XXVIII

DER WIND WEHTE von Süden und säuselte mild durch die Bäume, die Sonne war vor einer halben Stunde untergegangen, und der Mond stieg empor; doch war er dem Auge der im Walde Befindlichen noch nicht sichtbar. Die Nacht war so warm wie mitten im Sommer, obgleich das Jahr schon nahe am Ersterben war, und am Himmel hingen nur leichte, dünne Wolken, die kaum das ferne Glitzern der Sterne dämpften.

Unter den braunen Ästen des Waldes, gelbes Laub über sich und langes Farnkraut um sich her, saß eine Gesellschaft von sechs tüchtigen Männern in der grünen Waidmannstracht. Ihre Bogen lehnten an den nahen Bäumen, ihre Schwerter hingen von den Gürteln an ihrer Seite, einige Pferde hörte man in geringer Entfernung schnauben und kauen, und ein großer Sack lag in der Mitte, aus dem der langarmige Tangel verschiedene kalte Speisen nebst zwei großen Lederflaschen und einem Trinkbecher von Horn hervorzog. Neben dem kühnen Anführer der Geächteten, Robin Hood, saß, die Beine bequem von sich gestreckt, der alte Graf von Monthermer, jetzt ebenfalls ein Geächteter. Obgleich seine Wunden schwer gewesen und er viel gelitten an Leib und Seele, schien doch des alten Ritters Geist ungebeugt. Denn jetzt, wo das Schicksal anderer, ja seines Landes selbst, nicht mehr von seinem Rat abhing, war es, als ob eine Bürde von seiner Brust gewälzt wäre, und wie er jetzt auf dem Rasen lag, konnte er mit den Männern um sich her fröhlicher scherzen als in den Stunden seiner Macht und seines Einflusses.

»Eine schlechte Jagd, Robin!« sagte er. »Ich möchte nicht, daß man davon spricht, was wir heute erbeutet haben. Es wäre eine Schande für uns als echte Waidmänner!«

»Es ist nicht der Mangel an Geschicklichkeit, mein Lord«, versetzte Robin. »Die Nähe des Hofes ist es, die alle ehrlichen Tiere verscheucht. Wir hätten Böcke genug haben können, aber sie sind jetzt gerade sehr schlecht.«

»Wie die Zeit, Robin!« antwortete der Graf. »Indessen, wir müssen sie hinnehmen, so gut wir können, und in den Sack stecken, was uns das Schicksal zusenden mag. Hier sind Hasen genug und eine schöne Damgeiß, obgleich Ihr sie nicht gern erlegt.«

»Ich schieße nicht gern einen Pfeil auf eine Damgeiß ab", sagte Robin Hood. »Ich weiß nicht warum, aber sie kommen mir immer wie hübsche Mädchen vor, und oft hege ich in der Frühlingszeit da und sehe sie mit ihren zierlichen Schritten dahintrippeln, ihre anmutigen Köpfe hin und her bewegend und mit ihren glänzenden schwarzen Augen so bewußt und klug spähend. Ich glaube, es hegt einige Wahrheit in der alten Sage, daß Menschenseelen manchmal Besitz nehmen von einem Tierleib.«

»Nicht so oft, Robin«, erwiderte der Graf, »wie eine Tierseele Besitz nimmt von einem Menschenleib. Ich könnte Euch eine so stattliche Herde zusammenlesen am Hofe von England, als je im Schatten des Sherwood trabte oder von dem pfeifenden Schweinehirten ausgetrieben wurde, um Eicheln zu fressen auf den grünen Plätzen bei Southwell.«

»Ohne Zweifel, mein Lord«, versetzte Robin. »Die Menschen pflegen sich oft gerade am Hofe zu Bestien zu erniedrigen. - Aber komm, Tangel, was hast du da gebracht? Es ist so finster, daß ich es nicht erkennen kann.«

»Eine gewaltige Hasenpastete«, sagte Tangel, »und Flaschen mit Getränk, sie hinunterzuschwemmen. Aber die Kruste ist so hart wie eine Schuhsohle, und wenn nicht dein Messer etwas schärfer ist als dein Witz, wirst du ohne Nachtessen bleiben. Aber ich will eine Fackel anzünden, Robin, damit du dich nicht in deinen unschätzbaren Daumen schneidest und für den nächsten Monat zum Schießen untüchtig bist.«

Bald war eine Fackel angezündet, und Robin Hood und seine Freunde begannen ihre Abendmahlzeit. Als der Hornbecher einmal herumgegangen war, unterbrach plötzlich der Geächtete das Gelächter, das durch Tangeis derbe Späße soeben hervorgerufen worden war. Die kleine Gesellschaft schwieg sofort, aber kein Laut war zu hören. Robin Hood wollte die Unterhaltung schon wieder beginnen, als die Töne sich wiederholten, wenn auch noch in großer Ferne.

»Das ist Yorkley vom zweiten Grenzposten«, sagte aufspringend der Geächtete. »Es wird Euer Neffe sein, mein Lord, der zuerst geblasen hat. Ich muß antworten, damit Yorkley ihn hierherbringt.«

Er setzte sein Horn an den Mund und blies einen langgezogenen Ton darauf, sehr verschieden von dem eben gehörten, aber wohlverstanden von allen Waidmännern als Zeichen, wo ihr Anführer zu finden sei.

»Ist das nicht gefährlich, Robin?« fragte der Graf besorgt. »Ich erwarte meinen Neffen nicht, und wir sind nur sechs.«

»Wir können schnell Hilfe herbeirufen«, sagte Robin. »Zudem sind unsere Pferde in der Nähe. Aber wenn von den Nahenden irgendeine Gefahr droht, wird Yorkley sie ohnehin nicht hierherführen. Jetzt genießt noch etwas, mein Lord, und laßt den Becher wieder herumgehen. Es muß Lord Hugh sein, der sich von den Lustbarkeiten des Hofes zurückgezogen hat, um beim Mondenschein einen Ritt in den Sherwood zu machen.«

Es wurde über das Hornsignal nicht weiter gesprochen, und wieder begann der muntere Scherz um den grünen Tisch herum, auf dem ihre Mahlzeit aufgetragen war. Die Fackel, in ein Loch im Boden gesteckt, ergoß ihr Licht über die Gesichter im Kreise, und ein Lied, gesungen von einem der Waidmänner, verkürzte fröhlich die Minuten, bis endlich wieder das Horn viel näher ertönte, worauf Robin seine Antwort gab. Nach etwa drei Minuten sah man die Gestalten eines Mannes zu Pferd und eines anderen zu Fuß neben ihm durch die Bäume daherkommen, und die Blicke der um die Fackel Sitzenden richteten sich auf sie.

»Wer ist das?« rief der Graf. »Mein guter Yeoman Tom Blawket, so wahr ich lebe! Er hat seinen alten Lord aufgefunden, sogar im Sherwood!«

Die Augen Blawkets waren, während er heranritt, nicht müßig gewesen, und obgleich der Graf jetzt wie ein Waidmann gekleidet war, fand ihn doch der treue Diener augenblicklich heraus. Vom Pferd springend, faßte er des alten Grafen Hand mit hebevoller Ehrerbietung.

»Nun, Blawket«, sagte der Graf, seine Hand auf des Yeomans Schulter legend, »ich freue mich, dich zu sehen, mein guter Freund, obgleich dein Kommen etwas gefährlich sein mag.«




»Ich komme nicht ohne Grund, mein Lord«, sagte Blawket, »und ein trauriger Grund ist es dazu. Ich muß mich meiner Botschaft rasch entledigen; denn es ist keine Zeit zu verHeren. Euer Neffe, Sir, ist verhaftet worden wegen Verdachts auf Hochverrat. Man hat ihn mit drei maskierten Männern im Wald sprechen sehen. Er wagte nicht zu sagen, daß einer davon Ihr, mein Lord, gewesen seid, weil ein Preis auf Euren Kopf gesetzt ist. Auf sein erstes Wort, daß Ihr in der Nähe seid, würde die Hälfte der Höflinge sich aufmachen, Euch durch den Sherwood zu hetzen.«

»Laßt sie kommen!« sägte Robin Hood ruhig. »Wir würden sie gut unterhalten.«

»Er weigerte sich, ihre Fragen sogleich zu beantworten«, fuhr Blawket fort, »und hat eine Frist von vierundzwanzig Stunden gewonnen - das heißt, bis morgen um zwei oder drei Uhr. Inzwischen bleibt er als Gefangener in scharf bewachter Haft. Daher läßt er Euch bitten, mein Lord, in aller Eile auf Eure Sicherheit bedacht zu sein, indem Ihr diese Gegend des Waldes verlaßt und Euch weit weg von Nottingham begebt.«

»Wo ist der Prinz?« fragte der alte Graf.

»Er ist nach Derby gegangen, wie ich höre«, versetzte der Yeoman, »wo einige Bauern mit derben Fäusten nicht wissen, daß der große Graf von Leicester tot ist.«

»Das sind in der Tat schlechte Nachrichten«, sagte Robin Hood nachdenklich. »Wir können, fürchte ich, nicht Nottingham-Castle stürmen und den Lord Hugh in Freiheit setzen.«

»Schlechte Nachrichten, in der Tat«, wiederholte der Graf. »Ich weiß nicht, ob ich nicht geradezu an des Königs Hof gehen und den armen Hugh rechtfertigen soll, oder...«

»Nein, mein Lord«, rief Robin Hood, »das taugt nichts. Ich habe immer gefunden, daß es das beste ist, wenn jemand von gesunder Einsicht uns bittet, ihm zuliebe dies oder jenes zu tun, dann nicht mehr tun zu wollen, als was er verlangt. Sonst zerstören wir oft, weil wir nicht alle geheimen Ursachen seines Wunsches kennen, seinen Plan, während wir ihn zu verbessern glauben. Er verlangt, daß Ihr von hier weggeht, mein Lord. Es wird das beste sein, ihm hierin zu willfahren. Ich aber will bleiben, ja, diese Nacht Nottingham noch näher rücken. Die Schloßmauern müßten dicker und stärker sein, wenn ich nicht alles erfahre, was darin vorgeht. Noch mehr: Sollte dem guten jungen Lord Gefahr drohen, so wollen wir schon Mittel finden, ihm Hilfe zu leisten. Seid ohne Furcht! Alles, was Euer Neffe wünscht, ist, daß er durch Eure Entfernung an einen sicheren Ort instand gesetzt werde, ohne Gefahr für Euch zu gestehen, mit wem er hier im Wald sich besprochen hat. War es nicht so, Tom?«

»Genau so«, versetzte der Yeoman, »und er schien gar nicht niedergeschlagen. Aber des Königs Leute sind hitzig genug hinter ihm her, das ist klar; denn ich merkte, daß sie mir beinahe bis Lambley Haggard nachspürten, und deswegen komme ich so spät, sonst wäre ich schon vor zwei Stunden hier gewesen. Ich fand einen von ihnen, der noch in der Nähe des Grenzpostens wartete. Da er dort einen hübschen Knaben neckte, der sich verirrt zu haben schien, fing ich mit dem Wurm Händel an und bearbeitete ihn so, daß er einige Wochen lang keinem ehrlichen Mann nachspüren wird, selbst wenn er heute nacht seine Knochen noch nach Nottingham zurückzuschleppen imstande sein sollte.«

»Wohlgetan, Yeoman! - Gut so, Tom!« riefen mehrere Stimmen.

Der alte Graf Monthermer wandte sich jetzt an Robin Hood und sagte: »Schickt einen schnellen Boten an den Prinzen, Robin. Er ist die letzte Hoffnung für eine Rettung Hughs. Da ich nun einmal von liier fort muß, will ich es sogleich tun. Ihr, Blawket, eilt zurück zu Lord Hugh und sagt ihm, daß ich bereit bin, wenn es not tut, auf die erste Kunde hin mich den Händen des Prinzen zu überliefern - ja selbst dem König, obgleich das, wie ich wohl weiß, der Tod wäre. Eilt Euch, Blawket. - Robin, gebt mir einen Eurer Männer mit. -Kommt, Morton vom Moor, Ihr sollt mir den Weg zeigen.«

Nur wenige Worte wurden noch zwischen Robin und dem Grafen gewechselt, bevor der alte Edelmann aufbrach. Sobald er weg war, wandte sich Robin zu Blawket, der schon zu Pferde saß, und rief: »Halt, Tom, einen Augenblick! Wer war der Knabe, von dem Ihr spracht? Wo habt Ihr ihn gelassen?«

»Ich kenne ihn nicht«, antwortete Blawket. »Aber ich ließ ihn bei einem von Euern Leuten, auf die Versicherung hin, daß ihm kein Leid geschehen und es ihm freistehen sollte, zu kommen und zu gehen, wann er wolle; denn er war müde und schien sehr erschrocken.«

»Er ist bei Harry von Mansfield«, fiel Yorkley ein, der den Yeoman hierhergeleitet hatte. »Er fragte nach Euch, Robin, und so bringt ihn Harry mit herab auf die grüne Straße, die an dem Rehplatz vorbeiführt.«

»Wir müssen ihnen entgegen«, sagte Robin Hood. »Kehrt Ihr eilends nach Nottingham zurück, guter Blawket, und sollte sich etwas Neues zutragen, so kommt wieder an den zweiten Grenzposten. Ihr, Yorkley, geht nach dem Späherhäuschen, so schnell Euch Eure Füße tragen können, und führt die Leute dort nach dem Königshirschteich. Nehmt die Pferde mit - ich will zu Fuß gehen.«

Mit diesen Worten schritt er weiter, die Arme über der breiten Brust gekreuzt, die Augen auf den Boden geheftet. Seine Miene drückte Besorgnis aus, und im Weiterschreiten sprach er vor sich hin: »Wir dürfen Hugh nicht umkommen lassen; ich traue diesem König alles zu - er ist zu schwach, um redlich zu sein. Es ist sonderbar, wie nahe der Narr und der Spitzbube verwandt sind.«

Etwa eine Meile von dem Platz entfernt, wo er mit dem Grafen gesessen, blieb Robin Hood stehen und sagte, sich zu einem der ihm folgenden Männer wendend: »Ihr müßt nach Derby reiten, Dickon. Sucht dort den Prinzen auf, sagt seinen Leuten, Ihr bringt eine Botschaft von Hugh de Monthermer, und wenn Ihr ihn selbst sprecht, fügt hinzu, wenn er einem Freund das Leben retten wolle, müsse er in aller Eile nach Nottingham. Nehmt Euer Pferd bis Breston, so weit wird es Euch schon tragen. Dort pocht den lustigen Müller heraus und bittet ihn, dem Robin Hood zuliebe Euch sein schwarzes Roß bis Derby zu leihen. Fort, guter Dickon, und wenn Ihr in Derby angekommen, sagt der Margery Green von der ,Untergehenden Sonne', sie solle mir schicken, was sie an Nachrichten aus Cumberland hat. - Jetzt bringt die Fackel nach vorn. - Nun, Knabe, was wollt Ihr von mir?«

Die letzten Worte waren an einen schlanken Jüngling gerichtet, der Pagentracht trug. Das Obergewand, eine Art weite Bluse von schönem Purpurtuch, reichte ziemlich weit über das Knie. Darunter war ein kleiner Fuß sichtbar, in Reitstiefeln mit langen Spitzen steckend. Eine grüne Kapuze mit einer Verbrämung von grauem Eichhornpelz, mit einer vergoldeten Spange um den Hals befestigt, war weit über die Stirn gezogen und verhüllte den größten Teil des Gesichts. Nach der Gestalt zu urteilen, mochte der Knabe etwa vierzehn Jahre alt sein und allem Anschein nach von nicht sehr großer Körperkraft. Ehe er antwortete, verschattete er sich das Gesicht mit der Hand, etwas geblendet, wie es schien, von dem Licht der Fackel, und Robin mußte ihn noch einmal fragen: »Was wollt Ihr von mir, guter Junge?«

»Ich möchte mit Euch allein sprechen«, sagte der Knabe, »und ohne Verzug, denn es handelt sich um Tod und Leben.«

Robin Hood nahm dem Mann die Fackel ab und hieß die andern zurücktreten. Dann, sein Auge mit ruhigem, prüfendem Blick auf den unter der Kapuze noch sichtbaren Teil des Gesichts heftend, erwartete er schweigend, was der Knabe zu sagen hätte. Dieser bedachte sich einen Augenblick und flüsterte dann: »Der Lord Hugh de Monthermer...«

»Von dem wissen wir!« unterbrach ihn Robin Hood. »Abgestandene Neuigkeiten, junger Mann, wenn das alles ist!«

Der Knabe, der zuerst beschämt und befangen geschienen, warf jetzt den Kopf zornig empor und versetzte keck: »Ihr seid hastig und ungestüm. Hört, ehe Ihr antwortet, mein Herr Waidmann. Die Neuigkeit ist nicht abgestanden, so weise Ihr Euch auch dünkt. Ihr wißt, daß Lord Hugh ein Gefangener ist, weil dieser Mann bei Euch war. Aber Ihr wißt nicht, daß er zum Tode verurteilt ist und daß sein Kopf morgen mit Tagesanbruch auf dem Schloßhof abgeschlagen werden soll. Wißt Ihr das?«

»Nein, bei allen Heiligen!« rief Robin Hood. »Das weiß ich nicht. Und ich sage: Es soll nicht geschehen, wenn ich Macht habe, es zu hindern.«

»Ja, das ist die Frage! Habt Ihr die Macht?« »Davon sogleich«, versetzte Robin Hood. »Erst beweist mir, daß die Nachricht wahr ist.«

»Hier! Lest das, wenn Ihr lesen könnt. Wo nicht, so will ich es Euch lesen.« Er hielt dem Geächteten ein Papier hin, das dieser begierig ergriff und beim Licht der Fackel anstarrte.

Der Text bestand aus zwei Teilen, in verschiedener Handschrift geschrieben; der letztere war offenbar die Antwort auf den ersteren, in aller Eile auf dasselbe Papier gekritzelt. Der erste Abschnitt lautete:


Meinem edlen und gehebten Lord, dem Grafen von Mortimer, besten Gruß. Dies von seinem untertänigsten und ergebensten Diener Richard de Ashby.

Wenn man die zugestandene Zeit, bis morgen um drei Uhr, wirklich ablaufen läßt, so wird uns das Wild entrinnen; denn ich zweifle nicht, daß der Prinz schon unterrichtet ist. Seid versichert, er wird sich in aller Eile aufmachen und - wenn er noch zur rechten Zeit ankommt - den Verbrecher retten. Daher sende ich Euch einen Mann, der bereit ist zu beschwören, daß er den Verbrecher zu dem Mönch, wie sie miteinander durch das Tor gingen, sagen gehört: Aus de Montforts Asche werde bald ein Phönix erstehen, seine Sache zum guten Ende zu führen. Der Bursche ist wohleingeschult in seiner Erzählung, so daß man ihn auf keinem Fehltritt ertappen wird, und ich bitte Euch dringend, ihn ohne Verzug sein Zeugnis in Anwesenheit des Königs ablegen zu lassen, damit möglichst vor morgen mittag ein Beil zwischen unseres Feindes Kopf und Rumpf einen Strich ziehe. Wenn die verwirkten Ländereien zwischen Euch und meinem guten Lord von Pembroke geteilt werden, möchte ich dem, den ich am meisten liebe, raten, die nördlichen zu wählen. Sie bringen jährlich fünfhundert Pfund mehr als die anderen ein.



Alles dies war von einer geschickten Hand geschrieben, während die darunter stehenden Worte roh hingeworfen und etwas schwerer zu lesen waren:


Zuverlässiger Freund!


Die Sache ist ins reine gebracht. Der König hat alle anwesenden Barone zusammengerufen - zum Glück war Talbot fort, und einige Gegenstimmen wurden von den übrigen übertäubt. Er stirbt morgen mit Tagesanbruch. Ich habe das Todesurteil, von des Königs Hand unterzeichnet. Dank für den Wink. Die nördlichen Güter sind mein, und Freunde sollen nicht unbelohnt bleiben von Eurem


Mortimer


»Ha!« sagte Robin Hood. »Das ist vortrefflich! Welch ein Nest von Skorpionen haben wir da! Und das ist der Hof von England! Oh, de Montfort! Wenn es dir an einem Anwalt fehlte, deine Sache zu verteidigen - dies Papier spricht eine Sprache, die selbst Tote überzeugen müßte! Aber wir wollen sehen. Helfe mir Gott, daß ich bei dieser Hinrichtung morgen zugegen sein werde, falls wir nicht andere Mittel finden, sie zu hintertreiben! Hütet Euch, mein Lord Mortimer, daß Ihr nicht in den Bereich eines englischen Eibenbogens kommt - Eure Brust müßte wahrlich mit Stahl gepanzert sein, wenn ich nicht die Pfauenfeder mit deines Herzens schwarzem Blut färbe. - Hört Ihr sie von dem Späherhäuschen kommen, Müller?«

»Noch nicht, Robin«, antwortete der Gefragte. »Tom ist auf dem Berge; er wird in sein Horn stoßen.«

»Wir müssen dem Jüngling Nachricht zukommen lassen, was wir zu tun im Sinne haben«, sagte Robin Hood und ließ sein Auge aufmerksam hingleiten über die Gestalt des vor ihm stehenden Pagen. »Wir müssen ihm einen Wink geben. - Ha! Richard de Ashby! - So, so! - Knabe, das ist in der Tat eine Neuigkeit, die du mir gebracht hast. Hast du sonst etwas zu berichten?«

»Noch nicht«, antwortete der Knabe, »denn ich maß in aller Eile zurück nach Nottingham, damit ich nicht vermißt werde. Morgen will ich meine anderen Nachrichten vorbringen. - Ich kann nicht glauben, daß er damit so hastig sein werde.«

»Wenn du noch etwas zu berichten hast«, rief Robin, »so sag es jetzt! Man kann nie wissen, ob einem die Sonne morgen aufgeht. Es gibt Abgründe auf jedem Fußbreit Weges im menschlichen Leben, über die unsere besten Absichten hinabstürzen und in Stücke zerschmettert werden. Sprich! Es kostet dich nur eine wohl zu entbehrende Minute.«

»Nun gut«, versetzte der Knabe. »Ohne Zweifel mögt Ihr den Grafen von Ashby nicht sehr?«

»Nicht sehr«, antwortete Robin barsch. »Aber seinen Sohn noch viel weniger.«

»Es tut nichts«, erwiderte der Page. »Aber ich sage Euch: Des Grafen Leben ist bedroht von geheimen Feinden. Es lebt ein Mann, ein niederträchtiger, böser Mann, ein Verräter an allen, die ihm vertrauen...« Der Knabe hielt inne und schien nach Atem zu ringen. »Er sucht des Grafen Tod! - Und den Tod seines Sohnes auch«, fuhr er fort, »damit - daß - daß er die Erbin des Hauses heiraten und selbst dessen Haupt werden könne. Wenn ich einen Freund des Grafen kennte, würde ich ihn dringend bitten, wohl achtzuhaben auf den alten Mann, achtzuhaben auf sein Essen, auf jeden Schritt und Tritt, seinen Wein kosten zu lassen, ehe er ihn trinkt, ihn nie allein ausgehen zu lassen - aber ihr seid seine Feinde.«

»Doch wollen wir als seine Freunde handeln! Er wird gewarnt werden, und es soll auch im Notfall Hilfe bei der Hand sein. -Jetzt aber«, sagte Robin Hood leise und in sanftem Ton, indem er einen Schritt vortrat und des Pagen Hand faßte, »was soll aus dir werden, armes Geschöpf? - Meinst du, ich kenne dich nicht, Kate?«

Sie fuhr erschrocken zurück und schlug dann die Augen nieder.

»Es ist gut«, fuhr er fort, als sie nicht antwortete. »Aber höre mich an, Kate Greenly! Höre einen Mann an, der freundlich zu dir spricht! Du hast heute nacht eine gute Tat getan; laß sie einen Samen sein, der nachmals noch reichere Früchte trägt. Wirf den Schurken von dir, den dein besseres Wesen haßt; überlaß ihn den Taten, die binnen kurzem Verderben über sein Haupt bringen werden. Laß ihn den Lohn seiner Ruchlosigkeit empfangen, und dann...«

»Stirb!« fiel ihm Kate Greenly ins Wort. »Weiter bleibt mir nichts übrig. Nein, sprecht mir nicht von meinem Vater - sprecht mir nicht vom Kloster, wo ich lange Tage unglückseliger Erinnerungen fortspinnen könnte. Mein Leben ist seinem Ende nahe, mein Herz ist gebrochen. Er, dem ich vertraute, ist ein Schurke. Mich hätte er mögen mißhandeln, verraten, mit Füßen treten. Ich hätte weinen oder toben und doch fortleben können. Aber an ihm einen Verräter, einen Mörder, einen Teufel finden - gezwungen sein, ihn zu verraten, der mich verraten hat, das ist der Tod. - Doch ich muß zurück! Was ich Euch an Nachrichten mitteilen kann, sollt Ihr haben; denn ich habe geschworen, den verruchten Plan zu vereiteln.«

»Da tust du recht!« sagte Robin Hood mit Wärme. »Doch du mußt nun jemand haben, der dich zurückleitet; denn du bist der Stadt näher als du denkst. Ich will selbst mit dir reiten und unterwegs noch ein Wort mit dir sprechen.«

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