Anmerkungen

1 Die gleiche Einteilung des Jahres schlugen in der Moderne die Vertreter des Nationalkonvents Frankreichs nach der Revolution des Jahres 1789 vor: Ab dem 22. November 1792, so entschied man, habe ein neuer Kalender zu gelten: Jedes Jahr besteht aus 12 Monaten, die ihrerseits je drei Dekaden zu je zehn Tagen haben. Am Ende des Jahres, das im Revolutionskalender nach der Ernte zu Herbstbeginn festgelegt wurde, folgen fünf und in jedem vierten Jahr sechs Feiertage, die schöne Namen trugen: Jour de la Vertu, Tag der Tugend, Jour du Génie, Tag des Geistes, Jour du Travail, Tag der Arbeit, Jour de l’Opinion, Tag der Meinung, Jour des Récompenses, Tag der Belohnung, und an Schaltjahren Jour de la Révolution, Tag der Revolution. Auch die Monatsnamen klangen poetisch und wurden den Jahreszeiten entsprechend geformt: im Herbst Vendémiaire, an die Weinlese erinnernd, Brumaire, denn das französische brume ist der Nebel, Frimaire, denn das französische frimas ist der Raureif; im Winter Nivôse, auf den Schnee verweisend, Pluviôse, auf den Regen verweisend, Ventôse, auf den Wind verweisend; im Frühling Germinal, das lateinische germen ist die Knospe, Floréal, das lateinische flos ist die Blume, Prairial, das lateinische pratrum ist die Wiese; im Sommer Messidor, denn das lateinische messis bedeutet Ernte, Thermidor, denn das griechische thérmis bedeutet warm, und Fructidor, denn das lateinische fructus bedeutet Frucht. Allen schönen Namen zum Trotz war der Kalender im Volk nicht beliebt. Denn nur jeder zehnte, und nicht wie im jüdischen und später im christlichen Kalender üblich jeder siebente Tag galt als arbeitsfreier Tag. 1806 kehrte Frankreich durch ein Dekret Napoleons wieder zum christlichen Kalender zurück.

2 Bis heute wissen wir nicht genau, wie die römischen Rechenmeister bei solchen Rechnungen vorgegangen sind. Allgemein nimmt man an, sie haben ein Verfahren verwendet, das schon ägyptischen Gelehrten bekannt war. Wir wollen es am Beispiel der beiden Zahlen LVII und LXXV vorführen: Zuerst schreibt man die beiden Zahlen nebeneinander:

LVII LXXV

Danach notiert man unter der ersten Zahl deren Hälfte, dann von dieser Hälfte wieder die Hälfte, danach wieder die Hälfte, und so fort, bis man zur Zahl I gelangt. Und wenn eine ungerade Zahl halbiert werden soll, dann halbiert man statt ihrer die um eins kleinere gerade Zahl.

Wir zeigen dies ausführlich am Beispiel LVII: Zunächst schreiben wir sie als XXXXX V II, dann noch detaillierter als XXXX VVV II, schließlich als XXXX VV IIIIIII, denn jetzt können wir sie halbieren: XX V III. Eigentlich wären am Zahlenende sieben Einer zu halbieren, aber wir halbieren nur sechs von ihnen, das siebente I beachten wir einfach nicht. Darum sieht die Liste nun folgendermaßen aus:

LVII LXXV

XXVIII

Um die Hälfte von XXVIII berechnen zu können, schreiben wir diese Zahl als XX IIIIIIII und bekommen als deren Hälfte X IIII. Damit lautet die Liste:

LVII LXXV

XXVIII

XIIII

Weil sich XIIII als VV IIII schreiben lässt, lautet deren Hälfte V II. Die weiteren Hälften findet man sehr schnell: Statt VII, also IIIIIII, wird die um eins kleinere gerade Zahl IIIIII zu III halbiert; und statt III wird die um eins kleinere gerade Zahl II zu I halbiert. Also lautet die Liste aller Hälften so:

LVII LXXV

XXVIII

XIIII

VII

III

I

Nun werden unter der rechten Zahl LXXV die Doppelten der jeweils darüber stehenden Zahlen notiert. Also wird als erstes LXXV verdoppelt. Dies ist zunächst LL XXXX VV, folglich C XXXX X, was sich zu CL vereinfacht. Dann wird CL verdoppelt, man erhält zunächst CC LL, was sich zu CCC vereinfacht. Darum ergänzt man in der Liste nach den beiden ersten Verdopplungen um die folgenden Einträge:

LVII LXXV

XXVIII CL

XIIII CCC

VII

III

I

Nun müssen, damit gleich viele Verdopplungen wie Halbierungen erfolgen, noch drei weitere Verdopplungen durchgeführt werden: Aus CCC entsteht durch Verdopplung CCCCCC, was sich zu DC vereinfacht. Aus DC entsteht durch Verdopplung DD CC, was sich zu MCC vereinfacht. Und aus MCC entsteht durch Verdopplung MMCCCC:

LVII LXXV

XXVIII CL

XIIII CCC

VII DC

III MCC

I MMCCCC

Damit hat man die Hauptarbeit des Multiplizierens erledigt. Jetzt muss man nur noch zwei Schritte durchführen: Nach einer bizarren Geheimregel der alten ägyptischen Gelehrten sind die ungeraden Zahlen die „guten“ Zahlen und die geraden Zahlen die „bösen“ Zahlen. Immer wenn auf der linken Spalte eine gerade, also eine „böse“ Zahl auftaucht, ist diese Zeile zu streichen, damit nur die Zeilen mit den „guten“ Zahlen auf der linken Seite übrig bleiben:

LVII LXXV

XXVIII CL

XIIII CCC

VII DC

III MCC

I MMCCCC

Denn XXVIII (also 28) und XIIII (also 14) sind „böse“ Zahlen, alle übrigen Zahlen in der linken Spalte sind ungerade, also „gut“. Im letzten Schritt addiert man alle Zahlen der rechten Spalte, die nicht durchgestrichen sind, sich also auf „guten“ Zeilen befinden. Dies ergibt, nach Symbolen geordnet, zunächst

MM M D CCCC CC C L XX V.

Das Ergebnis vereinfacht sich zu MMM DD CC L XX V, in einer letzten Vereinfachung zu MMMMCCLXXV. Wir schreiben heute dafür 4275, und dies ist auch wirklich das Produkt von 57 mit 75.

3 Zuweilen glaubt man, Mathematik zeichne sich dadurch aus, dass in ihr alle Ergebnisse ganz exakt berechnet werden. Das ist jedoch keineswegs der Fall. Oft genügt es, wenn man nur den ungefähren Wert eines Resultates kennt, man also gut schätzen kann. Ist es doch beeindruckend, dass die oben durchgeführte einfache Überlegung wenigstens die Größenordnung des auf dem Schachbrett liegenden Reises mitteilt, ohne dass man dafür irgendein Rechengerät oder stundenlange Zwischenrechnungen benötigt.

Wer es aber genauer wissen will, kann zusätzlich den folgenden Gedanken ins Spiel bringen: Immer wenn wir 1024, die exakte Zahl, durch 1000 = 103, die für das Rechnen bequeme Näherung, ersetzten, leisteten wir uns einen Fehler von 2,4 %. Diesen Fehler zuungunsten der Reismenge haben wir beim 11., beim 21., beim 31., beim 41., beim 51. und beim 61. Feld, also sechsmal begangen. Daher haben wir insgesamt mit einem Unterschied von 6 × 2,4 % = 14,4 %, also von rund 15 % zwischen den grob geschätzten 16 Trillionen Körnern und den tatsächlich auf dem Schachbrett aufzustapelnden Reiskörnern zu rechnen. Weil 15 % von 16 den Wert 2,4 ergeben, sind rund 2,4 Trillionen zu den 16 Trillionen Körnern zu addieren. Darum beträgt die Summe der Reiskörner auf dem Schachbrett ziemlich genau 18,4 Trillionen Körner.

Mit einer guten Rechenmaschine ausgerüstet, kann man die genaue Zahl mühsam ermitteln, indem man die 64 Zahlen, mit 1 beginnend und die nächste immer doppelt so groß wie die vorherige, addiert: Es sind genau

18 446 744 073 709 551 615 ,

also 18 Trillionen 446 Billiarden 744 Billionen 73 Milliarden 709 Millionen 551 Tausend und 615 Körner Reis. Es gibt, nebenbei bemerkt, eine einfachere Methode, wie man zu dieser exakten Summe gelangt: Die Summe aller vorherigen Zahlen ist nämlich immer das Doppelte der letzten Zahl minus eins. Zum Beispiel ist die Summe der Körner der ersten Reihe

1 + 2 + 4 + 8 + 16 + 32 + 64 + 128 = 2 × 128 − 1 = 256 − 1 = 255 .

Daher kann man, um die Summe aller Körner auf dem Schachfeld zu ermitteln, die Zahl zwei 64-mal mit sich selbst multiplizieren und vom Ergebnis

18 446 744 073 709 551 616

eins abziehen.

4 Wie leicht man in die Irre geführt werden kann, belegt das folgende Beispiel: Angenommen, die Erde sei eine exakte Kugel mit 40 000 km Umfang am Äquator. Um diesen werde eine 40 000 km lange Schnur straff gespannt. Dann löst man die Spannung ein wenig, indem man die Schnur um 10 Zentimeter verlängert. Wie weit ist, wenn diese Verlängerung gleichmäßig entlang des ganzen Äquators verteilt wird, die Schnur dann von der Erdoberfläche entfernt? Kann ein Sandkorn, das einen Durchmesser von einem Hundertstel Millimeter besitzt, unter der Schnur hindurchschlüpfen? Die erstaunliche Antwort lautet: Sogar ein mehr als ein Zentimeter dicker Finger passt noch locker unter die Schnur – gleichzeitig und überall an allen Stellen der Erde.

5 Hipparch berücksichtigte, dass der Schatten der Erde nicht zylindrisch ist, sondern die Form eines Kegels hat. Den Öffnungswinkel dieses Kegels, der zugleich für die Verkürzung des Schattendurchmessers mit der Entfernung steht, konnte Hipparch aus der Größe der Sonnenscheibe ableiten. Die geschickte Verwendung von trigonometrischen Sätzen, die damals den griechischen Mathematikern gut bekannt waren, erlaubte Hipparch die Messung und Berechnung der Mondentfernung, wobei der Fehler seines Ergebnisses nur ein Prozent betrug.

6 Das Argument, das die Erfinder des „Kalküls“ präsentieren, könnte man folgendermaßen zu verteidigen versuchen: Auch „unendlich“ besitzt die Eigenschaft, dass einerseits „unendlich“ um 1 vermindert „unendlich“ bleibt und dass andererseits das Doppelte von „unendlich“ wieder „unendlich“ ist. Daher könnte die Summe

1 + 2 + 4 + 8 + 16 + …

„unendlich“ sein – und das ist offensichtlich ein sinnvolles Resultat. Nur steht diese Verteidigung auf sehr schwachen Beinen:

Erstens kann man mit „unendlich“ sicher nicht so einfach rechnen wie mit Zahlen. Was zum Beispiel ergibt „unendlich“ minus „unendlich“? Null, würde man auf Anhieb sagen. Wenn aber das zweite „unendlich“ in der Differenz das oben genannte „unendlich“ um 1 vermindert ist, dann müsste diese Differenz 1 lauten, denn beim zweiten „unendlich“ wird ja um 1 weniger abgezogen, als beim ersten „unendlich“ angeschrieben steht. Wenn aber jemand anderer meint, das erste „unendlich“ in der Differenz ist das oben genannte Doppelte von „unendlich“, dann müsste diese Differenz „unendlich“ lauten, denn vom Doppelten von „unendlich“ wird ja nur einmal „unendlich“ abgezogen. Widersprüche über Widersprüche.

Zweitens: Auch bei der Summe der Teile des Udjat-Auges könnte „unendlich“ das Ergebnis sein. Denn, glaubt man den Verteidigern der Erfinder des „Kalküls, besitzt „unendlich“ die Eigenschaft, dass einerseits „unendlich“ um ½ vermindert „unendlich“ bleibt und dass andererseits die Hälfte von „unendlich“ wieder „unendlich“ ist. Warum sind wir aber bei diesem Beispiel einer unendlichen Summe davon überzeugt, dass die Summe 1 und nicht die Summe „unendlich“ das richtige Resultat ist?

7 Wer das Rätsel im Detail kennenlernen möchte, findet es hier, mit feinem Humor ins Deutsche übertragen und wunderbar in Verse geschmiedet von Alexander Mehlmann, der nicht nur dichtet, sondern an der Technischen Universität Wien auch Mathematik lehrt:

Hast Du, Freund, den richt’gen Riecher,

So berechne, wieviel Viecher –

Lass uns nur von Rindern reden,

Hornbewehrte Quadrupeden –

Einst gehörten, hü und hott,

Helios, dem Sonnengott,

Auf Siziliens grüner Erde.

Milchweiß war die erste Herde,

Schwarz die zweite, zappenduster,

Braun die dritte; Fleckenmuster

Schmückte Rinderkuh und Stier

In der Herde Nummer vier.

Zahl der Stiere ganz in Weiß,

Die erhält man nur mit Fleiß

Aus der reinen Braunstier-Zahl

Plus der Hälfte und nochmal

Plus ein Drittel aller schwarzen

Stiere, deren Zahl – ihr Parzen! –

Glich der Stierzahl aller Braunen

(Schon vernehm’ ich, Freund, Dein Raunen)

Nebst dem viert- und fünften Teil

Der gefleckten Stier’, derweil

Die (der Zahl nach) sich summierten

Aus den Braunen, wohlsortierten,

Nebst dem Sechst- und Siebentel

Weißer Stiere, die zur Stell’.

Doch vergiss bei aller Müh’

Nicht des Sonnengottes Küh’.

Statt die Zähn’ sich auszubeißen

Beim Bestimmen all der weißen,

Addier’ als Sonderfall

Von der schwarzen Herdenzahl

Nur ein Drittel und ein Viertel

Und dann schnalle fest den Gürtel.

Auch der schwarzen Kühe Nummer,

Lässt sich finden ohne Kummer.

Teil die Fleckviehzahl durch Vier

Und durch Fünf und dann addier’!

Elf durch dreißig der brünetten

Rinder in Trinakriens Stätten

Ist die Zahl der Küh’ mit Fleck.

Rätselhaft bleibt noch der Zweck,

Denn die Zahl der Braunviehdamen

(Nichts zur Sache tun die Namen)

Dividiert durch die der Rinder,

Die so weiß, wie ihre Kinder,

Sie ergibt ganz informell

Ein Sechstel und sein Siebentel.

Nennst du mir – getrennt nach Gender

Und nach Farben der Gewänder(?) –

All die Zahlen auf der Wiese,

Bist fürwahr ein PISA-Riese!

Zur Elite erster Klasse

Ich dich erst gehören lasse,

Wenn du lösest schnell wie’n Pfeil

Auch des Rätsels zweiten Teil.

Wenn man sie zusammenführe

Die Gesamtzahl aller Stiere,

Die pechschwarz und weiß wie Schnee,

So erhielt’ man ein Karree.

Schichtet man der Stiere Rest

Reihenweis’, wobei man lässt

Jeweils in der nächsten Reih’

Gleich viel Hörner minus zwei,

So benötigt man als Spitze

Einen Stier nur (ohne Vize)

Und die Rindviehformation

Bildet glatt ein Dreieck schon.

(Aus: A. Mehlmann: Mathematische Seitensprünge: Ein unbeschwerter Ausflug in das Wunderland zwischen Mathematik und Literatur. Vieweg, 2007).

Im ersten Absatz des Gedichts wird die Aufgabe vorgestellt. Es ist die Berechnung der Zahl der „hornbewehrten Quadrupeden“, also der mit Hörnern ausgestatteten „Vierfüßler“, vulgo der Rinder, die auf „Siziliens grüner Erde“ grasen. Im zweiten Absatz wird mitgeteilt, dass es weiße Stiere (ihre Anzahl sei w) und weiße Kühe (ihre Anzahl sei W), schwarze Stiere (ihre Anzahl sei s) und schwarze Kühe (ihre Anzahl sei S), braune Stiere (ihre Anzahl sei b) und braune Kühe (ihre Anzahl sei B), sowie gefleckte Stiere (ihre Anzahl sei g) und gefleckte Kühe (ihre Anzahl sei G) gibt.

Der dritte Absatz betrifft nur die Stiere. Hier formuliert Archimedes die Gleichungen:

w = b + ( 1/2 + 1/3 )s

s = b + ( 1/4 + 1/5 )g

g = b + ( 1/6 + 1/7 )w

Im vierten Absatz werden die Gleichungen in Worten umschrieben, nach denen sich die Zahlen der Kühe errechnen:

W = ( 1/3 + 1/4 )(s + S )

S = ( 1/4 + 1/5 )(g + G )

G = ( 1/5 + 1/6 )(b + B )

B = ( 1/6 + 1/7 )(w + W )

(In Alexander Mehlmanns Übertragung wird 1/5 + 1/6 gleich als „elf durch dreißig“ ausgerechnet.)

Im fünften Absatz teilt Archimedes mit, dass diese sieben Gleichungen in acht Unbekannten, sogenannte „diophantische Gleichungen“, die bloß ganze Zahlen als Lösungen zulassen, nur den ersten Teil des Rätsels darstellen. Wer diese Gleichungen zu lösen versteht, ist „fürwahr ein PISA-Riese“ – eine leise Anspielung auf die PISA-Tests, mit denen die Schülerinnen und Schüler belästigt werden –, aber noch nicht eine zur „Elite“ gehörende mathematische Koryphäe.

Im sechsten Absatz teilt Archimedes mit, dass die Summe s + w eine Quadratzahl ist: Die schwarzen und die weißen Stiere kann man Zeile für Zeile und Spalte für Spalte in ein quadratisches Muster ordnen. Im siebenten Absatz schichtet Archimedes die restlichen Stiere, deren Anzahl b + g beträgt, Zeile für Zeile so an, dass in jeder darauffolgenden Zeile ein Stier weniger vorkommt (umschrieben mit „gleich viel Hörner minus zwei“) und sich in der obersten Zeile nur ein einziger Stier („ohne Vize“) befindet. Mathematisch gesprochen: b + g ist eine Dreieckszahl. Weil Dreieckszahlen die Gestalt 1/2 · (n2 + n) und Quadratzahlen die Form m2 besitzen, erkennt man, dass der zweite Teil des archimedischen Rätsels aus „diophantischen Gleichungen“ zweiten Grades besteht.

8 Die „subtile Beziehung“ zwischen den beiden zu ermittelnden Zahlen geht auf ein uraltes Problem des Pythagoras zurück: Pythagoras vermutete, dass sich alles in der Welt durch Bruchzahlen, bei denen Zähler und Nenner ganze Zahlen sind (und der Nenner von null verschieden ist), beschreiben lässt. Doch schon in der Geometrie zeigte sich, dass dies falsch ist.

Errichtet man zum Beispiel über der Diagonale eines Quadrats ein zweites Quadrat mit dieser Diagonale als Seitenlänge, dann besitzt dieses zweite Quadrat offenkundig den doppelt so großen Flächeninhalt wie das erste Quadrat. Nehmen wir nun an, das erste Quadrat habe eine Seitenlänge von x Längeneinheiten – ob man dabei einen Meter, einen Millimeter oder gar nur einen Atomdurchmesser als Längeneinheit wählt, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Dann errechnet sich der Flächeninhalt des Quadrats in der entsprechenden Flächeneinheit – Quadratmeter, Quadratmillimeter, von welcher Längeneinheit man auch immer ausgegangen ist –, indem man die Zahl x mit sich selbst multipliziert. Dieses Ergebnis nennt man dementsprechend „x-Quadrat“ und bezeichnet es mit dem Symbol x2. Ist zum Beispiel x = 12, dann ist x2 = 144. Ist y = 17, dann ist y2 = 289. Zufällig stimmt 289 fast genau mit dem Doppelten von 144, also mit 288, überein. Mit anderen Worten: Ein Quadrat, dessen Seite 12 Zentimeter lang ist, besitzt eine Diagonale, die nur um einen Hauch kürzer als 17 Zentimeter ist. Das Verhältnis zwischen der Diagonalenlänge und der Seitenlänge eines Quadrats ist daher nur um ein wenig kleiner als die Bruchzahl 17/12. Und die Griechen fragten sich, ob dieses Verhältnis überhaupt eine Bruchzahl y/x sein kann.

Wenn dies der Fall wäre, müsste das Quadrat, dessen Seite x Längeneinheiten lang ist, eine Diagonale besitzen, die y Längeneinheiten misst. Der Flächeninhalt y2 des über der Diagonale errichteten Quadrats müsste demnach doppelt so groß wie der Flächeninhalt x2 des ursprünglichen Quadrates sein. Dies drückt die Formel y2 = 2 ⋅ x2 aus.

Dem großen griechischen Philosophen Aristoteles wird nachgesagt, dass er die folgende Begründung dafür gefunden hat, dass es keine Zahlen x und y gibt, für die y2 = 2 ⋅ x2 zutrifft:

Nehmen wir an, es gäbe sie doch. Aristoteles betrachtete zuerst den Fall, dass die Zahl y ungerade wäre. Dann bliebe auch y2, also y mit sich selbst multipliziert, ungerade. Dann kann aber y2 = 2 ⋅ x2 nicht zutreffen, denn 2 ⋅ x2 ist sicher durch 2 teilbar, also gerade.

Folglich müsste y eine gerade Zahl sein. Und y2, also y mit sich selbst multipliziert, wäre sogar durch 4 teilbar.

Dann aber, so schloss Aristoteles weiter, könnte x unmöglich eine ungerade Zahl sein. Denn wäre x ungerade, bliebe auch x2, also x mit sich selbst multipliziert, ungerade. Die Zahl 2 ⋅ x2 wäre zwar durch 2, nicht aber durch 4 teilbar. Dies müsste sie sein, wenn bei einer geraden Zahl y die Formel y2 = 2 ⋅ x2 stimmte.

Aristoteles folgerte aus diesen Überlegungen: Gäbe es Zahlen x und y, für die y2 = 2 ⋅ x2 zutrifft, dürfte keine von ihnen ungerade sein. Beide Zahlen x und y müssten gerade Zahlen sein.

Die Seite des Quadrats, von dem wir ausgegangen waren, müsste folglich eine gerade Zahl von Längeneinheiten und auch ihre Diagonale eine gerade Zahl von Längeneinheiten messen. Dann aber, so Aristoteles, könnten wir genauso gut vom Quadrat ausgehen, dessen Seite und Diagonale halb so lang wären. Doch auch bei ihm müssten Seite und Diagonale jeweils gerade Zahlen von Längeneinheiten lang sein. Wieder könnten wir das Quadrat im Maßstab 1 : 2 verkleinern. Aber auch bei diesem noch kleineren Quadrat müssten Seite und Diagonale jeweils gerade Zahlen von Längeneinheiten lang sein.

Und diese Längenhalbierungen ließen sich endlos fortsetzen. Bei jedem noch so kleinen Quadrat wären Seite und Diagonale jeweils gerade Zahlen von Längeneinheiten lang, und das Quadrat ließe sich weiter halbieren.

Was endgültig absurd ist, weil Seite und Diagonale des Quadrats ganzzahlige Vielfache der Längeneinheit sind und nicht beliebig klein werden dürfen.

Darum, so Aristoteles, gibt es überhaupt keine Zahlen x und y, für die y2 = 2 ⋅ x2 zutrifft. (Heute würde man vielleicht dagegen protestieren, weil bei x = 0 und bei y = 0 die Formel stimmt. Aber die alten Griechen rechneten, klug wie sie waren, Null nicht zu den Zahlen, sondern kannten nur die positiven ganzen Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, ….) Und darum ist das Verhältnis der Diagonalenlänge zur Seitenlänge eines Quadrats mit Sicherheit keine Bruchzahl.

Von Mathematik Faszinierte geben sich nie mit bislang erhaltenen Resultaten zufrieden. Immer fragen sie weiter, versuchen noch umfassendere Erkenntnisse zu gewinnen.

So auch hier. Wenn schon keine Zahlen x und y aufzufinden sind, für die y2 = 2 ⋅ x2 zutrifft, so gibt es vielleicht Zahlen x und y, die in die Formel y2 = 2 ⋅ x2 + 1 eingesetzt werden können. Mit dem kleinen Zusatz „+ 1“ ändert sich scheinbar nur unerheblich wenig, aber die von Aristoteles geführte Argumentation bricht völlig in sich zusammen. Und wirklich zeigt sich, das zuvor genannte Beispiel x = 12 und y = 17 belegt es, dass es bei dieser nur winzigen Änderung tatsächlich Lösungen der neuen Gleichung gibt. Wie man beweisen kann: sogar unendlich viele.

Es war Pierre de Fermat, jener französische Privatgelehrte, den wir als Miterfinder des „Kalküls“ bereits kennenlernten, der dies in einer seiner Aufzeichnungen wie beiläufig anmerkte. Er behauptete auch, dass der Faktor 2 vor dem x2 in der Formel y2 = 2 ⋅ x2 + 1 durch irgendeine andere Zahl ersetzt werden darf, solange diese nur keine Quadratzahl ist. So gibt es unendlich viele Zahlen x und y, für die y2 = 3 ⋅ x2 + 1 zutrifft, unendlich viele Zahlen x und y, für die y2 = 5 ⋅ x2 + 1 zutrifft, und so weiter. Zuweilen muss man sehr lange suchen, bis man sie findet. Zum Beispiel sind bei y2 = 991 ⋅ x2 + 1 die kleinsten Zahlen x und y, welche dieser Gleichung gehorchen, die Zahlengiganten

x = 12 055 735 790 331 359 447 442 538 767

und

y = 379 516 400 906 811 930 638 014 896 080.

Woher Fermat seine Überzeugung nahm, wissen wir nicht. Erst ungefähr hundert Jahre später hat der überaus emsige Schweizer Mathematiker Leonhard Euler bewiesen, dass er damit recht hatte.

Doch Archimedes wusste bereits Jahrhunderte zuvor, woran Pierre de Fermat glaubte und was Leonhard Euler bewies. Denn der zweite Teil des Rätsels über die Rinder des Sonnengottes mündet darin, zwei Zahlen x und y zu finden, die der Gleichung

y2 = 410 286 423 278 424 ⋅ x2 + 1

gehorchen. Wie man sieht, handelt es sich um den gleichen Typ von Gleichung wie y2 = 2 ⋅ x2 + 1, y2 = 3 ⋅ x2 + 1, y2 = 5 ⋅ x2 + 1 oder y2 = 991 ⋅ x2 + 1. Nur hier eben mit einem riesigen Faktor vor dem x2.

9 Für Kenner: Der Wert 70 rührt daher, weil 70 Hundertstel, also 0,7, ziemlich genau dem natürlichen Logarithmus von 2 entsprechen.

10 Aber das ist erst der Anfang dessen, was die Mathematik an großen Zahlen zu liefern imstande ist.

Ein Beispiel einer wirklich sagenhaft großen Zahl, gegen die sogar 3↑↑↑3 verblasst, finden wir aufgrund einer Erkenntnis, die dem britischen Mathematiker Reuben Louis Goodstein im Jahre 1944 gelang. Um sie nachvollziehen zu können, müssen wir allerdings ein wenig ausholen:

Zuerst erklären wir, was die Darstellung „zu einer Basis“ bedeutet. Eine „Basis“ ist dabei eine von 1 verschiedene Zahl. Betrachten wir zum Beispiel die kleinstmögliche Basis 2 und die Zahl 42. Wir dividieren die vorgelegte Zahl durch die Basis, in unserem Beispiel 42 : 2, erhalten 21 als Quotienten und 0 als Rest und schreiben folglich

42 = 21 × 2 + 0.

Jetzt dividieren wir den Quotienten durch die Basis, in unserem Beispiel 21 : 2, und bekommen 10 als Quotienten und 1 als Rest, also

21 = 10 × 2 + 1.

Das Spiel setzen wir mit dem nächsten Quotienten so lange fort, bis es beim Quotienten Null endet. Der Reihe nach bekommt man so aus den Divisionen die Resultate

42 = 21 × 2 + 0

21 = 10 × 2 + 1

10 = 5 × 2 + 0

5 = 2 × 2 + 1

2 = 1 × 2 + 0

1 = 0 × 2 + 1 .

Jetzt setzt man diese Resultate ineinander ein:

42 = 21 × 2 + 0

= (10 × 2 + 1) × 2 + 0 = 10 × 22 + 1 × 2 + 0

= (5 × 2 + 0) × 22 + 1 × 2 + 0 = 5 × 23 + 0 × 22 + 1 × 2 + 0

= (2 × 2 + 1) × 23 + 0 × 22 + 1 × 2 + 0 = 2 × 24 + 1 × 23 + 0 × 22 + 1 × 2 + 0

= (1 × 2 + 0) × 24 + 1 × 23 + 0 × 22 + 1 × 2 + 0 =


1 × 25 + 0 × 24 + 1 × 23 + 0 × 22 + 1 × 2 + 0.

Mit dem Ergebnis

42 = 1 × 25 + 0 × 24 + 1 × 23 + 0 × 22 + 1 × 2 + 0

ist die Zahl 42 zur Basis 2 dargestellt. Wir nennen die vor den Potenzen von 2 auftretenden Faktoren 1, 0, 1, 0, 1 und auch die zum Schluss aufgeschriebene 0 (es ist der Faktor der Potenz 20, die mit 1 übereinstimmt, weil man jede Zahl zur nullten Potenz gleich 1 setzt) die „Ziffern“ der Zahl 42 zur Basis 2. Die oben angeschriebene Darstellung von 42 zur Basis 2 wird gerne mit der Bezeichnung (1 0 1 0 1 0)2 abgekürzt, ausführlich:

42 = 1 × 25 + 0 × 24 + 1 × 23 + 0 × 22 + 1 × 2 + 0 = (1 0 1 0 1 0)2 .

Man kann 42 natürlich auch zur Basis 5 darstellen. In diesem Fall lauten die Divisionen

42 = 8 × 5 + 2

8 = 1 × 5 + 3

1 = 0 × 5 + 1 .

Jetzt setzt man die einzelnen dieser Resultate ineinander ein:

42 = 8 × 5 + 2

= (1 × 5 + 3) × 5 + 2 = 1 × 52 + 3 × 5 + 2,

mit dem Ergebnis

42 = 1 × 52 + 3 × 5 + 2 = (1 3 2)5 .

Noch einfacher ist es, 42 zur Basis 7 darzustellen. Da gibt es nur zwei Divisionen

42 = 6 × 7 + 0

6 = 0 × 7 + 6 ,

woraus sich unmittelbar die Darstellung

42 = 6 × 7 + 0 = (6 0)7

ergibt. Genauso leicht ist die Darstellung von 42 zur Basis 10. Auch hier gibt es nur zwei Divisionen

42 = 4 × 10 + 2

4 = 0 × 10 + 4,

woraus die Darstellung

42 = 4 × 10 + 2 = (4 2)10

folgt. Die Darstellung einer Zahl zur Basis 10 ist uns seit Adam Ries wohlbekannt: Es ist die übliche Schreibweise von Zahlen im Dezimalsystem.

Im Folgenden sind aber die verschiedenen Basen wichtig. Denn nur so verstehen wir, was Goodstein das „Aufblähen“ einer Zahl nennt: Beim „Aufblähen der Zahl 42 von der Basis 5 zur Basis 6“ ersetzt man in der Darstellung

42 = 1 × 52 + 3 × 5 + 2

alle vorkommenden Zahlen 5 durch 5 + 1 = 6 und berechnet die dabei entstehende Zahl:

1 × 62 + 3 × 6 + 2 = 36 + 18 + 2 = 56.

Beim Aufblähen von der Basis 5 zur Basis 6 ist also aus 42 die größere Zahl 56 entstanden. Ebenso können wir 42 von der Basis 7 zur Basis 8 aufblähen: Ausgehend von 42 = 6 × 7 + 0 bildet man, weil 7 durch 7 + 1 = 8 ersetzt wird, 6 × 8 + 0 = 48. Hier ist aus 42 die Zahl 48 entstanden. Und beim Aufblähen der Zahl 42 von der Basis 10 zur Basis 11 ersetzt man 10 durch 10 + 1 = 11 und bildet 4 × 11 + 2. Es ergibt sich die aufgeblähte Zahl 46. Bevor wir die Zahl 42 von der Basis 2 zur Basis 3 aufblähen, müssen wir aber noch eine weitere Forderung berücksichtigen, die Goodstein beim Aufblähen erhob: 42 lautet zur Basis 2 bekanntlich

42 = 1 × 25 + 0 × 24 + 1 × 23 + 0 × 22 + 1 × 2 + 0.

Hier kommen Hochzahlen vor, die man ebenfalls zur Basis 2 darstellen kann, nämlich

5 = 1 × 22 + 0 × 2 + 1, 4 = 1 × 22 + 0 × 2 + 0,


3 = 1 × 2 + 1 und 2 = 1 × 2 + 0.

Diese Darstellungen der Hochzahlen fügt man in die obige Formel ein, so dass eine Darstellung von 42 entsteht, in der nirgendwo, auch nicht in den Hochzahlen, Zahlen vorkommen, die größer als 2 sind:

.

Der Einfachheit halber können wir in dieser Darstellung von 42, für die wir 2(42) schreiben, alle Summanden, bei denen der Faktor 0 auftaucht, weglassen. Also bleibt:

.

Jetzt bläht Goodstein die Zahl 42 von der Basis 2 zur Basis 3 auf, indem er überall, wo die Zahl 2 auftaucht, diese durch 2 + 1 = 3 ersetzt. Er bekommt somit

22 876 792 455 045.

Ein solches Aufblähen hat es also in sich.

An dieser Stelle ist es von Nutzen, für das Aufblähen eine Bezeichnung einzuführen: Wir schreiben b(a), wenn wir die Zahl a zur Basis b darstellen, darin eingeschlossen auch alle vorkommenden Hochzahlen und wenn nötig auch die Hochzahlen dieser Hochzahlen, so dass nirgendwo in dieser Darstellung eine größere Zahl als b aufscheint. Ersetzt man nun alle in dieser Darstellung vorkommenden Zahlen b durch die um 1 größere Zahl b + 1, ist die Zahl a von der Basis b zur Basis b + 1 aufgebläht worden. Das Ergebnis, das Goodstein mit diesem Aufblähen erhält, nennen wir b + 1Ωb(a). Es sind 6Ω5(42) = 56, 8Ω7(42) = 48, 11Ω10(42) = 46 und 3Ω2(42) = 22 876 792 455 045.

Wie sich zeigt, wirkt sich das Aufblähen einer Zahl nur dann aus, wenn die Basis b höchstens so groß wie die Zahl a ist, die aufgebläht werden soll. So ist zum Beispiel 42 zur Basis 43 dargestellt nichts anderes als 42 selbst, und ein Ersetzen von 43 durch 44 ändert daran gar nichts. Also ist 44Ω43(42) = 42. Natürlich ist auch 100Ω99(42) = 42, allgemein gilt für jede Basis b, die größer als 42 ist, b + 1Ωb(42) = 42.

Wenn jedoch die Basis b viel kleiner als die Zahl a ist, explodiert b + 1Ωb(a) regelrecht.

Nun kommen wir zum Clou dessen, weshalb Goodstein diesen Begriff des Aufblähens einer Zahl erfand. Goodstein geht von irgendeiner Zahl a1 aus. Zuerst stellt er a1 zur Basis 2 dar, bildet also 2(a1) und bläht die Zahl von der Basis 2 zur Basis 3 auf, das heißt, er berechnet 3Ω2(a1). Von der so erhaltenen Zahl zieht er 1 ab, und nennt das Ergebnis a2. Es ist also a2 = 3Ω2(a1) − 1. Diese Zahl a2 stellt Goodstein zur Basis 3 dar und bläht die Zahl von der Basis 3 zur Basis 4 auf, er berechnet also 4Ω3(a2). Die nächste Zahl a3 seiner Folge bekommt er, wenn er von diesem Ergebnis 1 abzieht, das heißt: a3 = 4Ω3(a2) − 1. Jetzt stellt Goodstein a3 zur Basis 4 dar, bläht sie von der Basis 4 zur Basis 5 auf, bildet also 5Ω4(a3), und zieht, um die Zahl a4 zu erhalten, davon wieder 1 ab: a4 = 5Ω4(a3) − 1. In dieser Weise fährt er immer weiter fort. Die Folgeglieder seiner Folge sind somit:

a1 , a2 = 3Ω2(a1 ) − 1, a3 = 4Ω3(a2) − 1, a4 = 5Ω4(a3) − 1, a5 = 6Ω5(a4) − 1, …,

allgemein: an = n + 1Ωn(an – 1) − 1.

Sehen wir uns zum Beispiel die Goodstein-Folge von a1 = 3 an: Es ist 2(3) = 1 × 2 + 1, also 3Ω2(3) = 1 × 3 + 1 = 4, folglich a2 = 3Ω2(3) − 1 = 4 − 1 = 3. Nun ist 3(3) = 1 × 3, also 4Ω3(3) = 1 × 4 = 4 und a3 = 4Ω3(3) − 1 = 4 − 1 = 3. Als Nächstes lautet 4(3) = 3, hier ändert sich beim Aufblähen nichts: 5Ω4(3) = 3, und daher ist a4 = 3 − 1 = 2. Es bleibt auch 6Ω5(2) = 2, also ist a5 = 2 − 1 = 1, und es bleibt auch 7Ω6(1) = 1, also ist a6 = 1 − 1 = 0. Von da an bleibt die Goodstein-Folge konstant null.

Bei der Goodstein-Folge von a1 = 4 geht es bereits heftiger zu: Es ist 2(4) = 1 × 22, also 3Ω2(4) = 1 × 33 = 27, folglich a2 = 3Ω2(3) − 1 = 27 − 1 = 26. Nun ist 3(26) = 2 × 32 + 2 × 3 + 2, also 4Ω3(26) = 2 × 42 + 2 × 4 + 2 = 42, folglich a3 = 4Ω3(26) − 1 = 42 − 1 = 41. Als Nächstes lauten die Folgeglieder a4 = 60, a5 = 83, a6 = 109, a7 = 139. Scheinbar werden die Folgeglieder immer größer. Tatsächlich muss man ziemlich lange warten, bis diese Zunahme aufhört. Dann aber bleibt die Folge für lange Zeit konstant und nimmt schließlich – weil die Basis schon größer als das entsprechende Folgeglied geworden ist, Schritt für Schritt ab. Erst nach dem Folgeglied mit der Nummer 3 × 2402 653 211 (das ist eine Zahl mit mehr als 121 Millionen Stellen) wird endlich null erreicht.

Betrachtet man die Goodstein-Folge von einer Zahl a1 und wird bei dieser Folge nach dem Folgeglied mit der Nummer n die Null erreicht, gilt also an = 1 und an+1 = 0, dann bezeichnen wir diese Nummer n mit n = Θ(a1). Es sind zum Beispiel Θ(1) = 1, Θ(2) = 3, Θ(3) = 5 und Θ(4) = 3 × 2402 653 211.

Unglaublich rasant wächst die Goodstein-Folge zum Beispiel bei a1 = 19. (Die Zahl 19 eignet sich gut zum Verständnis des Prozesses, weil wir hier wenigstens die nächsten paar Folgeglieder als Potenztürme aufschreiben können.) Das zweite Folgeglied a2 errechnet sich wegen

a1 =

so:

.

Das ist bereits eine ziemlich große Zahl, nämlich a2 = 7 625 597 484 990. Das dritte Folgeglied a3 ergibt sich aus

.

Dieses Folgeglied ist eine Zahl, die mit 13… beginnt und 155 Stellen besitzt. Das vierte Folgeglied a4 ergibt sich aus

.

Dieses Folgeglied ist eine Zahl, die mit 18… beginnt und 2185 Stellen besitzt. Das fünfte Folgeglied a5 ergibt sich aus

.

Dieses Folgeglied ist eine Zahl, die mit 26… beginnt und 36 306 Stellen besitzt. Schließlich ergibt sich das sechste Folgeglied a6 aus der Rechnung

.

Dieses Folgeglied ist ein Zahlenmonster, das mit 38… beginnt und 659 974 Stellen besitzt. Die mit a = 19 beginnende Goodstein-Folge scheint ins Unermessliche zu wachsen.

Doch Goodstein behauptet, dass auch diese Folge irgendwann einmal bei Null enden wird. Es ist völlig unklar, auch Goodstein hat nicht die leiseste Ahnung, wie lange man darauf warten muss. Er stellt lediglich fest, dass es irgendwann geschieht. Sicher ist eine schier riesige Anzahl von Folgegliedern zu durchlaufen, jenseits aller Vorstellungskraft, jenseits auch aller Möglichkeiten, dies abzuschätzen, aber irgendwann, bei irgendeinem riesigen n = Θ(19), wird an + 1 = 0.

Goodstein behauptet sogar, dass die von ihm konstruierte Folge der Zahlen

a1 , a2 = 3Ω2(a1) − 1, a3 = 4Ω3(a2) − 1, a4 = 5Ω4(a3) − 1,


a5 = 6Ω5(a4) − 1, …

stets bei Null enden muss, ganz egal, mit welcher Zahl a1 man beginnt. Das ist eine verblüffende, eine geradezu ungeheuerliche Aussage. Nicht einmal für a1 = 19 würde man es vermuten. Aber es stimmt, so teilt uns Goodstein mit, sogar für das Zahlenmonster a1 = 3 ↑ ↑ ↑ 3. Und dies trotz der Tatsache, dass es uns nie gelingen wird 2(3 ↑ ↑ ↑ 3) anzugeben, weil schon das nächste Folgeglied a2 = 3Ω2(3 ↑ ↑ ↑ 3) − 1 in unerreichbarer Ferne liegt.

Irgendwann, so versichert Goodstein, tritt der Fall ein, dass die verwendeten Basen, die ja mit jedem Folgeglied um 1 wachsen, die ins Gigantische explodierenden Folgeglieder einholen. Um dies jedoch begründen zu können, muss Goodstein das Unendliche, dem die berstenden Folgeglieder entgegenzustreben scheinen, als mathematisch sinnvollen Begriff fassen. Wir kommen darauf im letzten Kapitel zu sprechen. Ob sein mathematisches Modell des Unendlichen dem Wesen dieses Begriffs gerecht wird, ist allerdings eine offene Frage – und sie wird wahrscheinlich ewig offen bleiben.

Nimmt man das von Goodstein verwendete mathematische Modell des Unendlichen ernst, dann hat Goodstein tatsächlich recht. Es gibt nicht nur die Zahlen Θ(1), Θ(2), Θ(3) und Θ(4), es gibt auch Θ(19). Selbst Θ(3 ↑ ↑ ↑ 3) muss es geben – eine schwindelerregende Zahl.

11 Dies liegt daran, dass die Zahlen 10, 100, 1000, … bei der Division durch 3 immer den Rest 1 übrig lassen. Dividiert man eine Zahl wie zum Beispiel 4281 durch 3, bleibt bei der Division von 4000 durch 3 der Rest 4 × 1 = 4, bei der Division von 200 durch 3 der Rest 2 × 1 = 2, bei der Division von 80 durch 3 der Rest 8 × 1 = 8 und bei der Division von 1 durch 3 der Rest 1 × 1 = 1. Darum bleibt bei der Division von 4281 durch 3 der Rest 4 + 2 + 8 + 1 = 15, und diese Zahl ist durch 3 teilbar, lässt also als kleinstmöglichen Rest null.

12 Was Mersenne an diesen Beispielen zeigte, stimmt immer: Wenn man eine aus den Faktoren a und b zusammengesetzte Zahl a × b betrachtet, wobei sowohl a als auch b größer als 1 sind, dann ist

2 a×b − 1 = (2 a− 1) × (1 + 2 a + 22a + … + 2(b – 1)×a)

eine zusammengesetzte Zahl.

13 Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Fermat schrieb diese Zahlen als Potenztürme. Sie besitzen nämlich zugleich die Darstellungen

, , ,

und so weiter.

14 Im Prinzip könnte man 4 294 967 297 der Reihe nach durch die Primzahlen aus einer genügend langen und vollständigen Primzahlentabelle dividieren und untersuchen, ob die Division ohne Rest aufgeht. Aber das ist nicht nur außerordentlich zeitaufwendig, es ist auch erbärmlich primitiv. Euler ging sicher anders vor. Vielleicht stellte er fest, dass 641 = 54 + 24 und zugleich 641 = 5 × 27 + 1 ist. Wegen der ersten Formel teilt 641 die Zahl (54 + 24) × 228 und wegen der zweiten Formel teilt 641 die Zahl 54 × (228 − 1), weil man deren zweiten Faktor in

228 − 1 = (27 + 1) × (221 − 214 + 27 − 1)

zerlegen kann. Wenn somit 641 die Zahlen (54 + 24) × 228 und 54 × (228 − 1) teilt, dann teilt sie auch deren Differenz, die

(54 + 24) × 228 − 54 × (228 − 1) = 24 × 228 + 1 = 232 + 1 = 4 294 967 297

beträgt.

15 Wir jedoch wollen verstehen: Warum funktioniert das eigenartige Verfahren des Chiffrierens und Dechiffrierens? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir weit ausholen und blicken auf Pierre de Fermat, jenen unerhört geistreichen Rechtsgelehrten aus der Zeit des Barock, der seine Freizeit am liebsten mit dem Studium der Zahlen zubrachte.

Man muss sich Fermat als vom Rechnen besessen vorstellen. Manisch suchte er den Zahlen Geheimnisse zu entlocken. So fiel ihm zum Beispiel auf, dass die fünften Potenzen aller Ziffern durchwegs mit eben dieser Ziffer an der Einerstelle enden: 05 = 0 endet mit 0, 15 = 1 endet mit 1, 25 = 32 endet mit 2, 35 = 243 endet mit 3, 45 = 1024 endet mit 4, 55 = 3125 endet mit 5, 65 = 7776 endet mit 6, 75 = 16 807 endet mit 7, 85 = 32 768 endet mit 8 und 95 = 59 049 endet mit 9. Und wie sieht das bei den dritten Potenzen aus? Da stimmt es nicht. Es ist zum Beispiel 23 = 8: diese Zahl endet nicht mit 2. Aber Fermat stellt fest, dass 23 − 2, also 8 − 2 = 6 durch die Hochzahl 3 teilbar ist. Das nämlich war es eigentlich, was er oben festgestellt hat: dass die fünfte Potenz jeder Ziffer minus eben dieser Ziffer durch fünf teilbar ist. Und er rechnet weiter: Es ist 33 − 3, also 27 − 3 = 24, und diese Zahl ist tatsächlich durch 3 teilbar. Genauso bestätigt er dass 43 − 4, also 64 − 4 = 60 durch 3 teilbar ist, dass 53 − 5, also 125 − 5 = 120 durch 3 teilbar ist, dass 63 − 6, also 216 − 6 = 210 durch 3 teilbar ist, dass 73 − 7, also 343 − 7 = 336 durch 3 teilbar ist, dass 83 − 8, also 512 − 8 = 504 durch 3 teilbar ist, ferner dass 93 − 9, also 729 − 9 = 720 durch 3 teilbar ist, dass sogar 103 − 10, also 1000 − 10 = 990 durch 3 teilbar ist und dass 113 − 11, also 1331 − 11 = 1320 durch 3 teilbar ist.

Das kann doch kein Zufall sein! Oder vielleicht doch? Was ist, wenn man die vierten Potenzen von Zahlen betrachtet? Zum Beispiel ist 34 = 81 Aber 34 − 3, also 81 − 3 = 78 ist nicht durch 4 teilbar. Wie aber sieht es mit den siebenten Potenzen aus? Bei 27 = 128 tritt das Phänomen wieder zutage: 27 − 2, also 128 − 2 = 126 ist durch 7 teilbar. Und bei 37 = 2187 stimmt es auch: 37 − 3, also 2187 − 3 = 2184 ist durch 7 teilbar.

Bei der Hochzahl 4 stellt Fermat das Phänomen nicht fest, wohl aber bei den Hochzahlen 5, 3 oder 7. Die Zahlen 3, 5, 7, so überlegt Fermat, sind Primzahlen, 4 hingegen nicht. Vielleicht liegt es daran?

Nun lässt ihn dieser Gedanke nicht mehr los: Wenn p eine Primzahl bezeichnet, so scheint für jede Zahl a die Differenz apa durch diese Primzahl p teilbar zu sein. Eine raffinierte Überlegung, die sein Zeitgenosse und Brieffreund Blaise Pascal entwickelt hatte, bestärkte ihn bei seiner Vermutung:

Was geschieht, so fragt Fermat, wenn man nicht die p-te Potzenz von a, also die Zahl ap, sondern die p-te Potenz der nächsten Zahl, also (a + 1)p berechnet? Ausführlich angeschrieben sieht das so aus:

(a + 1) p = (a + 1) (a + 1) (a + 1)… (a + 1),

mit anderen Worten: p-mal wird (a + 1) mit sich selbst multipliziert. Das auszurechnen scheint unerhört mühsam – besonders dann, wenn p eine große Primzahl ist. Aber einiges lässt sich doch bei dieser Rechnung feststellen.

Sehen wir uns zum Beispiel diese Rechnung für die Primzahl p = 5 an: Das Ergebnis lautet

(a + 1)5 = (a + 1)(a + 1)(a + 1)(a + 1)(a + 1) = a5 + 1 + 5a4 + 10a3 + 10a2 + 5a.

Wieso kommt man dazu? Der erste Summand a5 ist klar: Alle fünf ersten Summanden a in den Klammern wurden miteinander multipliziert. Auch der zweite Summand 1 ist klar: Alle fünf zweiten Summanden 1 in den Klammern wurden miteinander multipliziert. Der dritte Summand 5a4 kommt so zustande: Man nimmt von den Klammern vier erste Summanden a und einen zweiten Summanden 1 und multipliziert diese. Und es gibt genau 5 Möglichkeiten für diese Auswahl, daher der Faktor 5 vor der Potenz a4. Genauso kann man erklären, wie der letzte Summand 5a entsteht. Der vierte Summand 10a3 kommt so zustande: Man nimmt von den Klammern drei erste Summanden a und zwei zweite Summanden 1 und multipliziert diese. Wie viele Möglichkeiten gibt es für diese Auswahl? Für den einen zweiten Summanden 1 offenbar fünf und für den anderen zweiten Summanden 1 nur mehr vier, denn eine der Zahlen 1 ist ja schon für den ersten Summanden 1 gewählt worden. Das deutet auf 5 × 4 = 20 mögliche Wahlen hin. Allerdings ist zu bedenken, dass jeweils zwei dieser Wahlen zum gleichen Ergebnis führen, weil von den beiden gewählten Zahlen 1 unerheblich ist, welche von ihnen der „erste“ und welche der „zweite“ der gewählten Summanden ist. Die Anzahl der möglichen Vertauschungen von zwei gewählten Zahlen beträgt 1 × 2 = 2. Durch diese Zahl 2 muss man 20 dividieren, wodurch der Faktor 10 vor der Potenz a3 entsteht. Schließlich kommt der dritte Summand 10a2 so zustande: Man nimmt von den Klammern zwei erste Summanden a und drei zweite Summanden 1 und multipliziert diese. Wie viele Möglichkeiten gibt es für diese Auswahl? Für den einen zweiten Summanden 1 offenbar fünf, für den nächsten zweiten Summanden 1 nur mehr vier und für den letzten zweiten Summanden 1 nur mehr drei. Das deutet auf 5 × 4 × 3 = 60 mögliche Wahlen hin. Allerdings ist zu bedenken, dass jeweils sechs dieser Wahlen zum gleichen Ergebnis führen, weil von den drei gewählten Zahlen 1 unerheblich ist, welche von ihnen der „erste“, welche der „zweite“ und welche der „dritte“ der gewählten Summanden 1 ist. Die Anzahl der möglichen Vertauschungen von drei gewählten Zahlen beträgt 1 × 2 × 3 = 6. Durch diese Zahl 6 muss man 60 dividieren, wodurch der Faktor 10 vor der Potenz a2 entsteht.

Überdies ist bemerkenswert, dass alle Faktoren 5, 10, 10 und 5 durch 5 teilbar sind. Dies liegt daran, dass 5 eine Primzahl ist.

Nun beschreiben wir allgemein, wie man

(a + 1) p = (a + 1) (a + 1) (a + 1)… (a + 1) ,

berechnet:

Zum einen wird man alle ersten Summanden a mit sich multiplizieren müssen. Das ergibt ap. Zum anderen wird man alle letzten Summanden 1 mit sich multiplizieren müssen. Das ergibt 1p = 1. Also ist

(a + 1) p = (a + 1) (a + 1) (a + 1)… (a + 1) = a p + 1 + … .

Was hier schamhaft mit den drei Punkten … symbolisiert wird, ist alles Übrige, was beim Ausmultiplizieren dazukommt. Das werden die Potenzen ap-1, ap-2, ap-3, und so weiter sein – nur stellt sich hier die Frage: Wie oft kommen sie vor? Zum Beispiel kommt die Potenz ap-1 dadurch zustande, dass man p - 1 der ersten Summanden a mit genau einem der zweiten Summanden 1 multipliziert. Dafür gibt es beim Ausmultiplizieren insgesamt p Möglichkeiten. Also kommt die Potenz ap-1 in den drei Punkten als pap-1 vor. Oder es kommt die Potenz ap-2 dadurch zustande, dass man p − 2 der ersten Summanden a mit genau zwei der zweiten Summanden 1 multipliziert. Wie oft erfolgt das beim Ausmultiplizieren? Für den einen der beiden zweiten Summanden 1 bestehen p Auswahlen, für den andern nur mehr p − 1 Auswahlen: das läuft auf p × (p − 1) hinaus. Allerdings muss man diese Zahl noch durch 1 × 2 dividieren, denn welche der beiden Summanden 1 als Erster und welcher als Zweiter gewählt wurde, ist unerheblich. Also kommt die Potenz ap-2 in den drei Punkten als

vor. Allgemein überlegt man sich, dass die Potenzap-n dadurch zustande kommt, dass man pn der ersten Summanden a mit genau n der zweiten Summanden 1 multipliziert. Wie oft erfolgt das beim Ausmultiplizieren? Für den ersten der n Summanden 1 bestehen p Auswahlen, für den zweiten nur mehr p − 1 Auswahlen, und dies geht so weiter, bis schließlich für den n-ten Summanden 1 nur mehr pn + 1 Auswahlen bestehen. Das läuft auf p × (p − 1) × … × ( pn + 1) Auswahlen hinaus. Allerdings muss man diese Zahl noch durch 1 × 2 × … ×n dividieren, denn welche der n Summanden 1 als Erster, welcher als Zweiter, …, welcher als n-ter gewählt wurde, ist unerheblich. Also kommt die Potenz ap-n in den drei Punkten als

vor.

Die Faktoren vor den Potenzen von a sehen nur scheinbar wie Brüche aus; in Wirklichkeit sind sie ganze Zahlen. Mit anderen Worten: die Nenner der angeschriebenen Brüche sind mit Sicherheit Teiler der Zähler. Die zu Beginn angeschriebene Primzahl p können sie aber nicht teilen. Das ist im Wesen der Primzahl begründet. Deshalb sind die Faktoren vor den Potenzen von a, mit ap-1 beginnend und mit a = a1 endend, nicht nur ganze Zahlen, sie sind sogar durch die Primzahl p teilbare ganze Zahlen.

Zusammengefasst besagt dies: Es ist

(a + 1) p = a p + 1 + …,

wobei alle Zahlen, die in den drei Punkten … verborgen sind, durch die Primzahl p teilbar sind.

Angenommen, so argumentiert Fermat nun weiter, wir wüssten bereits, dass apa durch p teilbar ist. Dann ist wegen der Rechnung

(a + 1) p – (a + 1) = a p + 1 + … − (a + 1) = a p + 1 + … − a − 1 = a pa + …

und wegen der Tatsache, dass alle Zahlen, die in den drei Punkten verborgen sind, durch p teilbar sind, auch die Differenz (a + 1)p – (a + 1) durch p teilbar.

Damit hat Fermat das gezeigt, was er beweisen wollte. Denn 1p − 1 ist klarerweise durch p teilbar. Die eben durchgeführte Überlegung zeigt, dass daher auch 2p − 2 durch p teilbar ist. Die eben durchgeführte Überlegung noch einmal angewendet beweist, dass auch 3p − 3 durch p teilbar ist. Die eben durchgeführte Überlegung noch einmal angewendet beweist, dass auch 4p − 4 durch p teilbar ist. Und so kann man von jeder Zahl a, von der man weiß, dass apa durch p teilbar ist, zur nächsten Zahl a + 1 voranschreiten und auch von ihr feststellen, dass (a + 1)p – (a + 1) durch p teilbar ist.

Die hier bewiesene Erkenntnis wird der Satz von Fermat genannt. Allerdings nicht der „große Satz von Fermat“, von dem Simon Singh in seinem schönen Buch „Fermats letzter Satz“ erzählt, sondern der sogenannte „kleine Satz von Fermat“. Obwohl dieser Satz alles andere als „klein“, vielmehr sehr bedeutend ist. Nebenbei bemerkt: Fermat hat nicht verraten, wie er zu seinem „kleinen Satz“ gelangt ist. Erst ein Jahrhundert später fand Leonhard Euler heraus, warum dieser Satz stimmt.

Wenn man weiß, dass apa = a(ap-1 − 1) durch die Primzahl p teilbar ist, und wenn die Zahl a selbst durch p nicht teilbar ist, folgt, dass ap-1bei der Division durch p den Rest 1 besitzen muss. Denn wenn a nicht durch p teilbar ist, muss ap-1 − 1 durch p teilbar sein. Auch diese Aussage wird zuweilen der „kleine Satz von Fermat“ genannt.

Zum Beispiel muss die 12. Potenz jeder nicht durch 13 teilbaren Zahl nach Division durch 13 den Rest 1 lassen. Oder die 16. Potenz jeder nicht durch 17 teilbaren Zahl muss nach Division durch 17 den Rest 1 lassen.

Jetzt sind wir plötzlich bei der Chiffriermethode des George Smiley angelangt: Denn der kleine Satz von Fermat besagt, dass für jede nicht durch 13 teilbare Zahl a, insbesondere für a = 7, die Potenz a12 nach Division durch 13 den Rest 1 lässt. Der kleine Satz von Fermat besagt auch, dass – falls a nicht durch 17 teilbar ist – die 16. Potenz von a12, also die Zahl (a12)16 = a12 × 16 = a192 nach Division durch 17 den Rest 1 lässt. Und nach Division durch 13 lässt sie auch den Rest 1. Also lässt die Potenz a192 nach Division durch den Modul 13 × 17 = 221 mit Sicherheit den Rest 1. Als Formel geschrieben: a192 ≡ 1.

Die Zahl 192, die wir aus der Rechnung (13 − 1) × (17 − 1) = 12 × 16 erhalten, ist genauso geheim wie der von Toby Esterhase aus dem Tresor entnommene Geheimkoeffizient 35. Wir nennen 192 den „Geheimmodul“.

Die Eierköpfe des Circus ermittelten mit dem Geheimmodul 192 für den Exponenten 11 den Geheimexponenten 35. Diese Zahl 35 ist nämlich deshalb der Geheimexponent, weil für sie 35 × 11 = 1 + 2 × 192 gilt. 184 hatte Smiley über den Eisernen Vorhang hinweg zum Circus gefunkt. Dies war der Rest, der bei a = 7 nach Division von a11 durch 221 verblieb. Allgemein nennen wir den Rest, der nach Division von a11 durch 221 verbleibt, die codierte oder verschlüsselte Zahl c. In unserem Beispiel ist c = 184. Und Toby Esterhase berechnet den Rest von c35 nach Division durch 221, also den Rest von (a11)35 nach Division durch 221. Damit entschlüsselt er nämlich die codierte Botschaft c zur ursprünglichen Nachricht a zurück. Warum?

Weil in (a11)35 die Zahl a insgesamt 35 × 11-mal mit sich multipliziert wird. Was wegen 35 × 11 = 1 + 2 × 192 bedeutet, dass die Zahl a insgesamt 2 × 192-mal und dann noch einmal mit sich multipliziert wird. Wenn man 192-mal a mit sich multipliziert, bleibt nach Division durch 221 der Rest 1. Wenn man das Gleiche 2 × 192-mal durchführt, bleibt auch der Rest 1, denn 1 × 1 = 1. Und wenn man diesen Rest 1 noch einmal mit a multipliziert, bleibt schlussendlich der Rest a × 1. Mit anderen Worten: Der Rest von c 35 nach Division durch den Modul 221 lautet a × 1, also a. Deshalb hat Toby Esterhase nach der Berechnung des Restes von 18435 den Wunsch George Smileys nach dem Agenten mit der Nummer 7 erkannt.

16 Tatsächlich hatte bereits drei Jahre zuvor der britische Mathematiker Clifford Christopher Cocks genau die gleiche Idee. Diese war aber in den USA völlig unbekannt, weil der britische Geheimdienst sie nicht nur vor der Sowjetunion, sondern auch vor den Vereinigten Staaten geheim hielt.

17 Dass man dies weiß, liegt am sogenannten Primzahlsatz, den bereits Gauß vermutet hatte: Die Anzahl der Primzahlen bis zu einer großen Zahl x beträgt ungefähr diese große Zahl x, dividiert durch ihren natürlichen Logarithmus. Dieser natürliche Logarithmus ist grob die Anzahl der Stellen von x multipliziert mit 2,3.

18 Es war entscheidend, dass Smiley den Zettel, den er aus seinem Schuh geholt hatte, nach dem Funken der verschlüsselten Nachricht verbrannte. Angenommen, er beginge die Todsünde, eine zweite Nachricht, zum Beispiel 0 0 3 0 0 3 0 0 3, mit der gleichen Folge wie zuvor zu verschlüsseln und zu senden. Verschlüsselt würde diese Nachricht, indem er die beiden Zeilen

1 4 1 5 9 2 6 5 3 5 8 9 7 9 3 2 3 8 4 6 2 6 4 3 3 8 3 2 7 9 5 0 2 8 8 …

0 0 3 0 0 3 0 0 3

zur folgenden Zeile addiert:

1 4 4 5 9 5 6 5 6 5 8 9 7 9 3 2 3 8 4 6 2 6 4 3 3 8 3 2 7 9 5 0 2 8 8 …

und auf die Länge der Nachricht, also auf

1 4 4 5 9 5 6 5 6

zusammenstutzt. Smiley muss damit rechnen, dass Karla die beiden von ihm verschlüsselten Botschaften abfängt und Karlas Leute sie untereinanderschreiben:

1 4 8 5 9 9 6 5 0

1 4 4 5 9 5 6 5 6

Wenn sie die untere von der oberen modulo zehn subtrahieren, bekommen sie

0 0 4 0 0 4 0 0 4

also ein offensichtliches Muster. Muster sind der Angriffspunkt für erfolgreiche Attacken auf eine verschlüsselte Botschaft. Bei einer mehrfachen Verwendung des Zettels wäre daher die Verschlüsselung nicht mehr sicher. Deshalb darf er nur einmal verwendet werden, daher auch der Name „one time“ in OTP.

19 Gebilde, bei denen Ziffern endlos auftauchen, kennen schon Grundschulkinder, wenn sie dividieren lernen. Nur selten gehen Divisionen so schön wie bei 42 : 6 = 7 auf, meist bleibt bei ihnen ein Rest. Dividiert man zum Beispiel 42 durch 15, erhält man den Quotienten 2, denn zweimal ist 15 in 42 enthalten, aber es bleibt der Rest 12. Denn zweimal 15 ergibt nicht 42, sondern nur 30, und der Unterschied von 30 zu 42 beträgt eben dieser Rest. Man schreibt dafür

42 : 15 = 2 + 12 : 15.

Allein, die Division des Restes 12 durch 15 ist undurchführbar, weil 15 gar nicht in 12 enthalten ist. Adam Ries, der uns das Stellenwertsystem gelehrt hat, führte mit Hilfe der Zahl Null die Division dennoch weiter: Er fügte an den Rest 12 eine Null hinzu, multiplizierte also 12 mit 10, und konnte die sich so ergebende Division 120 : 15 restlos zu Ende bringen. In zwei Zeilen zusammengefasst:

Das Ergebnis notiert er als Dezimalzahl 2,8. Grundschulkinder lernen die beiden Zeilen so zu schreiben: Zuerst die Division 42 durch 15 als

sie notieren also den Rest 12 säuberlich unter den Dividenden 42. Dann hängen sie an diesen Rest 0 an, malen nach dem bisher erhaltenen Quotienten 2 ein Komma

und dividieren im nächsten Schritt 120 durch 15 mit dem Ergebnis 8, nach dem Komma notiert, und dem Rest 0, unter 120 angeschrieben:

Bei der Division von 42 durch 13 sieht der Anfang ganz ähnlich aus:

aber es ist noch immer ein Rest übrig geblieben. In diesem Fall schreibt uns Adam Ries vor, wieder Null an den Rest anzuhängen und weiterzumachen:

Wieder bleibt ein Rest. Also gilt es, mit der Prozedur immerzu fortzufahren:

Ein Ende des Verfahrens ist nicht absehbar. Allerdings taucht der erste Rest 3 wieder auf, also wiederholt sich die bisher angeschriebene Prozedur endlos. Als Ergebnis bekommt man eine „unendliche Dezimalzahl“

42 : 13 = 3,230769230769230769230769230769230769230769230769…,

bei der die Ziffernfolge 230769 die sogenannte Periode ist.

Es ist klar, dass es bei Divisionen immer zu periodischen unendlichen Dezimalzahlen kommt, wenn die Division nicht vorher abbricht. Denn irgendwann muss ein Rest, der schon vorher einmal erschienen ist, wieder auftauchen; es gibt ja nur endlich viele mögliche Reste, nämlich so viele, wie der Divisor, also die Zahl, durch die man dividiert, groß ist.

20 Für Kenner der Materie: Die Zahl 10 müsste eine sogenannte „Primitivwurzel“ des Divisors sein. Mit anderen Worten: Bezeichnet man den Divisor mit m und dividiert man der Reihe nach die Potenzen von 10 durch die Zahl m, dürfte erst bei der Division von 10m – 1 durch die Zahl m der Rest 1 auftauchen. 10 ist zum Beispiel Primitivwurzel der Divisoren 7 oder 113, aber keine Primitivwurzel des Divisors 3 (schon 10 : 3 lässt den Rest 1) oder des Divisors 13 (es ist 13 × 76 923 = 999 999, also lässt die Division 106 : 13 den Rest 1).

21 Es könnte sogar glücken, dass eine viel kleinere Zahl als Divisor diese ellenlange scheinbare Zufallsfolge hervorbringt – im besten Fall eine Zahl, die selbst „nur“ um die zweihundert Stellen besitzt. Das ist natürlich erheblich kleiner als die Zahl, die aus 10200 Neunern besteht und daher 10200 Stellen besitzt. Allerdings müsste 10 eine Primitivwurzel dieses rund zweihundertstelligen Divisors sein.

22 Die Schlitze können mit einem darunter befindlichen langen Lineal abgedeckt werden: Schiebt man das Lineal nach oben, zeigen sich unterhalb wieder fünf Schlitze, und auch hier finden sich Ziffern eingetragen. Dabei ist es so, dass die Summe der Ziffern des jeweils oberen und unteren Schlitzes immer neun beträgt. Liest man zum Beispiel oben die Zahl 31415 und verdeckt man diese Zahl mit dem Lineal, erscheint unten die Zahl 68 584. Wir nennen sie die „Gegenzahl“ zur Zahl 31 415.

23 Auf den Walzen, welche die Ziffern tragen, die man in den Schlitzen sehen kann, hatte Pascal die zehn Ziffern zwischen Null und Neun jeweils in einer oberen Zeile und in einer unteren Zeile eingetragen: In der oberen Zeile in der Reihenfolge 0, 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 so, dass sie mit der Drehung des entsprechenden Rades im Uhrzeigersinn der Reihe nach wachsen, und in der unteren Zeile in der gegenläufigen Reihenfolge 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1, 0. Diese Ziffern der unteren Zeile sieht man nur dann, wenn man das bereits erwähnte Abdecklineal nach oben schiebt. Zeigte sich oben die Zahl 31 415, erblickt man unten die Zahl 68 584, die Gegenzahl von 31 415. Der Sinn dieser Vorrichtung besteht darin, nicht nur Additionen, sondern auch Subtraktionen mit der Pascaline durchzuführen. Eigentlich sollte die Subtraktion mit einem Drehen der Räder gegen den Uhrzeigersinn möglich sein, aber ein solches Drehen würde das Hebelwerk des Übertrags zerstören. Daher hemmt Pascal mit einer eigens eingerichteten Klinke das Drehen gegen den Uhrzeigersinn. Und er führt eine Subtraktion wie zum Beispiel 61 – 45 aufgrund des folgenden raffinierten Gedankens auf eine Addition zurück:

Die Gegenzahl von 61, nämlich 99 938, errechnet sich aus 99 999 − 61. Wenn man zu ihr 45 addiert, bekommt man

99 999 − 61 + 45 = 99 999 − (61 − 45).

Dies ist die Gegenzahl von jener Differenz 61 − 45, die wir suchen. Tatsächlich ergibt 99 938 + 45 die Zahl 99 983, und deren Gegenzahl ist 00016, wie es sein soll. Pascal geht daher bei der Berechnung von 61 − 45 folgendermaßen vor: Er stellt auf der Pascaline die Zahl 00061 auf den unteren Sehschlitzen ein. Auf den oberen Sehschlitzen würde deren Gegenzahl 99 938 aufscheinen, aber diese schaut er gar nicht an, sondern führt die scheinbare Addition von 45 bei geöffneten unteren Sehschlitzen durch und siehe da: Als Ergebnis taucht 00016 auf.

24 Die Schaltung, welche der logischen Aussage „nicht p“ entspricht, die man mit ¬p abkürzt, heißt ein NOT-Gatter. Die Schaltung, welche der logischen Aussage „weder p noch q“ entspricht, die man mit pq abkürzt, heißt ein NOR-Gatter; die Buchstabenkombination NOR steht für „not or“.





Ein NOR- und ein NOT-Gatter hintereinander geschaltet ergeben das OR-Gatter. Es entspricht der logischen Aussage „p oder q oder beide“, und diese wird mit p q abgekürzt. Nur wenn p = 0 und q = 0 sind, ist auch p q = 0. In allen anderen Fällen ist p q = 1, denn in diesen ist ja mindestens eine der Aussagen p oder q wahr – genau dies entspricht dem nichtausschließenden „oder“.





Zwei parallele NOT-Gatter und ein NOR-Gatter hintereinander geschaltet ergeben das AND-Gatter. Es entspricht der logischen Aussage „p und q“ und diese wird mit p q abgekürzt. Nur wenn p = 1 und q = 1 sind, ist auch p q = 1. In allen anderen Fällen ist p q = 0, denn in diesen ist ja mindestens eine der Aussagen p oder q falsch, und genau dann ist „p und q“ falsch.

25 Wir denken uns drei Eingangsdrähte, mit p, q und r abgekürzt, parallel an sieben AND-Gatter angeschlossen.

Vor den linken drei der sieben AND-Gatter werden jedoch abwechselnd vor je zwei der drei Eingänge in das jeweilige AND-Gatter NOT-Gatter gesetzt. Und vor den rechten drei der sieben AND-Gatter werden abwechselnd vor je einem der drei Eingänge in das jeweilige AND-Gatter NOT-Gatter gesetzt. Nur beim mittleren der sieben AND-Gatter laufen die Eingangsdrähte p, q, r direkt hinein. Der Ausgangsdraht des mittleren AND-Gatters verzweigt sich in zwei Drähte, die jeweils in ein OR-Gatter führen. In das linke dieser beiden OR-Gatter führen auch die Ausgangsdrähte der drei linken AND-Gatter, und in das rechte dieser beiden OR-Gatter führen auch die Ausgangsdrähte der drei rechten AND-Gatter. Den Ausgang des linken OR-Gatters symbolisieren wir mit s, und den Ausgang des rechten OR-Gatters symbolisieren wir mit t. Diese Schaltung nennt man einen Volladdierer. Denn welche Werte 0 oder 1 die Eingangsdrähte p, q, r auch besitzen, immer werden die Werte von s und t so sein, dass s + 2t, im Sinne des Binärsystems von Leibniz: s + 10t, mit der Summe p + q + r übereinstimmt: s symbolisiert die Einerstelle dieser Summe und t steht für den Übertrag auf die Zweierstelle, die ja im Binärsystem von Leibniz die 10-er-Stelle ist.

26 Die weiteren Ausführungen Hilberts bis zu seinen programmatischen Abschlusssätzen lauteten:

„In der Tat: Wir beherrschen nicht eher eine naturwissenschaftliche Theorie, als bis wir ihren mathematischen Kern herausgeschält und völlig enthüllt haben. Ohne Mathematik ist die heutige Astronomie und Physik unmöglich. Diese Wissenschaften lösen sich in ihren theoretischen Teilen geradezu in Mathematik auf. Diese wie die zahlreichen weiteren Anwendungen sind es, denen die Mathematik ihr Ansehen verdankt, soweit sie solches im weiteren Publikum genießt.

Trotzdem haben es alle Mathematiker abgelehnt, die Anwendungen als Wertmesser für die Mathematik gelten zu lassen.

Gauß spricht von dem zauberischen Reiz, den die Zahlentheorie zur Lieblingswissenschaft der ersten Mathematiker gemacht habe, ihres unerschöpflichen Reichtums nicht zu gedenken, woran sie alle anderen Teile der Mathematik so weit übertrifft.

Kronecker vergleicht die Zahlentheoretiker mit den Lotophagen, die, wenn sie einmal von dieser Kost etwas zu sich genommen haben, nie mehr davon lassen können.

Der große Mathematiker Poincaré wendet sich einmal in auffallender Schärfe gegen Tolstoi, der erklärt hatte, dass die Forderung ,die Wissenschaft der Wissenschaft wegen‘ töricht sei. Die Errungenschaften der Industrie, zum Beispiel, hätten nie das Licht der Welt erblickt, wenn die Praktiker allein existiert hätten und wenn diese Errungenschaften nicht von uninteressierten Toren gefördert worden wären.

Die Ehre des menschlichen Geistes, so sagte der berühmte Königsberger Mathematiker Jacobi, ist der einzige Zweck aller Wissenschaft.“

27 Ursprünglich hatte Schrödinger die Gleichung für ψ unter Berücksichtigung der Speziellen Relativitätstheorie Albert Einsteins aufgestellt. Weil ihm jedoch einige der möglichen Lösungen zu kurios schienen, formulierte er die Gleichung ohne Relativitätstheorie um. In dieser vereinfachten, unter dem Namen Schrödingergleichung bekannten Form, konnten die Quantentheoretiker sehr präzise die Eigenschaften der Atome und Moleküle beschreiben, denn in diesem Kontext spielt die Spezielle Relativitätstheorie praktisch keine Rolle. Schrödingers Kollege Paul Dirac nahm Schrödingers ursprüngliche Idee wieder auf und schrieb die Gleichung für ψ unter Einbeziehung der Speziellen Relativitätstheorie. Für jene Lösungen, die Schrödinger als zu kurios erachtete, fand Dirac physikalisch sinnvolle Deutungen. So ergab sich aus Diracs Gleichung, dass es zu jedem Elementarteilchen ein durch die entgegengesetzte Ladung gekennzeichnetes Antiteilchen geben müsse. Spätere Experimente bestätigten glanzvoll Diracs theoretische Vorhersage. Eine ψ-Gleichung unter Einbeziehung der Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins steht allerdings noch immer aus.

28 Einer launigen Legende zufolge soll ein Skeptiker Hilbert gegenüber geklagt haben, dass in seiner Geometrie nicht klar sei, worum es sich bei „Punkten“, „Geraden“ und „Ebenen“ eigentlich handle. In den Axiomen würden diese Begriffe wie sinnentleerte Wörter stehen und ihrer anschaulichen Bedeutung verlustig gehen. „Ganz recht“, soll Hilbert seinem Kollegen geantwortet haben, „auf das Wesen eines Begriffes kommt es in der formalen Mathematik nicht an.“ Man könne, so Hilbert, in seinem Axiomensystem statt „Punkte, Geraden und Ebenen“ jederzeit auch „Tische, Stühle und Bierseidel“ sagen.

29 Ganz so unerheblich ist die Frage nicht, ob endlich oder unendlich viele Nullen in der Dezimalentwicklung von π auftauchen. Man stelle sich die folgende Konstruktion einer Menge vor: Bei der ersten Null, die man in der Dezimalentwicklung von π findet, teilt man die Zahl 1 der Menge zu. Sobald man eine zweite Null in der Dezimalentwicklung von π findet, nimmt man zusätzlich 1/2 in die Menge auf. Sobald man eine dritte Null in der Dezimalentwicklung von π findet, nimmt man zusätzlich 1/3 in die Menge auf. Allgemein kommt auch die Bruchzahl 1/n in die Menge, wenn man bereits n Nullen in der Dezimalentwicklung von π gefunden hat. Die Frage, ob endlich oder unendlich viele Nullen in der Dezimalentwicklung von π auftauchen, ist somit zur Frage gleichwertig, ob diese Menge aus endlich oder aus unendlich vielen Elementen besteht.

Diese Frage aber rührt an die Axiome des Rechnens mit unendlichen Dezimalzahlen. Denn die genannte Menge besteht aus lauter positiven Bruchzahlen und muss daher nach einem fundamentalen Axiom ein sogenanntes Infimum besitzen. Damit ist eine unendliche Dezimalzahl x gemeint, welche die folgenden beiden Eigenschaften besitzt: Einerseits ist jeder Bruch aus der Menge mindestens so groß wie x. Andererseits gibt es zu jedem y, das größer als x ist, einen Bruch aus der Menge, der kleiner als y ist.

Wie groß aber ist dieses Infimum x?

Wenn nur endlich viele Nullen in der Dezimalentwicklung von π auftauchen, dann ist x = 1/m jener positive Bruch, für den m die Anzahl der Nullen in der Dezimalentwicklung von π bezeichnet.

Wenn hingegen unendlich viele Nullen in der Dezimalentwicklung von π auftauchen, dann ist x = 0.

Und wenn es kein Ignorabimus geben darf, dann muss Hilbert entscheiden können, ob x positiv ist oder nicht. Somit führen selbst scheinbar unerhebliche Fragen zu diffizilen Problemen, die an den Grundfesten des Denkens rütteln.

30 Mit diesem Wort bringt Hermann Weyl in seiner Schrift „Über die neue Grundlagenkrise der Mathematik“ die Auffassung Hilberts am klarsten zum Ausdruck.

31 So schreibt es Anita Ehlers in ihrem schönen Buch „Liebes Hertz! Physiker und Mathematiker in Anekdoten“.

32 Henri Cartan und André Weil, zwei junge französische Mathematiker, die gemeinsam studiert hatten und zu Beginn der Dreißigerjahre an der Université Strasbourg wirkten, organisierten am 10. Dezember 1934 anlässlich ihrer regelmäßigen Teilnahmen an mathematischen Seminaren in Paris im Café Capoulade am Boulevard Saint-Michel ein Treffen mit anderen befreundeten jungen Kollegen. Die Gruppe beschloss, den veralteten Lehrbüchern der Universitäten ein modernes Werk entgegenzustellen. Es sollte sich dem Vortragsstil David Hilberts und Emmy Noethers angleichen, bei denen einige der Freunde Vorlesungen gehört hatten.

Wichtig war allen, dass dieses neu zu schaffende Lehrbuch die gesamte Mathematik von Grund auf präsentieren sollte. Mathematik war dabei in ihren Augen ein großes Spiel, eine Art überdimensionales Schach, so wie es Hilbert in seinem Programm vorschwebte.

Die jungen Mathematiker im Café Capoulade waren allesamt ausgefuchste Könner des mathematischen Spiels. Sie hatten es in ihrem Studium an der École Normale Supérieure, einer der Eliteschulen Frankreichs, ausgiebig gelernt. Einst trat Raoul Husson, ein Kommilitone, in Verkleidung eines bärtigen alten Professors im Seminarraum auf und dozierte, wobei er eine falsche Behauptung auf die andere folgen ließ. Die Aufgabe der Hörer war es, die Fehler in den Behauptungen des verkleideten Raoul Husson aufzudecken. Alle fanden diesen Auftritt sehr witzig, und am besten gefiel ihnen die letzte bizarre Behauptung des falschen Professors, die er das „Theorem von Bourbaki“ nannte. Jeden seiner falschen Sätze verband Raoul Husson nämlich mit einem bedeutend klingenden Namen eines fiktiven Mathematikers; in Wahrheit waren es aber Namen von Generälen der französischen Armee. Das „Theorem von Bourbaki“ benannte er zum Beispiel nach dem im deutsch-französischen Krieg von 1870 bis 1871 kämpfenden General Charles Sauter Bourbaki. In Erinnerung an ihre damaligen Studentenstreiche vereinbarten die nun jungen Professoren des Café Capoulade, sich hinter dem Pseudonym „Bourbaki“ zu verbergen: Der erfundene Mathematiker Nicolas Bourbaki sollte ihr Buch als Autor zieren. Später behaupteten sie, dass dieser Nicolas Bourbaki Mitglied der Akademie der Wissenschaften von Nancago sei. Doch den Ort Nancago gibt es genauso wenig, wie es den Mathematiker Bourbaki gibt. Es ist eine Verballhornung gebildet aus Nancy und Chicago, zwei Universitätsstädten, an denen einige Angehörige der sich hinter Bourbaki verbergenden Gruppe lehrten.

Anfangs glaubte Bourbaki – wir lassen uns auf die Marotte der Gruppe ein und tun so, als ob er wirklich als Mathematiker existierte –, dass sein Lehrbuch in drei Jahren fertig geschrieben sei. Aber das Unternehmen erwies sich als weitaus aufwendiger, als es sich auf den ersten Blick ausnahm. Erst 1939 erblickten die ersten Bände seines monumentalen Werks, das den Namen „Éléments de Mathématique“, also „Elemente der Mathematik“ trug, das Licht der Welt. Und über Jahrzehnte hinweg wurden die Éléments de Mathématique um Folgebände erweitert. Vollendet wurde das Werk nie. Es verendete regelrecht, weil kaum mehr ein Mitglied der Gruppe den Überblick bewahren konnte. „Bourbaki ist ein Dinosaurier, dessen Kopf zu weit von seinem Schwanz entfernt ist“, behauptete zynisch Pierre Cartier, der von 1955 bis 1983 dem Bourbaki-Kreis angehörte. Dass Nicolas Bourbaki am 11. November 1968 friedlich in Nancago entschlafen sei und am 23. November 1968 um 15 Uhr im „Friedhof der Zufallsvariablen“ seine Beisetzung stattfinden werde, wurde in einer – niemand weiß, von wem verfassten – Parte mit hämisch gespielter Trauer verkündet.

Das Buchprojekt „Éléments de Mathématique“ des Nicolas Bourbaki erinnert an das erste Mathematiklehrbuch der Geschichte, an die „Elemente“ des griechischen Mathematikers Euklid. Wobei es, nebenbei bemerkt, einige Wissenschaftshistoriker gibt, die behaupten, auch Euklid habe es in Wahrheit nie gegeben. Auch hinter diesem Namen verberge sich ein Kollektiv von Gelehrten aus dem antiken Alexandria.

33 Ganz knapp nach dem Ersten Weltkrieg, noch bevor Weyl seinen engagierten und gegen die Position Hilberts gerichteten Artikel verfasst hatte, wurde eine einzigartige Gelegenheit verpasst, welche der Mathematik des 20. Jahrhunderts einen völlig anderen Verlauf verleihen hätte können. Denn trotz ihrer verschiedenen Auffassungen vom Unendlichen schätzte Hilbert seinen holländischen Kollegen Brouwer wegen anderer seiner mathematischen Schriften als tiefen Denker und eminenten Forscher. Hätten sie, bevor sie sich in ihre Positionen mit unnachgiebiger Härte verbohrten, einander getroffen und aussprechen können, wäre nicht nur Weyl, sondern möglicherweise auch sein ehemaliger Lehrer Hilbert von Brouwers Gedanken überzeugt worden. Die Chance ergab sich, als Brouwer während der Sommerferien kurz nach 1918 Weyl im Engadin besuchte und ihn für seine Sicht des Unendlichen begeisterte. Nur ein paar Tage früher war auch Hilbert in die Schweiz gereist; Brouwer schrieb eine Postkarte an Hilbert, in der er zutiefst bedauerte, ihn nicht persönlich getroffen zu haben …

34 Als der Streit zwischen Brouwer und Hilbert über fachliche Probleme hinaus sogar persönlich wurde, schlugen beide voneinander unabhängig vor, dass sich Albert Einstein als Schiedsrichter einmischen solle. Dieser lehnte dies ab, die Auseinandersetzung um die Grundlagen der Mathematik war ihm lästig, und er nannte den ganzen Hader einen „Krieg zwischen Fröschen und Mäusen“.

35 Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die Methode Gödels zu erörtern. Hermann Weyl hat darüber in der Überarbeitung seines Buches „Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft“ berichtet. Es mag der Hinweis genügen, dass der zentrale Gedanke Gödels darin besteht, die Aussagen über das formale System so zu codieren, wenn man so will: zu verschlüsseln, dass sie sich in arithmetische Aussagen verwandeln, die somit im System selbst integriert sind. Die Codierung erfolgt bemerkenswerterweise mit Hilfe der Primzahlen. Sie spielen also auch bei der von Gödel ersonnenen „Verschlüsselung“, die man heute „Gödelisierung“ nennt, eine herausragende Rolle.

36 Das Thema von Gödels Dissertation war die Vollständigkeit des logischen Kalküls. Die reine Logik, die noch nicht die Arithmetik der Zahlen umfasst, ist ein vollständiges und widerspruchsfreies System. Mit dieser Aussage trug Gödel zum Fortschritt von Hilberts Programm bei. Umso überraschender war daher sein Unvollständigkeitssatz.

37 Ein Beispiel dafür ist der Satz von Goodstein, den wir in Anmerkung 10 kennengelernt hatten. 1982 bewiesen die beiden britischen Mathematiker Laurence Kirby und Jeffrey Bruce Paris, dass es eine widerspruchsfreie Mathematik gibt, in der Goodsteins Satz zutrifft, dass es aber eine ebenso widerspruchsfreie Mathematik gibt, in der Goodsteins Satz falsch ist.

38 Eine ähnliche Wette schloss 1918 Hermann Weyl vor zwölf Mathematikern als Zeugen mit seinem Kollegen György Pólya ab: Weyl setzte darauf, dass innerhalb der nächsten zwanzig Jahre die überwiegende Mehrheit der Mathematiker ihre Wissenschaft in dem von Poincaré, Brouwer und ihm skizzierten Sinn betreiben und das blinde axiomatische Regelspiel als sinnlos erachten werde, so sinnlos wie – so formulierten Weyl und Pólya es in ihrer Wette – die hegelsche Naturphilosophie. Als nach den zwanzig Jahren die beiden Kontrahenten vor einer Schar anderer Mathematiker wieder zusammenkamen, um festzustellen, wer gewonnen habe, war für fast alle, auch für Hermann Weyl klar, dass Pólya siegte: Praktisch alle Mathematiker betreiben ihre Wissenschaft so, als ob sie allwissend und allmächtig über das Unendliche verfügen können, und falls dabei Widersprüche am Horizont drohen, flüchten sie in den nur scheinbar sicheren Hafen des Regelspiels mit Axiomen. John von Neumann beschreibt diesen Sachverhalt in dem Aufsatz „The Mathematician“, der 1947 in dem von R. B. Heywood herausgegebenen Sammelband „The Works of Mind“ erschien, folgendermaßen:

„Nur sehr wenige Mathematiker waren bereit, die neuen anspruchsvollen Maßstäbe“ – gemeint ist die strenge „intuitionistische“ Mathematik von Brouwer und Weyl – „zu akzeptieren und bei ihrer eigenen Arbeit anzulegen. Sehr viele jedoch gaben zu, dass Weyl und Brouwer prima facie recht hätten. Sie selbst jedoch sündigten weiterhin, das heißt: betrieben ihre eigene Mathematik in der alten ,einfachen‘ Methode weiter – vermutlich in der Hoffnung, dass schon irgendjemand irgendwann einmal die Antwort auf die intuitionistische Kritik finden werde und ihre Arbeit dadurch a posteriori gerechtfertigt würde.“

„Zur Zeit“, schreibt von Neumann ferner in diesem Aufsatz, „ist der Streit um die ,Grundlagen‘ bestimmt noch nicht beigelegt, aber es scheint sehr unwahrscheinlich zu sein, dass man, abgesehen von einer kleinen Minderheit, das klassische System fallen lässt.“

Und ins Persönliche gewandt gibt von Neumann unumwunden zu: „Dies geschah zu meinen Lebzeiten, und ich weiß, wie erniedrigend leicht sich meine Ansichten über die absolute mathematische Wahrheit während dieser Ereignisse geändert haben, ja wie sie sich sogar dreimal hintereinander geändert haben!“

Weyl musste also nolens volens eingestehen, dass er die mit Pólya vor mehr als zwei Jahrzehnten abgeschlossene Wette verloren hatte. Pólya verzichtete großzügig darauf, dass Weyl seine Schlappe in einem Artikel veröffentlichte. Nur ein einziger der Anwesenden, die über Sieg oder Niederlage von Weyls Wette entschieden, hatte nicht für Pólya gestimmt: Kurt Gödel.

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