XXV

RICHARD DE ASHBY stieg langsam die Treppe zu seinem Zimmer hinauf, blieb aber beim ersten Absatz überlegend stehen und kehrte wieder um. Er trat in die Küche, in der eine große Zahl von Dienstleuten das Nachtessen einnahm, und winkte einem seiner Diener, der in der Nähe des Feuers saß.

Der Mann sprang auf und kam zu ihm an die Tür. Leise sagte Richard zu ihm: »Ihr müßt Euer Pferd besteigen, sobald es gefüttert ist, und durch das Land jagen, als gälte es Leben oder Tod, um einen Brief von mir an Lord Alured zu überbringen. Haltet Euch in einer Stunde bereit.«

»Was? Heute nacht, Sir?« fragte der Diener gedehnt.

»Ja, heute nacht, Schurke!« antwortete Richard herrisch. »Heute nacht, sag' ich! Murrst du etwa?« Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich um und schritt wieder die Treppe hinauf.

Der Gasthof war ein rohes, altes Gebäude mit einem viereckigen Hof in der Mitte. Es hatte zwei Stockwerke über dem Parterre, und zwei Reihen übereinanderliegender offner Gänge liefen um das Haus herum.

Nach dem obersten dieser Gänge wandte sich jetzt Richard de Ashby; denn da er spät angekommen, hatte er überhaupt nur schwer noch ein Unterkommen gefunden. Vor dem letzten Zimmer auf der rechten Seite verhielt er den Schritt. Nachdem er eine Minute in finsterem Nachsinnen stehengeblieben war, riß er die Tür auf und trat ein.

Das Zimmer war geräumig; denn es nahm eine Ecke des Gebäudes ein und hatte Fenster nach beiden Seiten. In dem großen Kamin loderte ein Holzfeuer, und in die wechselnde Flamme schauend, saß davor die unglückliche Kate Greenly, den Kopf auf die Hand gestützt.

»Geh zu Bett!« schrie Richard de Ashby zornig, sobald er sie sah. »Habe ich dich nicht vorhin schon zu Bett gehen heißen?«

»Ich hatte über vieles nachzudenken«, antwortete das Mädchen, indem es aufstand. »Ich wollte, du hättest mich zurückgelassen, Richard. Ich komme nicht gern meiner ehemaligen Heimat so nahe.«

»Es ist mein Wille«, versetzte er, indem er an dem Tisch Platz nahm. »Das muß dir genug sein. Geh zu Bett, sag' ich. Ich muß etwas Wichtiges schreiben.«

Kate trat einen Schritt auf ihn zu. »Sag mir zuerst, Richard: Willst du mich, da du meiner überdrüssig bist, zurückbringen zu der einst glücklichen Behausung, von der du mich vor noch nicht sechs Monaten weggeführt hast? Wenn es das ist, so will ich nicht weiter mit dir gehen.«

»Du wirst tun, was ich befehle«, versetzte er finster. »Ich bin heute abend nicht in Stimmung zu disputieren. Du willst nicht weitergehen? Beim Himmel! Du könntest mich zu dem Entschluß bringen, dich mit Gewalt zurückzuschleppen. Aber ich will dich gar nicht wegschicken, und weißt du, warum? Nicht etwa, weil ich dich liebe. Aber sie haben von mir verlangt, ich solle dich zurücksenden. Sie haben es mir befohlen! Und darum will ich nicht! Geh zu Bett, sag' ich, und belästige mich nicht länger. - Was - Hugh de Monthermer zu Gefallen dich zurücksenden!«

»Er ist wirklich ein Gentleman«, sagte Kate trotzig. »Und er meinte es in Wahrheit gut mit mir, obgleich ich es nicht begriff.«

»Du bist eine Närrin!« rief Richard. Ehe sie sich's versah, war er aufgesprungen und hatte ihr mit der flachen Hand einen Schlag ins Gesicht versetzt. »Geh zu Bett, Dirne«, schrie er sie an, »und laß mich deine Zunge nicht mehr hören!«

Kates flammende Augen funkelten ihn an, als wollte sie ihn töten. Aber dann wandte sie sich ab, stürzte vor ihrem Bett auf die Knie und murmelte heftige Verwünschungen.

Als sei nichts geschehen, setzte er sich wieder an den Tisch, auf dem die Lampe stand, und holte aus einem großen ledernen Sack Schreibmaterial hervor. Aber bevor er den Brief anfing, den er noch in dieser Nacht abschicken wollte, brachte er fast eine halbe Stunde in tiefem Nachdenken zu. Einmal während dieser Zeit schaute er sich nach der von ihm so schnöde mißhandelten Kate Greenly um, aber sie hatte sich schon zur Ruhe begeben. Da er ihre tiefen, langen Atemzüge hörte, vermutete er, sie habe sich wie ein Kind in den Schlaf geweint. Dann hing er wieder seinen Gedanken nach.

Der alte Narr! dachte er. Ich muß mich nur wundern, daß - da doch so mancher mutige, starke Mann bei Evesham fiel, ehe die Schlacht nur eine halbe Stunde getobt hatte - dieser schwache alte Graukopf den ganzen Tag unverwundet blieb! Wäre er getötet worden, so hätte es für mich einen großen Unterschied gemacht und wäre doch für niemand ein Schaden gewesen!

Aber mein stierköpfiger Vetter Alured ist beinahe ein ebenso großes Hemmnis auf meinem Wege wie der Alte selbst. Wenn er allein an der Spitze des Hauses Ashby stände, würde es nicht lange dauern, bis er heiratete, um meinen Ansprüchen mit einem ganzen Haufen gesunder, weißköpfiger Kinder für immer Tür und Tor zu versperren. Ich hätte Hoffnung, wenn er gegen Hugh de Monthermer einen Zweikampf wagte; denn unseres Feindes Lanze könnte mir einen Dienst leisten und meinen edlen Vetter in die andere Welt schicken. Doch ist es vielleicht besser, den alten Mann zuerst zu seinem Richter zu schicken. - Ja, so muß es gehen! Wenn man den Verdacht für den Mord an Alureds Vater auf Hugh de Monthermer lenkte, würde Alured ihn alsbald dieser Tat anklagen, und ein Zweikampf wäre unausbleiblich. Ich müßte ein Narr sein, wenn ich es nicht dahin zu bringen wüßte, daß Alureds eitle Stärke Monthermers Geschicklichkeit unterläge. Zudem gehen auf diesem Felde solche Männer nicht lebend auseinander. - Es ist kein geringer Preis, der auf dem Spiele steht: das Grafentum Ashby, die großen Ländereien, die Wälder und als Krone des Ganzen die Hand der schönen Lucy selbst; denn sind ihr Bruder und ihr Vater tot, so muß sie notwendig mein Mündel werden und dann mein Weib! Ja, es muß gehen! - Und seine Stirn auf die Hände stützend, überlegte Richard de Ashby die Mittel, seinen Plan in die Tat umzusetzen.


Einige Minuten schwankte er, ob er seinem Vetter schreiben solle oder nicht. Aber dann sagte er sich, daß dessen Anwesenheit ihn nur in Schwierigkeiten verwickeln würde. Er wollte vielmehr an Ellerby schreiben, von dem er wußte, daß er zu jeder verzweifelten Tat bereit war, und der bei seiner Erfahrung immer ebenso furchtlose und gewissenlose Leute fand.

Nachdem Richard de Ashby seinen Entschluß gefaßt hatte, stand er auf und ging hinunter in die Küche des Gasthofes. Dort war ein fröhliches Gelage im Gange, und es war für den Reitknecht, der, bereit abzureisen, unten wartete, eine sehr tröstliche Nachricht, daß sein Gebieter seinen Vorsatz geändert hatte und ihn jetzt nicht fortschickte, obwohl er Befehl erhielt, sich mit dem Hahnenschrei zum Aufbruch bereitzuhalten. Nachdem Richard de Ashby diese Weisung erteilt, begab er sich wieder in sein Zimmer und schrieb nun einige Zeilen an den Mann, dessen rücksichtslosen Beistand er begehrte.

Als er den Brief siegeln wollte, konnte er weder Wachs noch Seide finden. Er legte ihn deshalb wieder auf den Tisch und brummte vor sich hin.

»Er muß bis morgen warten; aber ich werde dafür sorgen, daß heute nacht niemand hereinkommen und ihn lesen kann.«

Damit wandte er sich zur Tür und verriegelte sie. Nachdem er noch einige Minuten nachsinnend zugebracht hatte, entkleidete er sich und legte sich, ohne die Lampe zu löschen, zur Ruhe nieder.

In der folgenden Stunde war alles still, sein tiefer Atemzug war der einzige Laut, den man hörte, außer den gelegentlich vernehmbaren Stimmen von anderen Teilen des Hauses her. Plötzlich aber schlüpfte Kate Greenly hinter den Vorhängen ihres Bettes hervor und trat an den Tisch.

Richard de Ashby hatte über den Brief, den er geschrieben, den Dolch liegenlassen, mit dessen Knauf er hatte siegeln wollen, und Kate Greenly hob mit zusammengepreßten Lippen die Waffe auf, zog sie aus der Scheide und befühlte die scharfe Spitze.




Im Augenblick darauf stieß sie die Klinge in die Scheide zurück, drückte ihre Hand an die Stirn und murmelte.

»Nein, nein! Das nicht! Indessen, die Zeit kann kommen, Richard, die Zeit kann kommen! - Aber ich will dich auf jeden Fall in meiner Gewalt haben«, fuhr sie fort, indem sie den Brief aufnahm und entfaltete.

»Kommt zu mir mit größter Schnelligkeit, Ellerby«, las Sie halblaut, sich über die Lampe beugend. »Ich habe für Euch einen zehnendigen Hirsch zu erlegen. Mein Plan ist gemacht, und ich bin entschlossen, die Scheidewand zu stürzen, die zwischen mir und der Sonne steht. Wenn es uns gelingt - und der Erfolg ist gewiß! -, soll die Belohnung im Verhältnis stehen mit der Tat: zehntausend Pfund Silber für den Anfang! Aber Ihr müßt drei oder vier Männer mitbringen, geeignet und bereit, eine mutige Tat zu vollführen. So zögert denn nicht und eilt dem sicheren Erfolg entgegen. - Der Eurige, so gewiß Ihr Euch willig und tüchtig zeigt, R. A.«

Kate Greenly las zu wiederholten Malen die Zeilen, als wollte sie sie unauslöschlich ihrem Gedächtnis einprägen. Dann faltete sie das Papier wieder zusammen, legte es auf den Tisch und den Dolch darauf.

»Ich kann es nicht glauben«, murmelte sie dabei. »Er mag ein armes Mädchen wie mich mißhandeln. Aber Mord - der Mord an einem Verwandten? Nein - und doch«, fuhr sie fort, »was könnten die sonderbaren Worte anderes bedeuten? Ich wollte, ich hätte das Papier nie gelesen! Aber nun ich dies weiß, muß ich mehr herausbekommen.«

Kate Greenly schlich in aller Stille wieder in ihr Bett. Das gefährliche Geheimnis, zu dessen Mitwisserin sie geworden war, verbannte den Schlaf von ihren Augen. Stunde um Stunde lag sie da und bemühte sich, eine andere Deutung des Briefes zu finden. Aber sie hatte schon mehr als einmal von Richard de Ashby verdächtige Anspielungen vernommen und kam so immer zu demselben Schluß.

Als endlich der Morgen graute, schlossen sich ihre schweren Augenlider für eine Weile, und sie schlummerte noch, als Richard aufstand und seine Vorbereitungen zur Abreise traf. Er merkte nicht, daß der Brief gelesen worden war. Ungestüm weckte er sie, damit sie ihm Wachs und Seide suche, womit er den Brief siegelte. Nachdem er ihn durch seinen Boten abgeschickt, brach er selbst auf nach Nottingham, wohin er das unglückliche Mädchen mit sich führte, von nur zwei Dienern begleitet.

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