XXII

Fenton hob den schweren Stuhl auf, der an dem Tisch stand, schwang ihn in der Hand und fand, daß er als Waffe genügte. Er trug ihn auf Zehenspitzen zu einem halbdunklen Winkel jenseits des Westfensters und wartete.

Mit äußerster Vorsicht wurde erst der eine, dann der andere Riegel zurückgeschoben.

Aufgepaßt, dachte Fenton und umklammerte, vor Erregung zitternd, den Stuhl fester.

Zuerst dachte er an Meuchelmord. Aber wenn er auch unwiderruflich in der Vergangenheit eingekapselt war, so lebte er doch schließlich unter Charles dem Zweiten und nicht unter Richard dem Dritten. Die Zeiten waren vorbei, wo in den tiefen Verliesen des Towers unglückselige Menschen unter der Folter schrien oder schwarzgekleidete Männer mit geschwärzten Gesichtern die enge Todestreppe zum Bloody Tower, dem Blutigen Turm, hinaufschlichen.

Jetzt wurde ein großer Schlüssel ins Schloß gesteckt, und als er sich langsam drehte, schnappte das Schloß zurück wie der Hahn einer leeren Muskete.

Ein heller Streifen Mondlicht fiel auf den Boden, als sich die Tür öffnete. Fenton konnte seinen Besucher atmen hören. Es war eine Frau, die ein langes schwarzes Cape mit runder, spitzenbesetzter Kapuze trug.

Fenton stellte den Stuhl wieder auf den Boden. Er hätte sich denken können, wer kommen würde.

Es war Meg York, aber eine in undefinierbarer Weise veränderte Meg York. Vielleicht war das Mondlicht daran schuld. Sie legte den Schlüssel auf den Tisch und schob die Kapuze zurück. Ihr Haar fiel in langen schwarzen Locken auf ihre Schultern herab, und ihr Gesicht, das keine Spur von Härte oder Ironie zeigte, war das Gesicht Mary Grenvilles. Fenton überlief ein kalter Schauer, weil es ihm wie eine Maske erschien. Meg behielt eine Hand unter dem Cape, als trage sie eine Waffe. Unwillkürlich tasteten seine Hände wieder nach dem Stuhl.

Lautlos kam sie auf Fenton zu und blieb dicht vor ihm stehen. Es schien Mitleid und Verständnis in ihren Zügen zu liegen, was ihm bei einer Maske unheimlich vorkam. Als sie ihn anredete, geschah es fast im Flüsterton.

»Ich weiß, du kannst keine Zärtlichkeit für mich empfinden. Dennoch mußt du tun, was ich dir sage, denn ich bin hier, um dir zu helfen.«

Fenton blickte sie nur schweigend an.

»Ich sage dir«, drängte sie, »du mußt dich eilen! Du hast keine Stunde zu verlieren, wenn du nicht sterben willst. Das schwör' ich dir!«

»Nun, ich glaube nicht. Sie halten mich zwar in Haft wegen Hochverrats, das gebe ich zu .«

»Aber .!«

»Aber im Hinblick auf Sir Nicks hohen Namen und Stand und seine Würde als Parlamentsmitglied können sie mich nicht einfach wie einen Verbrecher ins Newgate-Gefängnis werfen. Sie müssen einen parlamentarischen Strafbeschluß im Unterhaus gegen mich erwirken, und das Parlament, mein Liebling, wird erst im Jahre 77 einberufen.«

»Wenn du nicht innerhalb einer Stunde entkommst«, sagte Meg, »ist alle Hoffnung dahin.« Sie blickte ihn sehnsüchtig an. »Kannst du mir denn kein Vertrauen schenken?«

Fenton verzog den Mund zu einem schwachen Lächeln. »Wieder einmal?« fragte er höflich.

Meg schloß die Augen und preßte eine Hand aufs Gesicht, als wolle sie sich mit dieser leidenschaftlichen Gebärde eine gewaltige Macht aneignen.

»Soll ich wieder mit dem Tode liebäugeln«, sagte er, »indem ich deiner Wärme und deinem Verlangen traue? Was bist du schon? Ein Dämon der Unterwelt, dessen wahre Berührung so kalt wie Eis ist. Und wo ist dein Meister?«

»Mein .?«

»Ich meine den Teufel. Er muß doch sicher in unserer Nähe sein. Halt, ich habe eine Idee: ruf ihn herbei, mein Liebling! Ich möchte eine dritte Audienz bei ihm haben und ihn besiegen wie vordem!«

Meg, von Schrecken erfaßt, blickte sich ängstlich um und sank fast auf die Knie.

»Schweig!« flüsterte sie. »Du darfst nicht solche Worte sprechen! Ich bitte dich!«

Fentons Gesicht war verzerrt wie eine Totenmaske. »Nun, ist er uns denn so nahe?«

»Er ist weit, weit fort und hat dich vergessen. Du bedeutest ihm nicht mehr als ein Tropfen Wasser im Ozean. Er hat mir versprochen .«

»Versprochen?«

»Er hat mir versprochen«, sagte Meg, »daß er dich nicht mehr belästigen will. Aber wenn du ihn rufst oder sagst, du habest ihn besiegt.«

»Ich habe ihn zumindest halbwegs geschlagen. Seine Sticheleien und sein Zorn haben mich allerdings in Furcht aus dem Haus getrieben, während du halbnackt auf der Ottomane saßest und mich haßtest, weil ich fortging. Aber meine Furcht galt Lydia. Die Geschichte hat gewonnen, nicht der Teufel. Du hast selbst gehört, wie dein Meister voller Wut eingestand, daß ich meine Seele gerettet hätte. Das war mein Sieg.«

»Schweig! Schweig!«

Plötzlich wandte sie den Kopf von einer Seite zur anderen. »Horch! Was war das für ein Geräusch?« fragte sie. »Die Löwen da draußen«, meinte er, »sind wohl etwas unruhig. Ich habe sie schon öfters in der Nacht gehört. Vielleicht wittern sie deine Gegenwart - große und kleine Katzen, sie ziehen sich gegenseitig an.«

»Nenne mich, wie du willst«, sagte Meg. »Doch im Grunde bin ich Mary Grenville, wie du Nicholas Fenton aus Cambridge bist. Ich, die ich dir in die Vergangenheit folgte, kann nicht anders, ich muß dich lieben. Und ich will dich nicht sterben sehen.« Abermals preßte sie eine Hand vors Gesicht. »Ach, mir steht bald der Verstand still! Aber wenn ich dir einen Beweis für meine guten Absichten erbringe, willst du mich dann anhören?« Sie trat näher an ihn heran und hob die klaren grauen Augen zu ihm auf, die so offensichtlich ohne Falsch waren und ihn stets aus der Fassung brachten.

»Ich . ich will dich anhören.«

»Na also! Ist denn die Tür deines Kerkers nicht unverschlossen?« fragte sie mit einer Geste ihrer freien linken Hand. »Du bist ein weitaus besserer Schwimmer als ich, obwohl ich auch nicht als schlecht galt in jenen Tagen, als wir noch zusammen in Richmond schwammen. Spring von der Festungsmauer, schwimme unter dem Kai durch, und dann bist du frei!«

»Frei! Und wo soll ich dann bleiben?«

»Hast du an diesem Abend schon einmal aus dem Südfenster deiner Zelle geblickt?«

»Allerdings.«

»Hast du dann nicht ein großes Schiff am anderen Ufer bemerkt? Mit zwei grünen Laternen an der . an der . ach, ich kann diese Namen nicht alle behalten.«

»Macht nichts. Das Schiff ist mir aufgefallen. Und was für eine Bewandtnis hat es damit?«

»Es ist die Prince Rupert, das Linienschiff Seiner Majestät«, erwiderte Meg, »das etwa sechzig Geschütze an Bord hat. Es ist deinetwegen dorthin beordert. Du brauchst nur dreihundert Meter zu schwimmen und bist in Sicherheit. Das Schiff wird dich zu irgendeinem Hafen in Frankreich bringen, den du dir aussuchst.« Fenton starrte sie ungläubig an und wollte sprechen. Doch Meg legte ihm die Hand auf den Mund.

»Ich habe noch mehr zu berichten«, sagte sie mit bebender Stimme. »In dieser Nacht sind alle Wärter und Soldaten des Towers bis auf ein paar Posten zu einem großen Trinkgelage in die Wohnung des Gouverneurs im Wakefield Tower befohlen. Dort sitzen sie jetzt hinter verhängten Fenstern. Dieses Geheimnis ist nur dem Gouverneur und zum Teil auch Colonel Howard anvertraut. Falls dich nicht ein Posten erspähen sollte, ist die Bahn frei!«

»Ich bin entzückt«, erklärte Fenton ausdruckslos. »Nun, wer hat denn eigentlich ein Linienschiff für meine Wenigkeit hierher beordert und den Gouverneur des Towers zu einer Pflichtverletzung verleitet?«

»Der König selbst!«

Als Meg diese drei Worte gesprochen hatte, schrak sie vor Fentons kaltem, höflichem Blick zurück.

»Nun«, sagte er lachend, »dann spielt der König ein höchst erstaunliches Spiel. Mit einer Hand wirft er mich in den Tower, und mit der anderen errichtet er ein kompliziertes Gefüge, um mich herauszubekommen. Wäre es nicht einfacher gewesen, wenn er mich gleich freigelassen hätte?«

»Nein! Nein! Gebrauche deinen Verstand! Du hast doch eine Audienz beim König gehabt, nicht wahr?«

»Ganz recht.«

»Dann mußt du doch wissen, daß er offiziell mit keiner Maßnahme etwas zu schaffen haben will. Mit keiner. Und Mylord Shaftesbury ist seit über vierzehn Tagen wieder in London. Lieber Dummkopf, der König hat dich nicht in den Tower bringen lassen, um dir zu schaden. Er tat es, um dich zu retten!«

»Um mich zu retten?« Fenton hielt inne. »Fast überzeugst du mich.«

»Lieb Herz«, sagte Meg, und diese Anrede bestürzte ihn. Ihre Augen verdunkelten sich; so tief war sie bewegt. »Ich hatte gehofft, du würdest mir Vertrauen schenken. Es war dumm von mir. Möchtest du nun Beweise?«

»Ja!«

Meg fuhr mit der linken Hand unter das Cape, wo sie ganz offensichtlich eine Waffe verborgen hielt. Sofort schwang Fenton den schweren Stuhl in die Höhe, um ihr den Schädel zu zertrümmern, falls sie mit Dolch oder Degen zustoßen sollte. Dann begann der Stuhl in seinen Händen zu wackeln. Denn was Meg ihm reichte, war ein schwerer, gefalteter Briefbogen. Sie hielt aber noch einen zweiten Gegenstand unter ihrem Cape versteckt. Zwischen Glauben und Mißtrauen hin und her gezerrt, ließ Fenton den Stuhl sinken.

»Schon einmal«, flüsterte Meg, erschrocken lächelnd, »hättest du mich beinahe mit einem Stuhl getötet. Weißt du noch: in meinem Schlafzimmer in deinem Haus? Und ich hätte dich aus Eifersucht fast mit einem Dolch erstochen. Macht nichts.« Sie entfaltete den Bogen. »Es ist hell genug, um zu lesen, was hier geschrieben steht.«

Hastig nahm er den Bogen und trat damit in das weiße, strahlende Mondlicht, das durch das Westfenster in den Raum flutete. Obgleich keine Unterschrift vorhanden war, so war es doch unverkennbar die Handschrift des Königs.

»Sir N. F., Ihr hättet eigentlich Vertrauen zu mir haben sollen. Aufrichtig gesprochen, seid Ihr mir viel zu nützlich, um Mylord S. in die Hände zu fallen. Auch stehe ich in Eurer Schuld, weil ich Euch irregeführt habe. Leider wurde ich hintergangen, und ich war sehr aufgebracht, als ich davon erfuhr. Ich beziehe mich auf die falsche Anklage gegen Eure Gemahlin. M. Y. wird Euch von einem großen Schurken erzählen. Gehorcht ihr. Ihr dürft bald zurückkehren. Vernichtet diesen Brief.«

Fenton senkte den Kopf.

Langsam zerriß er den Brief in sehr kleine Stücke und ließ sie durch die Eisenstäbe hindurch in den Wallgraben flattern. Er mußte sich mehrere Male räuspern, ehe er sprechen konnte. »Meg, ich verstehe dies alles nicht. Irgendwie bin ich zu einer kleinen Marionette in dem Theater der Politik geworden. Du hast recht. Ich muß gehen.«

Meg, der die hellen Tränen über die Wangen liefen, zog jetzt die rechte Hand aus dem Cape. Was sie ihm diesmal entgegenhielt, war sein Clemens-Hornn-Degen in der alten, mit genarbtem Leder überzogenen Scheide, dessen dünne Ketten leise gegen das Degengehenk klirrten.

»Meg!«

Fenton holte tief Atem. Als er sich das Degengehenk umschnallte, fühlte er sich in so gehobener Stimmung, wie er sie lange nicht gekannt hatte. Er machte zwei energische Schritte auf die unverschlossene Tür zu. Dann aber zögerte er und kehrte zu Meg zurück.

»Liebe Meg, ich muß dir gegenüber ehrlich sein«, sagte er. »Ich werde entfliehen, ja. Aber - aber ich habe nicht die Absicht zu dem Kriegsschiff zu schwimmen.«

Megs Augen weiteten sich in ungeheurem Entsetzen. »Nein!« rief er so laut, daß der Klang in dem steinernen Gemach widerhallte. Fenton wunderte sich im stillen, ob nicht irgendein unsichtbarer Posten es gehört hatte. Meg umklammerte seine Arme.

»Das geht nicht!« flüsterte sie. »Sonst machst du alles zunichte!«

»Meg, hör mich an. Als sie mich hierherbrachten, war es meine erste Absicht, Briefe an Giles oder gar George Harwell zu senden, um ihnen zu sagen, wer Lydia vergiftet hat. Meg, diese Übeltäterin war Kitty Softcover; keine andere! Danach wollte ich mir eine Waffe beschaffen, mich auf meine Wächter stürzen und in ehrlichem Kampf sterben, um so . hm . wieder mit Lydia vereint zu sein. Was habe ich denn noch vom Leben zu erwarten?«

Meg rüttelte ihn heftig am Arm. »Nein! Nein! Nein!«

»Aber jetzt«, flüsterte Fenton, »habe ich einen Degen. Ich kann entfliehen, die Schuld dieser Dirne von Alsatia beweisen und dann ein Dutzend Green-Ribbon-Leute zum Kampf reizen, um mein Ziel zu erreichen. Es steht zwar in Giles' Manuskript, daß ich erst 1714 sterbe. Aber ich glaube, das Dokument ist eine Fälschung oder eine Fopperei.«

»Ganz recht», erwiderte Meg, und ihre Zustimmung war ein Schock für ihn trotz seiner eigenen Worte.

Aber sie ging nicht weiter darauf ein. »Sag mir eins«, bat sie in einem so seltsamen und heftigen Ton, daß ihm angst und bange wurde. »Sag mir, habe ich mich als zuverlässig erwiesen?«

»Nun . wer könnte es leugnen?«

Sie ließ seinen Arm los und rannte zum Westfenster. Sie schien die Stellung des Mondes zu studieren und rang die Hände. Dann kehrte sie zu ihm zurück.

»Die Zeit entflieht und damit dein Leben. Aber ein paar Augenblicke bleiben uns noch. Wenn ich dir alles enthülle, wirst du zum Kriegsschiff und nicht an Land schwimmen.« Megs Augen, die jetzt grauschwarz waren, hielten ihn in Bann. »Es widert mich an, dir die Wahrheit zu sagen. Aber ich muß es tun«

»Die Wahrheit?«

»Hör gut zu und gib mir ehrlich Antwort. Wann hast du mich zuletzt gesehen?«

»Das habe ich dir doch gesagt. Ich . nun, du saßest halbnackt auf der Couch, voller Haß gegen mich, weil ich vor dem Teufel floh.«

»In jener Nacht«, erwiderte Meg, »war ich von einer abscheulichen Gehässigkeit erfüllt, weil ich Angst hatte vor der Nähe des . des .«

»Deines Meisters?«

Ihre Antwort war so leise, daß er sie kaum verstand. »Ich will ihn nicht Meister nennen, wenn du hier bist. Kannst du dir nicht vorstellen, warum ich zum Tower gekommen bin? Ich möchte mich von ihm lossagen. Ich möchte mich von ihm lossagen, da -« Sie blickte mit tränenerfüllten Augen zu ihm auf. »Aber reden wir nicht davon!«

»Kannst du dich denn von ihm lossagen?«

»Ich weiß es nicht. Ich kann's nur versuchen.« Ihre scharfen Fingernägel krallten sich in ihre Brust. »Du hast wohl meine frühere Religion vergessen. Wenn ich wieder in die Kirche aufgenommen werde - ganz gleich, was für eine Buße man mir auferlegt -, kann er mir nichts anhaben. Denn gegen diesen Glauben ist die Hölle machtlos.«

Meg senkte den Kopf, so daß ihre glänzenden Locken sich an ihre Wangen schmiegten. Dann aber hob sie rasch den Blick und sprach wieder in dem seltsamen Ton.

»Aber noch bin ich seine Kreatur. Wenn nicht sein großes Auge und Ohr weit von hier mit anderen Dingen beschäftigt wären, so würde er seine Hand vom anderen Ende der Welt ausstrecken, um .«

»Er soll's nur versuchen«, meinte Fenton.

»Nein! Denke nicht mehr daran. Möchtest du mich verletzt und gequält sehen?«

»Gott bewahre!« sagte Fenton und schloß sie fest in die Arme. »Du hast mich also zuletzt in jener ekelhaften Nacht in der Liebesgasse gesehen. Ich aber sah dich .«

»Wann?«

»In deinem eigenen Haus, und zwar an dem Abend, als du von dem Dragonerhauptmann gefangengenommen wurdest. Ich habe meine Lippen blutig gebissen, als ich sah, wie krank du warst. Bei der Gelegenheit beobachtete ich, wie du voller Verachtung den Ring fortschleudertest, den dir Seine Majestät gegeben hatte.«

»Meg, woher wußtest du, daß ich einen solchen Ring empfangen hatte?« Fenton hielt plötzlich inne. »Stammte dieses Wissen vom Teuf. von ihm?« Meg nickte.

»In jener häßlichen Nacht in der Liebesgasse, als du fort warst, erzählte er mir alle deine Gedanken und schilderte, was dir demnächst und in Zukunft geschehen würde. Vor dieser Erzählung hat er. aber das gehört nicht hierher.« Meg erschauerte. »Lieb Herz, ich kann die Zukunft prophezeien.«

»Du weißt also, was mir vom Schicksal widerfahren wird?«

»Ja, und es ist nicht angenehm. Erkennst du endlich mein Vorhaben? Um deinetwillen möchte ich dir helfen, den Lauf der Geschichte zu ändern, wie du es für jemand anders versucht hast.«

»Wobei ich versagt habe.« Fenton preßte Meg an sich. Mit fester Stimme fügte er hinzu: »Setz deine Erzählung fort. Du sahst also, wie ich den Ring fortschleuderte.«

»Ja. Und da die Diener mit Mrs. Pamphlin beschäftigt waren, konnte ich den Ring an mich nehmen. Am nächsten Morgen war ich in Whitehall und ersuchte um eine Audienz beim König.«

Trotz der ungeahnten Gefahren, die ihn umdrängten, spürte Fenton einen kleinen Stich von Eifersucht.

»Ich darf wohl annehmen«, sagte er, »daß der König, wie es so häufig in den Märchen vorkommt, sofort deinen Reizen zum Opfer fiel und dir alle Wünsche erfüllte, nicht wahr?«

»Nein, nichts dergleichen«, erwiderte Meg, und ihr Ton ließ erkennen, daß sie verletzt, ja zornig war. »Tagelang konnte ich keine Audienz erlangen. Schließlich packte mich die Verzweiflung, und da gelang es mir durch Bitten und Schmeicheln, direkt in sein Beratungszimmer vorzudringen.«

»Und dann?«

»Nun, da saß er, umgeben von zwei oder drei Herren, am Ratstisch und unterzeichnete einen großen Haufen von Papieren. Gewiß, seine Augen leuchteten auf, als er mich sah, und er entließ die anderen Herren. Doch er sagte nur: >Madam, ein Spiegel wird Euch zeigen, wie sehr ich meinen Mangel an Zeit bedaure. In welcher Angelegenheit seid Ihr gekommen?<

Woraufhin ich ihm das Notwendigste erzählte und ihm dabei zu verstehen gab, daß ich genausoviel wußte wie er selbst. >Ich bin mir bewußt<, sagte ich zu ihm, >daß Ihr Sir Nick Fenton zum Tower verurteilt habt, um sein Leben zu sichern. Es ist Euch bekannt, daß Mylord Shaftesbury wieder in der Stadt ist. Und Eure Spione haben Euch verraten, daß Mylord einen sehr bösen Anschlag gegen Sir Nick im Schilde führt.<«

»Um was für einen Anschlag handelt es sich?« fragte Fenton heiser.

»Seine Majestät«, fuhr Meg unbeirrt fort, während ihr Haar seine Wange berührte, »war höchst erstaunt, als ich so sprach. Ich sehe ihn noch vor mir mit seinem düsteren Gesicht und diesen Augen, die einen so unauffällig erforschen, dazu das Sonnenlicht auf den gemalten Fensterscheiben .«

»Meg! Hör auf mit dem Geschwätz! Was hat's mit diesem Anschlag auf sich?«

Er fühlte, wie ein Zittern durch ihren ganzen Körper lief. »Aber der König war in gnädiger Stimmung, da er entdeckt hatte, daß die Anklagen gegen Lydia grundlos waren. Ein infamer Schurke gab vor, einen Brief von Lydia gelesen zu haben. Ein solcher Brief existierte überhaupt nicht. Weißt du seinen Namen?«

»Wer war es?«

»Ein Mann, dessen Ehre du vor den Augen der Green-Ribbon-Lords zuschanden gemacht hast. Sobald sein Bein wieder geheilt war, schlich er sich davon und bot Whitehall seine Dienste an. Aber nach Aufdeckung seines Betruges mit dem Brief ist er dann wieder zum Green-Ribbon zurückgekehrt.«

»Doch nicht etwa Captain Duroc?«

»Mein - mein früherer Beschützer, Captain Duroc.«

Fenton wurde von einer solchen Wut gepackt, daß er kaum zu atmen vermochte. Seine linke Hand fiel auf den Degenknauf. In Gedanken sah er die sehr große, ganz in Weiß gekleidete Gestalt, wie sie aalglatt und höhnend vor ihm gestanden hatte.

»Also überzeugte ich Seine Majestät davon«, fuhr Meg in lauterem, aber ebenso raschem Ton fort, »daß er ein Schiff, irgendein Schiff senden müsse, um dich zu entführen. Heute brauchte ich nur in Begleitung eines Wärters, der mir verliebte Kulleraugen machte, in den Tower zu marschieren und dann bei Colonel Howard Zuflucht zu suchen, bis . Nein«, flüsterte sie atemlos, »ich darf nicht länger so müßig reden. Ich muß dir von Mylord Shaftesburys bösem Anschlag erzählen. Nun! Er beabsichtigt.« Meg brach jäh ab.

Das mächtige Gebrüll eines Löwen im Zwinger durchbrach die nächtliche Stille. Ein zweiter Löwe antwortete, dann ein dritter und ein vierter. Dazwischen ertönten schrille Schreie und das heisere Fauchen der anderen Raubtiere.

Meg und Fenton standen beide wie erstarrt. Eine von der Themse herüberwehende Brise ließ das Laub der Bäume auf dem Tower-Anger rascheln. Am nordöstlichen Fenster blitzte ein schwacher Lichtstreifen auf.

Fenton lief zu diesem Fenster hinüber und entdeckte die Ursache: an einem oberen Fenster im Wakefield Tower, zweifellos in dem Raum, wo Wärter und Soldaten beim Trinkgelage versammelt waren, hatte jemand den schweren Vorhang zur Seite gezogen, so daß der Lichtschein nach draußen fiel. Ein Schatten erschien am Fenster. Da der Wakefield Tower keine hundert Meter entfernt war, schallten die Stimmen deutlich herüber.

»Bei Gott!« brüllte ein Offizier der Fußgarde in angeheitertem Ton. »König Charles ist heute abend gut bei Stimme!«

»König Charles?» stieß Meg hervor, die neben Fenton getreten war.

»Sachte! Keine Angst!« beruhigte sie Fenton, obwohl es ihn heiß und kalt überlief. »Der größte Löwe in der Menagerie wird immer nach dem regierenden Monarchen genannt.« Der Löwe brüllte von neuem.

»Potztausend!« gellte eine andere Stimme vom Fenster des Wakefield Towers. »Wir haben Sir Roberts Gastfreundschaft schon viel zu lange in Anspruch genommen. Es muß eine Viertelstunde auf Mitternacht sein.«

»Kopf hoch, mein Freund, und leeren wir noch einen letzten Humpen auf einen verdammt guten Krieg!«

Meg flüsterte Fenton aufgeregt zu: »Sir Robert, der ein nüchterner Mann ist, kann sie nicht über Mitternacht hinaus halten. Er gerät in Verdacht, wenn man entdeckt, daß du entkommen bist.« Die Brise hatte sich inzwischen verstärkt, und plötzlich flog die schwere Tür zum Postengang, die Meg nicht ganz fest geschlossen hatte, auf und krachte gegen die Wand mit einem Lärm wie ein Kanonenschuß.

Im Wakefield Tower, wo sich jetzt viele Gestalten an die Fenster drängten, herrschte auf einmal tiefstes Schweigen. Fenton eilte an die offene Tür. Draußen konnte er einen Teil des Postenganges und die brusthohe Festungsmauer mit den bis zur Hüfte reichenden Scharten sehen. Er konnte den frischen Wind auf seinem Gesicht spüren und das Schäumen des Wassers in der Tiefe hören. Zwei Schritte, ein Sprung und .

»Himmel! Was ist denn am Middle Tower los?«

»Middle Tower? Es sind die Aufseher in der Menagerie, die die Türen der Käfige zugeknallt haben!«

Und was würde mit Meg geschehen, dachte Fenton, wenn ich sie verließe? Bedächtig schloß er die Tür und kehrte wieder zu ihr zurück.

Hoch oben auf dem Tower-Anger bewegte sich die Laterne eines Postens.

»Und wie steht's mit Lord Shaftesburys Anschlag?« fragte Fenton keuchend. »Oder sagen wir lieber: was für einen Tod hat die Geschichte für mich vorgesehen?«

Megs Knie bebten. Sie mußte sich an den Eisenstangen des Fensters festhalten.

»Du wirst entweder auf deiner Flucht von hier niedergeschlagen«, erwiderte sie, »oder .«

»Na, na, ich kann nicht auf zweierlei Art sterben!«

»Du - du kennst doch des Teufels merkwürdigen Humor«, sagte Meg stockend. »Entweder auf die eine oder die andere Weise. Aber du mußt die Geschichte ändern und beide Geschicke ab wenden! Denn der Teufel wollte mir nicht verraten, welches Schicksal dir beschieden ist.«

»Und die andere Todesart? Komm, schnell!«

»Oh, Gott, steh mir bei!« seufzte sie. »Meg!«

»Du wirst mit Steinen und Schmutz beworfen, wenn du halbtot auf deinem Sarg sitzt in dem Karren, der dich vom Newgate-Gefängnis nach Tyburn bringt, und in Tyburn wirst du an dem hohen Galgen hängen und unter einem Regen von Steinen langsam ersticken! Siehst du nun endlich, warum du dich in aller Hast auf das Schiff flüchten mußt?«

»Nein!«

»Kitty Softcover war an dem Abend, als Lydia starb, in deinem Haus. Aber diese Kreatur hat Lydia nicht vergiftet!«

»Nein ...? Wer war es dann?«

»Du hast Lydia vergiftet«, stieß Meg hervor. »Und Kitty Softcover hat dich beim Richter und bei Mylord Shaftesbury denunziert.«

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