IX

NICHT KLEIN war die Überraschung von Oheim und Neffe, als sie sich so mitten im Forst von Sherwood trafen, aber größer war die Überraschung auf Seiten des alten Grafen als bei Hugh. Die Gesellschaft zwar, in welcher Hugh seinen ehrwürdigen Verwandten fand, mochte den jungen Edelmann etwas betroffen machen; denn die Freibeuter des Waldes, der verschwenderisch überhäufte Tisch, das Weinfaß und die Trinkbecher - das alles bildete freilich eine Umgebung, in der er seinen Oheim zu finden nicht erwartet hatte. Mit der Ehrerbietung jedoch, die in jener Zeit gegen Alter und Ruhm an den Tag gelegt wurde, hütete er sich, sein Erstaunen zu zeigen, stellte auch keine Fragen, sondern stieg vom Pferde und begann sofort der Aufforderung seines Oheims zu entsprechen, der Aufklärung verlangte, warum er umgekehrt sei, statt den Grafen von Ashby auf seinem Wege entweder nach Lindwell oder nach London zu begleiten.

Nachdem er kurz von dem plötzlichen Verschwinden Lucy de Ashbys berichtet hatte, sprach er von seiner Suche im Sherwood.

»In der letzten Nacht durchstreifte ich den Wald in einer Breite von etwa zwei Meilen, ohne die leiseste Spur von irgend jemand zu entdecken, der an der frevelhaften Tat könnte Anteil gehabt haben. Einmal begegnete ich einem Schweinehirten und dann einem Bauern mit zwei Töpfen, die Lehm in einem Karren führten, aber sonst keiner Menschenseele. - Warum lächelt Ihr, guter Waidmann?« unterbrach sich der junge Edelmann, sich an Robin Hood wendend.

»Weil, edler Herr«, versetzte der Geächtete, »die Leute im Forst von Sherwood nicht immer das sind, was sie scheinen. Es ist hier schwer, eine Aaskrähe von einer Amsel zu unterscheiden.«

»Ich mag allerdings getäuscht worden sein«, sagte Hugh de Monthermer. »Ob es nun aber Aaskrähen oder Amseln waren: Sie hatten keine Dame bei sich. In Orton übernachtete ich im Hause des Vogts. Heute bei Tagesanbruch ward ein Mann zu mir gebracht, der berichtete, daß er gestern gegen Mittag drei vornehme Damen zu Pferd, begleitet von einer Anzahl Männer zu Fuß, gesehen habe. Sie sollten die Richtung nach Mansfield eingeschlagen haben.«

»Gab der Mann zu verstehen«, fragte der Graf, »daß die Leute, die die Damen begleiteten, Gewalt gebrauchten?«

»Nein«, erwiderte Hugh de Monthermer. »Er versicherte, daß sie ganz willig mit ihnen zogen. Dennoch dachte ich, es könne sonst niemand sein als das von mir gesuchte Fräulein mit ihren Dienerinnen.«

»Als ob es kein Weib weiter auf der Welt gäbe als Lucy de Ashby!« rief der alte Graf. »Was sagt Ihr zu dieser Geschichte, Robin? Ihr solltet wissen, ob sie dieses Weges gekommen?«

»Keine vornehmere Dame als die Tochter eines Freisassen ist des Weges nach Mansfield gezogen«, antwortete Robin Hood. »Aber hat Euch der gute Mann nicht mehr gesagt? - Seine Nachrichten müssen ziemlich dürftig gewesen sein.«

»Er sagte mir«, erwiderte Hugh de Monthermer, und ein Lächeln zeigte sich für einen Augenblick auf seinem Gesicht, das sonst den Ausdruck von Besorgnis trug, »ich solle mich auf meinem Wege vorsehen, denn ich könnte leicht Robin Hood und seinen Leuten begegnen und mit einem Verlust heimkommen.«

»Hm! - Und ohne Zweifel habt Ihr geantwortet, Ihr würdet Euch nicht fürchten, sondern wolltet Robin Hood, wenn Ihr ihn träfet, als Gefangenen nach Nottingham bringen?«

»Nein, im Gegenteil, ich habe ihm gesagt, daß ich sehr froh sein würde, Robin Hood zu sehen, und daß ich gewiß sei, wir würden uns als gute Freunde begegnen, da er und mein Oheim Seite an Seite für die gute Sache von Altengland gefochten hätten.«

Robin Hood bot ihm die Hand. »Ihr habt recht gesprochen, junger Lord; obwohl ich Euch sagen muß: Nicht jeder junge, muntre Herr, der den Sherwood passiert, kommt wieder heraus, ohne daß ihm sein schmuckes Fell vom Rücken gezogen worden wäre. Aber Ihr seid gerade zu rechter Zeit gekommen. Laßt Euern Oheim weiterziehen und dem Grafen von Ashby, wenn er ihn trifft, sagen, Robin Hood meine, der Verlust seiner Tochter sei die Strafe dafür, daß er ein Auge zugedrückt habe, als Richard de Ashby das Kind eines so ehrlichen Mannes, wie er selber ist, entführte. Wenn ich Lucy de Ashby in meinen Händen hätte, sie sollte nicht eher zurückkehren, als bis der alte Graf sein Wort gegeben, die eitle Kate Greenly zurückzusenden. - Ihr aber, Lord Hugh de Monthermer, bleibt bei mir, um mit mir die Maßnahmen zu beraten, die nach den an mich einlaufenden Nachrichten erforderlich sind.«

Hugh de Monthermer warf einen mißtrauischen Blick zuerst auf das Gesicht des Geächteten, dann auf das seines Oheims und fragte: »Habe ich Euer Wort, daß sie nicht dieses Weges gekommen ist?«

»Ihr habt es!« antwortete der Waidmann.

Der junge Mann sann ein paar Augenblicke nach; denn der Verdacht war in ihm aufgetaucht, daß Robin Hood mehr vom Schicksal von Lucy de Ashby wissen dürfte, als er gestehen mochte.

Doch in seine Überlegungen hinein sagte der alte Graf: »Es ist sehr nötig, Hugh, daß Ihr, wenn möglich, hier bei Robin Hood bleibt, wie er von Euch verlangt. Nach Eurer Erzählung habt Ihr das junge Fräulein viel gründlicher gesucht, als ihr Euch verpflichtet hattet. Es ist mir auch mehr als wahrscheinlich, daß ein Beauftragter des Königs oder des Grafen von Gloucester - der kürzlich von de Montfort öffentlich für einen Verräter erklärt worden ist - sich der schönen Lucy bemächtigt habe als Geisel für ihres Vaters Neutralität.«

»Gloucester für einen Verräter erklärt!« rief Hugh de Monthermer aus. »Dann sind unruhige Zeiten zu erwarten, und ich will mich nicht weigern, hier zu bleiben, wenn es nötig ist. Aber was soll ich mit meinen Männern anfangen? Zwei davon gehören dem Lord von Ashby - und wo kann ich meine Pferde einstellen?«

»Schickt sie alle weg, außer Euerm eignen Streitroß«, sagte der Geächtete. »Ihr fürchtet Euch sicher nicht, allein zurückzubleiben bei Robin Hood - oder Robert von den Lees, wenn Euch der Name besser gefällt!«

»Nicht im mindesten. Ich weiß, ich bin bei Euch so sicher wie in meinem eignen Schlosse. - Nehmt denn meine Leute mit Euch, Oheim. - Und Ihr, Freund«, fuhr er fort, zu einem der Diener des Grafen von Ashby sich wendend, »berichtet Euerm Lord, daß ich das junge Fräulein mit allem Eifer gesucht habe, bezeugt, daß ich...«

»Nun gut, ich will jetzt fort«, sagte der alte Graf ungeduldig. »Ich schlafe heute nacht in Stapleford und ziehe morgen weiter nach Derby. Folgt mir schnell, Hugh. Solange Ihr im Sherwood hier bei unsern guten Freunden weilt, seid Ihr sicher, aber ich will Euch zehn Bogenschützen in Stapleford zurücklassen, und, falls ich die Straßen gefährlich finde, Euch auch einige Lanzen von Derby aus entgegenschicken. Wenn Ihr durch heute nacht eingehende Nachrichten erfahrt, daß der Krieg schon begonnen hat, so verabredet mit dem kühnen Robin ein Aufgebot von so vielen Yeomen als möglich und sorgt, daß sie zu mir stoßen, wo ich gerade dem Feind die Spitze biete.«

Mit diesen Worten setzte der Graf den Fuß in den Steigbügel, schwang sich mit Leichtigkeit in den Sattel, ergriff noch einmal die Hand des Geächteten und ritt, von einem lauten Zuruf der Waidmänner begleitet, fort.

»Jetzt, mein junger Lord«, sagte Robin, nachdem er ein paar Augenblicke dem tapferen, stattlichen alten Grafen nachgeschaut hatte, »nehmt ein Stüde von dem Lendenbraten dort nebst einem Becher Bordeauxwein. Es wird Euch gut tun.«

»Nein«, versetzte Hugh, »gebt mir einen von diesen Gerstenkuchen und den Wein, von dem Ihr sprecht. Wo rasten wir heute nacht?«

»Etwa drei Meilen von hier, auf dem Wege nach Nottingham«, antwortete der Waidmann.

Während Hugh de Monthermer aß und trank, gab Robin John Naylor leise einige Befehle. Dann wandte er sich an die übrige Festgesellschaft.

»Jetzt, meine lustigen Männer und hübschen Mädchen, zerstreut Euch. Die tüchtige Schultern haben, sollen alles wegräumen, was übriggeblieben ist, und es den Armen in den Dörfern der Umgebung geben.«

Rasch begann nach diesen Worten die auf dem grünen Platz versammelte Menge sich zu zerstreuen. Einige schlenderten die Straße entlang fort, andere verschwanden unter den Bäumen, und die Zurückbleibenden zeigten sich geschäftig, die Schüsseln und Teller vom Tisch wegzuräumen.


Hugh de Monthermer hatte seine Mahlzeit rasch beendet, und ihre Pferde besteigend, ritten sie fort in den Wald.

»Ihr werdet heute abend besser speisen«, sagte Robin unterm Reiten.

»Ich weiß nicht«, versetzte der junge Lord. »Ich bin in Sorge um die junge Dame, Robin, und Sorge macht eine schlechte Tunke zu dem schmackhaftesten Braten.«

»Ist sie eigentlich schön?« fragte Robin mit einem schalkhaften Lächeln.

»Wahrhaftig, das ist sie!« antwortete Hugh de Monthermer überzeugt. »Und mehr als schön. Sie hat jene Art von Zauber an sich, der sich mit nichts vergleichen läßt als mit dem hellen Morgensonnenschein, der alles, was er berührt, mit neuer Lieblichkeit erfrischt.«

»Seid Ihr gewiß, ob dieser Zauber nicht Liebe ist?« fragte Robin Hood. »Aber laßt uns von andern Dingen sprechen. Hier müssen wir von der Straße abbiegen, und ich werde Euch nun durch Pfade führen, die keinem Richter bekannt sind. Obgleich ich Eurer ritterlichen Ehre vertrauen könnte, muß ich hier doch von Euch eine Zusage verlangen, die jeder gibt, der diesen Weg geführt wird. Die nämlich, daß Ihr alles, was Ihr seht oder hört, bis ich Euch wieder auf diese Straße führe, vergessen wollt, sobald Ihr mich verlaßt, und es niemand mitteilen wollt. Niemand, selbst nicht Eurem Beichtiger!«

Hugh de Monthermer gab das von ihm verlangte Versprechen ohne das mindeste Bedenken, und nachdem dies geschehen, geleitete ihn der Waidmann auf einem schmalen Pfade in ein Walddickicht, wo schöne alte Eichen über einer unermeßlichen Menge von Gesträuch und Buschwerk emporragten. Da und dort sah man allerdings Striche grünen Grasbodens, und ein paar sandige Bühle lugten unter dem Buschwerk empor.

Nach etwa einer halben Meile war alle Spur eines Weges zu Ende; aber ohne das mindeste Besinnen ritt Robin Hood weiter voran, mit nie fehlender Sicherheit die verschiedenen grünen Linien treffend, die eine Masse Buschwerk von der andern trennten, jetzt seinen Begleiter durch eine tiefe Schlucht, dann um eine sandige Erhebung herum geleitend.

Als die Sonne unterging, hatten sie den niedersten Punkt der Waldgegend erreicht und näherten sich einem mehrere Acres bedeckenden Walddickicht. Hier war auf einer Seite ein durch das Unterholz gehauener Pfad, den Robin und sein Begleiter einschlugen, und eine Strecke weit im Dunkel weiterziehend - denn die Bäume ließen nichts von dem noch übrigen Tageslicht eindringen gelangten sie endlich auf eine Lichtung.

Gegenüber der Mündung des Weges, auf dem sie kamen, befand sich ein Gebäude von eigentümlicher Bauart. Es bestand aus runden Steinen, die aufeinandergetürmt und zusammengekittet waren, während Fenster und Türen Simse von behauenem Stein zeigten, überall von kurzen, schmalen Säulen unterstützt. Efeu hatte den größten Teil des Gebäudes überwuchert, aber es drang Lichtschein aus den Fenstern, und einen Augenblick hielt Robin Hood sein Pferd an, als wollte er lauschen.

»Hier«, sagte er schließlich, »lebte und herrschte ein angelsächsischer Recke, als die Bäume im Sherwood noch jung waren. Die Erinnerung an das Gebäude ist entschwunden samt den Menschen, die darin wohnten, und es ist endlich der Wohnsitz eines Sohns desselben Stammes geworden, als er geächtet ward wegen seiner Liebe zu seinem Vaterland.«

Загрузка...