5040 Bürger wünschte sich Platon in seinem idealen Staat. Niemand weiß, warum es genau so viele sein sollen. Ein Grund mag gewesen sein, dass 5040 das Produkt der ersten sieben Zahlen ist: 1 × 2 × 3 × 4 × 5 × 6 × 7 = 5040. Ein zweiter Grund, dass das Produkt der Zahlen von sieben bis zehn – jener Zahl zehn, die Pythagoras die „Zahl der Allvollkommenheit“ genannt haben soll – ebenfalls 5040 ergibt: 7 × 8 × 9 × 10 = 5040.
Jedenfalls war den Griechen der Antike schon das Multiplizieren mit mehr als zwei oder drei Faktoren bekannt. Und wenn es sich bei diesen Faktoren immer um die gleiche Zahl handelt, spricht man von den Potenzen dieser Zahl. Betrachten wir als Beispiel die Zahl sieben. Ihre Potenzen lauten, abgesehen von 7 selbst,
7 × 7 = 49, 7 × 7 × 7 = 343, 7 × 7 × 7 × 7 = 2401,
7 × 7 × 7 × 7 × 7 = 16 807, …
Die Potenzen einer Zahl, die größer als eins ist, wachsen offenbar rasant. Außerdem ist ab dem vierfachen Produkt einer Zahl mit sich selbst auf den ersten Blick nur schwer zu erkennen, wie oft diese Zahl mit sich selbst multipliziert werden soll. Darum einigten sich Mathematiker auf eine Schreibweise, die schon im 14. Jahrhundert der englische Kardinal, Theologe und Philosoph Thomas Bradwardine verwendet haben soll: Eine rechts oben angeschriebene Hochzahl, der sogenannte Exponent, teilt mit, wie oft die Zahl mit sich selbst multipliziert wird. Wir schreiben also
7 1 = 7, 7 2 = 49, 7 3 = 343, 7 4 = 2401, 7 5 = 16 807, …
Bei der Zahl 10 haben wir diese Notation bereits mehrfach verwendet: Eine Million, geschrieben als eins mit sechs aufeinanderfolgenden Nullen, besitzt als Zehnerpotenz die Gestalt 106, und es ist dies tatsächlich die Zahl 10 sechsmal mit sich multipliziert.
Nur die Potenzen von 1 sind langweilige Gesellen. Denn sie ergeben immer 1. Doch sobald man eins um ein nur kleines Bruchstück vergrößert, wachsen die Potenzen dieser nur ein klein wenig größer als eins seienden Größe anfangs noch harmlos, aber in späterer Folge kometenhaft an.
Dies zu wissen, kann vor finanziellen Katastrophen bewahren:
Davon erzählt eine traurige, aber gottlob nur erfundene Geschichte, die in der Toskana zur Zeit der Renaissance spielt. Der Bauer Simplicio will in der Nähe von Siena Grund erwerben und leiht sich von der Bank „Monte di Pietà“ dafür hundert Florin. Jede einzelne dieser hundert schönen und wertvollen Münzen besteht aus mehr als dreieinhalb Gramm reinsten Goldes; hundert Florin sind ein beachtliches Vermögen. „Wir borgen dir gerne dieses Geld“, murmelt diskret der Bankbeamte, während Simplicio die Münzen in seinen Sack steckt, „aber bedenke: Deine Schuld wird jedes Jahr um zehn Prozent größer.“
„Zehn Prozent, was bedeutet das?“, fragt Simplicio. Und der Bankbeamte erklärt es ihm:
„Wenn du jetzt die hundert Florin nimmst, bist du uns dieses Geld schuldig. Du musst es uns zurückzahlen. Müssen wir ein Jahr warten, bis du uns das Geld zurückbringst, wollen wir nicht nur das bekommen, was du uns heute schuldig bist, sondern überdies zehn Prozent dazu. Zehn Prozent, wörtlich ,zehn von hundert‘, bedeuten zehn Hundertstel der Schuld. Das ist ein Zehntel der Schuld, die du noch zusätzlich zahlen musst.“
„Ich will aber nicht mehr zurückzahlen, als ich mir von Euch borge“, entrüstet sich Simplicio.
„Es tut mir leid, dann kann ich dir das Geld nicht geben“, gibt sich der Bankbeamte zerknirscht und greift nach Simplicios Sack. „Aber du kannst in ganz Siena fragen:
Kein Verleiher borgt dir Geld einfach nur so. Sie alle wollen Zinsen. Die meisten von ihnen sogar fünfzehn, manche Wucherer gar zwanzig Prozent. Denk doch nach: Wenn du den Grund erworben und beackert hast, bist du in einem Jahr sicher reicher als heute, samt Sack. Du wirst die Schuld zusammen mit den Zinsen gewiss leichten Herzens zahlen können.“
Simplicio willigt ein. Er nimmt das Geld, unterschreibt den Schuldschein, auf dem die zehn Prozent Zinsen vermerkt sind, mit drei Kreuzen, kauft den Grund und hofft auf baldigen Reichtum.
Doch der stellt sich so schnell nicht ein. Sieben magere Jahre suchen Siena und seine Umgebung heim. Fast alle, bis auf die besonders Reichen, haben um das Nötigste fürs Überleben zu kämpfen. An Sparen ist nicht zu denken. Und auch die darauffolgenden sieben Jahre sind nicht sonderlich fett. Mit Müh und Not vermag Simplicio Monat für Monat ein paar Florin zur Seite zu legen, denn der Kredit, den er einst in der „Monte di Pietà“ aufgenommen hatte, muss einmal zurückgezahlt werden.
Nach 14 Jahren ist es schließlich so weit. Simplicio hat hundert Florin und für jedes der vierzehn Jahre jeweils zehn Florin zusammengelegt, zusammen 240 Florin, mit denen er endlich seine Schuld begleichen möchte.
In der Bank wird er zu einem jungen, arroganten Angestellten geführt, auf dessen Schreibtisch er die 240 Florin legt. Der Schnösel hat den Schuldschein und einen Zettel mit ein paar Rechnungen vor sich liegen, zählt mit widerwilliger Miene das Geld und sagt danach mit eiseskalter Stimme: „Das ist bei Weitem nicht genug.“ „Wieso nicht“, empört sich Simplicio, „ich habe hundert Florin und für jedes der 14 Jahre noch zusätzlich zehn Florin für die Zinsen mitgebracht.“
„Ihre Schuld beträgt jetzt 380 Florin. Ich nehme einmal die 240 Florin, aber Sie sind uns noch immer 140 Florin schuldig. Im Übrigen: Für diese 140 Florin werden wir in Zukunft einen Jahreszinssatz von zwölf Prozent …“ Simplicio hört den Schluss dieses Satzes nicht mehr. Wutentbrannt stürmt er aus dem Zimmer, läuft durch die Gassen Sienas und findet sich in einer Spelunke wieder, in der sich die Rebellen der Noveschi treffen: Banden, die Siena in Angst und Schrecken versetzen. Bei einem der zahlreichen Aufstände, bei denen Simplicio in erster Reihe mit gezücktem Säbel voranschreitet, verliert sich seine Spur.
Das Schicksal des armen Simplicio war bereits in dem Augenblick besiegelt, als er glaubte, man müsse beim Rechnen mit Prozenten addieren. Dies ist der schwerste Fehler der Prozentrechnung, und er wurde nicht nur von unserem erfundenen Helden Simplicio begangen, er ist bis heute weit verbreitet. In Wahrheit darf man beim Rechnen mit Prozenten nicht addieren, man muss multiplizieren.
Simplicio hatte zehn Prozent von hundert Florin berechnet und diese zehn Florin als Zins betrachtet, den er Jahr für Jahr auf seine Schuld aufschlagen muss. Die Cossisten der „Monte di Pietá“ aber rechneten so: Ein Zinssatz von zehn Prozent bedeutet, dass sich in einem Jahr das geliehene Kapital um den Faktor 1 + 10 % = 1 + 10/100 vergrößert, also mit der Dezimalzahl 1 + 0,1 = 1,1 multipliziert wird. Im ersten Jahr macht das im Vergleich zur Rechnung des Simplicio keinen Unterschied. Nach dem ersten Jahr muss Simplicio
100 × (1 + 10/100 ) = 100 × 1,1 = 110 = 100 + 10
Florin zurückzahlen. Nach dem zweiten Jahr glaubt Simplicio, dass er 100 + 20, also 120 Florin zurückzahlen muss. Die Bank hingegen vermehrt seine Schuld von 110 Florin wieder um 10 %, indem sie 110 mit 1,1 multipliziert, und notiert bereits eine Schuld von 121 Florin in ihre Bücher. Der Unterschied zwischen 120 und 121 nimmt sich noch harmlos aus. Aber schon nach sieben Jahren merkt man, dass er sich zu Simplicios Ungunsten vermehrt: Nach dem siebenten Jahr glaubt Simplicio, dass er 100 + 7 × 10, also 170 Florin zurückzahlen muss. Die Bank hingegen vermehrt seine ursprüngliche Schuld von 100 Florin siebenmal um 10 %, multipliziert also 100 siebenmal mit 1,1. Dies ergibt
100 × 1,1 × 1,1 × 1,1 × 1,1 × 1,1 × 1,1 × 1,1 = 100 × 1,1 7 =
100 × 1,9487171,
also aufgerundet eine Schuld von 195 Florin.
Das also war die Rechnung, die auf dem Schreibtisch des jungen Angestellten lag: Er hatte die Potenzen von 1,1 bis zu 1,114 aufgelistet vor sich liegen und festgestellt, dass 1,114 rund 3,7975 beträgt. Diese Zahl mit den hundert Florin, die Simplicio als Schuld aufgenommen hatte, multipliziert, ergibt aufgerundet jene 380 Florin, die der Angestellte von Simplicio verlangt.
Dass der Angestellte Simplicio nicht erklärt, wie er auf den Betrag von 380 Florin gekommen ist, versteht sich fast von selbst: Simplicio ist ein leseunkundiger Bauer des 15. Jahrhunderts. Ein wenig addieren kann er, aber vom Multiplizieren hat er keine Ahnung. Deshalb rennt er ahnungslos in sein Unglück.