Nach 1550 verdarb einer der klügsten unter den Rechenmeistern nördlich der Alpen, der aus Staffelstein bei Bamberg stammende Gelehrte Adam Ries, den Kollegen seiner Zunft ihr einträgliches Geschäft. Denn Adam Ries veröffentlichte ein Buch – geschrieben in deutscher Sprache, damit jede Bürgerin und jeder Bürger es lesen könne –, worin er das Rechnen, auch das Multiplizieren und das Dividieren, lehrte.
In diesem Buch erläutert Adam Ries im ersten Kapitel, „Numerirn“, also „Zählen“, übertitelt, dass man statt der so mühseligen römischen Zahlzeichen eine viel einfachere und bequemere Schreibweise für die Zahlen einüben sollte: Sehr sorgfältig erklärt er die arabischen Ziffern 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, die für die ersten neun Zahlen stehen. Er verdeutlicht, dass man noch eine zehnte Ziffer, die Null, benötigt, um noch größere Zahlen aufschreiben zu können, und führt seine Leserinnen und Leser in die Geheimnisse des Dezimalsystems ein: In einer Zahl besitzt jede Ziffer einen Stellenwert. In 4205 hat zum Beispiel 5 den Stellenwert einer Einer-, 0 den Stellenwert einer Zehner-, 2 den Stellenwert einer Hunderter- und 4 den Stellenwert einer Tausenderziffer. Adam Ries zeigt damit zugleich, wie wichtig die Null als Ziffer ist. Denn 4205 ist eine ganz andere Zahl als 425 und auch eine ganz andere Zahl als 4250 oder gar 42 050.
Die nächsten Kapitel, mit „Addiren“, also Addition, „Subtrahirn“, also Subtraktion, „Multiplicirn“, also Multiplikation, und „Dividirn“, also Division, übertitelt, erklären, wie man mit diesen, in arabischen Zahlzeichen geschriebenen Zahlen die Grundrechnungen durchführt. Die Methode des Adam Ries entspricht genau jener, die noch heute unsere Kinder in den Grundschulen lernen. Vor allem kommt es ihm darauf an, dass man die Methode nicht bloß ungefähr begreift, sondern dass man sie an einer Unzahl von Beispielen übt, um sie sicher beherrschen zu können.
Den Abschluss des Buches bildet ein Kapitel, das mit „Regula Detri“ überschrieben ist. Hier erklärt Ries den sogenannten „Dreisatz“, oder, wie man in Österreich und im süddeutschen Raum sagt, die „Schlussrechnung“, das Herzstück aller in der Wirtschaft wichtigen Rechnungen.
Die Aufgabe besteht immer aus drei Sätzen, zwei Aussagen und einer Frage: „Fünf Maurer errichten in fünf Tagen eine fünf Meter lange Mauer. Jetzt arbeiten zehn Maurer zehn Tage lang. Wie lang ist die Mauer, die sie errichten?“ „6 Ellen Stoff kosten 42 Kreuzer. 91 Kreuzer werden bezahlt. Wie viel Stoff wurde gekauft?“ Fragen dieser Art werden zuhauf gestellt, und Adam Ries zeigt geduldig und ausführlich, wie man ihnen beikommt.
Das Buch des Adam Ries verkaufte sich prächtig. Noch zu seinen Lebzeiten wurde es in mehr als hundert Auflagen gedruckt. Nach dem Werk des Adam Ries hatten die Cossisten ausgedient. Niemand brauchte sie mehr, denn nahezu jede und jeder konnten von da an selber rechnen.
Geistesgeschichtlich kann man die Leistung des Adam Ries nicht hoch genug einschätzen. Zum ersten Mal erlebten die Menschen, dass sie nicht mehr von geldgierigen Gelehrten abhängig waren, die geheimnisvoll Berechnungen durchführten, welche wichtig waren, jedoch dem gemeinen Volk verborgen blieben. Nun gab es diese Geheimnisse nicht mehr. Niemand brauchte mehr Rechenmeister zu bezahlen. Alle konnten das Rechnen genauso leicht lernen wie das Schreiben und das Lesen. Adam Ries befreite die Bürgerinnen und Bürger aus ihrer Unmündigkeit, sie erlebten nach dem Mittelalter zum ersten Mal Aufklärung.
Wenn zuweilen provokant gefragt wird, warum Mathematik in der Schule unterrichtet wird, so lautet die Antwort in Hinblick auf diese Geschichte: Weil Mathematik das erste und das erfolgreichste Projekt der Aufklärung ist.
Doch Adam Ries war nicht der Erste, der arabische Zahlzeichen in Europa einzuführen versuchte. Lange vor ihm, zu Beginn des 13. Jahrhunderts, hatte der italienische Mathematiker Fibonacci ein Buch mit dem Titel „Liber Abaci“ veröffentlicht, worin erstmals außerhalb des arabischen Raumes die Ziffern und das Stellenwertsystem erklärt wurden. Doch was den Verkaufserfolg betraf, war Fibonaccis Buch ein glatter Reinfall: Es wurde kaum gelesen. Womöglich lag es einerseits an der damals viel schwierigeren Verbreitung, der Buchdruck war noch nicht erfunden, andererseits an der lateinischen Sprache, in der es geschrieben war und die nicht mehr die Sprache des Volkes war.
Viele Jahrzehnte vor Fibonacci war der französische Geistliche Gerbert d’Aurillac im Zuge seiner Studien an den Universitäten von Cordoba und Sevilla mit den arabischen Zahlzeichen in Berührung gekommen. Im Jahre 999 wurde Gerbert zum Papst gewählt und nahm den Namen Sylvester II. an. Doch das Wesentliche bei seinem Studium der Zahlen hatte seine Heiligkeit damals nicht verstanden: was es nämlich mit der eigenartigen Ziffer 0 auf sich hat.
Tatsächlich ist Null eine Zahl voller Rätsel. Aber für das Darstellen der Zahlen ist an ihr allein wichtig, dass man mit der Null mühelos riesige Zahlen erschaffen kann: 1 000 000 ist eine Million, 1 000 000 000 eine Milliarde, 1 000 000 000 000 eine Billion und so weiter. Da es bei noch größeren Zahlen umständlich ist, alle Nullen anzuschreiben, kürzt man ihre Anzahl einfach durch eine hochgestellte Zahl ab: 106 steht für eine Million, 109 für eine Milliarde und so weiter.
Wobei nicht außer Acht gelassen werden darf, dass man im englischsprachigen Raum die großen Einheiten ganz anders nennt: Zwar bleibt 106 ähnlich wie im Deutschen „one million“, aber 109 ist bereits „one billion“ und 1012 heißt „one trillion“. Dass man „billion“ mit „Milliarde“ und „trillion“ mit „Billion“ zu übersetzen hat, kann auch bei sonst hochgebildeten Menschen zuweilen zu heillosen Verwirrungen Anlass geben. Bei Fachleuten, die alltäglich mit astronomisch großen Zahlen zu tun haben, spielen allerdings die Namen, seien es Million, Milliarde, Billion, Billiarde, Trillion im Deutschen, seien es million, billion, trillion, quadrillion, quintillion im Englischen, praktisch keine Rolle. Sie sprechen einfach nur von „zehn hoch elf“, wenn sie 1011, also hundert Milliarden, eine 1 mit elf Nullen, meinen. So kommt es nie zu Irrtümern beim Übersetzen.
Allerdings: Sich zum Beispiel hundert Milliarden Euro so vorstellen zu können wie zehn oder hundert Euro, bleibt ein Ding der Unmöglichkeit. Man darf mit Recht jemanden, der einige Millionen Euro sein Eigen nennt, wohlhabend nennen. Auch der Milliardär ist wohlhabend, sogar immens reich, aber Geld hat für ihn eine völlig andere Bedeutung als für einen Millionär. Geld wird in zunehmender Menge abstrakter. Niemand, der Milliarden Euro besitzt, errichtet wie Dagobert Duck dafür einen Geldspeicher, worin die Münzen gehortet werden. Anscheinend bilden gigantische Summen Geldes eine gänzlich andere Währung als überschaubare. Dies war schon vor mehr als 500 Jahren, zur Zeit der Fugger so, die dem Kaiser für seine Unternehmungen riesiges Kapital zur Verfügung stellten und sich dabei ihrer Verantwortung als Bankiers eines ganzen Staatswesens bewusst waren. Ganz anders als die Prasser und Spieler, die es damals schon gab, mit ihrem vergleichsweise mickrigen und ohnehin ständig schrumpfenden Besitz.