Charles Platt Kulturelle Invasion



In der Umlaufbahn hoch über der Erde wandte sich Kosmonaut Igarowitsch mit feierlicher Miene seinem Gefährten, Kosmonaut Jutschewski, zu. Es war ein historischer Moment.

»Genosse«, sagte er, »es sieht so aus, als ob unsere Mission erfolgreich verlaufen wäre.« Feierlich schüttelten sie sich die Hand.

»Jetzt haben wir nur noch das Wiedereintrittsmanöver zu bestehen«, erwiderte Jutschewski, »aber im Vergleich zu dem komplizierten Manöver unserer erfolgreichen Mondlandung dürfte das nur noch ein Klacks sein.« Sie lachten auf ihre herzliche russische Art.

Igarowitsch schaute durch das kleine, sechs mal sechs Zoll messende Guckloch. Unter ihnen lag die Erde, ein wolkenbedeckter Halbmond vor einer schwarzen Kulisse. Die Umrisse der Sowjetunion zeichneten sich deutlich unter der Kapsel ab. »Sie werden stolz auf uns sein da unten«, sagte er. »Die ersten Menschen auf dem Mond. Ein Jahr Vorsprung vor den Amerikanern – mindestens!«

»Noch sind wir nicht unten«, gab Jutschewski zu bedenken. Er schwieg eine Weile und lauschte einer Botschaft, die über den Kopfhörer kam. Dann wandte er sich wieder seinem Gefährten zu. »Sie haben Probleme, Genosse. Der Zündmechanismus für unsere Bremsraketen funktioniert vom Boden aus nicht. Sieht so aus, als müßten wir sie manuell zünden.«

Igarowitsch wurde ein wenig blaß um die Nase. Er zählte nicht zu den Mutigsten. Was ihn bewogen hatte, sich freiwillig für das Mondlandeunternehmen zu melden, war der Ruhm, das ganze aufregende Drumherum, das ihn nach erfolgreichem Abschluß der Mission erwarten würde. Was ihn anging, so war er froh, wenn er möglichst schnell wieder auf der Erde war: je ereignisloser und je kürzer sich der Aufenthalt im All gestaltete, desto besser.

»Sie sagen, wir sollen die Raketen um 21.07 Uhr zünden«, fuhr Jutschewski fort. »Das wäre in ungefähr drei Stunden, nicht wahr, Genosse?«

Igarowitsch schaute auf seine Uhr. »Stimmt.«

Der Funkspruch endete, und Jutschewski nahm die Kopfhörer ab.

»Noch eine kleine Sache, Genosse«, sagte Igarowitsch. »Welches ist der Knopf für die manuelle Auslösung des Zündmechanismus?«

Jutschewski deutete vage auf die Schaltkonsole. »Das müßtest du aber eigentlich noch wissen. Es ist der rote dort.«

Igarowitsch beugte sich vor. Er zeigte mit dem Finger auf einen in der langen Reihe von Knöpfen auf der Schalttafel. »Du meinst diesen hier?«

»Richtig. Aber paß auf …«

Seine Warnung kam zu spät. In der Schwerelosigkeit des Alls löst jede Aktion eine gleichstarke Gegenreaktion aus. Dementsprechend reagierte die Kapsel auf Igarowitschs Vorwärtsbeugen mit einer leichten entgegengesetzten Schaukelbewegung. Igarowitsch war schon immer recht tolpatschig mit seinen Händen gewesen, ein Manko, an dem auch seine Kosmonautenausbildung nicht sonderlich viel verändert hatte. (Tatsächlich war die Wahl in erster Linie deswegen auf ihn gefallen, weil er ein angenehmes Äußeres aufwies, eine reizende Frau und reizende kleine Kinder hatte und bescheidenen bäuerlichen Verhältnissen entstammte: Jutschewski war das Hirn der Expedition, Igarowitsch das hübsche Gesicht.) Mit starrem Entsetzen sah Jutschewski, wie Igarowitschs Finger gegen den roten Knopf tippte und den Zündmechanismus auslöste.

»Du Trottel!« stieß er ächzend hervor, als die Bremsraketen mit brüllendem Getöse zum Leben erwachten. »Du hast uns in die falsche Flugbahn geschossen – weiß Lenin, wo wir jetzt landen!«

Igarowitsch gab keine Antwort. Der Schock war zu groß für ihn gewesen; er war in Ohnmacht gefallen.


Irgendwo unten auf dem wolkenbedeckten Halbmond, in Hertfordshire, England, um genau zu sein, hingen die grauen Kumuluswolken tief über dem Horizont, an ihren Rändern schmutzigrot gefärbt von der blaßtrüben untergehenden Sonne und dem gespenstischen Schein der Straßenlaternen von Leyworth, einer kleinen Stadt, die ungefähr eine Meile entfernt lag. Nebel braute sich zusammen, der typische Hertfordshire-Nebel, und senkte sich über die Landschaft, setzte sich in den sumpfigen Mulden fest und wirbelte in dichten Schwaden über das hochstehende Gras, unter dem sich unzählige Kuhfladen in verschiedenen Stadien der Austrocknung verbargen. Irgendwo sang ein Vogel und flog dann, vielleicht weil er sich anderswo grünere Weiden erhoffte, mit raschelndem, schnellem Flügelschlag auf und verschwand am grauschwarzem Himmel. In diesem Teil der Erde regnete es gewöhnlich, und wenn es gerade einmal nicht regnete, dann sah es so aus, als würde es gleich zu regnen anfangen.

Ein scharfer, kühler Nordwind fegte über die weite, sanft hügelige Wiesenlandschaft, wisperte in den Zweigen einer Reihe dürrer, skelettartiger Bäume, die sich auf dem Kamm einer Anhöhe gegen den dunklen Himmel abhob, und ließ die Äste knarren. Ansonsten herrschten nur Friede und ungestörte Stille.

In einer feuchten Mulde in dem hohen Gras lagen, hin und wieder ein lästiges Insekt verscheuchend, zwei Leyworther: ein Mädchen und ein junger Mann. Das Mädchen war Janet Glass; sie war siebzehn und arbeitete bei Woolworth. Der Junge hieß Bob Brogan; er war zweiundzwanzig und ein Faulenzer und Tagedieb. Im Grunde war er antriebslos und bar jeder Initiative. Er zog es vor, immer erst dann etwas zu tun, wenn jemand ihn dazu aufforderte. Diese Angewohnheit war mit der Zeit zu einem solch dominierenden Bestandteil seines Lebens geworden, daß sie sogar der eigentliche Grund dafür war, daß er keinen Job hatte. Die Idee, einmal zum Arbeitsamt zu gehen und sich nach einem Job umzusehen, wäre ihm von allein nie in den Sinn gekommen; es mußte erst jemand kommen und ihn mit der Nase darauf stoßen.

Sie lagen Seite an Seite im Gras und starrten geistesabwesend auf die untergehende Sonne. Das Mädchen räkelte sich unbehaglich. »Worüber denkst du nach?« Ein kurzes Schweigen folgte, dann antwortete Brogan:

»Weiß nicht.« Er zog ein schmuddeliges Taschentuch hervor und schneuzte sich. »Über was denkst du nach?«

Tatsächlich dachte das Mädchen gerade, wie kalt und feucht ihm allmählich die Beine wurden. Gleichzeitig aber dachte es, wie romantisch die Situation eigentlich sein müßte, und beschloß deshalb, daß es besser sei, nicht die Wahrheit zu sagen.

»Hübsch hier, nicht?« sagte Janet, um das Thema zu wechseln. Der obere Rand der Sonne verschwand jetzt hinter den Kühltürmen des ein paar Meilen entfernten Kraftwerks.

»Ja«, sagte Bob Brogan mit einiger Verzögerung. Er dachte einen Moment lang angestrengt nach. »Romantisch.«

Janet schmiegte sich fester an ihn. Der wahre Grund dafür war, daß sie inzwischen erbärmlich fror, aber das brauchte Brogan nicht zu wissen. Irgend etwas tief unten in ihm begann sich zu regen.

»Komm«, sagte er. Er legte den anderen Arm um sie und zog sie an sich. Er starrte ihr in die Augen. »Ich will dir was sagen.«

»Was denn?« Mit klopfendem Herzen dachte sie: ist er es? Ist er der Eine, den das Schicksal für mich ausersehen hat, in den ich mich unsterblich verlieben werde, wie es die Wahrsagerin auf der Kirmes vorausgesehen hat, und den ich – und ihr Herz machte bei dem Gedanken ganz beängstigende Sprünge und ihr Blick verklärte sich bedrohlich – heiraten werde? Doch sie fand keine Antwort in Brogans von Aknepickeln übersätem Gesicht.

»Ich liebe dich«, ächzte Brogan und, wie als wolle er die Widerwärtigkeit und Peinlichkeit der Bemerkung ersticken, wälzte er sich über sie und küßte sie mit seltsam mechanischer Gier.

Aber liebe ich ihn? fragte sie sich und forschte in den Tiefen ihrer Teenagerseele nach der Antwort, während sie seinen Kuß ebenso mechanisch erwiderte. War dies … war dies die Liebe?

Solcherlei quälende Seelenexegese war Brogan fern. Das einzige, was ihn quälte, war die Vorstellung, daß, wenn er jetzt nicht schnell zu Potte kam, sein Abendessen futsch sein würde. Der Gedanke, daß sein jüngerer Bruder sich über seine, Brogans, Portion Pommes mit Bohnen hermachen würde, beflügelte ihn zu größter Hast. Er wälzte sich vollends auf das Mädchen, rammte mit blindwütiger Unerbittlichkeit seine Zunge zwischen ihre Zähne und begrapschte ihren mageren Körper mit fiebrig zuckenden Fingern.

Janet Glass fühlte etwas in sich hochsteigen. War es … war es vielleicht Liebe? Die wahre, echte Liebe? Und dann hörte sie es! Ja, es war die Liebe, oh ja, sie war es! Und es war genau wie in den Fotoromanen, die sie gelesen hatte: dieses wunderbare, dieses alles übertönende Dröhnen in den Ohren!

Fast schwanden ihr die Sinne; ihr Widerstand schmolz dahin. Das Dröhnen wurde immer lauter, steigerte sich zu einem Brüllen. Ihr war, als erzitterte selbst der Boden unter der Wucht der Liebe, die sie ergriffen hatte. Sie schlug die Augen auf. Ihr Geliebter (denn das war er nun für sie) hatte sich von ihr abgewendet und starrte zum Himmel. Das Dröhnen war ohrenbetäubend!

Die Kapsel kam mit donnernden Bremsraketen aus den dunklen Wolken gestürzt. Der seidene Fallschirm wölbte sich wie eine riesige Kuppel über ihr. Mit einem heftigen, dumpfen Aufprall landete sie auf der Wiese. Ein stinkender Schauer aus Wasser, Matsch und Kuhscheiße spritzte hoch auf. Der Fallschirm schwebte herab und senkte sich über das Liebespaar.

Janet zupfte verwirrt an den Falten der dunkelblauen Seide, die sie so plötzlich einhüllte. »Bob, was ist das?« rief sie. »Wo bist du – was ist das?«

Brogan war viel zu sehr selbst damit beschäftigt, auf die Reihe zu kriegen, was passiert war, um auf ihre Frage zu antworten. Draußen herrschte Dämmerlicht, und unter der seidenen Hülle war es stockfinster. Fuchtelnd und zerrend versuchte er, sich aus dem Faltengewirr zu befreien. Er rappelte sich auf, verhedderte sich sofort wieder, stolperte und landete auf dem Mädchen. In dem Durcheinander war Janets Rock wieder hoch über ihre Knie gerutscht; bei dem Versuch, sich erneut aufzurappeln, kam Brogan mit dem Ellenbogen zwischen ihre Knie und zerriß ihr den Stoff. Unter viel Gezerre und Verrenkungen schafften sie es endlich, unter dem Fallschirm hervorzukriechen. Janet rappelte sich als erste auf. Sie hatte ihre Schuhe verloren, ihre Strümpfe hatten Laufmaschen, ihr Rock war zerrissen.

»Du … du Scheusal!« kreischte sie. »Du wolltest mich vergewaltigen, das wolltest du, du Scheißkerl! Aber warte, das sag ich meinem Vater! Was meinst du, was der mit dir macht!« Den zerrissenen Rock tapfer vor dem Schoß zusammenhaltend, rannte sie heulend über die Felder davon.

Brogan blickte sich verdattert um. Die Kapsel lag nur etwa zehn Meter von ihm entfernt, halb verhüllt von dem Landefallschirm. Sie war groß – etwa zwanzig Fuß hoch und zehn Fuß breit. Rings um ihre Unterseite, die noch immer dunkelrot glühte, dampfte und zischte es von der Hitze. Das Gras in einem Umkreis von zwei bis drei Metern war bräunlich versengt und qualmte.

Aus dem Innern des Raumfahrzeugs drangen die gedämpften Klänge russischer Volksweisen, die sich in der neblig-feuchten Luft von Hertfordshire irgendwie seltsam mißtönend anhörten.

Brogan stand da und starrte belemmert das seltsame Ding im Gras an. Er hatte noch nie etwas auch nur entfernt Ähnliches gesehen und wußte beim besten Willen nicht, was er mit dem Ding anfangen sollte. Vage Vorstellungen von schleimigen Kreaturen und Invasionen aus dem All gingen ihm durch den Kopf.

Hinter der Raumkapsel, am Ende der sanft abfallenden Felder, lag das Dorf Willy-in-the-Mud, das genau 69 Einwohner zählte. Einer von diesen 69 Dörflern war der Farmer Richard Knight, Eigentümer der Felder, die Willy-in-the-Mud von Leyworth trennten. Er war ständig auf der Hut vor unbefugten Eindringlingen: eine der Lieblingsfreizeitbeschäftigungen der Schüler von St. Nicholas, der nahegelegenen Public School, bestand nämlich darin, Farmer Knights friedlich grasendes Vieh zusammenzutreiben und es über die Wiesen zu scheuchen, in die Zäune, hinter anderen Jungen her, in den Teich oder sonstwo hin, wo Kühe normalerweise nicht hingehören. Bei solchen Anlässen pflegte Knight sich dann hinter das Steuer seines Landrovers zu klemmen und wie ein wildgewordener Ralleyfahrer über die Felder zu rasen, eine Hand am Steuer, mit der anderen seine Büchse in die Luft abfeuernd, was freilich seine Kühe mehr erschreckte als die Schüler.

Farmer Knight hatte gerade auf seinem Balkon gesessen, als die Kapsel landete. Entsetzt war er sofort die Treppe hinuntergestürmt, hatte sich in seinen Wagen geschwungen und kam jetzt mit aufgeblendeten Scheinwerfern rasend vor Zorn die Felder heraufgebraust. Diesmal waren die Schüler zu weit gegangen! Das hatte nichts mehr mit einem Dummejungenstreich zu tun!

Inzwischen näherte sich ein weiteres ahnungsloses Individuum dem Schauplatz des Geschehens. Durch eine Laune des Schicksals waren die Russen auf einem Stück Wiese heruntergekommen, das eine gewichtige Rolle im Leben vieler Leyworthianer spielte. Leyworth war in den über hundert Jahren seit seiner Gründung durch eine Gruppe exzentrischer Quäker-Idealisten, die den Genuß von Alkohol als sündig und moralisch verwerflich ansahen, stets eine ›trockene‹ Stadt geblieben. Diese etwas antiquierte Anschauung hatte sich, zumindest in den Köpfen der Stadtverantwortlichen, bis in die heutige Zeit hinübergerettet, mit dem Ergebnis, daß diejenigen Bürger, die der sündigen Verlockung des Trunkes nicht widerstehen konnten oder wollten, gezwungen waren, ihrem Laster außerhalb der Stadtgrenzen zu frönen. Viele von ihnen pflegten zu diesem Zweck einen ausgetretenen Pfad quer über die Felder nach Willy-in-the-Mud zu benutzen, wo drei ausgezeichnete Pubs beheimatet waren. An Sommerabenden nach der Sperrstunde konnte man manch einen Pensionisten im Zickzackkurs auf klapprigem Drahtesel mit unsicherem Tritt über den steinigen Pfad gen Leyworth strampeln sehen, eine Fahne aus Bier- und Zigarettendunst hinter sich her ziehend, akustisch untermalt von Schnaufen und gelegentlichem Rülpsen.

Und so begab es sich denn, daß der nächste, der dem Schauplatz des Geschehens zustrebte, ein gewisser Harry Fielding war, ein zerlumpter Straßenfeger, der sich hart der Pensionsgrenze näherte. Diesen Harry Fielding erfüllte nur ein einziger Gedanke: Durst. Der Gedanke hatte jede Faser seines Seins durchdrungen, hatte vollkommen Besitz von ihm ergriffen, zusätzlich genährt und befeuert noch von dem Wissen, daß er die Öffnungszeit der Kneipen um geschlagen zwei Stunden verpaßt hatte, ein Zeitverlust, den er auch durch härtestes Schlucken kaum mehr würde wettmachen können. Sein Resthirn vermochte nicht mehr als einen Gedanken gleichzeitig zu beherbergen und zu verarbeiten, und an diesem (wie an fast jedem anderen) Abend war dieser Gedanke: Bier. Eine Pint schönes kühles Bier mit einer schönen Blume obendrauf, bitter in der Kehle und wohlig schwer im Magen.

So intensiv, so plastisch und erregend schön war diese Vision, daß Fielding seufzend die Augen schloß und in andächtige Vorfreude versank. Und da er den Weg durch die Felder ohnehin im Schlaf kannte, machte er sich erst gar nicht mehr die Mühe, zu schauen, wo er hinfuhr. Er lief eh die meiste Zeit mit geschlossenen Augen herum, da er es viel zu anstrengend fand, sie ständig geöffnet zu halten.

Aus diesem Grund sah er auch nicht den Landrover, der über die Felder genau in seine Richtung gerast kam, und da er taub war, hörte er auch das Motorengeräusch nicht.

Die Pfade von Fieldings Fahrrad und Farmer Knights Landrover waren gleich krumm und windungsreich, aber auch gleich berechenbar. Sie schnitten sich. Knight sah den Straßenfeger zu spät im Lichtkegel seiner Scheinwerfer auftauchen und reagierte in blinder Panik. Er riß das Steuer herum. Der Landrover schlitterte breitseits auf das Fahrrad zu, erfaßte es, und Fielding fand sich unversehens auf dem Stoffverdeck des Fahrzeugs liegend wieder, leicht benommen zwar, aber unverletzt.

Knight stieß die Tür auf und sprang aus dem Wagen. Er rannte um den Wagen herum, sah das alte Fahrrad zwischen den Rädern hervorlugen und ächzte entsetzt. Er packte das Fahrrad und zog es unter dem Wagen hervor. Das Vorderrad war zu einer Acht verbogen. Mit wild klopfendem Herzen bückte er sich und spähte unter das Auto nach der vermeintlichen Leiche.

Nichts war zu sehen. Knight stand wieder auf und schritt suchend um die Unfallstelle herum. Keine Spur von dem Fahrer des Fahrrads. Verdutzt kratzte er sich den Kopf und ging zurück bis zu der Stelle, wo die Schleuderspuren anfingen.

Mittlerweile hatte Fielding sich wieder einigermaßen von dem Schreck erholt, und allmählich begann ihm zu dämmern, was passiert war. Als ihm bewußt wurde, daß er mit geschlossenen Augen geradelt war, noch dazu auf einem Fahrrad, das weder Licht noch Bremse besaß, packte ihn mächtiges Unbehagen. Unbeholfen kletterte er vom Wagendach herunter und hastete hinter Farmer Knight her, um sich zu entschuldigen.

Farmer Knight sah den alten Mann kommen. »Haben Sie das gesehen?« haspelte er aufgeregt, mittlerweile in einem Zustand höchster Panik angelangt.

»Verzeihung, Sir, aber ich bin ein wenig taub …«

»HABEN SIE DAS GESEHEN?« brüllte Knight. »HABEN SIE GESEHEN, WAS PASSIERT IST?«

»Ich … ähm … hab nicht viel gesehen … eigentlich gar nichts«, murmelte der Straßenfeger. »Meine Augen sind nicht mehr die besten, müssen Sie wissen …«

»Vielleicht sind Sie so gut und helfen mir den armen Teufel suchen, den ich auf die Schippe genommen hab.«

»’tschuldigung, Sir, ich hab Sie nicht ganz verstanden …«

»Ich sagte: HELFEN SIE MIR SUCHEN! ER MUSS DOCH IRGENDWO HIER RUMLIEGEN!«

Fielding begriff zwar nichts, aber er gehorchte blind. Seit frühester Kindheit war er darauf getrimmt worden, daß man den Anweisungen eines Grundbesitzers Folge zu leisten hatte, und wenn Farmer Knight tatsächlich so generös war, den Schaden, den er, Fielding, an seinem Landrover verursacht hatte, zu ignorieren und über den Unfall stillschweigend hinwegzusehen, dann war er nur zu gerne bereit, dem Mann suchen zu helfen, was auch immer es sein mochte, das er verloren hatte.

Gemeinsam machten sie sich auf die Suche nach dem Unfallopfer. Systematisch durchforschten sie das Terrain rings um das Fahrzeug, die Unfallstelle in immer größer werdenden Abständen umkreisend. Als sie in der Dunkelheit verschwunden waren, schlich sich Brogan, der den Unfall aus einiger Entfernung mitbekommen hatte, an den verlassenen Landrover heran, der mit gelöster Handbremse, laufendem Motor und brennenden Scheinwerfern dastand, fast so, als warte er darauf, weggefahren zu werden. Er öffnete die Fahrertür und spähte hinein. Der Gedanke war zu verlockend …


In der Raumkapsel wurde es unterdessen unangenehm warm, als die durch den Wiedereintritt in die Atmosphäre entstandene Hitze durch die Isolierung drang und sich langsam nach oben ausbreitete.

Igarowitsch wand sich unbehaglich in seinem Sitz. »Wann kommen die Genossen von der Bodenstation wohl und holen uns endlich hier raus?« fragte er. »Hast du eine Ahnung, Genosse Jutschewski?«

Jutschewski nagte nervös an seinem Daumennagel. Sehr wahrscheinlich würde man, sobald die ganzen Feiern und Ehrungen vorbei waren, ihn als den Kapitän für Igarowitschs Fehler verantwortlich machen. Der Gedanke war nicht gerade dazu angetan, seine Laune zu heben.

»Ich habe keine Ahnung, wann sie kommen«, erwiderte er kurz angebunden. »Ich habe auch keine Ahnung, wo wir sind. Wie du weißt, Genosse, sind beim Wiedereintritt die Antennen kaputtgegangen. Wir haben also keine Funkverbindung mehr mit der Bodenstation. Das einzige, was wir tun können, ist, das Notsignal einzuschalten – was ich bereits gemacht habe – und warten.«

»Könnten wir nicht einen kleinen Blick nach draußen wagen, Genosse?« fragte Igarowitsch zaghaft. »Nur einen kurzen Blick, das würde doch niemandem schaden. Wenn wir noch lange hier drinsitzen, fangen wir an zu braten oder ersticken.«

»Wenn wir auf fremdem Territorium gelandet sind, verstößt das gegen die Vorschriften …«

Aber Igarowitsch war schon dabei, die Flügelmuttern der Luke zu lösen. Langsam drückte er die Luke auf.

Dichte Nebelschwaden wirbelten in die Kapsel; die beiden Kosmonauten husteten und niesten und schlugen fröstelnd die Arme vor die Brust. »Das kann nur Sibirien sein!« keuchte Igarowitsch. »Nirgendwo sonst könnte ein so scheußliches Klima herrschen!«

»Du könntest mit deiner Annahme durchaus richtig liegen«, sagte Jutschewski, während er hinaus in die Dunkelheit starrte. »Sieh mal«, rief er und zeigte hinunter auf die Lichter von Willy-in-the-Mud, »eine Siedlung, gar nicht weit von hier. Jetzt brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen; mit Sicherheit haben sie die Behörden schon informiert.« Er beugte sich vor und zog die Luke wieder zu.


Jutschewski hatte natürlich voll danebengetippt. In den Kneipen von Willy-in-the-Mud ging es viel zu hoch her, als daß auch nur einer der Zecher etwas von der Landung der Kapsel mitbekommen hätte. Und selbst wenn: es hätte schon einiges mehr bedurft, um die dort versammelten Zechbrüder von ihrem Bier, ihren Darts und ihrem Domino aufzuscheuchen. Und die wenigen Dörfler, die um diese Zeit nicht in der Kneipe hockten, saßen entweder gebannt vor der Glotze oder spielten Bingo.

Gleichwohl gab es außerhalb von Willy-in-the-Mud einige Bürger, die zufällig die Landung bemerkt hatten. Einer davon war Isaac Smith, seines Zeichens Physiklehrer an der St. Nicholas Public School für Jungen, die auf halbem Wege zwischen Leyworth und den grünen Wiesen, die sanft nach Willy-in-the-Mud hin abfielen, gelegen war. Smith hatte zu dem Zeitpunkt Nachtdienst, der darin bestand, daß er die Jungen ins Bett scheuchen und sie ermahnen mußte, ihre Kissenschlachten und Debatten wenigstens so lange einzustellen, bis er außer Hörweite war. Entsprechend froh war er über die willkommene Abwechslung, die ihm die Landung der Kapsel bot.

Er war ein dünner, ängstlicher Mann, der, so wurde gemunkelt, bloß deshalb Physik und Chemie studiert hatte, um sich selbst zu beweisen, daß er seine Angst vor den Gegenständen dieser Wissenschaften zu überwinden vermochte. Säuren, Explosionen und kochendes Wasser versetzten ihn nämlich in Angst. Vielleicht, um seine Schwäche zu kompensieren, hatte er sich das Gesicht mit einem dichten schwarzen Bart zuwachsen lassen, mit dem Resultat, daß seine Gesichtszüge völlig unter dem Bartgestrüpp versteckt waren und somit jede Gefühlsregung seiner Umwelt verborgen blieb. Dies, im Verein mit der Tatsache, daß er eine Brille mit limonadeflaschendicken Gläser trug und überdies auch noch Waliser war, verlieh ihm das täuschende Air von Abgehobenheit und Unergründlichkeit.

Als Smith die Kapsel landen sah, erwachte sofort sein Interesse. Er schrieb seit Jahren an einem Chemielehrwerk zum Selbststudium; doch als gewiefter Geschäftsmann, der er trotz all seiner Schüchternheit war, erkannte er sofort, daß er viel mehr Geld würde verdienen können, wenn er einen Augenzeugenbericht über sein Erlebnis mit einer fliegenden Untertasse – oder was immer dieses Ding, das er da hatte niedergehen sehen, war – schrieb und diesen an irgendeine Illustrierte verkaufte. Kurzentschlossen knallte er die Tür des letzten Schlafzimmers vor den tobenden Kindern zu und eilte über die Wiese hinaus nach Willy-in-the-Mud.

Ihm folgte in diskretem Abstand eine wohlgebaute Endvierzigerin, die den Posten einer Austauschlehrerin für Russisch an der St. Nicholas Public School bekleidete. Sie stammte aus der Sowjetunion und beabsichtigte, nach ihrer Rückkehr dorthin eine Doktorarbeit über Erziehungsmethoden im Kapitalismus zu schreiben. Im Augenblick war sie freilich weitaus mehr an Herrn Physik- und Chemielehrer Smith selbst interessiert, der da in die beginnende Nacht hinauseilte. Seit sie ihn zu Beginn des Schuljahrs vor zwei Jahren das erste Mal gesehen hatte, hatte sie ein Auge auf ihn geworfen, aber bisher war es ihr nicht gelungen, ihm eine Reaktion auf ihre amourösen Avancen zu entlocken. Vielleicht, überlegte sie, strebte er jetzt zu einem dieser typischen englischen Pubs. Nun gut, um so besser! Wo konnte sie ihn leichter bestricken als an einem Orte, wo der Alkohol seinen Widerstand lähmte?

Smith blieb einen Moment lang stehen und blickte die Wiese hinunter zu der Stelle, wo das Weltraumfahrzeug stand. Kein Zweifel, es war eindeutig irdischen Ursprungs. Im Dämmerlicht der hereinbrechenden Nacht konnte er deutlich das blasig aufgeworfene Hammer-und-Sichel-Emblem und die auf die Nase des Gefährts gemalten Lettern ›CCCP‹ ausmachen. Der Landefallschirm breitete sich wie ein schimmernder Teich aus dunklem Wasser über den Erdboden neben der Kapsel. Der Matsch ringsherum brodelte und dampfte noch immer von der Hitze, die die metallene Hülle des Gefährts ausstrahlte.

Zu seiner Beunruhigung gewahrte Smith jetzt, daß sich schon andere dem Schauplatz genähert hatten. Wachsam nach allen Seiten Ausschau haltend, ging er zu dem Landrover, der mit aufgeblendeten Scheinwerfern in der Nähe der Kapsel stand. Wer immer der Besitzer sein mochte, er konnte entweder ein potentieller Zeuge für seine Story sein, oder aber ein potentieller Konkurrent, der darauf aus war, selbst Kapital aus einem eigenen Augenzeugenbericht zu schlagen. Langsam schlich Smith sich von hinten an die Gestalt Brogans heran, der sich gerade anschickte, den Landrover zu klauen.

»Aha«, schrie Smith und klopfte dem Jüngling auf die Schulter.

Brogan zuckte mächtig zusammen und sprang vor Scheck in die Höhe. Eine seiner geheimsten Ängste war es, beim Klauen erwischt zu werden. Da er nicht die Intelligenz besaß, gerissen und mit eleganter Unauffälligkeit zu stehlen, wußte er, daß es am Ende doch stets herauskommen würde, aber der Gedanke, ertappt zu werden, noch ehe er überhaupt die Chance hatte, sich an der Beute zu erfreuen, hatte ihn schon immer mit besonderer Pein erfüllt.

Verzweifelt versuchte er sich loszureißen und auf den Fahrersitz zu klettern, aber Smith hielt ihn mit eisernem Griff zurück.

»Ich möchte mit dir sprechen«, schnarrte er in wohleinstudiertem Paukerton. »Du bleibst schön hier!«

Für Brogan klang dies schlimmer als ein Todesurteil. »Ich wollte bloß mal gucken, ehrlich!« jammerte er zitternd. »Ich … ich wollte nichts tun!«

Smith kratzte sich den Rauschebart. Seine Augen hinter den Brillengläsern verengten sich. »Bloß mal gucken, häh?« äffte er, in dem Glauben, der Bursche hätte die Raumkapsel gemeint. »Weißt du was? Wieso fährst du nicht mit deinem Landrover runter ins Dorf und informierst die Zeitungen?«

Auf diese Weise, überlegte Smith scharfsinnig, wurde er den Burschen auf elegante Weise los und konnte selbst dableiben, um seinen Fund zu bewachen und etwaige weitere Schaulustige verscheuchen.

Brogan schluckte heftig. Der Mann befahl ihm, mit dem Wagen zu fahren! Er mußte der Besitzer sein!

»Ich soll also bei den Zeitungen anrufen?« fragte er, um sich zu vergewissern, ob er auch wirklich recht gehört hatte.

»Ja«, sagte Smith. »Ruf sie an und sag ihnen, die Russen wären mit einem Raumschiff hier gelandet.«

Brogan, der die Raumkapsel schon längst wieder vergessen hatte, war jetzt noch verwirrter. Aber angetrieben von der Autorität von Smiths dunklem Bart und funkelnden Brillengläsern, gehorchte er und nahm auf dem Fahrersitz Platz. »Nun fahr schon zu!« trieb Smith ihn genervt an.

Der Landrover ist bekannt für seine ungewöhnlich große Auswahl an Gängen – nur leider dem Jüngling Brogan nicht. Der einzige Wagen, den er je gefahren hatte, war der Ford Popular eines Freundes; aufgeregt schob er den Schalthebel vor: dorthin, wo er den ersten Gang wähnte.

Er ließ den Motor aufjaulen und die Kupplung los. Der Landrover schoß so heftig rückwärts, daß alle vier Antriebsräder gleichzeitig durchdrehten, und jagte, nachdem er einen sauberen, gleichwohl vom Fahrer nicht vorgesehenen Kreis beschrieben hatte, rückwärts und unter beängstigenden Schlinger- und Schaukelbewegungen den Hügel hinunter. In seinem verzweifelten Kampf mit dem Lenkrad hatte Brogan vergessen, den Fuß vom Gas zu nehmen.

Erneut kratzte Smith sich den Bart. Nun ja, wenigstens fuhr der Bursche in die richtige Richtung. Aus der Ferne scholl das Geräusch splitternden Holzes, als das Fahrzeug den Zaun am Fuße des Hügels durchbrach; dann verschwand er außer Sicht.

Ein Schrei ertönte hinter Smith: der Schrei des Farmers, der kurz vor dem Nervenzusammenbruch steht. »Sie!« brüllte Knight. »Sie haben zugelassen, daß dieser Verrückte meinen Landrover klaut!«

Smith drehte sich zögernd nach dem stimmgewaltigen Neuankömmling um. Die Situation wurde allmählich unüberschaubar.

Farmer Knight erkannte in dem Chemie- und Physiklehrer sogleich den unkooperativen Herrn, bei dem er sich in der Vergangenheit mehrfach vergeblich über die Schüler von St. Nicholas beschwert hatte, wenn sie wieder seine Kühe durch die Botanik gescheucht hatten.

»Ich hätt’s mir gleich denken können!« zeterte er. »Schon wieder diese Schule! Nicht genug damit, daß Sie Ihre verrückten Streiche immer auf meiner Weide aufführen müssen« – er gestikulierte wild in Richtung Raumkapsel –, »jetzt treiben Sie es schon so weit, daß Sie Ihre verdammten Bengel ungestraft mit meinem Eigentum abhauen lassen, ja sie sogar noch zur Gesetzlosigkeit und Zerstörung ermutigen!«

Farmer Knight rang nach Atem. »Aber jetzt reicht’s endgültig«, schwallte er weiter. »Jetzt ist’s aus damit! Ich schick Ihnen die Polizei auf den Hals, jawoll! Und zwar auf der Stelle, jawoll!«

Er stapfte los, um seine Drohung in die Tat umzusetzen.

»Hat er nicht was von Polizei gesagt?« fragte eine Stimme hinter Smith. Wieder wandte sich der Lehrer um. Wieviele Leute rannten denn noch hier rum? Argwöhnisch beäugte er Fielding, den heruntergekommenen Straßenkehrer.

»Ja«, sagte er, »er will die Polizei rufen.«

»Und dabei hab ich ihm doch noch geholfen«, murmelte der Straßenfeger geknickt. Dann schlurfte er hastig zu seinem Fahrrad und stolperte, das einzige verbliebene Indiz seiner Kollision mit dem Landrover hinter sich her schleifend, den Hügel hinunter.

Smith kratzte sich den Bart. Dann ließ er aufmerksam seinen Blick schweifen, jeden Moment damit rechnend, daß noch irgendein weiterer unerwünschter Zeuge aus der Dunkelheit auftauchte. Aber jetzt herrschte endlich Stille, und zufrieden wandte er seinen Blick den schwarzen Umrissen des Raumschiffs zu.

Mit vorsichtigen Schritten ging er auf die Kapsel zu. Unter seinen Schuhen raschelte das Gras. Als er schon ganz nahe heran war, blieb er plötzlich wie erstarrt stehen: ganz deutlich hatte er aus der entgegengesetzten Richtung Schritte und Atemzüge gehört. Die andere Person hatte ihn im selben Moment bemerkt und war ebenfalls stehengeblieben. Nun standen sie sich reglos gegenüber, zwischen sich die Kapsel, und lauschten gespannt in die nächtliche Stille.

Smith tat einen zaghaften Schritt vorwärts. Die andere Person folgte seinem Beispiel. »Wer ist da?« flüsterte Smith. Sein Gegenüber blieb stumm. Smith lief um die Kapsel herum; die andere Person lief ebenfalls um die Kapsel, in dieselbe Richtung, so daß sie seinem Blick weiterhin verborgen blieb. »Hören Sie mit diesen absurden Mätzchen auf!« brüllte Smith. »Sowas Albernes!«

Abrupt machte er auf dem Absatz kehrt und rannte in die entgegengesetzte Richtung. Er glaubte schon, die andere Person hatte sein Manöver durchschaut und wäre gleichfalls in seine Richtung losgerannt, als er mit ihr zusammenkrachte, mit dem Kopf zuerst.

Smith ging zu Boden, halb begraben unter einer voluminösen, weichen menschlichen Gestalt.

»Mr. Smith!« rief die Russischlehrerin frohlockend. Ihr Mund war ganz dicht an des Chemie- und Physiklehrers Ohr. »Was für eine angenehme Überraschung!«


In der Kapsel wurde es langsam wieder heiß.

»Ein bißchen frische Luft«, meinte Igarowitsch, »würde uns bestimmt gut tun, Genosse.«

»Ich hoffe, du spielst nicht mit dem Gedanken … wegzulaufen, Genosse Igarowitsch«, sagte Jutschewski gedehnt. »In dem Fall müßte ich dich melden.«

Igarowitsch lachte, und es klang wenig überzeugend. »Natürlich nicht, Genosse. Wir teilen diese Kabine jetzt seit zwei Wochen, da machen die paar Stunden mehr oder weniger doch wohl auch nichts aus.« Er grinste entwaffnend.

»Es könnten durchaus ein paar Tage werden«, gab Jutschewski zu bedenken.

Igarowitsch lachte erneut. »Stunden, Tage – was macht das schon für einen Unterschied?« Er löst die Flügelmuttern und stieß die Luke auf. »Bloß ein bißchen frische Luft, das ist alles …« Igarowitsch spähte hinaus in die Dunkelheit. Jeder Gedanke an Flucht aus der klaustrophobienährenden Enge der Kapsel zerstob, als er sah, daß die vor dem Start in die Außenwand der Kapsel eingelassenen Sprossen durch die Wiedereintrittshitze weggeschmolzen waren. Jutschewski zwängte jetzt seinen Kopf ebenfalls aus der Luke, und gemeinsam spähten sie hinaus.

Sie taten dies gerade im rechten Moment, um zu sehen, wie Smith seine erste Runde um die Kapsel absolvierte. Einen kurzen Moment später kam die Russischlehrerin unter ihnen vorbeigeschnauft. Dann wieder Smith, diesmal aus der Gegenrichtung kommend. Erstaunt wurden die beiden Kosmonauten Zeugen der unmittelbar darauf stattfindenden Kollision zwischen den beiden Lehrkräften und der anschließenden Verbrüderungsszene am Boden.

»Komisch«, murmelte Jutschewski. »Vielleicht so eine Art primitiver bäuerlicher Fruchtbarkeitsritus?«

»Bestimmt«, pflichtete ihm Igarowitsch kopfschüttelnd bei. »Sie scheinen gar nicht zu erkennen, daß das hier ein Raumfahrzeug ist. Sonst würden sie es mit mehr Ehrfurcht und Respekt behandeln.« Er schien hochzufrieden über diese seine gelungene Demonstration logischen Denkens.

»Du hast recht«, bestätigte Jutschewski. »Wir scheinen in der Tat in einer hinterwäldlerischen Gegend gelandet zu sein. Angesichts der Rückständigkeit dieser Eingeborenen scheint es mir dringend geboten, daß wir uns einschließen, bis Hilfe eintrifft.« Er zog die Luke wieder zu drehte die Flügelmuttern fest. »Wilde sind bekanntermaßen unberechenbar.«

In gewissem Sinne hatte er recht.


Brogans wilder Ritt in dem Landrover fand sein jähes Ende auf dem Parkplatz des Fox & Hounds, eines der vielbesuchten Pubs von Willy-in-the-Mud, und zwar an der blitzblank polierten Karrosse eines weißen Austin Cambridge. Der Landrover gab noch ein letztes müdes Röcheln von sich, dann stellte der abgewürgte Motor lediglich seinen Dienst ein. Brogan sprang vom Fahrersitz und ging um die beiden Havaristen herum, den Schaden zu begutachten. Sekunden später trat der Besitzer des Austin auf den Plan.

»Wem gehört der Landrover?« begehrte er zu wissen.

»Farmer Knight«, antwortete Brogan irreführend, aber wahrheitsgemäß.

»Und wo ist dieser Wahnsinnige Knight hingerannt, nachdem er mein Auto gerammt hat?«

Brogan kratzte sich den Kopf. »Ich glaube, ich habe … ich habe ihn die Wiese raufrennen sehen.« Er deutete vage in die Gegend.

Der Besitzer des Austins war ein vierschrötiges, trinkfestes Individuum, ein Mann von der Art, die keinen Unfug ungestraft mit sich machen läßt. Das Bier, das er bereits in sich aufgesogen hatte, befeuerte noch seine natürliche Aggressivität. »Danke«, sagte er. »Wenn dieser Strolch meint, er könnte mein Auto demolieren und sich dann so einfach aus dem Staub machen, dann ist er verdammt schief gewickelt.« Er wandte sich um und ging, ein wenig schwankend zwar, aber mit großer Zielstrebigkeit, den Weg zu den Wiesen hinauf.

Brogan schüttelte den Kopf. Die Dinge schienen jetzt unwiderruflich ihren Gang zu nehmen. Eigentlich hatte er Farmer Knight ja nicht die Schuld an der Karambolage in die Schuhe schieben wollen, aber unter den gegebenen Umständen war das der einzige Ausweg gewesen.

Er schaute sich unsicher um. Irgendwas rumorte da noch in seinem Hinterkopf. Irgendwas war da doch, das er hatte erledigen sollen. Hatte ihm der Mann mit dem Bart nicht irgendwas aufgetragen? Richtig! Jetzt fiel es ihm wieder ein: die Zeitung sollte er informieren, das war es! Er sollte ihnen sagen, die Russen wären gekommen oder sowas Ähnliches. Das kam ihm zwar irgendwie spanisch vor, aber wenn er an die seltsame Gestalt mit dem Bart dachte, die ihm den Auftrag gegeben hatte, dann war es wohl doch vielleicht besser, er gehorchte; es konnte am Ende ja was Wichtiges sein. Und wenn die Russen kamen, dann war das bestimmt was Wichtiges, auch wenn ihm nicht so ganz einleuchtete, warum.


Mittlerweile hatte sich auch Knight entschlossen, seinen Anruf zu tätigen. Nachdem er, bedingt durch die kürzlich erfolgte Einbindung Leyworths in den Selbstwählferndienst, zweimal einen falschen Teilnehmer am Ende der Strippe gehabt hatte, bescherte ihm der dritte, von grimmigen Flüchen untermalte Versuch endlich die richtige Verbindung: die Polizeiwache von Leyworth.

Letztere war eine lauschige, friedvolle Stätte. Auf den Anschlagbrettern in den staubigen Glasvitrinen prangten seit acht Jahren dieselben vergilbten Poster, die die Einwohnerschaft dazu aufforderte, weniger zu rauchen, Rattengift in ihren Kellern auszulegen und ihre Sprößlinge beizeiten zur Polio-Schluckimpfung zu schicken. Die Streitmacht von zwanzig Konstablern, zwei Zivilbeamten und einem Sergeanten schob eine ruhige Kugel. Alarmbereitschaft herrschte lediglich Samstag abends, wenn die Ortsjugend sich im (was verboten war) und um (was gestattet war) den Springbrunnen im Stadtgarten verlustierte; aber während der übrigen Tage war Radfahren ohne Licht so ziemlich das einzige Vergehen, das sie zu ahnden hatte.

Sergeant Vickers schickte sich gerade an, nach Hause zu gehen, als das Telephon bimmelte. Da er bereits halb in seinem Regenmantel steckte, war die Aufmerksamkeit, die er Farmer Knight entgegenbrachte, nicht die allergrößte, zumal Knights zusammenhangloses Gezeter auch nicht gerade dazu angetan war, den Tatbestand zu erhellen.

Nachdem er dem erzürnten Bauer eine Weile geduldig zugehört hatte, legte er den Hörer vorsichtig auf den Tisch. »Konstabler Brown! Ein Mann namens Knight ruft aus Willy-in-the-Mud an. Erzählt irgendwas Wirres, von wegen jemand wäre mit seinem Landrover abgehauen. Ich steige da nicht so ganz durch. Vielleicht wieder was mit dieser Schule – Sie wissen doch, die Schüler da scheuchen immer seine Kühe durch die Gegend.«

»Ich werd mich drum kümmern, Sir«, antwortete Brown mit einem müden Seufzer. Er klappte seinen Comic zu und setzte seinen Helm auf. Dann folgte er dem Sergeanten hinaus in die kalte, windige Nacht. Nachdem er sich sorgfältig vergewissert hatte, daß sowohl das Fahr- als auch das Rücklicht an seinem Dienstfahrrad funktionierten, schwang er sich auf den Drahtesel und strampelte schnaufend zum Schauplatz der Krise.


Smith strampelte sich unterdessen schnaufend unter der drallen Masse der Russischlehrerin hervor. Nur widerwillig gab sie ihn frei. Was, so fragte sich Smith, hatte die Frau im Schilde geführt? Warum hatte sie versucht, sich vor ihm zu verstecken? Wollte sie nicht in der Nähe des russischen Raumschiffs gesehen werden? War sie vielleicht mehr als eine einfache Russischlehrerin? Gab es einen Zusammenhang zwischen ihr und der Landung der Kapsel?

»Wissen Sie, was das ist?« fragte Smith sie.

»Ich dachte eigentlich, das wäre klar«, erwiderte sie. Sie stand ganz dicht vor dem Chemie- und Physiklehrer. Eine dunkle, einsame Nacht, dachte sie – was für eine wunderbar romantische Situation! Wenn er sich ihr nur nicht wieder entzog, auf seine schüchterne englische Art. »Es muß die sowjetische Kapsel sein, die wir … äh … das heißt, die Völker der Sowjetunion, vor ein paar Tagen zum Mond geschickt haben. Sie muß irgendwie vom Kurs abgekommen sein, so daß sie hier statt in der UdSSR gelandet ist. Das ist die einzig mögliche Erklärung.«

»Ich wußte gar nicht, daß die Russen eine Mondexpedition geplant hatten«, sagte Smith argwöhnisch.

»Es gab einen Hinweis in der Prawda von letzter Woche«, erwiderte die Russischlehrerin, wobei sie sich noch näher an ihn heranschob. Sein schwarzer Bart machte sie scharf.

»Einen Hinweis, heh?« näselte Smith. Das klang verdammt nach einer faulen Ausrede. Wahrscheinlich war nur ein auserwählter Kreis der Bevölkerung in das Unternehmen eingeweiht worden. In welcher Verbindung, fragte er sich, von Sekunde zu Sekunde nervöser werdend, stand diese Frau zum Parteiapparat?

»Aber wir wollen uns doch jetzt nicht den Kopf über Politik zerbrechen«, schnurrte sie; »nicht jetzt, wo wir beide ganz allein hier draußen sind, nur du und ich …«

Smith wich jählings einen Schritt zurück. »Nicht mit mir!« krächzte er mit walisischem Falsett. »Ich darf Sie daran erinnern, daß ich glücklich verheiratet bin!«

»Ihr dummen Engländer«, murmelte sie mütterlich, legte die Hände sanft auf seine Schultern und zog ihn fest an sich. »Daß ihr euch immer so anstellen müßt!«

Smith war einer Panik nahe. Das konnte kein bloßer Zufall sein, daß das russische Raumschiff ausgerechnet jetzt gelandet war, keine zwei Wochen, nachdem diese Frau an die St. Nicholas Public School gekommen war! Bis jetzt war die Möglichkeit, daß sie eine Agentin war, bloß eine phantastische Spekulation gewesen. Doch nun, da sie sogar versuchte, ihn mit dem Mittel der sexuellen Verführung mundtot zu machen, konnte kein Zweifel mehr bestehen. Sie mußte eine Agentin Moskaus sein!

Er versuchte, sich ihr zu entwinden, aber er war ein kleiner Mann von schwächlicher Statur, und ihre russischen Arme, ihre muskulösen russischen Arme, hielten ihn fest umschlungen.

»Lassen Sie mich los!« japste er. »Lassen Sie mich auf der Stelle los!« Aber in ihrer heftigen russischen Leidenschaft preßte sie ihn nur um so fester an ihren wuchtigen russischen Busen.

»Da ist er!« kam eine Stimme aus der Dunkelheit. »Jetzt versucht er dasselbe bei einer anderen Frau – einfach schamlos!«

Smith wand sich in heilloser Panik. Das war seine Frau, das mußte seine Frau sein! Der Klammergriff der russischen Bärin lockerte sich für einen Moment, und mit einer Kraft, die aus schierer Furcht geboren war, riß der Chemie- und Physiklehrer sich los.

Aber es war nicht seine Frau. Es war Janet Glass, die, gewandet in einen neuen, unzerrissenen Rock, ihre Eltern im Schlepptau, den Hang heraufgestürmt kam.

»Da ist Bob Brogan!« kreischte sie. »Da ist der Kerl, der mich vergewaltigen wollte!«

Der Chemie- und Physiklehrer Smith schaute nach links, schaute nach rechts; dann schaute er hinter sich. Weit und breit war niemand zu sehen, außer ihm und der Agentin Moskaus. Also mußte er es sein, den man da der Vergewaltigung bezichtigte. Was ging hier vor?

»Ich habe dich gewarnt, Bob Brogan!« schrie das Mädchen. »Ich habe dich gewarnt, daß ich meinen Vater holen würde, nach dem, was du mir angetan hast!«

»Das ist ein Irrtum!« jaulte Smith, in Panik zurückweichend. Der Vater des Mädchens war ein Schrank von einem Mann, und er sah nicht so aus, als würde er viel Federlesens mit dem Schänder seiner Tochter machen. »Ich war’s nicht!«

Smith ergriff die Flucht. Als er, den Blick nach hinten auf seinen Verfolger gerichtet, den Hügel hinunterrannte, stieß er mit voller Wucht mit dem Besitzer des Austins zusammen, der den Weg heraufgestürmt kam, um sich an Farmer Knight zu rächen.

»Arrgh!« knurrte der Mann und nahm Smith in den Schwitzkasten, während sie über den Boden kugelten. »Hab ich dich endlich, du Halunke!«

»Nein, nein!« krächzte Smith in höchster Pein. »Ich war’s nicht! Ich war’s nicht!«

»Wer denn?« grunzte der Mann und lockerte seinen Würgegriff ein wenig; gerade soviel, daß Smith wenigstens sprechen konnte. Die Frage verwirrte den kleinen Lehrer vollends.

»Wer bin ich?« japste er.

»Heißen Sie Knight?« fragte der Mann und verstärkte seinen Würgegriff wieder ein wenig.

»Nein!« kreischte Smith. »Farmer Knight ist da raufgegangen.« Er deutete auf den Hügel.

»Tut mir leid, Kumpel«, grunzte sein Peiniger und ließ von ihm ab. Er stand auf und stapfte weiter den Hügel hinan. Da sah er Janet Glass’ Vater.

»Hab ich dich endlich, du Autodemolierer!« knurrte er und packte Mr. Glass beim Kragen.

»Willst du was auf die Fresse, häh?« schnarrte Mr. Glass, der in der Dunkelheit glaubte, Smith sei zurückgekommen und wolle sich einem Kampf stellen. »Kannst du haben, du sexbesessener Mädchenschänder!«

»Was? Wie nennst du mich, du verfluchter Scheißkerl? Na warte, dir werd ich’s zeigen, mich einen Kinderschänder zu nennen!« brüllte der Austinbesitzer, und im Handumdrehen wälzten sich die beiden in wildem Gemenge am Boden, aufeinander eindreschend wie die Kesselflicker, derweil das Mädchen aufgelöst um sie herumsprang und hysterisch kreischte: »Dad, das ist nicht Bob Brogan, Dad, das ist nicht Bob Brogan …«


Smith stand mit zitternden Knien auf und wankte den Hügel hinunter. Wieviele Leute würde er heute noch treffen? Was, in drei Teufels Namen, ging hier vor?

Am Fuße des Hügels hielt er inne. Mit schwerem, mühsamem Tritt kam Konstabler Brown den Weg heraufgeradelt. Müde flackerte die Lampe seines Dienstvelozipeds.

»Der starke Arm des Gesetzes, endlich!« murmelte Smith mit einem Seufzer der Erleichterung. Vielleicht kam jetzt endlich Licht in das Dunkel des Geschehens.

»Was ist los, Mr. Knight?« fragte Brown. Er stieg ab und parkte das Fahrrad am Bordstein.

»Ich heiße nicht Knight!« schrie Smith und raufte sich verzweifelt den Bart. »Mein Name ist Brogan. Nein, nein, ich meine, Smith – Isaac Smith!«

»Sie brauchen nicht gleich zu brüllen«, erwiderte Brown streng und zückte sein Notizbuch. »Also, welcher Name ist nun der richtige?«

»Smith, Isaac Smith.«

»Sind Sie da ganz sicher?« Brown hielt die Spitze seines Bleistifts zögernd über dem Blatt.

»Um Himmels willen!« brüllte Smith. »Glauben Sie, ich wüßte meinen eigenen Namen nicht?«

Konstabler Brown überlegte einen Moment lang. Immer noch zögerte er, etwas in sein Notizbuch zu schreiben. »Was genau ist hier passiert?« fragte er, um das Thema zu wechseln, das er für heikel hielt.

Smith holte tief Luft. »Da ist ein Mann, der behauptet, seine Tochter wäre vergewaltigt worden; ein junger Bursche, der mit einem Landrover abgehauen ist; ein Betrunkener, der in der Gegend herumtorkelt und behauptet, Farmer Knight hätte sein Auto demoliert. Farmer Knight selbst ist außer sich vor Wut wegen seiner verwüsteten Felder, und obendrein ist noch ein russisches Raumschiff gelandet, und außerdem treibt sich da oben eine Frau herum, die, wie ich stark vermute, eine Agentin Moskaus ist und in irgendeiner bisher noch undurchsichtigen Verbindung mit den Insassen des Raumschiffs steht …«

»Eins nach dem andern, Sir«, unterbrach der Konstabler seinen Redeschwall. »Wie ist die Nummer des gestohlenen Fahrzeugs?«

Aber Smith brauchte nicht mehr zu antworten: Farmer Knight trat höchstselbst auf den Plan.

»Da ist der Kerl!« brüllte er, als er Smith gewahrte. »Gott sei Dank ist die Polizei da! Da ist der Kerl von dieser Schule, der Kerl, der an dem ganzen Ärger Schuld ist. Gucken Sie sich bloß mal meinen Landrover an. Und sehen Sie sich das Loch in meinem Zaun an. Und dann kommen Sie und sehen Sie sich an, was dieser Verrückte und seine Rotzlümmel da oben auf meiner Wiese angerichtet haben!«

»Einen Moment, bitte, einen Moment bitte«, sagte Konstabler Brown. »Ihren Namen und Ihre Adresse bitte, Sir.«

In diesem Moment kam Brogan aus dem Pub, von wo aus er versucht hatte, die Evening News anzurufen, die einzige Zeitung, an deren Telephonnummer er sich erinnern konnte. Unglücklicherweise war jedoch die Nummer, die er gewählt hatte, die der Anzeigenannahme, die schon längst Feierabend hatte, aber er führte seinen Mangel an Erfolg auf das neue automatische Selbstwählsystem zurück, das jüngst installiert worden war.

»Ich hab versucht, durchzukommen, Sir«, rief er, als er Smith gewahrte, den Mann mit dem Bart, der zuerst mit ihm gesprochen hatte, »aber …«

In diesem Augenblick entdeckte er Konstabler Brown und Farmer Knight, die hinter Smith standen. Er fuhr herum und rannte, wie von Furien gehetzt, den Weg hinunter.

»Nehmen Sie den Mann fest!« blökte Knight, während Konstabler Brown sich hilfesuchend umschaute. Indes, er brauchte sich den Kopf nicht weiter zu zerbrechen: vom Hügel scholl Janet Glass’ hysterisches Organ: »Da, da ist Bob Brogan!« und gleich darauf tauchte ihr Vater auf, der dem Flüchtenden den Weg abschnitt und ihn mit einem gekonnten Bodycheck von den Beinen holte.

»Hab ich dich endlich!« donnerte er. »Du bist also der Kerl, der meine Tochter vergewaltigen wollte!«

»Nein, das ist er nicht!« ertönte eine andere Stimme. »Das ist der Kerl, der behauptet hat, ein gewisser Knight hätte meinen Wagen gerammt!«

»Hier, ich heiße Knight – Sie wollten mich sprechen?«

Konstabler Brown und Chemie- und Physiklehrer Smith fanden sich jäh inmitten eines wilden Tohuwabohus.

»Sie haben mit Ihrem Landrover meinen Wagen gerammt!«

»Du wolltest meine Tochter vergewaltigen, du Lümmel …«

»Sie schien mehr über das russische Raumschiff zu wissen, als sie zugeben wollte …«

»Er war’s – er und seine Rotzlümmel von Schülern! Das Maß ist jetzt voll! In die Erziehungsanstalt gehören die, alle miteinander, jawoll!«

»Sie hat sich ihr Kleid selbst zerrissen!«

»Ich sollte dir eigentlich die Zähne in den Darm dreschen, Freundchen …«

Der Konstabler schaffte es auf wundersame Weise, sich aus dem Gewusel herauszuhalten. Wie ein Turm in der Schlacht stand er da, ganz Amtsperson und begutachtete naserümpfend die Szenerie. Aus der Kneipe gegenüber kam in diesem Moment Fielding getorkelt, der Straßenfeger, inzwischen vollkommen besoffen. Als er der Polizeiuniform inne wurde, kam er über die Straße gewankt. Er war so ergriffen, daß er fast in Tränen ausbrach.

»Herr Wachtmeister«, lallte er trunken, »ich war’sch, ich hab seinen Landrover … hicks! … mit meinem Fahrrad gerammt. Ich schtelle … hicks! … mich freiwillig …«

Er kippte vornüber, und Konstabler Brown fing ihn geschickt mit einer Hand auf.

»Zu welcher Uhrzeit genau ereignete sich der Unfall, Sir?« fragte er und zückte erneut sein Notizbuch.


Oben auf der Wiese hatte die Russischlehrerin die ganze Zeit über beharrlich an die stählerne Außenwand der Kapsel geklopft. Wider sein besseres Einsehen hatte Jutschewski schließlich die Luke geöffnet.

»Waren Sie es, der da die ganze Zeit geklopft hat?« fragte er auf Russisch.

»Ja, Genosse, das war ich«, antwortete die Frau, ebenfalls auf Russisch. Ein Leuchten ging über Jutschewski Gesicht, als er die vertrauten Klänge hörte.

»In welchem Teil der Sowjetunion sind wir?« fragte er sie.

Die Frau wandte sich um und schaute hinunter auf die wild gestikulierende Menge vor dem Pub. Plötzlich flutete der ganze Haufen geschlossen über die Straße in den Pub, immer noch gestikulierend und wild durcheinander zeternd. Offenbar waren sie übereinstimmend zu dem Schluß gekommen, daß die Geschichte bei einem Bier besser zu entwirren war als draußen in der feuchtkühlen Hertfordshire-Luft. Nur Konstabler Brown und Fielding, der Straßenfeger, blieben draußen zurück. Der Polizist machte sich bedächtig Notizen.

Die Frau drehte sich wieder um und schaute zu Jutschewski hinauf, der den Kopf aus der Luke streckte. »Sie sind nicht in der UdSSR«, sagte sie.

»Oh!« entfuhr es Jutschewski. »Wo sind wir dann gelandet, Genossin?«

Die Russischlehrerin lachte. Sie lachte ziemlich lange. »In England«, sagte sie schließlich. »In England, Genosse Kosmonaut – wo sonst?«


Originaltitel: ›Cultural Invasion‹

Copyright © 1965 by New Worlds

(erstmals erschienen in ›New Worlds‹, November 1965)

mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Agentur Utoprop

Copyright © 1991 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München

Aus dem Englischen übersetzt von Joachim Pente

Illustriert von Klaus D. Schiemann

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