sehr streng mit Euch zu verfahren. In meiner Regierung, Sir Nicholas, habe ich drei königliche Edikte gegen das Duellieren erlassen. Manchmal habt Ihr mir großen Kummer verursacht. Zu anderen Zeiten- Schockschwerenot, wie hat Euer Betragen mein Herz erwärmt!« Charles lehnte sich zurück. Sein Gesicht war düsterer und die Falten darin tiefer, als man auf den ersten Blick hin annahm.

»Wie ich höre, sollt Ihr bei Eurem letzten Scharmützel mit den Aufrührern den alten Schlachtruf geäußert haben: >Mit Gott für König Charles!< Nun, galt das mir oder meinem Vater?«

»Majestät, ich weiß es nicht. Ich kann es wirklich nicht sagen. Es galt, glaube ich, beiden.«

»Einem allein«, murmelte Charles, »wäre schon Ehre genug.« Seine rotbraunen Augen blickten über die Paravents, und er spielte, in Gedanken versunken, mit einem Ring an seiner rechten Hand.

»Nun!« Charles, dessen Ausdruck sich blitzartig ändern konnte, betrachtete ihn jetzt mit einem nachsichtigen Lächeln. »Was Eure Weissagerei angeht, Sir Nicholas, so warne ich Euch . ich .«

»>Habe nichts mit solchen Kreaturen zu schaffen<«, zitierte Fenton mit verschränkten Händen, den Blick zu Boden gerichtet, »>denn wenn sie einem wirklich etwas sagen könnten, so wäre dieses Wissen lästig.<«

Charles' Gesicht war völlig ausdruckslos. »Und warum gebraucht Ihr solche Worte?«

»Sie wurden von Euch selbst geschrieben, Majestät, und zwar vor langer Zeit in einem Brief nach Frankreich an Eure junge Schwester Henrietta, die mit dem Herzog von Orleans verheiratet war. Sie ist seit fünf Jahren tot, und ihre gute Seele ruht in Frieden.« Charles sprang plötzlich auf und ging zu dem kleinen Kamin in der Ecke. Er legte die Hände auf den Kaminsims und stieß mit dem Schuh gegen die kleinen, brennenden Holzscheite. Nur zwei Personen, daß wußte Fenton, hatten das Herz von Charles Stuart jemals tief bewegt: seine zarte junge Schwester und sein Vater.

Charles wandte sich wieder Fenton zu, das Kinn tief in seinem Spitzenjabot vergraben.

»Ich will nicht fragen«, sagte er, »weshalb Ihr eine Stelle aus einem von einem Privatboten überbrachten Privatbrief zu zitieren vermögt.« Charles runzelte die Stirn. »Ich muß offen gestehen: Ihr seid mir ein Rätsel, Sir Nicholas. Vor mir sehe ich einen ruhigen Gentleman von höflichem Betragen, und ich hatte einen lauten Prahlhans erwartet, nach Eurem öffentlichen Auftreten und selbst nach Eurer Rede in der >Gemalten Kammer< zu urteilen.«

»Täuschen wir nicht beide in unserem öffentlichen Auftreten?« fragte Fenton. »Inwiefern?«

»Mit Verlaub, Majestät! Meint Ihr, daß niemand die Pose eines fröhlichen Monarchen, skandalös und arm<, die Ihr absichtlich einnehmt, durchschaut? Das mag vielleicht in Eurer hitzigen Jugend zutreffend gewesen sein, aber nicht mehr seit vielen Jahren.«

»Nun, was das angeht.«, begann Charles, ohne jedoch den Satz zu vollenden.

Mit der liebenswürdigsten Miene setzte er sich wieder in seinen Sessel und legte den Fuß auf den Schemel. Sein ruheloser, satirischer Geist mußte ewig sondieren.

»Arm bin ich«, gab er zu. »Dafür sorgt das Parlament.« Er straffte seine Muskeln. »Das Fleisch plagt einen immer noch. Wer könnte einer hübschen Frau widerstehen?

Oder wer ihr trauen? Doch bin ich in meinem kleinen Harem ziemlich häuslich geworden. Ich treibe keine Possen mehr und trinke nur, um meinen Durst zu löschen. Ich bin alt und hager geworden.«

»Sonst nichts?«

»Schockschwerenot, ja!« lautete die etwas knurrende Antwort. »Meine Feinde müssen früher oder später lernen, daß ich nicht nachgebe und mich nicht einschüchtern lasse. Seit Jahren hat meine Hand diese Nußschale gelenkt, und ich werde sie sicher in den Hafen bringen, ehe ich sterbe.«

»Das wird Euch gelingen, Majestät. Und noch mehr. Aber das Meer wird stürmisch sein.« Charles' ernste Stimmung verschwand.

»Aha!« murmelte er in seiner gewohnten nachlässigen Art. »Das bezieht sich wohl auf Eure Prophezeiung im Green-Ribbon-Klub, nicht wahr?«

»Wenn meine Worte Eurer Majestät gegenüber vielleicht verdreht worden sind .«

»Nein, da könnt Ihr unbesorgt sein. Ich bezahle mehr Spione als Mylord Shaftesbury selbst. Aber warum mußtet Ihr die Nachricht ihm bringen? Warum seid Ihr nicht zu mir gekommen?«

»Zunächst, Majestät, hatte ich mit Mylord einiges abzurechnen. Dann auch wieder wußte ich, daß Ihr dieser sogenannten >Verschwörung< keinen Glauben schenken würdet. Oh, Ihr werdet Eure Gegner letzten Endes überlisten und vernichten. Aber drei Jahre des Schreckens und Blutvergießens werden darüber hingehen. Während unschuldige Katholiken verfolgt werden wie nie zuvor, werdet Ihr keinen Finger rühren, um sie zu retten. Da Ihr päpstlich gesinnt seid, werdet Ihr Mitleid mit ihnen haben. Aber die Begnadigung eines Katholiken würde einen Bürgerkrieg heraufbeschwören, und vorläufig ist an eine Vergeltung nicht zu denken. Beim Unterzeichnen der Todesurteile werdet Ihr sogar ausrufen: >Möge das Blut über die kommen, die sie verurteilen, denn Gott weiß, daß ich mit Tränen in den Augen unterzeichnet«.

Fenton brach der Schweiß aus, und er zitterte am ganzen Körper von der Anstrengung, mit der er versuchte, Glauben zu erzwingen. Charles warf ihm einen seltsamen Blick zu. »Dies alles«, fügte Fenton hinzu, »wird geschehen, wenn es nicht auf irgendeine Weise verhindert wird.«

»Wie, zum Beispiel?«

Die tiefe Stimme schien den Alkoven zu füllen. Fenton wagte seinen kühnsten Vorstoß.

»Eure Majestät werden das Parlament nicht vor 1677 einberufen .«

»Und warum nicht?«

»Weil die Euch vom französischen König gezahlten Subsidien erst dann erschöpft sind. Darf ich vielleicht auf die hunderttausend Pfund anspielen, die im Jahre 1674 vereinbart wurden?« Charles blickte ein wenig verlegen drein. Er hatte verschiedene Male Bestechungsgelder von seinem Vetter Ludwig angenommen, während er immer bestrebt war, Englands Interessen denen Frankreichs voranzustellen. Aber die bloßen Gerüchte davon brachten die Mitglieder des Unterhauses in Wut.

»Hier, Majestät«, fuhr Fenton fort, »haben wir nun die reinste Ironie. Der augenblickliche französische Gesandte, M. Savarigny, wird durch einen anderen, nämlich M. Barrillon, ersetzt. Ich fürchte sehr, daß der französische König Euch ebensowenig traut wie Ihr ihm.«

»Nanu, was für ein argwöhnischer Geselle!«

»M. Barrillon wird in Zukunft das tun, was M. Savarigny jetzt schon in kleinerem Maße tut: Er wird die tugendhafte, fromme Landpartei, die hochgesinnten Green-Ribbon-Anhänger bestechen, damit sie noch fanatischer gegen Euch hetzen!« Charles spitzte die Lippen. »Na, wenn ich das nur beweisen könnte .!«

»Majestät, die Korrespondenz zwischen Barrillon und König Ludwig von Frankreich - die der Nachwelt erhalten bleibt - wird eine Liste fast aller Bestochenen enthalten, darunter viele Mitglieder des Unterhauses und des Oberhauses. Wenn Ihr doch nur Barrillons Briefe oder Abschriften davon in die Hände bekommen könntet.!«

»Halt, Mann, nicht so hastig!«

Schweigen folgte diesen Worten. Das Gemurmel der Unterhaltung und die Klänge der Musik, bisher von beiden unbemerkt, drangen in die Nische, während Charles regungslos dasaß. Langsam wandte er den Kopf.

»Sir Nicholas«, sagte er, »Ihr behauptet immer wieder, daß diese Briefe existieren >werden<. Ich habe nur eine Frage, und zwar eine ganz einfache: Woher wißt Ihr, daß sie existieren werden?«

»Weil ich sie gelesen habe!«

»Gelesen?«

»Ja! Solche Geheimdokumente konnten zweifellos zu der Zeit nicht veröffentlicht werden. Das geschah erst gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts. Man findet sie unverkürzt im zweiten Band von .« Fenton brach entsetzt ab.

Jetzt hatte er tatsächlich den einen unabänderlichen Fehler begangen.

Doch Charles' Stimme und Ausdruck blieben unverändert. »Gibt es sonst noch etwas«, fragte er freundlich, »wovor Ihr mich warnen möchtet?«

»Allerdings, Majestät, und wenn Ihr mich ins Tollhaus schickt! Es betrifft Mr. Ralph Montagu. Ihr dürft ihn nicht als Gesandten an den französischen Hof schicken .«

»Mr. Montagu ist ein sehr geistreicher Mann, wie ich höre. Dennoch habe ich nicht die Absicht, ihn zum französischen Gesandten zu ernennen.«

»Und doch werdet Ihr es tun, Majestät, glaubt mir! Nun, wer ist Eurer Majestät fähigster und treuester Minister? Ich wage zu sagen: Mylord Danby. Wenn Mr. Montagu in Ungnade aus Frankreich zurückberufen wird, bringt er in seiner Gehässigkeit eine Reihe von Briefen mit. Einer von diesen wird 1679 vor dem Unterhaus verlesen werden und Mylord Danby und beinahe Eure Majestät selbst zu Fall bringen.«

»Nun laßt uns einmal überlegen«, sagte Charles sinnend. »Ich glaube, Euer Vater war ein guter Freund von Mylord Danby, nicht wahr?«

»Ich glaube wohl. Aber das hat durchaus nichts damit zu tun!«

»Mr. Montagu ist Euch wohl nicht sehr sympathisch, wie?«

»Ich gebe Euch mein Wort, daß ich den Mann vor heute abend noch nie gesehen habe.«

»Und wann habt Ihr Mylord Danby zuletzt gesehen?«

»Er - er hat heute abend in meinem Hause gespeist.«

»Heute abend«, wiederholte Charles nachdenklich. Und Fenton spürte, wie alle Kraft von ihm wich. Zum ersten und letzten Male in seinem Leben kniete er nieder. »Um Gottes willen, Majestät, schenkt meinen Worten Glauben! Alles, was ich gesagt habe, wird sich erfüllen!« Charles erhob sich und ging zu ihm hinüber. Er hob Fenton auf, klopfte ihm auf die Schulter und kehrte zu seinem eigenen Sessel zurück.

»Eine letzte Chance!« flehte Fenton unter Aufbietung seiner letzten Kräfte. »Stellt Ihr mir eine Frage. Nein, zwei Fragen! Wenn ich sie nicht beantworten kann, dürft Ihr mich für einen armen Irren halten.«

»Sir Nicholas, Ihr macht Euch noch ganz krank«, protestierte Charles. »Wenn es Euch Vergnügen bereitet«, fügte er hastig hinzu, »so sei es denn. Aha, ich hab's. Für die kommende Weihnachtszeit habe ich eine kleine Reise geplant. Nun, in wessen Hause und mit wem werde ich den 25. Dezember verbringen?«

Wieder einmal der 25. Dezember, der Sir Nicks und groteskerweise auch sein eigener Geburtstag war.

Ja, irgendwo war etwas von diesem Besuch erwähnt. Aber bei welchem Autor? Verzweifelt kramte Fenton in seinem Gedächtnis herum wie jemand, der in Koffern nach alten Papieren sucht. »Nun, 's ist nicht so wichtig«, versicherte ihm Charles heiter. »Auch die nächste Frage nicht. Wir befinden uns in der zweiten Woche des Juni. Nun, wo werde ich um diese Zeit im Jahre 1685 sein?«

Da Charles es vermied, Fenton anzusehen, und statt dessen die Ringe an seinen Fingern betrachtete, sah er nicht, wie das Gesicht seines Besuchers kreidebleich wurde. Denn es gab nur eine Antwort auf diese Frage.

Majestät, würde Fenton sagen müssen, an diesem Tage im Jahre 1685 werdet Ihr gerade etwas über vier Monate tot sein. Er vermochte nicht zu sprechen. Unmöglich, dem König diesen Schlag zu versetzen. Er würde ihm allerdings nicht glauben. Doch der Gedanke würde immer an ihm nagen. Die Tage dahineilen zu sehen, das Ticken der Uhr zu hören, die Krankheit zu fürchten, die das Ende herbeiführen würde . nicht auszudenken! Nur allzu deutlich sah er in seiner Phantasie die kalte Morgendämmerung in dem großen Schlafzimmer und hörte, wie eine schwache Stimme befahl, die Uhr aufzuziehen, während sich das graue Februarlicht durch die Fenstervorhänge stahl. Und Charles, der qualvolle Tage mit einem Scherz auf den Lippen durchlebt hatte, starb schließlich, den katholischen Glauben im Herzen. »Majestät«, antwortete Fenton mit klarer Stimme, »ich kann es Euch nicht sagen.«

»Und damit ist die Sache erledigt«, sagte Charles lächelnd. In verändertem Ton fuhr er fort: »Nein, ich heiße Euch nicht verrückt. Dieser prophetische Geist, dessen Äußerungen manchmal zutreffend, aber öfter falsch sind, macht sich in allen alten Familien bemerkbar. Henri etta besaß ihn auch. Das ist vielleicht der Grund .« Er brach unvermittelt ab und hob die Hand. »Nun, Sir Nicholas, Ihr sagt, Ihr seiet hier, um mich zu warnen. Aber, Schockschwerenot! Wie sehr muß ich Euch erst warnen!«

»Mich warnen, Majestät?«

»Ich brauche Euch nicht zu sagen, daß Ihr ewig in Gefahr schwebt. Aber seid Ihr Euch dessen bewußt, daß Ihr einen Todfeind in Eurem Hause beherbergt?« Fenton drehte sich das Herz im Leibe um.

»Ich habe versucht, der Wahrheit auf den Grund zu kommen. Wollte Gott, ich könnte sie finden!« rief er aus. »Zum Beispiel!« sagte Charles und legte die Fingerspitzen zusammen, »wurdet Ihr am 10. Mai in einer kleinen, abgelegenen Straße, der Totenmannsgasse, von zwei Raufbolden angefallen, und zwar auf Anstiften des Green-Ribbon-Klubs. Doch woher konnten sie wissen, daß Ihr gerade zu der Zeit dort sein würdet? Irgend jemand muß ihnen einen Wink gegeben haben. Ist Euch der Gedanke noch nicht gekommen?«

»Majestät, daran habe ich als erstes gedacht. Sobald ich abends nach Hause kam, erkundigte ich mich bei meinem Türhüter, was für Briefe am Vormittag das Haus verlassen hätten. Sie schienen alle harmlos zu sein.»

»Dann ahnt Ihr also nicht, wer Euch verraten hat? Und das zu wiederholten Malen?«

»Ich fürchte, nein.«

»Sir Nicholas, es war Eure eigene Gattin.«

Es folgte ein kurzes Schweigen. Fenton stand auf und blickte in die halbverschleierten rotbraunen Augen. »Majestät«, sagte er in aller Ruhe, »Ihr lügt.« Abermals Schweigen. Selbst die leichten Geräusche der Festhalle schienen ausgelöscht zu sein.

Charles ließ die Hand schwer auf die Armlehne fallen. Seine kräftigen Finger umklammerten sie, und man hörte ein leises Krachen im Holz, als er sie seitwärts bog. Mit dem Fuß stieß er den schweren Schemel, auf dem sein Bein ruhte, fort, so daß er mit dumpfem Aufprall gegen einen ledernen Paravent flog und ihn beinahe umwarf. Fentons Blick wich und wankte nicht. Er sah die Wut der Stuarts, die immer gefährlich und unbestimmbar war. Er beobachtete, wie sie sich in den halbverhüllten Augen langsam verwandelte: zunächst in Verwirrung und dann in staunenden Zweifel. Dieser Mann, schienen die bestürzten Augen zu sagen, ist ja ehrlich. Der Zweifel wurde Überzeugung und schließlich sogar Bewunderung.

Charles erhob sich und stand hoch über seinem Gefährten. »Mann, ich liebe Euch dafür!« brummte er mit tiefer Stimme und so viel Aufrichtigkeit, wie er je empfinden konnte. »Welcher Kriecher, welcher Schmeichler an diesem Hof hätte das wohl zu sagen gewagt? Mein Bruder, ja; aber James ist zu ehrlich, um an seine Haut zu denken.«

Unvermittelt streckte Charles die Hand aus. »Hört auf mit dieser albernen Handküsserei«, sagte er, »ergreift meine Hand in Freundschaft, und denkt daran, daß ein unbesonnener Mann auch dankbar sein kann!«

Fenton stand mit gesenktem Kopf und geballten Fäusten vor ihm. »Ich bitte Euch demütigst um Verzeihung, Majestät, aber ich würde selbst die Hand des Schöpfers nicht anrühren, wenn er nicht seine Worte zurücknähme oder deren Wahrheit bewiese.« Charles machte eine leichte Verbeugung.

»Ja, Ihr habt recht«, sagte der König von England, der weit würdevoller den Tadel entgegennahm, als ein anderer Mann ihn zurückgewiesen hätte. »Ihr sollt Euren Beweis haben. Kennt Ihr die Handschrift Eurer Gattin?«

»Ich kenne sie sehr gut, Majestät.«

Aus einer Innentasche zog Charles einen dünnen grauen Briefbogen, der für das Siegel vierfach gefaltet, jetzt aber sehr zerknittert und mitgenommen war.

»Dieser Brief«, bemerkte er, »wurde beschlagnahmt, nachdem sein Inhalt auf mündlichem Wege an den Green-Ribbon-Klub weitergeleitet worden war. Bitte, lest ihn, Sir Nicholas.« Fenton versuchte, ihn mit steter Hand zu entfalten. Sein Auge erkannte sofort Lydias Handschrift und das Datum des 10. Mai, 10 Uhr morgens. Dann las er:

Er ist soeben von mir gegangen. Ich bin in seinem eigenen Schlafzimmer, wo er mir sagte, daß meine Krankheit von einem Doktor geheilt werden kann. Aber er ist nach unten gegangen, um die Diener, arme Kreaturen, mit einer guten Neunschwänzigen Katze zu stäupen. Das Stäupen, nehme ich an, dauert wohl über eine Stunde. Aber Ihr werdet ihn bestimmt zwischen Mittag und ein Uhr in der Totenmannsgasse finden, die wohl beim Strand ist, da er dies in meiner Gegenwart gesagt hat. Es mag früher oder später sein. Alles für eine gute Sache.

Eure Lydia F.«

Es war merkwürdig. Etwas schien mit Fentons Augen nicht in Ordnung zu sein, und es zitterten ihm die Knie.

»Ich - ich sehe«, sagte er deutlich, »daß dies an eine Mrs. Wheeler, Schneiderin, >La Belle France<, Covent Garden, adressiert ist.«

Charles machte eine ungeduldige Bewegung. »Nun ja, sie müssen doch einen Sammelplatz für die Nachrichten ihrer Spione haben, und der ist gewiß nicht im >Königshaupt.< Dieser hier ist gut ersonnen; denn wer würde eine Schneiderin verdächtigen?«

»Waren«, Fenton räusperte sich, »waren noch andere Briefe vorhanden?«

»Ich glaube, ja. Einen davon hätten wir beinahe in die Hände bekommen, wenn nicht.«

»Wenn nicht meine Frau eine - eine andere Schneiderin gefunden hätte, nicht wahr?«

»Nun, in dieser Sache müßt Ihr Euch an meine Staatssekretäre wenden. Aber dieser eine Brief Eurer Gattin ist mir noch im Sinn. Unser Mann versuchte, ihn abzuschreiben, mußte aber eilends aufhören und ihn wieder versiegeln. Eine der Zeilen lautete: >Wenn Ihr ihn nicht das nächste Mal tötet, verlasse ich den Green-Ribbon-Klub.<«

Mechanisch wiederholte Fenton die Worte.

Dann versuchte er niederzuknien, aber das Zittern in seinen Beinen hinderte ihn daran.

»Majestät«, sagte er, »ich - ich möchte versuchen, eine Entschuldigung für meine törichten Worte vorzubringen.« Der König ergriff seine Hand und zog ihn empor. »Eure Entschuldigung ist akzeptiert, Sir Nicholas«, sagte Charles mit ernster Miene. »Reden wir nicht mehr davon. Aber Ihr seht doch . Nanu, Mann! Was ist denn los?«

»Ach, Majestät, ich bin nur über den Stuhl gestolpert. Jeder kann über einen Stuhl stolpern, auch Ihr.« Charles betrachtete ihn nachdenklich.

»Nun, was hat das für einen Grund? Hm! Wie ich von allen Seiten höre, lebt Ihr mit Eurer Gattin in bitterer Zwietracht und schreit Euch gegenseitig an vor Wut.«

»Eure Berichterstatter, Majestät, befinden sich . im Irrtum.«

»Nun, und selbst wenn es sich so verhält! Schockschwerenot! Was liegt schon an einem Frauenzimmer? Sie sind alle gleich in dem, was sie einem Manne bieten können.« Zögernd wandte er sich ab. »Doch muß ich bekennen, daß ich gern an die alten, längst vergangenen Tage mit Frances Stuart zurückdenke. - Laßt Euer Herz nicht mitsprechen, Mann!« sagte er mit leidenschaftlicher, erstickter Stimme und wandte sich wieder um. »Das ist die wichtigste Regel im Leben.«

»Ich werde versuchen, danach zu leben, Majestät. Habe ich nun Eure Erlaubnis, mich zu verabschieden?«

»Aber gewißlich, wenn Ihr es wünscht. Ihr habt Euch als treuer und zuverlässiger Untertan erwiesen, Sir. Gibt es keine Auszeichnungen, womit ich Euch belohnen kann?«

»Keine, obwohl ich die Huld Eurer Majestät zu schätzen weiß. Ich. einen Augenblick! Es gibt doch etwas, worum ich Euch bitten möchte!«

»Laßt es mich hören.«

»Am Rande von Whitehall lebt ein alter Mann, der sich Jonathan Reeve nennt, in Wirklichkeit aber der Graf von Lowestoft ist, obwohl ihm Titel und Güter unter Oliver entwendet wurden.«

»War er nicht«, unterbrach ihn Charles plötzlich, »mit Euch zusammen im >Königshaupt>? Gehörte er nicht zu den dreien«, und die tiefe Stimme zitterte vor Stolz, »die ein Hoch auf mich ausbrachten, als Ihr die Treppe gegen dreißig Degen verteidigtet!1«

»Das ist der Mann, Majestät. Aber er ist alt und hilflos und gebrochen, und von anderen nimmt er keinen roten Heller; ich hab's versucht. Es wäre zu begrüßen, wenn das Schatzamt ihm seinen Titel und seine Güter zurückgäbe.«

»Es soll geschehen. Aber wie steht's mit Euch selbst?« (Wenn Ihr ihn nicht das nächste Mal tötet, werde ich .) »Ich habe keinen Wunsch, Majestät, nur den, Euch nach besten Kräften zu dienen.«

»Aber ich werde doch eine Vorsichtsmaßregel treffen!« erklärte Charles grimmig. Er zog einen Kameenring von seiner rechten Hand und schob ihn Fenton auf den Finger.

»Wenn sie Euch mit Degen angreifen, Sir Nicholas, haben wir nichts zu befürchten. Aber Mylord Shaftesbury mag sich Euch gegenüber feinerer Tricks bedienen. Sollte er dies versuchen, schickt mir diesen Ring, und er wird nicht ohne Beachtung bleiben. Mein Vater gab ihn mir. Unsere Namen sind darin eingraviert.«

(Ihr werdet ihn in der Totenmannsgasse finden. Lydia, Lydia, Lydia!)

»Ich danke Euch, Majestät.«

»Nun, Kopf hoch! - Mr. Chiffinch!« rief Charles mit donnernder Stimme, die sofort eine Totenstille in der Festhalle hervorrief. Chiffinch schlüpfte um einen Paravent herum. »Sorgt dafür«, befahl der König, »daß Sir Nicholas in einer meiner Kutschen nach Hause gefahren wird. Danach kehrt hierher zurück.«

Als Fenton rückwärtsgehend den Alkoven verließ, brachte er trotz seiner schlotternden Knie eine höfische Verbeugung zustande. »Ihr Diener, Majestät», sagte er.

Als er und Chiffinch gegangen waren, strich sich Charles eine Zeitlang unentschlossen über die Wangen. Dann trat er wieder an den kleinen Kamin, stützte die Hände auf den Kaminsims und blickte auf die glühende Asche der Holzscheite hinab. In dieser Haltung verharrte er, selbst als Chiffinch zurückgekehrt war. »Und was haltet Ihr von ihm, Will?« fragte er, ohne sich umzudrehen.

»Ach, ich kann aus dem Mann nicht klug werden«, brummte Chiffinch, der eine privilegierte Rolle einnahm. »Aber er ist grundehrlich.«

Charles schwieg eine Weile.

»Wenn ich zynisch bin, Will, so habe ich allen Grund dafür. Armut und Verbannung haben von jeher den Verstand geschärft. Und wenn ich wenigen Männern und gar keinen Frauen mein Vertrauen schenke, so ist das ebenfalls begründet. Dennoch .« Er trat mit dem Fuß gegen den mittleren Holzblock, der unter einem Funkenregen zusammenfiel.

»Ich will Euch eins sagen, Will! Sir Nicholas ist ein Mann, dem das Herz gebrochen ist.«

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