Kehren wir noch einmal zu den Ziffernfolgen zurück, die bei der Division entstanden sind. Es hat sich gezeigt, dass man bei einer Division durch eine sehr große Zahl zuweilen sehr lange warten muss – im günstigen Fall um eine Stelle weniger, als die große Zahl angibt –, bis sich eine Periode der Ziffernfolge einstellt. Da es jedoch nicht ganz einfach ist, die geeigneten großen Zahlen zu finden, und auch die Division einen beachtlichen Aufwand bedeutet, haben wir von dieser Idee, eine wie zufällig wirkende Ziffernfolge zu erzeugen, Abstand genommen.
Aber ganz verwerfen sollte man den Gedanken nicht. Was die Division für unsere Zwecke leistete, war ja nichts anderes als ein Durcheinanderwirbeln von Ziffern. Lassen wir vorerst das Dividieren beiseite und konzentrieren wir uns auf das Durcheinanderwerfen:
Toby Esterhase, der Circus-Mann für die niederen Arbeiten, hat einen Stapel von zehn Spielkarten vor sich liegen, auf denen die Ziffern 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 notiert sind. Will Toby Esterhase für die Eierköpfe des Circus die Reihenfolge der Ziffern wie vom Zufall gesteuert anordnen, mischt er den Kartenstapel gründlich. Danach zieht er eine Karte, schreibt die Ziffer auf, schiebt die Karte wieder irgendwo in den Stapel hinein, mischt noch mal sorgfältig, zieht wieder eine Karte, schreibt die zweite Ziffer auf und setzt dieses Spiel fort, bis er zwölf Ziffern nebeneinanderstehen hat, zum Beispiel
7 5 2 5 8 4 0 4 9 6 1 3.
Auf diese Weise hat er eine von 1012, also von einer Billion möglichen Zwölfergruppierungen der Ziffern, die meisten davon scheinbar völlig wirr, erzeugt.
Genauso hätte Esterhase diese Ziffernfolge, endlos oft periodisch wiederholt, erhalten, wenn er die Division der Zahl 6917 durch 9191 durchgeführt hätte. Das Ergebnis liefert:
6917 : 9191 = 0,752 584 049 613 752 584 049 613 752 584 049 613 …
Nebenbei gesagt: Die Division von 752 584 049 613 durch 999 999 999 999 liefert das gleiche Resultat – das liegt im Wesen des Divisors.
Aber für ein One-Time-Pad ist das nicht genug. Denn diese eine von Toby Esterhase erzeugte Ziffernfolge, periodisch wiederholt, besitzt ein offensichtlich geordnetes Muster.
Natürlich tut sich der eitle Esterhase die Arbeit des Mischens selber nicht an. Er hat zwanzig Untergebene, die er dazu zwingt, stunden-, tage-, monatelang immer wieder die Karten zu nehmen, sie gründlich zu mischen, eine Karte zu ziehen, die auf ihr stehende Nummer an die Liste der bereits erhaltenen anzufügen, wieder die Karten zu nehmen, noch einmal zu mischen – den ganzen lieben Tag. Toby selbst darf inzwischen Oscar Wilde spielen und der Muße frönen. Er sammelt nur zu Betriebsschluss die zwanzig Listen ein, stapelt sie in einer beliebigen Reihenfolge und verstaut sie im Geheimfach bei den Listen der Vortage.
Fügt jeder der Angestellten Minute für Minute der Liste eine Ziffer hinzu und arbeitet er ohne Unterlass acht Stunden am Tag, bedeutet das für den Angestellten eine Tagesliste, die aus 480 Stellen besteht; insgesamt steckt Esterhase ein aus 9600 Stellen bestehendes Konvolut in den Tresor. Nach zwei Monaten kommt Toby zu Control, dem obersten Herrn des Hauses, dessen wahren Namen keiner in der Firma kennt, und legt ihm seine Zufallsfolge von Ziffern vor, die aus fast 200 000 Stellen besteht. „Für unsere Eierköpfe von der Chiffrierabteilung ist das noch viel zu wenig“, seufzt Control, „wir brauchen eine viel längere Zufallsfolge.“
„Zehnmal mehr Angestellte“, schlägt Toby vor, „dann kann ich in der gleichen Zeit zehnmal mehr liefern.“
„Auch zehnmal mehr wäre nicht genug“, entgegnet ihm säuerlich lächelnd Control, „und wir brauchen die Ziffernfolge außerdem viel schneller. Im Übrigen sollten sich unsere Leute mit etwas Sinnvollerem beschäftigen. Das mit dem dauernden Mischen der Karten ist aus der Mode gekommen. Wir haben darüber auf der obersten Etage diskutiert, und heute kann ich dir die Lösung mitteilen: Die Eierköpfe haben ein Computerprogramm entworfen, das die Arbeit tut, die du, Toby, deine Pudel hast ausführen lassen.“
„Aber Control“, reagiert Esterhase verstört, „woher wollen Sie wissen, dass der Computer die Ziffern wirklich zufällig aufeinanderfolgen lässt? Wie mischt die Maschine die Ziffern?“
„Die Einzelheiten interessieren mich nicht“, brummt Control, „die Eierköpfe versichern mir nur, dass ihnen irgendwelche statistischen Tests zeigen, dass sie gründlich gearbeitet haben. Einmal wird sich ihre Ziffernfolge zwar wiederholen, aber die Periode hat eine Länge, die über 10200 hinausgeht. Das ist weitaus mehr, als wir benötigen. Im Übrigen kommt mir da ein Gedanke: Jetzt, wo wir das Computersystem haben, brauchen wir deine Dienste im Circus nicht mehr. Es ist wohl besser, du ziehst dich ins Privatleben zurück. Vielleicht machst du einen kleinen Laden auf, wo du gutgläubigen Amerikanern falsche Skulpturen von Degas andrehst.“
Das ist natürlich eine erfundene Szene. Aber tatsächlich gibt es – sogar in Hardware, gleichsam fest verdrahtet – sehr effektive Methoden des Durcheinanderwerfens von Ziffern. Sie liefern ohne Aufwand, blitzschnell und fremdem Zugriff entzogen wie vom Zufall erzeugte Ziffernfolgen, die lang genug sind, um für eine Verschlüsselung in der Art eines One-Time-Pad geeignet zu sein. Es macht dabei nichts aus, wenn das Durcheinanderwerfen im Gerät so gestaltet ist, dass die Folge der Ziffern eine periodische Wiederholung besitzt, wenn nur die Länge dieser Periode groß genug ist – Control schwärmt von 10200.
Dennoch entsteht auch die Ziffernfolge, die Control von den Computern in London Station ausgespuckt bekommt, genauso, wie wenn man eine Riesenzahl mit 10200 Stellen durch die Zahl 999 99 … 99, bestehend aus 10200 Neunern, dividiert und die Ziffern nach dem Komma notiert.21
In der Division stecken fast alle Geheimnisse der Welt.