XIV

SIMON DE MONTFORT, Graf von Leicester, war einer jener klugen Männer, die die politischen Kräfteverhältnisse ihrer Zeit richtig einzuschätzen wußten und dementsprechend handelten. An der Spitze des englischen Adels und des Bürgertums der Handelsstädte war er gegen Heinrich III. zu Felde gezogen und hatte das erste Ständeparlament errichtet, in das er außer dem Hochadel und der Geistlichkeit Vertreter der Städte und des Landvolks berief.

Zu dem Zeitpunkt aber, von dem wir jetzt sprechen, unterlief ihm ein Fehler, der zu seiner Niederlage und zu seinem Tode führte.

Oft schon war er mit geringen Streitkräften von einem Ende des Landes zum anderen gezogen. Unterstützt durch die ihn begünstigende mächtige Volksgesinnung, hatte er alle seine Feinde gedemütigt, während er seinen schwachen und tyrannischen Oberherrn, den König Heinrich III., offensichtlich als Gefangenen mit sich führte. Den Prinzen Edward, einen der klügsten Männer und bedeutendsten Krieger des Zeitalters, hielt er dagegen in ehrenvoller Gefangenschaft. Keine Nachteile waren bisher daraus entstanden, nicht einmal großen Gefahren hatte er sich ausgesetzt. Aber die Zeiten halten sich geändert. Viele von denen, die sich an de Montfort angeschlossen hatten, waren von ihm mit kalter, politisch höchst unkluger Geringschätzung behandelt worden. Andere fürchteten die Folgen seiner wachsenden Macht entweder für sich selbst oder für ihr Land, da sie sich nicht zu dem weitreichenden Standpunkt erhoben, den sein umfassender politischer Blick einnahm; wieder andere waren entrüstet über die Art, wie er ihren König behandelte, den sie, wie schwach, tyrannisch und lasterhaft er auch war, doch noch mit der anerzogenen Ehrfurcht betrachteten. So standen nunmehr viele der Lords aus Wales gegen seine Macht unter Waffen, und Gilbert de Clare, der berüchtigte Graf von Gloucester, ein parteisüchtiger Verwandter des Königs, hatte seit einiger Zeit unter der Maske der Loyalität eine nur schwach verschleierte Feindschaft gegen die Partei de Montforts an den Tag gelegt.

Zu diesem ungünstigen Zeitpunkt hatte der Graf von Leicester den Entschluß gefaßt, aus der Nähe von London, von dessen Bürgern er immer kräftig unterstützt worden war, loszumarschieren und an die Grenzen von Wales zu rücken, in der Absicht, diejenigen, die sich gegen ihn auflehnten, wieder seiner Autorität zu unterwerfen. Da er sich damit von seinen besten Hilfsquellen entfernte, verlor er seine Überlegenheit über die feindliche Macht, und das Kräfteverhältnis war jetzt fast gleich, so daß es nur eines kleinen Zufalls bedurfte, um das Zünglein der Waage zu Seinem Nachteil zu stellen.

Sein Zug wurde aber vom militärischen Standpunkt aus mit der größten Umsicht ausgeführt. Mit einer keineswegs großen Streitmacht zog er - den König und den Prinzen an seiner Seite - in langsamen, bedächtigen Tagesmärschen Gloucester zu und trat hier in Unterhandlungen mit dem Grafen von Gloucester, Gilbert de Clare, seinem derzeit mächtigsten Gegner, um ihn zu vermögen, sich wieder der Partei anzuschließen, die so oft die Rechte des Volks gegen den anmaßenden Heinrich III. verteidigt hatte.

Getäuscht durch das scheinbare Entgegenkommen des Grafen von Gloucester, willigte er ein, ihren Streit schiedsrichterlicher Entscheidung zu überlassen, und setzte seinen Marsch nach Hereford fort. Dabei bewachte er mit der ängstlichsten Vorsicht seine königlichen Begleiter und vereitelte jeden Versuch, den der Graf von Gloucester machte, sie in Freiheit zu setzen.

Bald mußte er feststellen, daß er keine Aussichten hatte, den Grafen von Gloucester wieder zum Verbündeten zu gewinnen. So machte er Anstalten, seine Unterwerfung zu erzwingen. Um diesen großen Zweck zu erreichen, mußte er seine Macht soweit wie möglich verstärken und erklärte deshalb seinen Freunden die Notwendigkeit, ihm mit ihren Truppen zu Hilfe zu eilen.

Die Männer strömten von allen Seiten herbei; in allen Städten wurden Waffen verfertigt, und jedermann sah einem großen und entscheidenden Kampf entgegen. Nur wenige waren, die nicht an den Triumph de Montforts glaubten; denn der Zauber des Sieges schwebte noch um sein Banner.

So standen die Dinge, als Hugh de Monthermer mit seiner kleinen Truppe in der Stadt Hereford ankam. Sie war jetzt angefüllt mit Soldaten und Edelleuten aus verschiedenen Gegenden des Landes, so daß ein Quartier schwer zu bekommen gewesen wäre, hätte nicht der alte Graf von Monthermer einen Teil des Gasthauses »Zum Maienbaum«, in dem vor nicht langer Zeit Kate Greenly mit ihrer Begleitung gerastet hatte, für sich und seinen Neffen gesichert gehabt.

Hugh fand für sich und seine Begleiter nur geringen, aber ausreichenden Raum. Nur für den kleinen Tangel war selbstverständlich kein Platz vorgesehen worden.

Der Knabe stand unter der Tür des Vorzimmers, als der junge Lord eintrat, und horchte den Besprechungen über die Raumverteilung zu.

»Wo die Larve unterbringen, die Ihr mitgebracht habt, mein Lord?« fragte der alte Diener, der an dem Zuwachs, den die Gesellschaft durch Tangel erhalten, keine Freude zu haben schien. »Das Vorzimmer ist kaum groß genug für die zwei Yeomen, und der Knabe...«

»Er soll in meinem Zimmer schlafen«, fiel ihm Hugh in die Rede, die trostlose Miene des Jungen bemerkend. »Komm hierher, Tangel, du sollst in einem Bett zu meinen Füßen schlafen. Lernt ihn näher kennen und tragt Sorge für ihn, Walsh; denn er ist ein guter und treuer Knabe. Wer ihm etwas zuleide tut, der hat es gegen mich zu verantworten.«

Tangeis Augen blitzten freudig auf, und dankbar blickte er Hugh de Monthermer an. Nachdem dieser einige weitere Befehle erteilt hatte, um ihn gegen jede Kränkung sicherzustellen, begab er sich, mit Schwert und Schild bewaffnet, gefolgt von zwei Dienern, nach dem prächtigen Kastell von Hereford, wohin sein Oheim, wie er erfuhr, vor einer Stunde gegangen war.

Es war eine muntere, belebte Szene, die sich im Hofraum des Schlosses seinen Augen darbot; denn die Neigung jener Zeit zu Prunk und Aufwand ließ durch die Menge des Gefolges, das in bunten, grellfarbigen Kleidern selbst die geringeren Offiziere eines Heeres hierher begleitete, das Hauptquartier des Feldherrn in schimmernder Pracht erscheinen. Hugh de Monthermer, der wegen der dürftigen Zahl seiner Begleiter nur wenig beachtet wurde, drängte sich durch das Gewühl hindurch und stieg die Treppen in die große Halle des Turmes hinauf, die er von auf und ab schreitenden Leuten fast angefüllt fand. Da er das Gebäude nicht kannte, bat er einen Gentleman, ihm zu sagen, wo er den Grafen von Leicester finden könne.

Der Befragte deutete auf eine Treppenflucht, die von dem entferntesten Teil des Saales weiterführte, und sagte bedächtig: »Wenn Ihr oben auf der Treppe seid, werdet Ihr jemand treffen, der Euch sagen wird, wo Simon de Montfort ist. Aber Ihr werdet ihn nicht zu sprechen bekommen, denke ich.«

»Aber ich denke, ich werde!« versetzte Hugh. »Jedenfalls danke ich Euch.« Nachdem er die Treppen hinaufgestiegen war, ward er von einem Offizier mit einer Hellebarde angehalten, der ihn nach seinem Anliegen fragte und im selben Atemzug erklärte, er könne hier nicht passieren.

Hugh nannte seinen Namen und verlangte, zum Grafen vorgelassen zu werden, worauf ein Page abgesandt wurde. Es dauerte keine zwei Minuten, bis er vor dem Beratungszimmer stand.

Er klopfte, und nach einer kleinen Weile sagte eine tiefe Stimme: »Tretet ein!« Hugh trat in das Zimmer und fand sich nur ein paar Schritte entfernt von dem Sessel, in dem de Montfort saß.

Der Graf von Leicester war ein großer, kraftvoller Mann mit einer eckigen Stirn und einem Gesicht, das kraftvolle Zuversicht verriet. Sein ganzes Wesen zeigte große Kaltblütigkeit und Ruhe, und sein Blick war ernst und forschend. Nur zwei andere Edelleute waren außer ihm im Zimmer, obgleich man gesagt hatte, er halte Rat. Links saß der alte Graf von Monthermer, und ihm gegenüber stand Lord Ralph Basset, ein bedeutend jüngerer Mann.

De Montfort schaute auf, streckte de Monthermer sogleich mit einem freundlichen, angenehmen Lächeln die Hand entgegen und sagte: »Wie geht's Euch, Hugh? Recht froh sind wir, solche Freunde wie Euch eintreffen zu sehen. Bringt Ihr uns neue Zeitungen von Nottingham?«

»Keine, mein Lord«, antwortete Hugh, »außer daß das Aufgebot der Yeomen und der Waidmänner rasch vonstatten geht.«

»Sie müssen eilen«, sagte de Montfort, »oder wir führen den großen Schlag, ehe sie kommen. Habt Ihr sonst etwas unterwegs gehört?«

»Wahrhaftig, ja, mein Lord, und keine guten Neuigkeiten!« antwortete Hugh. »Der Graf von Gloucester sammelt täglich mehr Streitkräfte und macht die Straßen in der Umgebung dieser schönen Stadt etwas gefährlich zu bereisen. Der Grund, warum ich Euch jetzt aufsuche, ist nur mein Wunsch, Euch zu melden, daß Alured de Ashby, seine Schwester und etwa zwölf bis vierzehn Bogenschützen von Gilbert de Clare zwischen Gloucester und Charlton gefangengenommen worden sind. Ich denke, mein Lord, daß, wenn Ihr schleunig Mittel ergriffet, ihn zu befreien, dies das Haus Ashby etwas fester noch an die gute Sache binden würde.«

De Montfort und der Graf von Monthermer hörten ihn beide mit einem Lächeln an, und Ralph Basset murmelte zwischen den Zähnen: »Ja! Den Sand des Meeres festbinden!«

»Man ist Euch zuvorgekommen, mein junger Freund«, sagte de Montfort, nachdem er einen Blick mit dem alten Grafen gewechselt hatte. »Es hat schon ein anderer Alured de Ashby nebst seiner Schwester und den Bogenschützen in Freiheit gesetzt.«

»Wirklich?« rief Hugh de Monthermer überrascht aus. »Darf ich fragen, wer?«

»Gilbert de Clare selbst«, antwortete ruhig de Montfort.

»Und nicht ohne Grund, dessen seid versichert!« fügte Ralph Basset ironisch hinzu. »Ashby ist jetzt auf dem Wege hierher, wird morgen eintreffen mit hocherhobenem Kopf, und mein Lord von Leicester hier wird ihn so freundlich und vertrauensvoll empfangen wie seinen treuesten Freund.«

»Ich darf meine Feinde nicht vervielfachen, Ralph«, versetzte de Montfort. »Vielleicht finden wir ein besseres Mittel, Alured de Ashby an die gute Sache zu fesseln, als daß wir ihn wie einen Feind behandeln, ehe wir gewiß sind, ob er etwas getan hat, wodurch er diesen Namen verdient. - Was sagt Ihr, Hugh; wollt Ihr versuchen, ihn an unsere Sache zu knüpfen?«

»Recht gern, mein Lord«, antwortete Hugh de Monthermer. »Aber ich fürchte beinahe, daß ich ihn eher abstoßen dürfte. Er mag mich nicht, und zudem habe ich von seinem nahen Verwandten Richard Dinge zu berichten, die böses Blut machen dürften, ehe ich fertig bin.«

De Montfort sann ein paar Minuten nach. »Richard de Ashby«, sagte er endlich. »Er ist dem Anschein nach der für unsere Sache eifrigste der ganzen Familie Ashby!«

»Aber hat mein Oheim...«, fragte Hugh.

»Ja, er hat«, unterbrach ihn de Montfort. »Und ich habe bereits mit Richard de Ashby darüber gesprochen. Er versichert, er habe nichts gewußt und den Mann inzwischen weggeschickt. Indessen ...«

»Er ist ein nichtswürdiger Schurke!« fiel jetzt Hugh de Monthermer dem Grafen von Leicester aufgebracht in die Rede. »Ich habe versprochen, von dem alten Grafen Ashby selbst Genugtuung zu verlangen für Richards schweres Unrecht, das er Kate Greenly angetan hat.«

»Gut, gut«, beschwichtigte ihn der Graf von Leicester, der den Gegenstand des Gesprächs zu ändern wünschte. »Wenn Ihr es tun müßt, Hugh, so tut es wenigstens vor einigen Freunden als Zeugen - am besten vielleicht in meiner Gegenwart. Tut aber alles mit Mäßigung und Artigkeit; denn Euer Oheim hier hat mir von Wünschen berichtet, die Ihr am Ende vereiteln könntet, wenn Ihr übereilt in dieser Angelegenheit vorgeht.«

»Ich will so sanft und ruhig sein wie der Südwestwind«, versetzte Hugh, auf den die überlegene Art Simon de Montforts ihre Wirkung nicht verfehlte. »Weder Alured noch seinem Vater werde ich Anlaß zum Zürnen geben. Wenn Ihr mich wissen laßt, wann sie bei Euch sind, will ich kommen und in Eurer Gegenwart mit ihnen sprechen. - Und jetzt, mein Lord«, fuhr er, selbst dieses Thema abschließend, fort, »wenn es, woran ich nicht zweifle, gestattet ist, so möchte ich gern eine kurze Zeit mit Prinz Edward zubringen. Ihr wißt, wir waren in unserer Jugend geschworene Freunde.«

»Ich weiß es«, versetzte de Montfort. »Aber wahrhaftig, Hugh, daß Ihr sein geschworener Freund gewesen, ist in meinen Augen kein guter Grund, Euch eine Besprechung mit ihm zu gewähren.«

Die Stirn Hugh de Monthermers verfinsterte sich, aber de Montfort fügte unmittelbar darauf hinzu: »Ich will Euch jedoch sagen, mein junger Freund, was für mich ein Grund ist, es zu gestatten: Euer hoher Name und Eure Zuverlässigkeit. Wir behandeln den Prinzen mit aller schuldigen Ehrerbietung und betrachten ihn nicht als Gefangenen. Es ist aber zur Sicherheit des Staates, ja um unseres eigenen Lebens willen, höchst nötig, daß er in der unmittelbaren Nähe seines Vaters, des Königs, bleibt. Nun gibt es jedoch Leute, die ihn gern überzeugen möchten, es wäre besser für ihn, von hier zu fliehen, um mit diesem Grafen von Gloucester Rat zu halten und an die Spitze von Heeren sich zu stellen, die das Königreich durch neue Kämpfe zerfleischen. Noch andere gäben ihm gern die Mittel in die Hand, diese Flucht ins Werk zu setzen. Daher gestatten wir niemand, gegen den wir auch nur Verdacht hegen, ihn zu besuchen. Eben diesem Richard de Ashby, von dem wir sprachen, haben wir deshalb jeden weiteren Verkehr mit dem Prinzen verwehrt und ihn überdies warnend ermahnt. Hereford ohne Verzug zu verlassen. -Eine andere Sache ist es natürlich bei einem Monthermer«, fuhr der Graf mit einer verbindlichen, aber würdevollen Verbeugung fort. »Euch darf man vertrauen.«

»Dessen wenigstens, mein Lord, dürft Ihr versichert sein«, erwiderte Hugh. »Obgleich ich gestehe, daß ich den Prinzen in Freiheit zu sehen und ihn nur durch feierliche Gelübde verpflichtet wünschte, nicht gegen die Sache der Freiheit und des Rechts Partei zu ergreifen...«

»Kein weiser Mann verläßt sich auf Ketten von Wind«, unterbrach ihn de Montfort, der eine Feder genommen hatte und zu schreiben begann.

»Auf jeden Fall«, fuhr Hugh de Monthermer fort, »würde ich nimmermehr eine Erlaubnis, die Ihr selbst gegeben, schnöde mißbrauchen.«

»Ich weiß es«, sagte der Graf, während er seine Unterschrift auf das Blatt setzte. »Hier ist ein Paß. Ihr werdet den Prinzen im anderen Hof finden. Aber beeilt Euch; denn die Dämmerung bricht an, und die Burgtore müssen bald geschlossen werden.«

»Geh, Hugh«, sagte sein Oheim. »In einer Stunde treffen wir uns in der Herberge.«

Загрузка...