ZWEITÖNE oder - wie man damals sagte - zwei Worte auf dem Horn waren das Signal, womit Robin Hood seine Rückkehr ankündigte. Sofort fuhr etwa vier Meter über dem Boden ein großer und seltsam geformter Kopf zu einem der Fenster des Hauses heraus. Hugh war nicht wenig überrascht, als der Leib mit außerordentlicher, schlangenähnlicher Geschmeidigkeit nachfolgte, bis die Knie den Fenstersims erreichten. Dann schwangen sich die Füße herüber, und die ganze Gestalt hing an dem Hause, während eine Hand an dem Steinwerk des Fenstersimses sich hielt und die andere eine Mütze im Kreis schwenkte. Im nächsten Augenblick ließ das Wesen den Griff der linken Hand fahren und kam trotz des tiefen Falles auf die Füße zu stehen.
Hugh glaubte anfänglich, einen riesenhaften Affen vor sich zu haben, so außerordentlich war die Gelenkigkeit des Knaben. Seine Arme waren von ungewöhnlicher Länge und schienen länger als der ganze Körper zu sein. Im Augenblick jedoch, wo die Gestalt den Boden erreichte, hörte der junge Ritter eine menschliche Stimme von auffallend angenehmem Ton:
»Ho, Robin, ho!« sagte der Knabe auf englisch (Zu jener Zeit war das normannische Französisch die Sprache des Hofes). »Seid Ihr endlich doch heimgekommen? Ihr habt ein festliches Mahl gehalten im Walde, ich weiß, und Tangel zurückgelassen bei den Weibern. -Wen bringt Ihr denn da mit in dem gestickten Wams? - Wünsche Euch guten Tag, Sir«, und die Mütze in der Hand, machte er dem jungen Lord eine tiefe und groteske Verbeugung.
»Er will Euch das Pferd abnehmen, mein Lord«, sagte Robin zu Hugh gewandt. Dann ging er zur Tür des Hauses und rüttelte daran. Sie war jedoch verschlossen, und der Waidmann war genötigt, zu dem Klopfer zu greifen.
Die Tür ward schleunigst geöffnet, als man Robins wohlbekannte Stimme vernahm, und Hugh de Monthermer folgte ihm durch einen langen, dunklen Gang in einen Raum, dessen Wände mit Teppichen behängt waren.
»So, Cicely«, sagte Robin Hood zu der hübschen jungen Frauensperson, die sie eingelassen hatte, »gib Befehl, ein Zimmer für diesen jungen Lord bereitzuhalten, und sage der alten Martha...«
Seine übrigen Worte konnte der junge Edelmann nicht mehr hören, und nachdem das junge Mädchen fortgegangen war, blieb der Geächtete, wie es schien, in sehr nachdenklicher Stimmung am Fenster stehen, bis endlich der Ton einer zarten, singenden Stimme ihn aus seiner Versunkenheit riß. Er lauschte ein paar Augenblicke und sagte dann laut, obwohl er offensichtlich mit sich selbst redete: »Es ist am Ende doch kaum gerecht, Unschuldige zu strafen statt der Schuldigen, und eine Strafe ist es, obgleich sie sie leicht trägt. Ich muß aber zuerst mit ihm sprechen.«
»Ihr seid nicht allein, guter Robin«, sagte Hugh von Monthermer, der nicht Lust hatte, ein Teilnehmer der Geheimnisse des Geächteten zu werden.
Robin Hood lachte. »Es war oft mein Fehler«, versetzte er, »daß meine Zunge eine verräterische Hüterin meiner Gedanken war. Aber kommt, mein Lord, Ihr habt noch nicht gegessen. Und da ich mich noch mit einem jungen Freund über wichtige Angelegenheiten beraten will, muß ich Euch eine Weile allein lassen. Ich bitte Euch aber, verlaßt das Haus nicht, ehe ich zurück bin, was in etwa zwei Stunden geschehen wird.«
»Gut«, antwortete Hugh. »Inzwischen will ich, statt zu essen, mich lieber etwas ausruhen, nachdem ich erst, mit Eurer Erlaubnis, nach meinem Pferde gesehen und für seine Pflege gesorgt habe.«
»Überlaßt das ganz meinen Leuten«, versetzte Robin Hood, »und folgt meinem Rat. Nehmt ein Abendessen an; denn Ihr müßt vielleicht heute nacht noch weit reiten. Essen und Trinken mit Maß gibt Kraft, wo nicht gar Mut.«
Während er noch sprach, zündete er eine kleine silberne Lampe an einer der Kerzen an, die in einem großen, metallenen Wandleuchter aufgesteckt waren, und den jungen Lord ersuchend, ihm zu folgen, ging er ihm durch einen langen, schmalen Gang voran. Keine Türen waren zu sehen, weder rechts noch links, bis eine plötzliche Windung sie an eine schwerfällige, hölzerne Treppe brachte. Auf beiden Seiten war ein Seil an eisernen, in das Steinwerk der Wände eingelassenen Stützen befestigt, das als Geländer diente.
»Da«, sagte Robin Hood, indem er dem jungen Lord die Lampe reichte, »wenn Ihr hinaufgeht und die Tür gerade vor Euch droben öffnet, weidet Ihr ein Essen bereit finden. Falls Ihr müde seid und zu Bett zu gehen wünscht, ruft Cicely oder Tangel; sie werden Euch den Weg weisen. Ich muß jetzt fort, sonst versäume ich meine Zeit.«
Hugh de Monthermer nahm die Lampe und stieg mit langsamen Schritten die Treppe hinan. Als er oben war, sah er vor sich die ihm von Robin bezeichnete Tür. Obgleich aber die Weisung des Geächteten sehr klar und bestimmt gewesen war, zögerte Hugh de Monthermer doch, einzutreten; denn er hörte weibliche Stimmen drinnen sprechen. So glaubte er an ein Mißverständnis, da der Geächtete ihm keine Andeutung gemacht hatte, daß ihn jemand erwarte. Nach einer Pause der Ungewißheit näherte er sich jedoch der Tür und pochte. Eine Stimme sagte: »Kommt herein; denn wir haben keine Mittel, irgend jemand auszuschließen.«
Hugh de Monthermer blieb in der geöffneten Tür vor Überraschung wie angewachsen stehen. Das Gemach war ein kleines, niederes Zimmer, behangen mit dunkelfarbigem, bemaltem Tuch, und mit einem lodernden Feuer im Kamin. Obgleich die Einrichtung selbst für jene Zeiten altmodisch war, wirkte alles höchst behaglich. Der Boden war dick mit trocknen Binsen bestreut.
All das nahm Hugh jedoch nur mit einem halben Blick wahr; denn in einem Stuhl saß eine Dame, mit deren Anblick er so bald, und noch dazu hier, nicht gerechnet hatte.
Das Erstaunen der Dame, als sie Hugh de Monthermers ansichtig wurde, war aber nicht geringer. Sie ließ ihren Stickrahmen fallen, mit dem sie beschäftigt war, sprang auf und eilte mit ausgestreckten Händen dem Eintretenden entgegen, als wollte sie sich in seine Arme werfen.
Dann, plötzlich sich bemeisternd, schlug sie die Augen nieder, und das Blut stieg ihr heftig ins Gesicht.
Hugh jedoch besann sich nicht lange, sondern trat rasch vor, faßte die ihm entgegengestreckte Hand und drückte seine Lippen darauf. »Lucy!« rief er aus. »Hier finde ich Euch?«
»Habt Ihr mich gesucht, mein Herr?« fragte Lucy de Ashby mit einem scheuen Blick auf ihre zwei Dienerinnen, die zu Füßen ihrer Gebieterin saßen, damit beschäftigt, Seide aufzuwickeln. »Ich hoffe, Ihr kommt, uns zu befreien. - Obgleich, die Wahrheit zu sagen«, fuhr sie fort, »wir hier im Walde gut behandelt worden sind.«
»Ich bin so überrascht, Euch hier zu finden, daß mein Erstaunen Zeit braucht, um sich abzukühlen. Doch, Eure Frage beantwortend, muß ich gestehen, obgleich ich allerdings in den Sherwood-Forst kam, Euch zu suchen, komme ich doch nicht hierher, um Euch zu befreien.«
»Wie das, Herr Ritter?« fragte Lucy, und ein Schatten der vereitelten Hoffnung überzog ihr Antlitz. »Wenn Ihr kamt, um mich zu suchen, müßt Ihr doch auch gekommen sein, mich zu befreien!«
»Nein«, erwiderte Hugh de Monthermer. »Aber um Euch zu erklären, was ich meine, muß ich die ganze Geschichte erzählen; sie wird kurz sein.«
Lucy sah nach der knappen Schilderung ein, daß Hugh durch sein dem Geächteten gegebenes Versprechen gebunden war und durchaus keinen Schritt zu ihrer Befreiung tun konnte. Zudem hatte er geschworen, alles, was er hier sehen oder hören würde, als nicht vorhanden zu betrachten, und Lucy hatte selbst zuviel vom ritterlichen Geist in ihrem Wesen, als daß sie hätte wünschen können, der Mann ihrer Liebe sollte sich der Erfüllung einer gegebenen Zusage durch eine Umgehung oder Ausflucht entziehen. Sie schaute Hugh ins Gesicht und fragte ihn einfach: »Und was gedenkt Ihr jetzt zu tun?«
»In Wahrheit, teures Fräulein«, versetzte er, »ich sehe nur eine Möglichkeit: Da ich Euch nicht mit mir nehmen kann, muß ich hier bei Euch bleiben. Und wenn Robin Hood uns nicht in Freiheit setzen will, so müssen wir eben unser Leben hier unter dem grünen Laub hinbringen, die wilden Hirsche jagend und die Stunden uns mit Singen verkürzend.«
Lucy lächelte munter; denn die Vorstellung eines solchen Lebens war nicht unangenehm. Und wenn die Verhältnisse es gestattet hätten, so hätte sie gern hohen Rang und Stand und all den Tand und Flimmer der Gesellschaft aufgegeben, um mit Hugh de Monthermer im Forst von Sherwood zu bleiben und dort gemeinsam mit ihm zu leben.
Ihre weitere Unterhaltung wurde jetzt unterbrochen, da das Nachtessen aufgetragen wurde. Die zwei Liebenden setzten sich nebeneinander; Lucys Mädchen nahmen ihre Sitze ihnen gegenüber ein, und die Mahlzeit ging unter teils heiteren, teils ernsten Gesprächen vorüber.
»Nun, Lucy«, begann Hugh de Monthermer, nachdem das Geschirr abgetragen war und die Dienerinnen das Zimmer verlassen hatten, »soll ich bei Euch bleiben, um Euch zu beschützen?«
»Ganz gewiß!« antwortete sie, eine gewisse Aufregung hinter einer munteren Miene verbergend. »Ihr seid ein treuloser Ritter, wenn Ihr auch nur im Traum daran denkt, eine Dame in diesem verzauberten Schloß allein zu lassen! Sagtet Ihr nicht, Ihr wolltet hier bleiben, und wir wollten dann ein Waldleben führen - das Wild jagend und Schluchten und Höhlen mit unsern Hörnern zum Echo zwingend? Ich erkläre, es ist ganz köstlich, daran zu denken!«
»Und Ihr wollt meine Dame, und ich soll Euer Ritter sein?« fragte der Liebhaber. »Ist es nicht so, Lucy?«
»Gewiß!« antwortete seine schöne Gesellschafterin. »Ich will Euch zu meinem ganz untertänigen, pflichtergebensten Diener haben. Ihr sollt mir meine Katzen ziehen, meine Hunde abrichten, an meiner Seite reiten und immer bereit sein, zu meiner Verteidigung Eure Lanze einzulegen.«
»Und sonst nichts?« fragte Hugh de Monthermer drängend. »Darf ich nicht zuzeiten einen schöneren Titel führen?« Lucy errötete und verstummte, und Hugh de Monthermer fuhr fort: »Darf ich mich nicht auch Euern Verehrer nennen, Lucy? Soll ich nicht dereinst vielleicht den Namen Eures Gatten führen dürfen? -Lucy«, fuhr er, ihre Hand ergreifend, fort, »teures Mädchen, wenn wir hier bleiben sollten, werden wir uns bald nach einem Priester im Walde umzusehen haben. Was meint Ihr dazu?«
Indem Lucy ihre hübsche Stirn in reizendem Trotz runzelte, kehrte sie ihr glühendes Gesicht mit einer Miene schalkhafter Kühnheit gegen ihn und sagte: »Ich glaube fast, wir könnten einen finden, Hugh, wenn es nötig wäre.«
Ihr Anbeter zog sie etwas näher an sich und flüsterte ihr einige Worte ins Ohr.
»Still!« sagte sie. »Gebt Euch zufrieden; ich will Euch nicht mehr sagen.«
»Aber Ihr Hebt mich doch, Lucy?«
»Nein!« rief Lucy übermütig. »Ich hasse Euch!«
»Haßt mich nur immer so«, erwiderte Hugh de Monthermer, sie auf die Wange küssend. »Das will ich Euch gern vergeben. - Aber«, fuhr er, ernst werdend, fort, »es liegen Schwierigkeiten vor uns. Warum Robin Euch hierhergebracht hat, weiß ich nicht. Wie lange er Euch hierbehalten wird, kann ich auch nicht sagen - aber in dem Augenblick, da ich Euch zu verlassen mich entschließe, muß ich mich in größter Eile nach Wales begeben. Schlacht und Gefahr harren mein - vielleicht sehe ich Euch nie wieder. Tausenderlei Unglück kann eintreten, tausend schwarze Mißgeschicke können uns auf lange, wo nicht auf immer trennen, und gern möchte ich...«
»Sagt nicht mehr, Hugh«, rief Lucy. »Ich hebe Euch, wenn es Euch glücklich machen kann, dies von mir zu hören. Ich habe nie jemand geliebt außer Euch - mehr kann ich jetzt nicht sagen!«
Hugh belohnte dieses Geständnis mit einem zärtlichen Kuß. Doch dann fuhr er fort: »Ich meine, wir dürfen uns nicht einbilden, unsere Neigung werde auf keinen Widerspruch stoßen.«
»Aber mein Vater hält viel von Euch, Hugh!« rief Lucy. »Er achtet und rühmt Euch!«
»Aber Euer Bruder nicht. Vergebens habe ich mich um seine Achtung bemüht durch alle ehrenhaften Mittel, zu denen ein wahrhaftes Herz sich entschließen kann. Er mag mich nicht, und ich fürchte, es möchte bei kommenden Ereignissen Veranlassung zu Uneinigkeit geben, welche ihn und vielleicht auch Euern Vater darauf hinarbeiten machen könnten, uns auf immer zu trennen.«
Lucy senkte nachdenklich die Augen und blieb einige Augenblicke stumm sitzen. »Man kann sich dem Willen eines Vaters nicht widersetzen«, sagte sie endlich. »Doch muß ich nicht dem Willen meines Bruders gehorchen.«
Der junge Edelmann saß eine Zeitlang schweigend da, dann sagte er ernst: »Eines, Lucy, darf ich mir aber erbitten, und das wohl mit allem Recht und Fug: Wollt Ihr mir versprechen, die Meinige zu sein? Wollt Ihr mir versprechen, mein zu sein, was sich auch ereigne?«
Lucy sah ihm traurig ins Gesicht. »Früher oder später, Hugh«, sagte sie, »will ich es. Aber ich darf mich meines Vaters Willen nicht widersetzen. Wenn er dagegen ist, so muß ich ihm gehorchen, aber nie werde ich dann die Braut eines andern Mannes. Sie können mich schlimmstenfalls in ein Kloster schicken. Doch das wird mein Vater nicht tun; denn ich weiß, daß er mich nicht gern entbehren würde.«
»Aber wenn Euer Vater tot wäre, könnte Euch dann nicht Euer Bruder zu dem kalten Schatten des Klosters verdammen?«
»Das kann er nicht, Hugh - das darf er nicht!« versetzte Lucy.
»Er hat dazu keine Macht. Die Ländereien, die ich besitze, sind weder von ihm noch vom König von England. Allerdings - man könnte mich derselben berauben, Hugh, das ist wahr, und Lucy de Ashby würde eine Braut ohne Mitgift sein...«
»Um so willkommener, teuerste Lucy!« unterbrach sie Hugh. »Wollte Gott, daß Euer Vater gleich jetzt einwilligte, mir diese schöne Hand zu gewähren, nur mit dem Ring daran, der Euch zur Meinigen macht!«