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In der Woche vor dem dritten Advent kennt Richard den Weg aus der Vorstadt zum Asylbewerberheim in Spandau schon ziemlich gut.

Auch Kochbananen, in der Pfanne gebraten, sind eine Delikatesse. Is more better. Man bekäme sie in jedem Afroshop, einer sei ganz in der Nähe, erklärt ihm Ithemba.

Besuch für Besuch begleitet Raschid Richard zum Ausgang.

Anne hat sich inzwischen mit Ali, Richards fortgeschrittenem Deutschschüler, getroffen und ihn ihrer Mutter vorgestellt. Meine Mutter, erzählt sie am Telefon, hat im ersten Moment Angst vor Ali gehabt, weil er schwarz ist, aber das wird schon. Richard sagt, er spricht erstaunlich gut Deutsch, findest du nicht? Ja, sagt sie, und man darf nicht vergessen, sie ist noch eine ganz andere Generation. Richard nickt nur, aber das kann Anne am Telefon natürlich nicht sehen. Ich hätte sonst wirklich nicht gewusst, was ich über Weihnachten mit meiner Mutter machen soll, sagt sie noch, danke. No problem, sagt Richard.

Als Richard am Ende der Woche noch einmal ins Heim kommt, die Karte für das Weihnachtsoratorium am Sonntag hat er in einen roten Umschlag gesteckt, ist Osarobo nicht da.

Wo ist er?

In Italien, seine Papiere erneuern.

Richard fällt plötzlich ein, wie Raschid vor einigen Tagen, als es um die Abschiebung ging, gesagt hat: Die wollen uns hier wirklich nicht haben. Sie wollen uns wirklich nicht. Und wenn der Klavierspieler nun einfach für immer wegbleibt? Oder wenn ihm etwas passiert? Als er die Nummer von Osarobo wählt, meldet sich niemand. Bei Richard zu Hause liegt schon ein Weihnachtsgeschenk für ihn: ein Keybord, das man zusammenrollen kann. Das passt auch in einen kleinen Rucksack, hatte Richard gedacht, und man könnte sich im Notfall damit auf der Straße ein paar Euro verdienen. Was für ein schäbiger Gedanke, denkt er jetzt, da er mit seinem roten Umschlag in der Hand dasteht. Jauchzet, frohlocket. Oder wäre etwa ein Rollpiano für seinen eigenen Sohn, hätte er denn einen gehabt, ein möglicher Zukunftsentwurf gewesen? Eine Zukunft für 65,90 Euro? Wann ist der Übergang passiert, der aus ihm, dem mit den großen Hoffnungen für die Menschheit, einen Almosengeber gemacht hat? Sicher nicht gleich mit dem Mauerfall, aber irgendwann danach, irgendwann unterwegs ist er eingeknickt und versucht nun im Kleinen, wie man so sagt, hier und da, wo es halt möglich ist, das eine oder das andere Gute zu tun. Hat er wirklich so gründlich alle Hoffnung verloren?

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