ACHT
Auf der Fahrt zu unserem nächsten Besichtigungsziel ist Carolin nicht mehr ganz so gut gelaunt. Ich schätze mal, dass die Aussicht, Sabine auf ihrer eigenen Hochzeit zu begegnen, daran schuld ist. Auch Marc ist auf einmal ganz still. Ob er überlegt, wie er Luisa das mit Sabine wieder ausreden kann ? Ich ahne es schon: Die Einladungspolitik bei einer menschlichen Hochzeit ist sehr diffizil. Ich sollte meinem Schöpfer immer wieder danken, dass ich nur ein kleiner Hund bin, der glücklich ist, wenn sein Napf gut gefüllt ist und ihn jemand ab und zu am Bauch krault.
»Also«, bricht Marc schließlich das Schweigen, »vielleicht ist der Plan mit dem ganz engen Kreis doch ziemlich gut. Und unser nächstes Ziel würde perfekt dazu passen. Ich glaube, da passen überhaupt nur elf Leute ins Trauzimmer.«
»Da bin ich aber mal gespannt.«
Ich kann es zwar nicht sehen, aber an ihrer Stimme höre ich, dass Caro wieder lächelt. Sehr schön ! Ich hatte schon Angst um unseren Ausflug. Wenn von drei Menschen – Henri zähle ich in diesem Zusammenhang nicht mit – einer schlecht gelaunt ist, sind es meiner Erfahrung nach bald alle.
Marc nimmt eine Hand vom Lenkrad und legt sie vorsichtig auf Caros Knie.
»Ein bisschen musst du dich gedulden. Es ist noch ein ganzes Stückchen hin. Ein wunderschöner Ort. Ich hatte sowieso überlegt, ob wir unsere Trauung nicht mit einem kleinen Kurzurlaub verbinden, und auch dazu würde diese Location hervorragend passen.«
Die Fahrt dauert tatsächlich noch eine ganze Weile. Ich merke, wie mein Magen zu knurren anfängt. Hoffentlich kommt als Nächstes der Picknickkorb zum Einsatz ! Nur gut, dass dort auch ein Tütchen für mich drin schlummert.
Als wir endlich ankommen und ich aus dem Auto hüpfe, sehe ich erst einmal: nichts ! Also, jedenfalls nichts, was so aussieht, als ob man dort als Mensch heiraten könnte. Denn es gibt absolut kein Gebäude, sondern nur sehr viel Gras. Genau genommen stehen wir auf einer riesigen Wiese. Am Horizont scheint die Wiese sogar von einer Mauer umgeben zu sein, die ebenfalls aus Wiese besteht. Auf der Mauer stehen und liegen Tiere herum, dem Geruch nach Schafe. Interessant. Will Marc etwa vorschlagen, auf Hochzeitsgäste zu verzichten und stattdessen ein paar Schafe einzuladen ?
Auch Carolin schaut sich erstaunt um.
»Was wollen wir denn hier ? Am Deich ?«
Stimmt. Die grüne Mauer heißt Deich. Das weiß ich noch aus meinem Urlaub in St. Peter-Ording. Marc nimmt Caro an die Hand.
»Genau hier wollen wir nichts. Es ist noch ein bisschen zu laufen. Guck mal, dahinten ist es !«
Marc zeigt auf etwas, und ich folge mit dem Blick der Richtung, in die seine Hand zeigt. Dort steht ein sehr, seeehr hoher Turm, links und rechts von ihm zwei Häuser.
»Zu dem Leuchtturm ?«
Marc nickt.
»Genau.«
Aha, ein Leuchtturm. Was das wohl ist ? Na, ich werde es ja gleich aus der Nähe sehen. Allerdings ist das noch ein ganzes Stück weit weg. Ich wäre dann doch erst mal für ein ausgedehntes Picknick. Nicht auszudenken, einer von uns könnte auf dem Weg zu diesem Turmdings einen Schwächeanfall erleiden. Zwischen lauter Schafen ! Ich setze mich auf meinen Po und beginne zu jaulen. Luisa hockt sich neben mich.
»Herkules hat bestimmt Hunger. Ich übrigens auch. Wollen wir nicht erst einmal unser Picknick machen ?«
»Das ist eine gute Idee. Wir haben ohnehin noch ein wenig Zeit. Wir können den Turm erst in einer Stunde besichtigen.«
Kurz darauf sitzen wir auf der Picknickdecke und genießen die mitgebrachten Köstlichkeiten, wobei sich Henri auf Bananenstückchen beschränkt und ich mich auf Trockenfutter. Caro und Marc trinken noch ein Glas Sekt. Versonnen schaut Carolin zum Leuchtturm rüber.
»Toll, das ist der Leuchtturm, über den ich gelesen habe. Das ist ja wie im Märchen.«
»Das Trauzimmer ist auf der vierten Plattform. Also, es sind ziemlich genau fünfundsechzig Stufen zum Glück.« Er lächelt und gibt ihr einen Kuss. »Zu Fuß müsste es von hier aus ungefähr eine Dreiviertelstunde sein, na ja, mit Henri wahrscheinlich eher eine gute – aber man kann auch eine Kutsche mieten.«
Caro hält ihm ihr Glas zum Nachfüllen hin.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du so kreativ bei der Hochzeitsvorbereitung wirst ! Das gefällt mir gut ! Sehr gut sogar.«
Sie beugt sich zu Marc hinüber, und dann küssen sie sich wieder.
Während die beiden mit Romantik beschäftigt sind, mache ich mir ganz andere Gedanken. Fünfundsechzig Stufen ! Ich hoffe, die liegen nicht zu weit auseinander. Für mich als Fast-Dackel kann das zum Problem werden. Meine Beine sind zwar nicht so kurz wie die meiner Mama – aber richtig lang sind sie eben auch nicht. Ab einem gewissen Stufenabstand kann ich nicht mehr laufen, sondern muss richtig springen. Und das fünfundsechzigmal – keine schöne Vorstellung ! Misstrauisch äuge ich zu dem Turm – ob mich Luisa vielleicht tragen kann ? Und apropos tragen: Was ist eigentlich mit Henri ? Dass der bis zum Sommer noch laufen lernt, wage ich zu bezweifeln.
»Na, ihr seid ja ganz schön früh dran mit eurem Picknick ! Riecht aber lecker !«
Ein großer, zotteliger Hund ist neben uns aufgetaucht und betrachtet uns interessiert.
»Wieso früh ? Es ist bestimmt schon Mittag. Da gibt es bei uns immer etwas zu futtern.«
»Nein, ich meine: früh im Jahr. Normalerweise ist es jetzt Menschen doch noch zu kalt, um so lange draußen zu sitzen. Im Sommer sind immer ganz viele von ihnen hier, aber momentan ist Besuch nicht so häufig. Der Schäfer hat es auch nicht gern um diese Jahreszeit. Wir haben viele Lämmer, und die Muttertiere sind schnell genervt von Besuch.«
Zottel ist hier also der Schäferhund. Mittlerweile haben ihn auch meine Menschen gesehen.
»Oh, der ist aber niedlich ! Guck mal, Papa ! Meinst du, der hat Hunger ? Vielleicht will er ein paar von unseren Hundeleckerlis ?«
Bitte ? Spinnt Luisa jetzt völlig ? Finger weg von meinen Leckerlis ! Ich knurre ein bisschen. Zottel stellt überrascht die Ohren auf.
»Hey, Kumpel, ruhig Blut ! War nicht meine Idee !«
Marc lacht.
»Nee, Luisa, lass mal ! Erstens passt dein Vorschlag Herkules offenbar gar nicht. Zweitens möchte ich nicht, dass du fremde Hunde fütterst. Du sollst überhaupt keine fremden Tiere füttern. Nachher vertragen sie das angebotene Futter nicht und werden krank – das muss ja nicht sein.«
»Aber er guckt doch so traurig !«, verteidigt Luisa ihre Schnapsidee.
Marc schüttelt den Kopf.
»Nichts zu machen ! Aber ansonsten ist das von dir ein guter Hinweis. Das nächste Mal, wenn du dein Zimmer nicht aufräumen willst, gucke ich auch ganz traurig.«
»Menno, Papa ! Du bist richtig doof !«
»Gaaawaaah ! Papaaa !«, kräht Henri wie zur Bestätigung und schmiert Marc ein Stück Banane an die Hose. Auweia, Marc ist doch so ein Sauberkeitsfanatiker – das gibt bestimmt Ärger ! Tatsächlich reißt Marc die Augen auf – aber statt des zu erwartenden Donnerwetters stößt er einen kleinen Jauchzer aus.
»Caro, hast du das gehört ? Er hat Papa gesagt ! Henris erstes Wort ist Papa !«
Unsinn. Henris erstes Wort war Gaaawaaah. Ich habe es genau gehört. Okay, das Wort danach klang tatsächlich wie Papa, aber das war bestimmt Zufall. Von mir aus auch Wunschdenken.
Marc jedoch ist nicht zu bremsen.
»Wahnsinn ! Mein Sohn ist noch kein Jahr und kann schon sprechen ! Dabei sagt man doch immer, Jungs sind in der Beziehung langsamer – stimmt gar nicht ! Wahrscheinlich ist Henri eben hochbegabt ! Papa ! Wahnsinn ! Mensch, Caro, ist das nicht toll ?«
»Ja, ich hab es auch gehört.« Caro lacht. »Aber war es nicht eher ein Mama ?«
Sagt mal, habt ihr es alle auf den Ohren ? Es war weder Mama noch Papa. Es war eindeutig Gaaawaaah. Doch was rege ich mich auf. Mir hört ja eh keiner zu. Auch wenn in einem einzigen Wuff von mir garantiert mehr Information steckt als in einem ganzen Sack voll Gaaawaaah von Henri.
Zottel setzt sich neben die Decke.
»Warum seid ihr eigentlich hier ? Wollt ihr dem Schäfer ein Osterlamm abkaufen ?«
»Osterlamm ? Nee. Wir wollen heiraten. Auf dem komischen Dings da drüben.«
»Ach so. Dann brauchen sich meine Schafe ja keine Sorgen zu machen. Die Mütter sind eben schon ganz unruhig geworden, als euer Auto gekommen ist. Erst gestern hat der Schäfer zwei Lämmer verkauft, da war hier aber was los ! Also – haltet euch besser von der Herde fern. Man soll es nicht glauben, aber so ein Schaf kann schon ungemütlich werden, und ich kann nicht überall gleichzeitig sein.«
Pah ! Sehe ich aus, als hätte ich vor einem Schaf Angst ? Immer diese ungebetenen Ratschläge !
»Mach dir keine Sorgen, Kollege. Ich komm schon klar.«
»Ich mach mir keine Sorgen. Ich wollte es nur gesagt haben. Und man weiß nie, auf was für dumme Gedanken Menschenkinder kommen. Pass also ein bisschen auf dein Rudel auf. Besser isses.«
Er zockelt Richtung Deich ab. Ich blicke ihm hinterher. Gefährliche Schafe. Lachhaft ! Aber so sind sie wohl, die Hütehunde. Können einfach nicht aus ihrer Haut. Sehen hinter jedem Busch einen Räuber. Da bin ich als Jagdhund natürlich ganz anders gestrickt. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich die Gefahr suche – aber ich verstecke mich auch nicht vor ihr. Wobei von diesen Wollknäueln auf vier Beinen doch sowieso keine Gefahr ausgeht.
Marc und Caro haben mittlerweile ihr Picknick beendet, die Sachen zusammengepackt und Henri in seine Karre verfrachtet. Leuchtturm, wir kommen ! Je näher der übrigens rückt, desto höher sieht er aus. Kann mir mal jemand verraten, warum wir dieses Hochzeitsdings möglicherweise hoch über der Erde durchziehen wollen ? Ist es vielleicht, um sicherzugehen, dass Sabine nicht kommt ?
»Guck mal, Carolin«, Luisa zeigt auf ein paar Schafe, die direkt neben unserem Weg stehen, »sind die nicht süß ? Die sehen so flauschig aus !«
Sie macht einen Schritt auf zwei kleine Lämmer zu, die uns mit großen Augen anschauen. Sofort kommt ein größeres Schaf hinzu und blökt empört. Vorsicht, Luisa ! Ich habe natürlich keine Angst vor dem Vieh, aber wenn man meiner Luisa zu nahe kommt, werde ich, Carl-Leopold von Eschersbach, selbst zum Tier. Na ja, im übertragenen Sinne. Ich trabe also neben Luisa und knurre vorsichtshalber ein bisschen.
»Pfui, aus, Herkules ! Lass die Lämmer in Ruhe !«, schimpft Marc völlig zu Unrecht mit mir.
Ich höre auf zu knurren und trolle mich beleidigt. Soll er halt selbst auf sein Töchterlein aufpassen. Luisa lässt die Lämmer allerdings auch Lämmer sein und schiebt stattdessen die Karre, die sie jetzt von Caro übernimmt, vor sich her.
Der Leuchtturm ist vielleicht noch einen kurzen Spurt von uns entfernt, da entdeckt auch Henri die kleinen Lämmer für sich und beginnt, ihnen zuzuwinken. Klar, die gefallen ihm. Sind ja gewissermaßen Altersgenossen.
»Gaaagagaaa, waaahaaa !«, ruft er begeistert.
»Die sind süß, oder ?«, will Luisa von ihm wissen.
Henri strahlt und winkt weiter.
»Komm, ich fahr dich mal ein bisschen näher ran.«
Luisa schiebt los, Richtung Lämmchen.
Oh, oh – ob das so eine gute Idee ist ? Ich schaue zu Caro und Marc. Aber die sind ins Gespräch vertieft und merken gar nicht, dass Luisa vom Kurs abkommt. Schnell hefte ich mich an ihr Bein. Jetzt kommt sie bei den Lämmern an.
»Guck mal, Henri. Jetzt kannst du sie streicheln.«
Sofort versucht Henri, mit seinen Patschehändchen nach den Schäfchen zu greifen.
Eines ist ein bisschen mutiger und kommt näher. Wahrscheinlich riecht es den Bananenmatsch an Henris Fingern. Jetzt leckt es tatsächlich an seinem Händchen. Henri gluckst, das Lamm meckert. Dann packt es offensichtlich in der Hoffnung auf Futter noch mal zu – und Henri brüllt wie am Spieß los.
Auf einmal geht alles ganz schnell: Henri schreit, das Schaf blökt, Luisa schreit auch und wedelt dem Lämmchen mit der Hand vor der Nase herum, um es zu verscheuchen.
Mutter Schaf bekommt offenbar nur die Hälfte mit und macht einen Satz auf die Karre zu, die kippt mitsamt Henri um, Henri schreit noch lauter – und mir bleibt keine andere Wahl: Angriff, Attacke ! Wer meinen Kleinen angreift, kriegt es mit mir zu tun !
Noch bevor das Mutterschaf Henri richtig zu fassen bekommt, mache ich einen gewaltigen Sprung und werfe mich dazwischen. Das Schaf blökt laut auf, hält kurz inne und zwickt mich dann in den Hinterlauf. Autsch ! Das tat weh ! Aber besser ich als Henri ! Ich knurre und schnappe nach meiner Angreiferin, die weicht tatsächlich ein paar Schritte zurück. Wie hat mir Opili das damals noch erklärt ? Stellen und verbellen ? Wie ging das noch ? Ich stelle mich genau vor das Schaf und fange an zu bellen. Tatsächlich kommt es nicht wieder näher, sondern scheint zu überlegen, was es als Nächstes machen soll. Wuff, Taktik funktioniert !
Mittlerweile haben auch Marc und Carolin gemerkt, dass unser Ausflug eine etwas ungemütliche Wendung genommen hat.
»Henri ! Was ist passiert ?«
Caro läuft zur Karre und hebt ihren Sohn hoch.
Luisa heult.
»Die Schafe haben Henri gebissen !«
Schnell zieht Caro sie am Ärmel von den Schafen weg und bringt einen sicheren Abstand zwischen Kinder und Viecher.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass nun ein paar andere Schafe ihrer Kollegin zur Hilfe eilen, und ehe ich michs versehe, steht nicht nur ein Schaf vor mir, sondern gleich vier. Ich belle tapfer weiter, aber so langsam wird mir ein bisschen mulmig. Wo steckt eigentlich Zottel ? Das ist doch hier seine Truppe, die sich gerade nicht im Griff hat !
Ein besonders vorwitziger Vertreter wagt sich nun ganz dicht an mich heran und verpasst mir dann einen kräftigen Stüber mit seiner Nase. Ich jaule auf und gehe sofort in die Offensive, indem ich nach ihm schnappe. Leider erwische ich nur Luft – wer hätte gedacht, dass ein Schaf so schnell sein kann ? Seine Kumpane haben mittlerweile einen Kreis um mich gebildet, blöken und scharren mit den Hufen. Ich knurre und belle noch lauter, doch das scheint sie nicht zu beeindrucken, denn sie rücken langsam näher. Was hatte Zottel gesagt ? Die können ungemütlich werden ? Vielleicht hatte er damit doch ein klein wenig recht. Und wo steckt der Meister überhaupt ? HILFE ! ! !
Ich beschließe, einen Ausbruchsversuch zu wagen und mich zu Marc und Caro durchzuschlagen. Die sind leider so damit beschäftigt, die Kinder zu trösten, dass sie offenbar überhaupt nicht bemerken, in welcher Notlage ich mich befinde. Entschlossen presche ich auf die Lücke zwischen zwei Schafen zu – und ebenso entschlossen senkt das eine seinen dicken Schädel und rammt mich in die Seite. Jaul ! Das tat aber richtig weh ! Hey, Friede ! Ich will doch gar nichts von euren Lämmern ! Ich will doch nur wieder zu meiner Familie ! Und überhaupt – wenn Henri nicht mit den Bananen gematscht hätte, wäre das alles nicht passiert. Ist doch nicht meine Schuld !
Ein heiseres Bellen, die Köpfe der Schafe fahren herum.
Zottel. Endlich ! Er kommt aus Richtung Deich angestürmt, umrundet einmal meine Angreifer und zwickt dann zwei von ihnen geschickt in die Hinterläufe. Die brechen daraufhin zur Seite aus und geben den Weg für mich frei. Schnell bringe ich mich in Sicherheit und renne zu Marc und Caro. Wuff. Das war knapp. Sehr knapp. Ich kann spüren, wie mein Herz rast, und lege mich erst einmal bäuchlings zum Verschnaufen ins Gras.
»Endlich, Herkules, da bist du ja ! Wo warst du denn ? Ein toller Wachhund bist du ja nicht gerade !«
Schimpft Marc etwa mit mir ? Mit mir, dem tapferen Jagdhund, der sich mutig vor die Kinder seines Herrchens geschmissen hat ? Dieser Vorwurf tut mehr weh, als von einem Schaf ins Bein gezwackt zu werden. Ich vergrabe den Kopf zwischen meinen Vorderpfoten und winsele. Die Welt ist so ungerecht !
Marc streicht mir über meine tief gefurchte Stirn.
»Nichts für ungut, Herkules. Aber während du hier rumgestromert bist, mussten wir uns mit gemeingefährlichen Schafen herumschlagen. Da wäre es schon besser gewesen, du wärst nicht einfach abgehauen. Vielleicht sollte ich dich besser anleinen.«
Bitte ? Zur Strafe an die Leine ? Tatsächlich. Marc zieht die Leine aus seiner Jackentasche, kniet sich hin und leint mich an. In einiger Entfernung sitzt Zottel und beobachtet das Ganze. Feixend, wie mir scheint. Was für eine Demütigung ! Carl-Leopold von Eschersbach, Nachfahre berühmter Jagdhunde, Retter von Henri und Luisa, an die Leine gelegt. VOR einem ganz gewöhnlichen Hütehund !
Gesenkten Hauptes trotte ich hinter meinen Menschen her. Die Schafe blöken gehässig.
Zottel kommt angetrabt.
»Ich hab’s dir ja gesagt – die Muttertiere sind ganz schön nervös momentan. Aber ist noch mal gut gegangen. Eure Kinder haben sich nur erschreckt, oder ?«
Ich nicke und trotte weiter.
»Alles okay bei dir ?«
Kein Kommentar.
»Hey, nimm’s nicht so schwer. Das kann immer mal passieren. Ich meine – ihr kennt euch mit Schafen eben nicht aus. Ihr seid aus der Stadt, oder ? Sieht man doch schon daran, wie ihr hier rumlauft. Und dann – heiraten auf dem Turm. Mein Schäfer würde jetzt sagen, dass nur Städter auf so einen seltsamen Gedanken kommen. Du müsstest das im Sommer mal sehen: Die Bräute in ihren langen Kleidern – hier, wo Menschen doch eher Gummistiefel brauchen. Und als Hund verliert man in der Stadt wahrscheinlich auch alle überlebenswichtigen Instinkte. Na, hat man ja gerade auch an dir gesehen. Also, ich würde sagen …«
Ich bleibe stehen und mustere Zottel.
»Apropos sagen: Wenn du mich nicht eben gerettet hättest, würde ich jetzt sagen Schnauze, Landei !«
Und dann lasse ich den Idioten einfach stehen und trabe weiter Richtung Leuchtturm. In der Hoffnung, dass es Caro dort oben nicht gefällt und ich nie wieder hierhinmuss. An den Ort meiner Schmach.
Am Turm angekommen bestätigt sich eine Befürchtung nicht: Die Stufen sind selbst für jemanden mit meiner Beinlänge locker zu bewältigen. Allerdings führen sie wie eine Spirale im Kreis nach oben, nach drei Runden ist mir ganz schwindelig, und ich muss ein kurzes Päuschen machen. Ob mich nicht einer meiner Menschen tragen kann ? Immerhin wird Henri auch nach oben geschleppt, und der wiegt mittlerweile bestimmt mehr als ich ! Aber nein, sie turnen alle munter an mir vorbei. Super. Ein Weltklasseausflug. Von Schafen malträtiert, vom Frauchen missachtet.
Nach drei weiteren Runden kommen wir endlich in einem Raum an, in dem ein Tisch und mehrere Stühle stehen. Der Raum ist ganz rund, Licht fällt nur durch Fenster, die ganz oben an der Wand liegen müssen, ich kann sie jedenfalls nicht sehen. Hier im Turminneren kann man auch erkennen, dass er komplett aus metallenen Vierecken zusammengesetzt zu sein scheint. Fast sieht es aus, als stünden wir mitten in einer Maschine. Überhaupt ist der Raum ganz schlicht, kein Vergleich zu den holzgetäfelten und geschmückten Zimmern, die wir eben im Kloster besichtigt haben.
»Und, wie findest du es ?«, will Marc von Carolin wissen.
Die dreht sich zögerlich hin und her.
»Weiß nicht. Ist natürlich schon sehr karg hier.«
»Maritim eben.«
»Hm. Das sah in dem Hochzeitsmagazin viel netter aus. Na ja, wenn ich dich auf einem Schiff kennengelernt hätte, würde es passen.«
»Hast du aber nicht, richtig ?«
»Richtig.«
»Okay. War auch nur ein Vorschlag.«
Sehr gut. Scheint so, als ob ich die blöden Schafe nie wiedersehen müsste.