Womit müssen wir „rechnen“, wenn das Unendliche neben dem Endlichen ins Denken gerät? Am besten ermessen wir die Tragweite dieses Begriffs anhand eines Bildes: Ein Hotel, so wie man es überall auf der Welt kennt, hat immer nur endlich viele Zimmer. (Der Einfachheit halber stellen wir uns vor, dass Hotels, über die wir hier sprechen, den Gästen nur Einbettzimmer zur Verfügung stellen.) Bei einem Hotel mit endlich vielen Zimmern kann man diese der Reihe nach, mit 1 beginnend, bis zu irgendeiner Zahl, zum Beispiel bis 313, abzählen. Danach ist Schluss. Das Hotel hat 313 Zimmer und keines mehr. Wenn es 313 Gäste beherbergt, ist es ausgebucht. Kommt jemand zur Rezeption und möchte im ausgebuchten Hotel übernachten – es besteht keine Chance, ihm ein freies Zimmer zur Verfügung zu stellen.
Ganz anders ist dies in „Hilberts Hotel“, das unendlich viele Zimmer haben soll. Auch in ihm kann man diese der Reihe nach, mit 1 beginnend, abzählen, jedoch: Das Zählen der Zimmer von Hilberts Hotel hört nie auf. An jedes Zimmer schließt entlang des unendlich langen Korridors ein weiteres an. Mit dem Trick der Perspektive, den die Künstler der Renaissance so raffiniert zu handhaben verstanden, kann man diesen unendlich langen Korridor mit den unendlich vielen Zimmertüren bildhaft veranschaulichen: Der Gang verliert sich im Fluchtpunkt. Die Bilder der Zimmertüren geraten auf dem Weg zu ihm immer kleiner, bis man sie mit dem freien Auge, später mit der Lupe, schließlich sogar mit dem Mikroskop nicht mehr erkennt. Aber wir wissen: Ihre Reihe nimmt kein Ende. Vielleicht war es die Perspektive, das eindringliche Bild paralleler Schienen einer sich im Nebel verlierenden geradlinigen Bahntrasse, die einander im Fluchtpunkt zu treffen scheinen, das manche Menschen zur Annahme verführte, das Unendliche ließe sich fassen.
Wie dem auch sei. Hilberts Hotel wird nie einen Gast abweisen. Denn selbst wenn alle Zimmer in Hilberts Hotel belegt sind und ein neuer Gast an der Rezeption zu übernachten begehrt: Sein Wunsch kann ihm erfüllt werden. Der Rezeptionist veranlasst, dass jeder bereits gebuchte Gast sein Zimmer mit dem Zimmer der nächstgrößeren Nummer tauscht. Auf diese Weise wechselt der Bewohner von Zimmer 1 auf Zimmer 2, der Bewohner von Zimmer 2 auf Zimmer 3, und so weiter. Jeder Bewohner des Hotels findet leicht sein neues Zimmer: Es hat die um 1 größere Nummer als das alte. Und Zimmer 1 ist dadurch frei geworden; der neue Gast kann es beziehen.
Doch das ist erst der Anfang der Paradoxa in Hilberts Hotel. Nun denken wir uns, es sei ausgebucht, aber ein Bus mit unendlich vielen neuen Gästen hält vor ihm. Alle unendlich vielen Personen, die sich in Reih und Glied vor dem Empfangschef anstellen, begehren Einlass. Wie soll das gelingen, wenn schon alle Zimmer belegt sind? Der Mann an der Rezeption findet eine Lösung: Jeder bereits gebuchte Gast wechselt in das Zimmer mit der doppelt so großen Nummer: Also wandert der Bewohner von Zimmer 1 in das Zimmer 2, der Bewohner von Zimmer 2 in das Zimmer 4, der Bewohner von Zimmer 3 in das Zimmer 6, und so weiter. Jeder Bewohner des Hotels findet leicht sein neues Zimmer: Es hat die doppelte Nummer vom alten. Die ursprünglichen Gäste sind folglich in den Zimmern mit geradzahligen Nummern untergebracht. Die unendlich vielen Zimmer mit den ungeraden Zahlen als Nummern sind für die unendlich vielen Leute vom Bus frei geworden.
Es kommt noch bizarrer: Jetzt nehmen wir an, dass plötzlich unendlich viele Busse auftauchen, die nebeneinander am riesigen Parkplatz des Hotels parken. In jedem der Busse sitzen, Reihe für Reihe, unendlich viele Personen. Alle diese „unendlich mal unendlich“ vielen Leute sollen im Hotel untergebracht werden, jeder in einem eigenen Zimmer. Obwohl Hilberts Hotel bereits bis auf das letzte Zimmer belegt ist! Der gewitzte Rezeptionist hat mathematisches Talent, er geht so vor: Die in den Zimmern wohnenden Hotelgäste werden gebeten, mit ihrem Gepäck ihre Zimmer zu verlassen und im großen Speisesaal Platz zu nehmen. Den Insassen des ersten Busses teilt der Rezeptionist die Zimmer mit den Nummern 2, 4, 8, 16, 32, 64, … zu, also jene Zimmer mit den Potenzen von 2 als Nummern. Die Insassen des zweiten Busses verteilt er der Reihe nach auf die Zimmer mit den Nummern 3, 9, 27, 81, 243, …, also auf jene Zimmer mit den Potenzen von 3 als Nummern. Den Insassen des dritten Busses gibt er die Zimmer mit den Potenzen von 5 als Nummern, also die Zimmer mit den Nummern 5, 25, 125, 625, … . So fährt er systematisch fort: Bei den Insassen des jeweils folgenden Busses wählt er die nächste Primzahl, die er noch nicht verwendet hat, und gibt den Leuten die Zimmer mit den Potenzen dieser Primzahl als Nummern. Und weil die Folge der Primzahlen kein Ende kennt, hat der Rezeptionist kein Problem, alle Touristen, die in allen unendlich vielen Bussen zu Hilberts Hotel gereist sind, in diesem Hotel unterzubringen. Wobei sogar noch unendlich viele weitere Zimmer frei bleiben, zum Beispiel die Zimmer mit den Nummern 1, 6, 10, 12, 14, 15, … . Es sind dies 1 und alle Zahlen, die durch mehr als nur durch eine einzige Primzahl teilbar sind. In denen werden nun die im Speisesaal wartenden Hotelgäste untergebracht, die nach Ankunft der Busse ihre ursprünglichen Zimmer verlassen hatten.
Wir treiben es noch bunter und gestalten Hilberts Hotel zu „Hilberts Stundenhotel“ um: Um exakt null Uhr hält vor dem leeren Hotel ein Bus mit unendlich vielen Insassen. Der erste betritt das Hotel, bekommt das Zimmer mit der Nummer 1 zugeteilt, verlässt dieses aber wieder nach genau einer Stunde und kehrt zum Bus zurück. Zu diesem Zeitpunkt, also um ein Uhr, betreten die nächsten beiden Insassen des Busses das Hotel und können – der erste Gast ist ja bereits gegangen – in den Zimmern mit den Nummern 1 und 2 untergebracht werden. Sie bleiben aber nur eine halbe Stunde und kehren dann zum Bus zurück, während gleichzeitig die nächsten vier Insassen des Busses im Hotel Zimmer buchen. Diese können jetzt in den Zimmern mit den Nummern 1, 2, 3, 4 untergebracht werden, wo sie aber nur eine Viertelstunde verweilen. Um Punkt 1 Uhr 45 kehren sie fluchtartig zum Bus zurück, von dem zum gleichen Zeitpunkt die nächsten acht Touristen ins Hotel stürzen. Wie man sieht, entwickelt sich das ständige Kommen und Gehen immer rasanter: Jedes Zeitintervall, in dem sich die Gäste in den Zimmern aufhalten, ist nur mehr halb so lang wie das vorherige, und es eilen stets doppelt so viele Businsassen in das Hotel, wie es gleichzeitig die eben zuvor untergebrachten Gäste verlassen. Was aber ist um Punkt zwei Uhr los, jenem Zeitpunkt, bei dem sich die immer kürzer werdenden Zeitintervalle stauen? Ist das Hotel um zwei Uhr mit unendlich vielen Gästen belegt – es kommen ja stets doppelt so viel wie vorher hinein? Oder ist es ganz leer – denn alle aus dem Bus haben es ja bereits verlassen?
Oder – und dies dürfte des Pudels Kern sein – ist diese Schilderung schon so skurril, dass die Frage jeder Bedeutung entbehrt? Sprengt dieses Beispiel das sinnvolle Sprechen über das Unendliche?